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Zeitungsartikel der 
Lüdenscheider Nachrichten
vom 21. und 22.05.1966

Aviva Semdar 1966 in Muhle


Amt Lüdenscheid (-hg). "Wir kamen einst von Piemont..." hallte es in diesen Tagen vielstimmig über die Muhler Höhen, und die Sparziergänger werden sicherlich über diese alte französische Weise auf Hülscheider Gebiet erstaunt gewesen sein. Die Einheimischen sind jedoch schon längst daran gewöhnt, daß es alljährlich in den Wochen vor Pfingsten im Erholungsheim Muhle "rund" geht. Seit fünf Jahren findet hier alljährlich die Musische Woche des Amtes Lüdenscheid statt. Jugendliche und Jugendleiter singen hier gemeinsam Volkslieder aus aller Herren Ländern.

Rund drei Dutzend junge Menschen folgten diesmal der Einladung zur 5. Musischen Woche, die am vergangenen Mittwoch begann und am Sonntag zu Ende ist. Mit Gitarren, Noten, Blue Jeans, saloppen Pullovern und Holzpantinen traf man am Mittwochnachmittag im Freizeitheim der Evangelischen Gemeinschaft ein. Die meisten fühlten sich gleich wie zu Hause, denn sie waren nicht zum ersten Male hier. Auch mit dem Ehrengast, der jungen israelischen Folk-Sängerin Aviva Semadar, die vor einigen Wochen beim Lüdenscheider Hootenanny so großen Erfolg hatte, und die direkt aus Amsterdam nach Muhle kam, war man gleich per "Du". Viele der Mädchen und Jungen kannten sich auch vom kürzlich gegründeten Folk-Club 66 her, und so dauerte es nicht lange, bis man sich im großen Saal um Rudi Rogoll aus Berlin, dem langjährigen Leiter der Musischen Wochen, und Jugendamtsleiter Kurt Gereke scharte, den Gitarren ein paar Töne entlockte und ein Lied anstimmte.

An diesem ersten Abend mußte der Gesang oft unterbrochen werden, denn nicht alle Teilnehmer der Musischen Woche trafen pünktlich ein, da ein Teil der jungen Leute bis zum Abend arbeiten mußte oder einen weiten Anmarschweg hatte. Eine Unterbrechung gab es auch, als ein Team des Kölner Fernsehens mit großen Übertragungswagen in Muhle eintraf. IM dritten Programm wird man in einigen Wochen etwas über die Musische Woche sehen. Dennoch wurden schon am ersten Abend einige neue Lieder gelernt, wenn auch Rudi Rogoll öfter als gewöhnlich zur Ruhe mahnen mußte. Mittelpunkte der Singe-Gemeinschaft - aber kein "Star" - war von vornherein die junge Israelin aus Tel Aviv, die in ihrer Heimat Lehrerin war, bevor sie ihren Gesang zum Beruf machte. Diszipliniert und bescheiden fügte sich die Künstlerin, die Fachkreisen als eine der ganz großen Folklore-Sängerinnen gilt, in die Gemeinschaft ein. Mit ihrer klaren, dunklen Stimme bezauberte sie alle ihre Zuhörer. Nicht nur alte jiddische und hebräische Lieder sang Aviva Semadar, sondern Volksweisen aus vielen Ländern, und in ihrem lustigen Deutsch erklärte sie den Jugendlichen Sinn und Bedeutung dieser Lieder. Kein Wunder, daß man begierig war, die fremden Rhythmen und Melodien zu lernen. Am Sonntagmorgen mußte noch tüchtig geübt werden, um vor den Ton-Ingenieuren und Kameramännern des Fernsehens bestehen zu können. Rudi Rogoll, der als "Pionier und Motor" der Mischen Wochen gilt, hatte gut daran getan, eine kleine Instrumentalgruppe mit aus Berlin zu bringen, die die Sänger begleitete. Aber auch eine Gruppe Folk-Sänger aus Dortmund und Lutz Nagel vom Spiritual-Studio Düsseldorf wirkten zur Unterstützung mit. Sie alle waren ebenso wie Aviva Semdar von der Zwanglosigkeit des musikalischen Treffens in Muhle begeistert. Und da das Wetter warm und sonnig war, stellte man bald die Stühle in den großen Garten des Heims und sang und musizierte im Freien.

Am Nachmittag des Himmelfahrtstages erhielten die jungen Folklore-Sänger dann hohen Besuch: Als Vertreter des Amtes Lüdenscheid waren Amtsbeigeordneter Cramer und Baurat Hering nach Muhle gekommen, die den Teilnehmern der Musischen Woche viel Freude und Erfolg wünschten. Wenn diese Musische Freizeit auch allen Teilnehmern Spaß machen soll, so ist sie doch mit harter Arbeit verbunden. Das Singen steht im Vordergrund, auf keinen Fall wird es "nebenbei" betrieben; denn schließlich wollen die Jugendlichen aus dem Amt und aus der Stadt Lüdenscheid auch beim alljährlichen Internationalen Folklore-Festival, das über Pfingsten auf Schloss Waldeck stattfindet, bestehen können.
Das ist jedoch nicht der einzige Zweck dieser Musischen Woche. Vor allem soll in der Jugend die Freude an schöner Volksmusik geweckt werden. Rudi Rogoll hat viele noch unbekannte Lieder, die er gesammelt und teilweise neu vertont hat, mit nach Muhle gebracht. Erfreulich ist es auch, daß drei junge Lehrerinnen an der Freizeit teilnahmen, sie können den Musikunterricht in den Schulen mit diesen bekannten und unbekannten "echten" Volksliedern bereichern. 
Auch Kaplan Niemöller ist - mit einigen Unterbrechungen - Teilnehmer. Er freut sich sehr darüber, daß die Musische Woche in Muhle so großen Anklang bei der katholischen Jugend gefunden hat. "Davon können alle unsere Jugendgruppen nur profitieren."
Da einige der Teilnehmer noch zur Schule gehen und weder Ferien nehmen noch "blau machen" können, mußten sie am Freitag und am Samstagmorgen schon sehr früh aufstehen, per pedes bis zur nächsten Omnibushaltestelle marschieren und von da aus mit dem Bus zum Schulunterricht fahren. Mittags kehrten sie dann auf dem gleichen Weg wieder nach Muhle zurück. Das ist zwar etwas beschwerlich, "aber wir wollen deswegen doch nicht auf die Musische Woche verzichten!"
Eines steht fest: Schon jetzt freuen sich die Teilnehmer auf die 6. Freizeit dieser Art im nächsten Jahr.

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