Größter Mittag, der Uhrturm schlägt zwölfmal goldklängig, der Platz ist ein weites Quadrat voller Herbstkühle und flüssigem Sonnenschein und Himmelsblau, mit Blumenrabatten und Kopfsteinen und über rötliche Großsteine murmelnder Fontaine. Äußerst ofenrohrhafter Mann – irgendwie dürr und fett zugleich – saust mit diereisegehtnachhupphupphupp-vonhupphupphuppnachPriemen über eine der Rabatten und setzt sich in metallgrauem Anzug, Krawatte dunkelgrün, auf eine Bank, beginnt in einem zerfledderten Buch zu lesen (Peter: „Das ist der Gemeindemusikdirektor, Organist und Posaunist! Heißt Herr Genoveva.“ Annika: „Passender Name, finde ich.“) Die Imbissveranda ähnelt einer holzgebohlten Freiluftbühne, Aufstelltafel berichtet von Tintenfischringen mit Knoblauchsauce (Tagesgericht) und soviel Mayonaise, wie man zu essen vermag (sie ist in einem Eimer! „Irgendwie so widerlich, dass es schon wieder appetitanregend ist“, denkt Annika); die Pommes Frites sind goldbraun wie herbstliches Uhrturmgeläut und starkangenehm gewürzt. Annika spießt eines der frittierten Stäbchen auf die doppelgezinkte Holzgabel, das Licht schimmert, bricht sich in winzigen Fetttröpfchen, das Gewürzpulver ist samtrot wie die Flaggblöcke um die Springbrunnenfontaine. In der Nähe ruft ein unbekannter Vogel, das klingt wie „Rrrrratsch Rrrrratsch Rrrrrrrrratsch...“ Dän liegt eingeeiert inmitten eines Sonnenflecks. Flussröhren von freundlicher Zerstreutheit wölben sich vom Einen zur Anderen, Zouzou lacht leise ohne besonderen Grund, Hikari scheucht eine späte Fliege von Peters Ärmel. (Hikari: „Hübsches Tierchen. Flaschengrün.“ Dya: „Wird nicht mehr lange leben.“ In der unmerklich heraufnebelnden Kühle des Nachmittags lauert der Winter, die große Kälte hält sich in staubigen Schatten bereit. Peter: „Ich mag den Winter eigentlich.“ Hikari: „Ich auch. Blaugraue schneemassige Hokkaidowinter, die die Wälder überrollen und zudecken.“) Vier haartuschige Köpfchen – schwarz blauschwärzer brandrot blond – und der lange aschblonde Kopf des Peter. (Vorher waren sie mit Dän am Bach, der wuchtflinke Hund ist durch Sträucher und Blätterhaufen gesaust, hat nach Mäusen geschnobert wie ein durchgedrehter Fuchs – ohne je eine zu fangen –, der Bach, angeschwollen von den endlosen Regenfällen vergangener Wochen, hat geschäumt und gemurmelt und Bauminseln überflutet, spitzwinklige Turbulenzschweife um die aus der erdbraunen Flut ragenden Eschen gezogen; Peter hat Hikari einen Findling voll seltsamer türkiser Flechtenbärte gezeigt, und Hikari darauf: „Wie dieser Fels wohl hierhergekommen ist? Wie alt die Flechten wohl sind?“ – Peter: „Mir kommen sie uralt vor.“

 

[Sie besuchen die Dorfbücherei. Die beiden Spiegel an gegenüberliegenden Wänden des Lesesaals erzeugen einen unendlichen Korridor von Büchereien, den sie durchstreifen – wobei sie die Entdeckung machen, dass der Spiegelkorridor sich zum Möbiusband krümmt. Dieses enthält alle Bücher, die kombinatorisch möglich sind.]

 

Zouzou hat zerstreut einen Band aus dem Regal gezogen, um zu schauen: Zeichensalat? – Lesbare Sätze ohne Zusammenhang? – Wortmischmasch? – Leere Seiten? – Durchgehende Geschichte? Doch die Zeichen sind diesmal nicht gewillt, sich euch zur Betrachtung darzubieten: Sie wuchern, wuchern in tollem Tempo über den Rand des Buches hinaus – Linien und Punkte schwellen an zu tastenden Tastern und schlängelnden Schlangenhäuptern ohne Augen, mit feinstem, mykotisch- arthropodischem Geknister sprießt's und sprosst's, treibt feuchtschimmernde Fruchtkörper aus schwellendem, lymphblassem Gespinst, in dem schwefelgelbe Tröpfchen glänzen. Mit obszöner Kühnheit schießen Fortsätze aus amöboidem Gelée in die Höhe, zerspreizend zu Tausend sich unablässig fortgabelnden kränklichgrünen Fäden, umhüllt von schwach phosphoreszierendem Schleim. Knistern wächst zu organisch-massigem Ächzen, aus Hunderten von Bänden, reihenweise in den Regalen, bricht es in wattigen Tertiärfarben, zähflüssiges Gekreuch, korpulent und voll boshaftestem Selbstbewusstsein.

 

Mykomorgana: Dreimetriges Gewülst auf drei staksenden, gelenklosen Beinen von limonengrüner Fasermasse, atmend köchelndes Eitergelbgewebelappenchaos trichterförmig der Torso, dem Fruchtkörpermäuler entpeitschen, besetzt mit Stachelfluten, graubraunen und auqamarinblauen und plastikhaft rosaroten. Alpchaotische Wirrwarrhölle von mykotischer und elektronischer Materie, nassweicher Gewebeflaum umschließt Leiterbahnen; Drähte, Kupfer, Plastik, Widerstände, Kondensatoren, Dioden, Izees versquickt mit gallgrünem Glimmerglitsch, brechbraunem Bosgestengel. Knättrich umflatscht von verschimmelten Lichtbögen – „wie eine Art unvorstellbar geschmacklose Kleidung!“ (so Zouzou).

 

Schwerter?! Woher plötzlich Schwerter?

 

Das „Woher“ lasst uns andermalig klären. Annika, Zouzou, Dya – jede hält ein sausendes Langschwert in den Händen, tausendmal – eeh! milliardenmal gefaltet: die schärfsten denkbaren Klingen, scharf wie der Gedanke des Menschen – schärfer! Nicht metallglänzend, sondern schwarz – schwärzer! Schwarz wie die Abwesenheit von Existenz; so schwarz, dass djewuschka meint, musume sei blind, wenn deern hinsieht. Blickt man seitlich drauf – von der Schneide her – so wird es unsichtbar. Schärfer als der scharfsinnigste Gedanke.

 

Und Hikari? schwingt einen Morgenstern, drohpendelnd an langer Kette, nihilschwarz auch seine Stacheln.

 

Dya blickt – aus Ratlosigkeit, Ekel, Staunen, was-auch-immer – an sich herunter, und: „Iiik! S'n das-s-s??!“ Anorexisch dürrlanger Pilzstengel fühlert an ihrem Bein herauf, macht Anstalten, sich mit dem Niemandsland zwischen Strumpfober- und Rockunterkante ausführlicher zu beschäftigen – der Das-Maß-ist-Voll-Augenblick! HAAAAAA-aaaaa! Wie ein Meteor –

 

– Dya ins Gefecht, Schwertklinge nihilzischend, Pilzhüte, Gallertstrünke, Myzelstalagmiten mühelos mähend. Annika, Hikari, Zouzou entstarren, preschplodieren glühwangwild zum Kampf. Ha! Hei! Rasend schwertschlitzen sie drauflos, schattiger Klingentaifun; Hikaris Morgenstern ein Killerasteroid extinktionistischster Katana-gore-ie, Pilzgedräu zu feuchtflockigem Pulver malmend.

 

Paniksprossend drängt's nach, in Wogen, Walzen, Kolonien, Teppichen von Stielen, Fäden, Staubbeuteleien – den Mädchen ins Messer! So schnell kann kein Gepilz wuchern, wie sie schneiden, schlachten, zwölfelfschmettern! Myzelfetzen auf steilen und flachen Trajektorien, von kniebestrümpftem Splittergewitter stahlgeschnittert. Wippwupp! Horizontalschlag von Annika, einen frechen Hutkopf enthauptend: Uhh, wie die Fontaine von smaragdgrünem Pilzblut rauscht! Zähflüssiger Regen; schwemmt zerstückte Reste mit sich fort.

 

Staksen, triefendes Geknister elektrischer Fäulnis: Mykomorgana – Tentakel schlitschen keck, umschlickwickeln Annika. Violgärvioletter Taster, vorne Waswie'nmaul – Grafikkarte zwischen den Fangzähnen –, sondiert pantsuwärts; und Dya schnellt sich – Projektil in schmettergeglocktem Faltenröckchen – in orbitale Höhen (hübsch die Rundsicht hier oben: parabelnd durch kaltknattrige Dünnlüfte, drüber nur noch der Sternendom in seinem schwejkhejtren Donnergang, das Möbiusband in tiefster Ferne, fernster Tiefe, geschrumpft zum Nebelstreif) und MARVt nieder, Machkegelndtrifftdieblankeschärfe vorausgezückt. Dya Rienzi Ectropian Fanatic Final Crush!

 

Annika. IIIiiiii-iiieeek...!

 

Die Mykomorgana erzittert, Koronaentladungen flackern verlöschen. Zeitstäubchen lang völlige Stille. Langsam, ganz langsam, mit herbstnachmittäglich verträumter Bedächtigkeit – musume sah zur Rechten wie zur Linken: S gibt die Mykomorgana nun zweimal, „besser gesagt: überhaupt nicht mehr! Hu!“ – in der Lücke zwischen den fallenden Hälften: eine erhitzte Dya Rienzi, das Schwert in der Rechten, schwuppt sich's schwitzschöpfige Haar zurück – „Ha! Wieder auf Draht, Annika?“

 

„Glaube schon.“ Welkende Pilzreste von Rock und Strümpfen streifen. Über allem Schlachtfeld ist Ruh'.

 

„Du hast“ – Hikari behutsam zu Dya – „das Möbiusband mit getroffen. Dein Fanatic Final Crush hat's durchschnitten.“

 

„Das ist doch nur gut!“ (Dya munter.) „Praktische Abkürzung nachhause.“