...testen das Experimentalschiff Trobadora Beatriz im geostationären Orbit.
Alexa Nimitz und Carmen Heckenrosental...

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Die Erkenntnis, dass Realität Vergnügen ist

 

 

Das Weltall ist schwarz, es ist still, es ist nahezu vollständig leer. So gut wie alles, was existiert, ist Weltall. Himmelskörper nehmen einen verschwindend kleinen Anteil der Realität ein, ihr relatives Volumen ist fast vernachlässigbar gering. Das Weltall erscheint als schwarze Hohlkugel – zuweilen „Hubble Eins“ genannt –, in der dünne Schleier silbriger Sterngaze schweben. Das Weltall ist dem Blick der Menschen fremd: Unsere Sinne scheuen zurück vor der perfekten Dunkelheit, der sie weder Größe noch Entfernung noch Struktur zuzuordnen vermögen: „Division by Zero“ sagt Alexa Nimitz verträumt und fährt die Ausgabezeile auf dem Monitor bekräftigend mit dem Zeigefinger ab; der Zeigefinger ist schlank und kräftig, rosa-beige, typische Menschenfarbe (denn alle Menschen haben einen Farbton zwischen sahnefarben und bräunlich, es gibt weder weiße noch schwarze Menschen – das wäre eine biophysikalische Unmöglichkeit – Schwärze ist allein dem Weltall vorbehalten!), vertraut sieht der Zeigefinger aus, findet Carmen, die ihre Schuhe heute einfach offengelassen hat: Schnürsenkel sind eine verwirrende Angelegenheit, genau wie die olbersschwarze Kugelfläche des Weltalls, aber Alexa und all ihre verschiedenen, miteinander zusammenhängenden Körperteile, Finger, Arme, Schenkel, Bauch, Stupsnäschen, sind ihr sehr vertraut, das ist etwas, woran man sich im Weltall festhalten kann.

 

Carmen Heckenrosental hält sich im Weltall an Alexa fest – mal seelisch, mal körperlich, je nachdem – und Alexa hält sich irgendwie an sich selber fest. „Division by zero“ bemerkt das Terminalfenster ungehalten, Alexa wandert mit den Augen – wie die Pupillen hin und herflitzen, Carmen kichert, während sie es beobachtet – Zeile um Zeile über den Curie++sourcecode, klammert sich an einer Strukturdefinition fest, sagt: „Hier müsste double stehen, wer hat denn ein int draus gemacht, das warst nicht etwa du, Carmen?“, und Carmen: „Krieg ich dann Haue?“, und Alexa (warum hält sie eigentich einen Bleistift zwischen den Zähnen?!): „Worauf du dich verlassen kannst!“ Das Weltall ist keinesfalls leer, obwohl das ständig irgendwelche Rotznasen behaupten: Es enthält Unmengen an Strahlung, elektromagnetische Wellenpakete von Radio- bis Gammastrahlung, einen knisternden Strauß von Teilchen, schnelle Protonen und schwerere Ionen, Elektronen, Positronen, Neutrinos, die – wie Carmen unter fortgesetztem Gekicher bedenkt – jeden Menschen, egal ob auf der Erde oder sonstwo im Sonnensystem, ständig in ungeheurer Anzahl durchschlagen, ohne ihn dabei in irgendeiner Weise zu beschädigen, feinsten Staub, eine Art Zigarettenrauch aus Eis, Mineral, Metallen, harzigen organischen Stoffen; Gase, Wasserstoff, Helium und kompliziertere; auch Alkohol und Ameisensäure, vor allem aber Felder, die Carmen sich manchmal als Weizen-, Gurken- und Salatfelder vorstellt, aber in Wirklichkeit Gravitations- und elektromagnetische Felder genannt werden (die beiden anderen reichen angeblich nicht über den Rand der Atomkerne hinaus), hinzu kommt, wie diese Zouzou Guermantes Carmen einmal erklärt hat, womöglich noch ein weiteres, das man nicht „Feld“ sondern kosmologische Konstante nennt, es drückt die Galaxien auseinander und könnte das All irgendwann in sehr ferner Zukunft sprengen. Zouzou hat auch Dunkelmaterie erwähnt, die besser „durchsichtige Materie“ heißen sollte, und Dunkle Energie. Die Dunkle Energie gefällt Carmen, sie hätte gerne einen Kochlöffel aus Dunkler Energie, den man unsympathischen Menschen auf den Kopf deppern könnte. Das Weltall ist gedrängt voll mit prasselnden, sprühenden, elastischen, sausenden, schwingenden, singenden, summenden Feldern, ein schläfriger Sommernachtmittagsbienenschwarm von Feldern, der dann und wann, da und dort, wütend werden und in dröhnendes Toben verfallen kann. „Woran denkst denn?“ fragt Alexa, ohne von der Arbeit aufzusehen. „Ach, an die Felder.“ „Was für Felder?“ „Die, aus denen das Weltall besteht. Gravitation und Elektrizität und dunkle Dinger.“ „Wir bestehen auch aus Feldern, Carmen. Unsere Körper sind fast nur daraus gemacht. Materie ist völlig unbedeutend auf der Welt. Quarks und Elektronen sind netter Schnack, aber Photonen und Gluonen, die Kraftträger, sind es, die uns Menschen so weich und kuschlig und zugleich fest und elastisch machen und den Graphenstahl hart und die Butter buttermäßig. Physik ist eben keine sehr materialistische Wissenschaft.“ „Was denn dann?“ „Ach!“ ruft Alexa und vertauscht den Bleistift mit einer Zigarette (der Rauch sieht lustig aus unter Schwerelosigkeit!), „wie soll man das nennen? Ich finde, es ist eine Kausalitätswissenschaft. Der schubst den und dieser jenen. Du weißt sicher, dass Isaac Newton Hohn und Spott von nah und fern erlitt, als er mit seinem err hoch minus zwo ankam?“ „Ja, hab ich gehört.“ „Weil die Leute mysteriöse Fernanziehungskräfte für mystischen Krempel hielten! Das kam ihnen wie ein Rückschlag in vorwissenschaftliche Zeit vor.“ „Aber die Gravitation hat sich doch bewährt.“ „'türlich. Jetzt konnte man die drei einzeln herumstehenden Kepler'schen Gesetze auf eine einzelne Formel als Ursache zusammendichten: err hoch minus zwo, da kommen Ellipsen und gleiche Flächen in gleicher Zeit und Pehquadrat propp errhochdrei ganz von alleine heraus. Das fand man so hübsch, dass man bei der mystischen Fernwirkung sieben Augen zudrückte.“ „Heute sieht man es nicht mehr als mystisch an. Wegen Einstein.“ „Ja, ja! Einstein machte aus der Fernwirkung eine Lokalwirkung: Veränderung der Geometrie der Mannigfaltigkeit lokal an einem Ort, die dann ähnliche Verformungen direkt nebendran auslöst, die sich wiederum weiter fortpflanzen, und so dominosteint sich die Gravitation Schritt für Schritt durch das ganze Universum. Physiker sind keine Materialisten, und auch keine Fernwirkungszauberer, sondern Kausalisten, lokale Kausalisten: Dies und jenes bewirkt das und das in unmittelbarer Nähe, was sich dann auf die nicht mehr ganz so unmittelbare Nähe fortsetzt und-so-weiter.“ „Und-so-fort.“ „Ja, Compile, Run. Division by Zero. Hu!“

 

Die Erde, eine fast perfekte opalblaue Kugel, rollt in der Nähe (nur sechsunddreißigtausend Kilometer! anderthalb Tage mit dem Flugzeug, wenn die denn über die Kármán-Linie hinauskämen) von Port Terra herum, ein metallglänzender Torus von zwei Kilometern Durchmesser, auf dem in regelmäßigen Intervallen die curiepolitanische Flagge aufgemalt ist, was, so Carmen, „eigentlich absurd ist, denn die anderen Nationen haben kein bemanntes Raumschiff, das hier hinaufreicht, und wir selbst wissen ja, dass sie von uns ist!“. Das Experimentalschiff „Trobadora Beatriz“ hat man mit Schattenspringern (die im Orbit sehr solide Schlepper abgeben) einige Kilometer beiseite bugsiert. Port Terra ist von hier aus gesehen eine silbern strahlende Sichel vor dem unerschöpflichen Schwarzheiter des Weltraums; anders als die herkömmlichen artilleriegeschossesk-wuchtgedrungenen thermonuklearen Pulsclipper ist die Trobadora carmenheckenrosentalhaft lang und schlank, mit einer Glockendüse am einen Ende, die ebenso riesig wie filigran wirkt: denn sie besteht aus einem offenen Gitter von Magnetspulen, keine solide Materie vermag den phantastisch heißen Plasmastrahl zu bündeln. Alexa: „Das Ziel war immer, etwas zu haben, was in Sachen spezifischer Impuls und Schubkraft mit den Bummbummbumm [demonstrativ Faust-gegen-Hand zwei-dreimal] mithält, aber nicht Bummbummbumm macht, sondern konstant brennt. Division by Zero. Es wird an diesem Include-File liegen.“ „Wieso heißt das File Tulpenzwiebel.h?“ – Carmen, sehr unschuldig. „Weißt du denn einen besseren?“ – Alexa, inzwischen recht mürrisch. „Ja. Luftschloss.h.“ „Carmen, mir scheint, dir ist langweilig. Wie wär's, wenn du dich mit der Fackel verlustieren würdest? Der Optokoppler T1136 reagiert nicht, wie er soll. Schwing deine kleinen braunen Pobacken da runter und zück' einen Lötkolben.“ „'Runter' ist gut, wenn es keine Schwerkraft gibt. Aber wie du willst. Weil du's bist, Alexa.“ Das All ist weder kalt noch schwerelos: das ist nur Science Fiction. Schwerefelder und Wärme durchdringen es bis in die letzten Winkel. Carmen hangelt sich, Hand über Hand, den Wartungsschacht, der zum Antrieb führt, weder hinauf noch hinunter. Kurze Röckchen und lange Haare – und Carmens, hälftig grasgrün gefärbt, reichen immerhin bis zum Po – im freien Fall sind aus dem schrägen Blickwinkel der Mechanik eine sonderbare Idee, aber im Weltall muss man sich an etwas festhalten, was auch bedeuten mag: an etwas festhalten! so zum Beispiel an den Kleidungsgewohnheiten des ewigen Frühlings der Insel Curiepolis.

 

Wo ist der Optokoppler T1136? Carmen hält das Ersatzbauteil in der Hand, den Lötkolben hat sie an der Brusttasche der Uniformbluse festgeklippt. Wo bist du, Koppler? Komm! Putt putt putt, komm, Puter. Carmen schürzt die Lippen und pfeift die Wilhelm-Tell-Ouvertüre (womit sie Alexa regelmäßig zur Weißglut bringt: „Wenn du schon pfeifen musst, erweitere bitte wenigstens dein Repertoire!“ „Aber ich heiße nun mal Carmen und mag die Oper deshalb.“ „Das ist nicht 'Carmen', sondern der Wilhelm Tell von Rossini.“ „Weiß ich.“) Der Gaskernreaktor, der sich – Carmen findet das beinahe schwer vorstellbar – wenige Meter hinter der rechten Schachtwand befindet, enthält in seinem Inneren eine Röhre, gefüllt mir einem Heliumdrei-Argon-Gemisch, zur Erzeugung des Röntgenlaserstrahls, der die Deuterium-Heliumdrei-Pellets in der Brennkammer zündet, die erzeugte Wärme, zweieinhalbtausend Megawatt, ist enorm und muss ins All abgegeben werden, weswegen die Trobadora im hinteren Bereich mit nachtfalterhaften Infrarotabstrahlern bestückt ist, die greifen hundertemeterweit ins schwarze Fastvakuum („das so fastvakuumhaft nicht ist, bei all dem Feldergebrubbel“, denkt Carmen sehr vergnügt!).

 

Das Leben im Weltall macht Spaß, sonst hätten die Menschen keine Sehnsucht danach. Das Weltall ist ein friedlicher, amüsanter Ort. Quasare und Supernovae sind champagnerschäumende Feuerwerke, keine grimmigen Vernichtungsschläge. Die wahre Rache des Monotheismus bestand darin, dass er die Gelehrten dazu verleitete, die ganze Realität als finstere, bösartige Maschinerie aufzufassen, die nichts besseres zu tun hat, als pausenlos Organismen zu zerfleischen (und neue in noch höherer Anzahl hervorzubringen, damit diese auch zerfleischt werden können), Himmelskörper zu verdampfen, zersplittern, pulverisieren (und neue hervorzubringen, damit das Leid kein Ende hat, bis irgendwann die zeitlose Entropie gnädig Gleichgültigkeit über alles breitet); es sollte einen glanzäugigen Staat im warmen, leuchtenden, stürmischen Pazifik brauchen, um der Menschheit zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass Realität Vergnügen ist.

 

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