Nachrichten: Mai 2017

Inhalt

Das Längste Gedankenspiel: 30. Mai 17

Curiepolis bei NovoArgumente: 27. Mai 17

Lok Esmeralda: 24. Mai 17

Wolkengrau naht der Morgen: 20. Mai 17

Heraufblauender Frühlingsmorgen: 18. Mai 17

Stoppelfelder der Nacht: 17. Mai 17

Rattenwache: 14. Mai 17

Kurz nach Mitternacht: 10. Mai 17

Allererster Morgenschimmer im Nordosten: 9. Mai 17

Milchiges Wolkenblau, von Osten den nahen Tag ankündigend: 6. Mai 17

Stürmischer Maiabend, auf Mitternacht zugehend: 2. Mai 17

 

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Das Längste Gedankenspiel: 30. Mai 17

 

Die 32. Jahrestagung der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser findet vom 12. - 15. Oktober in Celle statt; Deadline für Beiträge ist heute. Ein Curiepolis-Vortrag könnte für Arno-Schmidt-Freunde sehr interessant sein. Daher habe ich etwas vorbereitet...

 

 

Ob man meinen Vortrags-Vorschlag ins Programm aufnehmen wird, ist natürlich noch offen. Freuen würde es mich sehr - eine exzellente Möglichkeit, Menschen, die sich für moderne, experimentelle Literatur interessieren, mit meinem Curiepolis bekannt zu machen!

An Herrn Prof. Eidherr, der für die Beiträge verantwortlich ist, habe ich ein digitales Curiepolis-Paket geschickt, mit einem einleitenden Artikel, einer Minipräsentation und meinem Lebenslauf. Auch ein Link zu obigem Video war in der Email enthalten. Man wird sehen.

 

Hier gibt es das Paket zum Download (11.5 MB, .zip-Archiv)

 

An der Universität Erlangen habe ich übrigens im Jahr 2015 schon einmal einen Vortrag sowohl mit Arno-Schmidt- wie mit Curiepolis-Bezug gehalten! Hier finden sich einige Infos und das Material zum Download.

 

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Curiepolis bei NovoArgumente: 27. Mai 17

 

 

Ich hatte ehrlich gesagt gar nicht mitbekommen, dass NovoArgumente meinen Artikel "Die neue Zugmaschine der Menschheit" schon vor einigen Monaten veröffentlicht hatte - war davon ausgegangen, der Text sei irgendwie in der elektronischen Schublade verlorengegangen, daher kam es recht überraschend für mich, als die Redaktion mir vor einigen Tagen mitteilte, er sei sogar in die Printausgabe übernommen worden.

In dem Artikel geht es u. a. um ressourcenbasierte Ökonomie, Robotisierung und Raumfahrt - Themenbereiche, die auch in Curiepolis vorkommen - nun gut, welches Thema kommt eigentlich nicht in Curiepolis vor?! Im Artikel komme ich auf das Buch zu sprechen: Jacque Fresco empfielt, eine „experimentelle Stadt“ aufzubauen, in der die ressourcenbasierte Wirtschaft in kleinem Maßstab getestet wird. Dieser Vorschlag ließe sich auch auf mein „modifziertes Venus Project“ anwenden. In meinem derzeit in Entstehung begriffenen Roman „Curiepolis“ wird auf einer künstlichen Insel im Pazifik ein neuer Staat (eben die titelgebende Curiepolis) errichtet, der ähnliche Ziele verfolgt und dadurch als „Leuchtfeuer“ bzw. „Stadt auf dem Hügel“ für den Rest der Erde fungiert.

Ein anderer Text, den ich bei Novo veröffentlicht habe, ist die Neuro-Gluonik, die ebenfalls in curiepolitanischem Kontext recht interessant ist!

 

Ferner feinschleife ich gerade die Libellenvogel-Szene. Zwei lustige Stellen:

 

Ich kannte ein Kinderbuch, in dem dreidimensionale Menschen Computerkontakt mit einer zweidimensionalen Welt herstellten und den dortigen Bewohnern als aus dem Nichts erscheinende, anwachsende und wieder zusammenschrumpfende Scherenschnitte erschienen; eine nette Geschichte, derzufolge es möglich war, dass ein Körperwesen mit Flächenwesen ein Schwätzchen anknüpfte, und dazu war die Eckige Unendlichkeit doch da? (Zur Stiftung von zuneigungsvoller Kommunikation! Die sich allerdings in praxi oft reduzierte auf: „Darf ich dich zu einem Drink einladen?“ „Ich kann dich nicht verstehen!“ „Darf ich dich...“ „Wie bitte?“ „Was?“ – die Phonzahl plättete jeglichen verbalen Kommunikationsversuch, doch die Lichtflügler waren vielleicht nicht auf die Wahrnehmung von Schallwellen angewiesen. Konnte man sie allerdings auf einen Drink einladen?) „Hübsche Wimpern, sind die echt?“ – sagte ich nicht, zum einen kein Aufgabelspruch für ein Mädchen!, zum anderen ließ sich an ihnen beim besten Willen nichts erkennen, was Ähnlichkeit mit Wimpern hatte (sondern dort, wo wahrscheinlich der Kopf war, ein Grüppchen halbkugeliger Sensoren, vielleicht Komplexaugen)...

~~

Halbrealer. Fliegen wir über das Ufer. Dreihundertoderso Meter über Grund, über weizengelben Sandstrand, schlank gebogene Palmen. Schränk links die Lagune, umflorestant von Papayahainen.

Ich. Hübsch, aber wer ist Florestan?

Halbrealer. Der Bauchnabel einer aufgequirlten Erstsemesterstudentin fünfdreißiginsemorning, reine Idylle, verspielte Schönheit.

Gekicher eines Erstsemesterschwarms Schmetterlinge mit Sinfonieorchesterbegleitung.

 

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Lok Esmeralda: 24. Mai 17

Nacht, Burghof: Jeden Eintrag mit einer derart schicksalsgrollenden Shakespearschen Regieanweisung zu beüberschriften, wird allmählich ein wenig tedious - soll heißen: mir gehen die Möglichkeiten aus, Nachtzeiten - meist zwischen Mitternacht und 5 a. m. - einfallsreich zu umschreiben. Daher von nun an aufschlussreiche Titel, die sich auf den Inhalt beziehen! (Und es sei bemerkt, dass es nicht wirklich wichtig ist, um welche Urzeit ich gearbeitet habe, solange ich stetig weitermarschiere und mich nicht ins Bockshorn jagen lasse! Keep on trucking.)

Schlussschliff der Tlön-Episode hat die Eckige Unendlichkeit erreicht, eine von GROSSSTÄDTischen Studentinnen geschätzte Diskothek. ("Club" würde man heutzutage sagen, aber sehe ich so aus, als ob mich interessiert, was heutzutage zu sagen oder zu beschweigen ist?) Ein Einschub beschäftigt sich mit einer historischen Lokomotive, die den gleichen Namen trug wie Plurabelles Studienfreundin Esmeralda. Es ist interessant, diese Textstelle in ihrer Urform mit der jetzigen Variante zu vergleichen:

 

Urform:

Elvira, was interessanterweise der inoffizielle Eigenname einer argentinischen Dampflok war, die zwischen 1912 und 1929 auf der Linie Buenos Aires - La Paz verkehrte, und für ihre langgestreckte, elegante Erscheinung bekannt war, die von den schwarzen Rauchstrudeln aus dem Schlot wild umwirbelt wurde, vor allem wenn sie, von La Paz kommend, aus dem Tunnel trat, der vor der Nebelschlucht liegt und über die den Abgrund überspannende Eisenbrücke fuhr: Rauch und Abdampf der Maschine vereinten sich zu einer Wolkenlandschaft, die die Schlucht mit zuckerbäckerschönem Gekräusel und Gequelle erfüllte, aus dem die großen Falter, die an den Hängen leben und ihre Rüssel in dunkelviolette Blütenkelche strecken, betäubt zu Boden sanken. Zweimal pro Jahr ereignete sich die Durchfahrt des Zuges exakt zu dem Zeitpunkt, zu dem die sinkende Sonne ihren letzten karmesinroten Strahl zwischen zwei Felsen hindurch in die Tiefe fallen lässt, wodurch das wolkige Gewirbel Elviras in allen Farben des Regenbogens aufglühte! - ein brasilianischer Reisender, ein Zeitungsredakteur, der nach Buenos Aires fuhr um dort eine moderne Druckerei nach US-amerikanischem Modell, die nur mit zwei Arbeitern an jeder Maschine auskam, zu besichtigen, schrieb in sein Tagebuch, der Anblick der fließenden, sich unablässig verformenden und wandelnden Türme, in sich gedrehten Säulen, Erker, Fluchten, Balkone, Brücken aus quellendem Dampf, die flüchtige, schillernde Architektur, die Elvira in die Schlucht gezaubert hatte, habe ihn vor Entzücken aufschluchzen lassen.

 

Das Ganze spielte sich noch auf der Erde ab; erst später zog die GROSSSTADT auf den Tlön um. Außerdem hieß Lok wie Studentin Elvira...

 

Aktuelle Form:

Esmeralda war übrigens auch inoffizieller Name der NYA-999. Der was? Achso, das war eine Dampfmaschine, eine Lok. Auf dem Südwestkontinent; jaja – da gibts/gabs Eisenbahnen, schon um 70 v. GR., als die NYA-999 in Betrieb ging. (Außer Betrieb? Du stellst Fragen. Glaube, um 45 v. GR.! Oder so.) Unpassender Name? Gar nicht, denn: Rauch und Abdampf der Maschine vereinten sich zu einer Wolkenlandschaft, die die Schlucht mit zuckerbäckerschönem Gekräusel und Gequelle erfüllte (Barranco de los Nubes! Eng eingeschnittener Torrent, zwischen moosgrünen Waldhöhen sich meerwärts windend – auf der Strecke Corriente Ruptura – Traspinos; da wurde die eingesetzt. Wie lang, ach, vielleicht you can hear the whistle blow: five hundred miles!), aus dem die schwermutsgroßen Falter, die an den Hängen leben und ihre Rüssel in dunkelviolette Blütenkelche strecken, betäubt zu Boden sanken. Zweimal pro Jahr ereignete sich die Durchfahrt des Zuges exakt zu dem Zeitpunkt, zu dem die sinkende Sonne ihren letzten karmesinroten Strahl zwischen zwei Felsen hindurch in die Tiefe fallen lässt, wodurch das wolkige Gewirbel Esmeraldas (oh, die wurde oft&viel gelobt: Unverkennbares Erscheinungsbild; langgestreckt elegantschwarz mit weinrot lackierten Triebrädern; – insgesamt: zwölf, vier Zylinder und natürlich Pfeife&Glocke, wie'ΔS sich gehört!) in allen Farben des Regenbogens aufglühte! – ein Reisender aus Curriente Ruptura, ein Zeitungsredakteur, der nach Traspinos fuhr, um dort eine neuartige Druckerei zu besichtigen (nach nordwestkontinentalem Modell: mit nur zwei Arbeitern an jeder Maschine!), schrieb in sein Tagebuch, der Anblick der fließenden, sich unablässig verformenden und wandelnden Türme, in sich gedrehten Säulen, Erker, Fluchten, Balkone, Brücken aus quellendem Dampf, die flüchtige, schillernde Architektur, die Esmeralda in die Schlucht gezaubert hatte, habe ihn vor Entzücken aufschluchzen lassen.

 

Worüber ich ferner nachdenke: Folgender Schopenhauerianismus scheint mir ein wenig hölzern; er sollte mit abwechslungsreicheren Ideen durchflochten werden -

 

(Plurafelix, entlangschlenkernd an Wäscherei Wohnhaus (leicht zurückgesetzt, mit krautigstem Garten davor, vorsichtigem Efeugekletter an Fensterrändern) Fotoladen Wohnhaus Wohnhaus Mikrosupermarkt Wurstundfrittenbraterei.) „Das ist so: Intelligenz und Vernunft...“ „...ist das nicht das Gleiche?“ „Mitnichten, mein Felix, mitnichten.“ Im Wohnhauspaterrefenster dort (Pluras linkerhandnah) – recht staubblind, längerzeitlich wohl nicht mehr gewischt, im Wohnungsdämmer dahinter Bücherklippen: müssen sympathische Leute sein! (aber nicht über die Bücher wollen wir reden, ausnahmsweise nicht, sondern:) – im Fenster also, paterreweis auf den Asphalt hinausblickend, n Käfig mit'm asphaltgrauen Graupapagei: schaut Plurafelix aus klugen schwarzen Vogelaugen an, nickt. „Der hat Intelligenz, nicht zu knapp!“ – Plura. „Keine Vernunft?“ – Felix. „Naja, bei denen, Papageier Riesenaffen Delphine, bei denen isses irjendwie offen. 1 Art von Protovernunft? Die anderen Tiere allerdings: haben Intelligenz oder Verstand oder wie man'ΔS nennen will. Denen ist ja alles anschaulich klar. [...]“

 

Insbesondere der Graupapagei (der nie wieder vorkommt) ist wohl überflüssig (oder...?). Später wird der Dialog bizarrer und lustiger - die Bedeutung der Hinterteile der Studentinnen wird genauer entwickelt:

 

„[...] Wenn ihr eure kompletten Köpfe für die Vernunft reserviert habt (ab neunzehn Uhr dreißig?), wo darf sich dann Dame Verfühligenz hin verfügen?“ „Ei, schau.“ „Sehr hübsch, sehr lieb, aber...???!!“ Denn Plura hat sich, Füßlein klapp zusammen, umgehundertachtzicht & sich ihm zwillingsplanetisch entgegengelüsternt. „Eh ha??“ – Felix. „Nun, doch. Sind wir ehrlich, eins kann ohne das andere nicht; aber es hat sich erwiesen, dass Vernunft und Getelistand – ja, das ist so ein Paar, weißt du, so eins, das sich eigentlich innig liebt, aber am besten klarkommt, wenn sie nicht zusammenziehen, sondern von Tag zu Tag so ein wenig Armabstand brauchen.“ „Leute mit starkem Freiheitsdrang. Mag ich.“ „Eben. Jeder in seiner eigenen Bleibe. Die zwo rückwärtigen Globen einer Studentin sind ein passendes, dekoratives Heim für Dame Instafühl. Melone, Apfel, Birne, Pfirsich, dick, zart, länglich, prall, enormschwabbelnd, hüpfend, schaukelnd, schwingend: Jede hat ihren einzigeigenen Hóho mit Òhocharakter, und der ist an einer Studentin das optimistischste Körperteil. Herz, Hirn, Verdauungstrakt, Gliedmaßen: Neigen alle zur Furchtsamkeit, insbesondere das Gedärm, das nur zu gerne unkt und Mißmut säht. Aber der Po kennt keinen Trübsinn.“

 

An für sich könnte es doch auch andersherum sein: Haupthirn für Gefühl&Intuition, Gluteus als Sitz der Vernunft? Das schiene mir eigentlich viel passender zu den GROSSSTuDTentinnen.

 

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Wolkengrau naht der Morgen: 20. Mai 17

...mit ihm höchstwillkommen Wind, eisheilige Kühle. (Die sind an für sich schon vorbei, doch sie wurden ursprünglich nach dem julianischen Kalender festgelegt.)

 

Die Suche nach dem Lieblingserwachsenen beginnt:

„Die Chauchatstrasse“ - Kerosindonner: Plurabelle, Felix blicken dunstumbran huschender Strahlflugzeugsilhouette nach, doch die Erklärereiung der Schwabbligen stolpert höchstens ein Planckzeitlein - „seltsamer Archteritraktor. Schnurgrad von den Wiesen rund um den Mineralogiecampus bis zur Kathedrale Si. Pankraz – ach, weiter noch: zur Kleinen Kunsthalle, unter dämmerschlanken Windbäumen, Straßenbahnoberleitungen. Milchkaffeeschalen mit mountechohohen Schaumtürmungen, Gleise blankgewittrig Nordnordost-zu-Nord nach Südsüdwest-zu-Süd – sechs bis dreiundzwanzig-dreißig; alle fünfzehn; sonst alle sechzig-, wochendlich dreißig Minneschnuten: so-fühle! Studentinnen. Mit Umhängetaschen, aus denen Schreibblocks Bücher Stofftiere Lötkolben Strohblumen kornukopen. Gold- schwarz- rothaarige, mit hartem zartem wüstverträumtem knautschverspieltem Lippwangaugenbrauenschwell; grell plastikgehypkubusslt die Vierundzwanzigstundenkioske, Zigarettenrauchverstrebungen gleiten dunkelwolkenwärts. Aus Espressomaschinen wetterfauchts & spätnachts: rumorts unterm Pflaster, pochts in tiefster Tiefe glühglosig herzblubbend. Dampffähnlein ausm Gulli, winzigstes Sanktelmslein klimmt ballettös am Regenrohr. Jenny und Verena sind auf dem Weg zur Eisdiele: 1 Blick auf archäxotische Computer genüsseln.“

„Es existieren Eisdielen, in denen man Computer besichtigen kann?“ Zwischen den Enten gleiten, wie Felix bemerkt, plumpe Goldfischleiber. Ob die Goldfische die Enten zur Kenntnis nehmen? (Unwahrscheinlich. Wie still es hier ist! Der rasende Stoßverkehr des GROSSSTÄDTischen Spätnachmittags orkant in Zurufentfernung, hier sind nur das gelegentliche hochmütige Schnattern der Enten, das Rührmichnichtan der Trauerweide und durch Wolkenschichten herabsteigende kaffeeimpappbecherne pressluftschnaufende käbincruniumvösschläfrige titanlegierungsheulende Flugzeugstimmen zu hören. Nebelfeuchtigkeit ist grau, Plurabelles Haare feuerrosenrot, ihre Stimme nah & sanft & nicht müde.)

„Was macht so1 Erwachskerzenen eigentlich aus??“ – Plura; zeigefingrig schlauliesend, als wollt sie die Windrichtung erspüren... Felix: „Welche Art? Gibt so viele: Sozialarbeiter und Ärzte, Eltern, Lehrer, Polizisten, Fahrkartenkontrolleure und Autismusspezialisten.“ „Na, was's ihnen allen gemeinsam?“ Zuckschulter: „Haben die Welt erobert durch Selbstkasteiung. Streben an, Alles-Jeden in Ihresgleichen umzupanschen, das heißt dann Erziehung.“ „Wie äußert sich das?“ – Schlauschwabbelle. „Ach, das Reden ist unersprießlich mit diesen Leuten: Müssen stets recht behalten; d.h. argumentieren so lang, bis Mannds leid ist, sich damit zu quälen, da Mannd doch eigentlich Besseres zu tun haben hofft. Der Wächserne hat nie etwas Besseres zu tun, bzw. wenn doch, dann störts ihn kaum, sich zu quälen, denn er ist ja Selbstkasteiung gewohnt – und redet redet bis Mannd ermüdet schweijkt. Das ist das: Keine Kommunyxation mgl., die Welt der Wächsernen ist hermetisch. Möchte wissen, wie Mannd ihnen entkommt.“ Plura schürzlippschmünzelweis: „ΔS Computermuseum-COM-Eisdiele – hat Je Mannd gleichweit von beiden Enden der Chauchatstr. eröffnet – S 1 Möglichkeit, 1 gute!“

Felix nickt. „Kanns sehen. Mannd ist zwölf Jahre alt. Granenittner Märzmorgen, in der hochheckigen Altbauwohnung ists still. (Eltern haben ihre zähen Kleinststreitigkeiten beiseite gelegt, optimal.) Phausdiode gelbgrünsplendidulnd, Mannd schreibt eine Handvoll Sourcecode, liest diese und jene Seite in 1 Sciencefictionroman, der hunderttausend Jahre in der Zukunft spielt (dennoch erinnern alle Charaktere an den Milchmann); man kennt das Buch schon, vom icksmaligen seitenknautschenden Guttieren her, Knicke flirrbustern wie Blitzgeäst übern Einband. Mannd isst ein Stückchen Eierkuchen mit eingelegten Birnen, vom Frühstück übrig: Herrlicher Morgen! – Großer Frieden – wird noch besser, als der Lieblingserwachsene vorbeikommt. Gelehrter Freund der Eltern – hat die Welt nicht erobert, erobert sie mit einem gemeinsam: Komm, los! Nimmt einen mit in ein Computerfachgeschäft, wo Mannd Grafiktabletts, Multisyncmonitore mit zwohundertsechsundfünfzig Farben, Flachbettplotter bestaunt. Anschließend Eisdiele: Zitronen- Kirsch- Joghurt- (weiße Creme mit leuchtendpinken Streifen, knisterkaltsüß). Heiße Schokoladensauce im Porzellankännchen. Mannd redet mit dem Lieblingserwachsenen über Sciencefictionromane und Computer, das Sonnensystem und Genetik. Draußen wartet der Frühling in Pfützen aus blauem Schattendiffus, noch hält der Frostmärz die Welt im Griff – Dunkelheit fließt früh aus den Wäldern – aber Wärme und Leben halten sich schon bereit. Über den Ferroviadukt rumorts ölrauchig – zwo turbulierende Abgasfedern aus den Nasenlöchern der Lok (die sind oben am Kopf, wie beim Wal) –, die Strassenbahn surrt quietscht klingelt. Der Lieblingserwachsene lächelt breit, wie nur Lieblingserwachsene ΔS können. Mannd möchte sich von den Eltern scheiden lassen und mit ihm, dem Lieblingserwachsenen, zusammenziehen. Freundschaft, Liebe.“

Plurabelle wirft den Enten einen weiteren Brotwürfel hin. Ignorieren, gelangweilt blinzeln, nachlässig schnappschnabelschluck. (Diese Enten sind auch so eine Sorte von Wächsernen, jaja, dochdoch. (Nur nicht die Kleinste.)) „Wüsst zu gern“, grübult die Prallpygia, „wo der Lieblingserwachsene heutzutage hingekommen sein mag.“ Felix verträumguckt: „Auf die Suchsocken!“

 

Ferner habe ich inzwischen sämtliche Unterseiten auf das neue, CGA-inspirierte Design umgestellt! (Mit Ausnahme der archivierten Tagebuchseiten, um die kümmere ich mich kommende Tage.)

 

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Heraufblauender Frühlingsmorgen: 18. Mai 17

Bachpirat zufolge ist das Achtzigerjahredesign mit bernsteinerner Schrift auf schwarzem Grundvomsatze in der Tat übermäßig anstrengend zu lesen! Daher habe ich mich zu einer weiteren lustigen Übung in Sachen "grafisches Oulipo" entschlossen: Beschränkung auf die klassische CGA-Palette - ausgenommen die Illustrationen. Der Atari-Font kommt nun ausschließlich auf der linken Seite - im Hauptmenü - zum Einsatz, die eigentlichen Inhalte, d.h. die Texte, die rechts vom Menü im iframe gezeigt werden, erscheinen im DOS-Zeichensatz, da dieser mir flüssiger lesbar scheint.

Ferner bin ich beim Tlön-Feinschliff nun im Dunstkreis der Chauchat-Straße angelangt. Dabei fiel mir auf, dass immer noch relativ viel Füllmaterial niedriger Energieflussdichte darinsteckt, dieses muss ersetzt oder entfernt werden. Meine Pläne konzentrieren sich auf die Figur des Lieblingserwachsenen:

 

„Es gibt viele Formen von Infantilismus, das Computermuseum-kom-Eisdiele, das Je Mannd ziemlich genau gleichweit von beiden Enden der Chauchatstrasse entfernt betreibt, dürfte zu den Besseren darunter gehören.“

Felix nickt. „Kanns sehen. Mannd ist zwölf Jahre alt. Granenittner Märzmorgen, in der hochheckigen Altbauwohnung ists still. (Eltern haben ihre zähen Kleinststreitigkeiten beiseite gelegt, optimal.) Phausdiode gelbgrünsplendidulnd, Mannd schreibt eine Handvoll Sourcecode, liest diese und jene Seite in einem Sciencefictionroman, der hunderttausend Jahre in der Zukunft spielt (dennoch erinnern alle Charaktere an den Milchmann); man kennt das Buch schon, vom icksmaligen seitenknautschenden Guttieren her, Knicke ziehen sich wie Blitzgeäst über den Einband. Mannd isst ein Stückchen Eierkuchen mit eingelegten Birnen, vom Frühstück übrig: Herrlicher Morgen – Großer Frieden –, der noch besser wird, als der Lieblingserwachsene (gelehrter Freund der Eltern) einen in ein Computerfachgeschäft mitnimmt, wo man Grafiktabletts, Multisyncmonitore mit zwohundertsechsundfünfzig Farben, Flachbettplotter bestaunt. Anschließend Eisdiele: Zitronen- Kirsch- Joghurt- (weiße Creme mit leuchtendpinken Streifen, knisterkaltsüß). Heiße Schokoladensauce im Porzellankännchen. Man redet mit dem Lieblingserwachsenen über Sciencefictionromane und Computer, das Sonnensystem und Genetik. Draußen wartet der Frühling in Pfützen aus blauem Schattendiffus, noch hält der Frostmärz die Welt im Griff – Dunkelheit fließt früh aus den Wäldern – aber Wärme und Leben halten sich schon bereit. Über den Ferroviadukt rumorts ölrauchig – zwo turbulierende Abgasfedern aus den Nasenlöchern der Lok (die sind oben am Kopf, wie beim Wal) –, die Strassenbahn surrt quietscht klingelt. Der Lieblingserwachsene lächelt breit, wie nur Lieblingserwachsene es können. Man möchte sich von den Eltern scheiden lassen und mit ihm zusammenziehen. Freundschaft, Liebe.“

 

Anstelle recht unmotivierender Schnörkeleien über die mysteriöse Natur der Chauchatstraße soll jetzt also eine handfeste Suche nach dem Lieblingserwachsenen das Ganze umrahmen! Wo er wohl abgeblieben sein mag?! Mein Lieblingserwachsener war übrigens - zu der Zeit, als ich ca. 6 Jahre alt war - Wolfgang Heisenberg, Sohn des bekannten Unschärfe-Entdeckers. Er war mit meinen Eltern befreundet, wohnte ich Bad Godesberg, wo wir ihn öfters besuchten. Gewisse, mit diesen Besuchen verknüpfte Erlebnisse haben auch Eingang in Curiepolis gefunden...

 

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Stoppelfelder der Nacht: 17. Mai 17

„Das ist in der Tat ein wahrer Konsolenritter“, sagte der Dr. Korff. „Cyberpunk, Datencowboy, wie man ihn auch nennen will: Wovon du sprichst, lässt Erinnerungen aufsteigen an die Achtziger-, Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Wer damals einen Computer zu benutzen verstand, war ein Vorkämpfer, ein Mensch der Zukunft, der den Großen Mittag Sourcecodezeile für Sourcecodezeile herbeiprogrammierte. Heute ist die Digitaltechnik ein trübsinniges Alltagsgewese des blinzelnden Letzten Menschen. In den zwei Jahrzehnten vor der Jahrtausendwende war sie etwas Kostbares. Kein von den Mädchen verschmähter, trübsinniger Drückeberger, der hinter dem Bildschirm Wärme und den Trost gedämpfter Gefühle sucht, sondern – ein Philosoph? Achwas: Lithiumdeuterit! Ein Künstler, eher: Künstler-Tyrann, wild und frei in seiner Welt aus Neonlicht und Stahlbeton, unter dem bildschirmschneefarbenen Großstadthimmel – denn damals gab es noch analoges Fernsehen und ungenutzte Frequenzbänder, deren endloses Flimmern zu vier Prozent aus der Rekombinationsphase des Universums olbersparadoxonte – ein würdiger Nachfahre der Hippies, der Punks: Das heißt, zu viel mehr fähig als die vorangegangene Generation, mehr Empfindungen, mehr Gefahren, mehr Erotik und Tod und Glück. Ein Seelenzustand, kostbarer als Primzahlen, erlesener als herrliche Fraktale. Seltsame Attraktoren und Quaternionen sind seiner nicht wert, noch findet man ihn bei den Menschen, die sich heutzutage Nerds nennen und behaupten, ihn zu kennen. Kein Physik- oder Informatikstudent des 21. Jahrhunderts versteht sich darauf: Diese Leute definieren sich vielmehr darüber, weniger zu vermögen als ihre Eltern und Großeltern, ein mickriges Leben in Selbstbeschränkung und Weinerlichkeit zu führen.“

[...]

Und vor Annikas Augen trieb Nebel, der Computer schien ein weit entferntes, seltsames, riesiges Gebäude, der Mond sank hinter den Schlot der Obstsaftfabrik, graues Morgenlicht erfüllte Himmel und Stadt und Teenagermädchenzimmer, Annika fühlte sich weich und schwer und erregt und dachte diffus an den Duft warmer Croissants. Doch auf dem alten, klobigen Elektronenstrahlbildschirm strahlte das Programm, der große Entwurf, vollendet wie erträumt, in ganzer Pracht, ein aufgehender elektronischer Sternhaufen, eine real gewordene Idee. Annika lächelte, ein starkes stolzes künstler-tyrannisches Lächeln, und sank dann lange in traumlosen Schlaf, den Kopf zwischen Tastatur und Maus.

„Sieh, sieh!“ rief die Schnirkelschnecke, „das Programm ist nun vollendet“, doch Annika hörte es nicht, sie schlief vornübergesunken, leise und ruhig atmend, mit geröteten Wangen, zerstrubbeltem Haar. Und die Schnecke glitt vom Pferdekopfnebel herab und begab sich auch zur Ruhe, gebettet in kalte weiche Dunkelwolken kroch sie in ihr Häuschen, das, linkshändig gewunden, das Licht vereinzelter Protosterne reflektierte.

 

Man sagt, Kinder brauchen Märchen, doch auch Erwachsene können ohne Träume, Hoffnungen und Geschichten nicht leben. Träume und Hoffnungen sind eines der Grundthemen, die sich durch meine gesamte Curiepolis-Arbeit ziehen. Die Morgendämmerung des digitalen Zeitalters, die 1980er und 90er, waren, wie alle Epochen des Umbruchs, an Träumen und Hoffnungen reich; weswegen Oldschool-Computing - d.h. die Arbeit mit Computern vor der Einführung von Windows 95 (mit diesem Betriebssystem begann das 21. Jahrhundert; man kann das 20. durchaus als "kurzes Jahrhundert" bezeichnen: es währte nur 81 Jahre von 1914 bis 1995) - ein wiederkehrendes Leitmotiv ist. Es wirkt auf den ersten Blick paradox, macht aber durchaus Sinn, dass eine "altertümlich" wirkende Technologie für die Erwartung einer spannenden Zukunft steht. Denn genau dies erträumte man sich, als die ersten Commodores, Ataris, Apples, Schneider-PCs, Amstrads und ähnliche Maschinen in Kinder-, Jugend- und Erwachsenenzimmer einzogen: Dass die von William Gibson abenteuerlich geschilderte Zukunft (nicht wenige lasen "Neuromancer" eher als U- denn als Dystopie) nun bald an die Tür klopfen würde. Dass die "Matrix", d.h. das Internet des 21. Jahrhunderts, weniger von lässigen Cyberpunks als vielmehr von weinerlichen Nerds bevökert sein würde, hätte sich niemand träumen lassen! Ich vermute, wenn damalige Computervisionäre eine Zeitreise 30 Jahre in die Zukunft hätten unternehmen können: "Ich wünschte mir ein Bonanzarad, bekam aber zu Weihnachten einen Kratzepulli" - so hätten sie ihre Eindrücke geschildert.

Aber Träume und Hoffnungen sterben nie; in meinem Curiepolis erfreuen sie sich bester Gesundheit! Wenn ich daher auf "altmodische" Technologie, bzw. die sich an diese Technologie knüpfenden Phantasien, Bezug nehme, dann sollte dies nicht als starre Verehrung einer auf ewig verblassten Vergangenheit - vorbei, verweht, nie wieder - aufgefasst werden, sondern als Anregung, sich auf die ektropen, hoffnungsvollen Grundgedanken der Computerkunst zu besinnen - so wie Annika, die einen eigenen Oldschool-Rechner gebaut hat, basierend auf einem Motorola 68000-Prozessor, montiert in einer mit buntem Seidenpapier beklebten Pappschachtel. Der Rechner heißt Fabius.

Dies sind die Hintergründe des neuen Webseiten-Designs. Die benutzten Schriftsätze sind zum einen der Atari-ST-, zum anderen der MS-DOS-Font, die Farben orientieren sich an alten Röhrenmonochrommonitoren, grün oder bernsteinfarben auf nachtschwarzem Grund. Bezüglich des ST-Fonts ist dies übrigens historisch nicht stimmig, da dieser Rechner zu den ersten zählte, die schwarze Schrift auf hellem Hintergrund einsetzten, was, wie sich herausgestellt hatte, angenehmer zu lesen war (zumindest wenn man, wie viele Büroarbeiter, ständig zwischen Monitor und bedrucktem Papier hin- und herwechseln musste). Faszinierend und verträumt sieht es jedoch ohne jeden Zweifel aus! Werden die Texte dadurch zu schwer zu lesen? Ich wäre versucht, die mit einem herzlichen "Papperlapapp!" aus den 1980ern abzutun: Damals entstanden ganze Romane in Texteditoren mit heller Schrift auf nächtlichem Grundvomsatze...

 

Dr. Owlglass. Ja. Die Vollzugsebenen sind nicht starr miteinander verbunden, sondern pulsieren, führen Linear-, Kipp-, Rotations- und Deformationsschwingungen aus. Manchmal überschneiden sie sich.

Ich. Ist das gefährlich?

Dr. Owlglass. Ich weiß es nicht. Wir begannen, anhand der Theorie des Doktoranden, eine neue Versuchsreihe, veröffentlichten einige Paper, die überraschend viel Resonanz fanden: soviel, dass die Regierung auf unsere Ergebnisse aufmerksam wurde. Man wollte uns etwas Gutes tun, und erneuerte all unsere Rechner. Acht- und Sechzehnbitter wanderten in die Abstellkammer, auf Schrottplätze, draußen in der Ebene, neben Stichbahnstrecken, unter enormem stahlblauem Himmel. Zweinddreißig-, Vierundsechzigbitter wurden auf unsere Schreibtische gestellt, wir freuten uns, arbeiteten uns in die schönen neuen Betriebssysteme mit ihren blumenbunten GUIs ein. Damit endeten unsere Untersuchungen. Das Phänomen wurde unbeobachtbar.

Ich. Warum das?

Dr. Owlglass. Der Doktorand schrieb mir später einmal – er war schon seit einiger Zeit verschwunden – ohne seine Arbeit abzuschließen – (nicht, dass man das sofort bemerkt hätte: er war ja nachtaktiv, dass er nicht mehr im Institut erschien, fiel zunächst niemandem groß auf) – weiß ich, wo er sich jetzt herumtreibt! Eine Email schrieb er mir, sehr nett, höflich und lustig (zugleich recht traurig, schien mir), dass er das schon vorher gewusst habe – er habe es ausgerechnet, aber, da nur nachts anwesend, sei er nie dazu gekommen, es uns zu sagen, dass der Abstand zwischen den Vollzugsebenen ziemlich genau acht Bit betrage, weswegen die moderneren Rechner unfähig seien, die entsprechenden Effekte aufzulösen. Mit ihren breiteren Bussystemen stelzen sie ins Leere, genau wie ein Mensch, der aus hundertachtzig Zentimetern Höhe auf eine Sandfläche herabschaut, unmöglich die einzelnen Körner zu erkennen vermag.

Ich. Sie hätten sich doch alte Rechner irgendwoher besorgen können? Gebraucht bekommt man die gewiss billig.

Dr. Owlglass. Hätten, können! Die Regierung hatte zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen, uns mangels verwertbarer Ergebnisse dichtzumachen. Der tiefere Grund dürfte allerdings gewesen sein, dass das – tiefe Durchatmen des Nordwestkontinents bereits eingesetzt hatte, denn jenseits des Ozeans war die GROSSSTADT aus der Erde gebrochen. Unser Stück Erdkruste lag still, träumend im Sonnenlicht.

Ich. Jetzt verstehe ich, weshalb Sie in die GROSSSTADT möchten! Die Studentinnen: sie benutzen Achtbitrechner, Akustikkoppler, Grünaufschwarzmonitore, sehr selten Mäuse – das bedeutet!

 

In Arno Schmidts unvollendetem, letzten Roman "Julia, oder die Gemälde" erscheint der Jugendliche Nino (Spanisch: "Kind") - äußerlich als schlacksiger Hippie zu erkennen, Leseniveau etwa "Winnetou" - mit einem Digitalrechner, einem Commodore SR-1540 vor dem Bauch. Die Arbeit an dem Roman wurde durch Schmidts Tod im Jahr 1979 (wenige Monate, bevor ich das Licht der Welt erblickte!) unterbrochen; es handelt sich bei dem Gerät noch um keinen vollprogrammierbaren Allzweckrechner, sondern eher um einen Apparat, der vom Funktionsumfang her späteren Taschenrechnern entspricht. Der Gelehrte Jhering, der möchte, dass der Hippie mal zur Abwechslung etwas Sinnvolles treibt, beauftragt ihn, mit dem Rechner eine Logarithmentafel zu korrigieren. Arno Schmidt besaß selbst zwei Exemplare des fraglichen "Computerleins", diese Apparate faszinierten ihn - Herrn Jherings Bemerkung, jede Rechenmaschine würde individuelle Fehler produzieren, scheint dennoch angesichts der Tatsache, dass es sich um Digitalrechner handelt, fragwürdig; falls dies bei dem erwähnten Modell von Commodore wirklich der Fall war, würde dies auf den teilweisen Einsatz analoger Schaltungen hindeuten, denn diese erzeugen in der Tat individuelle Rauschsignale. Ein rein digitaler Computer dagegen wird in der Regel bereits von einem einzigen unzuverlässig arbeitenden logischen Gatter außer Gefecht gesetzt.

 

Ninos Computerlein.

 

Vom Zeitalter der programmierbaren Mikro- und Heimcomputer erlebte Schmidt nur die allerersten Jahre. Wie der "Julia"-Roman wohl ausgefallen wäre, wenn Schmidt länger gelebt hätte und Nino statt eines zeilenweise zu bedienenden Tischrechners mit einem in BASIC zu fütternden Commodore 64 angekommen wäre? Ob Arno Schmidt gar Gefallen an den Arbeiten von William Gibson oder Douglas Hofstadter gefunden hätte?! Wir werden es nie wissen.

An Fleiß, Belesenheit und fanatischer Hingabe an die Literatur reiche ich Schmidt nicht das Wasser; denn das tut wahrscheinlich niemand unter den heute lebenden Menschen. Dennoch - oder vielleicht gerade deshalb - ist meine Welt weiter als die seine es war, und Curiepolis reicht, wenn nicht an sprachlicher Präzision und Ausarbeitung, so doch an thematischem Umfang und "Welthaltigkeit" weit über sein Werk hinaus. Schmidts Arbeiten konzentrierten sich zum Schluss hin immer mehr auf die Etymtheorie (Anwendung der Freudschen Psychoanalyse auf die Untersuchung literarischer Werke), Curiepolis dagegen - gibt es ein Thema, das ich nicht irgendwo im Buch behandle?! Computer, Kernkraft, Politik, Waldeinsamkeit, Thermodynamik, Erotik, Eisenbahnen, Luftfahrt, Kinderspielzeuge, Freundschaft, Raumfahrt, stellare Astrophysik, Kosmologie, Insekten, Plasma, nackte Mädchen, angezogene Mädchen, Liebe, Tagträume, Meteorologie und Atmosphärenkunde, Pilze, Märchenfiguren, Studentinnen, Eisbecher, Milchkaffeeschalen mit riesigem Schaumberg obenauf, Vulkane, Musik und Krieg... und ja, natürlich auch Literatur und Sprache - ein wichtiges Thema des Schlussteils ist die Rettung der Adjektive! Mein Ziel ist, meinen Helden, Arno Schmidt, Thomas Pynchon, Alfred Döblin und einigen anderen, zu zeigen, dass man mit ihren Ideen und Schreibtechniken völlig neuartige, ungewöhnliche, schöne und lustige Dinge anstellen kann, auf die sie selber nicht kamen. Zunge heraus und Verbeugung zugleich, so soll das sein!

Bezüglich des Webdesigns bleibt Folgendes zu tun:

  • Die übrigen Unterseiten müssen noch in neues Gewand gehüllt werden.
  • Es sollte ermöglicht werden, dass man einen externen Link zu einer innerhalb der Hauptseite (in einem iframe) erscheinenden Unterseite setzt, so dass links das Menü erscheint und nicht nur die Unterseite in einem sonst leeren Fenster. Dies geht, soweit ich bislang herausgefunden habe, mit einem gewissen Javascript-Schnipsel.

Dies wird wohl noch einige Tage in Anspruch nehmen.

Abgesehen davon schreitet die finale Überarbeitung der Tlön-Episode weiter voran:

 

„Düster. Graublauwind, der über Metall und Stein fegt.“ (Plura, träumulierschmeufzig.) Felix: „Aber es macht doch Spaß, oder?“ „Erfrischend. Äußerst erfrischend, wenn man aus dem Busland kommt. Öffne in einem stickigen Zimmer das Fenster: die kalte, freie, wandernde Luft strömt herein.“ Felix matratzt sich grumpfig von Seite zu Seite; Ellenbogen unterkopf: „Wandernde Luft – findet man die nicht eher auf dem offenen Land? Denkt man sich zumindest meist so: Land – ziehende Wolken, Winde von Horizont zu Horizont sausehald; Großstadt – chthonische Enge der Häuserflut.“ „Nee. Nix Großstadt, vielmehr: GROSSSTADT; nix Land, sondern Busland.“ „Ahaa! Verstehe.“ „Nee“ – Plura, kopfküssbehaglich strubbelschüttelnd – „das tust du nicht [nett].“ Zieht Felixens Hand zerstreut – als wolle sie schauen: Wie nimmt sich'n das aus? – auf ihre linke Brust, das Wärzlein zuckt, crémerosareckt sich. „Wolkenschwirre Gedankfühler, die in steinernen Himmel schießen. Bronzebraune Glaswuchten, dazwischen fleckige Ziegelklippen, Stahlgestrüpp, winternächtlicher Spannbeton.“ „Und die Universität?“ „Ähnliche Architektur...“ – Plura fast schon schlafwärts geschusselt, glückschmunzig eingewuschelt in Felixens Armbeuge, doch der rüttelt sanft: „Nee, mein ich nicht. Ach, du weißt doch, was ich meine.“ „Mm-mm!“, so Plura, Augen schlummerfrech zugesichelt. „Doch nicht die Häuser. Was erlebst du so mit den Leuten!“ Die Schwabblige schnauft ganz leis durch die Nasenlöcher (wie niedlich rund die sind! – denkt der Felix), hüstert sich plötzlich ellenauf, schaut überrascht, nickt. „Ja, so. Einige Tage, nachdem ich mich eingeschrieben hatte – in einem Büro, wie eine Tropfsteinhöhle aus Papierstapeln; dazwischen 1 winzige alte Frau mit frühlingsfarbenem Halstuch; ihr junger, bebrillt-unkonzentrierter Assistent; an der Wand langer Kalenderstreifen mit Zeichentricktieren drauf – plus Wegeezimma gefunden: Jenny Bloom, Verena Bruckner: blockiert gern stundenlang das Bad, brät ausgezeichnete Eierkuchen; Jenny fast vollständig nachtaktiv – spürte ich, dass ich eine Freundin brauchte. Ach, du weißt doch, was ich meine; wie das bei uns Mädchen so ist: 1 allerbeste Freundin, zum nachmittagelang herumschlendrianetten und reden, kichern, knuddeln.“ „Von den Wegee-Mitbewohnerinnen kam keine in Frage?“ „Nee, die hatte ich ja ständig um mich. Eine Freundin wollte ich, zum allpaartäglich Treffen, mit Pausen dazwischen.“ „Dachte, ne Aller-allerbeste...?“ „Ach. Was Männer alles nicht verstehen! [Schopfschüttelgnihihiplura] Grad deshalb: Weils die beste ist, die alles versteht & immer weiß, was grad ist – kann-will-darf man sie nicht dauernd sehen, sonst...“ „Überlastung?“ „Ja, in etwa. Also. An einem Donnerstag (gegen dreizehn Uhr) besuchte ich Jenny im Mathematikgebäude: zusammen essen. Mensa im Obergeschoss des rotweiß metallgeschuppten Hochhauses – Blick auf die GROSSSTADT – nein, nicht wirklich blickrunter: die meisten anderen Gebäude sind größer, zwei-, drei-, viermal höherragend als das Mathematikum – aber man schaut, über Kaiserschmarrn, Würstchensuppe, Milchkaffee weg, doch kilometerweit in die Ebene aus betonem Dunst, bis zur Wetterwarte, schwarze Nadel auf Horizonthügel. Jenny sagte: Schau mal! An der Anschlagsäule (zugleich Mantelaufhänger) träumerischster Zettel – 1 Esmeralda wollte Geschichten schreiben lernen, bot im Gegenzug Unterricht in fraktaler Geometrie.“ „Ach, und du hast – das wurde dann?“ „Veranstalten das Unterrichtstandem meist in Zügen, vor allem morgendlichen Straßenbahnen, die mit einem Caféwagen bestückt sind.“ „Ist's da nicht zu unruhig?“ „Nee, ΔS's doch'ΔS Schöne dran – die Unruhe, meine ich. Eisenbahnen (Uuh-, Strassen-, Vorort- und Fernzüge) sind das endokrine System der Stadt, aus vulkanoidschmauchigem Erzissimum, Glühfadengold bimmelnd. Anfänglich brachte erst ich der Esmeralda eine nette Dreiviertelstunde lang – Fahrdauer zirka Hafen bis Wetterwarte – das Schreiben bei; drauf sie mir, etwa ebenso lang – “ „Auf der Rückfahrt, richtig?“ „ – entweder auf der Rückfahrt, wenn wir wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren wollten; manchmal gingen wir aber auch auf eine Schienenspazierung ins Blaue – also!: sie unterrichtete mich dann, ebenfalls für rund fünfundvierzig Minuten, in fraktaler Geometrie; im Laufe der Zeit gingen wir dazu über, die beiden Fächer zu vermischen: lehrten uns gegenseitig und gewissermaßen zugleich.“ „Interessant.“ „Esmeralda und ich begannen, per pedes discipulae durch die Strassen (schläfriges Schieferlicht allüberall) – das sind die Knochen; das Netzwerk von Kraft- und Datenströmen: das Nervensystem der Stadt... durch die Strassen zu streifen: erst nur ein kürzestes Gängchen von der Strassenbahnhaltestelle bis zur Kreuzung, wo wir uns trennten: sie hier-, ich dorthin; strahlten uns herzschlägelnd an, grinsten beinahe, du weißt schon, so: hmmmm – haha! Wenn man sich in jemandes Nähe tortenglücklich fühlt! Kaltes Regengesprüh perlt über Hochhausfronten, Papier klebt auf Trottoirwolken, und man denkt: Wie wunderbar! Später haben wir die Bahnfahrlektionen aufgegeben, sind einfach so durch die STADT getripptrappt, blockweit, viertelweit, vom einen Ende zum anderen... haben geredet, geredet, und der Betongebirgsföhnsturm spielte mit Esmeraldas Haaren, lang und schwarz bis zum Po. Im Park vor dem experimentellen Hochtemperaturreaktor habe ich einmal – klirrblauer Samstagvormittag im März, Reif auf den Gräsern, mürber Eisflaum auf dem Teich – versucht, ihre Haare zu flechten, das gelang nicht recht, wir kicherten darüber noch stundenlang.“ „Hehe. Kanns mir vorstellen. Sag mal. Die GROSSSTADT, wie du sie schilderst – will mir so vorkommen, als obs dort meist so recht regnerisch, stürmisch, froststarr sei? Das Wetter runzelt ständig die Brauen?“ „Ach, nicht unausgesetzt. ΔS wird auch Sommer. Aber, wo du's so sagst... mhm! Morgendämmrig (schau, der Osthorizont wird übrigens schon kupfergrün!) fröstelnd in der Küche, wo die Kaffeemaschine pocht grummelt brodelt – die Dominante zur Tonika des Regens am Fensterglas. Vielleicht ist was dran: FROSTSTADT statt GROSSSTADT? (Klänge auch nicht übel!) Man spürts, wenn man dort ankommt, aus dem Zug treppt, auf dem Kopfbahnhofbahnsteig, Windgepuschel und quarrende Ansagen jagen sich durcheinander. Der riesige Bahnhof, in dem signalgelbe Hochgeschwindigkeitstriebköpfe aufröhren und verstummen, Eilzüge silbrig blechrumoren, Netzbahnen surren – würdiger Dezemberhimmel aus Stahl, Beton, enormen Geräuschen.“

 

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Rattenwache: 14. Mai 17

Zeit für ein komplettes Neudesign der Webseite!

 

Die neue Hauptseite. Anklicken zur Vergrößerung.

 

Es gibt allerlei Möglichkeiten, interessante Bilder und Designs zu erschaffen. Viele greifen heutzutage sofort zum Grafiktablett, zu GIMP oder Photoshop. Papier, Blei- und Filzstifte, Pinsel und Aquarellstifte ‒ oder auch das "Collagieren" eines Bildes aus Zeitungs- und sonstigen Ausschnitten ‒ mögen manchen geradezu anachronistisch erscheinen. Die Annika, die das neue Titelbild schmückt, habe ich jedoch auf Papier gezeichnet: Sie wirkt gewiss noch etwas ungelenk bzw. unproportioniert (e.g. die Arme sind zu dünn), da ich erst seit Kurzem Zeichnen lerne. Es macht mir Spaß; sicherlich werde ich meine Curiepolis-Charaktere bald auf schöne Art zu Papier bringen können.

Vorlage für mein Annika-Bild war übrigens diese Illustration:

 

 

Eine weitere Kunsttechnik, die heute kaum noch bekannt zu sein scheint, ist das Programmieren von Bildern! Zu meinem 9. Geburtstag (26. Juli 1988) bekam ich meinen ersten Rechner: Einen Atari 1040 STF; auf ihm lernte ich Programmieren ‒ in DR LOGO und später GFA Basic.

 

(Die Leserin beachte bitte diesen Font...!)

 

Bei heutigen Programmiersystemen hat man oft zunächsteinmal hunderte Zeilen Code zu tippen, bis man auch nur die Chance bekommt, vielleicht eine spärliche Linie auf den Schirm zu zeichnen: Fenster müssen geöffnet, Ereignisverwaltungen etabliert, Objekte ineinander angeordnet werden, etc. Dies liegt an der enormen Komplexität der GUIs, die einen nicht zu vernachlässigenden Anteil der Prozessorleistung aufnehmen. In den 80ern und frühen 90ern genügten dagegen oft kurze Programme, wenige Zeilen lang, um ein optisch beeindruckendes Resultat auf den Monitor zu zaubern. Programmierenlernen war daher nicht zwingend an kapitelweise "Hallo Welt" und kopfzerbrechende Datenstrukturen gekoppelt ‒ es konnte vielmehr spielerisch mithilfe der Grafikfähigkeiten des Rechners erfolgen. Das machte die Beschäftigung mit Computern sehr motivierend, auch für Kinder.

Zum Glück hat ein Entwicklerteam diesem Manko ‒ der Schwierigkeit, mit modernen Programmiersprachen in die Grafikprogrammierung einzusteigen ‒ ausgezeichnet abgeholfen: Durch die Java/Python-basierte Entwicklungsumgebung Processing. Mit ihr entstand das Hintergrundbild auf der Startseite. Auch Annika wurde übrigens keinesfalls mithilfe von GIMP o.ä. eingefügt, sondern via Processing-Sourcecode!

Wie gefällt euch das neue Design? Im Laufe der kommenden Tage sollen auch die übrigen Seiten und Inhalte entsprechend neugestaltet werden.

 

PS. Lesetipp: "Die Märzrevolution" ‒ ein Gastbeitrag von mir im Bruchbach-Blog zum Thema Computer, Computergrafik, Programmierung u.ä.

 

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Kurz nach Mitternacht: 10. Mai 17

Überarbeitung und Feinschliff des Plurabelle-Einschubs sind abgeschlossen!

Hier gibt es den Text als Leseprobe zum Download. Viel Spaß damit!

 

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Allererster Morgenschimmer im Nordosten: 9. Mai 17

Hui! Es ist geschafft: Den neuen Einschub, der die Jugend Plurabelles schildert, vollendet. Morgen werde ich ihn nocheinmal durchlesen und, wo nötig, feinschleifen.

Einige Auszüge:

Gefühl, dreißigtausend Parsec von zuhaus zu sein. „Wir tanzten. Musik klopfte laut. Stampften schlenkerten, Selene mich an den Händen. Bislang hatte ich zuweilen im Pyjama vor dem Spiegel getanzt – wie's Mädchen in dem Alter gerne mal tun: Längeresgedankenspiel'n, man sei Groß-Starlet Icksüppsilon, von Männern&Kamerablitzen begehrt – dies hier dagegen: verrückter Strudel aus Sterndonner Fliederflammen Goldtönen.“ Zirpen Grollen in schwarzen Wäldern; andersweltliches Knattergezisch fallender Meteore; allerabgrundtiefster Granittakt, aus Bergwurzeln heraufschütternd; Schengeln Dengeln Gongen messingner Dämmerblumen, die in ihren Kelchen Mondlicht gesammelt hatten und nun ausgossen; flirres Gequiek mechanischer Glühwürmchen, davonhuschend zwischen Elektronenstrahlsmaragdbäumen; Pochen Peitschen Kollern Trällern, rein und klar wie von Violinen aus Glas, knarzig harzig wie aus gewundenen Wurzelhörnern, gespielt von der Schneckenkavallerie der Stiefmütterchen. „Selenes Haar wirbelbrauste, ich zupfte, inspiriert, zum ersten Mal mein Oberteil ein Stückelchen kinnwärts, um experimentell zu bauchnabeln. Warf die Hände hoch!, beckentschicktschackte!, schön, wunderschön, tosender Sonnenaufgang aus schimmernden Schmetterlingsnoten. & Selene jauchzte pirouettete strahlte mich an, Wärme Nähe Genuss. – Da beschlich mich dieser – Gedanke; ein kaltklammer, schattenhafter Gedanke, die Art von Gedanke, die man spät nach Mitternacht – wenn man bis tief in die Rattenwache liest oder schreibt – plötzlich unter dem Tisch sitzend zu finden fürchtet, und hat man sich überwunden, ihn näher in Augenschein zu nehmen, dann rast er ohne Vorankündigung davon, auf glatten lackschwarzen Beinen – grausig beinahemenschlich – und verbirgt sich irgendwo in der Nähe: wo, weiß man nicht. So ein Gedanke.“ „Wie lautete der denn?“ „Soll-muss ichs sagen?“ „Ja.“ „Wärme Nähe Genuss Freundschaft Glück – Täuschungen, Oberflächengegaukel: Verbarg sich nicht notwendigerweise unter jeder Neuromannigfaltigkeit (Gedanken Gefühle Bilder) eine weitere, unter dieser eine weiterweitere – &so-fort, bis ins Ennte-Unenntliche? Wo endete diese schwummrigmachende Spiralität? Zweifellos: Im Zentrum, beim Keinetwas! Adern von Nichtsniemalsnirgendsnieobsidian weltfraßen sich blitzschnell in unsere Mannigfaltigkeit aus Wärme. Selene stockte im Tanzen, ächzte, sah sich unsicher um, gewahrte das Keinetwas – “ „War entsetzt?“ „Gleichgültig.“ „Au Backe. Dann stand'S wirklich übel.“ „Zuckte mit den Schultern, betrachtete ihre Fingerknöchel. Murmelte etwas vom Abwasch, der erledigt werden müsse.“ „Schauder!“

Eine Wurzel wand sich durch Erdreich Kies Lehm, bohrte sich in Grundfels. Eichenwurzel. Stemmte, mit sprossender Kraft – denn selbst uralte Eichenwurzeln werden regsam, wenn an der Oberfläche die Frühlingsstürme anschwellen – scharfkantige Kristalle beiseite, sprengte sich den Weg frei. Rostrotes Wurzelende schlängelte keck voraus, wurde pelzig, daunenweich. Schwarze Knopfaugen, Morrhaare, Ohrpinsel zeigten sich im Nu. Schwupp. Das Hörnchen sprang in die Höhle, und – so ein Eichkaterl ist kein Basset: Der meint es vielleicht gut! aber mit solchen Riesenohrlappen, Tappelfüßen ist besser Drohen als Kämpfen; so ein Baumfuchs dagegen! Schnell wie der Gedanke des Menschen (vielleicht schneller!); Klauen scharf wie (– habt ihr schoneinmal halbzahme Hörnchen im Park gefüttert? Ihnen Nüsse hingereicht, die sie mit spitzigen Krallen begierig entgegennehmen? Ei, dann bekamt ihr eine Vorstellung davon, wie scharf die sind, und blutende Finger) – und das Eichhörnchen stürzte sich – geradeeinmal sekundenbruchteilig zögernd, um sich eine Strategie zurechtzulegen! – in die Schlacht, griff das Keinetwas von der Seite (dies ist meist am klügsten) an. Ritscheropf! Klauenhieb: Da hatte der Perfekte Kristall einen Gitterfehler, Sir Henry purzelte hervor, verwirrt, aber unversehrt, Plura in die Arme!

Lustig ist übrigens Folgendes. Sowie ich beim Schreiben müde werde, neige ich dazu, auch meine Charaktere schön kuschelig ins Bett zu schicken:

„Wo seid ihr denn dann gelandet?“ „In einem schwarzen Feuerwehrteich zwischen zuckergussigsten Schneewehen, dort, mitten im Busland, kam der Fluss heraus. Das Eichhörnchen huschte in die Nacht, Sir Henry und ich nachhause. Trockenrubbeln, Pyjama, heiße Schokolade: ab ins Bett. Sir Henry eingeiert zu meinen Füßen – schön warm – gekuschelt in seine eigenen Ohren auf der Decke. Meine Mama: Kind, willst du wirklich noch lesen? Soll ich das Licht brennen lassen? Bist doch müde. Ich: Nur noch ein Kapitelchen. Mama: Nun gut, schlaf schön. Morgen dein großer Tag.“ „Was hast für Geschenke bekommen?“ „Bücher, Stofftiere, Computerprogramme. Wie stets. Lieblingsgeschenke.“

 

PS. Aus der Serie Bilder, die mich an Curiepolis erinnern:

...curiepolitanische Uniformkombination: Weiße Überkniestrümpfe mit je zwei rosa Ringen oben, altrosa Minifaltenröckchen...

(Quelle)

 

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Milchiges Wolkenblau, von Osten den nahen Tag ankündigend: 6. Mai 17

Ob ich später einmal als "typisch deutscher Schriftsteller" gelten werde? Immerhin schreibe ich Waldszene um Waldszene ‒ Tiecks "Reise ins Blaue", Fouqués "Undine" lassen grüßen; oder auch Wagners "Waldweben"; der Begriff "Waldeinsamkeit" ist als stehender Terminus Technikus im Englischen geläufig für die spätromantische Sehnsucht nach dem tiefen Schweigen der Herkynischen Wälder. Bachpirat liebt die Waldszene nahe Bouzonville besonders. Auch Madame Bauchnabel und Plurabelle tummeln sich in Gesellschaft von Bäumen...

Frühlingswinde – von Südwest heranbrausend: Schneeschmelze und ersten, kehlig-feucht polternden Donner mit sich bringend – im Rücken, zog der Kontrollbus den immensen Ebenen zu, die, wintersüber im tödlichen Griff des unbarmherzigsten Frosts, umflirrt zur Sommerszeit von goldflüssiger Strohhitze, den Bus und die milden Böen, auf denen er ritt, mit einem Tor voll Blumen empfingen: endlose Wälder, lichte Hallen von Birken und Fichten, die den uralten Rücken des Kontinents bildeten, durchzogen von moosgrünen Eichentälern, in denen Mystiker zum Gemurmel der Wildwasserläufe meditierten, nach Pilzen, essbaren Blüten und Wurzeln spürten und langsam ihrer Weisheit übervoll wurden. „Grrmpf.“ Der Kontrollbus hielt vor einer einsamen Hütte, ein Unterschlupf eher, mit Farnwedeln gedeckt und halb verborgen im Gesträuch. Sehrweitoben, zwischen hochragenden Baumveteranenwipfeln, Klecks von Nachmittagsbläue, ein einsamer Vogel zog fast reglos, mit minimalen Flügelmanövern in warmen Aufwinden segelnd, drüber hin – Plurabelle gluckste frühlingsfroh und Sir Henry schnupperte aufgekratzt am Waldboden: mächtigere, wildere, ältere Gerüche als im Busland... „Hrrrmpf.“ Das Holz der ungeheuren Eichenstämme seufzte und dehnte sich in der ersten Wärme des Jahres. Ein modernder Stumpf, groß wie der Kleiderschrank im Schlafzimmer von Plurabelles Eltern, war bedeckt mit dottergelben Blüten, weißrosa Pilzgehut, kräftige Ameisen knisterten sechsbeinig unter spröder Rinde, auch ein fingerlanger bernsteinfarbener Hundertfüßer, König der Waldbodenstreu, war dort unterwegs, mit eiligen Trippelwellen durch die Sonnenflecken gleitend. „Grrhrrhrrrmpf!“ Das Holz knackte ächzte duftete; „Guten Tag, wie steht's im Hag?“ – Selene, behutsam nabelkreisend; der Waldwind spielte in ihrem Haar. Plura [leicht verblüfft]: „Fein – denk ich...?“ Selene: „Tihihi.“ Der Baumstumpf knirschte zitterte, erhob sich mit glazialer Schwerfälligkeit, stapfte zur Feuerstelle vor der Hütte, über ders suppentöpfern blubberdampfte. Der Hundertfüßer und eine halbe Kompanie Ameisen purzelten zu Boden, huschten ins Moos. Der Waldmystiker rührte sein Süppchen mit eckigen Bewegungen um, den linken Zeigefinger, von einem Stecken völlig ununterscheidbar, als Kochlöffel benutzend.

[...]

Mit allerlei Geknurr Geschnauf Geprassel stand er auf, marschierte zu einer Rieseneiche: merkwürdig – ne Tür im Stamm, als sei's ein Wohnturm –, der Weise klinkte auf, gestete – langsam, oh, so langsam: alle Bewegungen unbeeilt wie zur Mitternacht der Kausalität – den zwo Damen zu, (und Plura vermochte kaum zu sagen: befehlend oder einladend?), bat-scheuchte sie ins Baumesinnere; das glich einem in die Jahre gekommenen Fahrstuhl, mit Spiegelrückwand, plastikweißgelb rundleuchtenden Stockwerkknöpfen (von denen es nur zwei gab, so dass man nicht lange zu überlegen brauchte!), zerschlissenem Linoleumboden mit Zigarettenbrandlöchern und Filzstiftgraffiti im Linkshintenwinkel, das ein männliches Genital mit Hut und Krawatte darstellen sollte. Der Kontrollbus hatte derweil wieder handliche Tontassengröße angenommen; Selene verwahrte ihn irgendwo rockwärtig. Abschiedsgrummler des Weisen – nahezu völlig dunkel; der Uhu klagte im Gezweig – schleppende Stampfschritte zur Hütte: diese Mystiker gehen früh schlafen, damit sie die aufgehende Sonne begrüßen können. Sir Henry hob nachdenklich das Bein an der Fahrstuhleiche, trabte dann, mißtrauisch hin- und herschnüffelnd, in die Kabine. Die Damen nickten sich zu, fassten sich an der Hand. Der nichtleuchtende Stockwerkknopf. Abwärts gings. Lange – etliche Minuten: zehn vielleicht, oder fünfzehn? Plurabelle grübulierte –, der Motor surrte schlurrte wimmerte, gehemmt vom mit Staub verbackenen Schmiermittel. Schließlichendlich: wankendes Bremsen vibrierendes Gerassel metallmechanisches Geklirr – Sir Henrys Nackenfell sträubte sich mißbilligend, auch Selene Plura schulterschrakelten nicht übel – Stillstand. Die Tür akkordeonte beiseite, gab den Blick frei auf. „Ich war mir sicher, dass wir uns äußerst tief unter dem Tlön befanden, vielleicht sogar nahe seinem Kern. Selene sagte, dies sei das Geheimnis der Busse, ihre Exergiequelle.“

Was haben sie da wohl entdeckt...?

Tropflichthöhle Kaltkathodenhauch. Schneehell, von immenser unbestimmter Größe – Halle? nee, Höhle; ganz gewiss Höhle, mit Stahlichtmiten Galaktitten aus schwejksamem Quecksilberemissionswinter. „Tiefster Frost – der Sir Henry rümpfte die Schnauz, wollte in den Fahrstuhl zurückflüchten; ich kraulte ihn am Nackenfell, da drückte er sich an mein Bein – fürchtete sich, kam aber mit uns, und in seinen weichen dunklen Hundeaugen tanzten kühle Funken. Auch die Selene tanzte, und die Kälte floh vor ihr. Stampfte schnörkelte schraubte räkelte – durch das Gestein, das kilometerdick über uns liegen musste, drang Musik: leis-eindringlich, Klopfen und Brausen, Zwitschern Brummen Flüstern Schwirren Schmettern – die Welt rotierte starr um Selenes Haus, Kontinent, Wälder, Mystiker drehten sich mit, und Selene nabelte schwabbelte schenkelte immer wilder und glücklicher und ließ ihr Sternfluthaar um sich herumstrudeln.“ Sir Henry knurrt, Schweif zwischen den Beinen – Selene tanzt, lächelt selbstvergessen und intensiv-angestrengt wie eine operierende Hirnchirurgin... – der Basset kräuselt die Schnauze, möchte angreifen: was denn? Zentrum der Höhle; die ist endlos – verliert sich allseitig in nebulöser Grelle – doch ganz sicher rund, rund wie'n Amphitheater oder'n Eierkuchen, und in der Mitte („Jaja, Mitte von was Unendlichem, das geht&gibts...“) – zerklirrt der Blick – „konnt man nicht hinsehen. D.h.: konnte schon; d.h.: konnt's versuchen – das Auge glitt ab, an unvorstellbarer Härte&Glitschigkeit. Sowas wie'n perfekter Kristall –“ – unzerstörbare Geometrie aus narkotisierter Zeit; unveränderbar; stehendes Licht, das blendete ohne Helligkeit; absolute Kälte, Gedanken und Hoffnung schmerzlos verbrennend. Sir Henry grollte; Selene tanzte, das Keinetwas griff mit Fühlern aus zerfallener Kausalität nach ihr: doch ihr Haar –

Ein perfekter Kristall bei Null Kelvin hat definitionsgemäß die Entropie S = 0. Mithilfe eines solchen Kristall ließe sich der Zweite Thermodynamische Hauptsatz überlisten ‒ Umgebungswärme komplett in Exergie wandeln, ohne Wärme- bzw. Entropieabstrom: denn egal, wieviel Anergie man in ihn hineifütterte, der Kristall würde, da er am Absoluten Nullpunkt außerhalb von Zeit und Kausalität existieren müsste, sich nie erwärmen, verändern, seine unendlich harte, starre, perfekte Struktur bliebe erhalten. Das Schwarze Loch ist, nach dem "No-Hair-Theorem", die hochentropste Struktur im Universum; der Null-Kelvin-Kristall dagegen die niederentropste ‒ ein Weißes Loch. Madame Bauchnabel indes ist keinesfalls "no hair", sie hat Haare, ganz außerordentliche sogar!

 

 

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Stürmischer Maiabend, auf Mitternacht zugehend: 2. Mai 17

Wem begegnet Plurabelle in der Hexenhütte?

Araya Selene Morgenrot Junirose Kunigund Stephanie Bauchnabel ‒ oft genannt: Madame Bauchnabel ‒ gehört zu den mysteriösesten Figuren aus Curiepolis: Eine tanzende Philosophin, füllig, quicklebendig und meist spärlich bekleidet, mit ausgeprägter Nonsense-Neigung und der Angewohnheit, ausschließlich in kinderreimartigen Versen zu kommunizieren! Annika begegnet ihr erstmalig im "Offenen Land", dem waldhügeligen Siedlungsgebiet für unangepasste Curiepolitaner auf der großen Westinsel, das sie beim Besichtigungsrundflug mit Zouzou Guermantes besucht; später erfahren wir, dass Mme. Bauchnabel zu den Zwölf Philosophen gehört, die Curiepolis vom Kapitol aus mithilfe des Supercomputers HYPATIA regieren. Gefragt, mit welchem der Zwölf sie die Transformation zur Curiepolitanerin durchleben möchte, wählt Annika die Madame.

Die Geschichte aus Plurabelles Jugend sollte im Buch vor der ersten Erwähnung Madame Bauchnabels im Haupttext erscheinen! Das bedeutet, dass die Leserin hier zunächst vor einem Rätsel steht:

„Humus seufzt, Motte schwirrt; im Wald es Frühling ringsum wird. Käuzchen schluchzt, es lacht der Quell. Willkommen, kleine Plurabelle!“

„Aufs Behaglichste aus allen Nähten platzend: die Hütte!; eines dieser Häuser – kennst du das? Bis unters Dach überbordend, angefüllt & zugerümmelt mit Büchern Pflanzen Schallplatten Kerzen Möbeln Kissen Kübeln Kannen Kandelabern Computern – & behaglich, oh, so behaglich! Man weiß kaum, wo man die Füßchen hinsetzen soll – und fühlt sich sofort daheim!“ „Das Gefühl, nachhause zu kommen.“

„Magst Tee, Kaffee, magst Honigwein? Mit Pilzsud aus dem Nabelhain?“

Sternstromparallaxe: Endlos fließende Dunkelheit, durchschummrigt von kosmischen Funken – Sternflämmchen, aurorische Nebelfinger, kometare Irrlichter, gesträubtes Taumelzwinkern von Pulsaren, weiches Glühatmen fackelwolliger Riesen; unablässig rann, stürzte, flutete der Katarakt aus kristallinischem Träumerwerk kumm Schlummerschwärze, quellendes Goldgebrodel, sich zu Bildern, Mustern, Endlosfluchten, quasarbeflammten Korridoren ordnend, Tierphantasmen, Landschaften, Gesichtern, Stadtplänen; Hyperkuben und seltsame Spiralen, Segelschiffe, Hundeschnauzen mit phosphoreszierenden Eckzähnen, Raubtiere aus schwarzem Fels, Symbole Ziffern Buchstaben: Fraktur oder Katakana? Spielzeuge, filigranes Insektenleben – dann zerfiel alles, sprühschimmer-wirbelte, diffuse Gischt aus Farbfunken – gerann von neuem, Jauchzen und Schrecken in perlendem Kosmogelächter vereinend, auflösend. Das Gefühl, nachhause zu kommen.

„Setz dich, kleine Plurabelle, ans Erkertischlein, dieweil ich schnell den Abendtrunk am Herd erhitze – machs dir bequem; ich flitze.“

Der vorletzte Absatz bezieht sich auf Madame Bauchnabels Haar. Bislang war dieses rosa; als ich beschloss, die Madame in der Tlön-Kontinuität erscheinen zu lassen, kam ich auf den Gedanken, dass ihr Haar durchaus interessanter aussehen könnte...

Übrigens möchte ich Madames Charakter insgesamt noch stärker und detaillierter entwickeln! (Dies trifft auch auf Zouzou Guermantes zu.) Im finalen Teil des 1. Bandes ‒ Annika et al. auf Mount Echo ‒ könnte die gute Tänzerin/Philosophin einen weiteren triumphalen Auftritt haben...

Fun Fact
Wenn ich zunächst Döblins "November 1918" und hinterher meinen eigenen Text lese, sehe ich das Wort "Erkertischlein" einen Augenblick lang als "Elektrische"...

 

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Fabian Herrmann, 2016 ‒ 17

 

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