Nachrichten: September 2017

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Video zum Alfred-Döblin-Stipendium: 28. September 17

Sonate für drei Großstädte und eine GROSSSTADT: 21. September 17

Das Schlossmuseum (3): 19. September 17

Curiepolis kommt herum (Nachtrag zur Lettrétage-Lesung): 12. September 17

Lettrétage After-Action-Report: 12. September 17

Stadtpark-Illustration: 9. September 17

Eine Illustration: 5. September 17

Das Schlossmuseum (2): 2. September 17

 

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Video zum Alfred-Döblin-Stipendium: 28. September 17

 

In Arenshoop zählte ich nicht zu den ca. 30 Personen, die von über 900 Bewerbern ausgewählt wurden - weiter kein Beinbruch, insbesondere, da inzwischen meine Aufmerksamkeit auf etwas gefallen war, was mir wesentlich interessanter und für Curiepolis passender erschien: Das Alfred-Döblin-Aufenthaltsstipendium.

Also hieß es wieder ein Bewerbungspaket schnüren! Dieses enthält diesmal auch ein Video:

 

Bildnis Döblins von Ernst Ludwig Kirchner (1912)

 

DÖBLIN gehört neben SCHMIDT (und einigen anderen) zu den "Curiepolitanischen Großen" - Autoren, deren Werkzeuge für den Dichter-Technologen unverzichtbar sind! Um welche Werkzeuge es sich in diesem Fall handelt, erläutere ich im Video.

 

Das Skript zum Video als .pdf

 

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Sonate für drei Großstädte und eine GROSSSTADT: 21. September 17

 

Einmal halbjährlich lädt Arne Schmelzer verschiedene Autoren ein, Gastbeiträge auf seiner Webseite Symphonie der Großstadt zu veröffentlichen - diesmal, am 21. September 17, auch mich - vielen Dank dafür!

Am 30. September um 21:00 Uhr werden die Texte im Café Barneys in Leipzig vorgelesen.

Ich entschloss mich, eine Art "historische Geschichte" zu schreiben: ein Mix aus Curiepolis-Auszügen und den biografischen Ereignissen, die hinter der Entwicklung des Buches stehen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf frühen Texten, die ich in den Jahren 2012-13 anfertigte und die sich auf Max Schwejksam und Olga Koroljowa konzentrieren: Curiepolis-Urgestein. Damals ging ich davon aus, dass diese Geschichten das Rückgrad des Buches bilden, Max und Olga die Hauptfiguren sein würden. Erst anfang 2016 entstand der erste Band in seiner heutigen Form, mit Annika Palmstroem als Protagonistin und der Insel Curiepolis als zentralem Handlungsort. Max Schwejksams Abenteuer sollen nun Teil des zweiten Bandes werden: Die "Symphonie-Geschichte" ist somit sowohl Rück- wie Vorschau!

 

 

Sonate für drei Großstädte und eine GROSSSTADT

 

Die GROSSSTADT-Illustration fertigte ich vor längerer Zeit an, ein "Kritzelbild", rasch hergestellt mit Filzstift und Kugelschreiber und dem GIMP-Fülleimer-Werkzeug. (Damals hatte ich noch deutlich weniger Übung als heute, Menschen zu zeichnen, daher sieht die GROSSSTÄDTische Freiheits-Studentinnen-Statue ziemlich klumpatschig aus...) Jedenfalls dachte ich mir, dass dies eine nette Gelegenheit sei, auch dieses alte Bild - das ich beinahe zufällig auf meiner Festplatte fand - den geneigten Leserinnen zur Betrachtung darzubieten.

 

Hier gibt es den Text als .pdf zum Download.

 

PS. Der grässliche Igelkalender, den Max Schwejksam und Lenina Hofmann zerstören, existiert übrigens auch auf unserer Vollzugsebene.

 

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Das Schlossmuseum (3): 19. September 17

 

S'n das? Extremer Minimalismus, ganz in Weiß? Dutzendfach-wändefüllend in größten Formaten: leere Flächen. (Oder etwa: Lebensfrohe Schneehasen im Buran? ||so?) Keine Künstlernamen bzw. Erklärtäfelchen dran... S wohl so ne – nennt deern'n'S nochmal? – richtich: Installation? Winterlichtereien tröpfeln von'n Wänden, vagabundiern über'S Fischgrätparkett wie Dunst über Liquidännzwogepfütz: Chilling with Beuys? Hinterfragen des Begriffs: „Kunst“? Ist die Kunst gestorben – wir haben die Todesanzeige übersehen –, && alles, was übrig ist, ist DieSein (Die-sSeits?)&&Vermarktung von Selbigem? Mal genauer hin: Nee, wirklich nix als getünchte Leinwände, kein Schatten von'm Farbstrich druff, februarvormittäglich neblichtschweigend. S so ne Sache: Leute, die sich über moderne Kunst s Maul zerreißen, konnt ich nie leiden. Nölen, dass ihre Steuern in Stipendien für Leerflächenmaler gehen (zu'm Zehntelpromill oderso), und geben Händvollgelds aus, um ihre Dehvaudehsammlung amerikanischer Teevauserien zu komplettieren, höhö. (Naja, damit haben die Künstler doch ihr Ziel erreicht: Den Pöbel, pah!, zum Zetern bringen. (Was ohnehin meist leicht iss: Def. von Pöbel.) Bin mir zümlich sicher: S war stets ihr Hauptanliegen, salzigstes Genöl zu provozieren. Kann puella denen kaum verdenken: Schlagadern von Menschen mittlerer Intelligenz sich blähen lassen – S'n amüsanter Zeitvertreib!) Bong, wüsst dennoch gern, wass'S mit all den blankleer'n Dingern...

 

Annika et al. nähern sich zusehends dem Mount Echo, auf meiner Vollzugsebene rückt derweil unermüdlich der große ARNO-SCHMIDT-Tag näher: Kaum liegt die Lettrétage-Lesung hinter mir, zeichnet sich der nächste Höhepunkt schon am Ereignishorizont ab - noch knapp vier Wochen, bis ich in Celle bei der GASL-Jahrestagung bin! Es ist an der Zeit, mich verstärkt auf die Etymino-Forschung zu fokussieren.

SCHMIDT hat hier schon einiges an Vorarbeit geleistet. Nicht nur durch die in ZETTEL'S TRAUM sehr umfassend entwickelte Etymtheorie, sondern auch in seinen "Berechnungen I + II", in denen er Erzählstrukturen durch mathematische Kurven beschreibt, was bereits deutlich in Etyminorichtung geht.

 

Die Etyminotheorie beruht darauf, dass Computergrafiken als Wechselwirkungsteilchen zwischen Vollzugsebenen wirken. Folglich entdecken Annika et al. im letzten Saal des Schlossmuseums leere Leinwände, auf die sie mit ihren Gedankenspielen malen können.

 

Ei-schauschaut: hier'S doch was (beim 1ten Gucken überseen, scheints!). Wattn-wo? Nu, da, untenlinkes Eck: R cos(t) + a cos(R/r t) ; R sin(t) – a sin(R/r t); viell. Signatur-Symbol des Artisteoftheslightlyfunnydeal? (Das funny am Funnydeal? Dass die breite Mehrheit der Artistes – quasi alle post-WehWeeZwo (inn'n westlichen Nationen! Die bleigedeckelten ProletRealisten gens Moskwae steh'n aufm andren Blatt)... dass die sich durch die Bank weg NT-Werte zugeeignet hamm; wolln n Beegee-eeh – gut aristokratisch anfürsich –, &&-et-aber mitnichten nur für sich, sondern für All'un'jedn! Der Beuys fand sogar, mannd könn-müsse die Menschheit zukünftich auf Lichtnahrung umstellen, Menschen nich wie Götter, sondern wie Sonnenblumen. Linksseitenschiff der Paulskirche: da war'n die Künstler forsch-vorn bei, liefen bei Anti-Wiederbewaffnung, Anti-Vietnam, Anti-Notstandsparagraph, Anti-Atom, Anti-Ezetterä unermüdlich voraus, unterwühlten sich selbst. Wie das? Weil Kunst – && Philosophie && reine (höhere-theoretische) WissenSchafft, notabene – was sehr Indisches iss: Shudras machen den Kühlschrank voll, Brahmanen machen ihn leer, produzieren dafür Ideen, Schönheit, usw. In den modernen Republiken ließ mannd sich dollste Verkleidungen dafür einfallen, Fakt blieb stets: Zwackt dem armen Teufel in der Lackiererei was vom Gehalt weg, damit Bildungsbürgermusume expressionistischen Tanz studiern kann. Äugt, puellae, äugt: R cos(t) – a cos(R/r t) ; R sin(t) – a sin(R/r t)... kommt mir fast vor, als ob.

 

Den Vergleich mit dem indischen Kastensystem habe ich übrigens von einem Kreuzberger Künstler, der, selbst von ALG-II lebend ("Man braucht nur ein klein wenig Schauspieltalent, um den Fallmanager bei Laune zu halten"), anmerkte, es sei schon immer in der Geschichte der Menschheit so gewesen, dass eine große Klasse von fleißigen Ungebildeten eine kleine Oberschicht von Kreativen unterstütze. Ich sympathisierte sofort mit dem Künstler, vielleicht einfach deshalb, weil ich mir vorstellte, wie sehr seine Weltsicht sowohl "Rechte" wie "Linke" zur Weißglut bringen würde, wenn sie davon erführen. Aber er hat natürlich recht: Kunst ist eine aristokratische Angelegenheit, weder mit "kapitalistischem" noch mit "sozialistischem" Moralempfinden kompatibel.

 

Kommt mir vor, als ob: Wenn kore mit'n Gedanken schweift – Ellgeht, sozusagn! – fängt'S an. z → z² + c. Girls! Kunst iss was Phantabulöses, nu versteh ich: Unsere LG als pure Geometrie. Wisst ihr – äh, d'ss jetz aber nich Staatsverrat, sowas zu fragen, hmm? (Kommt drauf an?) – möcht wissen: Hamm wir Curiepolitaner S uns nich'n Tick leicht gemacht? Quasi: getschiihtät beim Lösen des Gekniffels „Brahmanen vs. Shudras“? Indemma besagte Shudras mirnixdirnix gentechnisch aus der Gleichung eliminierten – &&anihrerstatt die Kupfernen angeschafft: Intelligenz à la Tümmler, Arbeitstrieb wie Atem Herzgeklopf beim Menschen, sechsundachtzigtausendvierhundert Sekunden per annum still-freundliches Malochissimum ohne einmal zu streiken oder vom Baugerüst zu pissen? (Nee, Staatsverrat wär, sowas nich ab&&an zu fragen!) Sieh's so: Manchmal iss der Tschiihtcode die einzig brauchbare Lösung; nämlich dann, wenn'S Spiel n Bagg hat, && deshalb tschiihtlos gar nich zu knacken iss. (Worin besteht denn der Goldene Bagg? Na, in Good Old Charlie Darwin – einspunktfünfeehfünf Jährchen inner afrikanischen Savanne hamm den Menschen nur bedingt tauglich fürs techno-urbane Leben gemacht, soll heißen, der Bagg ist der biologische Mangel an Arbeitslust (mit den bekannten Ausnahmen: Wissenschaft Kunst Philosophie!). Seit neuntausend Jahren rennen sich die Spieler die Nasen blutig dran; bis wir pazifischen Glanzäugler den Knoten zeralexanderten mit dem scharfen Schwert, das Technologie heißt.

 

Die Mädchen beginnen ein Längeres Gedankenspiel: Was, wenn Curiepolis seine isolationistisch-unterstützende Haltung aufgäbe, und die Welt erobern würde?

 

Tihi: Nehmenwa mal an, dass doch (also Eroberung, Wille zur Macht über Sapiens statt über Felder&&Teilchen!). Ich werd Gouvernärrin von Hokkaido && ihr? Du Deutschland, ||? Ei nee, S wär zu verführerisch für meine1ne: Mich an dem && dem && dem && jener schadlos halten mittels erfindungsreicher Bestraferei. Lieber was, wo ich niemand kenne, sagenwa Kalifornien. Eeeh! Dann will ich Deutschland haben: inner tausendjahrealten Burg am Rhein residiern, Weintrauben futtern und nachts auf den mächtigen Strom lauschen, wie er sich, murmelnd und grollend, durch die mondscheinstillen Lande dem Meer zuwälzt (...&& jeden Samstag bringt mir ne Gesandtschaft meiner wackersten Deutschritter bestes Gras aus Amsterdam!). Ich nehm Finnland inkl. Protektorin von Russland innen Grenzen von eighty-nine. (Oh-uh-oh: Lass das Karelialein nich hörn, die läuft rot an bis zur Zwiebel && hustet dir was!) Ich Indien: Die Brahmanin kehrt in ihr rechtmäßiges Stammgebiet zurück – gewürzten Chai süffeln unter Palmen && über Idealstaaten disputieren, wie'S sich gehört. && Füßlein massiern lassen, was? Tihi, klar. Wisst ihr, glaub, die werden uns verehren, die Sapiensler: Preist die mit den Miniröcken && schimmernden Augen, verehrt sie, folgt ihnen, Salve, Vivat!! (Laut WeltWirrWarr isses in Amerika grad unter jüngerem Volke Mode, sich Poster mit gemalten Curiepolitanern drauf ins Zimmer zu hängen, soll sogar Bettwäsche geben... Igitt! Nix Igitt: Iss doch'n Anfang.) Wir treffen uns dann in deinem Palmenhain zu Tee&Kuchen, lassen uns die Füße in klarem Quellwasser waschen && Luft zufächeln, während wir auf Sanskrit plaudern scherzen. Gnihi, scheint, den Leerbildern sagt unser LG zu: komplette Szenerie, im holländischen Stil – so'n Landidyll – eeh: glaube, für holländische Schule n Tick zu pixel-abstrakt? (Aber hat was davon, schon-schon – n bissel immerhin!) Nur zweie, nich vier – ach, das sind doch. Im Vordergrund n mächtiger anthrazitfarbener Kater festen gelben Blicks – mittelgründig gelagert auf Blumenopulenz – ei, Blumen-von-Blumen: Kelch-in-Kelch-in-Kelch, Blick verliert sich && wird beschwippst! Hu! – kopfgestützt && curiepolitanisch beröckleint beblust && -pullundert: ach, das sind doch. Wie ich unterm Waldbaum geflennt hab, dann geschlummert – Augen auf, Po kalt, erstes, was ich seh: vierfachen Augenaufgang && ne Tüte, die kore mir hinhält. (Krawatten völlig unordentlich, tüpisch! Bei der Hageren Schuhe offen, klar.) Hatt'n die Alexa aufm Schoß? Computerlein. Du, das issen C-64. Angeschlossen an die Blühleitung vom Enorm-Krokus, Blüte als Bildschirm, nich uneben.

 

Es scheint, Carmen && Alexa tummeln sich in einem Gemälde ähnlich demjenigen, dem in SCHMIDTs unvollendetem "Julia"-Roman die gleichnamige Geisterprinzessin entsteigt! Auch das Computerlein fehlt nicht (und hier ist es ein tatsächliches im turingschen Sinne!). Die Trennflächen zwischen den Vollzugsebenen werden weich wie Gaze.

 

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Curiepolis kommt herum (Nachtrag zur Lettrétage-Lesung): 12. September 17

 

Die Stadtteilbibliothek Frohnau ist ein lauschiges Stübchen in einem Haus zwischen hohen Bäumen: der Dorfbücherei vergleichbar, die Annika, Hikari, Dya, Irina und Peter Ananke besuchen - allerdings, im Gegensatz zu dieser, nicht an beiden Enden des Raumes von Spiegelflächen beunruhigt. Wenn ich mir Bücher aus dem Bilbiotheksnetz Berlin bestelle, lasse ich sie dorthin liefern; auch nutze ich sie, mangels eigenem Drucker, zum Ausdrucken von Dokumenten - so auch gestern meinen Lettrétage-Text. Ich hatte es eilig - mein Tagschlaf hatte sich länger hingezogen, als erwartet (wenn ich schlafe, schlafe ich: wie ein Findling, wie ein alter Waldbaum - dies liegt in der Natur meiner biologischen Maschinerie); in eineinhalb Stunden fing die Lesung an, und Wege in Berlin sind fast immer weit.

Wie es in solchen Fällen zu sein pflegt: Prompt war der Wurm drin - zuerst setzte der Drucker sich überhaupt nicht in Bewegung, es fehlte Papier. Nachdem die Bibliothekarin einen Stoß eingelegt hatte, ratterte er drauflos wie besessen - irgendein Bedienfehler meinerseits ließ ihn nicht nur zwei Exemplare, wie ich es beabsichtigt hatte, sondern eines nach dem anderen ausstoßen, er wollte schier nicht mehr aufhören... Nun wurde die Zeit wirklich knapp. Ich packte einige Ausdrucke, lief zur Ausleihe, rief: "Der Drucker hört nicht mehr auf, weiß nicht, warum - hier Geld für die Blätter" - legte einen Zehneuroschein auf die Theke und flitzte davon zur S-Bahn-Station. Ich kam rechtzeitig am Mehringdamm an, rund fünfzehn Minuten vor Beginn, ab da lief alles wie am Schnürchen.

Heute wollte ich jedoch nocheinmal in der Bibliothek vorbeischauen, um den eventuell etwas groben Eindruck, den ich hinterlassen hatte, zu bereinigen.

"Ach, wir haben schon ganz anderes erlebt. Manche drucken einen Riesenpacken aus und verduften dann ohne zu zahlen! Ich habe abgeschätzt, wieviel Sie gedruckt haben - Sie bekommen noch etwas Geld zurück", erklärte die Bibliothekarin und reichte mir vier Euro. Ich bedankte mich und nahm bei dieser Gelegenheit gleich ein Arno-Schmidt-Buch mit, das ich bestellt hatte (mit den Abhandlungen "Berechnungen I + II"). "Was diese Ausdrucke angeht...", fügte ich hinzu, ohne genau zu wissen, was ich darüber eigentlich sagen wollte. An für sich wäre es in Ordnung gewesen, wenn die Bibliothekarinnen sie weggeworfen hätten. Wozu Dutzende von Ausdrucken - ich hatte bereits am Vortag mehr mitgenommen, als ich benötigte. Doch die Dame erwiderte: "Ich habe reingelesen - es ist interessant - bemerkenswerte Wortschöpfungen! Ist das ein Drehbuch?"

Auszüge aus einem Roman seien es. Die Bibliothekarin blickte aufmerksam. Meine Lesung habe sehr gute Resonanz bekommen. Und es sei teilweise von Arno Schmidt inspiriert... "Dann werde ich es mal komplett lesen! Was ich beim Überfliegen gesehen habe, hat mir gefallen."

Curiepolis kommt herum, manchmal auf unerwarteten Wegen. Es lohnt sich definitiv, es in die Nähe von Menschen zu bringen, die Literatur lieben. Je mehr davon erfahren und sich damit beschäftigen, desto besser!

Ich schrieb der Bibliothekarin noch die Adresse meiner Webseite - die momentane "Curiepolis-Zentrale" - auf, wir verabschiedeten uns mit viel Sympathie. Was mir gestern Falten der Anspannung in die Stirn gefurcht hatte - ein unkontrolliert druckdruckdruckender Drucker - erwies sich als glücklicher Zufall. Curiepolis segelt im Aufwind.

 

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Lettrétage After-Action-Report: 12. September 17

 

 

Schwebend, ein wenig wie auf Eiern, matt - aber glücklich, entspannt, zufrieden: Gegen zwei Uhr morgens kam ich nach meiner Lettrétage-Lesung nachhause, setzte mich an den Tisch, auf dem die Bilder lagen, die ich für den Vortrag gemalt hatte, und all die Implemente, die zu ihrer Herstellung nötig gewesen waren - Wasserfarben, Aquarellstifte, Buntstifte, Bleistifte, Filzmaler, Schere und Klebstoff... nicht zu vergessen der Computer.

Die Illustrationen waren gelobt worden: Man sehe ihnen zwar an, dass ein Kunstanfänger sie gemalt habe, aber sie würden nichtsdestotrotz helfen, in die Welt von Curiepolis einzutauchen und sehr gut dazu passen.

Ein kleines Publikum - vielleicht zehn Personen, darunter auch eine Mutter mit vielleicht zwölfjähriger Tochter, und ein Freund aus Schulzeiten, den ich seit 1999 nicht mehr gesehen hatte. Ich hatte vor einiger Zeit seinen Namen gegoogelt, herausgefunden, dass er, wie ich, in Berlin lebte, und, als ich in Varenna weilte, mich entschlossen, ihm eine Postkarte zu schreiben, wobei ich ihn zu meiner Lesung einlud. Ich war gespannt gewesen, ob er kommen würde. Bei der Diskussion hinterher - ich hatte das Pult verlassen und mich zu den Zuhörern gesetzt - sah ich plötzlich... ja, das musste er doch sein: Das Gesicht, das ich kannte, älter zwar, aber vertraut. Ich lächelte ihm zu, er erwiderte meinen Blick. Später begrüßten wir uns und gingen zusammen mit seiner Freundin und einer Bekannten aus der Lettrétage Pizza essen.

Eine kleine, aber äußerst sympathische Zuhörerschaft! Die Reaktionen auf meine Texte reichten von neugierig über fasziniert bis "baff". Man stellte mir interessante Fragen. Ich erklärte, dass man sich Curiepolis als Haus, als verwinkelte, verschachtelte Villa denken könne, mit unzähligen Zimmern, Treppen, Türmen, Geheimnissen. Die Dame mit Tochter wollte wissen, welche Aussage sie genau in Curiepolis erwarte. Das konnte ich natürlich nicht so ohne Weiteres beantworten - die Idee ist ja, dass jede Leserin selbst etwas darin findet und mitnimmt. Daher nenne ich es Forschungsroman - die "Aussage" ist eigentlich, dass hinter jedem Grashalm, jedem Schneckenhaus Rätsel zu lösen, Entdeckungen zu machen sind. Annika ist ja auch eine Herumtreiberin und Forscherin, die es liebt, mit ihrem alten, orangefarbenen Damenrad meilenweit über Land zu streifen und sich alles anzusehen...

Früher in Jena konnte ich von solchem Echo nur träumen. Der Umzug nach Berlin hat sich mehr als gelohnt! In Thüringen pflegte man verständnislos, kopfschüttelnd auf meine Arbeit zu reagieren, und ein gewisser Erfurter Lokalredakteur, der als inoffizieller "Anführer" eines dortigen Autorentreffs fungierte, beschloss, mich über "guten Schreibstil" belehren zu müssen: Es gelte, möglichst wenig Adjektive zu verwenden, diese seien "der Feind des Substantivs" (oder so ähnlich) - das ist natürlich reiner Quatsch, wie Arno Schmidt in "Abend mit Goldrand" erläutert. Besagter Lokalredakteur wird nun, in Gestalt des Ronny Heßling, im ersten Teil meines Buches von Franzosen verdroschen, und in den Hochtälern des Mount Echo blüht ein reger Schwarzhandel mit Adjektiven, da diese dort verboten sind... "Revenge is a dish best served cold" - nun ja, "revenge" ist übertrieben, wohl eher eine dezente Veralberung! Doch zurück zu meiner Lettrétage-Lesung.

Vorher war ich ganz schön aufgeregt gewesen. Es war immerhin meine erste "reine" Curiepolis-Lesung in großem Stil, da galt es, alles gründlich vorzubereiten und einzustudieren. Hatten die Bilder (keine Slide-Präsentation, sondern eine Abfolge von Grafikdateien!) die richtige Reihenfolge? Würde ich alle Überleitungen richtig hinbekommen? Als ich mich der Lettrétage in Kreuzberg näherte, war meine Unruhe plötzlich wie weggeblasen. Mit was kannte ich mich denn besser aus als mit Curiepolis?! Die Lesung begann - ich fühlte mich völlig gelassen, geradezu "zu Hause angekommen". Die Reaktionen des Publikums gaben mir recht: Hier in Berlin ist Curiepolis endlich in seinem geeigneten Biotop!

 

Doch nun das Material zum Download. Das Verzeichnis enthält alle Bilder, sowohl die zum Vortrag angeordneten und modifizierten, wie auch die Originale, den vorgelesenen Text als .pdf, die Computergrafiken, mit denen manche der Gemälde hinterlegt wurden und einige weitere Grafiken, die mit dem gleichen Programm erzeugt wurden.

 

Vortrag-Lettretage.zip (119 MB via Mediafire)

 

Das Processing-Programm, mit dem der Schneehintergrund für das Einleitungsbild erzeugt wurde:

 

KochSchneeSchnecken.zip

 

Die Computergrafik für das Schnirkelschnecken-Bild beruht auf dem gleichen Programm, das ich für das Liss-Etymino nutzte.

 

Zum Schluss die Illustrationen - drei davon, "Annika Palmstroem", "Traumlande" und "Annika in Curiepolis", sind älteren Datums, die übrigen habe ich extra für die Lesung kreiert.

 

Wintermorgen

 

Stadtpark

 

Karte des Curiepolis-Kosmos

 

Annika Palmstroem

 

Annika und die Sternschnirkelschnecke

 

Traumlande

 

GROSSSTADT. Kernforschungszentrum am Ententeich.

 

Annika in Curiepolis

 

Mount Echo

 

Dem Lettrétage-Team sei herzlich gedankt! Ein schöner Ort für meine Curiepolis-Lesung und wunderbare Zuhörer!

 

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Stadtpark-Illustration: 9. September 17

 

Die Komplettierung meines Lettrétage-Materials nähert sich dem Abschluss. Als kleines Sneak-Preview meine Stadtpark-Illustration:

 

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Zugegebenermaßen weist der Alte Amateurastronom gewisse Ähnlichkeiten mit einem Amish oder einem amerikanischen Hinterwäldler auf - aber das passt vielleicht. (Und Olga ist übrigens zu schlank!)

Hier noch die Figuren ohne Hintergrund - zum Ausschneiden: als Buchzeichen, zum Nachspielen der Szene auf der Puppenbühne oder einfach zum Aufstellen als Hingucker und Freunde-Erschrecker.

 

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Eine Illustration: 5. September 17

 

Die Vorbereitungen für meine Lettrétage-Lesung am kommenden Montag (11. September) laufen auf Hochtouren! Diesmal möchte ich - für mich durchaus ungewöhnlich - den Vortrag nicht erst in der Nacht vor dem fraglichen Termin vollenden. Die Texte, die ich vorzulesen gedenke, sind bereits komplett zusammengestellt - nun braucht es noch einige Illustrationen. Unter Zuhilfenahme fast sämtlicher mir zur Verfügung stehender Zeichen- und Malgeräte (einschließlich eines Fraktalgenerators und GIMP) entstand daher folgendes Bild:

 

Zur Ansicht in Originalgröße bitte anklicken.

 

Alle Vollzugsebenen, die in den Texteauszügen vorkommen, auf einen Blick (mit einigen erklärenden Beschriftungen): Stadtpark-Szene, Hinterföhren, Curiepolis, Tlön und die "Traumlande" (die ich, E. A. Poe eingedenk, vorläufig so genannt habe), die Annika, Mme. Bauchnabel und Pierre Leclerc auf ihrer psychedelischen Reise besuchen... und natürlich die Sternschnirkelschnecke!

 

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Das Schlossmuseum (2): 2. September 17

 

Annika et al. setzen ihren Museumsbesuch fort:

 

Mal in'n Nachbarraum: Was'n hier? Ah, Vitrinen! Drin: Volkskunst Gebrauchsgegenstände aggriculturell-wie-stadtgelüftet-bürgherrlich Suppenschüsseln Nachttöppe (Wisst ihr, was ich am Volk scheiße finde? Dass's so tümlich ist!) Weberschiffchen Handspiegel-&&-Kämme-für-die-Dam'n Kohlenbecken Sanduhren Spardosen (inkl. Schokoladenspardosen) Lorgnetten-&&-Brillen-&&-Monokel Operngläser (exponiertes Sonderexponat: Icks-Strahlen-Argus Baujahr neunzehnhundertdrei: Für den Herren, der tiefsten Einblick wünscht! Zur Nutzung in Theater Oper Variéte Tihihihi da ham'sie die Herren, die tiefsten Einblick wünschten, schön verkaspert – Kleidung hat fast dasselbe Röntgenabsorptionsspektrum wie Menschenhaut-und-Fleisch, da wie dieses aus Kohlenstoff Wasserstoff bestehend) Kaffeemühlen (darunter die Harmonicaffe von Hauser&Söhne anno achtzehnhundertsiebenundzwanzig zu Nürnberg: spielt, je nachdem, wie man den kleinen Messinghebel einstellt, beim Mahlen eine von sieben Volksweisen)

 

[...]

 

Die vereinte Kasperltruppe (die Grete hat doch mal Ähnlichkeit mit dir / Schnickschnack, wenn überhaupt, binnich Prinzessin / na, Hauptsache, nich wie die Oma / Och, S doch ne nette ältere Dame, backt bestimmt Pflaumenkuchen mit Schlagsahne für Kasperl&&Seppl / der Räuber hat Charme, düsterer Lebenskünstler aus'm tiefsten Tannicht / nee, da zieh ich den Zauberer vor, der kann was, S n Gelehrter / warum nich gleich den Teufel? / Ihr seid gemein, seht ihr nich, dass ihr dem Kasperl – dem Helden, notabene – S kalte Schültergen zeigt? / och, Kasperl iss'n Gutherziger, aber wie alle Gutherzigen: fad! / Nix da: der Seppl iss vielleicht fad, aber Kasperl, das iss so'n Trickster, wie Loki, Jaakob, Anansi, Owlglass / na, wenn ich die Wahl hätt' zwischen Kasperl und Polizist: klar; aber an den Räuber – Farn- und Schießpulverduft: eiei! – reicht so'n Dorfkasperl einfach nich ran: Da läuft jedes Rendezvous auf'n Sofanachmittag bei der Großmutter raus – nix gegen Zwetschgenkuchen mit Schlagsahne; aber die volkstümliche Hitparade mitangucken müssen?? Uargh... / ihr mit euern Kaspern&&Räubern, der Zauberer, der ist doch weise, geheimnisvoll / && hat'ne Nase schlimmer als die Nibelungenkanne vorhin / so'ne Nase iss was zum Anknabbern / aber nich, wenn'ne olivgrüne Warze drauf sitzt / nehmt euch'n Bsp. an der Prinzessin, die schmilzt dahin für den Kasper, nachdem er sie gerettet / der Kasperl? müsst mir schon'S Krokodil als Haustier versprechen, dann hätt' er ne Chance (vielleicht!).)

 

Nachdem man tümlichste Volkskunst und Spielzeug bewundert hat, geht man weiter in den nächsten Saal:

 

War'n wir hier schon? Nee... S'n das? Familienalbum: Ahnenhalle. (Fast unheimlich: Alle gemalt, als ob sie einen anäugen – dutzendweis von langen Wänden.) Ahnen des Schlossherren. (Ob der noch lebt? Wenn ja, wo steckt er?) Zweifellos stein-bein-basaltalte Familje. Schau, der hier: Athelstan von Ofterdingen – Paladin an Caroli Magni Tafelrunde (der hatte auch 'ne Tafelrunde? Klar, lohnt sich doch nicht, frühmittelalterlicher Kaiser zu sein so ganz ohne Tafelrunde!). Dieselise dort: Lisbeth von Kiesewetter, herrschte über die Weinberge im Elsass-Lothringischen; bekannt dafür, ein Fass – ei, nich so'n kleines: vollausgeküfte Sinopengröße! in einem Zug leeren zu können, da, wohl aus Mutationsgründen, ihr der Kehlschließmuskel fehlte; versprach, denjenig-glücklichen zu ehelichen, der sie unter'n Tisch zu saufen vermöchte – jmd. gefunden? Schau'S Nachbarportrait – au Backe, was für'n GroßGesicht: könnt zu'm RiesenRobberich mit Stoßzähnen gehör'n – Gustholdt von Gutzkow: ließ sich mit'm Trebuchet in feindliche Burgen katapultieren und besiegte die Belagerten dann mit bloßer Hand (groß wir 'ne Kehrschaufel und behaart wie bei'm Gorillen); konnte, nach mehrjährigem Unterricht bei'nem Einsiedelmönch (Burg verfehlt && im Wald wieder runtergekomm), sogar seinen Namen && Wörter mit 1 Silbe lesen&&schreiben. Kinder? Zwo: den einen, zartbesaiteten, befremdeten die (nichtexistenten) Sitten der Eltern, ging nach Avignon && wurde Gegenpapst – um sich abzuhärten: auf Antipetri Antistuhl angekommen, ließen seine eigenen Antimanieren die Eltern zur Salzsäule erstarren –, der andere, genannt Waldemar, verfügte sich nach Paris, um Küche, Keller, Mädchen && Jurisprudenz zu studieren, gewann Ruhm im Krieg der Fladenbäcker gegen die Winzer, ehelichte die Prinzessin von Agrigent ob derer unübertroffenen Fähigkeiten im Erschlagen von Mücken, denn er gehörte zu jenen Leuten, deren Körperaroma (kore erinn're sich: zw. Hlg. Boötius && Theodore Roosevelt waren die Achselausdünstungen von Westeuropäern denen der Sumpfblasen von Louisiana vollkommen ebenbürtig) die Stechbestien magisch anzieht. Setzten zusammen neunzehn Sprösslinge in die Welt (Au Backe! – Meintest du nicht eher: – Becken??), && von denen ist jener hier von besonderem Interesse – na, das nenn' ich'n Bart – jaja: Ladislaus von Breslau (wieso'n Breslau?? Dachte, ein Gutzkow-Nachfahre? – Ach, die benannten sich, je nach Eroberungserfolg (Dame, Stadt, Reich), gerne mal um zu jenen Dämmertagen... unterbrecht mich nich laufend! Also:) Ladislaus von Breslau führte ein Ritterfähnlein im Krieg gegen die heidnischen Ungarn, und wickelte sich, im bitteren Tatrawinter, in seinen Bart, der noch nie die Schere des Barbiers gesehen hatte; drin, geborgen in karottenroter Wolle, lebte sein Allerliebstes, n Mäusel namens Komkarlinchen. Welches ihn notabene dran hinderte, Kriegsruhm zu ernten, da, als sich beide Seiten, Hlg. Römische Ritter und Barbaren, zum entscheidenden Strauß zu treffen beabsichtigten, Komkarlinchen aus dem Bart hupfte, und, Rittern wie Reisigen um die Füße wuselnd, ihr Heil im Pazifismus suchte – Ladislaus in wildem Lauf hinterher. Die Spur der beiden – tripplige Kleinststapfen des Komkarlinchens, besenartige Fegspur des Bartes – verliert sich in Jugoslawien; mehrere Zeitgenossen, -genössinnen && -genösslein erhoben später Anspruch auf Abstammung&Erbe, einem davon glaubte man, die anderen knüpfte man auf.

 

Erinnert sich jemand an das Gedicht, aus dem Ladislaus und Komkarlinchen stammen?

 

Lassen wir wieder einige Generation ins Land gehen. Die Rosengärten verwildern, Riesenkerbel, Goldrute, die garstige Brombeere (deren Früchte allerdings bekannt schmackig ausfallen) lungern in den Beeten herum; dem edlen Holz der Schachbretter setzt salziger Ostseenebel zu. Im Schloss beginnt's nach feuchtem Mauerwerk und drohendem Einsturz zu aromen... was kümmert das schon dessen Bewohner, Edgar von Arnheim? – schaut-hier: so'n Schmerzensmann – priesterlich beinahe? – blasses Zartgesicht mit zögerlichem Bartgeschnörkel, drüber Haare, die gern wild wären. Edgar hatte eine einzige Leidenschaft, die ihn mit der Intensität eines Fiebertraums verfolgte: die Mode. Ständig ließ er seinen Schneider neue Phantasieuniformen aus den teuersten Stoffen der bekannten Welt verfertigen, ohne Rücksicht auf Kosten – was, da er von seinen Vorfahren einen substantiellen Goldschatz geerbt hatte – angeblich aus der Beute des mongolischen Großkhans: bei dessen endgültiger Vertreibung aus Russland ihm unterm Hintern (denn er pflegte drauf zu schlafen) weg- bzw. zurückgeraubt – dank dieses Schatzes also ging die Sache eine Zeitlang gut: bis unser Edgar an zwei Betrüger && Tagediebe geriet, die behaupteten, höchst spezielle, exquisite Stoffe zu weben, mit denen es die Bewandnis habe, dass nur jener sie zu sehen vermöchte, der seines Amtes unwürdig oder einfach dumm sei. Es schmeichelte der Eitelkeit unseres geckenhaften Edgar, seine neuen Kleider beim besten Willen nicht sehen zu können – wie auch jeder andere, dem er sich zeigte, sehr zufrieden war, sein Amt offensichtlich mit Würde zu bekleiden. Doch die listigen Lausbuben hatten von herrlichen Schmetterlingen, gewebt aus Fäden von reinstem Gold, Blumenmustern, schmucken Borten und vielem mehr erzählt – irgendwann hielt er es nicht mehr aus: Er wollte die wunderbaren Kleider sehen, wozu er sie einem Bauern anzog, der als dümmster Mann der Provinz galt, da er seinen Hof gegen eine Kuh, die Kuh gegen einen Esel, den Esel gegen eine Katze, die Katze gegen einen Mühlstein eingetauscht und letzteren in einen Brunnen hatte fallen lassen. Auch am Körper des Bauern, der weit und breit nur als „Tumber Jan“ bekannt war, zeigten sich weder Schmetterlinge, noch Blumen, noch prächtige Borten. Die beiden Weber waren bereits mit dem größten Anteil des Familienerbes über alle Berge.

Man munkelte von neuentdeckten Ländern weit draußen im Westmeer, wo es Frauen mit vier Brüsten, sprechend-wandelnde Bäume und unermessliche Goldschätze gebe. Unser Betrogner ging an Bord eines Schiffs gen Sonnenuntergang. Einige Wochen später erreichte man die Küste der Neuen Welt, wo die Expedition – teils unter Einfluss des Branntweins, teils von hohem Fieber geschüttelt – unter Palmen umhertorkelte, bis man ein Indianerdorf fand, dessen Einwohner der selbstverständlich mitreisende Priester flugs zum wahren Glauben bekehrte. Undankbarerweise weigerten sich die braunen Wilden, als Gegenleistung das Gold – das sie zweifellos zentnerweise irgendwo vergraben hatten – herauszurücken, daher tötete man die Frischgetauften und wandte sich anschließend nach Süden. Durch Dschungel und Grasland drang man vor, die langsam verrostenden Musketen auf dem Rücken, und verlor pro Kilometer rund einen Mann, an den Branntwein, an einheimische Viren && Bakterien, sowie an den Appetit der Kaimane und Jaguare und die Giftpfeile der Braunen, die aus Baumkronen heraus auf die Europäer schossen. Zu fünft – unser verarmter Edgar, der Kapitän, dessen Frau und der Priester waren noch am Leben, vor allem dank der Führung eines jungen Indianers, der, nach Streitigkeiten mit seinen Eltern, von zuhause ausgerissen war und sich den Weißen angeschlossen hatte, aus Trotz und fehlgeleiteter Abenteuerlust. Dem jungen Wilden glückte es, die blassen Eroberer um die kaimanhaltigsten Flüsse und virenstrotzendsten Sümpfe erfolgreich herumzulotsen... dieses eher mitleiderregende fünfköpfige Trüppchen also erreichte irgendwann eine Bucht, in der ein verlassener portugiesischer Segler vor Anker lag, den man kurzerhand in Besitz nahm, um weiter nach Süden zu segeln. (Ja, solche Schiffe kann man zu fünft bedienen – wenn'S auch bissel mühselig ist –; die Frau hält das Steuer, Edgar und der Indianer setzen die Segel; der Kapitän kapitänt; der Priester betet.) Inseln voller Gold und vierbrüstiger Frauen, wir kommen! Die blanke Midgardschlange hatte andere Pläne: Ein Wirbelsturm von teuflischer Stärke && Dauer trieb das Schiff ziellos vor sich her, bis man, nach wochenlanger Todesangst, tatsächlich die Küste einer Insel im Spektiv gewahrte: Klippen, einer Mauer aus schwärzlich-porösem Lavafels gleich, mit vorgelagertem Sandstrand und einem einzigen Durchbruch, aus dem ein Wasserfall hervorschäumte.

 

Ein Neo-Staat auf einer Insel in den Weiten des Weltmeers - neben SCHMIDT && KLOPSTOCK lebt auch JOHANN GOTTFRIED SCHNABEL in dem aufgespannten literarischen Vektorraum, seine "Insel Felsenburg" gibt nun ein Gastspiel, zwar nicht namentlich, aber doch bezüglich der Topografie (wallartige Klippen umgeben schützend eine idyllische Landschaft) und des Personals (Reisender, Kapitän, dessen Frau, Geistlicher, "bekehrter" Indianer).

 

Über gewaltige Blöcke aus rußschwarzer, blasiger Lava klomm man hinauf, entlang am Rande des brausenden Wildwassers, wobei man alle paar Dutzend Ellen auf geeigneten Vorsprüngen rastete, den Rundblick über das Meer bestaunend, das in dieser Gegend eine intensive, türkise Farbe aufwies, so dass es beinahe zu leuchten schien. && während der Priester, der Kapitän, dessen Frau über das Naheliegende disputierten – auf welcher Länge, Breite die Insel wohl läge, wie groß sie sei, ob Menschen auf ihr lebten – und Elias den Horizont betrachtete, vielleicht geplagt von Sehnsucht nach seiner amerikanischen Heimat, untersuchte Edgar den Lavafels näher, in der Hoffnung, Spuren wertvoller Erze ausmachen zu können. Er entdeckte etwas anderes: Eingelassen in das poröse, rauhe Mineral waren feinste Adern von Kristall, die in allen Farben des Regenbogens schimmerten, wie Perlmutt oder die Flügel der Schmetterlinge, und dabei die sonderbarsten Spiralen, Bäume, Verästelungen formten, Muster einer Art, dass das Auge sich festzuhalten suchte, doch abglitt, ziellos taumelte, während unablässig neue, im Licht des Sternengesprühs der Praesepe herrlich glänzende Formen heraustraten, ineinander flutend, sich verzweigend, eine Laterna Magica unendlicher Träume aus Stein – fand das Auge einen Fixpunkt, auf dem es zu auszuruhen gedachte, so zerplatzte dieser zu schauerndem Lichtstaub, und jedes Partikel zerfloss seinerseits zu einer endlosen Folge glimmender Gestalten in Gold, Silber, Aquamarin, Purpur, Safrangelb, Violett. Edgar schaute und schaute – wie lang er wohl das Schauspiel schon betrachtet hatte? Es schienen Stunden zu sein, doch der Kapitän und der Priester unterhielten sich immer noch über die Möglichkeit, Seelen und Nahrungsvorräte eventueller Eingeborener zu gewinnen – wie weit weg ihre Stimmen schienen: aus den Tiefen des Meeres oder einem Land jenseits des Horizonts. Edgar rückte einige Fußbreit fort von der Felswand – die gesamte Gesteinsmasse war durchströmt von dem wandelhaft-wunderbaren Rätsel, matt und unscheinbar, wenn man flüchtig hinsah, sich jedoch zu glühender Gewalt verstärkend und anschwellend, sowie man das Auge darauf zu richtete. Womöglich war die gesamte Insel, ihr Sockel aus schwarzem Mineral, ihre Klippen und Höhen von dem Phänomen betroffen. Edgar wandt sich um, um die anderen auf das Mirakel aufmerksam zu machen – doch man brach auf, klomm weiter dem Innereb des Eilandes entgegen, der Priester sogar mit besonderem Elan. Edgar folgte der Gesellschaft unruhigen Herzens.

 

[Gegen Sonnenuntergang wird die gesamte Insel von unzähligen Pilzen überwuchert. Die Reisenden flüchten in eine Höhle. Dort:]

 

Eine Halle beachtlichster Größe! Unterirdischer Saal, efüllt von strahlendstem Licht, welches, schneeweiß && von beinahe stechender Intensität, von langen Rohren oder Flaschen ausging, die in regelmäßigen Abständen an der Decke angebracht waren. Die Frau des Kapitäns zog erschrocken den Atem ein, umklammerte den Arm ihres Gemahls. Der gesamte Raum war erfüllt von Apparaten, jenen der Alchemisten der mittleren Zeit oder auch dem Laborgerät moderner Naturforscher ähnlich – && zugleich aufs Äußerste verschieden davon: Maschinen aus blankem Metall, groß wie kleine Häuser, beschriftet mit unbekannten Formeln && Symbolen; gläserne Augen, in denen bunte Bilder und Schriftzüge flackerten; spiralige Windungen aus Kupfer; zwinkernde Funken gefrorenen Lichts; tastende Strahlen, feiner als ein Menschenhaar; Geräte, die den Manualen einer Kirchenorgel glichen; Rohre, Schläuche, Drähte, Kolben tausendfach. Gebrumm wie von schwärmenden Schrötern lag in der Luft, die süßlich-scharf roch. „Teufelswerk“, murmelte der Priester, bekreuzigte sich frenetisch. Elias spürte aufmerksam, doch, wie es schien, ohne Angst umher. „So wie uns diese Gerätschaften – so müssen seinen Leuten unsere Großsegler, Musketen, Rüstungen, Pferde erschienen sein“, dachte der eitle Edgar mit einem Hauch von Rührung. Elias fragte, wohl eher sich selbst als die Anderen: „Haben Menschen das gebaut?“ „Keineswegs!“ – die Stimme des Priesters zitterte – „es waren Teufel. Halte dich davon fern, berühre nichts!“

Jemand lachte; die Gesellschaft fuhr zusammen, der Kapitän zog seinen Degen. Es war das helle Lachen eines jungen Mädchens, doch nirgends war ein Mensch zu sehen. Panisch blickte man sich um – Elias war es, dem es als Erstem einfiel, seinen Blickwinkel zu korrigieren, schräg aufwärts zu spähen: Auf einer Balustrade, gewissermaßen einem Balkon aus Metall, der in halber Höhe rings um die Wände der Halle lief, standen zwei junge Weibsbilder, eine schlank, großgewachsen, aber von zarter Statur, die andere klein, drall && sehr regsam. Gekleidet waren sie in lange Gewänder, denen der Damen am kaiserlichen Hof Japans ähnlich. Die Fülligere lachte, nicht spöttisch, aber auch nicht freundlich, sondern eher so, wie jemand lacht, dem ein amüsanter Gedanke durch den Kopf geht – sie schien die Reisegesellschaft kaum zu bemerken. Erst als der Kapitän sie versuchsweise auf Deutsch, Französisch, Latein && Griechisch anredete, wandte sie den Kopf, betrachtete die Neuankömmlinge mit offener Neugierde – dafür begann nun die Schlanke schallend zu lachen, als moquiere sie sich über die Gedankenverlorenheit ihrer Gefährtin. Die Drallere schöpfte Luft, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, sagte: „Guten Abend. Wir verstehen sowohl Deutsch, wie Französisch, wie Latein, Griechisch allerdings nur ansatzweise. Ihr habt einen ungünstigen Zeitpunkt zur Eroberung dieser Insel gewählt, denn sie wird nicht mehr lange am Fleck bleiben.“ „Wie meint Ihr das?“, fragte Edgar. „Inseln verschwinden nicht einfach so von der Seekarte. Übrigens – diese Stoffe, die Ihr tragt – sie dünken mich sehr fein && teuer. Wo kann man sie erwerben?“ „Da müsst Ihr den Hofschneider zu Edo fragen – er hat sie gefertigt. Natürlich verschwinden Inseln nicht einfach so, wenn man damit meint: von alleine. Ihr habt zweifellos das Wachstum der Pilze bemerkt. Sie durchdringen die Insel mit ihrem Myzel. Auf eine Weise, die in der Sprache eurer Gelehrten noch nicht ausdrückbar ist, wird das Myzel die Insel vom Grund des Meeres abstoßen, so dass sie sich ans Firmement erhebt, um eine lange Reise durch die Sternenwelt anzutreten.“

 

Offensichtlich ist der Mount Echo auf Tlön die Insel Felsenburg, die mithilfe der durch die Handlung spukenden Pilze in ein Raumschiff umgewandelt wurde - das idyllische, vom Klippenring umschlossene Tal, mit dem runden See in der Mitte, seine Caldera.

Der Kapitän, seine Frau und der Priester werden von einer Hochspannungsentladung getötet, als der Degen des Kapitäns eine Kupferdrahtwicklung berührt. Elias, der südamerikanische Indianer, entschließt sich, mit Carmen und Alexa zusammen die Erde zu verlassen (er hat schließlich wenig zu verlieren). Edgar von Arnheim entkommt durch einen Seitenstollen, wobei er in einen unterirdischen Fluss stürzt, der ihn mit sich fortreißt - doch wohin?

 

So kam'S, dass der eitle Edgar von Arnheim König der unterirdischen Reiche wurde, Oberon zu Seiten der wunderschönen Titania, mit der er über Feen, Kobolde, Zwerge herrschte. Als das Paar jedoch eines Abends – in den unterirdischen Reichen ist es immer Abend: ewiges Dämmerlicht liegt über schattenhaften Wäldern und Hainen, den stillen, tiefen Teichen – entlang ritt am Styx, über dem die Leuchtkäfer schwärmten – jeder mit seiner eigenen, kleinen Laterne in den Pfötchen und einem Zylinder auf dem Kopf, wie sich das gehört – mit Löchern für die Fühler, natürlich – und sie unter einer Weide aus lebendigem Gold rasteten, die Pferde grasen ließen – steckte Oberon zerstreut die Hände in die Taschen seines königlichen Mantels, der aus denselben fließenden, glimmenden, sich stets wandelnden Kristalladern gewebt war, die er zuerst an den Klippen der Insel bemerkt hatte – und fand einen Bogen Papier, darauf stand ein Gedicht:

Wo dieses Eiland sich erhebt
voll milder Haine Blütenkosen
wird bald, da'S nach den Sternen strebt,
nur rauhe Meeresdünung tosen.

Doch mehrfach hundert Jahre Zeit
und Menschenkraft, Kunstfertigkeit
werden auf alter Felsenbahn
ragende Feste stolz errichten
bis an das Firmament hinan
auf Erden Streit und Krieg zu schlichten.

Wo das herkäme?, fragte Titania. Oberon stutzte – und erinnerte sich: In jener seltsamen Halle voll unbekannter Gerätschaften auf der Insel – hatte er den Bogen gefunden – neben einem der gläsernen Augen auf einem Tisch gelegen, Edgar hatte ihn zerstreut eingesteckt, und, als man ihn zum König der unterirdischen Reiche krönte, das Gedicht kurzerhand in seinem neuen Gewand verstaut, ohne weiter darüber nachzudenken...

 

Das Fleckchen Meeresgrund, auf dem die Insel Felsenburg stand, wurde später anscheinend Bauplatz für Curiepolis! Natürlich bedeutet das, dass Edgar und seine Reisegefährten vom Sturm über eine geradezu spektakuläre Strecke hinweg fortgewirbelt wurden - von Südamerika bis fast nach Japan. Im Märchen ist soetwas erlaubt.

Zum Schluss noch die Auflösung des "Bilderrätsels". Einige der Gemälde, die Annika et al. im Museum besichtigen, gibt es auch in unserer Hubblekugel. Hier sind sie:

 

Junges Glück, gnihi. (Naja, Glück: Das war'n – in der Zeit – fast nur arrangierte...) Die guckt so scheläugig-seitlich: Zieht ihn mit'n Augen... er eher unbeteiligt, schaut die Betrachterin an, irgendwie kühl (als ob er aus'm Bild raus...?)
Thomas Gainsborough: Mr. and Mrs. Andrews

 

Wie wär's mal mit'm Schlachtengemälde, zu charakterlichen Erquickung? Hier, sowas in der Art (Schlacht schon vorbei: großmütiger General, schulterklappst dem Verlierer seine Anerkennung (Brigadistinnen, merkt euch das!)). Ich frag mich. Was'n? Wieso der Pferdehintern so riesig im Vordergrund...?
Diego Velázquez: Die Übergabe von Breda

 

Abwechslungshalber: mal richtig idüllisch. Meinst? Find Eroi eher gruselig, fette Kleinkinder, auch noch geflügelt, denkt euch mal, wenn wirkliche Kleinkinder fliegen könnten – musume hätt' keine Ruhe davon, wie Bremsen, aber mit Qäääkstimmen und der Neigung, aus luftiger Höhe Speichel && Nahrungsbrei && Schlimmeres abzuwerfen... Eroi
Peter Paul Rubens: Der Liebesgarten

 

Diese hier nehmen'S dann wohl nich ernst genug? Hauen auf'n Putz nach all'n Regeln der Barockkunst. && S Mädel als Ruhepo(l) mittdrin. Die passt da gar nicht rein, Anmut in Person (zumindest, bis ihr einer in'n Ausschnitt reiert), leuchtet direkt – ausstaffiert als Prinzessin (allerdings bissel scheppe Augen).
Jacob Jordaens: Der König trinkt

 

Lassen'S eher ruhig angehen: Abwechslung. Zu ruhig? – haben alle sowas Valiumeskes. Du, das'S ne Theateraufführung, so ne Salonkomödie. Der Kerl als jung-fescher Jägersmann kostümiert, sie spielt wohl 'ne Schäferin. (|| Gänsehirtin? Wär auch mgl., sieht ja auch irgendwie wie'n Gänschen aus: In Hinterföhren gab's in meiner Klasse eine, die hatte auch so'n leeren Ausdruck inner Schnute...)
Antoine Watteau: Liebe im französischen Theater

 

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Fabian Herrmann, 2016 ‒ 17

 

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