IN VOLLEN ZÜGEN GENIEßEN
REISEN MIT DER BAHN . . .
und wohin sie führen können
Die Weltgeschichte ist wie ein Reisebüro:
Es gibt Auskunft über Züge und Anschlüsse;
die Fahrkarte mit dem Ziel lösen die Reisenden.

[Transandenbahn] [Delagoabaaibahn] [Transsib] [Bagdadbahn]
von Antofagasta nach Oruro - - - - von Pretoria zur Delagoabaai - - - - von Moskau nach Port Arthur - - - - von Istanbul nach Bagdad
[Djiboutibahn] [Murmanbahn] [Benguelabahn]
von Djibouti nach Addis Abeba - - von Murmansk nach Leningrad - - - - - - von Lobito nach Kolwezi

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

(Fortsetzung von Teil I)

Wahrscheinlich habt Ihr, liebe ältere Leser, in Euren Geschichts- und Märchenbüchern über Ursachen, Verlauf und Folgen des Ersten Weltkriegs eine Menge blühenden Unsinns gelesen. Die letzten beiden Punkte wollen wir hier einmal beiseite lassen und uns auf den ersten konzentrieren. Sicher habt Ihr von allerlei guten und gewichtigen Gründen gehört, die den Krieg unausweichlich machten: Die Revanche-Gelüste der Franzosen, pardon, ihr berechtigter Wunsch, Elsaß-Lothringen wieder an sich zu reißen, der Panslawismus der Serben und Russen, der zum Attentat von Sarajewo führte, und vor allem natürlich der Imperialismus der bösen Deutschen und Österreicher. Wollen wir uns diese schönen Gründe mal der Reihe nach vornehmen: Ja, die Franzosen gelüstete es nach Elsaß-Lothringen - aber alleine hätten sie niemals gewagt, das Deutsche Reich anzugreifen, so unvorsichtig waren ihre Politiker denn doch nicht. Ja, die Russen schürten den "Panslawismus" - der freilich nur bei solchen Völkern gut ankam, die weit weg waren und die Russen nicht so genau kannten (die Ukrainer und Polen z.B. wußten es besser - und die nicht-slawischen Völker unter russischer Herrschaft erst recht), wie die blöden Serben und noch ein paar andere Balkanesen. Aber auch die Russen, gerade von den Japanern schwer geschlagen und von einer inneren Revolution geschwächt, hätten nicht gewagt, das Deutsche Reich anzugreifen - auch nicht im Bündnis mit Frankreich. Ja, die Deutschen - allen voran ihr letzter Kaiser - hatten Weltmacht-Ambitionen; aber die richteten sich ganz auf Übersee (vor allem auf die portugiesischen Kolonien in Afrika - aber das ist eine andere Geschichte); in Europa waren sie schon seit Bismarcks Zeiten "saturiert". Und die Österreicher? Die waren heilfroh, daß die bosnischen Serben ihnen die schmutzige Arbeit abgenommen hatten, ihren mehr als unerwünschten Thronfolger Franz-Ferdinand um die Ecke zu bringen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn dieser Kerl einst Kaiser geworden wäre: Er wollte aus dem Habsburger Reich eine Art Bundesstaat machen, mit Gleichberechtigung für alle Völker - germanische, madyarische und slawische. Daß das nie und nimmer gut gegangen wäre, wußte jeder. (Die Leute waren damals in diesem Punkt noch nicht so [ver]dumm[t] wie heute :-). Wer also hatte Interesse an einem Weltkrieg? Natürlich, der Pöbel auf der Straße - der war in allen Nationen dafür, so wie er heute für Fußball-Länderspiele ist -; aber welcher halbwegs gescheite Politiker konnte das wollen und warum?

Die gescheitesten Politiker der Welt saßen damals in London - jedenfalls hielten sie sich für die gescheitesten (und das tun sie heute noch - aber vielleicht ist das nur ein allgemeiner Zug aller Politiker :-). Sie hatten den Burenkrieg gewonnen und damit fast die gesamte Trasse zusammen [Karte der Arabischen Halbinsel] für ihre geplante Bahnlinie von Kairo nach Kapstadt. Fast, denn dazwischen lag - wir erinnern uns - das deutsche Schutzgebiet Ostafrika. Das war ärgerlich, aber das Problem ließ sich vielleicht umgehen - oder umschiffen, seit man durch den Suez-Kanal (den sich die Engländer in den 1870er Jahren unter den Nagel gerissen hatten - aber das ist eine andere Geschichte) relativ schnell ein paar Kriegsschiffe dorthin schicken konnte. Ja, der Suez-Kanal war verdammt viel wert, denn damit konnte man den seit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken anno 1453 verriegelten Landweg nach Indien umgehen, pardon umschiffen, ohne den riesigen Umweg rund um Afrika zu machen. Das dauerte auch nicht länger als ein Waren- oder Militär-Transport auf dem Landweg mit Kamelen und Viehwagen. Doch nun lebte man im Zeitalter der Eisenbahnen. Na und? Hätte es eine Bahntrasse gegeben, die Kontinental-Europa mit Asien verband - und sei es nur bis zum Schatt-el-Arab, also etwa nach Fao (dem Hafen von Basra) -, dann hätte man über den Persischen Golf, den Golf von Oman und das Arabische Meer in der halben Zeit nach Indien gelangen können wie selbst durch den Suez-Kanal, das Rote Meer und den Golf von Aden! Aber eine solche Verbindung gab es zum Glück nicht. Zwar war schon anno 1883, also ein Jahr nach der Besetzung Ägyptens durch die Briten, der so genannte "Orient-Express" von Mitteleuropa (Paris, Berlin und Wien waren angeschlossen) bis nach Istanbul gefahren, aber von dort ging es nicht weiter, denn das Taurus-Gebirge stellte - jedenfalls für türkische Ingenieure - ein unüberwindbares Hindernis dar. Gut so.

Die dümmsten Politiker der Welt saßen damals (und böse Zungen behaupten: sitzen auch heute noch) in Berlin. Da kam nun jemand auf die Schnapsidee, [Karte der Bagdadbahn] daß die Deutschen den Türken (der heutige Irak gehörte damals noch zum Osmanischen Reich) eine Bahnverbindung zwischen Stámbul und Baģdād (das Ihr doch bitte nicht wie die Engländer "Baghdad" schreiben und erst recht nicht so aussprechen wollt; das "ģ" ist ein harter Reibelaut, ähnlich dem griechischen "Gamma" oder dem Berliner "r", genau wie das in Afģānistān) bauen - und ihnen dafür auch noch eine Konzessionsabgabe zahlen - müßten. Baģdād (was übrigens "Gartenstadt" bedeutet) war wiederum mit Basra verbunden - der Weg nach Indien wäre frei gewesen, oder wenigstens der Weg bis zum Indischen Ozean. Vielleicht (Dikigoros ist sich nicht sicher) steckte sogar Kaiser Wilhelm II höchstpersönlich hinter dieser Idee. Er hatte bereits 1898 eine große "Orientreise" absolviert (die seinen Ruf als "Reisekaiser" begründete :-), hauptsächlich in Länder des Osmanischen Reiches, und dabei keine Gelegenheit ausgelassen, sich als großer Freund aller Mohammedaner aufzuspielen. Wie dem auch sei, in England (wo man auch Indien, die "Perle des Empires", zu den mohammedanischen Ländern zählte) schrillten sämtliche Alarmglocken: Nun konnte nur noch eine besonders starke Flotte verhindern, daß die deutschen Imperialisten sich am "freien" Welthandel auch in Fernost beteiligten! Am 5.3.1903 (schon wieder eine Geschichtszahl, und schon wieder eine, die man sich unbedingt merken sollte) wird der Vertrag über den Bau der Bagdadbahn unterzeichnet. Ein paar Wochen später erscheint in dem englischen Magazin "Jane's Fighting Ships" ein Artikel über die Notwendigkeit, "Großkampfschiffe" eines ganz neuen Kalibers (10 x 30,5-cm-Kanonen statt wie bisher maximal 4 x 28 cm - genau genommen je fünf Geschütztürme mit Zwillingsrohren) zu bauen; ein Jahr später beauftragt der Erste Seelord Fisher die Ingenieure, mit den Konstruktionsplänen zu beginnen; ein weiteres Jahr später ist das kostspielige Projekt durch die Haushaltsdebatte im Parlament gepeitscht, und wieder ein Jahr später - im Dezember 1906 - ist das erste dieser neuen Großkampfschiffe fertig. "Dreadnought [Fürchtenichts]" heißt es, und die nächsten neun dieser Kolosse liegen bereits auf Kiel und laufen bis 1911 vom Stapel.

Da beginnt es den Deutschen allmählich mulmig zu werden - denn gegen wen könnte sich diese Flottenrüstung wohl richten? Die Engländer haben doch gar keine Feinde mehr: Mit ihren alten See-Rivalen Frankreich und Rußland sind sie inzwischen ausgesöhnt, ja verbündet, und mit Deutschland doch immerhin irgendwie befreundet - oder? Sind die Europäer nicht alle eine große Familie? "Blut ist dicker als Wasser" stand auf einem Spruchband, mit dem Kaiser Wilhelm anno 1907 auf einer England-Reise begrüßt wurde. (Der Satz gefiel ihm so gut, daß er ihn später ausgiebig zitierte, so daß er schließlich zum geflügelten Wort wurde.) King George V, Kaiser Wilhelm II und Tsar Nikolaj II sind Vettern (Queen Victoria war ihrer aller "liebste Großmama", wie "Willy" und "Nicky" sie in ihren Briefen anredeten), da wird man doch nicht... Aber sicher ist sicher, also beginnen auch die Deutschen, ein paar dieser großen Pötte nachzubauen. Ein Aufschrei der Empörung erhebt sich in England: Die bösen, imperialistischen, Sauerkraut fressenden Hunnen (diesen Schimpfnamen haben die Deutschen weg, seit die englischen Propaganda-Blätter eine harmlose Abschiedsrede von Kaiser Wilhelm an deutsche Marinesoldaten, die den Engländern in China die Kartoffeln aus dem Feuer holen sollten, falsch wieder gegeben haben) rüsten auf, um die friedliebenden Engländer heimtückisch zu überfallen - oder jedenfalls, um zu verhindern, daß die friedliebenden Engländer sie - äh... wie drückt man das denn heute politisch korrekt aus? - zur Raison rufen, sagen wir es mal so. Sofort setzen die Engländer noch eins drauf, d.h. gleich mehrere: Die neue Orion-Klasse (nach der mehr als ein halbes Jahrhundert später ein "schneller Raumkreuzer" in der deutschen Fernseh-Filmserie "Raumpatrouille" benannt werden wird :-) bekommt 10 Kanonen vom Kaliber 34,5 cm, und die der neuen Queen-Elizabeth-Klasse (nach der I. Königin dieses Namens, die Englands Seemacht begründet hatte - die andere war noch nicht geboren) gar vom Kaliber 38 cm. Die Deutschen ziehen nicht nach - dennoch werdet Ihr das ganze in Euren Geschichts- und Märchenbüchern als "englisch-deutschen Flotten-Rüstungswettlauf" o. ä. wieder finden. Im Sommer 1914 ist das zwölfte und letzte Schiff der Orion-Klasse fertig - nun fehlt nur noch ein Vorwand, pardon Anlaß, pardon guter, völkerrechtlich einwandfreier Grund, um sie auch einzusetzen; ein paar Wochen später liefern ihn die Deutschen mit dem Einmarsch in Belgien; die Engländer nehmen ihn dankend an und erklären dem Deutschen Reich den Krieg. (Sie hätten auch einen anderen Grund gefunden - aber darauf kommt es nicht an. Jedenfalls wißt Ihr jetzt, warum die Belgier und Portugiesen ihr Kolonialreich in Afrika mitsamt der Benguelabahn vorläufig noch behalten dürfen: weil England sie als Verbündete im Krieg gegen Deutschland braucht.) Eine Woche später - lange bevor die Kampfhandlungen in Europa einsetzen - beginnt die englische Flotte mit der Beschießung von Daressalam in Ost-Afrika, dem Endpunkt der Eisenbahnlinie über Tabora nach Kigoma am Tanganjika-See, welche die Deutschen dort inzwischen unverschämterweise gebaut haben, in Konkurrenz zu den britischen Bahnen nach Mombasa und Beira. Die zu erobern wird eines der britischen Kriegsziele.

Pardon, liebe Leser, aber wir sind noch nicht ganz fertig. Hatte Dikigoros nicht geschrieben, daß in London gescheite Politiker saßen? Hätten die wirklich einen Weltkrieg gegen Deutschland riskiert, selbst im Bündnis mit Frankreich und Rußland, wenn das schon alles gewesen wäre? Nein, natürlich nicht! Die Geschichte war viel komplizierter, als Dikigoros sie bisher dargestellt hat. Das erste der großen neuen Schiffe war nämlich gar nicht die "Dreadnought"; es wurde auch nicht in England gebaut; und die Bewaffnung war zwar keine Neben-, aber auch keine Hauptsache. Nein, auch nicht die Größe oder die Wasserverdrängung. Natürlich muß ein Schiff umso größer sein, je mehr schwere Kanonen es tragen soll; aber man kann beliebig viele und große schwimmende Plattformen ins Meer setzen und sie mit beliebig vielen und großen Kanonen bestücken - wenn sie langsamer sind als die Schiffe der Feinde, werden sie immer nur nutzlos im Wasser herum dümpeln und jede Menge Kohle verbrauchen, bis sie irgendwann von einem vermeintlich schwächeren Gegner versenkt werden. Ausschlaggebend für die Schlagkraft einer Flotte ist also nicht die Größe ihrer Schiffe, sondern deren Geschwindigkeit. Als der Bau der "Dreadnought"-Klasse beschlossen wurde, machten britische Großkampfschiffe im Schnitt 14 Knoten, nur für kurze Zeit konnten sie eine Höchstgeschwindigkeit von 18-19 Knoten erreichen. (Wir erinnern uns, die erste Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth fuhr 20 km/h - aber das war ein gutes Menschenalter her!) Das war Fisher zu wenig; er wollte mindestens 21 Knoten; aber die ließen sich selbst mit den modernsten englischen Antriebsmotoren - den "Dreifach-Expansions-Maschinen" - nicht erreichen. Nun begab es sich, daß in den USA bereits mit den viel leistungsfähigeren Dampfturbinen experimentiert wurde. Aber waren die auch zuverlässig? Die britische Admiralität wollte selber nichts riskieren und schloß statt dessen ein Abkommen mit der privaten "Cunard Line", der größten angelsächsischen "Kreuzfahrt"-Gesellschaft der Welt: Sie finanzierte das Experiment, Schiffe von der Dimension der "Dreadnought"-Klasse mit amerikanischen Turbinen auszustatten, im Austausch gegen die Zusage, daß diese Pötte als "Hilfskreuzer" konzipiert und den Briten im Kriegsfall zur Verfügung gestellt wurden zum Transport von Waffen und Munition (und Tarnung durch ein paar blöde Zivilunken, die glaubten, auf Kreuzfahrt zu gehen). Ihr glaubt noch an das Märchen, liebe Leser, die Amerikaner seien in den Ersten Weltkrieg mehr oder weniger hinein geschlittert, weil die Engländer im Laufe der Jahre immer mehr Schulden bei ihnen gemacht hatten, die verloren gewesen wären, wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte? Ihr irrt: Die US-Regierung hatte selbstverständlich von den Verhandlungen zwischen der britischen Regierung und Cunard gewußt und sie im Interesse ihrer Wirtschaft gefördert. Damals schon wurde das Weltkriegsbündnis geschmiedet. (Nein, liebe Geschichts-Professoren, das ein Jahr zuvor geschlossene Abkommen zwischen der Hamburger Hapag, dem Bremer Lloyd und der IMMC des amerikanischen Bankiers Pierpont Morgan war etwas ganz anderes, nämlich eine bloße Kartell-Absprache von privaten Unternehmen ohne staatliche Beteiligung, nach der die Schiffe von Hapag und Lloyd künftig keine britischen und die von IMMC keine deutschen Häfen mehr anlaufen sollten.) Das erste Schiff der "Dreadnought"-Klasse, das 1906 vom Stapel laufen sollte, war ein anglo-amerikanisches. Es hieß... "Lusitania". Über den Verlauf des Krieges braucht Dikigoros nichts zu schreiben, das könnt Ihr anderswo nachlesen, auch und insbesondere über die Rolle, welche die "Lusitania" dabei spielte, z.B. hier.

[Lusitania-Poster der Cunard Line] [Die 'Lusitania' - der erste Dreadnought]

Dikigoros kann sich denken, daß einige Leser das für ziemlich weit hergeholt halten werden. (Obwohl er hier nur referiert hat, was 1923 anläßlich eines Schadensersatz-Prozesses in den USA wegen des Untergangs der "Lusitania" rechtskräftig festgestellt wurde.) Die Engländer hatten ein Motiv - na schön, das leuchtet ein. Aber warum sollten die Amerikaner den geplanten Bau der [Kaiser Wilhelm II und Präsident Teddy Roosevent, Karikatur] Bagdad-Bahn zum Anlaß nehmen, um ein Kriegsbündnis gegen die Deutschen zu schließen? Bestanden nicht damals noch zwischen den USA und dem Deutschen Reich im allgemeinen und zwischen Präsident Teddy Roosevelt und Kaiser Wilhelm im besonderen durchaus freundschaftliche Beziehungen? Das ist eine berechtigte Frage, die eine klare Antwort verdient, und die lautet: "nein". Für dieses Nein gab es einen ganz triftigen Grund, den Ihr freilich in Euren Geschichts- und Märchenbüchern von heute schwerlich finden werdet: Es ging - wie könnte es anders sein - wieder mal um eine Bahnlinie. Das, was für die Briten der 15.3.1903 war - der Tag, an dem die bösen deutschen Hunnen mit den Türken den Vertrag über den Bau der Bagdad-Bahn schlossen -, war für die Amerikaner der 13.2.1903 - der Tag, an dem die bösen deutschen Hunnen mit den Venezolanern den neuen Vertrag über die Bezahlung der "Großen Venezuela-Bahn" schlossen. Wahrscheinlich habt Ihr, liebe Leser, davon noch nie gehört; nicht einmal, wenn Ihr schon mit dieser Bahn gefahren sein solltet. Die Bezeichnung "groß" ist leicht übertrieben; die Strecke zwischen der Hauptstadt Caracas und Valencia war nicht einmal 200 km lang. Große strategische Bedeutung hatte sie auch nicht (deshalb will Dikigoros ihr hier nicht mehr widmen als diesen kleinen Exkurs); aber die deutsche Firma Krupp hatte sie nun mal auf Bestellung der venezolanischen Regierung gebaut, und nach dem Staatsstreich von 1898 wollte die neue Regierung die alten Staatsschulden nicht anerkennen und lehnte eine Bezahlung ab. Die hauptsächlich betroffenen Gläubiger waren deutsche und englische Unternehmen. Die Kriegsmarine beider Staaten begann, gemeinsam die venezolanischen Häfen zu blockieren. Die Venezoelaner brachten eines der britischen Blockadeschiffe im Hafen von Puerto Cabello auf, und als sie das im Dezember 1902 auch mit einem der deutschen Kriegsschiffe versuchten, schossen die zurück und zerstörten dabei ein altes, baufälliges Hafenfort, das ohnehin bald von selber eingestürzt wäre. Die USA rasselten sofort mit dem Säbel und drohten dem Deutschen Reich (nicht etwa Großbritannien) mit Krieg, wenn die Blockade nicht sofort aufgehoben würde. Die venezolanische Regierung bot den Deutschen zur Bezahlung die heutigen Urlaubern wohl bekannte Isla Margarita als Kolonie an - aber die Deutschen wollten Bargeld sehen. Am Ende einigten sie sich mit den Venezolanern, während die Engländer und Amerikaner (und Italiener, die sich auch noch irgendwie hinein gedrängt hatten, wie das so ihre Art war und ist :-) die Sache einem internationalen Schiedsgerichtshof unterbreiteten, vor dem sie unterliegen sollten. So ein gemeinsamer Mißerfolg verbindet - gegen die, denen man ihren Erfolg mißgönnt. Die USA blieben fortan ein Feind des Deutschen Reichs, zumal über 50% des venezolanischen Außenhandels künftig mit Deutschland, genauer gesagt mit Hamburg abgewickelt wurde - das war ja nicht der Sinn ihrer Intervention gewesen, sowas von Undankbarkeit! Der Geheimvertrag zwischen der britischen Regierung und der US-Firma Cunard war übrigens nicht die einzige Folge dieser "venezolanischen Schulden-Affaire", wie sie in den USA genannt wurde; sie gab außerdem den Ausschlag dafür, daß die USA den langen Streit im Senat, an welcher Stelle sie einen Verbindungskanal zwischen dem Atlantik und dem Pazifik bauen sollten - in Nicaragua oder in Kolumbien - zugunsten des letzten entschieden, das direkt an Venezuela grenzte. Sie zettelten eine Revolution an, deren Macher den Isthmos von Panamá zu einem von Kolumbien unabhängigen "Staat" erklärten, den die USA sofort anerkannten, sich die Kanal-Zone abtreten, pardon verpachten ließen und die dort von den Franzosen bereits begonnene Wasserstraße zuende bauten, die ihnen ein Vielfaches der Summen einspielen sollte, um die es den Engländern und Deutschen bei ihrem albernen Streit mit Venezuela gegangen war. Pünktlich zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde der Kanal fertig - aber das ist eine andere Geschichte.

Und die Folgen? Zu denen kommen wir gleich; erst muß Euch Dikigoros noch kurz berichten, wie es mit der Bagdad-Bahn [Medaille auf den Durchschlag des Taurus-Gebirges] weiter ging: Den deutschen Eisenbahn-Ingenieuren gelang 1915 - also mitten im Krieg - tatsächlich der Durchschlag des Taurus-Gebirges; dennoch wurde die Bagdadbahn nie fertig, denn die Engländer zerstörten die Gleise, die auf dem Gebiet des späteren Irak lagen - sie hatten also zumindest eines ihrer wichtigsten Kriegsziele erreicht. (Und Deutsch-Ostafrika bekamen sie auch - ihr Traum von der Bahnlinie Kairo-Kapstadt rückte also seiner Verwirklichung näher. Nur die deutsche Flotte, die sie auch gerne gehabt hätten, wurde von ihren bösen, imperialistischen Besatzungen versenkt, als sie ausgeliefert werden sollte. Und ihr allerwichtigstes Kriegsziel überhaupt, nämlich die Festigung ihrer Stellung als Wirtschaftsmacht Nr. 1 in der Welt, hatten sie nicht nur verfehlt, sondern sie sogar ganz verspielt - an die US-Amerikaner. Aber das konnten sie beim Abschluß des Lusitania-Kooperationsvertrags natürlich noch nicht wissen; einige merkten es auch 1918 noch nicht und führten ihre alte Kriegspolitik weiter bis zum Untergang des britischen Empire, aber das ist eine andere Geschichte).

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Nur ein Jahr, nachdem der Taurus-Durchschlag gelungen war, also 1916, wurde rund 3.000 km weiter südlich nach sage und schreibe 19 Jahren Bauzeit eine andere Bahnlinie fertig gestellt. Darf Dikigoros etwas weiter ausholen, um Euch zu erklären, warum die überhaupt gebaut wurde und warum es so lange dauerte, bis sie fertig wurde? Wenn Ihr ein anderes Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit", nämlich Von Meer zu Meer gelesen habt, dann wißt Ihr schon, daß die Franzosen - allein voran ein gewisser Ferdinand de Lesseps - Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Idee gekommen waren, einen Kanal von Port Said nach Suez durch die Sinaï-Wüste zu graben, um das Mittelmeer mit dem Roten Meer zu verbinden. Da sie aber auch sahen, [Karte Abessiniens mit Nachbarstaaten am Horn von Afrika] daß ein solcher Kanal praktisch wertlos wäre, wenn jemand anderes die Straße von Bab El Mandeb sperren konnte, die das Rote Meer mit dem Golf von Aden verband, kauften sie 1862 einem Danakil-Häuptling einen Streifen Wüste dortselbst ab mit einem Kraal namens Obok, und nannten ihn "Somalie française". Dazu bauten sie dann noch eine Hafenfestung namens Djibouti, die 1888 fertig wurde, und neun Jahre später begannen sie - im Einvernehmen mit dem Negus von Abessinien - mit dem Bau einer 700 km langen Eisenbahnlinie von eben jenem Djibouti ins Hochland, genauer gesagt zur Hauptstadt Addis Abeba. Ob der Negus da gut beraten war? Gewiß, es gab gute Gründe, eine solche Verbindung zu schaffen - fragt sich nur für wen. Darf Dikigoros aus dem Buch eines anderen Reisenden (Anton Zischka) zitieren: "Dschibuti ist Frankreichs einziger Hafen auf dem Weg vom Mittelmeer nach Madagaskar und Indochina... Bis zur Inbetriebnahme der Eisenbahn Dschibuti-Addis Abeba war Äthiopien abgeschlossener als Tibet, eigentlich nur mit dem Japan des 18. Jahrhunderts zu vergleichen. Und was für das Inselreich die Öffnung seiner Häfen durch Perry bedeutete, das war für Abessinien der Bau der Eisenbahn nach der Küste: eine geistige und wirtschaftliche ebenso wie eine politische Revolution." Ein guter Vergleich, findet Dikigoros, und wer seine Seiten über die besagte Öffnung Japans durch Perry und über die Öffnung Tibets durch Mao Tse-tung gelesen hat, weiß, was er damit meint. Aber vielleicht ist der Vergleich nicht ganz fair, denn die Franzosen hatten - anders als die US-Amerikaner in Japan und die Rot-Chinesen in Tibet - sicher nur friedliche Absichten. Doch wie das so ist: Es kann der frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Einer der vielen bösen Nachbarn der Franzosen (eigentlich hatten sie keinen, mit dem sie wirklich in Frieden gelebt hätten) waren die Italiener, die ihnen damals besonders böse waren, da sie ihnen Tunesien (das die Italiener selber gerne als Kolonie gehabt hätten) vor der Nase weg geschnappt hatten. Und die schickten sich nun an, Eritrea, Abessinien und Somalia zu einer schönen, großen Kolonie am "Horn von Afrika" zu vereinigen. War da etwa Gegenwehr zu erwarten seitens der Eingeborenen? Ach was, wie denn? Wie sollten jene primitiven Menschenfresser mit Pfeil und Bogen gegen die modernen Zündnadelgewehre der gut ausgebildeten Italiener ankommen? (Hätten die Italiener noch zwei Jahre gewartet, dann hätten die mit ihnen verbündeten Deutschen ihnen sogar die damals modernste Handfeuerwaffe, den Karabiner 98, liefern können.) Aber offenbar ging das doch - jedenfalls bei einem Gegner, der über eine Kampfkraft von Art und Güte verfügt wie eben nur die Italiener... Die Abessinier schlugen sie fürchterlich aufs Haupt; und die Italiener beeilten sich, die Unabhängigkeit "Ethiopiens" für alle Zeit anzuerkennen.

Unterdessen hatten auch die Franzosen ein paar kleinere Schwierigkeiten, u.a. daß ihnen irgendwann das Geld ausging. (Irgendwer hat mal behauptet, daß das "der teuerste Bahnbau der Welt" gewesen sei; aber der wußte noch nicht, was vergleichbare Projekte heutzutage kosten :-) Und wo bekamen sie Kredit? Müßige Frage für alle, die Dikigoros' schon erwähnte Seite über den Bau des Suez-Kanals gelesen haben: natürlich in London bei den hochherzigen Engländern, die sich dafür nur mal eben 40% der Aktien als Sicherheit abtreten ließen. Habt Ihr in Euren Geschichts- und Märchenbüchern gelesen, wie das mit der französisch-britischen Annäherung war, und dabei von der Beilegung der Faschoda-Krise anno 1898 und der "Entente cordiale" anno 1904 erfahren? Ja, gewiß, aber unter uns gesagt war beides einen Dreck wert, nachdem die mit England verbündeten Japaner gegen die mit Frankreich verbündeten Russen 1905 den Krieg um die Transsibirische Eisenbahn geführt hatten. Nachdem Euch Dikigoros bereits über die wahren Hintergründe des englisch-amerikanischen und des englisch-russischen Bündnisses gegen Deutschland aufgeklärt hat, will er die des französisch-britischen und des französisch-italienischen (ja, der Verrat Italiens am "Dreibund" fand nicht erst 1915 statt, wie einige noch immer glauben!) auch noch nachliefern: 1906 standen Briten, Franzosen und Italiener Gewehr bei Fuß, um einen Krieg um die Djibouti-Bahn zu beginnen (die noch gar nicht fertig war!) - die einzigen, die davon nichts bemerkten, waren die tumpen deutschen Diplomaten (und natürlich die ebenso tumpen deutschen Historiker, die es bis heute ignorieren). Dann entschieden sich die Politiker jedoch zu einem Freundschaftsvertrag, also zu einer vernünftigen Lösung (nein, Dikigoros schreibt bewußt nicht "zu einer friedlichen Lösung", denn wenn zwei oder mehr Mächte sich verbünden, tun sie das meist nicht aus Friedensliebe, sondern um gegen andere Krieg zu führen oder sich zumindest den Rücken für einen solchen frei zu halten): Die französische Regierung bezahlte die Schulden der Eisenbahn-Gesellschaft in London (und bekam dafür das 40%ige Aktienpaket), Italiener und Engländer erhielten volle wirtschaftliche Nutzungsrechte an der Bahn (die Deutschen sollten dagegen ausgeschlossen bleiben), und politisch verzichteten die drei Mächte für alle Zeit auf die Eroberung Abessiniens. Amen. Nun ist es aber so, liebe Leser, daß es ein "für alle Zeit" in der Geschichte nicht gibt. Die Zeit bleibt niemals stehen; auch nicht in Äthiopien, wo die Uhren - wie fast überall in Afrika - etwas langsamer gehen, oder in Italien, wo die Uhren - wie fast alles andere auch - fast immer unpünktlich sind. Seit Anfang der 1920er Jahre wurden die Italiener von einem "Duce [Herzog - der alte Titel der Herrscher von Venedig, im dortigen Dialekt "Doge" genannt]" regiert, pardon, das ist ja eine contradictio in adiecto, denn "regieren" kommt von "rex [König]", also sagen wir besser "geführt" (oder verführt?). Der führte eine neue Zeitrechnung ein. (Ja, liebe Leser, ähnlich wie Robespierre & Co. die Jahre statt ab Christi Geburt ab der französischen Revolution neu zu zählen begannen, so tat das auch Mussolini ab seinem Marsch auf Rom.) Mitte der 1930er Jahre schaute er mal wieder auf den Kalender und fand, daß es nach fast 40 Jahren endlich an der Zeit sei, für die Blamage von 1896 Rache zu nehmen. Und obwohl inzwischen auch die Abessinier Schießgewehre hatten, waren sie den italienischen Bombenflugzeugen, Panzern, Maschinengewehren, Flammenwerfern und Giftgasgranaten am Ende trotz aller Tapferkeit nicht gewachsen. Die Zahl der Opfer wurde nie genau festgestellt. Äthiopien wurde eine italienische Kolonie - "für alle Zeit", wie die Italiener meinten.

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Man hört und liest jetzt (nicht in den offiziellen Leerbüchern für den Geschichts-Unterricht an staatlichen Verblödungs-, pardon Bildungs-Anstalten, und auch sonst nicht immer - aber immer öfter :-), daß schon der Erste Weltkrieg, und insbesondere die alliierten Friedensdiktate, die in Versailles und anderen Pariser Vororten verbrochen wurden, den Keim zum Zweiten Weltkrieg in sich trugen. Das kann man so sehen - oder auch nicht. Dikigoros sieht da jedenfalls keinen zwingenden Zusammenhang: Die Alliierten hätten die Revision dieser unsinnigen Verträge (die ausnahmslos von allen im Reichstag der "Weimarer Republik" vertretenen Parteien gefordert wurde, von den Kommunisten nicht weniger vehement als von den Nazis; schließlich ging es um Wählerstimmen) auf friedlichem Wege zulassen können - wenn sie es denn ernst gemeint hätten mit ihrer Friedensliebe und all den anderen schönen Frasen, insbesondere dem "Selbstbestimmungsrecht der Völker"; und die Deutschen hätten ihrerseits auf eine Revision verzichten können - wenn das denn den Frieden bewahrt hätte. (Hätte es aber nicht, wie wir heute wissen: Die Angelsachsen waren längst zum neuerlichen Krieg gegen den lästigen Konkurrenten entschlossen, der sich mit seinem Autarkie-Programm und seinen Bartergeschäften erfolgreich aus dem maroden Welthandel - so nannte man damals das, was man heute "Globalisierung" nennt - ausgeklinkt und sie dadurch schwer geschädigt hatte); aber mit dem Ersten Weltkrieg hatte das schwerlich noch etwas zu tun. Gleichwohl gibt es schon eine schicksalhafte Verstrickung der beiden Kriege - nicht im Ausbruch, aber im Ausgang, und einmal mehr ist es eine Eisenbahnlinie, und einmal mehr lest Ihr davon in keinem Geschichtsbuch. Im Ersten Weltkrieg hatte Tsar Nikolaj II (den Dikigoros im Gegensatz zu dessen Vetter Wilhelm nicht "den letzten" nennt, denn er ist sich durchaus nicht sicher, ob es nicht nochmal Tsaren in Rußland geben wird - auch wenn sie sich vielleicht anders nennen werden) eine Eisenbahnlinie von seiner Hauptstadt Sankt Peterburg zur Barentssee bauen lassen, genauer gesagt nach Romanow an der Murman-Küste, dem einzigen ganzjährig eisfreien Hafen, den Rußland dort hatte. Geleistet wurde diese Knochenarbeit von deutschen Kriegsgefangenen, die dabei starben wie die Fliegen. (Habt Ihr mal etwas vom Bau der "Brücke am Kwai" gehört? So ähnlich - und schlimmer - müßt Ihr Euch das vorstellen.) Nicht, daß die russischen Machthaber mit ihren eigenen Leuten zimperlicher umgingen (oder umgehen) - aber die wären nur gestorben, ohne die Bahnlinie zustande zu bringen. 1916 wurde sie fertig, noch vor Ausbruch der Revolution, für deren Ausgang sie ebenso wenig eine Rolle spielte wie für den des Ersten Weltkriegs oder des Bürgerkrieges zwischen Rot und Weiß (der entschied sich entlang der Sibirischen Eisenbahn); der Treppenwitz der Geschichte ist vielmehr, daß diese tsaristische "Murmanbahn" den Zweiten Weltkrieg entschied - und dadurch das sowjetische Regime für ein weiteres halbes Jahrhundert an der Macht hielt.

Wahrscheinlich habt Ihr, liebe Leser in Dikigoros' Alter, in Euren Geschichts- und Märchenbüchern eine Menge blühenden Unsinns gelesen über Ursachen, Verlauf und Folgen des Zweiten Weltkriegs. Über den ersten Punkt braucht Dikigoros zum Glück nicht viel zu schreiben, denn der ist ja so klar und eindeutig, daß es schon an ein Gedankenverbrechen grenzen würde, ihn auch nur in Frage zu stellen, geschweige denn, andere Antworten zu geben als die Meinung der Herrschenden, pardon die herrschende Meinung sie vorschreibt: Der böse Nazi Hitler war ein Diktator, der die Juden unterdrückte und das friedliche Polen überfallen hatte; deshalb war es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit eines jeden demokratischen, friedliebenden und toleranten Volkes - also allen voran der Angelsachsen - ihm den Krieg zu erklären und die Deutschen, die Juden, die Polen und überhaupt die ganze Welt von ihm zu befreien. Vielleicht kennt Ihr noch nicht alle den schönen Schlager "Morgen sind wir tolerant" des demokratischen, friedliebenden, toleranten Holländers Robert Long, deshalb hat ihn Euch Dikigoros hier verlinkt. Wie heißt es da gleich: "Morgen glauben wir an Lügen, weil sie in der Zeitung steh'n..." Aber noch ist nicht morgen, unsere Geschichte spielt vielmehr im Gestern, also müssen wir noch einmal kurz zur Wahrheit zurück kehren, auch wenn das einigen Gutmenschen unangenehm sein mag. Ja, Hitler war ein Diktator. Allerdings war er in freien, demokratischen Wahlen an die Macht gekommen und hätte sich solchen jederzeit wieder stellen können - eine absolute Mehrheit wäre ihm bis zuletzt sicher gewesen. Dagegen hatten die Engländer da gewisse... äh, Probleme: In ihren Kolonien Südafrika und Indien waren bei freien, demokratischen Wahlen dummerweise (merke: die Wähler sind bisweilen so dumm, daß eine kluge Regierung, die nicht abgewählt werden will, sich hüten sollte, sie wirklich frei wählen zu lassen!) zwei Männer gewählt worden, die partout keinen "Befreiungs"-Krieg gegen Hitler-Deutschland führen wollten (sondern wenn, dann höchstens einen gegen England): James Barry Munnick Hertzog (der Führer der Nasionale Party) und Subash Chandr Bosh (der Führer des National Congress). Die Engländer setzten sie kurzerhand ab, warfen sie ins Gefängnis und setzten an ihrer Stelle Diktatoren, pardon Marionetten, pardon gute Demokraten ein, die Deutschland brav den Krieg erklärten. Und Churchill? Mr. Weinstein Kirchügel (findet Ihr diese Übersetzung befremdlich, liebe Leser? Aber wieso denn? Man muß solchen Namen doch einmal auf den Grund gehen dürfen - nicht nur bei dem Dichter Willi Schüttelspeer :-) stellte sich nur ein einziges Mal freien, demokratischen Wahlen, nämlich im Juli 1945, direkt nach dem gewonnenen Krieg. Das gab ihm natürlich einen gewaltigen Bonus bei den Wählern, und so war denn auch rund ein Drittel so dankbar, daß sie ihn wählten - die anderen zwei Drittel wählten freilich die Opposition an die Macht, pfui, wie undankbar...

Ja, Hitlers Wehrmacht marschierte in Polen ein (um den Völkermord an der deutschen Minderheit aufzuhalten - was ihm ja auch für gut fünf Jahre gelang); allerdings tat das auch Stalins Rote Armee. Und, störte das die Engländer? Aber nein - es störte sie ja auch nicht, daß Stalins Sowjet-Union Estland, Lettland und Litauen annektierte und die Rote Armee in Finnland einmarschierte. Wieso denn auch? "Onkel Joe" Stalin war doch ein braver, durch freie Wahlen an die Macht gekommener Demokrat, oder etwa nicht? Nein, nicht wie Hitler, aber jedenfalls nicht weniger als Weinstein. Und nach dem Krieg? Störte es die Engländer, daß Stalin die Hälfte Polens annektierte und den Rest Polens (und vier Fünftel Osteuropas) ein halbes Jahrhundert lang militärisch besetzte? Aber nein - noch 1989, als Stalins Epigonen all jene Gebiete wieder räumten, heulte Margaret Thatcher, die Epigonin Weinsteins auf dem Premierminister-Sessel, Tränen vor Wut und wollte Deutschland wieder den Krieg erklären - und nur weil US-Präsident George W. Bush, der Epigone Roosevelts, sie - anders als letzterer im Zweiten Weltkrieg den Weinstein - schmählich im Stich ließ, mußte sie davon Abstand nehmen (aber das ist eine andere Geschichte). Ja, Hitlers Nazis diskriminierten die Juden (nicht so sehr wie die Amerikaner ihre roten, gelben und schwarzen Minderheiten, aber immerhin); der "Holocaust" war allerdings 1939 noch lange nicht angelaufen, vielmehr glaubte Hitler, die Juden nach Palästina oder sonstwohin abschieben zu können. Das hörten die Engländer gar nicht gerne, deren Kolonie Palästina doch war. Ihre größte Sorge war, daß dort zu viele Juden einwandern könnten. Bereits 1922 hatte Weinstein - damals noch als Kolonialminister - in einem nach ihm benannten "White Paper [Weißbuch]" verlangt, die jüdische Einwanderung zu stoppen; 1930 hatte ein weiteres, nach seinem Kollegen Passfield benanntes Weißbuch das Verbot von Landerwerb durch bereits in Palästina ansässige Juden empfohlen. Dennoch stieg die Zahl der jüdischen Einwanderer nach Palästina besonders nach 1933 sprunghaft an (von ca. 5.000 im Jahr auf ca. 40.000 im Jahr), weil dieser böse Hitler sie massiv förderte - da fühlten sich die Araber doch bedroht und reagierten mit bürgerkriegsartigen Ausschreitungen, was wiederum die Engländer mit Recht beunruhigte. Was machten sie also als erstes, nachdem sie 1939 dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatten, mit den aus Hitler-Deutschland emigrierten Juden? Sie steckten sie als "Angehörige einer feindlichen Macht" kurzerhand in Konzentrationslager - lange bevor in Deutschland jemand auf diese Idee kam. Dann - 1940 - setzten sie die Vorschläge des Passfield White Books um. Und was machten die Engländer nach dem Krieg mit den aus deutschen und polnischen Konzentrationslagern "befreiten" Juden? Sie verfrachteten sie wie Vieh auf die berüchtigten Todesschiffe vor Cypern und ließ sie dort jämmerlich verrecken, weil sie um jeden Preis verhindern wollte, daß sie nach Palästina kamen. "Na und?" sagte kürzlich ein cynischer Brite, dem Dikigoros das vorhielt, "die Geschichte hat doch bewiesen, daß wir damals Recht hatten: Wären die Juden damals nicht nach Palästina gekommen, gäbe es heute keinen Staat Israel und kein Nahostproblem." Aha - auch Dikigoros lernt eben nie aus.

[Die Routen der alliierten Geleitzüge nach Murmansk]

Kommen wir zum zweiten Punkt, dem Kriegsverlauf - der ja eigentlich viel wichtiger ist als die Ursachen, denn er entscheidet darüber, wer ihn gewinnt und somit auch darüber, wer hinterher in den Geschichtsbüchern als böser "Verursacher" steht. ("Die Geschichtsschreibung ist der zweite Triumph des Siegers nach dem Kriege," schrieb einst der Schotte Bernard Montgomery, der für seine Siege gegen Rommel und andere böse Nazi-Deutsche zum Feldmarschall befördert und nach dem Kriege zum "Viscount of El Alamein" geadelt wurde; und er muß es gewußt haben, denn seine Kriegs-Memoiren zählen neben denen Weinsteins zu den bis heute am meisten gelesenen unter den vielen Geschichts- und Märchenbüchern über den Zweiten Weltkrieg.) Sicher habt Ihr von allerlei wichtigen Schlachten gelesen, von Dünkirchen, von Moskau, von El Alamein, von Stalingrad, von Kursk, vielleicht auch von der Luftschlacht über England und den Geleitzugschlachten im Atlantik, und Ihr habt gelernt, daß sie den Krieg entschieden hätten. Aber in Wahrheit sind verlorene Schlachten nie die Ursachen einer Kriegsniederlage, sondern vielmehr - wie letztere - die Folgen einer verfehlten Kriegs- oder Rüstungspolitik. Der Soldat an der Front gewinnt keine Kriege - er hat nur auszubaden, was unfähige Politiker und Generäle über seinen Kopf hinweg aushecken. (Zum Beispiel den Rußland-Feldzug, die größte politisch-strategische Fehlentscheidung Hitlers überhaupt. Hätte er statt dessen Stalin das rumänische Bessarabien [das heutige Moldavien] in den Rachen geworfen - was dieser als Preis für sein Stillhalten verlangt hatte - und nur ein Prozent der für den Rußlandfeldzug aufgewendeten Menschen und Materialien in die Unterstützung des anti-alliierten Aufstands im Irak gesteckt, wie es der deutsche Botschafter in der Türkei, sein Vorvorgänger v. Papen empfohlen hatte, hätte er dort mehr Öl haben können als in Rumänien und im Kaukasus jemals zu holen war; ganz abgesehen davon, daß ihm dann die ganze mohammedanische Welt, einschließlich des dann wohl auch befreiten Indiens, vor Dankbarkeit zu Füßen gelegen hätte, daß wir heute mit der Bagdadbahn von Berlin bis nach Indien durchfahren könnten und Dikigoros wahrscheinlich ein Kapitel seiner Reisen durch die Vergangenheit "von Köln bis Kålkattā" betitelt hätte - aber das ist eine andere Geschichte. Ihr meint, der Krieg gegen die Sowjet-Union sei unvermeidlich gewesen; wenn Hitler ihn nicht präventiv geführt hätte, dann hätte Stalin ihn begonnen? Mag sein; aber sicher ist das durchaus nicht, und manches spricht dagegen, dies z.B.: Anfang Dezember 1940 - also nachdem Molotow in Berlin mit seiner Mission gescheitert war, Hitlers Zustimmung zu sowjetischen Annexions-Wünschen in Finnland und Rumänien zu erlangen - was einige ja als auslösenden Moment für Hitlers Entscheidung zum Rußlandfeldzug ansehen - boten die Briten Stalin diese Zustimmung an: Die kriegswichtigen Nickelgruben zwischen Petsamo und Kirkenes - schaut bitte auf die Karte oben - befanden sich zivilrechtlich in Händen einer britischen-kanadischen Staatsholding. Churchill bot sie Stalin an, wenn dieser dafür die Material-Lieferungen an das Deutsche Reich einstellte. Stalin lehnte das Angebot ab und belieferte Deutschland bis zum Morgen des 22. Juni 1941 weiter.) Die Schlacht von Dünkirchen wurde verloren, weil Hitler sich weigerte, den Befehl zur Vernichtung des britische Expeditionskorps zu geben (von dessen Schonung er sich naïver Weise einen Friedensschluß mit seinen geliebten Engländern erhoffte); die Schlacht vor Moskau wurde verloren, weil die Japaner sich geweigert hatten, die Sowjet-Union in Sibirien anzugreifen; die Schlacht von El Alamein wurde verloren, weil Mussolini und Franco sich geweigert hatten, die britischen Kolonien Malta bzw. Gibraltar einzunehmen - was ihnen leicht möglich gewesen wäre; die Schlacht von Stalingrad wurde verloren, weil an den Flanken der deutschen Armeen Hilfstruppen aus Ungarn, Rumänien und Italien standen, die nicht kämpfen konnten oder wollten. Es war also allemal politisches Versagen oder Verrat der so genannten Verbündeten, das den Sieg kostete. Und warum gingen die Geleitzugschlachten im Atlantik verloren? Halt, liebe Leser, bevor Ihr Euch den Bären aufbinden laßt, die Ortung der deutschen U-Boote durch alliiertes Radar sei [see]kriegsentscheidend gewesen... In der so genannten Geschichts-"Wissenschaft" kommen die meisten falschen Antworten durch falsche Fragestellungen zustande. Wir müssen erst einmal fragen: Warum wurden die Geleitzugschlachten eigentlich geführt? Nun, die Sowjet-Union wäre unter den neuerlichen deutschen Angriffen 1942 wohl zusammen gebrochen, wenn nicht die USA ihre Ausrüstung mit Waffen, Munition und Verpflegung übernommen hätten. Und wie kam dieses Material von den USA in die SU? Richtig - über den Atlantik. Aber wie sollte es von dort an die Front kommen? Seht Ihr, und nun sind wir wieder bei der Murmanbahn, die inzwischen nach dem kommunistischen Revolutionär Kirow genannt wurde, zwischen Romanow, das inzwischen Murmansk genannt wurde, und Sankt Peterburg, das inzwischen Leningrad genannt wurde. Der gesamte kriegsentscheidende Nachschub lief über diese kleine Bahnlinie (am Ende sogar über eine noch kleinere Nebenstrecke an Leningrad vorbei - denn das letztere hatte die Wehrmacht abgeschnitten und belagert).

[Karte der Halbinsel Kola mit Murmanküste]

Aber warum unterbrachen die Deutschen denn diese Bahnlinie nicht, wenn sie so wichtig war? Die Antwort ist die gleiche wie bei Gibraltar, Malta und Stalingrad: Die lieben Verbündeten... Nein, liebe Leser, Dikigoros meint wieder nicht die Soldaten an der Front - die Finnen waren immer gut Freund mit den Deutschen und sind es bis heute geblieben -, sondern einmal mehr Politiker und Generäle. Der doppelte Treppenwitz der Geschichte ist nämlich, daß nicht nur eine tsaristische Bahnlinie, sondern auch ein tsaristischer General a.D. das [Karte Kareliens] Überleben der Sowjet-Union ermöglichte: Carl-Gustav Emil Mannerheim hieß er, und am Namen seht Ihr schon, daß er kein echter Finne war, sondern ein Angehöriger der einstigen schwedischen Kolonialmacht (freilich war sein Vater holländischer und seine Mutter französischer Abstammung, was einiges mehr erklären mag). Ein heimlicher Feind der Deutschen wie Franco und Horthy. Er war freilich "nur" Oberbefehlshaber der finnischen Streitkräfte und konnte nicht verhindern, daß Staatspräsident Ryti nach dem Überfall der Sowjets im "Winterkrieg" 1939/40 deutsche Hilfe in Anspruch nahm (alle anderen hatten das kleine Finnland schmählich im Stich gelassen) und sich 1941 am Rußlandfeldzug beteiligte - wenngleich nur als "Fortsetzungskrieg". Aber insgeheim intrigierte Mannerheim längst gegen Ryti, verhandelte praktisch seit Kriegsbeginn hinter seinem Rücken sowohl mit den Westalliierten als auch mit den Sowjets. Schon im September 1941 - also zwei Monate nach Kriegsausbruch - sabotierte er einen Angriff auf Kandalakscha an der gleichnamigen Bucht; im November 1941 stoppte er mit einem Geheimbefehl die Eroberung Kestengas, die unmittelbar bevor stand und den gleichen Effekt gehabt hätte: Der Rußlandfeldzug wäre nach einem Jahr beendet worden - vielleicht mit einem Separatfrieden, den Stalin Hitler damals wiederholt anbot, wie wir seit der Öffnung der sowjetischen Archive nach 1991 wissen, vielleicht sogar mit einem Sieg Deutschlands - dem Ihr, liebe Ewig-gestrige, bitte nicht nachtrauern wollt. Wie pflegte Dikigoros' Vater, der Rußland im Krieg erlebte und überlebte (an der Front, nicht in der Etappe), zu sagen: "Wenn wir diesen verdammten Krieg gegen die Iwans gewonnen hätten, säßen wir heute vielleicht in Wladiwostok oder sonstwo in Sibirien und hätten uns mit den gleichen Problemen herum zu schlagen wie die Israelis in der Westbank. Und das wäre es ja wohl nicht wert gewesen..." Das ist ein hartes Urteil, liebe Leser, aber Dikigoros teilt es, auch wenn der Rußlandfeldzug auf beiden Seiten noch an die 30 Millionen Menschenleben kosten sollte, während sich die Unterbrechung der Murmanbahn - wie die rechtzeitige Einnahme Dünkirchens, Gibraltars oder Maltas - vielleicht mit 3.000 hätte erkaufen lassen, weniger als während des Baus 1916 oder während der Geleitzugschlachten umgekommen waren. Aber so darf man nicht rechnen; pardon, so sollte man nicht rechnen - verboten ist es ausnahmsweise (noch) nicht. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Drei Wochen nach Mannerheims Verrat erklären die Westalliierten Finnland dennoch den Krieg; im August 1944 stürzt Mannerheim Ryti, im September schließt er einen Separatfrieden mit den Sowjets, unter deren Fuchtel Finnland fast ein halbes Jahrhundert bleiben wird. Bis heute gibt es dort kein ordentliches Eisenbahnnetz - aber das nur nebenbei.

Exkurs. Nun will Dikigoros seinen Lesern nicht verschweigen, daß es Reisende gibt, die eine andere Bahnverbindung denn die von Murmansk nach Leningrad als entscheidend für den Ausgang des Zweiten Weltkriegs halten, nämlich die von Ķhorramshahr nach Tährān in Persien. Er zitiert im folgenden aus "Vom Pfauenthron zum Dach der Welt" von Horst Eliseit, der sie im Jahre 1957 befuhr: "Diese Linie, [die] zu den kühnsten Gebirgsstrecken der Erde gehört, wurde 1938 eröffnet, nach dem Willen von Reza Schah Pahlevi, dem Vater des jetzigen Herrschers... Diese Bahn bekam im Zweiten Weltkrieg den Namen 'Brücke' des Sieges'. In vollgestopften Güterwagen rollten die amerikanischen Hilfslieferungen zur russischen Südfront: Geschütze, Panzer, Munition, Verpflegung, Treibstoffe, Bekleidung, Uniformen, Stiefel, Leder und Wolldecken. Und nicht nur die Bahn, ganz Persien war damals eine Brücke zwischen Alliierten. Die Strecke ist quer hindurch gestoßen durch Gebirgsketten, über die kein Saumpfad führt. Sie läuft durch Täler, die nie eines Menschen Fuß betritt. Sie folgt keinem von der Natur vorgezeichneten Weg, nicht dem Durchbruch eines Flusses, keiner Paßstraße, wie etwa die Bahnstrecken in den europäischen Alpen. Kein Pfad windet sich über diese südpersischen Gebirge. Nur die Bahn durchquert sie..." Ja, gewiß, diese Bahnverbindung gab es, und es stimmt auch, daß sie die einzige für Kriegstransporte brauchbare Überland-Verbindung vom Persischen Golf nach Tährān war. Aber was sollte das Zeug dort? Das war ja nicht mal ein Drittel des Weges bis nach Stalingrad, geschweige denn weiter westlich, als die Front von dort weg rückte. Deshalb hält Dikigoros nicht diese Eisenbahnverbindung bis nach Tährān für [mit] kriegsentscheidend, sondern vielmehr die Strecke danach - aber da kommen wir halt doch nicht so ganz ohne Paßstraßen aus, wie Eliseit sich das vorstellt, und deshalb schreibt Dikigoros darüber an anderer Stelle. Exkurs Ende.

* * * * *

Wahrscheinlich werdet Ihr, liebe ältere Leser, Euch noch mehr oder weniger genau an die Ereignisse erinnern, von denen Dikigoros Euch jetzt berichten will. Aber habt Ihr sie auch in diesem Zusammenhang gesehen? Oder vielleicht doch schon wieder vergessen? Was ist eigentlich aus den afrikanischen Eisenbahnen geworden? Nun, denen ging es nach dem Zweiten Weltkrieg erstmal gut, jedenfalls fuhren sie das Geld, das sie gekostet hatten, locker wieder ein. Dann aber passierten einige häßliche Dinge, von denen Ihr vielleicht schon in anderen Kapiteln von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit" gelesen habt: In den 1960er Jahren kamen kluge Politiker - die klügsten saßen mittlerweile in Washington - auf die Idee, daß die Länder der "Dritten Welt" vom Kolonialjoch der bösen Europäer "befreit" werden müßten, damit sie ihre reichen Bodenschätze künftig nicht mehr von denen, sondern von den edlen US-Amerikanern ausbeuten lassen konnten. Das reichste dieser Länder (jedenfalls solange es unter belgischer Kolonialherrschaft stand - heute ist es eines der ärmsten) war der Kongo. Habt Ihr Euch schon mal Gedanken darüber gemacht, warum manche "Befreiungs"-Kriege geführt werden? Wegen der Freiheit, gewiß. Aber Freiheit wessen wovon wozu? Die Freiheit, Handel zu treiben, mit wem er wollte, o.k. Die Freiheit, den bösen Nachbarn tot zu schlagen, wenn der das verhindern wollte, auch o.k. Und vielleicht auch den bösen Nachbarn tot zu schlagen, um zu verhindern, daß der etwa auch Handel treiben und einem selber Konkurrenz machen würde. Tja, und wenn alle Nachbarn so denken... Der Reichtum des Kongo konzentrierte sich in der südlichen Provinz Katanga. Weshalb? Gab es nur dort Bodenschätze? Falsch - aber nur dort gab es die Benguelabahn, mit der sie an die Küste transportiert und auf dem Weltmarkt verkauft werden konnten. Unterschieden sich die Eingeborenen Katangas stärker von den übrigen Völkern und Stämmen des Kongo als andere? Ach was. Waren die Leute auf der Gegenseite böse Kommunisten, Kolonialisten, Imperialisten, Terroristen? Ja, schon. Aber scherte das im Endeffekt irgend jemanden? Kaum. Als die USA sicher gestellt hatten, daß die künftigen Diktatoren der Zentralregierung die Bodenschätze Katangas an sie verkaufen würden und daß die Portugiesen den Transport derselben durch Angola nach Benguela bzw. Lobito gewährleisten würden (nur aus diesem einen lukrativen Grund hielten die Portugiesen überhaupt noch an ihren ansonsten stark defizitären Übersee-Provinzen fest), war das Schicksal Katangas, der Neger, der Belgier und Franzosen, die es verteidigen wollten, besiegelt. Das war 1965. Fünf Jahre hatte der Bürgerkrieg gedauert; es war der bis dahin schlimmste, von dem die afrikanische Geschichte wußte - niemand ahnte, daß es erst der vergleichsweise harmlose Anfang war. Ohne die Benguelabahn aber wäre dort bis heute kein Tropfen Blut geflossen, weil seine Bodenschätze ohne sie keinen Tropfen Blut wert gewesen wären. Ihr glaubt das nicht, liebe Leser? Viele Leute, die sich besser auskennen im Kongo als Dikigoros, teilen seine Meinung, von dem berühmten Afrikaforscher Stanley - der ihren Bau mit erlebt hat - bis zu Valérien Ngoy, bei dem Ihr, so Ihr des Französischen mächtig seid, das alles noch etwas ausführlicher nachlesen könnt.

[Benguelabahn]

Weiter im Text. 1967 und 1973 führten Israelis und Araber Krieg gegeneinander. Danach wurde der Suez-Kanal gesperrt und somit praktisch wertlos. Na und? Was geht denn das die Eisenbahnen an? Erinnert Ihr Euch, warum die Franzosen sich damals Djibouti unter den Nagel gerissen hatten, den Endpunkt der Eisenbahnlinie nach Addis Abeba? Seht Ihr, und der war nun auch nichts mehr wert. Bis 1973 wäre jeder Versuch, Haile Selassie, den braven Negus von Äthiopien (den die Engländer prompt wieder eingesetzt hatten, nachdem sie das Land im Zweiten Weltkrieg von den Italiener "befreit" hatten) zu stürzen, mit einer militärischen Intervention der edlen Demokratien des Westens beantwortet worden - war er doch ein guter Monarch und Freund des Westens. (Einige meinten zwar, er sei vielmehr ein korrupter Diktator und heimlicher Menschenfresser; aber so ein paar Neidhämmel gibt es ja immer und überall :-) Doch nun, nachdem der Suez-Kanal dicht und die Ölgesellschaften dazu übergegangen waren, ihr Öl mit neuartigen Riesentankern zu transportieren, die eh nicht mehr durch den Kanal gepaßt hätte, putschten die Militärs. Wer rührte noch einen Finger für den Negus? Kein Schwein. Besserte sich etwas? Keine Ahnung. Herrscht gerade mal wieder Bürgerkrieg in Äthiopien? Gut möglich, aber wen schert's? Oder ein Grenzkrieg mit Somalia und/oder Eritrea? Dto. Vergeßt es, liebe Leser, vergeßt es. (Und Ihr, liebe italienische Leser, seid bitte nicht allzu schadenfroh :-) Die Djibouti-Bahn? Die ist natürlich längst zerstört; und 1977 entließ Frankreich seine nun wertlose Kolonie Djibouti großzügig in die Unabhängigkeit. Anno 2001 beschlossen die Brüsseler Eurokraten in ihrer unergründlichen Weisheit, Äthiopien 30 Millionen US-$ zu schenken, um sie bis 2004 wieder aufzubauen; seitdem hat man von diesem löblichen Vorsatz nichts mehr gehört.

[Nein, liebe Leser, die Ihr mit Recht angefragt habt, das ist nicht die ganze Wahrheit; ohne Grund investiert der Westen sein Geld natürlich nicht in Äthiopien - schließlich hat er ja auch dafür gesorgt, daß das Mengistu-Regime gestürzt wurde; ganz wertlos können die Länder zwischen dem Suez-Kanal und dem Horn von Afrika also doch nicht sein - oder? Richtig, und da das etwas ist, das Ihr nicht in den "normalen" Nachrichten oder der Tagespresse vorgesetzt bekommen habt, will Dikigoros es an dieser Stelle kurz nachtragen: Anfang der 1990er Jahre kam jemand auf die Idee, daß es doch Zeit- und Geldverschwendung sei, mit großen Tankern rund ums Kap der guten Hoffnung zu fahren, bloß weil der Suez-Kanal für diese Tanker zu flach war. (Breit genug war er ja, jedenfalls wenn man ihn nur abwechselnd in einer Richtung befahren ließ.) Die Lösung war ganz einfach: Man baute eine Pipeline parallel zum Kanal - das war nur gut 100 Meilen - und dazu eine Pumpstation. Wenn die Riesentanker in Suez ankamen, wurde das Öl durch die Pipeline nach Port Said gepumpt, der Tanker fuhr unbeladen durch den Kanal - das war kein Problem, weil er dann ja kaum Tiefgang hatte - und nahm das Öl am anderen Ende wieder in Empfang, voilà. Nun mußte man die Äthiopier also wieder bei der Stange halten - und tat das auch; ob die reichlich sprudelnde Entwicklungshilfe dabei tatsächlich für den Bahnbau u.a. löbliche Projekte verwendet wurde oder auf den Nummernkonten irgendwelcher korrupter Politbonzen landete, danach fragte und fragt allerdings niemand, und deshalb will Dikigoros auch nicht mit mehr als diesem kleinen Exkurs vom eigentlichen Thema dieser "Reise durch die Vergangenheit" abweichen.]

Aber wir wollen nicht vorgreifen - wo waren wir gleich stehen geblieben? 1973 Yom-Kippur-Krieg, 1974 Sturz des Negus, 1975 Nelkenrevolution in Portugal... Stopp, da war doch was? Richtig, eine Bahnlinie nach Benguela in Angola und eine zur Delagoabaai in Mosambique. Diese beiden Übersee-Provinzen wurden nun natürlich "unabhängig"; und prompt begannen die Bürgerkriege. Warum und worum eigentlich? Um Freiheit, Selbstbestimmung, Ismen und Bodenschätze? Ja, auch in Angola gab es die - aber hatten wir das nicht schon mal? Bei der Atacama-Wüste, bei Transvaal, bei Sibirien und bei Katanga mögt Ihr noch an Dikigoros' Worten gezweifelt haben, liebe Leser; aber bei Angola kann es eigentlich keinen vernünftigen Zweifel mehr geben; denn in jenem Bürgerkrieg wurde in keiner Fase um Minen, Bergwerke oder Fundstätten gekämpft, sondern... dreimal dürft Ihr raten. Richtig: um die Gleise der Benguelabahn. Nach fünf Jahren war keine einzige Schiene mehr heil. Dann, 1980, kamen in Rhodesien schwarze Terroristen an die Macht. Das war für die Rhodesier schlimm (nicht nur für die Weißen, sondern auch und gerade für die Schwarzen), nicht aber für seine Nachbarn, z.B. für Zambia. Dort waren auch schwarze Terroristen an der Macht, und solange in Salisbury die Weißen herrschten, waren die Grenzen auch für den Warentransport über die Bahnlinie nach Beira gesperrt gewesen. Das änderte sich nun mit einem Schlag: Aus Rhodesien wurde Zimbabwe (eine Ruine - nomen atque omen!), und die Züge rollten wieder. Plötzlich war die Benguela-Bahn so uninteressant geworden wie Djibouti nach der Schließung des Suez-Kanals. Der Bürgerkrieg in Angola schlief ein. Und der in Moçambique? Nun, die Frage ist nicht schwer zu beantworten: Als auch in Südafrika schwarze Terroristen an die Macht kamen, arrangierten sich die sehr schnell mit den schwarzen Terroristen, die in Maputo (so hieß das alte Lourenço Marques inzwischen) an der Macht waren, und die Züge der Delagoabaaibahn rollten wieder. Friede, Freude Eierkuchen - und Hungersnot; denn die Erlöse all der schönen Exporte landeten auf Schweizer oder Lichtensteiner Nummernkonten der Negerhäuptlinge; und als der letzte Weiße enteignet oder ermordet war, gab es auch nichts mehr zu verteilen. Aber diese traurige Wahrheit werdet Ihr in Euren politisch korrekten (und daher sachlich unkorrekten) Geschichts- und Märchenbüchern wohl nie zu lesen bekommen. Überflüssig zu erwähnen, daß es ohne den Bau der Delagoabaaibahn nicht zur Tragödie Rhodesiens gekommen wäre. Soll Euch Dikigoros etwas verraten? In Europa ist es nur deshalb so lange zu keinem echten Krieg mehr gekommen, weil die Eisenbahn dort ihre führende Rolle als Transportmittel für Güter und Personen verloren hat. Um Autobahnen führt man keine Kriege, um Luftrouten auch nicht. (Um Wasserstraßen vielleicht doch - aber das ist eine andere Geschichte.)

Die Bürgerkriege in Schwarzafrika seit der glorreichen "Befreiung vom Kolonialjoch" haben mit mehr oder weniger kurzen Unterbrechungen bis heute angedauert: im Kongo, in Nigeria, in Angola, in Mosambique, in Ruanda, in Burundi, in Rhodesien... Und sie haben inzwischen mehr Todesopfer gefordert als der Zweite Weltkrieg. Gewiß, das ist nicht so schlimm, denn Bevölkerungsverluste bemessen sich nicht nur nach der Zahl der Getöteten, sondern auch nach der Zahl der Nicht-Geborenen; und die schlimmsten Folgen des Zweiten Weltkriegs in Europa waren nicht militärischer oder wirtschaftlicher, sondern sozialer und moralischer Natur: Da Hitler und die Nazis das Kinderkriegen befürwortet hatten und den Krieg verloren, mußte auch das Kinderkriegen schlecht sein und als "nazistisch" geächtet werden - wie alles andere, was sie propagiert hatten. Den europäischen, aber auch den nordamerikanischen Frauen wurde beigebracht, die Kindestötung im Mutterleib nicht als einen Verlust, sondern vielmehr als eine "Befreiung" zu empfinden von der Last, schwanger zu sein und Erziehungsarbeit (und womöglich auch noch Konsumverzicht!) leisten zu müssen. Abtreibung nach Belieben wurde nicht nur erlaubt, sondern sogar von Staats wegen gefördert, indem er einen gesetzlichen Anspruch auf ihre Finanzierung durch die Krankenkassen schuf. (Ja, Schwangerschaft ist eine Krankheit, und von ihr "genesen" bedeutet nicht mehr, wie früher, einem Kind das Leben schenken, sondern einem Kind das Leben nehmen!) Kein noch so brutales Regime in der Menschheitsgeschichte war oder ist verbrecherischer und (selbst-)mörderischer als der "Rechtsstaat", der nach 1945 überall in Europa an die Stelle der "Diktatur" getreten ist. (Ja, überall, denn auch die sowjetischen Satelliten-Staaten in Osteuropa gewährten ihren Untertanen dieses "Recht" - wenngleich z.B. im katholischen Polen erst nach der "Befreiung" von 1990 in größerem Umfang davon Gebrauch gemacht wurde.) Nicht der millionenfache Tod der Männer und Frauen und Kinder im Krieg bewirkte das Aussterben der Europäer, sondern der milliardenfache Mord an ihren ungeborenen Kindern im Frieden wird es bewirken, denn Tote kann man ersetzen - nur wenn man letzteres versäumt, gehen die Lichter endgültig aus. (Dies, liebe Leser, ist übrigens das einzige "endgültig" in der Geschichte - vielleicht ist die Christenheit dem "jüngsten Tag" schon näher als sie glaubt!) Dagegen haben sich die Schwarzafrikaner (und die Muslime - die brauchen kein "jüngstes Gericht"!) ihre Fruchtbarkeit und Kinderliebe durch alle Wechselfälle ihrer Geschichte bewahrt: Sie empfinden Kinder weiterhin nicht als Last, sondern als Lust und als willkommene Bereicherung ihres Lebens und Sterbens, denn die können etwa ab dem 5. Lebensjahr Kinderarbeit leisten und etwa ab dem 10. Lebensjahr Soldaten spielen, wenn sie männlichen, und Prostituierte, wenn sie weiblichen Geschlechts sind; und etwa ab dem 13. Lebensjahr können sie selber Eltern werden - also immer weiter so! Immer weiter so? Nein, in der Geschichte gibt es kein "immer"; und weniger als ein halbes Jahrhundert nach der "Befreiung" sollte etwas kommen, das den Schwarzafrikanern viel gefährlicher wurde als die europäische Kolonialherrschaft, ja sogar als die "Befreiung" von ihr: AIDS heißt das Zauberwort - aber das ist eine andere Geschichte.

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Wahrscheinlich werdet Ihr, liebe jüngere Leser, dereinst in Euren Geschichts- und Märchenbüchern eine Menge blühenden Unsinns zu lesen bekommen (wie jetzt schon in den Gazetten) über Ursachen, Verlauf und Folgen des Irak-Krieges. Die letzten beiden Punkte wollen wir hier einmal beiseite lassen und uns ganz auf den ersten konzentrieren. Sicher habt Ihr schon jetzt von allerlei guten und gewichtigen Gründen gehört, die den Krieg unausweichlich machten: Saddam Hussein war ein böser Diktator (wie Hitler - das beweist schon der Schnurrbart :-), der seine Minderheiten brutal unterdrückte, einige davon sogar vergaste - das war Völkermord -, und der Massenvernichtungswaffen besaß (oder auch nicht, aber sie jedenfalls entwickeln wollte), gegen die V1 und V2 harmlose Spielzeuge waren. (Cynische Menschen fügen hinzu, daß es überdies im Irak jede Menge schönen Erdöls gibt; aber das kann wohl kein Grund für einen Krieg gewesen sein; denn der Irak exportierte schon vor dem Krieg rund zwei Drittel seiner Fördermenge zu Dumping-Preisen an die Angelsachsen; und wenngleich das Argument, daß die Ölquellen und Pipelines in westlicher Hand besser aufgehoben sind als in irakischer, nicht von der Hand zu weisen ist - das gilt doch für die in Sa'udi-Arabien und den anderen Mullah- und Scheichtümern des Nahen Ostens genauso oder noch mehr!) Allerdings halten auch die anderen Gründe einer näheren Überprüfung schwerlich stand: Saddam Hussein könnte sich jederzeit freien, demokratischen Wahlen stellen [was er in der Tat mit Hitler (und Schwarzenegger :-) gemeinsam hat - und was ihn von Rosenfeld, Weinstein, Bush und Blair unterscheidet, die nur mit Wahlkampflügen, Wahlfälschungen oder Koalitions-Intrigen an die Macht kommen und sich dort halten konnten], wenn man solche denn im Irak zuließe; und im übrigen sollte man ihm einen Orden dafür verleihen, wie er mit den kommunistischen Kurden und den radikal-islamischen Shiïten in seinem Lande fertig geworden ist. Nein, es muß wohl einen anderen Grund gegeben haben, weshalb knapp sechs Jahrzehnte nach Mannerheims Verrat an seinem langjährigen Freund und Verbündeten Hitler die westlichen Politiker ihren langjährigen Freund und Verbündeten Saddam Hussein verraten haben - aber welchen?

Erinnert Ihr Euch noch? Am 5.3.1903 wurde der Plan der Bagdadbahn unter deutscher Federführung beschlossen. 99 Jahre später kamen deutsche Politiker, Wirtschaftsbosse und Ingenieure auf die Idee, die 100. Wiederkehr dieses Ereignisses angemessen zu feiern. Wie denn das? Ganz einfach: Indem sie die alten Pläne wieder aus der Schublade zogen und - leicht überarbeitet - dem Präsidenten des Irak auf den Tisch legten. Der war auch gar nicht abgeneigt, machte allerdings zur Bedingung, daß die bei den Arabern so verhaßten Amerikaner und Briten, deren Regierungen in ihren Augen von jüdischen Strippenziehern gelenkte Marionetten waren, außen vor blieben. Die Deutschen waren's zufrieden - aber wie das so ist, die feindlichen, pardon befreundeten Geheimdienste kamen bald dahinter. Wie war das gleich vor 89 Jahren? Was damals als casus belli gut war, war es immer noch - oder wieder. Und wieder mußte man einen anderen Grund vorschieben - oder am besten mehrere: Anno 2001 hatten ein paar islamistische Terroristen aus Sa'udi-Arabien (aber mit dessen Herrschern war man ja gut Freund und wollte es einstweilen auch noch bleiben) zwei Kamikaze-Angriffe auf New York City und einen auf Washington geflogen. Das war nicht nett, und die USA machten sich auf die Suche nach ihnen. Zuerst suchten sie sie entlang der Öl-Pipeline, die sie von den Öl-Quellen Taşkendas durch Afģānistān bis an den Indischen Ozean bauen wollten. Dort wurden sie allerdings nicht fündig, und aus dem Pipeline-Bau wurde auch nichts (aber das ist eine andere Geschichte). Und dann kamen "gesicherte Erkenntisse" auf, daß die deutsch-irakischen Verhandlungen um den Neubau der Bagdadbahn Fortschritte machten und...

Wie - das wußtet Ihr nicht? Es ging doch vor dem Irak-Krieg durch alle Medien, wenn auch nur im Kleingedruckten. Nehmt Ihr denn etwas nur zur Kenntnis, wenn es täglich in den Fernsehnachrichten kommt? Ach so, die Wahlen zum Fußballer des Jahres, zum Superstar der Schlagersänger und zum Bundeskanzler sind Euch - in dieser Reihenfolge - wichtiger als solche wirtschaftlichen "Nebensachen"? Na schön, dann vergeßt es ganz schnell wieder und nehmt statt dessen mit der offiziellen Version vorlieb: Und dann kamen "gesicherte Erkenntnisse" auf, daß die bösen Terroristen sich inzwischen in den Irak abgesetzt hatten und von dort aus neue Anschläge planten. Die amerikanischen und britischen Panzer marschierten an der Grenze zum Irak auf, ließen sich freilich Zeit und die deutsche Regierung vertraulich wissen, daß sie die Verhandlungen mit den Irakern noch abbrechen und so einen Krieg vermeiden könne. Doch der deutsche Kanzler - ein Jurist, der von Geschichte keine Ahnung hatte (als er zur Schule ging, lehrte man dort nur die Geschichte vom Holocaust) und im übrigen ebenso dumm und starrköpfig war wie sein Kollege von 1914 - pochte auf sein gutes Recht und auf den globalisierten Freihandel, den die Angelsachsen doch immer gepredigt hatten. Er weigerte sich nicht nur nachzugeben, sondern überredete sogar den französischen Präsidenten, mit ins selbe Boot zu steigen - gegen die Zusage einer gewissen Beteiligung, versteht sich. Am 27.2.2003 brachte der Saar-Kurier die Meldung, daß der Chef der Deutschen Bahn AG, ein Herr Mehdorn, am 5.3.2003 zur Vertrags-Unterzeichnung nach Baģdād fliegen wollte. Die USA sperrten den Luftraum. Der Bahnchef, nicht faul, machte sich auf den Weg in die Türkei, um von dort aus über Land in den Irak zu reisen. (Durchs wilde Kurdistan - er ist ein großer Carl-May-Fan :-) Das ging nun aber doch zu weit: Am 20.3.2003 marschierten die Alliierten in den Irak ein. Über den Verlauf des Krieges kann Euch Dikigoros wenig berichten - er war nicht dabei, und was andere darüber berichtet haben, scheint ihm entweder nichtssagend oder nicht nachvollziehbar. Und die Folgen? Die Bagdadbahn wird wieder nicht gebaut - jedenfalls nicht von den Deutschen, und daß die Briten und/oder Amerikaner sich dieser Aufgabe annehmen werden, wagt Dikigoros auch zu bezweifeln - die dürften, jedenfalls für's erste, ganz andere Sorgen haben. (Sein Vater hätte wieder an Wladiwostok und die Westbank gedacht :-) Warten wir mal ab, wie die Geschichte ausgeht - aber wahrscheinlich werden wir das so bald nicht erfahren.

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Dikigoros hat "Von Meer zu Meer", seinen Bericht über die großen Kanalbauten, mit einem Zukunftsprojekt schließen lassen; und das will er auch hier tun, da ihm ohnehin noch eine biestige Bemerkung über die Bagdad-Bahn auf der Zunge liegt. Findet Ihr nicht auch, liebe Leser, die Ihr etwas geografisches und strategisches Verständnis habt, daß es von vornherein eine Schnapsidee war, eine Bahnlinie zu bauen, die nur bis Basra am Persischen Golf führt, und von dort auf die Weiterfahrt per Schiff zu vertrauen? Was, wenn nun jemand die Straße von Hormuz sperrt? Dann ist das ganze eine Mausefalle! Deshalb haben sich die Russen etwas anderes, besseres einfallen lassen: Eine Verlängerung der schon bestehenden Trasse Sankt Peterburg - Moskau - Astraķhan durch Aserbaidjan, Djibal (Medien), Fars (das "echte" Persien, d.h. das alte Herzland des Iran) bis hinunter zur Küste von Laristān, genauer gesagt bis nach Bändär Abbas (Ihr könnt es auch "Bandar" oder "Bender" schreiben; aber sprecht es doch bitte so aus, wie Dikigoros es hier geschrieben hat; es ist das von Marokko bis Indonesien verbreitete arabische Wort für "Hafen") am Golf von Oman, der direkt in den Indischen Ozean übergeht. Ihr meint, dieses Projekt passe nicht in das Konzept dieser Reise, weil seinetwegen kein Krieg geführt wurde und schwerlich einer geführt werden dürfte? Ihr irrt, liebe Leser, Ihr irrt ganz gewaltig, wenn Ihr das glaubt. Dieser Krieg wird längst geführt, und zwar mit einer Erbitterung und Opferzahlen auf beiden Seiten, die dem zunehmendem Wegsehen im Westen Hohn sprechen. Die Russen wollen ihn als Rebellion einiger weniger muslimischer Extremisten in Tschetschnja und Daģistān abtun - aber das ist ein schlechter Witz. Seit Menschengedenken ist im Kaukasus kein vergleichbarer Krieg mehr geführt worden; und die kaukasischen Bombenleger tragen ihn mit ihren Vergeltungsschlägen in die russischen Städte. Denn die westlich des Kaspischen Meeres verlaufende Trasse in spe (die östliche könnt Ihr getrost vergessen - die Russen haben sie von ihrer Agenda gestrichen, seit die Turk-Republiken unabhängig geworden sind) führt über Bakú, und dort gibt es eben nicht nur Öl. Ihr meint, der Kampf sei für die Kaukasus-Völker letztlich aussichtslos? Das glaubt Dikigoros auch - jedenfalls will er es doch schwer hoffen; aber damit ist die Sache ja noch längst nicht ausgestanden. Wenn Ihr Euch mal eine Karte Persiens im Jahre 1907 besorgt, auf der die "Interessensfären" abgesteckt sind, die Groß-Britannien und Rußland vereinbarten, als sie ihre Entente zum Krieg gegen Deutschland und seine Bagdad-Bahn schlossen, dann werdet Ihr sehen, daß die Angelsachsen sich die Provinz Kirman bis einschließlich Bändär Abbas sicherten! Ihr meint, das sei sicher nur ein Zufall? Solche Zufälle liebt Dikigoros... Aber er bietet Euch eine Wette an: Wenn Rußland die Tschetschnier und Daģistānī platt gemacht hat und danach mit dem Iran - wer immer dann dort an der Regierung sein sollte - den Bau einer Eisenbahn gemäß diesem Projekt vereinbaren sollte, dann werden die Angelsachsen wieder einmal feststellen, daß sie das falsche Schwein geschlachtet haben und daß Usamā Bin Lādin (der ein äußerst dankbares Objekt für solche Zwecke ist, da seine Leiche nie gefunden wurde) sich gar nicht im Irak aufhält, sondern vielmehr... im Iran! Und was dann geschehen würde, um dort endlich Friede, Freiheit und Demokratie wieder herzustellen, das braucht Dikigoros Euch doch sicher nicht im einzelnen auseinander zu setzen, oder?

[Das gleiche gilt übrigens für die Schnapsidee, eine Erdgaspipeline vom Iran über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis nach Österreich zu bauen (übrigens der Grund, aus dem man Bulgarien und Rumänien wider alle Vernunft bereits in die EU aufgenommen hat und die Türkei auch noch aufnehmen will), wie ihn ein Konsortium von Geisteskranken unter dem Namen "Nabucco" seit Beginn des 21. Jahrhunderts verfolgt.]

Aber vielleicht sind die Iraner klüger als die Russen und Amerikaner glauben - sie setzen nämlich auf eine Alternativ-Route, die ebenfalls den Irak mit Baģdād und Basra außen vor läßt. Ganz heimlich, still und leise haben sie die hier noch rot gepunktete, d.h. als erst geplante Strecke eingezeichnete Verbindung zwischen Kirman und Zahädan fertig gestellt (dagegen ist die hier bereits als durchgehende rote Linie eingezeichnete Strecke zwischen Yazd und Bändär Abbas noch nicht fertig!); und Dikigoros kann Euch die erfreuliche Mitteilung machen, daß sie vor kurzem auch in Betrieb genommen worden ist. Nun gibt es da freilich ein Problem, das bald neuen Handlungsbedarf erzeugen könnte: Pākistān und Bhārat können sich nicht über eine Fortführung der Strecke von Sukkur durch die Wüste Tharr gen Osten einigen; und deshalb ist es vielleicht nur gut, daß die Amerikaner zufällig noch ein paar Truppen in Afģānistān stehen haben; und daß sie sich nicht bloß auf Kābul und Kunduz kaprizieren (dorthin können sie ja die blöden Deutschen schicken - the Gerries to the front! :-), sondern auch und vor allem Kandahar unter Kontrolle halten; denn von dort sind es über den Kojak-Paß (ja, liebe Leser, so heißt er wirklich :-) nur rund 200 km bis nach Quetta; und das wiederum ist die nächste größere Station vor... Sukkur. Aber wie gesagt, das sind sicher alles nur Zufälle; und wenn es doch so weit kommen sollte, daß jemand all diese Zufälle zu Gelegenheiten macht, die er beim Schopf packen zu müssen glaubt (vorsichtiger kann man es wirklich nicht ausdrücken :-), dann wird Dikigoros darüber an anderer Stelle weiter berichten. Hier hängt er nun endlich seine rote Schlußlaterne auf.

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