Die Stärken[n] der Pferde
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Von Menschen und (Mickey-)Mäusen
stählernen Mammuts und Mustangs
von roten Fröschen und lila Kühen
fliegenden Affen und Hunden . . .
und einem sprechenden Kater
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[Plakette]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

Der Mensch hat im Laufe seiner Geschichte mit vielen Tieren Freundschaft geschlossen. Meist, um ihnen das Fell über die Ohren zu ziehen (oder ihnen die Federn auszurupfen) und sie zu verspeisen - spätestens wenn sie keine Milch mehr gaben oder keine Eier mehr legten, die man ihnen wegnehmen konnte. Das waren eigentlich keine richtigen Freundschaften. Andere Tiere und ihre Erzeugnisse verspeiste der Mensch zwar nicht (oder nur im Notfall), aber indirekt hatten auch sie mit seiner Ernährung zu tun: Hunde halfen ihm, beim Jagen andere Tiere aufzuspüren und, wenn der Mensch sie getötet hatte, ihre Leichen als Beute nach Hause zu tragen; später, als er seßhaft wurde, halfen Hunde beim Bewachen von Schafen und anderen eingefangenen Herdentieren, damit die nicht etwa auf die Idee kamen weg zu laufen, weil sie nicht vom Menschen verspeist werden wollten. Ochsen wurden bei der Aussaat vor den Pflug gespannt, um das Feld zu beackern, Katzen gehalten, um Mäuse zu jagen, die sonst das geerntete Korn hätten fressen können, Esel schleppten das Korn zur Mühle und das Mehl zurück. Auch das waren ziemlich einseitige Freundschaften, denn die Tiere erhielten als Lohn für ihre Mühe nichts als einen Teil dessen, was sie für den Menschen erarbeitet hatten (wenn man mal von den Prügeln absieht, die sie oft noch als Draufgabe bekamen) - das hätten sie für sich selber einfacher haben können. Eine echte Kameradschaft, ein wechselseitiges Geben und Nehmen verband den Menschen nur mit einem Tier, dem einzigen Lebewesen auf der Erde, das zugleich größer, schneller, stärker und ausdauernder (böse Zungen, wie der Satiriker Sándor Szathmári, behaupten sogar: auch klüger :-) war als er selber - mit ihm ging er auf Reisen.

Wer sich ein wenig mit Tieren auskennt, weiß: Wenn Ochs oder Esel keine Lust haben, dann kann der Mensch sich auf den Kopf stellen, er wird sie nicht auf Trab bekommen (selbst den Sozialismus in seinem Lauf haben die vielen Ochsen und Esel in den Parteistuben schließlich aufgehalten, auch wenn sie immer das Gegenteil behauptet hatten). Eine Katze kann zwar sein, aber nur wenn es darum geht, weg zu laufen; sie wird sich vom Mensch keine Lasten ans Bein binden lassen - geschweige denn, ihn auf ihrem Rücken reiten lassen. Und Hunde sind - wenn es nicht gerade Windhunde sind, aber die gab es damals noch nicht - schlechte Dauerläufer. Sie haben schwache Lungen und zu wenig Schweiß-Drüsen, so daß sie nie richtig ins Schwitzen geraten dürfen, müssen sich deshalb ständig mit der Zunge Luft zuhecheln und können längere Strecken, zumal wenn es warm ist, nur im Trott zurücklegen. Es gab nur ein Tier, das die sprichwörtliche Pferde-Lunge hatte; allerdings schien es zu klein und zu schwach, um dem Menschen von Nutzen zu sein: Die Vorfahren des Pferdes waren nicht viel größer als Kaninchen; noch in der letzten Eiszeit hatten sie gerade einmal die Größe von Schafen erreicht - einige Pony-Rassen sind ja heute noch nicht viel größer. Kein Wunder bei dem Karnickel-Futter, von dem sie sich ernährten: Wer immer nur von Bäumen herab fallende Blätter frißt, kann nicht groß und stark und schnell werden. Der Mensch ging daran, aus dünnen Gräsern nahrhaftes Getreide zu züchten - lange bevor er auf die Idee kam, daraus für sich selber Mehl zu mahlen und Brot zu backen - und damit seine Pferdchen aufzupäppeln. Die dankten es ihm, indem sie zu wahren Alles-Könnern heranwuchsen: Sie ließen sich vor den Pflug spannen, schleppten Lasten, zogen Wagen und ließen den Menschen auf ihrem Rücken reiten. Mit ihnen konnte er endlich weite Wegen zurücklegen, Reisen, die er zu Fuß nie geschafft hätte.

Das Pferd brachte den Menschen Glück - einigen jedenfalls: Die Hunnen, die Araber, die Mongolen und die Türken eroberten mit seiner Hilfe Weltreiche, und auch die alten Germanen waren so zufrieden mit ihm, daß sie es heilig hielten und seinen Verzehr mit einem Tabu belegten (so wie die alten Ägypter die Katze und die Inder die Kuh). Sleipnir, der achtbeinige "Schnell-Läufer", war das Lieblingstier ihres obersten Gottes Odin.

Andere Völker hatten weniger Glück: Als die Trojaner nach zehn Jahre währender Belagerung endlich den Angriff der Griechen abgeschlagen zu haben glaubten, ließen die ihnen ein hölzernes Pferd zurück. Die Trojaner zogen es in ihre Stadtmauern; aber in der Nacht stiegen griechische Krieger heraus, die sich in seinem Inneren verborgen hatten, zündeten die Stadt an und erschlugen die Einwohner. So jedenfalls die Sage. Was des einen Leid, ist des anderen Freud': Im Hochgefühl ihres Sieges träumten die alten Griechen schon davon, dereinst durch die Lüfte zu reiten - auf einem geflügelten Pferd, dem "Pegasos" (von pegos, stark). Und auch bei ihren heiligen Spielen zu Ehren der Götter, die alle vier Jahre in Olympia statt fanden, standen natürlich die Pferde im Mittelpunkt: An den ersten Tagen, in den Vorkämpfen, sprangen und liefen zwar auch ein paar Menschen nackt durchs Stadion, warfen Speer und Diskus und töteten einander beim "Pankration" (einer Art Freistil-Catchen); aber den Höhepunkt bildeten immer die Pferdewagen-Rennen im Hippodrom an den folgenden Tagen. Den siegreichen Pferden wurden ebenso Hymnen gedichtet, Denkmäler errichtet und Medaillen gewidmet wie den Menschen, die sie hinter sich her zogen.

[Pegasos]"

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Das erste historisch belegte Opfer der Tatsache, daß sich Pferde auch vor einen Streitwagen spannen lassen, waren die alten Inder. Als die Aryer in ihr Land einreisten, hatten sie ihnen nichts Vergleichbares entgegen zu setzen, nur ein paar schwerfällige Kampf-Elefanten. Sie mußten kapitulieren, und seitdem verkörpert für sie das Pferd - genauer gesagt der Schimmel - Kalki, den Dash Awtar, Wishnus zehnte und letzte Inkarnation als Zerstörer der korrupten Welt, der am Tag des jüngsten Gerichts auftaucht. (Nein, liebe christliche Leser, das ist nicht zu vergleichen mit den weißen Pferden in den biblischen Offenbarungen des Johannes, dem "Buch mit sieben Siegeln" - wenn Ihr das denn überhaupt je gelesen habt, geschweige denn so aufmerksam wie die Hindus ihre heiligen Bücher -, denn auf denen sitzen treu, wahrhaftig und gerecht, die himmlischen Heerscharen und errichten das tausendjährige "Dritte Reich"). Selbst auf dem Schachbrett waren die Springer nach indischen Regeln fortan die stärksten Figuren, von denen die größte Gefahr für den König ausging, während die Elefanten, auf deren Rücken die Kampf-Türme ursprünglich standen, vergleichsweise harmlos waren. (Erst die Italiener sollten die Spielregeln im 16. Jahrhundert so ändern, daß der Springer zur schwächsten Figur wurde - obwohl er immer noch als einzige Figur über Hindernisse springen konnte; aber das ist eine andere Geschichte.)

Auch der nächste Eroberer aus Europa, der ins Indus-Tal vorstieß, tat das auf dem Rücken seines Pferdes - das er "Bukefalos (Ochsenkopf)" nannte, nach seinem Brandzeichen - das ihm wiederholt das Leben rettete. (Alex der Gehörnte von Makedonien - den heute einige den "Großen" nennen - war nälich Nichtschwimmer und drohte ständig in irgend welchen Flüssen zu ertrinken.) In Euren Geschichtsbüchern, liebe Leser, werdet Ihr lesen, daß Alex damals seine Indien-Reise abbrach und nach Europa zurück kehrte, weil seine menschlichen Mitreisenden meuterten und heim zu Muttern wollten. Seine Zeitgenossen sahen das anders: Alex gab seinen Plan, Indien zu erobern, auf und kehrte um, als Bukefalos 327 in der Schlacht am Hydaspes fiel. Nicht, ohne eine Stadt gegründet zu haben, die er nach seinem Liebling nannte: Bukefala. (Und das spricht gegen die Geschichte von der Meuterei: Wer wäre denn noch dort geblieben, wenn alle nach Hause gewollt hätten? Und wenn noch genügend Leute dort geblieben wären, um eine Stadt zu gründen, dann hätte Alex mit denen zusammen auch weiter reisen können.) Bukefala aber sollte unter dem Namen "Láhaur" (in Euren Atlanten, liebe Leser, findet Ihr es wahrscheinlich in der komischen Schreibweise "Lahore") die schönste und reichste Stadt der Welt werden, Hauptstadt des Fünfstromlandes ("Panjáb") und Residenz der Mughal-Herrscher und ihrer Nachfolger - bis sie 1947 von fanatischen Muslimen zerstört wird. (Dikigoros' Hindí-Lehrer wird damals aus seiner Geburtsstadt vertrieben, und als Dikigoros sie in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts besucht, findet er nur noch einen traurigen Abklatsch ihrer einstigen Pracht vor - aber das ist eine andere Geschichte.) Die Inder aber blieben die ganze Zeit über hartnäckig: Sie übernahmen zwar die Streit-Rosse, aber sie setzten ihnen eiserne Elefanten-Masken auf, und ebenso eisern hielten sie an ihrem Glauben fest, daß es die Elefanten sind (von denen die Europäer schon gar nichts mehr wußten, da sie deren Vorfahren, die Mammuts, bereits während der Eiszeit ausgerottet hatten, wie so viele andere Tiere auch), die dem Menschen Glück bringen - Ganesh, ihr Glücksgott, der die Hindernisse des Lebens aus dem Weg räumt, ist elefantenköpfig.

Bei den Völkern des Mittelmeerraums war dagegen der Glaube, daß Elefanten auf Reisen Glück brächten, nicht verbreitet. Einer versuchte es trotzdem. Hannibal hieß er; er nahm 37 der armen Viecher auf seine Reise von Spanien nach Italien über die Alpen mit - die meisten gingen schon dabei drauf. Mit den restlichen gelang es ihm und seinen Karthagern nicht, Rom zu erobern - sie blieben "ante portas". Und in der Schlacht von Zama, die den Zweiten Punischen Krieg entschied, spielten die Dickhäuter verrückt, obwohl sie Heimspiel hatten (Zama liegt im heutigen Tunesien), wendeten sich gegen ihre eigenen Reihen (nein, nicht die Reiter liefen über, sondern die Tiere; ihre Reiter hatten sie zuvor abgeworfen - vielleicht hatten sie Grund dazu?) und entschieden so die Schlacht zu Gunsten der Römer. Karthago schloß Frieden und ließ sich von den Römern zur Abrüstung verleiten - es gab auch damals schon jene schwachköpfigen "Pazifisten" (die wohl nach jedem verlorenen Krieg auftreten - aber das ist eine andere Geschichte), die glaubten, wenn man sich selber wehrlos macht könne man sich den Krieg ersparen. Sie kannten den Spruch aus Schillers Wilhelm Tell nicht: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt". Das war verzeihlich, denn es war noch rund zweitausend Jahre hin, bis das geschrieben werden sollte. Aber was unverzeihlich war - sie kannten auch den entsprechenden römischen Spruch nicht - und den hätten sie kennen müssen: "Si vis pacem, para bellum - Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor"! So kam es, wie es kommen mußte: Als die dummen, pardon friedliebenden Karthager ihre letzten Waffen vernichtet hatten, fielen die gut gerüsteten Römer (natürlich mit ihrer erstklassigen Kavallerie) über sie her und kümmerten sich auch nicht um ihre formelle Kapitulation - mit welchem Recht wollte jemand, der nicht einmal ordentlich gekämpft hatte, kapitulieren? -, sondern machten Karthago dem Erdboden gleich und die überlebenden Menschen zu Sklaven (die Männer kamen auf die Galeere, die Frauen ins "Lupanarium"). Die punischen Elefanten aber rotteten sie aus. (Ja, liebe Leser, es waren weder die "indischen" noch die "afrikanischen" Busch-Elefanten, die wir heute nur noch kennen; Hannibal hatte noch die etwas kleineren "Wald"-Elefanten - damals, d.h. bevor die Araber kamen und alles verkommen ließen, bestand Nordafrika noch nicht bloß aus Wüsten.) Das Pferd hatte erneut über das Mammut gesiegt, und die Römer verzichteten auch weiterhin dankend darauf, ihre Reisen mit irgend einem anderen, weniger zuverlässigen Reittier anzutreten als dem ersteren.

Ein anderes Tier betrachteten die Römer - wiederum anders als die Inder, die ihre Gottheiten Brahmá und Saraswatí auf ihm reiten ließen - nicht als zum Reiten geeignet: die Gans. Dennoch hielten sie die in Ehren, erstens weil sie einen vorzüglichen Braten abgab, und zweitens weil man mit ihren Federn das Bettzeug füllen konnte. Den dritten Grund, daß die "kapitolinischen Gänse" die Römer mal vor den anrückenden Galliern gerettet haben sollen, als ihre menschlichen Wachen eingeschlafen waren und nur durch ihr Geschnatter gerade noch rechtzeitig geweckt wurden, hält Dikigoros mit Verlaub für ein nachgeschobenes Märchen - sonst hätte er diesem Ereignis einen eigenen Absatz gewidmet. Die meisten Historiker halten auch die Geschichte von der kapitolinischen Wölfin, welche die die Zwillinge Romulus und Remus - die sagenhaften Gründer Roms - gesäugt haben soll, für ein Märchen. Wer glaubt denn sowas? Sind wir hier bei Walt Disney und Mogly? Nichtmal eine Schäferhündin täte das. Auch Dikigoros hält es für nicht sehr wahrscheinlich. Aber das mit der Schäferhündin hält er nicht für zwingend. Man lese einmal, was der bekannte Verhaltensforscher Konrad Lorenz über sein ungleiches Hundepaar geschrieben hat: der gutmütige Wolfsrüde läßt sich von der zänkischen Schäferhündin eher zerfleischen als daß er sich ernsthaft zur Wehr setzen würde - und weglaufen kann er ja nicht, wenn er mit ihr zusammen im Käfig eingesperrt ist... Nun will Dikigoros dem wackeren Alt-Nazi nicht alles glauben, schon gar nicht seine Schlußfolgerung aus der Tatsache, daß die wilden Tiere "gut" und die domestizierten "böse" sind, nämlich daß die "edlen Wilden" (von denen schon der Schweizer Jakob Rosenwasser geschwafelt hatte) "gut" und die zivilisierten Menschen "böse" seien. Aber die Beobachtung an sich wird man ihm wohl glauben dürfen. (Obwohl Dikigoros eher eine Parallele zu den Raubkatzen in der freien Natur ziehen würde: Auch Löwen und Tiger wehren sich nicht, wenn ihre Weibchen sie angreifen - aber die können halt weg laufen!) Wie dem auch sei, das Symboltier der Römer wurde nicht das Pferd (das es verdient gehabt hätte), sondern die Wölfin; und aus der züchtete der Mensch sein zweitliebstes Haustier, den Hund.

Wenn wir von Hunden sprechen, müssen wir auch die Katzen erwähnen. (Nur im Sprichwort sind Hund und Katze Feinde, sonst gehen sie einander meist aus dem Wege, so daß es gar nicht erst zu Reibereien kommt.) Sie ließen sich freilich nicht richtig domestizieren (jedenfalls nicht vor dem 20. Jahrhundert) und waren auch nur mehr oder weniger gelitten - halt als Mäsefänger[innen]. Alte Frauen hielten sie sich bisweilen als Kinder- oder Enkel-Ersatz. Das brachte allerdings weder den alten Frauen noch ihren Katzen Glück: Irgendwie setzte sich in den kranken Hirnen der herrschenden Gutmenschen der Glaube fest, daß alte Frauen mit Katzen - besonders wenn sie so arm waren, daß sie sich von im Wald gesammelten Kräutern und Kröten ernähren mußten (aber natürlich auch wenn sie reiche Witwen oder Erbinnen waren, die nicht wieder heiraten wollten und so ihr Vermögen dem Wirtschaftskreislauf entzogen), "Hexen" seien, und die Katzen ihre Gehilfen. Ein probates Gegenmittel war schnell gefunden: Im 14. Jahrhundert begann man die Katzen zu jagen und zu verbrennen. Irgendwie war das aber keine gute Idee: Die Katzen hatten Ratten und andere Nagetiere gejagt und so ihre Verbreitung eingedämmt. Nun vermehrten sie sich wie die Lemminge und - brachten die Pest mit. Rund ein Drittel der Menschen in Europa fielen ihr zum Opfer. Zum Glück lernten die Menschen irgendwann aus ihren Fehlern: Künftig verbrannten sie nicht mehr die Katzen, sondern die Hexen. Und der Erfolg gab ihnen augenscheinlich Recht: Die Pest ging allmählich zurück, und die meisten frommen Christen in Europa werden damals tatsächlich geglaubt haben, daß das die Folge der vielen heilsamen Hexenverbrennungen gewesen sei.

Kaum hatten sich die Europäer von der Pest erholt, da stach sie auch schon der Hafer, ihr Glück anderswo zu suchen auf der Erde - natürlich auf dem Rücken der Pferde. Vor allem die Spanier, die in mehreren Jahrhunderten arabischen Besatzung und Reconquista ihren Wert als Reisebegleiter zu schätzen gelernt hatten, konnten sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. In ihren Epen und Romanen spielten die Pferde die Hauptrollen - nicht die Menschen: Das Schlachtroß Babieca überlebte (jedenfalls wenn man dem Autoren von "El Cid" glauben darf) seinen Reiter, den spanischen Nationalhelden Roderich Diaz, um zwei Jahre, nachdem er ihn in der letzten Schlacht noch als Leiche siegreich in die Reihen der Feinde getragen hatte; und "Don Quixote", Cervantes' Ritter von der traurigen Gestalt, wäre nicht denkbar ohne sein klapperiges Reittier Rocinante. Jedenfalls nicht für die Spanier. Selbst wenn sie nach Übersee segelten nahmen sie ihre Pferde mit, so auch nach Amerika. Dort lebten damals nur die "Indianer". Sie waren in Jahrtausenden zu Fuß über die Bering-Straße getippelt und nach und nach auf dem neuen Kontinent seßhaft geworden, trieben Ackerbau und bauten Pyramiden, erst aus Eisblöcken und Stroh, dann aus Tierfellen und schließlich aus Stein. Dann kamen die Spanier und brachten Pferde mit, vor denen die Indios ursprünglich große Angst hatten, denn sie dachten, Pferd und Reiter seien eine Einheit, also ein ihnen gänzlich unbekanntes, überlegenes Wesen. Man darf sie darob nicht belächeln oder gar verlachen: Als die alten Griechen zum ersten Mal ihre thessalischen Nachbarn anreiten sahen, hielten sie die zunächst auch für Wesen von einem anderen Stern, für "Kentauren". (Nein, liebe Leser, nicht die Sorte, die Ihr heute aus Euren Märchen-Büchern kennt, sondern Wesen mit vier Pferdebeinen und zwei menschlichen Händen; also keine Kreuzungen zwischen Mensch und Pferd, sondern offensichtlich die Verkörperung von Pferd und Reiter.)

Zu besonderer Berühmtheit gelangte "El Morzillo", der Rappe des Konquistadoren Ferdi Cortez. Die meisten Leser wissen wahrscheinlich nur, daß der mal Mexiko erobert hat, genauer gesagt das Reich der Azteken. Aber damals war "El Morzillo" noch nicht dabei. Erst als Cortez Nachschub bekam, traute er sich mit 90 Araber-Pferden aus Andalusien weiter nach Süden. Irgendwo im heutigen Honduras wurde das arme Tier krank - kein Wunder bei dem Sauwetter. (Wer schon mal einen tropischen Regenguß im Urwald Mittelamerikas am eigenen Leib erlebt hat, weiß, was Dikigoros meint - und er stammt nicht aus der arabischen Wüste, wo es immer schön warm und trocken ist!) Cortez ließ El Morzillo in einem Indio-Dorf zurück, zusammen mit einem heiligen Holzkreuz und der Versicherung, daß er die Indios allesamt zur Hölle schicken werde, wenn der Gaul bis zu seiner Rückkehr nicht wieder gesund würde. Als er sein Pferd verließ, verließ ihn freilich auch sein Glück, das er bis dahin so überreichlich gehabt hatte; er sollte nie in das Indio-Dorf zurück kehren, denn die Expedition scheiterte, ihm wurde darob der Prozeß gemacht, er wurde verurteilt und nach Spanien deportiert. Die Indios aber hatten das gute Pferd längst in ihr Herz geschlossen, und das Holzkreuz hatten sie auch längst erkannt - als Symbol ihres Regengottes Tziunchan. Und da Cortez ihnen das Tier inmitten eines fürchterlichen Wolkenbruchs angebracht hatte, machten sie es flugs zu dessen Personifikation, stellten es in einem Tempel unter und beteten es an; und als es starb, errichteten sie ihm auf einer Insel im heiligen See Petén-Itzá ein Standbild. Aber auch ihnen sollte die Geschichte letztlich kein Glück bringen: Als der nächste Trupp Spanier vorbei kam, der von der Vorgeschichte nichts mehr wußte, zerstörte er das Standbild El Morzillos im heiligen See und rotteten die Indios, deren Vorfahren es errichtet hatten, aus, weil sie ein heidnisches Götzenbild angebetet hatten - ein trauriger Treppenwitz der latein-amerikanischen (Kirchen-)Geschichte. Das war gegen Ende des 17. Jahrhunderts.

Inzwischen waren ein paar (oder zumindest ein Paar) der spanischen Pferde ausgerissen, hatten sich kräftig vermehrt und über den ganzen Kontinent ausgebreitet. Dikigoros würde gerne glauben, daß sich das so schön dramatisch abspielte, wie es Bruno Brehm 1934 in "Die schrecklichen Pferde" beschrieben hat: Die Welser (genauer gesagt war es ihr Statthalter in Venezuela, Micky Dalfinger, den der Hafer stach) ritten auf der Suche nach "El Dorado", dem sagenhaften, mit Goldstaub bedeckten Indio-König, durch die Mesetas, die Páramos und die Llanos. Ein Mensch nach dem anderen erlag den Strapazen; aber die überzähligen Pferde hauten eines Nachts ab... Doch Brehm schrieb seinen Roman vier Jahrunderte später und hatte als Quelle nur das zweifelhafte Tagebuch eines gewissen Stefan Martin; und Dikigoros war auch nicht dabei, deshalb hat er arge Zweifel, daß es ausgerechnet jene Pferde waren, die zu Urahnen der amerikanischen Pferde-Population wurden. (Er würde mal vermuten, daß auch die damals nicht heil raus gekommen sind.) Wie dem auch sei, bald liefen vor allem in den Pampas und den Great Plains (da gab es reichlich Gras zu fressen und keine störenden Felsgebirge) große Herden verwilderter "Mustangs" herum. Die Indianer Nordamerikas lernten, sie einzufangen und auf ihnen zu reiten. Viele machten die Pferde sogar zu ihren "Totem"-Tieren, zu ihren (vermeintlichen) Glücksbringern, nach denen sie sich nannten. Dazu zählte freilich auch, daß man sie - und sei es nur zeremoniell - verspeiste, und damit brachen die Indianer das Tabu. Als nächstes lernten sie, auf ihnen zu "reisen": Warum sollte man Feldarbeit machen (das war doch etwas für Frauen - Männer schändete solche Arbeit!), wenn man die Früchte des Feldes viel einfacher vom fleißigeren Nachbarn kriegen konnte? Die Indianer wurden zu Kriegern, zu Kavalleristen; und als die Engländer (und andere Europäer) nach Nordamerika kamen, gab es kaum noch friedliche, seßhafte Indianer-Stämme, dafür umso mehr kriegerische Nomaden, die sich auf Raub, Mord und Totschlag spezialisiert hatten. Das war jedenfalls der erste Eindruck, den sie vermittelten; und nach einiger Zeit machte der böse Spruch die Runde, daß nur ein toter Indianer ein guter Indianer sei. (Etwas mehr über diesen Satz und seinen Urheber schreibt Dikigoros an anderer Stelle.) Bald gab es Hunderttausende "guter" Indianer; einer ihrer letzten großen Führer war der Oglala-Häuptling Tashunkä-Witko, den die Weißen nach seinem Totem-Tier "Crazy Horse (Närrisches Pferd)" nannten (übrigens ein Übersetzungsfehler, richtig wäre "Pferde-Narr" - auch dazu mehr im vorgenannten Link). Und so führte in Nordamerika der Aufstieg der Pferde letztlich zum Untergang der Indianer; aus dem Totem-Tier wurde ein Toten-Tier.

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Im 19. Jahrhundert hat sich an der beherrschenden Stellung des Pferdes als des Menschen wichtigstem Gefährten in allen Lebenslagen noch nichts geändert: Es zieht den Pflug, die Kutsche und die Kanonen, schleppt die Lasten und trägt den Reiter. Für den Menschen ist Reiter längst zum Synonym für "Edelmann" geworden: Ritter, Caballero, Chevalier und Cavalier sind Adelstitel, ein "Kavalier" ist ein besonders höflicher Mann (der also auch am Königshof auftreten kann, denn daher kommt das Wort ursprünglich), und die Kavallerie ist selbstverständlich die Königin der Waffengattungen. (Nein, liebe Spaten-Paulis von der Infanterie, denen man etwas anderes vorgelogen hat: Eure Truppen sind nur Kinderspielzeug - wie schon der Name sagt -, gerade gut genug, um hinter der Kavallerie her zu laufen und verheizt zu werden.) Aber dann kommen Menschen, die sich "Ingenieure" nennen, und beginnen, komische (und zumeist unnütze) Erfindungen zu machen. Gottlieb Daimler ist einer von der Sorte. Er arbeitet in einer Gasmotoren-Fabrik im Kölschen Deutz. 1883 läßt er sich einen Motor patentieren, der mit "Petroleum (Stein-Öl)" läuft, dem Zeug, das bereits die sprichwörtlichen Walfisch-Tran-Funzeln vom Markt verdrängt hat. 1885 baut er ihn in ein hölzernes Zweirad ein (auch das ist inzwischen erfunden!) und wird so zum Erfinder des Motorrads (und ein Jahr später auch zum Erfinder des Motorboots und der Motorkutsche). Ebenfalls 1885 baut ein gewisser Carl Benz, der auch in einer Gasmotoren-Fabrik arbeitet, einen neuen Motor, der mit Petroleum läuft (das man bald nach ihm "Benzin" nennen wird). Weil das noch ein ziemlich witziges Gerät ist, bezeichnet ein Witzbold die Leistung, die es bringt, als "eine Pferdestärke" - dabei hat dieser Viertakt-Motor nicht annähernd die Stärke eines Pferdes. Das Dreirad, in das Benz ihn 1886 einbaut, macht im Schnitt keine 20 km/h, nur wenn es bergab geht vielleicht etwas mehr; aber ein gutes Pferd kann noch immer 70 km/h laufen - und es läuft mit Hafer und Wasser... Daimler und Benz sind sicher beide begnadete Tüftler und Bastler - aber welche Möglichkeiten ihre Erfindung bietet ahnen sie wohl selber nicht, geschweige denn, daß sie andere davon überzeugen könnten.

Das gelingt erst Heini Furt aus Fort Theuerbrunn in Michigan, dem amerikanischen Bundesstaat mit dem indianischen Namen und der deutschen (und schwedischen) Bevölkerung. Der ist ebenfalls Ingenieur in einer Gasmotoren-Fabrik (kann das Zufall sein?), und 1892 baut er als erster ein "Automobil", das diesen Namen wirklich verdient. (Es ist die Vor-Vor-Vorläuferin der berühmten "Blech-Liesel", die er konstruieren wird, als er sich längst "Henry Ford" nennt, weil nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg alle Deutschstämmigen verfolgt werden, die ihren Namen nicht anglisieren; deshalb wird er auch sein berühmtes Auto "Tin Lizzy" nennen und das Märchen erfinden, er sei irischer Abstammung - dabei hieß sein Vater Wilhelm, und wenn es zwei Namen gibt, die garantiert kein Ire seinen Kindern gibt, dann sind das William und Henry, die Namen zweier englischer Könige, unter denen Irland besonders gelitten hat. Außerdem waren die Furts/Fords allesamt Protestanten - erst nach dem Zweiten Weltkrieg sollte einer von ihnen zum Katholizismus, der Religion der Iren, konvertieren.) Allerdings fehlt es damals auch in der Neuen Welt noch an einem Straßen-Netz, an Zapf-Säulen und Reparatur-Werkstätten, ohne die das Automobil seinen Siegeszug nicht antreten kann. Denn im Ernstfall kann es eben - im Gegensatz zum Pferd - nicht über Stock und Stein springen, geschweige denn über Gräben und Verhaue. Und wenn der Kraftstoff mal alle ist? Deutschland hat nur sehr bescheidene Erdöl-Vorkommen, und die lassen sich nicht beliebig vermehren. Das Kraftfutter Hafer dagegen kann man fast überall anbauen - da ist man mit Pferden doch sicherer... Die gleichen Argumente sprechen auch gegen eine Verwendung der Benzin-Kutschen beim Militär. Wozu solche Neuerungen? Hat nicht noch im amerikanischen Bürgerkrieg, dem ersten totalen Krieg der Neuzeit, die Reiterei den Ausschlag gegeben, obwohl es bereits Panzerschiffe, U-Boote und Maschinengewehre gab? Die Kriegshelden hießen J.E.B. Stewart und George A. Custer, und das waren Kavallerie-Generäle. (Als Custer sich mal als Infanterist versuchte, hat Crazy Horse ihn prompt massakriert - das kommt davon, wenn man den Pferden untreu wird!) Und wen haben die Amerikaner zu ihrem vorletzten Präsidenten gewählt? Natürlich nicht den Auto-Heini Furt, sondern den tollkühnen Anführer der "Rauhen Reiter", Teddy Rosenfeld, nach dem bekanntlich der Teddy-Bär benannt ist. (Auch der spätere Kriegsheld der USA, General Patton, war im Ersten Weltkrieg noch Kavallerie-Leutnant, und der spätere Präsident Ronald Reagan war im Zweiten Weltkrieg - natürlich, Kavallerie-Leutnant der Reserve, was sonst?) Nein, auf absehbare Zeit werden die Benzin-Kutschen keine ernst zu nehmende Konkurrenz für die Pferde sein, weder im Zivilleben noch beim Militär - so sieht es auch der Generalstab und bereitet fleißig und akkurat den "Großen Krieg" vor, der wie immer durch die Kavallerie (und natürlich den Beistand der Heiligen) entschieden werden soll.

[St. Michael zu Pferd]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind Tiere immer noch "Kult", wie man heute sagt. Nicht mehr ganz im alten Sinne der alten Religionen, aber irgendwie doch, denn an deren Stelle tritt allmählich eine neue Ersatzreligion: Der Konsumismus, kräftig angeheizt von der Werbung. Alles hatte ganz harmlos angefangen, mit den Märchen der Brüder Grimm, die einige Tiere zu sprichwörtlichen Gestalten mit menschlichen Eigenschaften machten, wie den Froschkönig, den Gestiefelten Kater, den sprechenden Pferdekopf Falada, den Butt Timpe Te, den Goldesel Bricklebrick oder die Bremer Stadt-Musikanten... Frage: Was ist all diesen Tieren gemeinsam? Antwort: sie bringen "ihren" Menschen mit Zauberei (also ohne, daß sie dafür arbeiten müßten) materiellen Reichtum - wobei freilich die traurige Pointe beim "Buttje Buttje der See" nicht fehlt (aber der taucht ja auch nie in der Werbung auf). Aber woher kommt plötzlich dieses Fänomen Werbung? Millionen von Jahren haben der Mensch und seine Vorfahren im Mangel gelebt, d.h. die potentielle Nachfrage hat so gut wie immer das vorhandene Angebot überstiegen - nun ist es in manchen Ländern umgekehrt, zunächst nur wenigen Länden, in denen die Massenproduktion Einzug gehalten hat, weil die Tiere (und Menschen) von leistungskräftigeren Maschinen abgelöst worden sind. Dort übersteigt nun das Angebot die Nachfrage, und wer etwas absetzen will, muß dafür werben. Aber warum ausgerechnet mit Tieren? Könnte man nicht ganz objektive Daten angeben, so daß sich schließlich die besseren Argumente bzw. die bessere Qualität durchsetzen würde? Nein, liebe Leser, da habt Ihr nicht mit der menschenlichen Psychologie gerechnet: In seinen Genen steckt noch immer der Jäger, und wenn er einkaufen geht, dann muß man an seine Jagdinstinkte appellieren, und sei es noch so weit her geholt: Wer nicht mehr auf die Bärenjagd geht, aber dennoch bärenstarke (ein hoher Fettgehalt galt damals noch als erstrebenswert!) - nämlich konzentrierte - Milch erbeuten wollte, griff halt zur "Bärenmark"; und wer ein Vorbild für die Stärke der Hemdkragen suchte, der dachte an die reinlichen Haustiger - also warb für Hoffmanns Reisstärke eine Katze, die sich die Pfote leckt. Und wer nicht mehr auf die Froschjagd ging (auch in Frankreich merkte man allmählich, daß es billiger war, Hähnchen zu züchten, deren Schenkel nicht viel anders schmeckten), der hatte keine Ausrede mehr, warum seine Schuhe schmutzig waren; also mußten sie nicht nur sauber geputzt sein, sondern förmlich glänzen, wie eine glitschige Froschhaut - so warb der Frosch für Schuhcreme von Erdal. Und warum sollte dann nicht auch gleich ein Salamander für Schuhe werben? Aus dessen Haut konnte man zwar schwerlich etwas Brauchbares herstellen; aber Schuhe aus teurem Krokodilsleder hätte sich damals in Deutschland niemand leisten können. (Ja, damals wurden die in Deutschland verkauften Schuhe noch in Deutschland hergestellt, ob Ihrs glauben wollt oder nicht, liebe Leser! Ganze Städte lebten von der Schuhproduktion, von Pirmasens bis Kornwestheim!) Zum Trost: Alle jene Werbeträger sahen damals noch aus wie ihre tierischen Vorbilder in der Natur: Der Bär von Bärenmarke war ein richtiger Braunbär wie aus dem Fotoalbum (jawohl, auch die Fotografie war inzwischen erfunden!), der Erdal-Frosch war grün, und die Kuh, mit der ein Herr Suchard seine "Milka"-Schokolade bewarb, war weiß. Warten wir mal ab, was daraus wird...

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Frühjahr 1913. In Winston-Salem, North-Carolina, gastiert der Zirkus Barnum & Bailey. Damals sind exotische Tiere noch nicht jeden Tag im Fernsehen zu sehen; da ist es schon etwas Besonderes, wenn jemand mit Löwen oder Tigern, Dromedaren oder Trampeltieren nach Amerika kommt (obwohl die meisten Leute diese Viecher gar nicht so genau auseinander halten können - Raubkatze ist Raubkatze, und Kamel ist Kamel). Damals braucht noch kein Zirkus Angst vor der Pleite zu haben; die Massen strömen begeistert zu den Vorstellungen. Einer dieser Begeisterten ist der Tabakhändler Joshua Reynolds. Er hat einen schweren Stand: Der amerikanische Tabak - schon der aus Virginia, und erst recht der aus Carolina - gilt, allen Bemühungen der Werbe-Industrie zum Trotz, als minderwertig gegenüber den "türkischen" Konkurrenzsorten aus dem Osmanischen Reich. (Erst nach 1945 wird es den Amerikanern gelingen, diesen Geschmack mit Brachialgewalt, d.h. auf der Spitze ihrer Bayonette, zu ändern.) Und nun hat sich Joshua von den Limeys auch noch ein Patent auf Fertig-Zigaretten andrehen lassen, aber kein Mensch will das Zeug: Ganze Kerle - und das wollen die amerikanischen Männer ja sein (Frauen rauchen noch nicht, jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang) - drehen sich ihre Glimmstengel lieber selber oder rauchen Pfeife, zumal sie da wissen, was drin ist, und sie nicht gerne die Katze im Sack kaufen oder den Tabak im Papier-Röllchen, schon gar nicht mit einem nach Pappe und Watte schmeckenden Filter drauf. Am Ende der Vorstellung ersteht Joshua eine Fotografie (auch das ist noch keine Allerweltsware) von "Old Joe", einem besonders beeindruckenden Dromedar - oder Trampeltier? Egal, jedenfalls ein Kamel. Während er das Bild hinter allerlei schlechten Verkaufszahlen auf seinem Schreibtisch betrachtet, kommt ihm eine im wahrsten Sinne des Wortes zündende Idee: Es mag zwar verboten sein, carolinischen Tabak als osmanischen auszugeben - aber wer verbietet ihm, diese falsche Assoziation beim Käufer zu wecken, indem er auf seinen Packungen ein Kamel abbildet? Gesagt, getan. "Camel" (natürlich ohne Filter - die Leute wollen es ja so, auch wenn der Lungenkrebs die Scheren überm Kopf zusammen schlägt) wird eine der erfolgreichsten Zigaretten-Marken aller Zeiten - mit ihr setzt Joshua mehr um als mit seinen anderen Marken "Reynolds", "Winston" und "Salem" zusammen. Das Zirkus-Dromedar macht ihn zum Millionär - und Millionen Raucher zu seinen Opfern.

Sommer 1913. Dikigoros' Großvater steht stolz in seiner Parade-Uniform mit den schönen blitzenden Messing-Knöpfen auf der Hauptstraße von Potsdam. Ihre Majestäten der deutsche Kaiser und der Zar aller Reußen (Willy und Nicky - so nennen sich die beiden Vettern, denn sie schreiben und reden einander auf Englisch an, obwohl ihre gemeinsame Großmutter, Queen Victoria von England, es als gebürtige Deutsche gar nicht sprach) nehmen höchst-persönlich den Vorbeimarsch ihres 1. Garde-Regiments ab. Genauer gesagt ist es das Regiment von Nicky's Vor-Vor-Vorgänger, Zar Aleksandr, nach dem es anno 1813 im Befreiungskrieg gegen Napoleon benannt wurde, als Preußen und Rußland noch miteinander verbündet waren, gegen Frankreich. (Alexander war übrigens auch der Taufpate jener Königin "Victoria", deren richtiger Name daher Alexandrina lautete - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr.) Natürlich erscheinen die Majestäten zur 100. Jubiläums-Feier hoch zu Roß, obwohl es ein Infanterie-Regiment ist, obwohl sich Willy sonst so gerne modern und fortschrittlich gibt, und obwohl er selber derartige Schwierigkeiten mit dem Reiten hat: wegen seines kaputten linken Arms kann er nicht mal richtig aufsteigen (man muß ihm ein Treppchen neben das Pferd stellen und es dabei gut festhalten). Aber er liebt die Pferde, und er schont sie - jedenfalls im Frieden: Die Straßen hat er mit Sand bestreuen lassen, damit ihre Hufe auf dem harten Pflaster, das man neuerdings in allen größeren Städten Deutschlands gelegt hat, keinen Schaden nehmen. Und er läß ihnen die denkbar beste medizinische Versorgung angedeihen (besser als so manchem seiner menschlichen Untertanen): Seinen Pferdearzt, der die edelsten Rosse bei Hof kuriert, hat er soeben ob seiner besonderen Verdienste in den Adelsstand erhoben. Die Idee, das auch mit einem dieser zwielichtigen Ingenieure zu tun, die so unnütze Dinge wie Automobil-Motoren konstruieren, käme er nie. Von denen wird sicher bald niemand mehr sprechen: Daimler ist längst gestorben (kurz bevor der erste "Mercedes" auf den Markt gekommen ist); Diesel ist gerade im englischen Kanal ertrunken; und Benz soll mal schön bürgerlich bleiben, sonst käme der am Ende noch auf die Idee, Kavallerie-Offizier in der königlich-preußischen Armee zu werden. Wer nicht von Adel ist, kann höchstens Rennfahrer werden. Inzwischen machen die schnellsten Automobile längst weit über 100 km/h Spitze; aber das wissen Willy und Nicky wahrscheinlich nicht. Sie wissen auch noch nicht, daß sie zugleich Willy und Nicky die letzten sein werden; und die Angehörigen des "Alexander-Regiments" (dessen Ehren-Oberst Nicky ist), wissen noch nicht, daß ihr Kaiserreich bald Krieg gegen das Zarenreich führen wird, wo es auch eine Einheit gibt, deren Ehrenoberst ihr Kaiser ist - ein Treppenwitz der Geschichte.

[Ulanen]

Dikigoros' Großvater, der von den Herren Daimler, Benz und Diesel noch nie gehört hat (geschweige denn sich den Erwerb eines ihrer Gefährte leisten kann) könnte nicht mal Infanterie-Offizier werden; er ist nur Gefreiter im Musikzug, ein einfacher Hornist, aber das kratzt ihn wenig: Bei der Garde bekommt ein Gefreiter ebenso viel Sold wie ein Unteroffizier bei der normalen Truppe, und die Ehre, dieser Elite-Einheit anzugehören, ist ja auch etwas wert. (Das ist damals so, als der Leutnant noch mehr zählt als der Professor, und der wiederum mehr als der reichste Pfeffersack.) Es hat gerade so gereicht: Urs ist genau 1,80 m groß, das Mindest-Gardemaß - was damals, als die Männer im Durchschnitt 1,65 m messen und Frauen noch weniger, schon einiges ist. Und damit sie noch größer wirken, bekommen die "langen Kerls" zusätzlich eine 60 cm hohe Bärenfell-Mütze auf den Kopf (wie übrigens auch in Rußland und - bis heute - in England), auch im Hochsommer, so daß bestimmt niemand erfrieren wird. Die müssen sie freilich abgeben, als die Oberste Heeresleitung 1915 zu der Auffassung gelangt, daß man sich den Luxus, Parade-Soldaten in Potsdam herum stehen zu haben, nicht länger leisten kann. Also werden die "Elite"-Regimenter, die eigentlich gar keine Kampfeinheiten sind, sondern nur insofern eine "Elite", als sie gelernt haben, in besonders schönen Uniformen besonders schön zu paradieren und mit ein- bis zweischüssigen Exerzier-Flinten Salut zu schießen, mehr oder weniger sinnlos in den Materialschlachten an der Westfront verheizt. (Aber wer wird dort schon sinnvoll verheizt?) Urs hat Glück im Unglück: Er bekommt Tuberkulose, von der er sich zwar nie mehr richtig erholen wird, aber der Krieg ist für ihn vorbei; ein Pferdewagen bringt ihn zum nächsten Lazarett-Zug, und von da geht es zurück in seine preußische Heimat, nach Kaisertreu, das ist ein kleines Kaff irgendwo zwischen Gnesen, Thorn, Bromberg und der Grenze zu Russisch-Polen. Nun, ganz vorbei ist der Krieg für ihn doch noch nicht; denn im Ersten Weltkrieg gibt es zwar noch keine Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung im Hinterland; aber es gibt eine Hunger-Blockade, unter der sie nicht minder leidet - alleine in Deutschland sterben fast eine Million Menschen an Hunger, und nach dem Krieg noch einmal so viele an der "spanischen Grippe", denn auch Medikamente werden nicht durchgelassen. (Als sich die Ehemaligen von Urs' Reise-Gruppe ein paar Jahre später zum Kameradschafts-Abend treffen, werden nur sieben überlebt haben von den 3.000, die am Anfang auszogen, weil die Herrscher Europas der Hafer gestochen hatte; der Rest wird gefallen oder verhungert sein.)

Hier muß Dikigoros die unschöne Tatsache einschieben, daß der Mensch auf dieser Ersten Großen Reisen und danach noch zwei andere Tiere intensiv einsetzt: Während der Reise werden Hunde erst dazu abgerichtet, Meldungen zu befördern, und dann dazu, die Reisenden von der anderen Feldpost-Nummer zu besuchen - allerdings nicht mit Briefen, sondern mit Tellerminen, die man ihnen auf den Rücken bindet. Daß sie von solchen Ausflügen nicht lebend zurück kommen - was soll's, die Menschen, die sie besuchen, ja auch nicht... Nach der Reise sind viele Menschen erblindet, weil sie auf die nette Idee gekommen sind, einander mit Gasgranaten zu beschießen; nun bekommen die Schäferhunde eine neue Aufgabe: Statt Schafe zu hüten dürfen sie Menschen führen. Und dann waren da noch die vielen Katzen. Da sie in der Regel beim Essen recht wählerisch sind, ist ihr Fleisch eigentlich sehr schmackhaft - man sagt, es schmecke nach Kaninchen. (Da Dikigoros weder Katzen noch Kaninchen ißt, kann er nicht sagen, ob das stimmt oder nicht.) Na denn, da es sonst eh nicht so viel zu essen gibt, zieht man also den Katzen das Fell über die Ohren und verspeist sie. Aber mal im Ernst, liebe Leser: Heute werden die meisten Kätzchen gleich nach ihrer Geburt vom Menschen ermordet - war es da nicht besser, sie wenigstens so lange am Leben zu lassen, bis er sich daraus eine Mahlzeit zubereiten konnte? Einschub Ende.

Aber noch ist es nicht so weit, daß die Germanen das alte Tabu brechen und ihre heiligen Pferde verzehren - lieber ernähren sie sich von Steckrüben und Graupen-Suppe. Die Pferde sind ihre Kriegskameraden an der Front: sie schleppen Waffen und Munition, ziehen die Larazett-Wagen mit den Verwundeten und Toten (eine wichtige Arbeit, denn es werden immer mehr) und die Kanonen der Artillerie, sie tragen Meldereiter und Ulanen. Die meisten sind freilich schon in den ersten Kriegswochen gefallen - die Zeit der schneidigen Kavallerie-Attacken geht zuende. Und für Schützen-Gräben sind Pferde eine Nummer zu groß. Einige Nationen kommen auf originelle Ideen, was man nun mit ihnen anfangen soll. Die Italiener zum Beispiel erinnern sich an den Pegasus und funktionieren ihr Piemontesisches Kavallerie-Regiment Nr. 1 in eine Fliegerstaffel um. Na ja, was bei Italienern schon "funktionieren" heißt; sie werden fast alle abgeschossen - runter kommen sie immer. Auch die Flieger-Legende Franz Graf Baracca, dessen Wappen - einen nach links steigender Rappen, "il cavallino rampante" - die Staffel fortan als Abzeichen trägt. Er fällt kurz vor Toreschluß. Was solls? Geduld, liebe Leser, Geduld.

Nach vier Jahren neigt sich der verdammte Krieg endlich seinem Ende zu - einem Erschöpfungs-Frieden, denn die Fronten sind erstarrt, Menschen und Material (und Pferde) zu müde geworden, um noch etwas zu reißen. Die West-Alliierten haben schon bis zum letzten Inder gekämpft, die sind genauso zu Kanonen-Futter geworden wie ihre übrigen Kolonial-Völker. Mit Turban und Säbel gegen Maschinengewehr-Stellungen - gerade daß sie es nicht mit Kampf-Elefanten versuchen, denkt die Oberste Heeresleitung beinahe belustigt. Oder etwa doch? Eines Tages schieben sich stählerne Ungetüme über die Schlacht-Felder, so groß, so grau, so schwer und so langsam wie Elefanten. Vorn haben sie sogar Rüssel, die Feuer speien, und ringsumher Haut, die hart wie ein Panzer ist; deshalb nennen die Deutschen diese Mammuts auch "Panzer". Die Engländer, die sie gebaut haben, sagen "Tank", vom indischen Wort für Wasser-Tank, "Tanki". (Nein, liebe Leser, laßt Euch nicht erzählen, daß ein Ingenieur namens "Tank" die Dinger erfunden hätte - das ist ein Märchen.) In den Tanks befinden sich freilich keine Seerosen, sondern - wie im Trojanischen Pferd - feindliche Soldaten, und die geben diesmal den Ausschlag. Die Deutschen müssen kapitulieren und nach dem Diktat-Frieden von Versailles die meisten der ihnen noch verbliebenen Pferde an die Alliierten ausliefern (nein, nicht als "Kriegs-Verbrecher", aber als Kriegs-Beute). Was soll's, ihren Glauben haben viele Leute eh verloren, sei es an den Kaiser (den sie zur Abdankung zwingen und ins Exil jagen), sei es an Gott ("Gott ist tot" hatte Nietzsche geschrieben, und der wird jetzt posthum modern), sei es an die Stärke der Pferde. Fortan verkörpert für die deutschen Militärs der gepanzerte Elefant das Sinnbild des Sieges über das Pferd - die Inder haben also doch Recht behalten. Nun, sie werden die Zeichen der Zeit nicht verkennen: den nächsten Krieg werden sie nach einer anderen Religion führen, mit jeder Menge gepanzerter Mammuts und unter dem alten indischen Heils-Zeichen, dem Swastik. (Wie soll man es sinnvollerweise sonst nennen? Dikigoros sieht da zwar ein Kreuz, aber keine Haken!)

Damit kann Dikigoros' Großvater zwar nichts anfangen; aber auch sein Heimat-Dorf hat den Glauben an den Kaiser verloren, und es wäre wohl auch dann umbenannt worden - vielleicht in "Demokratentreu"? - wenn es nicht an die Polen gefallen wäre, die alle Ortsnamen schleunigst polonisieren (oder, wie sie selber sagen, polakisieren). Hohensalza heißt fortan "Inowraclaw (Jungbreslau)"; und Urs wandert aus, in eine norddeutsche Großstadt, wo es keine Pferde mehr gibt. So viel hat ihn eh nicht gehalten in der "alten" Heimat, die für ihn und seine Familie so alt gar nicht ist: Sein Großvater war noch Bergmann im Harz gewesen; nach einem Grubenunglück wurde er Invalide und kaufte sich von der bescheidenen Entschädigung einen kleinen Hof, dort, wo das Land am billigsten war, eben in Posen. Der hätte Urs und seine Brüder ohnehin nicht auf Dauer ernähren können. Gut 100 Werst (das sind russische Kilometer) weiter südöstlich, in der zweitgrößten polnischen Stadt, sitzt dagegen ein dickköpfiger Schwabe, der sein jüngstes Töchterchen gerade auf den Namen Ursula getauft hat und sich gegen die Frage sträubt, ob er nicht auch besser fortgehen sollte, wie es jetzt so viele seiner Landsleute tun. Es ist schon etwas länger her, daß Theos Vorfahren ihre süddeutsche Heimat verlassen haben und nach Lodsch gefahren sind - im 18. Jahrhundert, als es für ein paar Jahre preußisch war. Dann wurde es französisch, dann russisch. Kann es denn jetzt unter den Polen noch viel schlimmer kommen? Soll er das bequeme Stadtleben aufgeben und ins geschlagene Reich auswandern, wo jetzt Hungersnot und Inflation herrschen? Sich vielleicht als Hilfsarbeiter oder Bauernknecht durchs Leben schlagen? Sich auf Feldern und in Ställen mit Pferden, Schweinen und Kühen herum plagen? Nix da; Theo beschließt, in der Stadt zu bleiben. Dieser Entschluß soll ihn und seine Familie 25 Jahre später das Leben kosten; nur seine jüngste Tochter - Dikigoros' Schwiegermutter in spe - wird durch kommen, auf einem Pferdewagen, dem ersten, den sie als Stadtmensch je benutzt hat.

Anderen Leuten geht es ein paar Jahre nach dem Krieg schon wieder besser; sie müssen nicht mehr ums nackte Überleben kämpfen, sondern können schon wieder daran denken, in ihrer Freizeit Sportwettkäpfe auszutragen. Eigentlich ist das ja gar keine schlechte Idee: Müssen sich die Menschen denn immer gleich zu Millionen tot schließen, wenn sich statt dessen auch ein knappes Dutzend Idioten auf beiden Seiten stellvertretend die Knochen auf dem Fußballfeld kaputt treten können, und der Rest schaut bloß zu und grölt etwas herum? Und nicht mal das muß unbedingt sein, denn es gibt ja auch gesittetere Sportarten, für die feineren Leute, die gut Betuchten (im wahrsten Sinne des Wortes!), zum Beispiel die Tennis- und Polo-Spieler. Anno 1926 sitzt René, ein junger, gut betuchter Mann (er ist nicht nur elegant angezogener, sondern auch von zuhause aus reich - das ist wichtig, denn man muß damals noch "Amateur" sein, d.h. man darf mit dem Sport kein Geld verdienen) auf der Haupttribüne eines Rugby-Stadions und schaut einem Polo-Match zu. Eigentlich mag er weder Pferde noch Polo-Spieler sonderlich (er selber kann nicht mal ordentlich reiten; das ist in besseren Kreisen damals so, als hätte man heute keinen Führerschein); was ihn vielmehr fasziniert, sind ihre schönen, bequemen Hemden mit kurzen Ärmeln. In seiner Sportart, dem Tennis, herrschen so idiotische Kleidervorschriften wie sonst nirgends: Männer müssen in langen weißen Hosen und langärmeligen weißen Hemden antreten, und Frauen in ebensolchen Kleidern oder Röcken und Blusen - hoch geschlossen, versteht sich. (Vor dem Krieg mußten sie sogar eng geschnürte Korsetts tragen und Hüte, die ihre Haare bedeckten, der moralischen Schicklichkeit wegen; Mädchen unter 16, die nicht als Frauen, sondern als Kinder galten, waren von dieser Vorschrift ausgenommen, deshalb gewannen sie meist die Turniere - zur Siegerehrung traten sie dann freilich wieder züchtig verhüllt und behütet an, wie man auf alten Fotos sieht.) Man sieht es dem kleinen, fast schmächtigen René Lacoste nicht an, aber er ist einer der besten Tennisspieler seiner Zeit - wenn nicht sogar der beste; im Vorjahr hat er die Turniere von Wimbledon und Paris gewonnen, sowohl im Einzel als auch im Doppel, zusammen mit dem Basken Borotra, der beim Spiel stets eine schwarze Baskenmütze trug und nie zu tun gewagt hätte, was René beim nächsten Turnier tut: Er tritt in einem kurzärmeligen Hemd an! Man läßt es ihm durch gehen, und so macht sein Beispiel Schule. Als René 1933 seine aktive Laufbahn beendet, gründet er eine Firma, die solche Hemden herstellt - wobei er allerdings einen unverzeihlichen Faux-pas begeht: Statt als Markenzeichen ein Polo-Pferd zu wählen, erinnert er sich seines Spitznamens - man nennt ihn, wegen seiner großen Klappe, "Krokodil" - und läßt kleine Alligatoren auf die Hemden nähen. Die prangen da bis heute - die Welt ist ungerecht; niemand will mehr etwas von den Pferden wissen.

Aber Dikigoros' Schwiegervater in spe, ein Kind des Krieges, ist noch mit Pferden aufgewachsen, auf einem Bauernhof im Brandenburgischen. Das sind zwar keine Tiere, die als Reit- oder Rennpferde taugen würden, geschweige denn für die Kavallerie, aber um den Acker zu pflügen reicht es noch. Freilich sieht es nicht so aus, als ob er mit Pferden noch lange viel am Hut haben würde: Sein ältester Bruder wird den Hof erben, der zweite Nachbars Tochter heiraten, die als einziges Kind ihrer Eltern ebenfalls einen Hof erbt; die beiden Schwestern werden ins nächste und übernächste Dorf verheiratet, auch auf ordentliche Höfe, die sind also alle versorgt. Nur für Fritz bleibt nichts übrig. Also schickt man ihn weiter zur Schule. Seine Eltern sind durchaus nicht der Meinung, daß er da "etwas Besseres" werden wird, vielmehr glauben sie, daß ein eigener Hof viel erstrebenswerter wäre als eine Ausbildung zum Schulmeister, die sie für ihren Jüngsten vorgesehen haben - aber was will man machen, wo nix is is nix, sagt der Berliner. Er muß also schon mit 10 Jahren weg von zuhause, denn die Oberschule liegt nicht im nächsten Dorf, auch nicht im übernächsten, sondern erst in der nächsten Kleinstadt, schon auf halbem Weg nach Berlin; dort wohnt er mit einigen anderen auswärtigen Schülern in Pension bei einer alten Witwe. Nur am Wochenende holt ihn der Knecht mit dem Pferdewagen ab, und zum Wochenbeginn bringt er ihn wieder zurück, mit ausreichend Verpflegung vom elterlichen Bauernhof - mit der auch ein Teil der Pension bezahlt wird. Im Herbst bekommt er von der Schule "Kartoffel-Ferien", damit er zuhause bei der Ernte helfen kann. Irgendwie reicht das, um reiten zu lernen, und als 1939 - Fritz hat gerade seine Ausbildung zum Lehrer abgeschlossen - die nächste Reise ansteht, findet sich tatsächlich noch eine Einheit, die Pferde hat. Fritz reitet also mit nach Polen. Auch dort gibt es noch Kavallerie-Einheiten, und die treten allen Ernstes gegen die deutschen Mammuts an - mit absehbaren Folgen. Dann geht es weiter nach Rußland. Auf den schlechten Straßen dort sind Pferde - vor allem im Winter - plötzlich wieder nützlicher als Benzin-Kutschen mit eingefrorenen Motoren. Kurz vor Moskau streiken die Blech-Mammuts - es sind halt keine echten Kameraden -, die Reise droht zu scheitern, die vordersten Reisegruppen werden eingekesselt. Aber die Pferde halten durch, und mit ihnen einige Menschen, bis sie ein paar Monate später noch einmal heraus gehauen werden. Fritz ist dabei; aber sein Pferd ist tot, und ihn hat es auch schwer erwischt; für ihn ist die Rußland-Reise beendet.

So ist Dikigoros' Vater denn der letzte in der Familie, der noch mit einem Reit-Tier auf Reisen geht. Auch er war in Rußland, genauer gesagt in der Ukraïne, ist dort aber heil 'rausgekommen, und nun hat es ihn nach Italien verschlagen, in die Berge des Apennin. Für jemanden, der aus dem norddeutschen Flachland stammt, ohne jede Gebirgsjäger-Ausbildung, ist das ein Himmelfahrts-Kommando - eine "mission impossible" sagt man heute wohl dazu. Ohnehin reisen die Deutschen dort "against all odds": Bei den Menschen kommt einer von ihnen auf zehn Alliierte, und auch bei den Tieren ist das Verhältnis 10:1 - zehn stählerne Mammuts gegen ein Maultier. Das sind Kreuzungen aus Pferd und Esel, und sie sind den Mammuts im Gebirge allemal überlegen. "Cecco" nennt Urs sein Muli, ohne das er sicher schon Dutzende Male abgestürzt wäre, und dann wäre es seine letzte Reise gewesen. So erwischt sie nur ein gegnerischer Granat-Splitter; Cecco ist tot, Urs landet auf Umwegen im Lazarett; auch für ihn ist die Reise erst einmal zu Ende.

Für andere geht sie weiter, im nächsten Frühjahr, als die grauen Mammuts sich über die wieder aufgetauten Straßen Rußlands wälzen können. Aber da gibt es ja die Geschichte vom Elefanten, der Angst vor der Maus hat - und vielleicht ist da tatsächlich etwas dran. Die Deutschen haben ihre Mammuts zur Tarnung in abgeernteten Kornfeldern überwintern lassen. Das ist im Prinzip eine gute Idee; aber leider haben sie dabei nicht die Erfahrungen der alten Ägypter bedacht und keine Katzen mit gebracht. Die alten Mammuts hatten ziemlich viel Elfenbein in den viel zu großen Stoßzähnen, was ihnen vermutlich während der Eiszeit zum Verhängnis wurden, da die sie unbeweglich machten; die modernen Mammuts haben ziemlich viel Elektronik (noch nicht soviel wie 50 Jahre später, aber immerhin), d.h. in Gummi verpackte Drähte. Und als nun die armen Mäuse in den abgeernteten Kornfeldern nicht mehr genug zu fressen finden, beginnen sie, die Elektronik der Mammuts anzuknabbern - und das wird denen zum Verhängnis. Die Deutschen, nicht faul, züchten eine neue Generation von Mammuts und geben ihnen von nun an Katzen-Namen. (Nein, liebe Leser, das ist kein Witz - so war es tatsächlich!) Aber sie kommen zu spät, denn als die neuen "Panther", "Tiger" und "Königstiger" - das letzte Mammut, dessen Herde nur noch aus 90 Exemplaren besteht, nennen sie sogar noch einmal "Elefant" - endlich da sind, passiert genau das, was der Generalstab fünfzig Jahre zuvor befürchtet hatte: Die Viecher fressen unheimlich viel Kraftstoff - keinen Hafer -, und Benzin ist nicht mehr genug da; die Reise endet in der Katastrofe. Die letzten Pferde dagegen tun noch einmal brav ihre Pflicht: Sie retten Millionen von Flüchtlingen das Leben, als 1945 die Trecks aus dem Osten in den Westen ziehen. (Auch sie verlieren ihre Heimat, denn die großen Gestüte lagen im Osten des Reiches, und auch von ihnen kommen viele auf der Flucht ums Leben - sicher ein höherer Prozentsatz als die 20% Menschen, die unterwegs sterben.)

Es war der letzte große Auftritt der Tiere, und es wird ihnen schlecht gedankt. Am Ende des Krieges müssen viele gar als Sündenböcke herhalten. Da hatte doch ein Politiker, der seinen Namen vom altgermanischen "Atha-ulf [großer Wolf]" ableitete, die spinnerte Idee von "Werwölfen", die den verlorenen Krieg in den Bergen weiter führen sollte. Daraus wurde nichts, aber seine Feinde griffen diesen Vorwand begierig auf, um auch nach der Kapitulation noch Jagd zu machen - nein, nicht auf Tiere, sondern auf wehrlose deutsche Kinder, die sie aus "Spaß an der Freud'" abknallten, wie sie ihnen vor die Flinte kamen. (Ein besonders widerwärtiger Amerikaner, Hemingway hieß er, rühmte sich dessen noch in seinen Memoiren ausdrücklich. Er wurde darob nie belangt, denn die Deutschen waren ja Freiwild; und aus den amerikanischen Ausgaben seiner Machwerke sind diese Passagen bis heute nicht getilgt.) Der Wolf war also unten durch, und wo künftig in Mitteleuropa einer entdeckt wurde, knallte man ihn ab, das war man der Demokratie schuldig. (Aber einen allzu guten Ruf hatte der Wolf ja noch nie: Bei den alten Griechen war Cerberus der Höllenhund, der die Toten nicht mehr aus dem Reich des Hades fort ließ, und bei den alten Germanen verschlang der Fenriswolf sogar die Erde, und die "Wolfszeit" war gleichbedeutend mit dem Ende der Welt.) Aber auch bei den Siegern des Krieges trieb die Hysterie merkwürdige Blüten: Da hatte es im britischen Blackpool ein paar Garagenschrauber gegeben, die Beiwagen ("Sidecars") für Motorräder herstellten, die sie "Schwalben" nannten. Die Abkürzung, die sie für ihre "Swallow Sidecars" benutzt hatten, war aber nun diskreditiert - die "SS" wollte niemand mehr geschenkt haben. Also suchten sie verzweifelt nach einer Raubkatze, die noch nicht als Beiname für einen deutschen Panzer zur Nazi-Katze mutiert war, und fanden... den Jaguar. So, liebe Leser, entstand die nach Rolls Royce bekannteste britische Automarke! Dann waren da noch die Vögel. Den Adler konnte man schlecht verbieten, denn der war ja auch das amerikanische Wappentier (dessen Vorbild, den Steinadler, man fast ausgerottet hatte), wohl aber - den Storch. Und das kam so: 1945 fielen den siegreichen Alliierten reichlich deutsche Leichtflugzeuge der Firma Fieseler in die Hände, die der Volksmund "Störche" nannte. Das war nicht als Kompliment gedacht, denn die Dinger waren langsam und wirkten linkisch; sie hatten nur einen Vorteil: Sie konnten praktisch ohne Flugplatz starten und landen, wie Hubschrauber (die waren zwar auch schon erfunden, aber noch nicht das Gelbe vom Ei). Aber wenn die Deutschen sie so genannt hatten, mußte ja jetzt ein neuer Name her. Die Franzosen - die in Südwestdeutschland gehaust hatten wie die Heuschrecken - fanden einen: Criquet (Heuschrecke) und verheizten die letzten Exemplare zusammen mit den Elsässern und anderen zwangsverpflichteten Deutschen im Indochinakrieg (aber das ist eine andere Geschichte). Der Storch - der auch immer als Symbol der Fruchtbarkeit und der Kindergeburten gegolten hatte - nahm es übel: Nur eine Generation später kam der "Pillenknick", und eine weitere Generation später standen die Deutschen, die Franzosen und viele andere europäischen Völker vor dem Aussterben - die "selbstverwirklichten", d.h. kinder- und enkellosen Frauen trösten sich und ihre unfruchtbaren Schöße mit Rehpinschern und anderen Schoß-Hunden. (Aber auch das ist eine andere Geschichte.)

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Zurück in die Nachkriegszeit. Im Jahre 1947 ist der Ex-Rennfahrer und Garagen-Bastler Heinz aus Turin ist auf der Suche nach einem zugkräftigen Wappen für seine Gefährte. Die Piemontesische Flieger-Einheit braucht ihr "cavallino rampante" ja nun nicht mehr, und die Familie Baracca - er hat sie mal in den 20er Jahren bei einem Autorennen kennen gelernt - hat auch nichts dagegen. Also nennt er seine Firma "Auto Aviso Costruzioni" kurzerhand nach sich selber um (er heißt mit Nachnamen Ferrari) und macht das Pferdchen zu ihrem Totem-Tier, pardon Markenzeichen. Ein Jahr später macht sein deutscher Kollege Ferdi Porsche es ihm nach. Unterdessen hat ein gewisser George Orwell (der übrigens aus Indien stammt, dem Land der Elefanten, genauer gesagt aus der Provinz Barmá) in seiner Parabel "Die Farm der Tiere", der düsteren Zukunfts-Vision vom Schicksal des Sozialismus, den Pferden ein rührendes Denkmal gesetzt in der Person von "Boxer": Groß und stark, immer fleiß und guten Willens, aber nicht besonders clever und daher von allen ausgenutzt; und am Ende, als er alt und klapprig ist, wird er verraten und verkauft... Ist das wirklich nur eine politische Parabel, oder steckt nicht auch ein Körnchen Wahrheit darin vom Schicksal der Pferde? Aber das will noch niemand so recht ernst nehmen, wie das ganze Buch: Da macht irgend so ein frustrierter Renegat der Sozialistischen Partei, der bisher nur mit einer Autobiografie über seine verkrachte Existenz als Kellner in Paris hervor getreten ist, seine einstigen Genossen madig, vergleicht die Herrschenden mit Schweinen, die Arbeiter mit Pferden und die breite Masse mit Schafen - das stimmt doch alles gar nicht! Um das zu beweisen, genügt ein Blick nach Olympia, wo die Pferde noch immer - wie einst bei den alten Griechen - im Mittelpunkt des Interesses stehen. (Nein, liebe Leser, Dikigoros will sich an dieser Stelle nicht darüber auslassen, daß Reiter bei den Olympischen Spielen - wo doch sonst so auf den Amateur-Status gepocht wird - damals noch Berufsoffiziere oder Berufsreiter sein müssen, und daß einer, der bloß Offizier auf Zeit ist und als solcher entlarvt wird, nachträglich disqualifiziert wird - mitsamt der ganzen Mannschaft. Es sollen nur Angehörige der Oberschicht teilnehmen, die Geld und Muße haben, um in ihrer reichlich bemessenen Freizeit ordentlich zu trainieren, keine armen Arbeiter; aber das ist eine andere Geschichte.

Eigentlich findet die Sommer-Olympiade 1956 im australischen Melbourne statt; aber da es dort kaum Pferde gibt und der Transport der wertvollen Tiere übers Meer vielen zu gefährlich erscheint, hält man die Reitwettbewerbe im schwedischen Stockholm ab. Die Deutschen gelten - wie zwei Jahre zuvor bei der Weltmeisterschaft der Balltreter in der Schweiz - als völlig chancenlos mit ihren traurigen Ackergäulen, die ihnen die Alliierten nach dem Krieg gnädig gelassen haben (die großen Zuchtgestüte in Ostpreußen sind nicht mehr). Zum Beispiel "Moritz", ein kastrierter Holsteiner, der sechs Tage pro Woche den Pflug in Dithmarschen zieht (pfui, ein Arbeiter - daß der überhaupt teilnehmen darf!), rund einen Zentner Übergewicht mit sich herum schleppt und mit dreizehn Jahren auch schon etwas alt ist für ein Springpferd (ein Pferd ist biologisch knapp dreimal so alt wie ein Mensch im gleichen Alter). Seit ein paar Jahren tritt er unter dem Künstlernamen "Meteor" auf, was aber eher als peinlicher Witz gilt, denn er ist so langsam, daß er sogar mal bei einem Turnier in Rom ausgeschieden ist, obwohl er kein einziges Hindernis gerissen hatte - wegen Zeitüberschreitung. Sein eigener Trainer, ein gewisser Thiedemann, will ihn kaum geschenkt haben: Fünfhundert harte D-Mark für so einen lahmen Klepper? Nein Danke! Dann ist da noch eine Stute, auch schon elf Jahre alt und zu allem Überfluß ein Halbblut - damals ist noch "Reinrassigkeit" gefragt, auch bei Pferden! -, gekreuzt aus einer französischen Kavallerie-Füchsin und einem deutsch-amerikanischen Traber. Man hat schon alles mögliche mit ihr versucht; aber sie hat nacheinander als Rennpferd, beim Military und in der Dressur versagt - daß man ihr überhaupt noch eine vierte Chance als Springpferd gibt, läßt sich wohl nur mit der damaligen Pferde-Knappheit erklären. Aber daß "Halla" in Stockholm auch nur einen Blumentopf gewinnen könnte, glaubt niemand im Ernst, zumal nachdem sich ihr Reiter, ein gewisser Winkler, im Vorlauf verletzt hat.

Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt: Die deutschen Ackergäule holen Gold im Einzel und in der Mannschaftswertung. (Und sie werden diesen Erfolg vier Jahre später bei der Olympiade in Rom wiederholen. "Meteor", der im Laufe seiner Karriere fast 200.000.- DM an Preisgeldern gewinnt - in den 50er Jahren ein Vermögen und Weltrekord - wird bald danach an Altersschwäche sterben. "Halla" wird noch achtfache Mutter und uralt werden. Ihren Kindern gibt man keine zweite, geschweige denn eine dritte oder vierte Chance - keines von ihnen macht eine Sport-Karriere.) Ist das eigentlich wichtig? Ja, ist es, auch wenn sich das heute viele nur schwer vorstellen können: Für die (vorübergehende) Wiedergewinnung der Selbstachtung der im Zweiten Weltkrieg unterlegenen und im Nachkrieg moralisch diffamierten Deutschen spielen die sportlichen Erfolge psychologisch eine wahrscheinlich noch größere Rolle als das viel gepriesene Wirtschafts-"Wunder" (da geht es zwar auch bergauf, aber man ist noch weit davon entfernt, Weltspitze zu sein), und die beiden Schlüssel-Ereignisse finden nun mal 1954 in Bern und 1956 in Stockholm statt. Selbsttäuschung? Selbstbetrug? Gewiß, aber gleichwohl zur Realität geworden. Die Leute sehnen sich nach einem Stückchen "heile Welt"; und "Weltmeister" oder "Olympia-Sieger" zu werden, ist halt Balsam für die Seele der geschundenen Nation. (Hat jemand außerhalb des im Kosovo-Krieg geschlagenen und zerstörten Jugoslawiens den ungeheuren Jubel nach der gewonnenen Basketball-Europameisterschaft 2001 mitbekommen, als Hunderttausende auf den Straßen des zerbombten Belgrad tanzten? Wahrscheinlich nicht - aber das Fänomen ist das gleiche, selbst wenn böse Zungen behaupten mögen, daß einige Serben insgeheim auch den Terror-Anschlag auf das World Trade Center in New York und den Tod der dabei umgekommenen verhaßten Amerikaner bejubelt haben, dessen Bilder ihnen das Fernsehen frei Haus lieferte.)

Trotz dieses großen olympischen Erfolgs mit den Pferden rüsten die Deutschen ihr einige Jahre nach dem Krieg wieder eröffnetes Reisebüro erneut mit stählernen "Katzen" aus: Leoparden, Geparden, Mardern... Unterdessen füllen sich auch die Straßen - nicht nur in Deutschland - immer mehr mit stinkenden Benzin-Kutschen. Pferde sieht man dort nicht mehr, das wäre ja auch unerhört, wenn diese lahmen Gäule (inzwischen fährt auch das langsamste Auto schneller als das schnellste Pferd laufen kann) den Verkehrs-Fluß behindern und die schönen Asfalt-Straßen mit ihren Pferde-Äpfeln verunzieren würden. (Die Zeiten, als Dikigoros' Großvater die noch mit der Schippe aufsammelte und damit die Gurken-Beete düngte, sind längst vorbei: Gurken wachsen, nach EWG-Norm fertig vorsortiert, bei Aldi im Glas, Strom kommt aus der Steckdose, und um die Pferde-Stärken der Blech-Kutschen zu mobilisieren, steckt man einen gezeichneten Tiger in den Tank.) Für Aussaat und Ernte braucht man sie auch nicht mehr, dafür gibt es jetzt auf jedem ordentlichen Bauernhof Traktoren und Mähdrescher. (Merkwürdig, daß trotzdem - oder etwa gerade deshalb? - niemand mehr Bauer sein will: schon die Bezeichnung gilt beinahe als Schimpfwort. Ein solcher heißt nun "Land-Wirt" - als ob er eine Kneipe auf dem Lande hätte!) Pferde sind ein kostspieliger Luxus geworden, etwas für spleenige alte "Herren-Reiter", die allgemein belächelt werden. (Dikigoros ist froh, als ihm seine Eltern einen billigen Draht-Esel kaufen.) Junge Damen nehmen keinen Reit-Unterricht mehr, die machen ihren Motorrad-Führerschein; und statt mit Teddy-Bären wachsen sie mit "Gummi-Bärchen" auf; diese süßlichen Gelatine-Häppchen mit Farbstoff sind nun - wie eine Webseite verkündet - die neuen "Begleiter des Menschen". Nur für die Polizei hält man noch ein paar, zu Parade-Zwecken, und zu Karneval.

Dennoch versuchen die Werbung, der Kinofilm und bald auch das Fernsehen vorerst die Illusion aufrecht zu erhalten, daß noch alles so ist zwischen Mensch und Tier wie früher. Dikigoros ist noch mit den Ponies vom "Immenhof" aufgewachsen und mit dem Wildpferd "Fury" (alias "Black Star" alias "Gypsy Colt" alias "Lone Star" alias "Johnny Guitar" alias "Giant"; jener Hengst ist einer der erfolgreichsten Schauspieler der 40er und 50er Jahre in den USA - aber das weiß Dikigoros damals noch nicht). Er hat als Kind freilich nicht gesehen, daß das nur noch die Vorspiegelung einer heilen Welt war, die es draußen längst nicht mehr gab. Erst als er Jahrzehnte später die Wiederholung jener alten Streifen sieht (in den neueren Filmen gibt es inzwischen nur noch Verfolgungsjagden mit der Benzin-Kutsche), begreift er, daß der Immenhof nicht umsonst Pleite gemacht hat und daß notwendige Voraussetzung für ein (finanzielles) Happy-end war, ihn in ein Hotel für organisierten Massentourismus umzuwandeln: Zu Beginn des letzten Films der Serie kommt der alte Tier-Arzt noch im einspännigen Pony-Karren daher gezuckelt; am Ende fährt der wohlhabende Manager des Touristik-Büros aus Dikigoros' Heimatstadt selbstverständlich im schnittigen Automobil vor. Dikigoros' Freund Kai-Uwe gründet eine neue Band, die er "Fury in the Slaughterhouse (Fury im Schlachthaus)" nennt und besingt ihre geschlachteten Kindheits-Illusionen. (Übermäßig viel Erfolg hat er nicht.) Auch in der bevorzugten Unterhaltungs-Lektüre der deutschen Nachkriegs-Jugend, den von dem deutsch-irischen Tierfreund Walt(er) Disney (und seinen Mitarbeitern Ub Iwerks und Carl Barks, die Dikigoros hier nicht unterschlagen will) gezeichneten Heftchen mit der Mickey-Maus und den Sprech-Blasen, dominieren bald die geldgierigen Enten und die glücklichen Gänse (die braucht der Mensch weiterhin, um sie in die Pfanne zu hauen); dagegen verschwindet das brave Pferde-Paar, Horatio Horse und Clarabelle (in der deutschen Übersetzung hießen sie "Rudi Roß" und "Klarabella"), sang- und klanglos in der Versenkung.

Daran ändert es auch nichts, daß Bruno Brehm 1957 sein Buch über die Flucht der Pferde bei Zug nach El Dorado umschreibt unter dem neuen Titel "Die sieghaften Pferde". (Zuvor hatte bereits seine Vorkriegsromane umgeschrieben zu einem einzigen Band unter dem Titel "Die Throne stürzen" - aber das ist eine andere Geschichte.) Nein, die Pferde sind nicht sieghaft - im Gegenteil: sie sind die großen Verlierer des technischen Fortschritts und der Auto-Mobilisation ihrer einstigen Halter.

Nun kommt der Mensch auf die glorreiche Idee, in den Weltraum zu reisen. Das ist zwar eigentlich eine andere Geschichte, aber wenigstens die Vorgeschichte dazu will Dikigoros hier erzählen. Der Mensch traut sich nälich nicht, gleich selber in seine Raketenkapseln zu steigen und sein eigenes Leben zu riskieren - wozu hat er seine Tiere? Die beiden Nationen, die ihren Wettlauf ins All veranstalten, gehen unterschiedliche Wege: Die Russen machen vorzugsweise Hunde zu Kosmonauten, die Amerikaner dagegen Affen zu Astronauten. Runter kommen sie immer, und fast immer tot. Die Propaganda der Konkurrenz schlachtet das immer weidlich aus, und so wird halt - ganz wie in der Werbung - etwas nachgeholfen mit der "Wahrheit", also dem, was der Zeitungs-Konsument glauben soll: Die Russen schießen Ende 1957 Sputnik II in eine Umlaufbahn, und darin sitzt ein armer Hund, genauer gesagt eine arme Hündin. Niemand würde sich um deren Schicksal im Ernst kümmern, aber die neidischen Briten (die bisher dachten, sie wären den Sowjets technisch voraus) hetzen ihre Tierschutzvereine auf; und die lassen sich tatsächlich dazu mißbrauchen, Protest-Demonstrationen vor der sojwetischen Botschaft in London abzuhalten, wegen "Tierquälerei". Die Schlagzeilen der Presse sind voll mit dieser albernen Story, und selbst die BBC widmet die ihr beste Sendezeit. Nicht mal einen Namen hat das arme Tier - also muß man schnell einen erfinden: Die BILD-Zeitung kommt auf "Locki"; die britischen Tierschützer lassen sich von der Sowjet-Botschaft mit der "amtlichen Auskunft" verarschen, sie heiße "Limontschik" (kleiner Limey - Schimpfwort für Briten, Anm. Dikigoros); dann kommt irgend jemand mal auf die Idee, zu hören, was die sowjetische Nachrichten-Agentur TASS dazu sagt, und die spricht von "Laika". Da im Westen niemand weiß, daß das nur die Bezeichnung für eine russische Mischhunderasse ist, geht dieser "Name" in die Geschichte ein. Natürlich überlebt "Laika" diese Reise nicht, und die Welt betrauert ihr Ableben. Die Pariser errichten "dem ersten Lebewesen, das in den Weltraum vorgedrungen ist", auf ihrem Hundefriedhof (ohne daß sie dort begraben wäre) eine Denkmalssäule, auf deren Spitze eine Nachbildung des "Sputnik" prangt; und die Japaner feiern 1958 zum letzten Mal offiziell das "Jahr des Hundes" - seitdem geraten diese Jahrestierzeichen des "chinesischen" Kalender allmählich in Vergessenheit, auch Japan wird "fortschrittlich". Die Russen aber verbreiten das Märchen, gleich drei ihrer Weltraum-"Laikas" seien anno 1957 heil zur Erde zurück gekehrt - sie türken zu diesem Zweck sogar ein paar Filmaufnahmen, die freilich niemand ernst nimmt. Zwei Jahre später schicken die Amerikaner eine Jupiter-Rakete auf die Reise, bemannt, pardon beafft, mit "Able" und "Baker". Angeblich kommen auch die beiden heil zurück - lebend gesehen hat sie aber niemand mehr, weil sie angeblich kurz darauf verstorben sind. Erst zwei Jahre später werden tatsächlich die ersten Primaten nachweisbar eine Reise ins Weltall überleben: die amerikanischen Schimpansen Ham und Enos (die mit Elektroschocks gefoltert werden, damit sie unterwegs die richtigen Pfotengriffe ausführen), und der russische Sowjetmensch Jurij Gagarin - aber das gehört nicht mehr hierher.

(...)

Nein, der Mensch braucht seine alten Kameraden und Reise-Gefährten nicht mehr, er (miß-)braucht nur noch ein paar andere Tier-Arten: Hühner, Schweine und Rinder werden in Konzentrationslager und "Legebatterien" gesteckt, unbeweglich gehalten (sie könnten sonst wertvolle Kalorien vergeuden), mit Gewalt genudelt und mit Antibiotika vollgepumpt, damit sie so schnell wie möglich ans Schlachter-Messer geliefert werden können. Nein, nicht ans Schlachter-Messer, das erledigt heute ein elektrisch geladener Stahl-Bolzen viel sauberer und billiger. Skrupel? Gewissensbisse? Woher denn - die Tiere sind doch nur dazu auf die Welt gekommen, um dem Menschen als Nahrung zu dienen, sonst wären sie gar nicht am Leben, also bitte keine Undankbarkeit! Oder sollen die Menschen etwa wieder hungern, wie früher, als es noch keine (oder jedenfalls nicht so viele) Schmerbäuche gab, als noch nicht 60% der alten Menschen an verfetteten Herzen oder an zugesetzten Arterien litten und als die armen Ärzte und Apotheker darob noch am Hungertuche nagten? Nein, heute soll jedermann jeden Tag seine Schweinshaxe auf dem Tisch haben, oder seinen Rinderschmorbraten, oder wenigstens einen "Broiler" (so nennt man am Grill-Spieß geröstete, von Fett triefende Hähnchen). Und die abgenagten (oder abgeschabten) Knochen und andere Abfälle werden zu Tier-"Mehl" (welch ein Ausdruck!) gemahlen und an die nächste Tier-Generation weiter verfüttert - das ist ökonomisch sinnvoll.

Wie grausam ist dagegen die Fuchs-Jagd! Durch Englands Straßen ziehen Gutmenschen und demonstrieren mit Plakaten, daß man dieser Tierquälerei doch endlich ein Ende setzen solle, denn sie diene ja keinem vernünftigen Zweck - schließlich kann man die Füchse nicht essen! (Warum eigentlich nicht? Ungesünder als ein Mast-Ochse können die auch nicht sein!) Dabei ist die Fuchs-Jagd die einzige Existenz-Berechtigung, die Pferde in den Augen der Briten noch haben (man könnte die Füchse natürlich auch mit einer Benzin-Kutsche überfahren, aber dafür stehen im Wald - noch - ein paar Bäume zuviel). Wenn die Fuchs-Jagd wirklich verboten würde, käme vdas dem Todesurteil für die letzten Pferde auf den britischen Inseln gleich (Anm: das schrieb Dikigoros wenige Jahre, bevor sie zu Beginn des neuen Jahrtausends tatsächlich verboten wurde), denn wer spielt schon noch Polo, und vierbeinigen Untersätze für die paar Pferderennen in Ascot pp. werden eh importiert. Nun rächt sich auch, daß die Germanen kein Pferdefleisch essen; und da ihr Geschmack sich über den größten Teil der Welt ausgebreitet hat, sieht man auch anderswo keinen Grund mehr, Pferde zu züchten. Vielmehr werden täglich Millionen "Hamburger" aus "gehacktem" (und wohl auch geschabtem) Rindfleisch verzehrt; die letzten Pferde-Metzger in Frankreich machen Pleite (auf dem einst größten Pferde-Schlachthof Europas, Paris-Vaugirard, wird ein "Expo-Park" errichtet), und die letzten Esels-Metzger in Italien auch (selbst Salami wird jetzt nicht mehr aus Esels-, sondern aus Rind- oder Schweinefleisch hergestellt), und wenn die Pferde und Esel ganz aussterben würden, fiele es wohl niemandem weiter auf.

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Auch andere Tiere haben wenig Glück: Der Bär war den Europäern früher ähnlich heilig wie das Pferd, genauer gesagt die Bärin, Ursula. Im 10. Jahrhundert hatte man sogar eine menschliche Heilige erfunden, die ihren Namen bekam, mit einer hübschen Legende aus dem 5. Jahrhundert. (Es gab auch eine Legende vom heiligen Ursicinus, den freilich kaum noch jemand kennt.) Aber die Bären hat der Mensch nun glücklich ausgerottet, jedenfalls in Europa, seiner Heimat, und Teddy-Bären gibt es nur noch im Museum. Dikigoros bedauert das sehr. Er ist noch mit einem Teddy-Bären aufgewachsen (seine Eltern waren etwas altmodisch, und das Pokemono war noch nicht erfunden), und er hat den Bären immer als sein persönliches Totem-Tier betrachtet, nicht nur weil sein zweiter Vorname (wie der seines Vaters und seines Großvaters) so lautet. Bären haben ein dickes Fell, können als einzige Katzenart gut schwimmen, sind sportlich und kinderlieb, essen gerne Fisch und Honig und halten lange Winterschlaf - ist das nicht ein sympathisches Mit-Lebewesen? Aber in einem bekannten deutschen Lexikon steht unter "Bären" heute nur noch: "Plumpe Tiere mit kurzem, dickem Hals". Da ist dem Menschen sein Auto doch viel lieber; deshalb nennt er neuerdings auch die Sternzeichen des Großen Bären und des Kleinen Bären "Großer Wagen" und "Kleiner Wagen". Ja, der Mensch will den Bären nicht mal mehr als Wappen-Tier sehen: Die Polen gemeinden 1977 die letzte Stadt, die seinen Namen trägt, nach Warschau ein. Die Russen machen "Mischa" zum Maskottchen der Olympischen Spiele von 1980, und niemand fährt hin - die Veranstaltung wird vom Westen boykottiert (aus Gründen, für die der Bär nichts kann); und ohne die zahlungskräftigen Valuta-Ausländer sind die Plüsch-Bären unverkäuflich. Die Berliner feiern 1987 (aus unerfindlichen Gründen) ihr 750. Gründungs-Jubiläum. Was stellen sie bei dieser Gelegenheit fest? "Berlin" kommt etymologisch gar nicht von "Bär" - also hat das Vieh im Stadtwappen eigentlich nichts verloren. In der Schweiz gelangen die Berner zur gleichen Erkenntnis - wie schön, daß die Wissenschaft solche Fortschritte macht!

Nachtrag 2007: Zwei Jahrzehnte später sieht es für kurze Zeit fast so aus, als ob die Berliner ihre Liebe zum Bären wieder entdecken sollten - aber dieses Ereignis hat eine weniger liebevolle Vor- und Nachgeschichte. Eines Tages war im Freistaat Bayern ein Braunbär aufgetaucht - auf freier Wildbahn! Das war zum ersten Mal seit über hundert Jahren, und eigentlich hätte man sich über "Bruno", wie ihn die Massenmedien bald nannten, freuen können, aber... irgend ein politisch einflußreicher Mensch hatte sich in den Kopf gesetzt, Brunos Fell als Trofäe in seinem Jagdzimmer aufzuhängen, und so erklärte er ihn kurzer Hand zum "Problembären", der unbedingt getötet werden müsse. Nein, nicht eingefangen und abgeschoben oder in einen Zoo gesperrt - er sollte sterben. Viele Wochen und viele Millionen später hatte die Jagd Erfolg: man erwischte ihn und knallte ihn ab. Doch sein Tod sollte einem seiner Verwandten das Leben retten, denn nach diesem barbarischen Akt der Bayern wollten wenigstens die Preußen es besser machen: Als im Berliner Zoo zwei Eisbärbabies geboren wurden, war es das erste Mal überhaupt in Europa, denn Eisbären pflanzen sich in Gefangenschaft für gewöhnlich nicht fort. Auch die Mutter war wenig begeistert und nahm ihre Zwillinge nicht an. Das erste Baby starb, und so genannte Tier- und Umweltschützer plädierten lautstark dafür, das andere auch sterben zu lassen, denn erstens sei es nicht artgerecht, so ein Tier im Zoo von Menschenhand aufzuziehen, und zweitens würde das von dem eigentlichen Problem ablenken, nämlich daß die Pole abschmelzen und dadurch ders natürliche Lebebensraum der Eisbären allmählich verschwand - man sollte lieber dagegen etwas tun als Tiere im Zoo aufzupäppeln. Aber sei es, daß es in Berlin keinen Politiker gab, der sich ernsthaft für so ein mickeriges kleines Eisbärenfell interessierte, sei es, daß die Preußen den Bayern zeigen wollten, was für edle Menschen sie waren - sie entschieden sich für eine Aufzucht des kleinen "Knut", wie sie ihn nannten. Und sie machten das recht geschickt, fütterten die Medien regelmäßig mit Berichten über den kleinen Eisbären, und bald war er das populärste Tier weit und breit: Der Zoo wurde vom Ansturm der Besucher aus aller Welt geradezu überrollt (sogar der "Problembär"-Politiker, der Bruno hatte abschießen lassen, kam persönlich vorbei, um sich medienwirksam ablichten zu lassen und seine Tierliebe unter Beweis zu stellen), der Souvernir-Verkauf schlug alle Rekorde, und - nach einem halben Jahr war alles wieder vorbei, denn ein Eisbär bleibt nicht ewig so klein und knuffig; und wenn er heran wächst, sieht er bald genau so aus wie jeder beliebige "Problembär". Bald sprach niemand mehr von "Knut", und die Schlagzeile in den Medien bekam nur noch ganz kurz eine andere Verwandte von ihm: die entlaufene Zirkusbärin "Liesa". Der konnte nun wirklich niemand nachsagen, daß sie eine "Problembärin" sei, die etwa fremder Leute Schafe reißen könnte, denn sie war weitgehend domestiziert, wollte halt bloß nicht mehr in Gefangenschaft leben. Es wäre schwierig gewesen, eine Begründung zu finden, um sie zu töten. Was tat man also? Man verpaßte ihr eine Überdosis Betäubungsmittel, an dem sie qualvoll verendete - so viel zur neu entdeckten Liebe des Menschen zum Bären. Nachtrag Ende.

Und nicht nur in der Genealogie: Nachdem man die Wölfe glücklich entsorgt hat, braucht man bald auch ihre domestizierten Nachfahren nicht mehr. Wozu denn auch? Als Wachhunde? Aber da sind Alarm-Anlagen doch viel sicherer, fressen nur etwas billigen Strom, machen keinen Schmutz und kosten keine Hundesteuer. Als Jagdhunde? Nein, nicht nur die Fuchsjagd wird abgeschafft, denn Jagen ist unöonomisch, viel unökonomischer als die Massentierhaltung - s.o. Als Schäferhunde? Aber frei umher laufende Herdentiere gibt es im Zeitalter der Massen-Stallungen doch ohnehin nicht mehr, und zumal Schafe sind "out". Als Dikigoros ein Kind war, weideten noch große Schafherden in den Rhein-Auen - aber heute? Wozu denn auch? Statt Wolle gibt es jetzt synthetische Fasern, die sind viel besser und billiger, und Hammelfleisch ist doch etwas für Türken (in der Türkei - den Gastarbeitern gewöhnt man als erstes an, deutsche Kost zu essen); und wenn heutige Kinder zum erstenmal eine echte Kuh sehen, wundern sie sich, daß die gar nicht lila ist, wie in der Fernseh-Werbung.

Aber damit sind wir schon bei einem neuen Fänomen: Der "zivilisierte" Mensch scheint seinen natürlichen Jagdtrieb eingebüßt zu haben - jedenfalls nach Ansicht der Werbeleute. Wie sonst soll man es erklären, daß die Tiere, mit denen sie ihre Werbung nach wie vor aufmachen, sich immer weiter von ihren natürlichen Vorbildern entfernen? Die Bären von "Bärenmarke" werden weiß - Eisbären auf der Alm? Der Frosch von Erdal wird erst rot und dann völlig zum Abstractum reduziert. Was solls, die deutschen Schuhhersteller haben ihre Produktion längst nach Fernost verlagert, Salamander ist nicht mehr. (Und die alten Lurchi-Hefte sind wegen ihres angeblich "fascistoïden" Inhalts längst verboten und durch neue Texte ersetzt.) Die tierischen Filmhelden aus Dikigoros' Kindheit sind längst vergessen: Fury? Die Wut? Lassie? Heißt so nicht ein orientalisches Joghurt-Getränk? Und Flipper? Ist das nicht der stupide Spielautomat mit den Kugeln, die in England "pin balls" heißen? Irgendwann wird sogar die lila Kuh von Milka abserviert und durch eine menschliche Werbeträgerin ersetzt, die mit ihrem Babyspeck über den anabolisierten Muskeln eher an eine Robbe erinnert (aber warum auch nicht - schließlich ist sie im Hauptberuf Schwimmerin :-) als an jemanden, der mal Milch geben könnte. Auch die Konkurrenz sortiert die Kühe aus: Die Firma Glücksklee hatte nach dem Krieg - von den Besatzern enteignet und von der US-Firma "Carnation" übernommen - der Alpenmilch Konkurrenz gemacht mit dem Werbespruch: "Wir haben Milch von glücklichen Kühen!" Auch ein Bruder von Dikigoros' Oma hatte in der Niederlassung in Neustadt/Holstein Arbeit gefunden; aber Mitte der 80er Jahre wird der Betrieb von den Schweizern geschluckt (nein, nicht der Alpenbär hat gesiegt, sondern der komische Vogel, der sein "Nestchen" auf dem Firmenlogo baut), und der Großonkel bei der Gelegenheit aussortiert. (Das ist nicht so schlimm, denn er steht eh kurz vor der Rente; aber für viele andere...
(...)

Was noch? Unter "Maus" versteht der Mensch bald einen elektronischen Apparat zur Bedienung von Computern. Na ja, ein paar echte Mäuse und Ratten (miß-)braucht er doch noch, als Versuchs-Kaninchen für seine Labore, denn die Menschen - und vor allem die Menschinnen - müssen doch ihre Duft-Wässerchen und Schönheits-Salben haben, und deren Schädlichkeit muß vorab an irgendwem erprobt werden. (Ist das die späte Rache für die angeknabberten Mammuts?) Entgegen weit verbreiteter Meinung braucht der Mensch die Tiere indes nicht mehr als Lieferanten für diese Mittelchen - deshalb sind Moschus, Zibetkatze und Pottwal inzwischen auch im Aussterben begriffen. Nun fand Dikigoros es ja schon immer etwas pervers, wenn Menschen in einem merkwürdigen Anfall von Waschzwang die eigenen Körpergerüche mit Seifen beseitigen, die den Schutzfilm der Haut zerstören, und ihre Schweißdrüsen künstlich zu kleistern, um das gesunde und natürliche Schwitzen zu unterdrücken, und sich anschließend mit sexuellen "Duft"-Stoffen von Stinktieren, Katzen und Bibern oder von Walen erbrochenem "Ambra" einzusprühen. Aber die jüngste Entwicklung findet er noch perverser - wenn eine Steigerung da überhaupt möglich ist: Die Wissenschaftler haben die chemische Zusammensetzung von "Muskon", "Zibeton" und "Exalton" erfolgreich analysiert und stellen das jetzt aus Benzol-Derivaten her. "Ambrox" - pardon, diese Bezeichnung ist gesetzlich geschützt, also nennen wir es "Ambrinal" - wird jetzt aus Sclareol, einem pflanzlichen Diterpen, gewonnen. Allein "Castoreum" alias "Bibergeil" haben sie noch nicht hin bekommen - deshalb sind die Biber auch noch nicht ganz ausgerottet. (Es ist ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, daß Tiere aussterben, weil der Mensch sie jagt oder ausbeutet. Solange er sie noch braucht wird er, wenn sie ihm auszusterben drohen, auch für ihren Schutz sorgen - ohne den es heute halt nicht mehr geht. Aber umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn er sie nicht mehr braucht, weil er einen fysikalischen oder chemischen Ersatz für sie gefunden hat, wird er sie gnadenlos verrecken lassen. Wieviele Pferde gab es weltweit, als man noch mit ihnen auf Reisen ging und den Acker bestellte? Und heute? Eben...)

(...) Nicht, damit die Katzen etwas zu fressen haben, die würden vielmehr Whiskas kaufen, wenn sie könnten - oder vielleicht doch lieber Scheba? Dikigoros' Kater - der einzige im ganzen Viertel, der nicht kastriert ist, denn die Kastration von Haustieren gilt nicht mehr als Grausamkeit, sondern als selbstverständliche Wohltat - ist da eine Ausnahme: Er jagt und frißt mit Begeisterung Vögel, Spinnen, Fliegen und andere Insekten. (Freilich mag er auch menschliches Essen, vor allem gebratenen Puter, wenn der gerade durch die Küche flattert, wie an jenem Weihnachtsabend, da er sich als ausgesetztes und ausgehungertes Katzen-Baby ins Haus und in die Herzen seiner Bewohner stahl und ob des Festschmauses so glücklich über den Boden kugelte, daß niemand es über sich brachte, ihn hinaus zu jagen. Seitdem kommt er immer wieder.) Dikigoros ist überzeugt, daß Gutfriß nicht nur der gefräßigste, sondern auch der klügste Kater der Welt ist, nicht nur weil er "Katzenfutter" mit Verachtung straft und sich wie sein Adoptiv-Vater mit den Vorderpfoten hinter dem Ohr kratzt (statt, wie Hunde und andere Katzen, mit den Hinterpfoten), sondern weil er auch die menschliche Sprache erlernt hat, und zwar ganz von selber, ohne daß irgend jemand sich bemüht hätte, ihm die beizubringen. Aber da Frau Dikigoros, wenn Gutfriß sich erwartungsvoll vor den Ofen setzte, immer gefragt hat: "Hast du Hunger?", und wenn er vor der Verandatür saß: "Willst du raus?", darf man sich nicht wundern, daß er sich das irgendwie gemerkt hat und nun selber "Hunger" oder "raus" sagt, wenn ihm der Sinn nach Braten oder Aussicht steht. Wenn er dagegen, wie andere Katzen, einfach nur miaute, ignorierte sie das für gewöhnlich mit den Worten: "Unser Dummi weiß wieder nicht, was er will" - was blieb ihm da anders übrig, als Deutsch zu lernen? Er hat zwar nur den Wortschatz eines Papageis, aber nicht dessen Sprechtechnik, sondern eher die eines menschlichen Bauchredners: er knurrt die Wörter aus dem Zwerchfell heraus. Wer beschreibt den Schrecken des Briefträgers, der friedlich am Treppenabsatz stand, um die Post einzuwerfen, als eines Tages ein kleiner schwarzer Kater neben ihm auftauchte und laut und vernehmlich "rauf" knurrte? Gewiß, mit einigen menschlichen Lauten hat er noch Probleme, z.B. mit dem "ch"; so kann er weder "Milch" sagen (er schlabbert mit Begeisterung Dosenmilch), sondern nur "Durst", noch "Frauchen" - wenn Frau Dikigoros nicht da ist, miaut er nur kläglich "Frau". Aber das tollste ist: er hat nicht nur die menschliche Sprache erlernt - das ginge ja noch an -, sondern auch die seiner Beutetiere, der Vögel: "Hör dir das mal an," sagt Frau Dikigoros, als Gutfriß etwa zweieinhalb Jahre alt ist, "er lockt die Vögel an, indem er ihr Zwitschern nachahmt, und dann krallt er sie sich!" Aber es kommt noch besser: Als Gutfriß etwa drei Jahre Jahre alt ist, schafft sich die Nachbarin, der gerade der Mann davon gelaufen ist, einen großen, getigerten Kater an, den sie "Mecki" nennt (Dikigoros nennt ihn dagegen - aus makabrem Anlaß - "Killroy" :-). Der ist Gutfriß fysisch weit überlegen - aber geistig kann er ihm nicht das Wasser reichen. Gutfriß hat nämlich nicht nur die Balzlaute seiner geflügelten Beutetiere erlernt, sondern auch die Jagdrufe seiner geflügelten Freßfeinde, der Eulen. Und wann immer ihm Killroy in die Quere zu kommen droht (er sieht ihn ja vorher, vom Verandadach aus), dann gibt Gutfriß ein schauerliches "Uhuuu" von sich, mit dem er alle anderen Kater in Hörweite in die Flucht schlägt.

Und dann ist da noch eine "menschliche" Eigenschaft an Gutfriß: Dikigoros hat ihm irgendwann mal beigebracht, die Tür zur Veranda zu öffnen; da die nach rechts innen schwingt, ist es das gescheiteste (jedenfalls wenn man keine Türklinke hat), sich links neben sie zu setzen und sie mit der linken Pfote auf zu ziehen. So weit, so gut. Wer beschreibt aber Dikigoros' Erstaunen, als er Gutfriß eines Tages überrascht, wie er die Türe öffnet, ohne daß jemand dabei ist: Er greift mit der rechten Pfote am Körper vorbei und zieht die Tür gegen den Körper, den er dann nach und nach zurück nimmt; eine viel umständlichere Prozedur, die kaum einen Sinn macht, wenn man nicht - Rechtshänder ist! Dikigoros kannte das von Menschen und Menschenaffen - aber von Katzen? Eigentlich müßte er diesen Wunderkater ja der Wissenschaft zur Verfügung stellen; aber er weiß nur zu gut, was den dann erwarten würde; und er glaubt zuversichtlich, daß er zum Wissen über "die" Katzen mehr beitragen kann, wenn Gutfriß bei ihm bleibt, als wenn ihm einige so genannte "Wissenschaftler" Metalldrähte ins Gehirn stecken und Strom durch jagen - und was der "wissenschaftlichen" Versuche, die sich der Mensch für "seine" Tiere sonst einfallen läßt, mehr sind. Überhaupt: wenn alle Katzen so wären wie Gutfriß, der viel lieber draußen herum tollt als im Haus herum zu hängen, dann hätte der Mensch sie sicher längst ausgerottet, wie die echten Tiger, Panther, Leoparden und Geparden in freier Wildbahn (ein paar hat er gnädigerweise noch zum Zwecke des Angaffens in Zoo-Käfige gesperrt und hält sie künstlich am "Leben").

Auf Reisen nimmt der Mensch "seine" Katzen nicht mit; er huldigt der Auffassung, daß die keine Ortsveränderung mögen; außerdem folgen sie nicht brav bei Fuß wie Hunde und lassen sich auch nicht am Halsband hinter einem (oder einer) her ziehen. Dikigoros' Kater ist auch da eine Ausnahme, der ist ihm von klein auf nachgelaufen, ganz unaufgefordert; er "markiert" auch die Wohnung nicht als sein Revier - das glaubt Dikigoros freilich keiner der Katzenhalter, die ihre Tiere kastriert haben, um genau das zu vermeiden; nun können ihnen die armen Kastraten nicht mehr beweisen, daß das eigentlich überflüssig war. Manche Kater kastriert der Mensch nicht nur, sondern quält sie auch noch anderweitig. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts benimmt sich der mächtigste Mensch der Welt so, daß ihn seine Mit-Menschen vorzugsweise so nennen wie ein anderes Tier (für das dieser Vergleich eigentlich eine Beleidigung ist), das sie sonst zu Haarbürsten, Handschuhen und Schweinebraten verarbeiteten. Da der oberste Mensch sich so benimmt, hat er eine schlechte Presse; seine Medien-Berater erinnern sich dunkel daran, daß schon mal ein Propaganda-Künstler mit Tieren eine gute Figur abgegeben hat (der war freilich wirklich Tierfreund und sogar Vegetarier) und empfehlen ihm, sich eine Katze zuzulegen - die kann er dann immer vorzeigen und damit beweisen, was für ein guter Mensch er ist. Also fängt er den nächsten besten Kater ein, kastriert ihn, und als ob das noch nicht genug wäre reißt er ihm auch noch die Krallen aus, weil er im Dienst öfters mal die Hosen runter läßt - denn eigentlich steht er viel mehr auf Pussies als auf Kater und hat Angst, daß der ihm dabei in die Quere kommen und die Klamotten zerkratzen könnte. (Der Kater kann von Glück sagen, daß ihm Billy-boy nicht auch die Augen ausgestochen hat - er könnte ja zusehen, wie er mit seinen Praktikantinnen "arbeitet".) Aber da Katzen kein Wahlrecht haben und in einer Demokratie nur das Wahlvieh entscheidet, unter dem die Tierfreunde nun mal eine verschwindende Minderheit darstellen, schadet das dem Ansehen des obersten Gutmenschen weniger als den bösen Menschen, die das - und anderes - zu kritisieren wagen. Als seine Amtszeit abgelaufen ist, braucht er den Kater nicht mehr; er läßt ihm eine Giftspritze verpassen und ihn heimlich zum Abdecker schaffen, der ihn zu Tier-Mehl verarbeitet. (Den Medien erzählt er das Märchen, seine Sekretärin habe den Kater "adoptiert" - auf eine Lüge mehr oder weniger kommt es ihm nun wahrlich nicht mehr an.)

Zum Schluß noch eine gute Nachricht: Der alte Traum des Menschen vom Fliegen ist in Erfüllung gegangen - allerdings nicht auf geflügelten Pferden. Vielmehr geht der Mensch auch auf diese Reisen wieder mit stählernen Elefanten, die sich im letzten (?) Großen Krieg schon so bewährt haben und die inzwischen so stark geworden sind, daß man ihre Kraft nicht mehr in Pferde-Stärken mißt, sondern in 1000-Menschen-Einheiten: James Watt hieß der Mensch, der diesen Stärken seinen Namen gab, und Jumbos nennt der Mensch die Dinger, die ihn durch die Lüfte tragen zu überfüllten Orten aus Steinen, Sand, Wasser (und Beton), wo er den Öl-Sardinen Konkurrenz machen kann. Er hat es weit gebracht, der Mensch - bildet er sich wenigstens ein -, Hauptsache, die Rechnung stimmt. Irgendwann zu Beginn des 21. Jahrhunderts bekommt er (mitsamt seinen "Gummi-Bärchen", deren Gelatine auch aus Rinder-"Mehl" gewonnen wird) die Quittung, und auf dem Quittungsblock steht "BSE" - aber das ist eine andere Geschichte.

heim zu Reisen durch die Vergangenheit