Der Neid der Kulturkämpfer*

von Tom Sora (Die Achse des Guten, 21.4.2024)

Anmerkungen und Links: Nikolas Dikigoros

Der Komponist John Cage (Anm. Dikigoros: schwuler Kakofoniker, 1912-92) wollte die Kompetenz und die Exzellenz abschaffen und sogar die Wörter, die sie benennen, verbieten. Hinter solchen Bestrebungen steckt nicht Sorge um die Benachteiligten, sondern ein tief liegender Neid. (Anm. Dikigoros: Nein, nicht Neid - der bedeutet, jemandem nacheifern zu wollen. Was hier im folgenden mit dem pseudo-intellektuellen Fremdwort "Ressentiment" bezeichnet wird, heißt auf Deutsch Mißgunst!)

Eine Kultur gibt den Individuen eine gemeinsame Basis, auf der sie interagieren. Eine gemeinsame Kultur ist mehr als nützlich, sie ist lebenswichtig. Aber die Aneignung der Kultur, in der man geboren ist, impliziert auch den Vergleich der eigenen Leistungen mit den Spitzenleistungen dieser Kultur und die daraus folgende sachliche Einschätzung der eigenen Möglichkeiten. Dieser Vergleich kann zur "Kränkung" derjenigen führen, die zwar in der kulturellen Arena ganz vorne mitspielen möchten, aber spüren, dass sie von ihrer Substanz her nicht zur Spitze gehören. Diese Kränkung kann den Wunsch entstehen lassen, die Bewertung aller kulturellen Leistungen allgemein abzuschaffen, um sich dem Vergleich zu entziehen.

Ressentiment, das sich als zerstörerischer Impuls gegen beneidete Personen oder Gruppen ausdrückt, hat es immer schon gegeben. Es entsteht laut Max Scheler - dem Philosophen, der im Anschluss an Nietzsche, aber aus einer konstruktiven Position heraus das Thema Ressentiment behandelt hat -, wenn die Kluft zwischen dem eigenen Wollen und dem eigenen Können ein bestimmtes tolerables Maß übersteigt.

Dann "stellt sich" laut Scheler "eine Tendenz [...] ein, den unbefriedigenden Zustand der Spannung zwischen Streben und Nichtkönnen dadurch zu überwinden, daß der positive Wert des [... erwünschten] Gutes herabgesetzt, geleugnet wird." Mehr noch: "Unter Umständen [wird] ein zu diesem Gut irgendwie Gegenteiliges als positiv wertvoll angesehen. Es ist die Geschichte vom Fuchs und den zu sauren Trauben."1

Erfolg ist theoretisch jedem gleichermaßen zugänglich

Eine potenzierte Neidform ist seit der Entstehung der modernen individualistischen westlichen Gesellschaft zu einem wesentlichen Zug der Massenpsychologie geworden. Denn je mehr sich ab dem 19. Jahrhundert die Moral der individuellen Selbstverantwortung und das Ideal der so genannten Selbstverwirklichung in der liberal-kapitalistischen Gesellschaft verbreitet hat, desto mehr ist bei denjenigen, die es nicht schaffen, das Niveau der Besten zu erreichen, die Voraussetzung entstanden, Ressentiment zu entwickeln. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Scheler den Zusammenhang, den es zwischen der Demokratie und dem Ressentiment gibt, so erklärt:

Die äußerste Ladung von Ressentiment muß [...] eine solche Gesellschaft besitzen, in der, wie in der unsrigen, ungefähr gleiche [...] Rechte resp. öffentlich anerkannte, formale soziale Gleichberechtigung mit sehr großen Differenzen der faktischen Macht, des faktischen Besitzes und der faktischen Bildung Hand in Hand gehen. [Eine Gesellschaft], in der jeder das "Recht" hat, sich mit jedem zu vergleichen und sich doch "faktisch nicht vergleichen kann."²

Was Scheler vor 100 Jahren schrieb, gilt noch viel stärker in der westlichen Gesellschaft nach 1950, weil alle Menschen in den liberal-demokratischen Leistungsgesellschaften der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts einerseits vor dem Gesetz wirklich gleichgestellt waren und die Wettbewerbschancen eines jeden so groß und gerecht waren wie noch nie. Der Erfolg war somit theoretisch jedem gleichermaßen zugänglich, und jeder hatte im Prinzip die Möglichkeit, sich durchzusetzen.

Formen des Ressentiments

Andererseits aber ist das persönliche Versagen derjenigen, die diese Chancen, aus welchen Gründen auch immer, nicht genutzt haben, desto offensichtlicher, je gerechter die Chancen verteilt sind. Dieser Spannungszustand zwischen der legal garantierten Chancengleichheit und der effektiven "Selbstverwirklichung" ist ein sehr günstiger Nährboden für die Entstehung von Ressentiment. Diese Situation kann zum Wunsch führen, das Haus des Nachbarn brennen zu sehen. (Anm. Dikigoros: Zu ergänzen: "bei dem, der es nicht schafft, selber ein ebenso schönes Haus zu haben". Deshalb sind "gemischte" Wohnviertel eine schlechte Idee.)

Aber Ressentiment kann auch eine subtilere Form annehmen [...] Diese viel grundsätzlichere Form des Ressentiments richtet sich nicht mehr gegen erfolgreiche Personen oder Gruppen, die sich durchgesetzt haben, sondern gegen die Werte, die von diesen Personen oder Gruppen verkörpert/repräsentiert werden. Die Angriffsziele dieser Form von Ressentiment sind nicht mehr beneidete Individuen oder Gruppen, sondern fundamentale philosophische und moralische Kategorien.

Der Angriff auf diese Kategorien oder Prinzipien erfolgt durch Entwertung. Dies geschieht zum Teil dadurch, dass ihre Bedeutung in das genaue Gegenteil umdefiniert wird. Aus gut wird böse und umgekehrt, aus wertvoll wird wertlos und umgekehrt. Diese Umkehrung nannte Nietzsche [...] "Umwertung der Werte".

Ein bescheidener Erfolg

Cages Wunsch, Kompetenz und Exzellenz abzuschaffen und sogar die Wörter, die sie benennen, zu verbieten, ist auch ressentimentbedingt. Tief liegender Neid (Anm. Dikigoros: Nein, Mißgunst - s.o.) ist einer der Gründe für seinen Hass auf die Kultur. Seine ausposaunte Solidarität mit den Underdogs, ist gar nicht so altruistisch [...] Cage hat sicher nicht allzu viel an das Wohl der Benachteiligten gedacht - seien es Komponisten, Studenten oder andere angeblich Diskriminierte. Er hat primär aus eigener Perspektive argumentiert, als Komponist, weil er sich selber als "Underdog", als "Diskriminierter" im Rahmen der "alten Musik" betrachtete.

Cage wusste, dass das Publikum seine "Kunst" definitiv und komplett ablehnte. Er wusste auch, dass er keinesfalls zu den großen Komponisten, nicht einmal zu den weniger großen gehörte, und hat das auch selber zugegeben. Sein trotziger Satz, er sei "kein Musiker", ist im Grunde eine bittere Einsicht. Seine Ablehnung der "old music" war zum Teil eine Folge dieser Einsicht. Deswegen hat Cage eine "Umwertung der Werte" versucht.

Seine ganze neomarxistische soziale Theorie der angeblichen systematischen Ausbeutung und seine Forderung, den Vergleich der Leistungen der Individuen abzuschaffen, war ein Mittel, um die Dürftigkeit seiner eigenen künstlerischen Möglichkeiten zu verbergen. Es stimmt zwar, dass Cage ein umfangreiches Gesamtwerk hinterlassen hat und dass er Erfolg hatte, aber dieser Erfolg war nur auf das sehr kleine Universum der "Neuen Musik" und der elitären, avantgardistisch-"progressiven" Kunst- und Intellektuellenwelt beschränkt, also sehr bescheiden im Vergleich zum Erfolg von Bach und Beethoven - zwei Komponisten, die auch ca. 200 respektive 270 Jahre nach ihrem Tod einen phänomenalen weltweiten Erfolg feiern.


*Dies ist ein Auszug aus Tom Soras Buch "Linke Intellektuelle im Dienst des Totalitarismus. Wie die Kunst-Avantgarde den Weg für die Woke-Bewegung bereitete. Das Beispiel John Cage, 424 Seiten, Solibro Verlag.


Anmerkungen:
1Scheler, Max: Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, in: Abhandlungen und Aufsätze von Max Scheler, Erster Band, Leipzig, 1915, S. 101-102
2vgl. ebd., S. 58


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