|
Gottfried Rehm P r o
f e s s o r
Fulda
Mundarten und Mundartgrenzen in der
Rhön
(shamelessly copied by Gil Freundlich
from
the original)
Mundarten sind kein verdorbenes Hochdeutsch; sie waren lange vor dem
Hochdeutschen da. In den Mundarten spiegeln sich historische Kulturräume
und (in Ansätzen) auch die alten germanischen Stämme wider.
Die Rhön teilt sich in zwei große Mundartgebiete: Die Mundarten der
West- und Nordwest-Rhön, die zum Hessischen gehören, und die Mundarten der
Ost- und Südost-Rhön, die zum Ostfränkischen zählen. Quer durch die Rhön
verläuft also die Sprachgrenze zwischen den mitteldeutschen (zu denen das
Hessische gehört) und den süddeutschen Mundarten, wozu das Ostfränkische
zählt. Diese Grenze verläuft östlich von Bad Brückenau und Motten, zieht
sich dann westlich von Gersfeld, Hilders und Tann weiter nach Nordosten.
Bad Brückenau und Motten (heute bayerisch) gehören also zum
fuldisch-hessischen Sprachgebiet; Gersfeld, Hilders und Tann (heute
hessisch) jedoch zum ostfränkischen: Hier z. B. zeigt sich die
jahrhundertelange Zugehörigkeit von Brückenau und Motten zum Fuldaer Land.
Im folgenden seien einige typische Sprachgrenzen in der Rhön kurz
aufgeführt.
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Die "p-pf-Grenze"
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Die sprachlichen Übergänge
zwischen dem Hessischen und dem Ostfränkischen sind fließend; als
eigentliche Grenze nimmt man die unterschiedliche p-pf-Lautung an. Das
Ostfränkische hat im 5. Jahrhundert die Verschiebung vom germanischen p
zum neuen pf mitgemacht, das Hessische (und das gesamte Norddeutsche) hat
das alte germanische p jedoch behalten. Beispiel: "Ein Pfund Äpfel" lautet
nordwestlich der p-pf-Grenze "e Pond Äppel" oder ähnlich. Die damals neue
Form "Apfel" mit pf ist in den Mundarten nur bis zu den Höhen von Spessart
und Rhön vorgedrungen.
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Die "Doppelvokal-Grenze"
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Doppelvokale wie au, eu oder ei
waren im Althochdeutschen noch nicht vorhanden. An ihrer Stelle standen u,
ü und i. Diese alten Vokale u, ü und i sind in den Mundarten der Nord- und
Nordwest-Rhön (und im Norddeutschen), also im "Einzelvokalgebiet",
erhalten geblieben, während sie im Süden zu au, eu und ei geworden sind.
Beispiel: Der Ausdruck "Mäuse im weißen Haus" wird im "Doppelvokalgebiet"
mit äu, ei und au gesprochen, während er in der nordwestlichen Rhön "Müs
im wisse Hus" ("Huis") oder ähnlich lautet. Diese Verschiebung von u, ü
und i zu au, eu und ei begann etwa im 11./12. Jahrhundert im Süden und
breitete sich rasch nach Norden aus, hatte im 14. Jahrhundert die Rhön,
die Mittel-Elbe und Berlin erreicht.
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Es muß hier erwähnt werden, daß
es auch im Einzelvokalgebiet Wörter mit au und ei gibt: in Einsilbern
(bau, drei usw.), ferner bei Wörtern mit r im Auslaut (Feier, Feuer, usw.)
und schließlich bei einer Wortgruppe, die im Germanischen ein ai besaß
(Fleisch, Eier, ein, Laib usw.).
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Die Diminutivgrenze
("-chen-lein-Grenze")
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Etwas südöstlich von der Doppelvokalgrenze verläuft durch die
Rhön die sogenannte chen-lein-Grenze. Südöstlich davon wird die
Verkleinerungsform der Hauptwörter durch Anhängen von -lein gebildet, das
in der Mundart als -le oder -la erscheint, z.B. Häusle oder ähnlich. Die
übrige Rhön hängt -chen an, das in der Mundart hier als -je oder -ee
erscheint. Das "ee"("Gaißee") ist also eine Variante des "-chen" in der
Nordwest-Rhön; die Endung "ee" ist aus "chen" entstanden; zum Beispiel
statt "Häuschen" heißt es "Hüsee" (z. B. in Poppenhausen), "Häusee" (in
Brückenau). Eine andere Rhöner Variante von "-chen" ist "je", also finden
wir z. B. die Form "Geißje" und "Häusje" (z. B. in Gersfeld).
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Im Plural wird im
"chen-Gebiet" vor dem -je oder dem - ee ein -er- eingeschoben: also die
"Häuschen" heißen hier "Hüseree" oder "Häuserje", während im lein-Gebiet
im Plural statt -le ein -lich eintritt.
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Die "Präterital-Grenze"
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Das Präteritum
ist die grammatisch Form der ersten Vergangenheit, z.B. ich ging, ich
dachte usw. In der Südost-Rhön (und in ganz Süddeutschland) ist das
Präteritum in den Mundarten verloren gegangen, stattdessen wird hier die
Form der 2. Vergangenheit verwendet: ich bin gegangen, ich habe gedacht
usw. Die Grenze, bis zu der die Präteritumsformen in der Mundart fehlen,
ist hier identisch mit der chen-lein-Grenze. Nördlich und westlich dieser
Linie sind viele Präteritumsformen in der Mundart erhalten: ich geeng, ich
doachd, ich sugg (ich ging, dachte, sagte). -
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Der Grund für den Verlust des
Präteritums im Süddeutschen liegt darin, daß etwa im 15. Jahrhundert die
Endung -e in den süddeutschen Mundarten abgefallen ist; dadurch war nun
z.B. "sagte" und "sagt" nicht mehr zu unterscheiden. So wurde das
Ausweichen auf die 2. Vergangenheitsform nötig.
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) "Vokal-Entrundung" und
"Senkung"
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Entrundung und Senkung sind bei den deutschen Mundarten im
Osten, Süden und Westen häufige Spracherscheinungen. Rundung und
Entrundung betreffen die Lippenstellung: Um ü und ö zu sprechen, bedarf es
gerundeter Lippen, deshalb nennt man ü und ö gerundete Vokale. Bei i und e
ist die Lippenstellung breiter, so nennt man i und e entrundet. Das Rhöner
Entrundungsgebiet liegt um Fulda, Spahl und Geisa. Sprachbeispiele: Kieh
(Kühe), Debbe (Töpfe), schee (schön) usw. Auch das ü, das im Hochdeutschen
als eu erscheint, ist hier entrundet, z.B.: Leute - Lüt - Liet usw. - Das
Rhöner Rundungsgebiet reicht im Osten bis zur Werra, im Südwesten bis ins
Mainviereck; darüberhinaus ist Entrundung eingetreten. - Im Ostfränkischen
sind die runden Vokale als "gebrochene Doppelvokale" vorhanden, z.B. mü-ed
usw.(was dann im gesamten südlichen Entrundungsgebiet als miad oder mead
erscheint.)
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Nun
zur Senkung: Hebung und Senkung betreffen die Zungenlage. Man nennt i, ü
und u gehobene Vokale, weil dabei die Zunge höher liegt, während e, ö und
o gesenkt heißen. Das Rhöner Senkungsgebiet umfaßt die nördliche und
nordwestliche Rhön; hier sind fast alle im Hochdeutsche gehobenen Laute
(i, ü,u) zu e, ö und o gesenkt. Dieses Senkungsgebiet reicht im Westen bis
an den Rhein. Beispiele: Keend, Keng (Kinder), Breef (Brief), School
(Schule) oder Glögg (Glück).- Daß die gesenkten Formen die älteren sind,
zeigen Vergleiche mit dem Lateinischen: Breef (Brief) kommt vom
lateinischen brevis, School heißt lateinisch schola usw.
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Genau genommen haben wir in der
Gegend von Fulda vier Senkungs/ Rundungs- Gebiete:
- Senkung mit Entrundung in Fulda und im
Nordwesten (z.B. "Keh" für "Kühe"),
- Senkung mit Rundung im Nordosten von Fulda (z.
B. "Köh" für "Kühe"),
- Nichtsenkung mit Entrundung im Westen und
Südwesten von Fulda ("Kih") und
- Nichtsenkung und Rundung im Süden und Südosten
von Fulda ("Küh").
Weitere Rhöner Besonderheiten
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Bei Fragewörtern ist das w zu b
geworden: bär (wer), boos (was), bu (wo), buhi (wohin), buhär, berömm
(warum), bänn (wann), benner (welcher), bee (wie).
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Der Rhöner setzt in einigen
Fällen vor R ein U statt eines O: Duurf (Dorf), Wuurd (Wort), Uurd (Ort).
Die dabei eintretende Dehnung ist allerdings keine Rhöner Besonderheit, es
sind Überbleibsel aus dem Mittelhochdeutschen.
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Eine typische Sprachform in der
Rhön und in Franken ist der Infinitiv, wovon es drei Formen gibt:
- den gewöhnlichen Infinitiv ohne Endung: mach, lauf, foar
(fahren) usw.,
- den Infinitiv nach "zu" mit Endung: ze mache, ze genn (zu
gehen), ze foann (zu fahren) usw. und
- den Infinitiv mit der Vorsilbe ge- nach einigen
Hilfszeitwörtern; er steht nach "kann", "mag" und "möchte". (Früher
wohl auch nach weiteren Hilfsverben.)
Beispiele: "Ich konns
gemach" (ich kann es machen), "mir möchdes gemach" (wir möchten es
machen). Diese ge-Vorsilbe bewirkt eine Verstärkung des Hauptverbs.
![](http://www.geocities.com/gilf_1/German/mundart_files/null.gif) Das Zahlwort
"zwei"
In
einigen deutschen Mundarten, z. B. im Schwäbischen, so auch in der Rhön,
wird im Gegensatz zum Hochdeutschen das Zahlwort "zwei" in drei Formen
verwandt, je nachdem, ob die betreffenden Hauptwörter männlich, weiblich
oder sächlich sind. Es heißt also in der Mundart der West-Rhön z.B.:
- zwee Männer ("zwee" nasaliert),
- zwu Meâd ("zwei Mägde", â = Laut zwischen a und ä), und
- zwâ Denger (zwei Dinge).
Da aber der Gebrauch der Mundarten stark
zurückgeht, sind diese Formen kaum noch in Gebrauch.
©1998-2002 G. Rehm
Näheres u. a. im Buch von Gottfried Rehm "Leben in der Rhön", 1996
im Rhön- Verlag Hünfeld erschienen.
Text- und Hör-Beispiele auch auf den Internetseiten von Christoph
Kaeppeler
Gedichte in Rhöner
Mundart des Autors finden sich - unter seinem Pseudonym Gustav Damann
- auf seinen Belletristik-Seiten (members.aol.com/GusDamann).
|