Die stigmatisierte Seherin Anna Katharina Emmerick

III. Krankheiten

Fast zeitlebens hatte Anna Katharina Emmerick unter Krankheiten, sehr häufig in recht eigenartigen Formen, zu leiden. Viele Berichte verdanken wir ihren unmittelbaren Erzählungen, die Clemens Brentano aufgezeichnet hat. In den Schilderungen wird auch immer wieder betont, welch wunderbare Hilfe die Kranke erfahren hat. Sie berichtet zum Beispiel selber über ein schweres Leiden in ihrer Kindheit: „Ich war ungefähr neun Jahre alt und hatte ein Fieber und war so wunderlich krank, wobei ich immer doch herumging, daß die Eltern glaubten, ich würde bald sterben. Da geschah es einmal (denn ich war damals immer im sehenden Zustand), daß ein schönes Kind zu mir trat und mir sagte, ich solle mehrere Kräuter, die es mir zeigte, sammeln und essen, so würde ich wieder genesen. Ich kenne diese Kräuter noch alle, aber ihre Namen kann ich nicht nennen. Unter anderem war der süße Saft der Windenblumen dabei. Ich aß von nun an immer diese Kräuter, die ich gleich fand, roh und saß oft lange oben in einer hohen Hecke und saugte den Saft aus Windenblüten. Ich ward auch sehr schnell wieder ganz gesund“ 92. — Es ist offenkundig, daß die Erzählende Wirklichkeit und Phantasie nicht auseinanderzuhalten vermochte.

Merkwürdige Leiden begleiteten Katharina Emmerick auch während ihres klösterlichen Lebens, das im Herbst 1802 mit der Noviziatszeit zu Dülmen begann. Um diese Zeit setzten ihre „übernatürlichen Krankheiten“ ein, „durch Leidensübernahme für andere begründet“ 93. In der Zeit zwischen dem 5. November 1802 und dem 26. April 1813 wurde sie von Dr. Krauthausen ärztlich betreut. Vom Frühjahr 1813 an wurde Dr. Wesener als Hausarzt zu Rate gezogen. Über Dr. Krauthausen urteilt Dr. Wesener ungünstig. Er sagt von ihm, er habe das Kloster umsonst bedient und sei ein alter, grämlicher Mann gewesen, der leider den Zustand seiner Patientin nicht erkannt habe. Katharina war mit Dr. Wesener weit mehr zufrieden als mit seinem Vorgänger. Sie erzählt, die Kuren, die sie nach Vorschrift Krauthausens habe mitmachen müssen, seien ihr „hart angekommen“; die Medizinen seien „immer viel zu hitzig“ gewesen. Doch habe sie diese „aus Angst vor dem Arzte und vor ihren Mitschwestern nehmen müssen, wiewohl sie vorausgesehen und es auch bald empfunden hätte, daß die Arznei sehr nachteilig sei“. Obwohl die Arzneien sehr teuer gewesen seien, habe Krauthausen bereits wieder neue Medizinen verordnet, wenn „die Flaschen kaum halb verbraucht gewesen“ seien 94.

Anna Katharina erzählt über den Beginn ihres Klosteraufenthaltes: „Von Anfang meines Noviziates an war ich in unbeschreiblichen inneren Leidenszuständen. Einmal war mein Herz wie von lauter Rosen umgeben, plötzlich wurden es lauter Dornen die es ganz durchstachen, und außerdem fühlte ich im Herzen und in der Brust viele Stacheln und Pfeile, die sie durchbohrten.“ Diese Schmerzen bezeichnete sie als Reaktion auf all das „Verletzende“, was ihr, der Unverstandenen, in Worten, Taten und Reden angetan wurde. „Alle diese verletzenden Reden“, sagt sie, „und selbst Gedanken gegen mich, welche nicht ins Werk traten, sah ich, wußte ich und fühlte ich wie spitzige Pfeile in mein Herz fliegen und es war kein heiles Fleckchen an mir“ 95. Wiederholt betont sie, daß sie im Kloster immer wieder ungerechter weise verdächtigt wurde und „Bußen, Verschmähungen, harte Worte und Vorwürfe aller Art“ ertragen mußte. Darob sei sie in eine „schwere Krankheit gefallen“, die damit begonnen habe, daß sie „heftige Schmerzen um das Herz und besonders in der Herzgrube“ bekommen habe; diese Schmerzen habe sie auch nach ihrer Genesung immerfort behalten, und zwar bis in die Zeit, da sie „das Zeichen des doppelten Kreuzes auf das Herz“ empfangen habe 96. Also auch hier zeigt sich wieder, daß die Ursache ihrer Leiden psychischer Art war.

Einige Jahre später, im Oktober 1805, zog sich Anna Katharina eine Hüftverletzung zu. Als sie „auf Anstiftung durch den Teufel in höchster Lebensgefahr“ war, durch eine Luke auf dem Dachboden in die Tiefe zu stürzen, da sah sie, daß sie jemand, ihrer Meinung nach der Schutzengel, zurückriß. So wurde sie aus der Todesgefahr errettet; aber der verhinderte Unfall hatte doch Folgen, vor allem die erwähnte Hüftverletzung 97. Diese hatte „dauernde Schmerzen und eine Geschwulst“ zur Folge, was zu ungefähr dreimonatiger Bettlägerigkeit führte. Schuld daran muß eigentlich der Engel gewesen sein, der die Gefährdete allzu heftig vom Abgrund zurückriß.

Am 5. November 1802 wurde Dr. Krauthausen zum ersten Male einer Erkältungskrankheit Katharinas wegen zu Rate gezogen. Um die Weihnachtszeit desselben Jahres litt sie an „Gallenbrechen mit sehr schmerzhaften und krampfartigen Zuständen“. „Die eigentliche Erkrankung“ zog sich bis Mitte Februar des folgenden Jahres hin. Emmerick blieb von dieser Zeit an meist schwach und kränklich. Dr. Krauthausen glaubte den Grund für diese Erkrankung Anna Katharinas in einem „großen Verdruß“ zu sehen, den sie gehabt habe. Sein Urteil stützt sich auf die Aussage der Kranken, sie habe bald nach dem Beginn des Noviziates „einen großen Verdruß“ gehabt, dabei habe sie Schmerzen „im Herzen“ bekommen, die immer geblieben seien, „bis sie die Wunden gekriegt“ 98.

Sobald eine Krankheit zu Ende ging, begann eine andere; vor allem litt Katharina „all die Jahre der Klosterzeit hindurch an Brustweh, Rheumatismus, Erkältungskrankheiten“. „Ein Schmerz in der Herzgrube“, den sie von ihrer ersten schweren Erkrankung im Kloster an, einem „Gallenfieber“, zurückbehalten hatte, verschlimmerte sich mit der Zeit sehr stark; sie erbrach „dickes, übelriechendes Blut“. Als „Übelkeit und Erbrechen“ aufgehört hatten, ergoß sich im Jahr darauf „oft von Zeit zu Zeit helles, flüssiges Blut ohne Anstrengung aus dem Munde“, einmal so reichlich, daß man eine Verblutung befürchtete. Jene im Oktober 1805 aufgetretene Geschwulst in der linken Hüftseite soll noch im Jahr 1813 „zwei Faust groß“, jedoch schmerzlos gewesen sein 99.

Anna Katharina bezeichnet ihre Gebrechen als „seltsame Zustände und Krankheiten“, die ihren Mitschwestern „so unbegreiflich“ vorgekommen seien, daß sie von dieser Seite „oft gar keine Hilfe“ zu erwarten hatte 100.

Schmerzhafte Leiden verfolgten Anna Katharina fast ohne Unterlaß, ja ihr Gesundheitszustand verschlimmerte sich fortwährend. Blutbrechen gehörte zu den gewohnten Erscheinungen. Besonders schlimm war es in den Jahren 1807 und 1809. Das Blut soll „meist dick“ und von „braunroter“ Farbe gewesen sein.

„Fast in allen übrigen Jahren war Emmerick wenigstens einige Monate erkrankt an Erkältungskrankheiten wie Katarrhen, Rheumatismen und Schmerzen auf der Brust“. Von 1809 an häuften sich „Schwächeanfälle“; diese waren „oftmals“ so heftig, daß die Kranke „zur Erde niedergestürzt ist“. Im Jahr 1810 plagte sie ein „heftiges Nervenfieber“; im Jahr 1812 mußte sie wegen „Wechselfiebers“ und „Magenschmerzen“ für lange Zeit das Bett hüten. Von Weihnachten desselben Jahres an blieb sie ans Bett gefesselt; ihr Rücken wies bereits im Mai 1813 Wundbrand auf 101. Im Jahr 1812 nahm Lambert Katharina Emmerick in seine Wohnung auf. „Die inneren und äußeren großen Veränderungen hatten auf sie einen so großen Eindruck gemacht, daß sie hier sogleich bis zum Tode erkrankte“ 102.

Dr. Wesener erzählt: „Unsere Kranke wurde täglich hinfälliger; wie ein Schemen (Gespenst) schlich sie von der Kirche in ihre Wohnung und in dieser herum, und gegen Weihnachten 1812 wollten sie ihre Füße nicht mehr tragen. Durch die gewöhnlichen Erquickungsmittel brachte sie ihr Brotherr jedoch noch einmal wieder auf die Beine. Aber um Fastnacht 1813 verfiel sie gänzlich und blieb nun bis zu ihrem Tode ins Bett gebannt“ 103. Dr. Wesener faßt die Geschichte ihrer Krankheiten also zusammen: „Das Register ihrer Krankheiten, die sie im Kloster ausgestand ist sehr lang. Kaum war sie von einer Krankheit genesen, so ward sie von einer anderen befallen. Ärztliche Hilfe vermochte über alle fast gar nichts“ 104. Am 23. Juli 1813 schreibt Clemens Brentano nieder: „Nach heftigen Schmerzen fällt sie oft in eine Ohnmacht, bei welcher die Augen fast geschlossen sind und, wie die Ärzte sagen, der Puls sehr leis, gleichwohl regelmäßig geht. Dann wird der Leib ganz starr, Muskeln und Flechsen aber — gegen die Natur gewöhnlicher Krämpfe — sind ganz erschlafft. Dann liegt sie manchmal wie tot, hat manchmal Phantasien wie eine Fieberkranke, manchmal aber redet sie Wunderbares und Schönes“ 105.

Die Gebrechen weisen auch für den Arzt immer wieder rätselhafte Symptome auf. Am 7. April 1814 stellte Dr. Wesener fest „Morgens ziemlich wohl, fühlte sie doch Krankheit nahen; sie litt an Spannung im Unterleib, bis zur Schmerzhaftigkeit in der Magengegend. Ich verordnete, den Unterleib und das Rückgrat mit Branntwein zu waschen, worauf ein Ructus erfolgte, und nach mühsamer Harnentleerung ein Dünnerwerden des Unterleibs. Abends war sie wenig bei Verstand, furchtsam und unruhig“ 106. An den folgenden Tagen rechnete man wiederholt mit dem Ableben der Kranken. Am 16. Mai 1814 stellte Dr. Wesener fest: „Sie war die ganze Nacht in größter Qual durch Schmerzen in den Präkordien und scheint jetzt das Gehör verloren zu haben. Gegen Mittag war sie so elend, daß wir ihr Ende gewiß erwarteten. Die Magenkrämpfe schienen den Inhalt des Magens durch den Schlund fortschaffen zu wollen, dann aber zog sich der Schlund zusammen und trieb ihn wieder zurück in den Magen. Sie konnte nicht mehr sprechen, und auch das Gehör schien verloren“. Der Leib der Patientin war in dieser Zeit „aufgetrieben“ und „bis an die Herzgrube gespannt und hart“. Dazu hatte sie „ekstatische Erstarrungen“ 107. Ihr Gesundheitszustand schwankte sehr häufig; nach „eigenartiger Veränderung und Besserung“ folgte wieder „neuerliche Verschlimmerung ihres Zustandes“ 108.

Aufregungen führten unmittelbar zu neuen Beschwerden. Nachdem Anna Katharina am 4. Januar 1821 den erkrankten Abbé Lambert besucht hatte, fiel sie „aus einer Ohnmacht in eine andere“ 109. Eine vom Arzt verordnete Medizin wurde nur schlecht vertragen; „alle Arznei jedoch“, die sie heilte, war, wie sie behauptet, „übernatürlich“ 110. Oftmals erschien ihr eine „unendlich schöne, leuchtende Frau oder ein heiliger Jüngling“, der Schutzengel oder auch Christus selber; sie brachten ihr Arzneien „in wunderbar hellen, schönen Flaschen, oder Kräuter oder kleine Bissen“ 111. Auch sonst wurde ihr immer wieder auf wunderbare Weise geholfen. Sie erzählt im Januar 1820: „So lag ich einst ganz elend dem Tode nah, da kamen zwei Klosterfrauen zu mir und hoben mich auf und machten mir das Bett sehr bequem und zierlich und betteten mich so sachte wieder hinein, daß mir ganz wohl ward. Ich hatte ganz in Schweiß auf meinem elenden Lager gelegen. Nun war ich ganz erfrischt und lag besser da als je. ... Diese beiden Erscheinungen von Klosterfrauen haben mir bis in die jetzige Zeit noch oft Liebe und Trost erzeigt. Es sind ein paar selige Nönnchen, die vor langer Zeit gelebt. Ich lernte sie recht gut kennen.“ Ein andermal kamen „zwei Geister“, die sie aus dem Bett hoben und in der Mitte der Stube „ein paar Fuß über der Erde in die Luft legten“. So ruhte sie „schwebend wie auf einem Lager“ 112.

„Manche besondere Schmerzen verursachte ihr auch ein quälendes Frauenleiden, auf das ihr Arzt nur durch Zufall aufmerksam wurde.“ Von Weihnachten 1812 bis zum Lebensende blieb sie ans Bett gefesselt. Bereits Anfang Mai 1813 erzählte sie dem Dechant Bernhard Rensing, „daß sie sich wieder so wund gelegen hätte, daß Hemd und Bettuch ihr am Rücken festklebten, daß sie tiefe Wunden am Rücken hätte“. Oftmals brachte sie nicht mehr die Kraft auf, sich allein umzudrehen. „Auf der rechten Seite konnte sie nicht liegen wegen der Seitenwunde, die inwendig sehr schmerzte, auf der linken Seite nicht lange, weil der Hüftknochen zu mager war und leicht schmerzhaft wurde“. Auch Dr. Ringenberg gegenüber klagte Anna Katharina über ihre Aufliegewunden. Aber kein Arzt hat jemals solche Wunden gesehen, weil Anna Katharina eine entsprechende ärztliche Untersuchung oder Behandlung ablehnte. Es gelang aber, durch Waschen mit Branntwein in der Folge das Aufliegen zu verhindern; als schließlich eine Matratze mit Pferdehaaren angeschafft worden war, kam es nicht mehr zu derartigen Wunden 113.

Zusammenfassend äußert sich Dr. Wesener nach dem Tode Emmericks: „Wenn sie einige Kräfte gesammelt zu haben schien, so trat meistens eine interkurrente Krankheit dazu, die alles wieder zerstörte. So habe ich sie an Rheumatismen, an Pleuritis, Hepatitis, Magenschmerzen, Gicht, Augenentzündungen, konvulsivischen Erbrechen, hartnäckigen Katarrhen, konvulsivischen Husten, Wechselfieber, Wassersucht und Gott weiß woran noch mehr behandelt. Aber mein ganzer Arzt-Apparat beschränkte sich auf exteriora und einige Tropfen einfacher Opium- oder Moschustinktur. Zum Glücke wirkten bei der unglaublich gesteigerten Sensibilität die äußerlichen Mittel fast Wunder“ 114.

Die Vielzahl der bei Katharina Emmerick diagnostizierten Leiden ist nur durch eine anlagebedingte Krankheitsanfälligkeit (Resistenzschwäche) erklärbar. Die von Clemens Brentano beschriebenen „Ohrmachtsanfälle“ und von Dr. Wesener geschilderten „ekstatischen Erstarrungen“ deuten auf das Hauptleiden hin. Das anfallartige Geschehen entspricht den psychomotorisch ausgelösten Absencen einer Pyknolepsie, d.h. den zeitlichen Bewußtseinstrübungen mit völliger Erschlaffung der Muskulatur.

Bei Anna Katharina Emmerick handelt es sich nicht um einen einmaligen Fall. Gesundheitliche Störungen in ihrer Häufigkeit und ihrer Vielfalt sind bezeichnend für die Stigmatisierten. Hier sei bloß an die zwei bekanntesten Stigmatisierten unseres Jahrhunderts erinnert, an Therese Neumann von Konnersreuth und an P. Pio von Pietrelcina . Bei allen zeigt sich das gleiche Bild; die Krankheiten der Stigmatisierten tragen deutlich und unübersehbar psychopathologische Züge. Es handelt sich um „offenbar konstitutionell bedingte und als per se krankhaft zu bezeichnende Abweichungen ohne ersichtliche zeitliche oder kausale Beziehung zu den Stufen des mystischen Innenlebens“ 115.

Krankheiten, Leiden und Gebrechen sind Lasten, die der Menschen Leben, wenn auch in verschiedenem Maße, begleiten. Es ist die Aufgabe des Menschen, eine zuweilen sehr schwere Aufgabe, mit ihnen fertig zu werden. Aber man kann nicht argumentieren, daß es Gottes absichtlicher Wille, ja seine Freude sei, dem Menschen absichtlich Leiden und Qualen aufzubürden. Es kann ja auch nicht sein Wille sein, jemanden an ein schweres Krankenlager zu fesseln, damit so andere zusätzlich belastet werden. Im Falle Anna Katharina Emmerick hatte die nähere Umgebung eine ganz schwere Last zu tragen.


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Letzte Änderung: 27. Januar 1998