Die stigmatisierte Seherin Anna Katharina Emmerick

VII. Gesichte

1. Die Frage Clemens Brentano

Was wir über die Visionen und die sonstigen "mystischen" Zustände im Leben Anna Katharina Emmericks wissen, verdanken wir weithin den Aufzeichnungen des Clemens Brentano. Aber alles, was dieser niedergeschrieben hat, soll beim angestrebten Seligsprechungsprozeß unberücksichtigt bleiben. Die Begründung lautet: Was Clemens Brentano aufgezeichnet hat, muß als Fälschung angesehen werden. Im Jahr 1923 veröffentlichte der Augustinerpater Winfried Hümpfner seine Dissertation, die sich mit der Glaubwürdigkeit Brentanos bei seinen Emmerick-Aufzeichnungen befaßt. Sein Urteil lautet in einer kurzen Zusammenfassung: "Von einem verschwindend kleinen Bruchteil abgesehen, ist für die ganze Masse der Visionen Anna Katharinas allein der, wie wir beweisen, höchst unzuverlässige Dichter Brentano der Gewährsmann." Hümpfner wirft Brentano eine "Rieseninterpolation" vor, eine "bewußte und beabsichtigte Rieseninterpolation". Er sagt: "Nicht bloß seine objektive, auch seine subjektive Glaubwürdigkeit in den Emmerick-Aufzeichnungen muß ganz entschieden verneint werden" (205). Prof. Hermann Cardauns nennt zwar Hümpfners Schlußfolgerung "eine Übertreibung"; aber auch er hat von Brentano eine sehr negative Meinung, die er in die Worte kleidet: "Der größte Dichter der Romantik ist auch nach seiner Bekehrung in hohem Grade anormal geblieben, ein exzentrischer Phantast von zuweilen beschränkter Zurechnungsfähigkeit. In einer solchen Natur konnte der Doppelgedanke einer gottgewollten visionären und prophetischen Lebensaufgabe der Emmerick und seiner eigenen Berufung, die Erfüllung dieser Aufgabe der Welt zu 206) verkünden, sich leicht zur Zwangsvorstellung ausbilden" (206)

Zu diesen überkritischen Urteilen muß bemerkt werden: Hätte man jederzeit "mystische Schriften" im Hinblick auf die Frage einer objektiven Darstellungsweise mit gleicher Strenge durchleuchtet, dann wären unendlich viele Schriften der "Mystiker" und Veröffentlichungen über diese viel besser unbeachtet geblieben. Bei Clemens Brentano werden offensichtlich viel strengere Maßstäbe angewendet als sonst üblich. Die Brentano-Frage hat auch im Falle Therese Neumann eine gewisse Rolle gespielt. Die Stigmatisierte von Konnersreuth hat ja Schriften über Katharina Emmerick fleißig studiert und die Stigmatisierte von Dülmen weithin kopiert. Im September 1927 weilte Minister Dr. Brauns in Konnersreuth. Er bemängelte, daß die Stigmatisierte von Dülmen nicht wie Therese Neumann Jerusalem, sondern Ephesus als Sterbeort Mariens bezeichnet hatte. "Therese jedoch erwider e, daß von den Schriften, die der Katharina Emmerick zugeschrieben werden, nur die Hälfte von ihr ist, die andere Hälfte sei von Brentano" (207) . Die Verteidigungsrede der Stigmatisierten von Konnersreuth gibt nur wieder, was ihr von ihrer Umgebung eingeflüstert worden war. Es wird einfach die Schuld für Irrtümer Clemens Brentane zugeschoben. Dabei muß auch noch ein Irrtum Therese Neumanns richtiggestellt werden: Von Katharina Emmerick stammt, abgesehen von zwei Briefen, überhaupt keine Schrift. Das weiß man offenbar nicht einmal beim zuständigen Bischöflichen Ordinariat in Münster; denn von dort erhielt der Verfasser dieser Schrift am 27. September 1974 einen Brief, in dem unter anderem zu lesen stand: "Übrigens spielen im Seligsprechungsprozeß die Schriften der Anna Katharina Emmerick keine Rolle, weil sie als Schriften Brentanos gelten."

An den Abweichungen,in der jeweiligen Darstellung von visionär gescheuten Ereignissen bei Anna Katharina Emmerick und Therese Neumann hat sich auch Dr. Fritz Gerlich gestoßen. Dr. Steiner erklärt die angebliche Unzuverlässigkeit Brentanos so: "Brentano war ein Dichter und man spürt an seiner Sprache und seiner Ausdrucksform, daß vieles zur Erbauung des Lesers subjektiv dargestellt und ausgeschmückt ist" (208). Also wieder wird die Schuld auf Brentano geschoben. Ganz anders urteilt Prof. H. Meyenberg: "Wir sind der festen Überzeugung, daß Clemens Brentano, der seelisch innerlich so viel während seines Aufenthaltes bei Anna Katherina Ammerick gewann, bei seinen Aufzeichnungen, Reinarbeiten, bei seinem Vorlegen des Geschriebenen zur Prüfung von seiten der Seherin und bei seiner ersten Ausarbeitung nicht dicherisch frei oder gar als Fälscher verfahren ist. Trotz seiner Gestaltungskraft besitzen wir in dem von ihm selbst und nach seinem Tode auf Grund seiner Papiere Herausgegebenen die Gesichte der Emmerick in substanzialer Unverfälschtheit." Ihr Stil ist nicht der frühere Brentano-Stil" (209).

Daß Brentano nicht einfach alles selber erdichtet hat, zeigt die Lektüre der beiden von Dr. Anton Brieger veröffentlichten Bücher. Was er niederschreibt, geschieht in der Form eines Tagebuches. Auch Brieger tritt für Brentano ein. Er sagt: "Man hat Brentano vielfach hier anlasten wollen, er habe zu viel Menschliches, zu viel Unerquickliches in seine Aufzeichnungen hereingetragen oder aufgenommen. Der Vorwurf besteht nicht zu Recht. Die Akten beweisen dies" (210)

Vor allem muß man zwischen den Tagebuchaufzeichnungen Brentanos und den von ihm veröffentlichten Schriften unterscheiden. Als er sein Buch "Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi" veröffentlichte, schrieb er selber in der Einleitung, daß die veröffentlichten "Betrachtungen" nicht den "Charakter historischer Wahrheit" beanspruchen wollten. Clemens Brentano hat fünf Jahre hindurch regelmäßig Katharina Emmerick aufgesucht und hat niedergeschrieben, was sie ihm erzählte; seine Tagebücher umfassen 24 umfangreiche Hefte. Sie dürfen nicht anders beurteilt werden als die Aufzeichnungen anderer Zeitgenossen, die sich ebenfalls Notizen über das gemacht haben, was sie am Krankenbett der Stigmatisierten von Dülmen gesehen und gehört haben. Wenn Brentano seine Kurznotizen zu Hause erweitert und sie dann oftmals noch am selben Tag der Seherin vorgelesen hat, "wo sie dann manches berichtigte", kann man ihn nicht als Fälscher bezeichnen (211) . Nehmen wir zum Vergleich einen analogen Fall: Ähnliche Aufzeichnungen hat der Konnersreuther Pfarrer Josef Naber gemacht. In seinem Tagebuch schildert er die Visionen, die Therese Neumann gehabt haben will. Aus den bruchstückweisen Äußerungen der Seherin macht der Pfarrer mit Hilfe veröffentlichter Schriften eine zusammenhängende Schilderung, so daß man den Eindruck gewinnt, als habe Naber selber die Visionen gehabt (212).

Nirgends ist in den Konnersreuther Schriften zu lesen, daß Pfarrer Naber als Fälscher anzusehen sei. Warum P. Hümpfner mit Clemens Brentano so hart ins Gericht geht, verrät er in der Einleitung zu seinem Buch über die Glaubwürdigkeit des Dichters: "Im Fall Anna Katharinas kommen also die von Clemens Brentano aufgezeichneten angeblichen Mitteilungen derselben in Betracht, vorausgesetzt, daß Brentano als glaubwürdiger Zeuge angesehen werden muß. Wäre dies der Fall, dann müßten die von ihm überlieferten Visionen etc. geprüft und Anna Katharina für etwa darin befindliche Irrtümer verantwörtlich gemacht werden, was gegebenenfalls die Fortführung des Prozesses unmöglich machen würde" (213). Dr. Philipp Funk, der Herausgeber des "Bayerischen Kuriers" hat in der "Literarischen Beilage" vom 19. Mai 1924 offenbar richtig geurteilt, wenn er sagt: "Um nun dem advocatus diaboli jede Möglichkeit zu Einwürfen von vornherein zu nehmen, haben die deutschen Augustinereremiten als die 'Postulatoren' des Prozesses durch P. Hümpfners Arbeit den radikalen Versuch gemacht, die Existenz von zu prüfenden Schriften Anna Katharinas einfach zu verneinen, indem sie geltend machen, daß alles, was vorliege, Clemens Brentanos Werk sei" (214 ). Dazu muß gesagt werden: Solch ein Vorgehen ist zwar sehr einfach, aber es ist mehr als unredlich. Offenbar bleiben beim geplanten Seligsprechungsprozeß nicht bloß die Aufzeichnungen Brentanos unberücksichtigt; auch all das, was in der Frage Prof. Dr. Meyenberg, Dr. Philipp Funk, Dr. Anton Brieger und andere gesagt haben, wird einfach nicht zur Kenntnis genommen, wie die erwähnte Mitteilung des Münsterer Bischöflichen Ordinariates zu erkennen gibt.

Am 1. Mai 1813 sprach der Arzt Dr. Wesener Katharina Emmerick gegenüber sein Bedauern aus, "daß wir nicht eine genaue Geschichte der früheren Lebensgeschichte Jesu besäßen". Daraufhin erklärte die Kranke, "sie wisse alles so haarklein, als wenn sie alles selbst gesehen hätte; auch die ganze Geschichte der Mutter Jesu wisse sie ganz genau" (215) . Davon war also Katharina Emmerick überzeugt und es kann auch nicht bezweifelt werden, daß sie ihr vermeintliches genaues Wissen ihrem "Pilger", wie sie Clemens Brentano gerne bezeichnete, mitgeteilt hat. Daß dieser das auf diese Weise Erfahrene in seiner Art wiedergegeben hat, kann man ihm ebensowenig verübeln wie anderen, die ihre Notizen verbreitet haben.

Es kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: Katharina ist jederzeit selber für Clemens Brentano eingetreten. Ja, sie betont, es sei seine Lebensaufgabe, dafür zu sorgen, daß er über sie Buch führe und daß man mit den durch sie gewonnenen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit trete. "Ich weiß", sagte sie einmal, "daß ich schon längst gestorben wäre, wenn nicht durch den Pilger alles bekannt werden müßte. Er muß alles aufschreiben; die Verkündigung der Gesichte ist meine Bestimmung. Und wenn der Pilger erst alles in Ordnung hat, wird auch er sterben" (216) Damit sagt Katharina Emmerick ausdrücklich, daß Clemens Brentano eine ihm von oben gestellte Aufgabe erfüllen müsse; ja, sie spricht sogar etwas wie eine Prophezeiung über ihn aus, die freilich keine Bedeutung hat. Clemens Brentano hatte nach dem Tode der Stigmatisierten von Dülmen noch 18 Jahre Zeit, alles in Ordnung zu bringen; er starb im Jahr 1842. Der "Pilger" weilte fünf Jahre "am Lager Anna Katharinas und erfüllte seine Aufgabe, die Gesichte aufzuschreiben, welche Gott ihr geboten hatte, anderen mitzuteilen" 217) . Also, daß Brentano die Visionen niederschrieb, das war eine "gottgewollte Aufgabe". Katharina Emmerick erhielt sogar "nach dem Erscheinen des Pilgers die ausdrückliche Weisung von ihrem Schutzengel, ihre Gesichte dem Pilger getreu mitzuteilen", und sie gestand diesem, "sie fühle, daß sie unendliche Gnaden und Gesichte vergebens gehabt, weil sie niemandem dieselben habe mitteilen können" (218)

Schließlich wurde "die Forderung des Himmels an Katharina Emmerick, ihre Visionen dem Pilger mitzuteilen", auch "von ihrer geistlichen Obrigkeit an sie gestellt". "Sie hatte ihrem Beichtvater die Weisung ihres Engels mitgeteilt. Es trafen aber bald darauf der Generalvikar und Overberg zum Besuch bei ihr in Dülmen ein. Diese haben ihr im Gehorsam befohlen, ihre Erkenntnis und Visionen von nun an mitzuteilen, und zwar an den Pilger da Gott ihr denselben durch seine Vorsehung geschickt habe" (219)

Wenn die zuständige kirchliche Behörde, wenn Katharinas Schutzengel, ja Gott selber von der Seherin gefordert haben, sie müsse Clemens Brentano ihre Visionen und sonstigen Gnaden offenbaren, damit er sie verbreite, kann man doch nicht mehr sagen, Clemens Brentano sei so etwas wie ein Fälscher gewesen.

Natürlich ist das Gerede der Visionärin über die von Gott gegebenen Weisungen eines ihrer Märchen. Aber wenn schon nunmehr vom zuständigen Bischof in Münster der Versuch unternommen wird, Anna Katharina Emmerick seligsprechen zu lassen, dann darf nicht einfach ausgeklammert werden, was Clemens Brentano niedergeschrieben hat. Weder Brentano noch andere, die über Katharina Emmerick Aufzeichnungen gemacht haben, erheben der Anspruch, ein protokollarisch exaktes Werk angefertigt zu haben. Dies war ja schließlich auch gar nicht möglich; die notierten Aussagen kamen in der Regel bloß bruchstückweise aus dem Mund der Seherin; außerdem redete sie in ihrer plattdeutschen Umgangssprache.

Bei den Aufzeichnungen handelt es sich viel weniger um eine Brentano- als um eine Emmerickfrage. Es geht um den Inhalt ihrer Visionen und "Erlebnisse" und die darin enthaltenen Irrtümer, für welche die Stigmatisierte von Dülmen verantwortlich ist. Es geht nicht an, Clemens Brentano als den Schuldigen hinzustellen, damit nicht "gegebenenfalls die Fortführung des Prozesses unmöglich" gemacht werde.

Beim Studium der Literatur über Katharina Emmerick stößt man immer wieder auf eine doppelgesichtige Argumentation. Auf der einen Seite betont man die Übernatürlichkeit der berichteten Phänomene, auf der anderen Seite lehnt man den Berichterstatter ab, den Katharina Emmerick selber als von Gott geschickt bezeichnet hat.

Bischof Dr. Heinrich Tenhumberg von Münster erwähnte in seiner Predigt, die er anläßlich des 200. Geburtstages der "Seherin von Coesfeld" hielt, auch ihre Visionen "über das Leben und Leiden Jesu"; er betont, Gott habe Katharina Emmerick die Macht verliehen, "Glauben zu wecken und zu festigen". "Viele Millionen Menschen", so sagt der Bischof, "haben im 19. Jahrhundert und darüber hinaus in den bedrängenden Anfechtungen ihres Glaubens durch die Wellen einer nationalistisch verengten Aufklärung Halt und Stütze gefunden in den Visionen der Anna Katharina Emmerick" (220). Wenn dem so ist, warum müssen dann die Visionen der Stigmatisierten von Dülmen beim geforderten Seligsprechungsprozeß ausgeklammert werden?

Überlegen wir uns einmal: Wollte man die Schriften des Neuen Testamentes in ähnlicher Weise beurteilen wie Brentanos Aufzeichnungen, dann könnte man so argumentieren: Die Schriften des N.T. spielen bei der Beurteilung Jesu keine Rolle, weil sie nicht von Jesus geschrieben wurden!

2. Visionen

Anna Katharina Emmerick ist vor allem bekannt geworden ihrer Wundmale wegen und aufgrund ihrer Visionen. "Der Heilige Geist", schreibt P. Wegener, "erleuchtete sie in ihren Kinderjahren über die Geheimnisse des Alten Bundes, in ihren späteren Jahren über die vollständige Geschichte Jesu und der Apostelkirche" (221). Sie "sah im Verlauf jeden Kirchenjahres unsere ganze Heilsgeschichte mit allen Umständen der Zeit, des Schauplatzes und der handelnden Personen, und zwar so treu und vollkommen, wie alles sich in Wirklichkeit begeben hat. Sie sah aber nicht allein diese Tatsachen, sondern sie war eine Mitlebende dabei. So befand sie sich Weihnachten in Bethlehem an der Krippe und betete mit den Hirten an. Am Mariä Heimsuchung reiste sie mit der heiligen Jungfrau zu Elisabeth usw." (222)

Weiter wird gesagt, daß sie alles geschaut und gehört hat, was Jesus während seiner öffentlichen Tätigkeit gesagt und getan hat. "Während seines dreijährigen Lehrwandelns und seines bitteren Leidens und Todes verfolgte sie ihn von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, hörte seine Lehren, sah seine Wunder, ging mit ihm von Ort zu Ort, nicht anders, als hätte sie zu Jesu Zeiten gelebt. Dieses alles, sowie seine Auferstehungszeit und die Geschichte der Apostelkirche bis zur Himmelfahrt Marias ist von ihr auf Anordnung Gottes mitgeteilt und aufgeschrieben worden. Die innere Wahrheit dieser Anschauungen wird zugleich durch ihre Kenntnis bewiesen, welche sie bei der Erzählung von der Erdbeschreibung, Geschichte, Beschaffenheit und Ortskenntnis des heiligen Landes, von den Festen, Gebräuchen und den Sitten der Bewohner bezeugt" (223). So hat P. Wegener in seiner Schrift über Anna Katharina Emmerick geurteilt. Dieselbe Überzeugung wird seitdem bis in unsere Gegenwart vertreten (224). Greifen wir aus den "Visionen" der Stigmatisierten von Dülmen einige Beispiele heraus und prüfen wir, ob oder wem sie Halt und Stütze zu geben fähig sind und ob sie Glauben zu wecken und zu stärken vermögen!

a) Visionen aus dem A.T.

Da führt sie uns in wortreichen Schilderungen zurück bis an den Anfang der Menschheit. Bereits in ihrer Kindheit will sie darüber Bescheid erhalten haben. Aus ihren späteren Erzählungen nehmen wir einen Auszug: "Adam und Eva sah ich vor dem Fall rötlich durchschimmernd, sehr schön und edel. Ich sah keinen Nabel, keine Brustwarzen an ihnen. Sie hatten fünf Haarlocken, wie Strahlenbündel auf dem Haupt, zwei an den Schläfen, zwei hinter der Ohrengegend und einen am Hinterhaupt. Von ihrer Brust bis zu ihrem Unterleib waren sie mit Strahlen umgeben, wie mit einem Flor. Ich erinnere mich dunkel, daß Adam vor der Schaffung der Eva das weibliche Wesen in sich gehabt, daß Eva klein aus seiner rechten Seite hervorgegangen und schnell neben ihm emporgewachsen". Dann schildert Anna Katharina die Eva eingehender: "Ich erinnere mich, zu der Zeit, als ich als Kind so traurig über die Schmach der Entstehung der Menschen war, ein Bild der Eva gesehen zu haben, wie sie ohne den Sündenfall geboren haben würde. Ich sah ihren Leib ganz anders. Ich sah keine solchen Gedärme und Ausleerungen wie jetzt. Ich erinnere mich, daß ich ein Herz sah und viele Gefäße aus demselben, welche sich in einen runden Ballen einsenkten, unter welchem das Kind lag, die Arme vor der Brust gekreuzt, mit dem Kopf gegen die rechte Seite der Eva unter den Brustrippen, und daß das Kind wachsend da einen Wulst bildete, und daß gerade, wo Eva aus dem Adam stieg, und wo Longinus die Seite öffnete, sich schmerzlos eine Haut geöffnet hätte und das Kind aus einer Wunde wie reine Lippen hervorgekommen sein würde. Ich sah das Kind nicht durch eine Nabelschnur von der Mutter genährt, sondern von einer Röhre, welche mit einem kleinen Wulst seine Rippen bedeckte. Es würde auch nicht an seiner Mutter gesaugt haben, an welcher ich keine Brustwarzen sah. Ich glaube, daß die Empfängnis bewußtlos und ohne fleischliche Vermischung durch das Wort geschehen wäre" (225). Derart naive Phantastereien sind doch wohl nicht geeignet, echten Glauben zu wecken und zu stärken.

Katharina Emmerick ist der Meinung, der Leib des ersten Menschen sei auf dem "Kalvarienberg" begraben worden (226). Als sie am 7. April 1821 über das Wort "Schädelstätte" nachdachte, kam ihr sofort die "Erleuchtung". Sie erzählt darüber: "Ich dachte heute nachmittag an das Wort Schädelstatt und kriegte sogleich ein Bild, wie ein Prophet an diesem Ort, der damals nicht wie zu Jesu Zeit gewesen, sondern ein Hügel voll Höhlen und Mauern, wie Gräber, sich in die Erde begeben. Ich meine, es war der Gefährte des Elias. Ich sah ihn unten in einem Steintrog mit Gebeinen den Schädel Adams ergreifen, und es stand einer bei ihm, ich glaube eine Erscheinung, ein Engel, der ihm sagte: 'Dieser ist der Schädel Adams', und er wollte ihn mit herausnehmen. Er dürfte aber nicht. Es waren auf diesem Schädel dünne gelbe Haare hier und da. Ich sah auch, daß durch die Erzählung des Propheten der Ort Schädelstatt genannt sei. Ich sah zugleich, daß der Fuß des heiligen Kreuzes senkrecht über diesem Kopf gestanden. Ich erhielt auch, daß dieses die Mitte der Erde sei, und die Länge nach Morgen und Abend wurde mir gesagt" (227)

In kindlich-naiver Faselei schildert Katharina Emmerick, wie die Stammeltern versucht wurden: "Ich sah die Schlange, an welcher Eva viele Freuden hatte, immer vor ihnen herschweifen, ihnen alles geben, holen, Steinchen aus dem Weg tun, ihnen dieses, jenes reichen. Sie war überall, wo sie wollten, war ungemein schnell und zierlich und listig und freundlich und lieblich. Sie war etwa so groß wie unser Marie Kathrinchen (ein Kind von sieben Jahren), hatte Hinter- und Vorderfüße, schoß wie ein Pfeil umher und an den Bäumen hinauf und setzte sich oft aufrecht. ... Ich hatte auch gehört, daß Adam und Eva die Art der Vermehrung, wie Gott wollte, noch nicht erkannt, und daß, wenn sie dieselbe gekannt hätten und doch in die Sünde gefallen wären, so würde die Erlösung nicht möglich gewesen sein. Sie hätten aber das Wort 'mehret euch' empfangen. Ich sah, daß die Schlange den Apfel zeigte und nicht wagte, ihn Eva zu brechen. Ich sah, daß Eva nach ihm gelüstete, und daß die Schlange ihn brach und ihr gab. Es war von den fünf zusammenhängenden der mittelste, schöne Apfel" (228). - So wie Katharina Emmerick phantasiert allenfalls ein Kind.

Es ist klar, daß die Hl. Schrift nicht naturwissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln will. So ist auch die biblische Erzählung von den Söhnen Noes nicht als geschichtlicher Bericht aufzufassen. Anders lautet es bei Katharina Emmerick. Sie weiß über die Söhne Noes noch weit mehr zu berichten als das Alte Testament; als Quelle ihres Wissens gibt sie sogar Jesus unmittelbar an; sie habe ihn nämlich, so behauptete sie, in ihrer Ekstase mitangehört, wie er seine Jünger belehrt habe: "Ich hörte bei der Lehre Jesu vieles von den ersten Menschengeschlechtern und entsinne mich, ganz bestimmt gehört zu haben, daß Sein, Cham und Japhet das dritte Geschlecht nach Noah gewesen seien, alle drei von einer Mutter, Cham aber von einem anderen Vater in Ehebruch erzeugt. Noah aber habe dies nicht gewußt. Die Eltern seien in der Sintflut umgekommen. Die Sünde Chams sei teils eine Folge seiner bösen Erzeugung. Es sei schon ein Fluch auf seiner Geburt gewesen, und darum sei er von Noah verflucht und abgeschnitten worden. Noah pflanzte Wein, sein Rausch aber und seine Entblößung deuteten auf Fortpflanzung" (229). Welchen Zweck haben solche "Visionen" ohne eine Spur religiösen Gehaltes?

Über die Verfasser verschiedener Bücher des Alten Testamentes weiß Katharina Emmerick Genaueres anzugeben: "Die Geschichte Hiob, wie sie von Moses, Salomon und Jesaias geordnet worden war, hatte ein Gelehrter, dessen Namen ich vergessen, der mit Sedechias war gefangen worden. Das Hohe Lied Salomonis ist nicht von Salomo selbst, es hat es ein Prophet für ihn gemacht. Tobias hatte anfangs selbst geschrieben. Da er aber blind ward, schrieb sein Vetter. Seiner Frauen Bruder brachte sein Buch in Ordnung" (230). - So viel wie Katharina Emmerick wissen die Fachleute nicht. Das von ihr genannte Buch Tobias ist wohl um die Wende des 3. vorchristlichen Jahrhunderts entstanden. Daß Katharina Emmerick Tobias als Verfasser ansieht, geht darauf zurück, daß einige Texte in den ersten drei Kapiteln in der ersten Person berichten.

Das Buch Job behandelt die Frage, wie die Leiden der Frommen mit der Gerechtigkeit Gottes in Einklang gebracht werden können. Es gehört zu den Lehrbüchern, will also nicht Geschichte berichten. Ganz anders urteilt Katharina Emmerick. Sie erzählt, Jesus habe einmal, als er Knaben unterrichtete, "die Geschichte Hiobs, wie sie wirklich geschehen sei", erzählt. "Hiob war ein Vorfahre Abrahams von dessen Mutter her im vierten Geschlechtsalter. Seine Geschichte und seine Gespräche mit Gott wurden weitläufig von zweien seiner treuesten Knechte... aufgeschrieben." Die Erzählung sei von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben worden; Moses habe sie gekürzt; Salomon habe sie dann nochmals umgearbeitet, so daß man kaum mehr "die eigentliche Geschichte Hiobs" habe herausfinden können. Katharina Emmerick schildert weiter: "Hiob hat an verschiedenen Orten gewohnt und seine Leiden an drei verschiedenen Orten ausgehalten. Das erstemal hatte er neun, dann sieben, dann zwölf Jahre Ruhe, und,immer traf ihn das Leiden auf einer anderen Wohnstelle. Seine Eltern waren reich und wohnten in der Gegend eines Berges, wo es auf der einen Seite warm, auf der anderen kalt und voll Eis ist. ... Er konnte nicht bei seinen Eltern bleiben; denn er hatte eine andere Gesinnung und betete Gott allein in der Natur, und besonders in den Sternen und dem Wechsel des Lichtes an. Er redete immer von den wunderbaren Geschöpfen mit Gott und hatte einen reineren Dienst. Er zog mit den Seinigen nördlich des Kaukasus. Hier war eine sehr elende Gegend mit viel Moor, und ich meine, es wohnt jetzt ein Volk dort, mit platten Nasen, hohen Backenknochen und kleinen Augen. ... Hiob und seine Leute gingen damals schier ganz nackt. Sie hatten nur eine kleine Schürze um. Die Weiber waren ganz kurios gekleidet. Auf den Brüsten hatten sie wie Kapseln, dann war der Leib bis zum Nabel wieder nackt. Dann hatten sie den Unterleib und die Lenden mit einer Bekleidung gleich Hosen bedeckt, die um die Knie weit und kraus waren. Ihre Beine waren nackt. Alles das sah ich, während Jesus von diesem Volk lehrte" (231). - So geht es weiter; alles wird beschrieben bis ins kleinste. Wie bei allen "Visionen" finden wir auch hier wieder lediglich Malerei mit Worten ohne irgendeinen religiösen Gehalt; noch dazu bezeichnet Emmerick ihre Traumgeschichten als Lehren Jesu. Man fragt sich: Wozu solche "Visionen"?

b) Visionen aus dem Neuen Testament

Im Neuen Testament wird mit einigen Worten über den Zusammenstoß Jesu mit seinen Gegnern in Nazareth berichtet. Das Wissen der Seherin von Dülmen geht darüber weit hinaus. Ein kurzer Auszug aus einer Schilderung zeigt, um was es sich handelt: Jesus lehrte, aber seine Gegner beschimpften ihn. Nach der Auseinandersetzung in der Synagoge geht das Geschrei und Geschimpfe auf dem Weg zum "Berg" weiter. "Jesus aber lehrte ruhig immer fort und antwortete auf ihre Reden mit heiligen Sprüchen und tiefen Worten, welche sie teils beschämten, teils mehr ergrimmten. ... Es war schon dunkel. Sie hatten ein paar Leuchten bei sich. Sie führten ihn an der Morgenseite der Synagoge herum und drehten sich hinter ihr in einer breiten Straße wieder gegen Abend zur Stadt hinaus." Am Abhang angekommen, wollten die Gegner Jesus über einen Abgrund stürzen. Da bleibt er stillstehen. "Sie aber gingen schimpfend und höhnend weiter." Die Begleiter merken gar nicht, daß sie nunmehr Jesus gar nicht mehr bei sich haben. "Nichts war lächerlicher als die Bosheit und Verwirrung und der Lärm der Pharisäer, als sie ihn auf einmal nicht mehr zwischen sich sahen." Sie begannen zu schreien: "Halt! Wo ist er? Halt!" "Und das nachdringende Volk drang vor und sie zurück, und es war auf dem schmalen Weg ein Gedränge und Getobe, und einer ergriff den anderen und sie zankten und schrien und liefen nach allen Schluchten und leuchteten in die Höhlen und meinten, da habe er sich verkrochen. Sie liefen Gefahr, selbst Hals und Bein zu brechen, und jeder schimpfte den anderen, daß er durch seine Schuld entwischt sei. Sie kehrten endlich stille wieder um, nachdem Jesus längst aus der Stadt war. Dort besetzten sie die ganze Gegend des Berges mit Wachen, und rückkehrend sagten sie, da sehe man, wer er sei, er sei ein Gaukler, ein Zauberer, der Teufel habe ihm geholfen, jetzt werde er auf einmal in einem ganz anderen Winkel wieder hervorkommen und alles in Aufruhr bringen" (232) '

Was Katharina über das Schicksal einiger Apostel weiß, stützt sich zum einen Teil auf Legenden, zum anderen Teil handelt es sich um eigene Erfindungen. Inhaltlich sind ihre Schilderungen nichtssagend, banal und, wie gewohnt, ohne religiösen Gehalt. Von der Frau des Petrus behauptet sie, sie sei nach der Himmelfahrt Jesu noch am Leben gewesen. "Petrus", so erzählt sie einmal, "hat sich allerlei mit seiner Frau besprochen. Sie ist alt und eine derbe, rohe Frau. Ihre Tochter ist groß und kühn und hat etwas Edleres in ihrem Wesen" (233)

Judas, den Verräter, schildert Anna Katharina natürlich von der schlechtesten Seite: "Er ist ein kleiner, gedrungener Kerl gewesen, überaus dienstfertig und behend und gesprächig. Er ist nicht gerade häßlich gewesen. Er hatte etwas Freundliches, Schmeichelndes und hoch Widerliches, Niederträchtiges im Gesicht. Seine Eltern taugten nichts und waren nicht eigentlich Juden; sie waren bald dies, bald das. Er war in einer Stadt Karioth geboren, während seiner Mutter Mann nicht da war. Der lebte mit anderen, und sie empfing ihn im Ehebruch. Der Mann der Mutter hatte in seinem Namen etwas vom Bel. Es war etwas Teuflisches. Sein natürlicher Vater hatte noch etwas Gutes in sich, und davon kam etwas in ihn. Sie versteckte ihn, als ihr Mann zurückkam. Nachher kam er zu ihr zurück. Als sie sich aber wegen ihm mit ihrem Mann erzürnte, verfluchte sie ihn. Seine Eltern waren oft herumziehend und nährten sich von allerlei Trug und waren Gaukler. Sie trieben allerlei Künste. ... Seine Eltern waren tot, als er zu Jesus kam. Er kam zu ihm, als er zu Gerasa die Teufel in die Schweine trieb. Er zog im Land herum und diente überall und schloß sich hier an die Jünger an. Sie mochten ihn leiden wegen seiner Dienstwilligkeit. Er putzte sogar die Schuhe." Dies und noch vieles andere weiß Anna Katharina über Judas zu berichten (234).

Ein paarmal kommt sie auf die Ölbergsszene zu sprechen. Dabei behauptet sie, Johannes habe nicht zu den drei Jüngern gehört, die im Garten Gethsemani Zeugen von Jesu Todesangst waren; "dies sind drei ältere gewesen" (235) . Damit erklärt sie die Berichte der beiden Evangelisten Matthäus und Markus als falsch. Den Apostel Johannes bezeichnet sie als jenen Jüngling, der "bei der Gefangennahme Jesu fliehend sein Gewand zurückließ", der "nackt, nur mit einer Leibbinde geflohen" sei (236). Diese dem Markusevangelium widersprechende Angabe hat auch Therese Neumann von Konnersreuth übernommen.

Auf zehn Seiten bringt Dr. Anton Brieger, was Katharina Emmerick über die Rolle der Herodias, bis in unbekannteste Einzelheiten hinein, zu berichten wußte. Nur ein kleiner Auszug daraus: "Heute am Abend sah ich das Geburtsfest des Herodes beginnen. Herodias wohnt in einem Schloß an einer Seite eines großen Hofes. Es liegt etwas höher als der gegenüberliegende große Saal, in welchem das Fest war und in dessen offene Säulenhallen man aus den offenen Galerien des Schlosses der Herodias hinabsieht. Vor dem Saale des Herodes war im Hof ein prächtiger Triumphbogen errichtet, zu dem man auf Stufen hinaufstieg und der in den Saal hineinführte. Man sah so tief hinein, als nähme es kein Ende, und alles glänzte von Spiegeln, Blumen, Gold, grünen Büschen. Man wurde ganz blind; denn alles bis zurück und alle Säulen und Gänge waren voll Fackeln und Lampen und Feuer und durchsichtigen und schimmernden Sprüchen, Bildern und Gefäßen. Herodias und ihre Weibergesellschaft standen alle in den höheren Galerien ihres Schlosses in prächtigem Putz und schauten beleuchtet herab, als Herodes, von vielen prächtig gekleideten Gästen umgeben, von singenden Chören begrüßt, durch ,den Hof über Teppiche nach dem Triumphbogen zog, auf welchem, voll von geschmückten Kindern, viele schöne, wie nackte, mit Kränzen geschmückte Knaben und Mädchen mit allerlei Instrumenten und Blumengewinden musizierend und winkend standen. Als er aber die Stufen zum Triumpfbogen hinauftrat, kam ihm Salome zwischen anderen Knaben und Mädchen tanzend entgegen und überreichte ihm eine Krone, die zwischen allerlei glänzenden Verzierungen lag. Es trugen sie diese Kinder aus ihrem Gefolge unter einer durchsichtigen Decke. Diese Kinder waren alle mit wenigem dünnem Gewand bedeckt, mit anliegendem Stoff wie nackt bekleidet und hatten eine Art Flügel. Salome war auch mit anliegendem Stoff überzogen und hatte ein leichtes, ganz durchschimmerndes, langes Kleid, auf den Beinen hier und da aufgeheftet mit schimmernden Heften. Ihre Arme waren wie nackt mit goldenen Ringen, Perlenschnüren und kleinen Federkränzen umgeben. Ihr Hals war nur mit vielen Perlen und glänzenden Kettchen bedeckt, und so auch ihre Brust, welche durchsichtig bekleidet war." In ähnlicher Art schildert die Seherin weiter (237) . Nichts, aber auch gar nichts von einem religiösen Gedanken! Im übrigen ist dies genau die Art, wie Therese Neumann etwa die Ankunft der Magier in Jerusalem schildert, oder, besser gesagt, wie sie Pfarrer Josef Naber in Anlehnung an die Lektüre der Visionen der Seherin von Dülmen niedergeschrieben hat.

Auf sechs Seiten bringt Anton Brieger in vielen Einzelheiten, wie Katharina Emmerick jenes Gespräch Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen ausmalt, Jesus weilt in der Gegend von Sychar. "Da kam den Weg herauf eine wohlgewachsene, schmucke Frau von etwa dreißig Jahren. Sie hatte einen ledernen Schlauch oder Krug in der Hand, an welchem die Handhabe von Metall oder Holz auch mit Leder überzogen war. Sie trug ihre bräunliche, von Ziegen- oder Kamelhaaren verfertigte Schürze, in welcher oben Taschen waren, über den tragenden Arm geschürzt. Der Schleier, den sie trug, war hinten sehr lang, und sie konnte diese hintere Seite um die Mitte des Leibes mit einer Strippe zusammenziehen, welche sie um den Leib band. Dann endeten hinten die Schleier in einem Zipfel. Der Schleier war von feiner, weicher Wolle. Auf dem Kopf war ein hervorragendes Türmchen oder Haken, auf welchem der vordere Teil des Schleiers aufgeschürzt ruhte, der herabgelassen über das Gesicht bis zur Brust reichte. Jesus, am Wege sitzend, hatte etwas Überraschendes. Er hatte einen Prophetenrock, ein langes weißes Kleid von einer weißen Wolle, fast wie ein Abbé, mit einem breiten Gürtel an, welches er bei Gelegenheiten anlegte, wo er feierlich lehrte oder als Prophet wirkte. Die Jünger trugen es ihm nach." Ausführlich schildert Anna Katharina die Familienverhältnisse der Samariterin. Von ihren zwei Söhnen behauptet sie, sie seien "unter die zweiundsiebzig Jünger gekommen." Dann beschreibt sie noch einmal genauestens das Äußere der Frau: "Sie war eine sehr gutmütige und geistreiche Frau, sehr freimütig, rasch, anmutig und kräftig. Sie war schön und ging mit großen Schritten. Sie war vornehm und etwas gesucht gekleidet. Ihr blau und rot gestreifter Rock war mit großen gelben Blumen durchwirkt, die Ärmel mit gelblichen Schnüren, ich meine, von gelber Seide. Den Hals hatte sie ganz mit einem Kragen voll Schnüren oder Perlen zugedeckt. Die Schürze war dick und wie von Haaren gewebt, von fahler Farbe. Es schien eine gewöhnliche Arbeitsschürze beim Wasserschöpfen, um ihr Kleid nicht mit dem Eimer oder Schlauch zu verderben. Sie trug sie wandelnd über den Arm geschürzt, den Schlauch bedeckend. Dieser Schlauch war von Leder und hatte zwei feste gebogene Seiten, worin Metall oder Holz schien, und an diesen, waren die Handhaben fest, durch welche ein Riemen lief, an dem der Schlauch an ihrem Arm hing. Am Hals war der Schlauch enger und ließ sich oben zum Eingießen auseinandertun trichterartig und wieder schließen, wie man die Arbeitstaschen schließt. Leer hing der Schlauch platt an der Seite nieder, gefüllt ging er auseinander und faßte so viel als ein Eimer" (238) - Kann man sich vorstellen, daß so der Gehalt einer von Gott gewährten und bewirkten Schauung aussieht?

Katharina Emmerick bezeichnet Maria Magdalena als identisch mit Maria, der Schwester Marthas, und der im Evangelium erwähnten Büßerin. Sie soll auch eine Schwester gehabt haben, von der wir sonst nichts erfahren, nämlich die "stille Maria, Lazari blöde Schwester". Von dieser Person sagt Anna Katharina: "Sie spricht vor Menschen nie ein Wort; wenn sie aber allein war in ihrer Stube oder ihrem Garten, sprach sie mit sich selbst laut und mit allen Gegenständen um sich. ... Vor anderen rührte sie sich nicht, sah nieder und war wie eine Bildsäule, doch neigte sie sich grüßend und war ganz anständig, nur stumm. Wenn sie allein war, tat sie allerhand Geschäfte und besorgte ihre Kleider und alles ordentlich. Sie war sehr fromm, erschien aber nicht in der Schule, sondern betete auf ihrer Kammer. Ich glaube, sie hatte Gesichte und redete mit Erscheinungen. Sie hatte eine unaussprechliche Liebe für ihre Geschwister, besonders für Magdalena. ... Sie war ganz schön und groß und etwa dreißig Jahre alt, sah meistens zum Himmel empor. ... Sie sagte nie 'ich', sondern 'du', wenn sie von sich selbst sprach, so als sähe sie sich woanders und redete sich an". Während sie mit Menschen nicht sprach, mit Jesus unterhielt sie sich. "Sie sprach Jesum nicht an und warf sich nicht vor ihm nieder. Jesus sprach zuerst mit ihr, und sie wandelten in dem Gärtchen umher. Sie sprachen nicht eigentlich mitsammen. Die stille Maria sah immer empor und sprach himmlische Dinge aus, als sähe sie dieselben. Auch Jesus sprach so. Er redete von seinem Vater und mit seinem Vater. Sie sah Jesum nie an, nur manchmal sprach sie halb zur Seite gegen ihn gewendet. Ihr gegenseitigem Gespräch war mehr ein Gebet, ein Lobgesang, eine Betrachtung, ein Aussprechen von Geheimnissen als ein Gespräch. Maria schien nicht zu wissen, daß sie lebte. Ihre Seele war in einer anderen Welt, und ihr Leib handelte hier mit. Ich erinnere mich noch aus ihren Reden, daß sie emporschauend über die Menschwerdung Christi sprach, als sähe sie die Handlung in der Heiligsten Dreifaltigkeit vorgehen." Dann schildert die "stille Maria" dem zuhörenden Jesus mit weit über das Evangelium hinausgehenden Einzelheiten alles, was mit der Menschwerdung zusammenhängt. "Jesus unterbrach sie durch Gebet und Dank und lobte Gott seinen Vater und flehte für die Menschen, alles an seiner Stelle. Das ganze Gespräch war unaussprechlich rührend und wunderbar." Nicht lange vor dem Karfreitag soll die "stille Maria" gestorben sein (239). Von den "Visionen" der Katharina Emmerick hat später Therese Neumann bestimmte Züge übernommen, zum Beispiel, daß Maria Magdalena identisch gewesen sei mit Maria, der Schwester des Lazarus, und die Fabel von der "stillen Maria" (240).

Bei den Wundern Jesu sieht Katharina Emmerick nicht den eigentlichen Zweck dieser Zeichen. Sie zeichnet Jesus als einen Wundermann, dem es bloß auf die Schau ankam; was sie "schaut", ist eine Verzeichnung, keine Ausdeutung.

Am 7. September 1822 schildert sie, wie Jesus an einem Ort Besek eine Masse von Menschen von ihren Krankheiten befreite; auch einige Jünger hatte er durch Auflegung seiner Wände bevollmächtigt, ihn bei der Arbeit zu unterstützen. "Gegen Abend, als er aus der Synagoge kam, war eine große Menge von Kranken vor derselben versammelt. Viele lagen auf Tragbetten, und es waren Zeltdächer über sie gespannt. Jesus ging von seinen Jüngern begleitet von einem zum anderen und heilte sie. Dazwischen waren hier und da Besessene, welche tobten und ihn anschrien, und er befreite sie, indem er vorüberging und ihnen befahl. Es waren aber hier Lahme, Schwindsüchtige, Wassersüchtige, Leute mit Geschwüren am Hals wie Drüsen, Taube und Stumme, und er heilte sie alle einzeln mit Auflegung der Hände, doch waren seine Art und Berührung verschieden. Die Genesenen waren teils ganz geheilt, nur noch etwas schwach, teils ganz erleichtert, und die Genesung folgte 'schnell, je nachdem die Art des Übels und das Gemüt der Kranken war. Die Geheilten gingen von dannen und sangen einen Psalm von David. Es waren aber so viele Kranke, daß Jesus nicht ganz herumkommen konnte. Die Jünger halfen ihm mit Heben, Aufrichten, Loswickeln der Kranken, und Jesus legte Andreas, Johannes und Judas Barsabas die Hände auf den Kopf und nahm ihre Wände in seine Hand und befahl ihnen, an einem Teil der Kranken in seinem Namen zu tun, wie er tue. Sie taten dieses auch sogleich und heilten viele" 241) Ohne Zweifel hat hier Anna Katharina eine Szene "geschaut", die sich nie abgespielt hat. Der von ihr genannte Judas Barsabas war ein Begleiter des Apostels Paulus; er wird in der Apostelgeschichte genannt (15, 22); es ist anzunehmen, daß er einer der Jünger Jesu war, aber zu den Aposteln zählte er nicht.

Mitte Juli 1822 schilderte Katharina Emmerick, wie Jesus ein reines Schauwunder gewirkt hat. In einem Streitgespräch mit einem versteckten jüdischen Gelehrten beweist er durch ein Mirakel, daß er im Recht war. Zudem geht es bei der Streitsache lediglich um die Feststellung, ob es 23 oder 24 "Wahrheiten" gebe. Einen religiösen Gehalt hat diese Szene auch nicht andeutungsweise: "Als Jesus mit seiner Lehre ganz fertig war und bereits mehrere Leute, auch der Oberste, nach der Stadt zurückgegangen waren, trat ein alter, großer, wohlgebildeter Jude mit einem langen Bart ganz kühn vor Jesum an den Lehrstuhl" und sagte: "Nun will ich auch mit dir sprechen. Du hast dreiundzwanzig Wahrheiten vorgebracht, es gibt aber deren vierundzwanzig." Und nun zählte er eine Reihe von Wahrheiten hintereinander her und begann zu disputieren. Jesus aber sprach zu ihm: "Ich habe dich um deiner eigenen Bekehrung wegen hier geduldet und hätte dich sonst vor allem Volke hinweggewiesen; denn du bist ohne Einladung hierhergekommen. Du sagst, es gäbe vierundzwanzig Wahrheiten, und ich hätte nur dreiundzwanzig gelehrt. Du setzt mir aber schon drei zu; denn es gibt nur zwanzig, die ich gelehrt." Nun zählte Jesus "zwanzig Wahrheiten nach den Buchstaben des hebräischen Alphabets her, wonach jener auch hergezählt hatte, und lehrte hierauf über die Sünde und Strafe derjenigen, welche der Wahrheit etwas hinzusetzen." Der alte Jude wollte aber auf keine Art seinen Irrtum einsehen; auch waren Leute anwesend, die ihm beistimmten und ihn mit Schadenfreude anhörten. Jesus aber sagte zu ihm: "Du hast einen schönen Garten, bringe mir die erlesensten, edelsten Früchte. Sie sollen verderben zum Zeichen deines Unrechts. Du hast einen geraden, gesunden Körper. Du sollst verkrümmen, so du Unrecht hast, auf daß du sehest, wie das edelste verdirbt und ' mißgestaltet wird, so man der Wahrheit etwas hinzusetzt. So du aber ein einziges Zeichen zu tun vermagst, sollen deine vierundzwanzig Wahrheiten wahr sein." Da eilte der Jude mit einigen Gehilfen in seinen nahe gelegenen Garten. Er hatte darin alles, was selten und kostbar war an Früchten und Gewürz und Blumen, "auch in Gittern allerlei ausgesuchte seltene Tiere und Vögel, und in der Mitte war ein zierliches Wasserbecken mit seltenen Fischen zu seiner Lust. Schnell sammelte er mit seinen Freunden die edelsten Früchte, gelbe Äpfel und jetzt schon Trauben in ein paar kleine Körbe, kleinere Früchte aber in einer wie von durcheinandergeflossenen bunten Glasfäden geschliffenen Schale. Außerdem nahm er auch in Gitterkörben verschiedene Vögel und seltene Tiere von der Größe eines Hasen und einer Katze mit sich." Jesus hatte unterdessen noch über die "Hartnäckigkeit" gelehrt und hatte "von der Zerstörung" gesprochen, "welche durch das Zusetzen zu einer Wahrheit erfolge". Als nun der Jude mit seinen Begleitern alle seine Raritäten in den Körben und Käfigen um den Lehrstuhl Jesu niedergesetzt hatte, gab es ein großes Aufsehen in der Versammlung. "Da er aber stolzierend hartnäckig auf seiner früheren Behauptung blieb", erfüllten sich die Worte Jesu an allem, was er mitgebracht hatte. "Die Früchte begannen sich innerlich zu bewegen, und es brachen von allen Seiten häßliche Würmer und Tiere aus ihnen hervor, welche sie zerfraßen, so daß bald von einem Apfel nichts mehr übrigblieb als ein Stückchen Schale, auf dem Kopf eines Wurms hin- und herschwankend. Die mitgebrachten Tiere aber sanken tot in sich zusammen und wurden wie rohes, faules Fleisch, so ekelhaft, daß die Versammlung, welche sich neugierig herangedrängt, entsetzt zu schreien und sich abzuwenden begann, umso mehr als der Jude zu gleicher Zeit ganz gelb und bleich ward und sich nach der einen Seite krumm zusammenzog. Das Volk begann bei diesem Wunder ein ungeheueres Geschrei und Getöse, und der alte Jude wehklagte" bekannte sein Unrecht und flehte zu Jesu um Erbarmen. Es war ein solcher Tumult, daß der Oberste aus der Stadt, welcher schon wieder zurückgegangen war, gerufen werden mußte, um die Ruhe herzustellen, da der Jude sein Unrecht bekannte und eingestand, daß er zur Wahrheit etwas hinzugefügt habe. Er hatte auch in Gitterkörben verschiedene Vögel und seltene Tiere von der Größe eines Hasen und einer kleinen Katze lebendig mitgebracht und vor dem Lehrstuhl an die Erde niedergesetzt. Diese sanken aber zusammen und wurden wie Stücke rohen Fleisches. Auf die heftige Buße des Mannes und auf sein Flehen zu allen Anwesenden, sie sollten doch für ihn bitten, daß er wieder geheilt werde, segnete Jesus die Dinge, die er gebracht, und ihn, und alles kehrte bald wieder in seinen vorigen Zustand, die Tiere und der Mann, welcher sich mit Tränen dankend vor Jesus niederwarf. Dieser Mann hat sich so bekehrt, daß er einer der treuesten Anhänger Jesu ward und noch viele andere zur Bekehrung brachte. Er teilte aus Buße einen großen Teil seiner schönen Gartenfrüchte an die Armen aus. Dieses Wunder machte einen großen Eindruck auf alle Zuhörer, welche alle, um zu essen, ab- und zugegangen. Solch ein Wunder war wohl hier nötig; denn diese Leute waren, wenn sie auch von ihren Irrtümern überzeugt wurden, doch sehr hartnäckig, wie dieses meistens bei Leuten gemischter Abkunft der Fall ist; denn sie stammten von Samaritern, die in gemischte Ehen mit Heiden getreten und von Samaria vertrieben worden waren" (242). - Solche Schauwunder hat Jesus nie gewirkt. Das Ganze ist ein törichtes, kindisches Gefasel.

Die Besessenenheilung in der Gegend von Gerasa weiß Katharina Emmerick viel genauer zu schildern als der Evangelist (243). Ein Auszug daraus lautet: "All diese Orte nun halten den Juden, die da wohnen, recht zum Ärger große Mengen von Schweinen, und all diese Herden, mehrere Tausend an der Zahl, gehen zusammen über der nördlichen Höhe der Schlucht um einen großen, grünen Sumpf an die Mast, und es sind wohl an die hundert heidnische Hirten und Hirtenjungen dabei von den einzelnen Besitzern. In dem Sumpf wühlen sie und wälzen sich und wimmeln auf der felsigen, zerrissenen, buschigen Talwand, und es ist ein großes Gequieke und Gegrunze da umher. Der Sumpf, der etwa dreiviertel Stunden südöstlich von Gergesa am Fuß des Gebirgs von Gamal liegt, hat südlich einen Abfluß in die Schlucht bei Magdala, und zwar mit einem Sturz über eine Hemmung von Balken und Bohlen, welche den Bach oben zu einem Sumpfe stauen, und er fließt dann durch die Schlucht in das Galiläische Meer. Es stehen viele ungeheuer dicke Eichen bei dem Sumpf und auch den Abhang der Schlucht herab. Die ganze Gegend ist nicht sehr fruchtbar. An wenigen Sonnenstellen bauen sie Wein. Sie haben auch solches Rohr, woraus man Zucker machen kann. Es wird als Rohr verschickt. Es ist nicht sowohl Götzendienst, der sie so sehr in die Gewalt des Teufels gibt, als eine große Versunkenheit in Zauberei. Gergesa und die umliegenden Orte sind voll widrigem Zaubergesindel, Männern und Weibern. Sie haben allerlei Händel mit Katzen, Hunden, Kröten, Schlangen und anderen Tieren vor. Sie machten solche Tiere erscheinen. Es war, als gingen sie selbst in der Gestalt solcher Tiere umher, Menschen und Vieh zu verwunden öder zu töten. Ich kann mich der Erklärung ihres greulichen Zustandes nicht mehr deutlich erinnern; ich weiß nur noch, daß ich erfuhr, sie wären gleich den Werwölfen. Sie schadeten den Menschen, auch in der Ferne, rächten sich noch lange nachher an denen, die sie nicht liebten, erregten plötzliche Ungewitter und Sturm auf der See. Die Frauen brauten auch Zaubertränke zu allerlei tödlichen und schändlichen Wirkungen und mischten ekelhafte Ausleerungen hinein" 8244) . Anna Katharina schildert weiterhin eingehend, wie Jesus einigen der "unzähligen Besessenen, Rasenden, konvulsionären Menschen" begegnet. Auch die Ursache für ihre Anfälle nennt sie: "Die Gergesener pflegen Trauben, mit jenem Tollmacherkraut vermischt, in einer großen, gezimmerten Kufe zu stampfen und zu treten. Es lief dann der Saft in kleinere Tröge an der einen Seite, und daraus wieder in große irdene Gefäße mit engem Hals, die sie gefüllt im Weinberg unter der Erde vergruben. Es war dieses jenes giftige, berauschende Getränk, wovon die Menschen solche Anfälle kriegten. Die berauschende Pflanze war etwa armlang, mit vielen fetten, grünen Blättern übereinander wie ein Hauslauch, und hatte oben einen Knopf. Sie brauten den Saft auch, sich in teuflische Entzückungen zu bringen. Das Getränk wurde seiner berauschenden Dünste wegen im Freien hier bereitet. Sie spannten jedoch bei der Arbeit ein Zelt über die Kufe. Die Kelterer waren zu eben dieser Zeit genaht, da befahl aber Jesus den Besessenen, oder vielmehr der Legion in ihnen, diese Kufe umzustürzen, und sie liefen wie unsinnig hin und faßten die große, volle Kufe und stellten sie ganz leicht auf den schmalen Rand, so daß der ganze Inhalt herausströmte und die Arbeiter mit großem Geschrei

flohen. Die Besessenen kehrten noch immer zitternd und bebend zurück, und die Jünger waren sehr erschrocken" (245). Schließlich schildert Anna Katharina, wie Jesus die Teufel mit einem Machtwort in die Schweine verbannt: Er spricht: "Fahret hin!" "Auf diese Worte sanken die elenden Leute unter heftigen Zuckungen nieder, und es ging eine ganze Wolke von Dampf aus ihrem ganzen Leibe, und ich sah unzählige Gestalten wie von allerlei Insekten und Kröten und Würmern in diesem Dampf (Dazu Anm. 174: "Sie nennt verschiedene dieser Insekten, besonders erwähnt sie die Maulwurfsgrille mit einem großen Abscheu und Ekel"). Ich sah diese Wolke sich weit über die Gegend ausbreiten, und in wenigen Augenblicken entstand ein gräßliches Grunzen, Quieken und Wüten in der großer- Schweineherde und ein Gejage und Geschrei unter den Hirten. Die Schweine, ein paar Tausend an der Zahl, rasten aus allen Winkeln hervor und stürzten von allen Abhängen durch das Gebüsch nieder, und es war wie ein Dennerwetter mit rasendem Tiergekreische vermischt. Es war dieses nicht die Sache von wenigen Minuten, sondern gewiß von ein paar Stunden; denn die Schweine rasten lang hin und her und stürzten und wurden geschleudert und bissen einander. Viele stürzten oben in den Sumpf und kamen den Wasserfall niedergerast. Alle aber tobten dem See zu. Die Jünger Jesu waren gar nicht zufrieden damit, weil sie das Wasser, aus dem sie fischten, und dabei auch die Fische verunreinigt glaubten. Jesus merkte ihre Gedanken und sagte ihnen, sie sollten sich nicht fürchten, die Schweine würden alle in dem Strudel am Ausgang der Schlucht untergehen. Es war hier eine Art stehender Sumpf und durch eine mit Schilf und Gesträuch bewachsene Sand- und Strandbank, die bei hohem Wasser manchmal Überschwemmt wurde, von dem eigentlichen Meer getrennt. Es war ein tiefer Abgrund, der einen Ausfluß von dem See durch die Bank, aber keinen Ausfluß in den See hatte. Es war ein Wirbel darin. In diesen Kessel stürzten sich alle die Schweine" (246) . Anna Katharina ergänzt den ausführlichen Bericht noch weiter mit einer besonderen Pointe, wenn sie sagt: "Judas Ischariot war heute hier bei diesem Volk besonders tätig und beschäftigt; denn er war hier bekannt. Seine Mutter hatte hier eine Zeitlang, als er noch jung war, gleich nachdem er aus der Familie, wo er heimlich erzogen, entwichen, mit ihm gewohnt, und die beiden Besessenen waren Jugendbekannte von ihm" (247). Was findet sich in dem weitschweifigen Märchen an religiösem Gedankengut, das Glauben wecken und stärken könnte?

In welchem Teufelswahn Anna Katharina Emmerick dachte, zeigt eine andere "Besessenenheilung". Einmal machte Jesus eine heidnische Priesterin, die besessen war, gesund. Er sprach zu den anwesenden heidnischen Frauen und Männern.- "Ich will euch zeigen, welche Weisheit ihr in dieser Frau und ihrer Kunst verehrt". Dann befahl er, "ihre Geister sollten sie verlassen. Da ging wie ein schwarzer Dampf von ihr, und allerlei Gestalten von Ungeziefer, Schlangen, Kröten, Ratten, Drachen wichen in diesem Dampf wie Schatten von ihr ab. Es war ein greulicher Anblick." Dann sprach Jesus: "Seht, welcher Lehre ihr folgt!" Die Frau aber sank auf die Erde nieder und weinte und wimmerte. Sie gestand auch, daß sie "die Kinder durch die Zauberei krank machte, um sie zur Ehre der Götter zu heilen" (248).

Eingehend hat Katharina Emmerick ihrem "Pilger" geschildert, wie Jesus die drei im Evangelium genannten Totenerweckungen vollzogen hat. Dabei zeigt sie eine derart genaue Ortskenntnis, wie wenn sie selber Augenzeugin gewesen wäre. Beispielsweise beschreibt sie genauestens die Lage von Naim: "Naim ist ein schöner Ort mit festen Häusern und hat auch Engannim geheißen. Es liegt auf einem angenehmen Hügel am Bach Kison gegen Mittag, etwa eine kleine Stunde vom Aufsteigen des Fußes des Berges Tabor, und sieht zwischen Mittag und Abend gen Apheke, zwischen Mittag und Morgen gegen Endor. Jesrael liegt ihm mehr im Mittag, aber es kann es wegen Anhöhen nicht sehen. Es hat die schöne Ebene Esdrelon vor sich und mag ungefähr drei bis vier Stunden im Südosten von Nazareth liegen. Es liegt an der Nordseite des Kisons. Jesus hatte ihn im Osten gegen Westen gehend überschritten. Es ist ungemein fruchtbar hier, an Getreide, Obst und Wein, und die Witwe Maroni besitzt einen ganzen Berg voll der schönsten Weinreben" (249)

Ohne Zweifel hat sich Anna Katharina in Schriften informiert. Ausführlich erzählt,die Seherin, wie der Jüngling von Naim, dem sie den Namen Martialis beilegt, von den Toten erweckt wurde. Dabei schleicht sich eine Reihe von Angaben ein, die mit dem Bericht der Evangelien nicht in Einklang stehen. Anna Katharina erzählt: "Vier junge Männer trugen die Leiche zwischen einander in einem Kasten, auf krumme Hölzer gelegt. Es war der Kasten nach Art eines menschlichen Leibes geformt, leicht wie ein geflochtener Korb, und hatte oben einen angehefteten Deckel." Bei der Begegnung mit dem Trauerzug legt Jesus "die Hand auf den Sarg". Auf seinen Befehl hin setzen die Träger "den Sarg" nieder. Dann verlangt Jesus "Wasser und einen Zweig". Man bringt ihm das Verlangte und er spricht: "Öffnet den Sarg und wickelt die Binden los!" Während sie damit beschäftigt sind, erhebt Jesus seine Augen zum Himmel und spricht: "Ich preise dich, Vater, Herr Himmels und der Erde, weil du dieses alles vor den Weisen und Klugen verborgen und den Einfältigen offenbar gemacht hast. Ja, Vater, denn so war es vor dir wohlgefällig. Alles ist mir von meinem Vater übergeben, und niemand erkennt den Sohn als der Vater, und niemand erkennt den Vater als der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, Ihr Mühseligen und Belasteten! Ich will euch erneuern. Nehmet mein Joch auf euch und lernet von mir, weil ich sanftmütig und demütig bin von Herzen! Ihr werdet Ruhe für euere Seelen finden; denn mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht." Jetzt wird der "Deckel" von "Sarg" entfernt. "Jesus aber segnete das Wasser, tauchte den Zweig hinein und besprengte das Volk ringsumher." Als Katharina dieses schaute, erblickte sie merkwürdige Dinge. "Da sah ich viele kleine, dunkle Gestalten, wie Insekten, Käfer, Kröten, Schlangen und kleine dunkle Vögel von manchen aus der Umgebung wegschweben. Das schien zwar damals niemand zu sehen. Die Leute aber wurden inniger und gerührt, und es war, als würde alles heller und reiner." Alsdann "sprengte Jesus mit dem Zweige auf den Jüngling und machte ein Kreuz über ihn mit der Hand". Nun sah Katharina "wie eine dunkle schwarze Gestalt gleich einer Wolke von dem Körper weichen". Dann befahl Jesus dem Jüngling: "Stehe aufl" Sofort ward der Jüngling lebendig. "Alles drängte sich, den Jüngling zu sehen. Er wurde gebadet und legte ein weißes Röckchen und einen Gürtel an. Jesus und den Jüngern wurden die Füße gewaschen und ein Imbiß gereicht, und sogleich ging es in dem Haus an ein ganz heiteres und überfließendes Austeilen und Schenken an die Armen, welche sich alle um das Haus glückwünschend versammelten. So wurden Kleider, Laken, Getreide, Brot, Lämmer, Vögel, auch Münzen ausgeteilt, und Jesus lehrte dazwischen die versammelten Haufen im Hof der Witwe. Martialis in seinem weißen Röckchen war ganz fröhlich und lief hin und her, ließ sich besehen und teilte aus. Er war ganz kindisch vergnügt, und es war lustig anzusehen, wie die Schulkinder, seine Kameraden, von den Lehrern in den Hof geführt wurden und er ihnen nahte." Anschließend folgt eine üppige Festmahlzeit. Die Szene mit dem geweihten Wasser erklärt die Seherin so: "Merkwürdig war mir, daß Jesus hier mit geweihtem Wasser segnete. Es wurde aber gesagt, es sei gewesen, die bösen Geister zu vertreiben, welche eine Gewalt an verschiedenen Anwesenden hatten, die teils geärgert, teils neidisch, teils von heimlicher Schadenfreude waren und meinten, er werde ihn wohl nicht erwecken. Ich sah diese ihre böse Stimmung in allerlei Insektengestalten von ihnen weichen. Bei der Erweckung des Jünglings sah ich auf den Segen mit dem Wasser sich auch eine kleine Wolke von vielen kleineren und größeren Ungeziefergestalten oder Schatten von dem Leibe erheben und in die Erde verschwinden" (250) Was Katharina Emmerick erzählt, ist Phantasterei, wie üblich, ohne irgendeinen religiösen Gedanken. Die Seherin bezeichnet den Knaben als "Martialis". Den Namen hat sie aus der Legende entliehen. Er soll einer der 72 Jünger Jesu und jener "Knabe" gewesen sein, der bei der Speisung des Volkes in der Wüste fünf Brote und zwei Fische anzubieten hatte. Der historische Martialis war erster Bischof von Limoges und lebte in der Mitte des 3. Jahrhunderts. Falsch ist auch die Angabe über den "Sarg". Särge hat es in Palästina nicht gegeben. Man hat eine Bahre verwendet, auf welcher der Tote, bloß zugedeckt, lag. Den "Jubelruf" Jesu schließlich bringt Katharina Emmerick an ganz falscher Stelle. Matthäus berichtet die Worte Jesu nach dem "Wehe über die Städte Korazain und Bethsaida" (Mt. 11, 24-30). Wenn dann noch Anna Katharina Dämonen unter verschiedenen Tiergestalten schaut, so könnte man dies noch als Ausklang des unseligen Hexenwahnes verstehen; aber der Unsinn wird leider noch in unserer Zeit auch von Theologen geglaubt. So schreibt P. Ritzel in seinem 1974 über P. Pio von Pietrelcina veröffentlichten Buch im Zusammenhang mit den teuflischen Belästigungen, die Pio zu ertragen hatte: "Wie die Engel, so sind auch die teuflischen Geister an und für sich unsichtbar. Sie können sich aber mit den Kräften der Schaubegabten und Beschenkten irgendwie anschaulich machen, Dies bedeutet nicht, daß sie diese Gestalten besitzen, wenn sie sich in der Gestalt abscheulicher Tiere, von Kröten, Schlangen, Wildkatzen, Löwen, Tigern, von Krebsen, als Jäger ohne Kopf usw. zeigen" (251).

Sehr ausführlich malt Katharina Emmerick den im Evangelium mit ein paar Sätzen erledigten Bericht über die Totenerweckung des Töchterleins des Jairus aus. Wie sie angibt, besaß Maria, die Mutter Jesu, bei Kapharnaum ein Haus. Als Jesus gerade in dieser Gegend weilte, wurde er zu Jairus gerufen. Dessen Töchterlein war "ungefähr elf Jahre alt". "Jesus nahm es ganz leicht auf seine Arme und legte es gegen seine Brust und hauchte es an." In diesem Augenblick sah Katharina "ganz etwas Wunderbares". Sie erzählt; "Ich hatte neben dem Leichnam an der rechten Seite eine kleine lichte Gestalt in einem hellen Kreis gesehen, und da Jesus das Mägdlein anhauchte, sah ich das Licht in dessen Mund wie eine kleine lichte Menschenfigur einsinken, nachdem es dahin geschwebt war. Jesus legte den Leib wieder ' auf das Lager, faßte den Arm des Mägdleins wie ein Arzt über der Hand" und hieß es aufstehen. Über die Eltern des Mädchens fällt Anna Katharina ein schlechtes Urteil. Jairus bezeichnet sie als einen "alten, nachlässigen Mann, ganz ohne Eifer". Von der Mutter des Kindes sagt sie: "Sie ist nicht fromm, sondern eitel und sinnlich". Die Tochter kennzeichnet sie als "verweichlichtes, schwaches, geziertes Mädchen". Weiter wirft sie den Eltern des Mädchens vor: "Sie haben die Heilung der Tochter sehr obenhin angenommen und sich gar nicht gebessert, und es ist ihre Hauptsünde, daß sie vor dem Kinde in Reden und Handlungen nicht sehr züchtig sind, und daß in dem schwächlichen Geschöpf unreine Lust dadurch erwacht, weswegen sie zurückfallen wird." Damit deutet Emmerick an, daß das Mädchen ein zweitesmal sterben wird, und zwar zur Strafe; denn die ganze Familie des Jairus "taugte nicht viel". "Die Mutter und deren Schwester und Jairi Mutter, die im Hause mitwohnten, hatten samt der Tochter Jesu Heilung sehr leichtsinnig aufgenommen, ohne Dank, ohne Sinnesänderung, und Jairus, zwar fromm, aber doch lau und hinfällig und von seiner eitlen, schönen Frau sehr eingenommen, hatte alles nach ihrem Willen gehen lassen. Es war in dem Haus eine eitle Weiberwirtschaft. Sie schmückten sich mit dem neuesten heidnischen Putz. Als das Mädchen wieder gesund war, lachten und spöttelten die Weiber über Jesum mit ihm selbst, und es stimmte mit ein." Auch über das Mädchen selbst klagt Katharina: "Das Mädchen war im elften Jahr und auf dem Punkte ihrer Mannbarkeit. Neulich war sie noch ganz in der Unschuld gewesen, aber der Leichtsinn der Eltern in ihrer Gegenwart, allerlei Schmausereien und Geschenke und Putz nach ihrer Genesung und der Besuch und das Getändel mit einigen jungen Freiern, bei welchen sie von unreinen Begierden und Küssen und Augenlust nicht rein blieb, hatte ihre Unschuld befleckt." Zur Strafe für all dies wurde das Mädchen wiederum krank und starb ein zweites Mal. Man holte nun wieder Jesus, der das Mädchen dann auch ins Leben zurückrief. "Jesus hatte sich ein Zweiglein im Garten brechen lassen und ließ sich ein Becken mit Wasser reichen, das er segnete. Die Leiche lag ganz erstarrt und sah nicht so angenehm aus wie das letzte Mal. ... Er besprengte sie mit geweihtem Wasser durch den kleinen Zweig, betete, und nahm sie bei der Hand" und befahl: "Mägdlein, ich sage dir, stehe auf!" Sofort wurde das Mädchen, dessen Name Katharina mit Salome bezeichnet, wieder lebendig (252).

Ebenso ausführlich schildert Katharina Emmerick die Erweckung des Lazarus. Nur einen Zug greifen wir heraus: Jesus soll die Nachricht von einer gefährlichen Krankheit des Lazarus bereits drei Wochen vor dessen Tod erhalten haben. Daß er gestorben war, habe man ihm "im Ort bei Samaria" mitgeteilt. Die weitere Auskunft der Seherin lautete: "Lazarus war nun acht Tage tot. Vier Tage hatten sie ihn über der Erde gelassen, in der Hoffnung, Jesus solle kommen und ihn erwecken. Die Schwestern waren nach dem Gute dem Herrn entgegengegangen, und da er noch nicht mitgehen wollte, waren sie zurückgekehrt und hatten ihn begraben lassen." Demnach müßten Maria und Martha persönlich nach dem Tod ihres Bruders bei Jesus gewesen sein. Entgegen der ausdrücklichen Feststellung Marthas, ihr Bruder sei vier Tage tot gelegen, spricht Emmerick von acht Tagen. Nach der Erweckung des Lazarus folgt ein Freudenmahl. "Jesus und die Apostel waren allein. Die Apostel stellten sich in einen Kreis um Jesum und Lazarus. Da kniete Lazarus vor dem Herrn. Der legte ihm die rechte Hand auf das Haupt und hauchte ihn siebenmal mit leuchtendem Odem an. Ich sah auch, daß von Lazarus wie ein dunkler Hauch wich, und sah den Teufel wie eine schwarze, fliegende Gestalt rückwärts außer dem Kreis in der Höhe grimmig und ohnmächtig. Hiermit weihte Jesus den Lazarus zu seinem Dienst, reinigte ihn vom Zusammenhang mit der Welt und ihren Sünden und stärkte ihn mit geistlichen Gaben. Er sprach noch lange mit ihm, wie er ihn erweckt habe, auf daß er ihm dienen solle." Durch das Anhauchen, sagt Katharina Emmerick, habe Jesu dem Lazarus die sieben Gaben des Heiligen Geistes verliehen; er habe diese Gaben "vor den anderen Aposteln erhalten" (253).

Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus bezeichnet Katharina Emmerick als geschichtliche Erzählung. Sie behauptet vom reichen Prasser: "Seine Geschichte ist wahr und bekannt bis zu seinem Tod, der gräßlich war." Dann wird sie noch genauer: "Ich habe auch wieder gesehen, daß der reiche Prasser und der arme Lazarus gelebt haben und durch ihren Tod im Land sehr bekannt geworden sind. Sie wohnten aber nicht in Jerusalem, wo nachher den Pilgern Häuser von ihnen gezeigt wurden. Ich weiß nicht, woher dieses entstanden ist. Sie starben in den Jugendjahren Jesu, und man sprach damals viel in frommen Familien davon. Die Stadt heißt, glaube ich, Aram oder Anthar und liegt westlich vom Galiläischen Meer im Gebirg, wo sie lebten" (254).

Merkwürdig sind die Angaben Emmericks über die Wächter am Grabe Jesu. Sie sagt: "Die Wächter lagen im Garten umhergeschleudert in ganz verdrehten Stellungen, wie erstarrt". "Als die Weiber bei dem Garten ankamen", erschraken sie, "da sie die umherliegenden Soldaten erblickten, so daß die zwei Frauen, außer Magdalena, gar nicht in den Garten traten, sondern vorüber eilten, als wollten sie nach dem Ölberg gehen. Magdalena aber faßte sich und ging mitten durch die liegenden Wächter". Diese nun bleiben weiterhin liegen. Dann erst, als alle Frauen das Grab wieder verlassen hatten, - so sah es Katharina -, kamen die Wächter wieder zu sich. Sie erschraken über das leere Grab und eilten schnell in die Stadt (255).

Im Evangelium ist ein paarmal die Rede davon, wie Jesus von seinen Gegnern auf die Probe gestellt wurde. Katharina Emmerick fügt dem noch eine neue Geschichte hinzu. Sie verlegt die Szene nach einem Ort Ginäa. Dort, so schildert sie, hatten die Pharisäer und Sadduzäer einen Plan gefaßt, Jesus hereinzulegen. Sie hatten Jesus mitgeteilt, "er möchte doch nach Ataroth kommen und einen Kranken heilen; wenn er ihnen dieses Zeichen tue, so wollten sie alle, und auch die Pharisäer von Ginäa, an ihn glauben und seine Lehre in der Gegend ausbreiten." Jesus aber durchschaute ihre Bosheit und wußte von ihrem Betrug Bescheid. "Der Mann lag schon mehrere Tage unbeweglich und tot, und sie behaupteten gegen alle Einwohner in der Stadt, er liege in Entzückung, und selbst seine Frau wußte nicht, daß er tot sei. Hätte ihn Jesus nun erweckt, so hätten sie gesagt, daß er nicht tot gewesen sei. Sie kamen Jesu entgegen und führten ihn vor das Haus des Toten. Es war dieser einer der ersten Sadduzäer gewesen und hatte es am ärgsten gegen die Jünger getrieben. Sie trugen den Toten auf einem Tragebett heraus auf die Straße, als Jesus kam. Es standen wohl fünfzehn Sadduzäer und alles Volk umher. Sie hatten den Toten aufgeschnitten und einbalsamiert, um Jesum zu betrügen. Er sah ganz schön aus." Jesus aber sagte: "Er ist tot und wird hier nicht auferstehen, da er die Auferstehung geleugnet! Ihr habt ihn mit Gewürzen gefüllt, aber seht, welche Gewürze das sind!" Nun deckten die Gegner Jesu "die Haut auf, und statt Gewürzen war er voll Würmer". Die Sadduzäer wurden "ganz grimmig", als Jesus alle Sünden und Verbrechen des Verstorbenen laut und öffentlich aussagte und erklärte, "das seien die Würmer des bösen Gewissens, welche er sonst bedeckt, die jetzt sein Herz zerfräßen". Die Sadduzäer ärgern sich sehr. "Als Jesus zu dem Tore mit den Jüngern wieder hinauszog, warf das aufgehetzte Gesindel mit Steinen hinter ihm her; denn die Aufdeckung der Würmer und seiner Bosheit hatte sie gewaltig geärgert " (256) .

Die Evangelisten berichten in nüchterner Art von Auseinandersetzungen Jesu mit seinen Gegnern. Diese Berichte vermag Katharina Emmerick ausführlich zu ergänzen. Am 18. September 1821 schrieb Clemens Brentano einen Bericht nieder, den ihm die Seherin gegeben hatte: Ein Arzt von Nazareth will Jesus auf die Probe stellen. Jesus erteilt Unterricht, vor allem auf dem Gebiete der Medizin. "Der Arzt fragte ihn, wer trocken und wer feuchter Natur sei und unter welchen Planeten ein solcher geboren sei und welches Kraut man diesem und jenem geben müsse und wie der menschliche Leib beschaffen sei. Da antwortete ihm Jesus mit großer Weisheit und sprach von der Komplexion einiger Gegenwärtigen, ihren Krankheiten und Mitteln und sprach von dem menschlichen Leib mit einer dem Arzte ganz unbekannten Weisheit. Er sprach vom Leib des Geistes, wie er auf den Körper wirke, er sprach von Krankheiten, die nur durch Gebet und Besserung geheilt würden, und von solchen, welche Arznei brauchen sollten, und alles so tiefsinnig und in so schönen Reden, daß der Arzt mit großem Erstaunen seine Kunst überwunden gab und erklärte, er habe solche Kenntnis nie gehabt. Ich glaube auch, daß er ihm nachfolgen will. Er beschrieb dem Arzt den menschlichen Leib, alle Glieder, Muskeln, Adern, Nerven und Eingeweide, ihre Bedeutung und Verhältnisse mit einer Genauigkeit und doch so im Überblick und tiefsinnig, daß er ganz demütig ward. Es war auch ein Sternkundiger da, und er sprach über den Lauf der Sterne und sagte, wie ein Gestirn das andere regiere und wie die verschiedenen Sterne verschiedene Einflüsse haben, und von den Kometen und Himmelszeichen. Auch von Gebäuden sprach er mit einem Mann sehr tiefsinnige Dinge. Er sprach auch vom Handel und Verkehr mit fremden Völkern und redete scharf gegen allerlei Moden und Eitelkeiten, die von Athen gekommen seien. Es waren Spiele und Gaukeleien dabei, die von dort ins Land gekommen wären. Sie waren auch durch Nazareth gezogen und mehrere andere Orte. Er sagte, diese Laster sind unverzeihlich; denn man hält sie für keine Laster und tue keine Buße darüber; darum sind sie unverzeihlich" (257). - Einen Unterricht in der geschilderten Art hat Jesus nie gehalten, weder auf dem Gebiet der Medizin noch auf dem Gebiet der Astrologie oder in Wirtschaftsfragen. Was Katharina Emmerick über die verschiedenen Gestirne erklärt, ist nichts anderes als die Weitergabe astrologischer Anschauungen ihrer Zeit.

Was kann schließlich eine Vision nützen, die nur die Aufgabe hat, die Herkunft des Kelches zu erklären, den Jesus beim Abendmahl benützt hat? Katharina Emmerick schildert die Zusammenhänge so: "Die Juden haben ihn schon sehr lange im Tempel gehabt. Sie haben gar nicht mehr gewußt, was er war, und ihn oft umschmelzen wollen und nicht gekonnt. Er war von Erz und mit Silber und Gold überlegt. Nachher ist er heraus in fremde Hände und durch Schickung Gottes zu den Aposteln gekommen. Der große Kelch ist bei Jakobus dem Kleineren in der Kirche zu Jerusalem geblieben. In die sechs kleinen haben sich die Apostel geteilt. Es sind einer nach Antiochien, einer nach Ephesus und die anderen nach anderen Kirchen gekommen. Nach sieben Kirchen kamen sie. Der große muß noch irgendwo verborgen stehen und wie hier beim ersten Abendmahl einst wieder zutagekommen. Er hat zwei kleine Ohren, unten herum am Fuß eine Schlange. Er hat auch ein Träubchen daran, er ist mit Steinen besetzt. Er war schon bei Abraham. Melchisedek hat ihn Abraham gelassen. Die kleinen Becher gehörten sechs Patriarchen. Sie tranken das geheimnisvolle Getränk beim Segen daraus, das ich sonst gesehen. Melchisedek brachte ihn aus dem Lande der Semiramis, wo er verkommen war. Er brachte ihn nach Jerusalem, als er baute. Der Becher war schon in der Arche Noah. Er stand ganz oben in der Arche. Da kamen Leute, feine Leute aus einer schönen Stadt. Sie ist so auf alte Art gebaut. Sie beten da an, was ihnen vorkommt, sie beten Fische auch an. Da sind feine Leute. ... Sie bringen dem Noah den Kelch. Er muß irgendwo verkommen gewesen sein" (258) Das ist doch alles unsinniges Geschwätz.

Katharina Emmerick berichtet ein offenkundiges Märchen, wenn sie erwähnt, daß Jesus eine "Reise zu den drei Königen" unternommen habe. Märchen ist auch, was sie über die Leiber dieser "Könige" erzählt (259). In der apokryphen Literatur ist die Rede von einem kurzen Briefwechsel zwischen Jesus und einem König Abgar von Edessa. Jeder Theologe weiß, daß es sich hierbei um eine Legende handelt. Katharina Emmerick jedoch hält das Märchen für Wirklichkeit und berichtet ausführlich über die Beziehungen zwischen Jesus und dem König in einer Art Kurzroman (260).

c) Geschichtlicher Wert der Visionen

Im folgenden seien noch weitere Beispiele aus den Visionen der Katharina Emmerick angeführt, die zeigen, daß sie mit geschichtlichen Tatsachen in Widerspruch stehen. Sie behauptet, Zacharias, der Vater des Täufers Johannes, sei mit Zustimmung des damaligen Hohenpriesters ermordet worden. Als Hohenpriester nennt sie Annas, den Schwiegervater des Kaiphas. (261). Die Legende erzählt, König Herodes habe Zacharias ermorden lassen. Dies müßte also bereits geschehen sein, bevor Annas Hoherpriester war; denn dieser hatte das hohepriesterliche Amt vom Jahre 6 bis 15 inne. Außerdem wurde Zacharias überhaupt nicht ermordet.

Ungeschichtlich sind auch auf jeden Fall die Angaben über den Kindermord zu Bethlehem. Katharina Emmerick verlegt den Schauplatz nach Jerusalem und sie spricht von Kindern aus Bethlehem, aus der mehr als zwanzig Kilometer von Bethlehem entfernten Stadt Hebron und einem anderen, nicht näher bezeichneten Ort. Die Angabe über die Zahl der in Jerusalem ermordeten Opfer lautet: "Die Weiber wurden mit den Kindern einzeln aus den Seitengebäuden in den großen hinteren Raum gerufen, die Kinder ihnen abgenommen und von den Soldaten durch das Tor in den Hof gebracht, wo etwa zwanzig beschäftigt waren, sie mit Schwertern und Piken zu stechen, in den Hals und in das Herz. ... Ich hatte die Zahl, es waren, meine ich, siebenhundert und sieben oder siebzehn" (262)

Katharina Emmerick sagt von dem Knaben, den Jesus im Kreise der Jünger segnete: Dieses Kind war niemand anders als der nachmalige heilige Ignatius (263) . Das Kind soll damals drei bis vier Jahre alt gewesen sein. Was ist richtig? Ignatius, Bischof von Antiochien, ist um das Jahr 110 im Alter von siebzig Jahren gestorben. Er kann also nicht jenes Kind gewesen sein, da er damals noch nicht am Leben war.

Keinen geschichtlichen Wert haben auch Emmericks Angaben über Maria und Joseph. Als Jesus in Bethlehem geboren wurde, sagte sie, war Joseph 35 Jahre alt. Er soll 25 Jahre und 3 Monate älter als Maria gewesen sein (264). Demnach müßte Maria, als sie Mutter wurde, kaum zehn Jahre alt gewesen sein. Vom Todestag Jesu sagt Emmerick, der historische Termin sei der 30. März gewesen (265). Diese Angabe ist auf jeden Fall unrichtig. Prof. Dr. Joseph Blinzler bezeichnet als wahrscheinlichen Termin des Todestages Jesu den 7. April des Jahres 30 (266) . Nach den Angaben der Katharina Emmerick wurde Jesus 30 Jahre und 4 1/2 Monate alt (267) . Die falsche Angabe ergibt sich aus der Tatsache, daß sie nichts davon wußte, daß das Geburtsjahr Jesu um etwa sieben Jahre zu spät angesetzt worden ist.

Über Kaiser Konstantin weiß Anna Katharina zu sagen, er habe sich durch den Papst Silvester in der christlichen Lehre unterrichten lassen. Dieser Papst habe den Kaiser auch getauft. Im Zusammenhang mit dieser Taufe sei- der Kaiser vom Aussatz geheilt worden (268) . Richtig dagegen ist, daß Silvester von 314 bis 335 Papst war. Konstantin wurde auf den Sterbebett im Jahr 337 getauft, zu einer Zeit also, da Silvester nicht mehr am Leben war.

Katharina Emmerick verkündet eine Fabel, wenn sie schildert, wie Jesus längere Zeit auf der Insel Zypern gewirkt habe. Ebenso ist die Angabe unrichtig, daß ihn Barnabas als Jünger begleitet hat; denn Barnabas hat den Herrn ohne Zweifel nicht persönlich gekannt. (269).

Welchen geschichtlichen Wert Visionen haben, zeigen die widersprechenden Angaben verschiedener Ekstatiker über die Mutter Jesu. Am 24. Mai 1665 starb in Spanien die Äbtissin Maria von Jesus zu Agreda. Ihren Schauungen zufolge kam Johannes mit Maria im Jahr 40 nach Ephesus. In einem in der Stadt gelegenen Haus bewohnte Maria "ein mehr abgelegenes Gemach, während Johannes ein ähnliches Zimmer für sich erbat". Hier blieben beide, solange sie in Ephesus lebten. Zum Apostelkonzil kehrten sie nach Jerusalem zurück. Der Aufenthalt in Ephesus hatte zweieinhalb Jahre gedauert. "In den letzten Jahren ihres irdischen Lebens weilte Maria in Jerusalem, wo sie dann auch starb" (270). Abgesehen davon, daß Maria überhaupt nicht in Ephesus gewohnt hat, stimmen auch andere Angaben nicht. Den Anschauungen der "Seherin" gemäß mußte das Apostelkonzil das im Jahre 50 stattfand, bereits im Jahr 42 oder 43 gewesen sein.

Nach Katharina Emmerick wohnte und starb Maria in Ephesus. Den Ort der Wohnung beschreibt sie so: "Mariä Wohnplatz war, wenn man von Jerusalem kommt, etwa dreieinhalb Stunden von Ephesus auf einem Berg zur Linken." Hier stand Maria ein Haus zur Verfügung, das Johannes hatte "erbauen" lassen. Die anderen christlichen Familien wohnten nur in "Zelthütten". Maria starb in Ephesus und wurde "ein Stück Wegs vom Haus" begraben (271).

Wieder anders lauten die Angaben der Therese Neumann von Konnersreuth: Nachdem Johannes und Maria einige Jahre in Ephesus gewohnt hatten, "erhielten sie ein schönes Haus, einige hundert Meter südwestlich der Stadt, geschenkt, das sie fortan während einer Reihe von Jahren bewohnten". Hier in Ephesus empfing dann später Maria eine Offenbarung, daß sie nicht mehr lange leben werde. Auf ihren Wunsch hin kehrt Johannes mit ihr nach Jerusalem zurück. Dort treffen sie "überraschend auch die anderen Apostel". In der Stadt stirbt dann plötzlich Maria in einem "Nebenraum des Abendmahlsaales". Sie wird in einem Felsengrab neben dem Tale des Baches Cedron beigesetzt (272). So lautet das eine Mal die Auskunft der Seherin von Konnersreuth. Das andere Mal bringt sie eine davon abweichende Angabe, nämlich, Maria sei in Ephesus bloß "etwa neun Monate" geblieben (273). Pfarrer Christian Kunz hat am 12. April 1928 die Angaben der Therese Neumann aufgezeichnet. Demnach starb Maria im Jahr 49 im Alter von 63 Jahren (274) . Katharina Emmerick versichert, Maria sei "vierzehn Jahre und drei Monate" nach Christ Himmelfahrt gestorben (275) . Damit kämen wir auf das Jahr 44.

Offensichtlich besteht kein Einklang zwischen den Angaben der Seherinnen. Da geht es einmal um die Frage der Wohnung in Ephesus. Nach Maria von Agreda wohnte Maria in Ephesus unmittelbar, nicht außerhalb der Stadt. Katharina Emmerick verlegt den Wohnplatz "etwa dreieinhalb Stunden von Ephesus" entfernt. Therese Neumann gibt an, Johannes und Maria hätten "einige ]hundert Meter südwestlich der Stadt" gelebt. Nach Katharina Emmerick hat Johannes des Wohnhaus "vorher" erbauen lassen, also bevor Maria nach Ephesus kam. Therese Neumann sagt, sie hätten ein "schönes Haus geschenkt" bekommen. Maria von Agreda läßt die Mutter Jesu in Jerusalem sterben, ebenso Therese Neumann. Den Angaben der Katharina Emmerick gemäß starb aber Maria in Ephesus; ihr Grab soll sich "ein Stück Wegs vom Haus", in dem sie gelebt, befinden.

An den widersprüchlichen Angaben der Seherinnen über den Tod Mariens haben sich manche gestoßen. Am 10. Juli 1930 kam dies auch zur Sprache, als P. Benedikt Stolz 0.S.B. zu Besuch in Konnersreuth weilte. Therese Neumann selber führte das Gespräch auf die Frage: "Da gibt es so 'ne Streitfrage. Ja, einige behaupten, die Gottesmutter sei in Ephesus gestorben. O nein, die Mutter Gottes ist nicht in Ephesus gestorben." Sie, die Therese, habe "mit eigenen Augen gesehen", daß Maria in Jerusalem gestorben sei, und zwar "neben dem Abendmahlsaale". Selbstsicher erklärt Therese auch die Widersprüche. Sie behauptet, auch Katharina Emmerick habe Maria in Jerusalem sterben sehen. Clemens Brentano jedoch habe "aus anderen Quellen sein Werk über Katharina Emmerick ergänzt und umgestaltet". (276) Als Sündenbock muß also wieder Clemens Brentano herhalten.

Daß alle Angaben der "Seherinnen" wertlos sind, zeigt auch folgende Überlegung: Der Niederschrift.des Pfarrers Christian Kunz entsprechend starb Maria im Jahr 49 im Alter von 63 Jahren (277). Würde dies stimmen, dann müßte sie 44 Jahre alt gewesen sein, als Jesus gekreuzigt wurde. Nun stimmt aber bekanntlich unsere Zeitrechnung nicht. Das Geburtsjahr Jesu muß um etwa sieben Jahre früher angesetzt werden. Demnach müßte Maria, als sie Mutter wurde, ungefähr sechs Jahre alt gewesen sein. Aber an solchen Unstimmigkeiten stoßen sich "Mystiker" nicht.

Die Visionen Katharina Emmericks kreisen nicht bloß um Berichte der Hl. Schrift. So wurde sie eines Tages in einer Schau über die Frage der unehelichen Kinder unterrichtet: "Ich sah bei dieser Gelegenheit viel über das Wesen unehelicher, ehebrecherischer und verfluchter Kinder, und über die Nachwirkung des nicht gelösten Fluches auf die Kinder der Verfluchten, was ich nicht mehr so recht erzählen kann. Der Fluch wirkt verschieden durch die Intention und durch das Wesen der Kinder selbst. Viele Konvulsionäre und Dämonische haben davon ihren Zustand. Die unehelichen Kinder sehe ich meistens mit zeitlichen sündhaften Vorzügen. Sie haben etwas von jenen, die aus der Vermischung der Kinder Gottes mit den Töchtern der Menschen hervorgingen. Sie sind oft schön, voll Verstecktheit, steter Begierde, sie möchten alles an sich reißen und wollen das doch nicht anerkennen. Sie tragen das Gepräge ihres geheimen, begehrenden, versteckten, verlogenen Ursprungs in ihrem Fleisch, und ihre Seele geht häufig dadurch zugrund" (278).

Interessant ist wie Katharina Emmerick über die Visionen einer anderen Mystikerin, nämlich der im 17. Jahrhundert in Spanien lebenden Äbtissin, der "ehrwürdigen Dienerin Gottes Schwester Maria von Jesus zu Agreda", urteilt. Am 27. Juli 1822 las Clemens Brentano der Kranken aus den "Gesichten" der Spanierin vor, und zwar "Über die Erscheinung Mariens bei Jakobus zu Caesaraugusta". Nach einiger Zeit wehrte Katharina ab: "Sie konnte gar nicht begreifen, wie diese Person das so weitschweifig gesehen habe und doch gar nichts beschreibe, als lauter Redensarten". "Ich weiß nicht", so sagte sie, "so höre ich weder Jesum noch Maria sprechen. ... Ich fühle in diesen Worten und allem, was ich gelesen, so gar keine Andacht. Es ist lauter Brausen und krauses, leeres Werk, wie eine breite, geputzte Madam" (279). Mit ihrem Urteil hat Anna Katharina nicht unrecht, obwohl ihre eigenen Visionen auch nichts anderes sind als "leeres Werk". Sehen wir uns nur einmal an, wie naiv die Äbtissin von Agreda die Entstehung der Evangelien erklärt hat: "Bereits auf dem ersten Konzil hatte Petrus der Versammlung erklärt, daß nunmehr die Geheimnisse des Lebens unseres Erlösers Jesus Christus aufgezeichnet werden sollten, damit alle sie auf die nämliche Art und ohne Abweichung lehrten. Diesen Plan hatte Petrus der Mutter Jesu mitgeteilt. Nachdem ihn auch das Konzil gutgeheißen hatte, riefen die im Konzil Versammelten den Heiligen Geist an, damit er zu erkennen gebe, welche von den Aposteln und Jüngern mit der Abfassung des Lebens unseres Heilandes betraut werden sollten. Wie von innerer Erleuchtung gedrängt, erhob sich Petrus inmitten der eben versammelten Apostel und Jünger, und indem er gemeinsam mit ihnen für die erwiesene Gnade dem Herrn gedankt hatte, sprach er: Matthäus, unser geliebter Bruder, soll den Anfang machen und sein Evangelium schreiben im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Markus soll der zweite sein und ebenso das Evangelium schreiben im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Lukas soll der dritte sein und schreiben im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Desgleichen soll unser geliebter Bruder Johannes als vierter und letzter die Geheimnisse unseres Erlösers und Meisters schreiben im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes"' (280). Als erster habe dann Matthäus auf göttlichen Befehl hin, der ihm durch die bereits verstorbene Maria überbracht worden sei, das Evangelium geschrieben. Etwas später habe Markus sein Evangelium zu schreiben begonnen, und zwar in Palästina. Lukas soll sein Evangelium in Achaia geschrieben haben. Johannes, so sagt Maria von Agreda, schrieb sein Evangelium in Kleinasien, und zwar "nach dem Hinscheiden und der Himmelsaufnahme der seligsten Jungfrau" (281). - Die Frage der Evangelien läßt sich nicht so einfach beantworten, wie es eine "Seherin" vermag.

Bei der Schilderung des Letzten Abendmahles erzählt Mutter Agreda eine ganz absonderliche Szene. Sie versichert, im Abendmahlsaale sei "die Person des Ewigen Vaters und die des Hl. Geistes" erschienen, auch hätten Engel Henoch und Elias hergebracht. Christus habe, "während er sich selbst in der heiligen Kommunion empfing", einen "Lobgesang auf den Ewigen Vater" anngestimmt. "Darauf brach er eine andere Partikel vom verwandelten Brot und übergab sie dem Erzengel Gabriel, damit er sie seiner Mutter, der heiligen Maria, bringe und ihr so die heilige Kommunion spende. ... Dann nahm der heilige Petrus auf Geheiß Christi, unseres Herrn, die andere Partikel und spendete damit den alten Vätern Henoch und Elias die heilige Kommunion". (282). - Die paar Kostproben genügen.

Wiederholt wurde bereits darauf hingewiesen, daß in vielen Stücken Therese Neumann von Konnersreuth eine auffallende Parallele zu Katharina Emmerick bildet. Das nimmt auch nicht wunder; denn sowohl Pfarrer Naber von Konnersreuth wie auch Therese Neumann selber haben Bücher über die Stigmatisierte von Dülmen eifrig gelesen. So kommt es auch, daß beider Visionen in vieler Hinsicht ganz ähnlich sind. Vergleichen wir einmal näher jeweils einen Auszug aus den Passionsvisionen, zunächst die Karfreitagsvision, wie sie Clemens Brentano und Johannes Steiner veröffentlicht haben (283).

Katharina Emmerick

 

Therese Neumann

 

S. 384: "Ich sah die Wächter in verdrehten Stellungen wie betäubt hie und da liegen." S. 261: Es sieht grauenerregend aus, "wie die Manner so verdraht umeinanderliegen".
S. 385: Zwei Türen führen zum Grab. S. 261: Nach dem Durchschreiten der äußeren Türe kommt man zum "inneren Türl", das "rot wie von Kupfer gewesen".
S. 94: Die Schergen stießen Jesus "über mannshoch von der Brücke in den Bach Kidron nieder, wobei sie mit Schimpfworten sprachen, da könne er sich satt trinken". S. 203: Man hat den Heiland in das Wasser gestoßen; er hat aus dem schmutzigen Wasser getrunken.
S. 187: Die Geißelung haben "sechs braune Personen" ausgeführt. S. 208: "Drei Gruppen zu je zwei Mann führen die Geißelung aus."
S. 189: Jesus wird an der Säule so in die Höhe gezogen, "daß seine an der Säule festgeschlossenen Füße kaum stehen konnten". S. 208: Jesus wird "mit nach oben gespannten Armen hochgezogen, bis er nur noch auf den Zehen steht".
S. 193: Jesus will nach der Geißelung nach seiner Gürtelbinde greifen; die versuchten Buben stoßen dieselbe hohnlachend mit den Füssen hin und her. S. 208: Jesus will nach der Geißelung seine am Boden liegenden Kleider aufnehmen. Da gibt ihnen ein halbwüchsiger Bube einen Stoß, daß sie ein gutes Stück weit fliegen.
S. 230: Die beiden dünneren einzuzapfenden Arme des Kreuzes waren auf den breiten schweren Stamm mit Stricken aufgebunden. S. 210: Dann bringt man für den Heiland Hölzer, "ein langes und zwei kürzere Trümmer". Diese hat man zusammengebunden und ihm auf die Schulter geworfen.

Katharina Emmerick und Therese Neumann erzählen aufgrund ihrer Visionen eine Sonderepisode, nämlich wie am Karsamstag Joseph von Arimathäa gefangengenommen wird. Die Gegenüberstellung zeigt deutlich, daß Therese Neumann den Bericht der Katharina Emmerick nur wiedergekaut hat.

Katharina Emmerick

Therese Neumann

S. 389: "Spät ging Joseph von Arimathäa... aus dem Cönaculum nach Hause." S. 253: "In der Nacht geht der Mann, der zum Idrauminet (Pilatus) gegangen war, ... auf der Straße dahin."
S. 330: "Plötzlich trat aus einem Hinterhalte in der Nähe vor dem Richterhause des Kaiphas ein Trupp Bewaffneter hervor und ergriffen Joseph von Arimathäa, während die anderen mit Angstgeschrei entflohen." "Ich sah, daß sie den guten Joseph nicht sehr weit von dem Richthaus in einen Turm der Stadtmauer einsperrten." S. 253: "Da kommen plötzlich Leute aus dem Tempelbezirk daher, die mit den anderen in Streit kommen. Man merkt sofort, daß sie nichts Gutes im Sinn haben. Deshalb laufen alle, die gut laufen können. Man kann direkt sagen, sie sind ausgerissen."

"Nur dieser alte Mann konnte nicht so schnell laufen, und auf ihn vor allem haben es die anderen abgesehen. Und so wird er gefangen."

S. 360: "Auf dem Heimwege dieser Schar ward Joseph, wie ich schon erzählt habe, bei dem Richthause des Kaiphas aus ihrer Mitte gerissen und in einen Turm gefangen gesetzt." S. 253: "Sie führen ihn dann zu einer Mauer und durch ein Tor, und dann an der Mauer entlang bis zu einem Turm. Dort stoßen sie ihn hinein und versperren den Eingang."
S. 375: "Ich sah Joseph von Arimathäa in seinem Kerker betend." S. 253: "Er steht nun da und betet und streckt die Hände,zum Himmel hinauf."
S. 375 f: "Plötzlich sah ich seinen Kerker mit Licht erfüllt und hörte ihn bei seinem Namen rufen ich sah aber oben an einer Steinfügung die Decke, wie von der Mauer aufgehoben, und eine leuchtende Gestalt, welche ein Tuch herabließ, das mich an das Grabtuch erinnerte, in das er Jesum gehüllt hatte, und ihm befahl, daran heraufzusteigen. Ich sah nun, wie Joseph das Tuch mit beiden Händen ergriff und, sich mit den Füßen an hervorstehende Steine der Mauer stemmend, wohl zwei Mannshöhen zu der Öffnung emporstieg, die sich hinter ihm wieder schloß. Als er oben war, sah ich die Erscheinung verschwunden. Ich selber weiß nicht. war es der Herr oder ein Engel; der ihn befreite. S. 253: "Auf einmal steht da oben auf dem Mauerring des offenen Turmes ein Lichter Mann und ruft ihn an 'Arimathäi' oder so ähnlich. Er sprach noch etwas herunter und läßt auf den erstaunten Mann ein langes Tuch herab. Das knüpft dieser weisungsgemäß um sich und krallt sich mit beiden Händen fest. Und mit den Füßen hilft er an der Mauer, die aus ziemlich grobem Steinwerk besteht, nach, während der lichte Mann oben ihn hochzieht. So kommt er auf die Zinne, die kaum höher als die breite, zum Daraufgehen gebaute Mauer ist, und steigt hinaus. Da ist der lichte Mann mitsamt dem Tuch verschwunden.

 

S. 376: "Ich sah ihn nun unbemerkt eine Strecke auf der Stadtmauer bis in die Nähe des Cönaculum hinlaufen, welches der mittäglichen Mauer von Sion nahe lag. Hier stieg er herab und pochte am Cönaculum. Die versammmelten Jünger hatten die Türen verschlossen, und waren schon sehr traurig Über das Verschwinden Josephs gewesen; sie glaubten auf die Nachricht davon, man habe ihn in einen Cloak geworfen. Als man ihm öffnete, und er unter sie eintrat, war ihre Freude ebenso groß, wie nachmals, da Petrus aus dem Kerker befreit zu ihnen kam. Er erzählte die Erscheinung, die er gehabt, und sie waren darüber erfreut und getröstet, gaben ihm Speise und dankten Gott." S. 254: "Joseph von Arimathäa ... hält nun Ausschau, um sich in der Nacht zu orientieren, daß ihm niemand unerwünscht begegnet. Er geht dann auf der Mauer, unter Hinüberwechseln auf verschiedene Abschnitte, bis zu einem Punkt, wo er eine Abstiegsmöglichkeit weiß, in der Gegend des Hauses, in welchem der Heiland denen die Füße gewaschen hat. Die Anhänger Jesu dort vermutend, geht er hin und klopft fest. Nach längerem Zögern von drinnen und Absicherung, wer der nächtliche Gast sei, wird er eingelassen und alle freuten sich lebhaft über seine Rettung."

Die Visionen der beiden Seherinnen gleichen sich wie ein Ei dem andern. Es ist offenkundig, daß für Therese Neumann eine wichtige Quelle ihrer eigenen "Schauungen" Katharina Emmerick gewesen ist. Dies hat sie freilich geleugnet. So schreibt im Jahr 1936 der Lemberger Bischof Teodorowicz: "Sie liest keine Bücher über Visionen, wie beispielsweise die Werke der Katharina Emmerick. Sie hat keine Seite von den Offenbarungen der Katharina Emmerick gelesen" (284). Der Bischof schreibt so, weil er der Beteuerung der Stigmatisierten von Konnersreuth geglaubt hat. Aber wie war es wirklich! Am 9. August 1929 hatte der Konnersreuther Pfarrer Josef Naber einigen Besuchern gegenüber, unter denen sich G. M. Liesch befand, erklärt: "Meine Herren, ich habe von Mystik keine Ahnung gehabt. Ich habe die Bücher von Katharina Emmerick bestellt und gelesen und jetzt kann ich Therese führen". Weiterhin versicherte der Pfarrer, Therese lese "die Visionen " und Vorgänge mit Katharina mit großer Teilnahme" (285).

In der Gedenkrede am 200. Geburtstag der Katharina Emmerick im Jahr 1974 meinte der Bischof von Münster, der Stigmatisierten von Dülmen sei "die biblische Geschichte in allen Einzelheiten so deutlich vor Augen" gestanden, "wie die materiellen Dinge, die wir sehen oder hören, fühlen und greifen können". Da hat aber der Bischof vergessen, die oberste und wichtigste Frage zu stellen, nämlich: Stimmen diese "biblischen Geschichten", wie sie Katharina Emmerick erzählt hat, mit den tatsächlichen Ereignissen überein? Sowohl der banale Inhalt wie auch die nachweisbar falschen Angaben erweisen die Visionen als das, was sie sind, nämlich Phantastereien oder traumhafte Innbilder einer kranken Person. Dieses Urteil gilt für die Visionen der Therese Neumann ebenso wie für ihr Vorbild Anna Katharina Emmerick. P. Stolz bezeichnet 'die Visionen als Hilfsquellen der Wahrheit"; dieses Wort nimmt auch Prof. Dr. Karl Sedlmeyer auf (289), weil er offenbar derselben Meinung ist. Wer mit dem genannten Prädikat das Geschwätz der "Seherinnen" von Dülmen und Konnersreuth versieht, der besitzt einen mehr als sonderbaren Wahrheitsbegriff. Wenn aber tatsächlich die Visionen der Anna Katharina Emmerick Hilfsquellen der Wahrheit sind, warum verzichtet dann das Bischöfliche Ordinariat von Münster auf ein derart wertvolles Beweismittel bei dem angestrebten Seligsprechungsprozeß?

Der Bischof von Münster hat in seiner erwähnten Gedenkrede gesagt: "Die Kirche stellt an die Glaubwürdigkeit solcher außerordentlicher Geschehnisse schärfste Maßstäbe." Dazu muß aber gesagt werden: Wer sich näher mit den "außerordentlichen Geschehnissen" von "Mystikern" befaßt, wird auf Schritt und Tritt die "schärfsten Maßstäbe" nur allzu oft vermissen. Im Fall der Visionen, wie sie Katharina Emmerick auftischte, braucht man gar nicht schärfste Maßstäbe, um zu erkennen, daß es sich bloß um leere Faseleien handelt, um nichts anderes.

Im Buche "Im Banne des Kreuzes" steht der Satz: "Wir können für die Echtheit des visionären Lebens keinen besseren Beweis finden als den religiös wertvollen Inhalt und die sittlich erhebende Wirkung der Gesichte" (287). Aber wo steckt denn der religiös wertvolle Inhalt der Visionen? Zügellose Phantastereien sind doch nicht religiös wertvoll; davon geht auch keine wirklich echte sittlich erhebende Wirkung aus. Außerdem ist es ein falscher Weg, wenn von einer angeblich sittlich erhebenden Wirkung ausgehend erklärt wird, damit sei die "Echtheit des visionären Lebens" erwiesen. Die Echtheit von Visionen darf allein aus dem Inhalt erschlossen werden. Wenn nachgewiesen werden kann, daß sie zum einen Teil nicht stimmen und zum anderen Teil bloßes Geschwätz sind, dann bleibt nur noch die Frage offen, bei wem eine "erhebende Wirkung" eintritt.

3. Schauungen und außergewöhnliche Erscheinungen

Katharina Emmerick schaute regelmäßig biblische Ereignisse. Darüber hinaus hatte sie nicht selten auch ganz außergewöhnliche mystische Erlebnisse. Wenn sie beispielsweise vor dem Coesfelder Kreuz "in heiliger Sehnsucht zu Jesus hinaufbetete, geschah es, daß sich der Herr zu ihr herniederbeugte". So erzählte sie Bernhard Overberg, sie habe die Gewohnheit gehabt, oft hinter dem Altare, welcher vor dem mirakulösen Kreuz zu Coesfeld steht, zu beten; bei dieser Gelegenheit habe sie einige Male bemerkt, "daß sich der Oberteil des Bildes zu ihr neigte". "Dies kann", so urteilt Emmerick selber, "auch wohl Einbildung von mir gewesen sein; mir wurde aber doch ganz sonderbar dabei" (288). Einmal, so berichtet sie weiter, ging sie des Nachts mit ihrer Freundin von 3 Uhr an den langen Kreuzweg in der Coesfelder Gemarkung; die Andacht nahm mindestens zwei Stunden in Anspruch. Als beide wieder zurückgekehrt waren und betend vor der Kirche verweilten, da kam "das Kreuz mit dem daran hängenden Opfersilber" aus der Kirche heraus; Katharina sah es "hell und klar", während ihre Begleiterin nichts bemerkte; wohl aber vernahm sie, "als rasselten die silbernen Anhängsel des Kreuzes"(289).

Während ihrer Ekstasen hatte sie zuweilen außergewöhnliche Schauungen. Als sie im Kloster als Küsterin tätig war, sah sie zur Wandlung "das Christkindlein über dem Kelche". Sie erzählte ihr Erlebnis Bernhard Overberg, der sie fragte, ob sie dergleichen noch mehr gesehen habe. Katharina antwortete, "daß sie wohl oft das Kindlein sah in der heiligen Hostie, aber klein"; es sei so hell und schön" gewesen (290). Auch sonst sah sie "um das heiligste Sakrament einen großen Glanz" oder oft auch ein "Kreuz in der Hostie von bräunlicher oder doch anderer als weißer Farbe"; das Kreuz sei nicht größer gewesen als die Hostie, aber die Hostie, die sie dann gesehen, sei "oft größer gewesen als die gewöhnlichen" (291).

Während der Christmette im Jahr 1810 will Katharina Emmerick ein außergewöhnliches Erlebnis gehabt haben. Als sie während der Wandlung zum Altar blickte, sah sie, "da der Priester die hl. Hostie und da er den Kelch hochhob, als habe er das Christkindlein bei den Füßen gehabt und mit emporgehoben". Jedesmal, wenn

Hostie und Kelch wieder gesenkt wurden, verschwand auch das Christkind (292).

Ein ähnliches Erlebnis will auch Therese Neumann von Konnersreuth am Hl. Abend 1928 gehabt haben. Es war ein Freitag, an dem sie die Passion Christi erlebte "wie an den Freitagen der Fastenzeit". Therese lag während der Christmette in ihrem Bett. Als die Wandlungsglocke läutete, begann eine Vision, die noch etwa eine Viertelstunde nach Beendigung des Gottesdienstes fortdauerte. Den von der Christmette zurückkehrenden Angehörigen erzählte sie, sie habe "ein wunderschönes kleines Kind auf einer weißen Wolke etwas überhöht vor sich" stehen sehen; das Kind habe nach ihr die Arme ausgebreitet . Ähnliche Schauungen hatte Therese Neumann auch beim Empfang der hl. Kommunion; sie "erlebte" dabei Dinge wie Katharina Emmerick.

"Oft sehe ich", sagt diese, "wenn ich kommuniziere, Jesum als meinen himmlischen Bräutigam nahe vor meine Augen treten und bei dem Empfang des hl. Sakramentes verschwinden und fühle mich dann von einer unaussprechlichen Süßigkeit durchronnen". "Ungemein oft", habe sie "von dem Kreuz in der hl. Hostie das Blut niederrinnen sehen". Oft sah sie auch "Jesum als ein nacktes Kindlein in der heiligen Hostie rötlich schimmernd, wie einen Blitzstrahl erscheinend" (294).

Einmal im Winter des Noviziatsjahres kniete Anna Katharina an einem Freitag allein in der Kirche und betete. "Da sah sie vor sich auf der Kniebank ein Kruzifixbild, das blutig war." Sie versicherte ausdrücklich, "daß sie es nicht innerlich, sondern mit leiblichen Augen gesehen habe" (295). Von einem ähnlichen Erlebnis spricht Anna Katharina ein andermal: "Auf meiner lieben kleinen Klosterzelle habe ich den steinernen Kopf eines zerbrochenen Kreuzbildes liegen gefunden. Oft, wenn ich wachend betete, sah ich ihn bluten und mit traurigem Antlitz ganz nahe vor mich kommen. ... Ich hatte ein beinernes Kruzifix. Ich pflegte es in mein Fenster gegen das heilige Sakrament in der Kirche zu stellen und davor kniend zu beten. Ich sah dann oft am hellen Tag das Blut aus der Seitenwunde fließen, habe es auch abgetrocknet und das Tuch befleckt gesehen. ... Von solchen Dingen habe ich nie gesprochen" (296).

Katharina Emmerick hatte sich ihrer Aussage gemäß bereits als Kind mit dem Jesusknaben verlobt. Während sie dann im Kloster weilte, hatte sie einmal ein eigenartiges "Erlebnis". Als sie schwerkrank zu Bette lag, trat die Mutter Gottes mit dem Jesuskind an ihr Lager. Sie gab ihr "ihr Kindlein eine Zeitlang in die Arme", was die Kranke ungemein erquickte. Als Maria ihr Kind wieder zurücknahm, gab sie der Kranken ein "Blümchen". Nachdem Katharina erwacht war, hatte sie tatsächlich "die kleine Knospe in der Hand". Länger als einen Monat lang trank sie das Wasser, in dem sie die Rose aufbewahrte; sie wurde durch die eigenartige Medizin wieder gesund. (297).

Für die Szene mit dem Jesuskind gibt es eine Reihe von Parallelen. Auf Tausenden von Gemälden und Bildwerken wird der hl. Antonius von Padua als lächelnder Jüngling im Franziskanerhabit dargestellt, wie er das Jesuskind auf dem Arme trägt. Dieses Bild haben dann "Mystiker" insofern nachgeahmt, als sie es zu ihrem eigenen "Erlebnis" gemacht haben. So schildert Margareta Maria Alacoque, daß ihr "die allerseligste Jungfrau mit ihrem süßen Kinde" erschienen sei. Maria legte ihr Kind der Seherin in die Arme; diese "liebkoste" das göttliche Kind lange Zeit. Als sie "davon ganz müde geworden war", fragte das Gotteskind: "Bist du jetzt zufrieden ?" (298 ) Auch P. Pio von Pietrelcina durfte "den Jesusknaben auf seinen Arm nehmen" (299) Eine ähnliche Szene finden wir bei Therese Neumann von Konnersreuth. Einmal erschien ihr Antonius von Padua mit dem Jesuskind auf dem Arm. "Therese bat, er möchte das Kind für einige Augenblicke ihr geben, und als der Heilige keine Antwort hab, tadelte sie ihn" (300). An Epiphanie schaute sie, wie Maria ihrem Kind das große Gefolge der Magier zeigte. Da wendet sich plötzlich das Christkind zur Resl und streckt ihr einen Arm entgegen. Ebenso wie vom Jesuknaben so empfing Therese Neumann auch durch den Gekreuzigten Zeichen seiner Zuneigung. Sogar vom Kreuz herab blickte er sie liebevoll an. Ja, noch mehr: Einmal versicherte sie ihrem Pfarrer, Christus habe sie vom Kreuz herab angeschaut und ihr zugelächelt. Ein andermal stieg sogar der Heiland vom Kreuz zu ihr herab (301).

Wenn Katharina Emmerick allzu sehr von Leid und Krankheit geplagt wurde, geschah es, daß sie himmlischen Trost erfuhr. "Ich habe dich", so sprach Christus einmal zu ihr, "auf mein Brautbett.der Leiden gelegt und dich mit Gnaden der Leiden und Schätzen der Versöhnung und mit Kleinodien der Wirkung überhäuft. Du mußt leiden; ich verlasse dich nicht" (302).

In den letzten Lebensjahren, in denen Katharina Emmerick den "dreijährigen Lebenswandel und das bittere Leiden Jesu schauen und erzählen sollte", hatte sie noch größere Leiden zu ertragen. In dieser Zeit sprach Christus zu ihr: "Dein Leib ist durch Schmerz und Krankheit gebunden wie eine Last,' damit die Seele desto tätiger arbeiten kann" (303)

In den letzten Wochen ihres Lebens "steigerten sich ihre Peinen". Da sprach sie um den 12. Januar 1824: "Ich habe keine neue Aufgabe mehr, ich bin am Ende. Bis jetzt habe ich für andere gelitten, nun leide ich für mich. Das Christkind hat mir auf Weihnachten viele Schmerzen gebracht; nun ist es wieder zu. mir gekommen und brachte noch viel mehr." Anna Katharina erklärte auch, das Christkind habe ihr "seine und seiner Mutter Leiden geschickt" und gesprochen: "Du werde meine Braut; leide, was ich litt; frage nicht, warum!" (304)

Gelegentlich erfuhr die Kranke wunderbare Hilfe. Einmal lag sie "in einer heftigen Krankheit in größter Ermattung". Da "sei ein schönes Kind gekommen und habe ihr seine von Milch strotzende Brust gereicht. Sie habe die Brust genommen und sich dadurch wunderbar gestärkt gefühlt" (305). Was Anna Katharina schildert, war natürlich kein wirkliches Geschehen; sie verlegt aber offenbar ein späteres tatsächliches Ereignis in umgestalteter Form zurück in frühere Jahre. Im September 1817 wurde sie auf ihrem Krankenlager durch eine Amme mit Muttermilch ernährt (306). Sie hat dann dieses reale Erlebnis lediglich in ihren Tagwachträumen umgestaltet, wobei allerdings ein Mutter-Kind-Komplex richtunggebend war.

4. Manifestationen

Zu den "Begnadigungen ihrer Jugend", schreibt P. Wegener, gehörten "die persönlichen Erscheinungen des Heilandes, der Mutter Gottes, ihres Schutzengels und verschiedener anderer Heiliger". Sie war hinsichtlich dieser Dinge der Meinung, "daß alle Christen diesen Umgang hätten; denn da sie nach Anleitung des Glaubens Jesus als Bruder, Maria als Mutter, den Schutzengel und die Heiligen als Freunde ansah, so erschien es ihr natürlich, daß diese Personen auch zu ihr kamen" (307) . Den Gedanken, daß derlei "Erscheinungen" alle Menschen hätten, findet man in gleicher Weise von P. Pio und Therese Neumann sowie anderen Pseudomystikern ausgesprochen. P. Pio äußerte die Meinung, auch seine Mitbrüder sähen wie er Gestalten aus dem Jenseits, sogar noch in seinen späteren Lebensjahren, nachdem ihm Mitbrüder immer wieder versichert hatten, sie sähen nichts (308). Therese Neumann will als Erstkommunikantin "das verklärte Jesuskind" geschaut haben. Sie erzählte dies freilich erst im Jahre 1953 unter Eid und versicherte dabei, sie habe früher geglaubt, "das sei bei allen Leuten bei diesem Anlaß so" (309).

Katharina Emmerick erzählt, ihr sei schon damals, als sie noch sehr jung gewesen sei, ein Kind aus dem Jenseits erschienen und habe mit ihr gespielt; es habe sich um sonst niemand gehandelt als um den Jesusknaben. Durch übernatürliche Eingebung, so versichert sie, habe sie bereits in jener Zeit gewußt, daß ihre schwangere Mutter einen Sohn bekommen werde; aus dieser Gewißheit heraus dachte sie sogar daran, ihrem zu erwartenden Bruder ein Kleid zu nähen. In der Zeit, als sie die Aufgabe hatte, Kühe auf der Weide zu bewachen, erhielt sie immer wieder wunderbare Hilfe. Sie erzählt: "Da hatte ich mein Puppenzeug mitgenommen, und das Jüngsken kam zu mir und lehrte mich alles und half mir eine sehr nette Kindermütze und andere kleine Sachen aus meinem Puppenzeug zu machen, und das schenkte ich alles meiner Mutter. Meine Mutter wunderte sich sehr, wie ich das alles zusammengebracht, nahm es jedoch und brauchte es. Ich sah sie aber heimlich weinen und alles dem Vater und anderen vertrauten Leuten zeigen. Mir aber verbarg sie ihr Staunen. Ich habe auch damals mit dem Jüngsken armen Kindern Strümpfe gemacht." Als sie im Alter von fünf bis sechs Jahren Kühe weidete, hatte sie folgendes Erlebnis: "Da kam auf der Weide ein artiger Knabe zu mir und machte, daß sich die Kühe von selbst hüteten. Wir spielten sehr schön miteinander und redeten auch allerlei von frommen Sachen." Sie unterbrachen das Spiel und bauten eine Krippe. Anschließend spielten beide wieder weiter. Als sie zur Krippe zurückkehrten, saß über dieser "ein anderes kleines Kind", das nach kurzer Zeit verschwand. Katharina erzählt weiter: "So war ich noch sehr oft mit dem Knäbchen, und wir konnten alles miteinander, wir nähten, machten Kindermützen, auch Strümpfe für arme Kinder. Einigemale kamen auch Klosterfrauen zu uns, und zwar immer Annunziaten. Wunderbar war es, daß ich immer alles anordnete und glaubte, ich mache es, und daß es doch eigentlich das Jüngsken war, welches alles vermochte" (310 ). Clemens Brentano bezeichnete das, was Katharina Emmerick erzählt, als "Visionsereignis ihrer Jugend", das sie nochmals im Dezember 1819 "geträumt" habe. Natürlich waren es nicht wirkliche Erlebnisse, wahrscheinlich nicht einmal Träume in der Kindheit, sondern erst später zurückdatierte "Visionen" oder, besser gesagt, Halluzinationen. Man muß aber berücksichtigen, daß Anna Katharina diese Dinge offenbar als wirkliche Erlebnisse gewertet hat.

Zu den Heiligen, die Anna Katharina "oft in ihrer Feldeinsamkeit" einen Besuch abstatteten, gehörte der hl. Johannes der Täufer. "Er erschien ihr, wie er als Kind in der Einsamkeit der Wüste gelebt und ein Fell von Kamelhaaren getragen habe" (311).

Man braucht sich nicht zu verwundern, daß zu den Besuchenden auch "heilige Klosterfrauen" gehörten. "Am häufigsten" erschien ihr die heilige Johanna von Valois, Königin von Frankreich, die den Orden der Annunziaten gestiftet hatte. Daß gerade sie gerne Besuch machte, lag daran, daß sich in der Jakobipfarre in Coesfeld ein Annunziatenkloster befand (312). Wenn Anna Katharina in ihrer Jugendzeit die Glocken dieses Klosters läuten hörte, wurde sie "mit Sehnsucht zum Klosterleben erfüllt". Einmal war ihr, als hörte sie beim Glockenklang eine Stimme, die ihr zurief: "Gehe ins Kloster, es komme, was da wolle!" Eines Nachmittags, als sie krank zu Bette lag, sah sie "einen heiligen Mann mit zwei Klosterfrauen an ihr Bett treten". Diese "leuchtenden" Gestalten brachten ihr ein großes Buch und sprachen: "Wenn du dieses Buch durchliest, so weißt du, was zu einer Klosterfrau gehört." Sie ließen das Buch zurück und verschwanden. "Es war Latein, aber sie verstand alles, und las sehr fleißig darin. Hatte sie einen Teil gelesen, so wurde es ihr immer wieder weggeführt. So geschah es während der ganzen Folgezeit" (313).

Zu den "übernatürlichen Gaben", die Katharina Emmerick eigen waren, gehörte auch "eine innere Erkenntnis von Geheimnissen der Natur". Sie "unterschied heilsame Kräuter von schädlichen". Die heilsamen verwendete sie für sich selbst und für erkrankte Mitmenschen, die schädlichen "vertilgte sie aus der Nähe ihrer Hütte". So erzählt sie: Sie sei noch sehr jung gewesen, als sie an einem hartnäckigen Fieber litt; da sei zu ihr ein "schönes

Kind" gekommen und habe ihr Kräuter gezeigt, die sie essen solle; durch den Genuß derselben sei sie "bald gesund" geworden (314).

Häufig hatte Katharina Emmerick ihre Schauungen während des Gottesdienstes. "Oft sah sie um das allerheiligste Sakrament einen großen Glanz oder ein Kreuz in der heiligen Hostie, und von diesem Kreuze das Blut niederrinnen. Andere Male sah sie in der heiligen Hostie den Erlöser als Kind, und in der Christnachtmette erblickte sie über dem Kelche das Jesuskind. Sie geriet bei dieser Gelegenheit in ein solches Entzücken, daß sie vergaß, das Glockenzeichen während der Wandlung zu geben, wozu sie bestimmt war. Auch sah sie bei der heiligen Kommunion den Heiland vor ihre Augen treten und bei dem Empfang wieder verschwinden. Sie kam unter der heiligen Messe öftere Male in Ekstase" (315)

Damals, als der Stigmatisierten von Dülmen der Plan vorgetragen wurde, sie untersuchen und beobachten zu lassen, sträubte sie sich dagegen mit allen Kräften. In dieser Zeit mahnte sie die Mutter Gottes: "Kind, nimm dich in acht und geh' nicht weiter; halte die Sache von dir und bewahre deine Demut" (316)

Was ist von diesen Manifestationen" zu halten? Katharina Emmerick lebte immerzu, von frühester Jugend an, in einer Traumwelt. "Ich war", so versicherte sie, "als ein junges Wicht (Mädchen) in stetem ekstatischem Zustand, so daß ich alle meine Geschäfte tat und mich mit allen Leuten umher unterhielt und doch zugleich immer In geistlichen Anschaungen abwesend war" (317). In ihrer Traumwelt spielten sich auch ihre Geistererscheinungen ab. "Wenn ich", so versichert sie, "als junges Mädchen nachts auf dem Felde betete, so fühlte ich und sah ich oft böse Geister um mich. Sobald jedoch der Klang der Mettenglocken zu Coesfeld erschallte, fühlte ich sie vor mir fliehen" (318)

5. Beurteilung der Gesichte

Anna Katharina Emmerick hat auf nicht wenige Menschen ihrer Zeit und in der Folge einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Ihre Visionen, vor allem jene über das Leiden Christi, wurden gerne gelesen. Bischof Dr. Heinrich Tenhumberg von Münster hat in seiner Predigt anläßlich des 200. Geburtstages der Stigmatisierten von Dülmen unter Aufzählung einiger Heiliger gesagt: "Schier endlos ist die Reihe von gottergriffenen Menschen, in deren Leben Wunder und Weissagungen, Visionen und Erscheinungen eine Rolle gespielt haben. Die Kirche stellt an die Glaubwürdigkeit solcher außerordentlicher Geschehnisse schärfste Maßstäbe. Was nach Abzug aller fragwürdigen Dinge und Überlieferungen, nach Ausscheidung aller rein natürlich erklärbaren Vorkommnisse übrigbleibt, ist ein vertrauenswürdiges Zeugnis der Macht Gottes, die es zu keiner Zeit an Zeichen fehlen läßt, die uns zum Glauben einladen" (319). P. Wegener schreibt in seinem Buch über Katharina Emmerick: "Der Hl. Geist erleuchtete sie in ihren Kinderjahren vornehmlich über die Geheimnisse des Alten Bundes, in ihren späteren Jahren über die vollständige Geschichte Jesu und der Apostelkirche" (320) . Es ist also die Frage: Was ist bei Anna Katharina Emmericks Visionen und Erscheinungen nicht natürlich erklärbar? Was gehört vielleicht zu den fragwürdigen Dingen und Überlieferungen? Wir müssen ja an die Glaubwürdigkeit solcher außerordentlichen Geschehnisse schärfste Maßstäbe anlegen.

Wie man auf Schritt und Tritt sieht, ist der Inhalt der von ihr gescheuten Bilder meist reine Phantasie. "In ihrem Seelenleben war die Phantasietätigkeit eine ungemein reiche." Sie lebte "von Jugend an in einer visionären Welt" (321). Die se wird freilich in der Regel von außen her angeregt, vor allem durch Lektüre und Erzählungen. Ein kleines Erlebnis, das Clemens Brentano im August 1822 aufgezeichnet hat, macht dies deutlich: Der Beichtvater der Kranken hatte am Abend des Afratages mit ihr über das Leben der Seligen gesprochen. Er äußerte die Meinung, "der Narzissus sei derselbe, der Datula in Jerusalem das heilige Brot gegeben". Die Folge dieses Gesprächs war, daß Anna Katharina in der folgenden Nacht "Bilder von Datula und Narzissus von Jerusalem" hatte (322) . Einmal, es war am 15. August 1814, schaute Anna Katharina in Anwesenheit ihres Beichtvaters Limberg den Tod Mariens. Im Zustand der Ekstase sprach sie "von einer Sterbenden" und bezeichnete die Szene so genau, "daß Limberg in dieser Beschreibung das kleine Ölgemälde, welches an ihrem Bett hing und den Tod Mariens darstellt, erkannte" (323).

Bereits in früher Kindheit will Katharina Emmerick Visionen gehabt haben. Sie erzählte im Mai 1819, ihrer Meinung nach habe sie bei ihren ersten Visionen im Alter von fünf bis sechs Jahren die Weltschöpfung und den Engelsturz geschaut. Sie spricht allerdings selber von "kindischen Bildern vom Sturz der Engel" (324). Diese Bezeichnung ist offensichtlich auch für den Inhalt der Schauungen am Platze. Was aber Erstaunen erregen muß, ist dies, daß Katharina Emmerick vierzig Jahre später noch so viele Einzelheiten ihrer Schauungen anzugeben vermochte. Offenbar haben die kindischen Erzählungen dem Vater der Seherin gefallen. Sie behauptete, daß sie bereits als Kind ihre "Gesichte von den Begebenheiten des Alten und Neuen Testaments" ihrem Vater erzählt habe. Der Vater, der "gar nie dergleichen auf diese Weise.je gehört und gesehen", habe vor Ergriffenheit geweint (325).

Zusammenfassend sagt Anton Brieger über die "visionären Erlebnisse" der Katharina Emmerick: "Etwa von seinem siebenten Jahr an erlebt das Kind bewußt und als unbestreitbare Wirklichkeit Störungen und Anfechtungen durch die Macht der Finsternis. Das Kind führt auf die natürlichste Weise ein Dasein an der Schwelle zweier Welten. Es hat von früh an Gesichte, empfindet sie als in keiner Weise außerordentlich und meint, jedermann sehe die Gestalten der Bibel, die Heiligen, die Engel, die Ereignisse der Heilsgeschichte und die Gegenden des heiligen Landes ebenso. Solche Gesichte reichen zurück bis in die früheste Kindheit, so z.B. jene von der Verkündigung Mariens, von der Reise nach Bethlehem, die das Kind bis ins kleinste, als in der Gegenwart ablaufend, miterlebt. Erscheinungen treten zu dem Kinde, spielen mit ihm, helfen ihm bei seinen Bemühungen des Spiels und der Arbeit. Das Kind wandert geistig in die Ferne. Das Dasein außerhalb des Körpers ist dem Kinde auf die natürlichste Weise vertraut, die unsichtbare Welt ist ihm, soweit es sich zurückerinnern kann, nah, ja oft näher als die irdische Wirklichkeit" (326)

Bilder aus dem Alten und Neuen Testament beschäftigten Katharina Emmerick in ihren Visionen, insbesondere natürlich in ihrer Kindheit aus dem Leben des kleinen Jesusknaben. Sie erzählt im Januar 1821: "Ich war ein kleines Wicht (Mädchen) und hatte Kleider aus meiner Jugend an, welche ich genau kannte, und ein blau gedrucktes Fürröckchen. Ich hatte ein klein' Stöckchen in der Hand. Als ich ein wenig dasaß, kam das Christkind zu mir, und ich breitete mein Fürröckchen neben mich, und es setzte sich auf meine Schlippe. Ich kann gar nicht sagen, wie lieblich und lustig das Bild war. Ich kann gar nicht vergessen und muß manchmal in meinem Elend lachen vor Freude. Das Kind sprach so lustig mit mir und erzählte mir alles von seiner Menschwerdung und seinen Eltern. Es putzte mich aber auch recht ernstlich aus, was ich zu klagen hätte und so kleinmütig sei. Ich sollte doch sehen, wie es ihm gegangen und welche Herrlichkeit er, Jesus, verlassen und wie man ihm von Jugend auf nachgestellt und wie er sich erniedrigt, und so erzählte es mir seine ganze Kindheitsgeschichte" (327).

Angeregt durch Schauungen Über das Christkind führte ihre Phantasie die Bilder weiter. Sie sagt: "Wenn man vom Christkind erzählte, machte ich die Augen zu und sah alles vor mir, und wenn ich im Bett schlief, sah ich immerfort und noch mehr. Endlich sah ich es auch bei Tag wachend, mit offenen Augen, unter meinen Geschäften und Spielen. Ich glaubte, alle Menschen sahen dergleichen auch, und als mich beim Erzählen davon die anderen Kinder liebten, war es gut; als mir aber dagegen gesprochen wurde, verschwieg ich es mehr" (328).

Wie Anna Katharina am 22. Juni 1822 berichtete, war ihr bereits in früher Kindheit Jesus als kleines Kind, "das ein schweres Kreuz schleppte", erschienen. "Ich ging als klein' Wicht durch unseren Stall, rote Rüben holen, welche auf Geschwüre gelegt werden sollten. Da sah ich auf einmal ein klein' Jüngsken neben mir, das ein schweres Kreuz schleppte. Ich sah es lang an und fragte es, und es sprach mit mir und legte mir ein Stück Holz auf die Schulter, das mich schier niederdrückte. Ich trug es einige Zeit betend und kam, neben meinen Rüben an der Erde liegend, wieder zu mir. Von dieser Zeit an legte ich mir öfter Holz auf die Schulter" (329).

Die Grenzen zwischen dem Tagwachtraum eines introvertierten, kontaktarmen Menschen, wie es Katharina Emmerick war, und der religiös ekstatischen Vision eines Mystikers sind fließend. Nur die psychoanalytische Wertung der bildhaften Inhalte, die Deutung der effektiven Grundstimmung, die Zielsetzung der Wunschvorstellungen, besonders aber die Übereinstimmung der religiösen Szenerie mit den Berichten der Hl. Schrift erlauben eine Unterscheidung zwischen Tagwachträumen und religiösen Visionen. In der Szenerie der traumhaften Wahrnehnungen der Anna Katharina Emmerick werden viele infantile Vorstellungen, Wünsche, Sehnsüchte und ein unverarbeiteter Kind-Mutter-Komplex unter dem Einfluß religiöser Erbauungsschriften zu phantasievollen Scheinerlebnissen umgestaltet.

Eine Quelle der Visionen bildete für Katharina Emmerick ihre Lektüre. Sie hat zwar Bernhard Overberg gestanden, in ihrem Leben wenig gelesen zu haben, aber das läßt sich ja verstehen , da ihr Unterricht in ihrer Jugendzeit nicht mehr als vier Monate gedauert hat. Zu den Büchern, die sie gelesen hat, gehören die "Nachfolge Christi", die "Handpostille von Goffine", Taulers Predigten und Martin von Cochems Erbauungsbücher. Aus solcher und ähnlicher Lektüre wurde manche ihrer "Visionen" gespeist. Daß "die Fülle des Geschauten" weit über den Rahmen ihres Lesestoffes hinausgegangen ist, ist bei ihrer Anlage nur zu verständlich.

Eine kritische Einstellung zu ihren Visionen konnte man von Katharina Emmerick nicht erwarten. Sie hat, wie Dechant Rensing aussagte, "wenige Kenntnisse von der Religionslehre ins Kloster mitgebracht" und sie konnte im Kloster "weder den Kreis ihrer Religionskenntnisse erweitern noch die bereits im Nebel der Volksmeinungen eingesammelten mehr aufhellen" (330).

Im westfälischen Gebiet sollen mehr Menschen als anderswo über die Gabe des "Zweiten Gesichtes" verfügen, die Gabe besonderer "Traumerlebnisse" verbunden mit der Gabe der Vorschau. Diese Gabe wird auch Katharina Emmerick zugesprochen (331).

Auch ihr Vater scheint träumerisch veranlagt gewesen zu sein. Er erzählt selber, wie er als Knabe auf der Weide die Kühe hütete und dabei gerne "in die Bläue geschaut habe". Da habe er sich eine Jakobsleiter gewünscht, "um in den Himmel dort im nahen Horizont fluggs hineinzusteigen und zu schauen, was dort eben die Englein täten. Und er hörte nicht mehr das traute Klingen der Herdenglöcklein und die langgezogenen Töne der Schalmeien der Nachbarjungen. Er meinte, auf der Himmelswiese zu sein, selbst ein Lämmlein, das die Englein weideten" (332). Zwar sagen solche Träumereien bei Kindern nicht viel aus, aber eine gewisse Anlage scheint doch Katharina Emmerick geerbt zu haben.

Offenbar war sie sehr leicht einer Suggestion von außen her zugänglich. Ein Versuch, den Limberg auf Brentanos Anregung machte, zeigt, wie eigenartig tief der Wille des Beichtvaters sie in der Ekstase beeinflußte. Dr. Wesener berichtet: "Herr (Clemens) Brentano teilte mir eine ganz neue Erfahrung mit, die er an der Kranken gemacht. Als er nämlich mehrere Male gesehen, daß sie durch den Befehl des Beichtvaters bei Gehorsam aus ihren ekstatischen Erstarrungen sogleich erwachte, ersuchte er vor einigen Tagen den P. Limberg, wenn die Kranke wieder in jenem Zustand sei, ihr den Befehl auf Latein zu sagen. Hierzu fand ich am 14. Oktober 1818 abends Gelegenheit, wo sie beide bei der Kranken waren. Der Pater ging leise zu der Kranken und sagte leise: 'Tu debes obedire et surgere, veni!' Sogleich erwachte die Kranke und wollte aufstehen. Auf die Frage des Paters, was sie wolle, antwortete sie: 'Man ruft mich'." Als P. Limberg einst verreiste, bat ihn Dr. Wesener, ihm den Befehl zum Aufwachen schriftlich zu hinterlassen. Als ihr der Arzt am Abend, da es Zeit war, Katharinas Bett zu erneuern, sie auf keine Weise zu sich bringen konnte, legte er ihr diesen schriftlichen Befehl auf die Brust. Alsbald erwachte sie mit einem tiefen Seufzer (333). Wie weit der suggestive bzw. hypnotische Einfluß ihres Beichtvaters P. Limberg ging, zeigen Aufzeichnungen, die verschiedentlich Dr. Wesener gemacht hat. Wenn Anna Katharina nicht einschlafen konnte, brachte sie der Pater dadurch in Schlaf, "daß er die flache Hand auf die Herzgrube legte und seinen Kopf dem ihrigen zuneigte. ... Schon oft und lange stand es in der Willkür des Herrn P. Limberg, die Kranke sogleich in Schlaf zu bringen, durch obiges Manöver, wenn er nämlich seine Hand auf die Präkordien legte und seinen Kopf dem ihrigen zuneigte, ohne diese Erscheinung erklären zu können. Das Geschäft gelang aber jedesmal so sicher, daß der Pater mit der Kranken selbst eine Wette eingehen wollte, sie in zwei oder drei Minuten in Schlaf zu setzen, und es gelang jedesmal" (334). Wir stehen hier vor Dingen, die uns keine Rätsel mehr aufgeben. Limberg und Wesener hielten viel auf die Wirkung des "Magnetismus". Sie waren der Meinung, "daß der Magnetismus nichts anderes sei als ein Überströmen von der Fülle der Gesundheit und des Lebens, welches durch Religion und den Hauptpfeiler derselben, die Liebe zu Gott, Erlöser und zum Nächsten, entflammt werde". Aus dieser Überzeugung heraus "brachte P. Limberg voll Vertrauen seinen Mund gegen den geöffneten Mund der Kranken und blies ihr seinen lebendigen Odem ein. Nach drei- oder viermaliger Wiederholung des Aktes respirierte die Kranke immer tiefer und begieriger und erwachte endlich mit einer solchen Stärkung und Wohlgefühl, daß sie selbst darüber höchst verwundert war. Selbst das unangenehme Gefühl von Schwäche und Leerheit in der Magengegend war gänzlich verschwunden und die Kranke begriff gar nicht, woher die schnelle Besserung gekommen " (335)

Solche Dinge haben durchaus nichts Wunderbares an sich, ebensowenig wie die Gesichte, die gleichsam zum täglichen Leben der Stigmatisierten von Diilmen gehörten. Visionen und ähnliche Dinge gibt es bei allen Völkern und Religionen. Man wäre gut beraten, wollte man beherzigen, was einer der größten Mystiker, nämlich Johannes vom Kreuz, gesagt hat. Er verweist darauf, daß ein Mensch, der sich "der Kontemplation einer Wahrheit hingibt", den Eindruck gewinnen könne, "er sei nicht der Urheber der Worte, die er innerlich vernimmt", sondern "eine andere Person stelle diese Überlegungen in seinem Inneren an, antworte oder belehre ihn". Dann fährt er fort: "Es ist erschreckend, was sich in unseren Tagen zuträgt; irgendeine Seele ist zu einer Betrachtung gelangt, die vier Groschen wert ist, und sobald sie einige innere Worte vernimmt, legt sie dem allen einen göttlichen Ursprung bei ... und wiederholt: 'Gott hat mir dieses, Gott hat mir jenes geantwortet'. Nun trifft aber das keineswes zu. ... Es sind die Seelen, die mit sich selber reden" (336). Was Johannes vom Kreuz, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte, gesagt hat, behält seine Gültigkeit auch für die Gegenwart, in der der Hang zum Wunderbaren nicht geringer ist als in den früheren Zeiten.

6. Ekstase oder Krankheit?

Von der Zeit an, da Katharina Emmerick im Kloster zu Dülmen Aufnahme gefunden hatte, stellten sich bei ihr sehr bald Ekstasen ein. Während der Beobachtungszeit vom 10. bis zum 19. Juni 1813 hat sie sich "des Nachts meist zwischen zehn und zwölf Uhr in Ekstase befunden" (337). Dr. Anton Brieger schreibt, die Klosterzeit der Katharina Emmerick sei "überreich an Äußerungen und Tatsachen des mystischen Lebens" gewesen. Weiter sagt er: "Oft fällt sie in Ekstase, hat Schauungen, sieht in die Ferne, ihre Seele tritt aus dem Körper, und ihr Doppelgänger zeigt sich an anderen Orten, wo sie auch helfend und mahnend wirkt. Sie erlebt Schwerelosigkeit des menschlichen Körpers durch Elevation. Sie findet in der Not immer wieder wunderbare Gebetserhörung. Erscheinungen treten zu ihr, sie empfängt Gaben, Gegenstände und heilende Mittel aus ihren Wänden. Manches davon besitzt und gebraucht sie lange Zeit. Die Eucharistie ist ihr Lebensbrot ohne das sie in schwerste innere und äußere Not gerät" (338).

Bereits in der Anfangszeit wurde Katharina Emmerick bei ihren Ekstasen "starr wie ein Brett". Dabei verharrte sie "oftmals stundenlang, wie eine Bildsäule ausharrend" (339). Über die Zeit, wann solche Zustände einzutreten pflegten, sagt Katharina Emmerick selber: "Die ekstatischen Ohnmachten überfielen mich allerorten. Dann sank ich in meiner Arbeit im Kloster, im Garten, in der Kirche, am häufigsten, wenn ich allein auf meiner Zelle war, nieder und blieb oft lange Zeit so liegen. ... Auch bei Tisch hatte ich kleine Anwandlungen solcher Zustände, die aber auf mein Gebet nachließen" (340). Weiter sagt sie, wenn sie in der Kirche betrachtete und betete, "besonders wenn sie in heiliger Sehnsucht" Christus in der heiligen Kommunion erwartete, "wäre sie oft ganz weg gewesen". Dies geschah insbesondere während der Wandlungsworte; ebenso stellten sich nach der Kommunion "Ohnmachten" ein, welche sie "demütig Ekstasen nannte". Manchmal war sie "ganz außer sich", d.h. in "voller Ekstase"; sie wußte dann nicht, was um sie her vorging. Bei Tisch merkte sie oftmals gar nicht, was gesprochen wurde. Während ihrer "Ohnmachten" wußte sie nicht, wo sie sich gerade befand; sie "sank zu Boden, wo sie eben war" (341). Lambert wollte sie einmal anrufen, als er sie unbeweglich auf den Knien im Gebete fand. Da er keine Antwort erhielt, "rüttelte" er sie und fand zu seinem Schrecken, daß sie "anscheinend leblos und steif wie eine Bildsäule dasaß". Daraufhin ließ er sie in Frieden, bis sie von selbst erwachte. Von diesem ekstatischen Zustand schreibt Dechant Rensing in seinem ersten Bericht an den Generalvikar: "Insgemein hat sie des Abends eine Ohnmacht, welche zuweilen ganze zwei Stunden und darüber anhält. Während dieser Ohnmacht, die ich lieber eine heilige Ekstase nennen möchte, ist sie so steif wie ein Holzklotz, so daß der ganze Körper sich wie eine Stange auf die Seite legt, auf welche man mit der Hand ihren Kopf neiget, aber ihre Gesichtsfarbe bleibt in diesem Zustande blühend wie die eines unschuldigen Kindes" (342)

Einmal wurde Anna Katharina beobachtet, wie sie "eine halbe Stunde mit ausgebreiteten Armen" betete. "Hierauf fiel sie auf ihr Angesicht nieder und betete fort, richtete sich wieder auf, blieb mit ausgespannten Armen noch eine gute Weile sitzen, küßte wiederholt ein Marienbild mit dem Kinde, welches in ihrem Bette hing, warf sich noch einmal auf ihr Angesicht und fiel dann, ganz ermattet und ohnmächtig auf ihr Kissen zurück" (343)

Eines Abends, als Dr. Ringenberg mit Dr. Wesener bei der Kranken weilte, "sprang sie auf einmal auf und betete wieder in den Knien mit ausgespannten Armen ca. zwanzig Minuten, wobei sie dreimal aufs Angesicht fiel und sich wieder aufrichtete" (344). Am 11. Februar 1816 schien sie sehr geschwächt zu sein. Aber dann "sprang sie plötzlich auf, setzte sich auf die Knie und betete mit ausgespannten Armen" (345). Dies alles brachte eine "todschwache Person" fertig, die "nicht fähig war, sich allein umzudrehen".

Solche Ekstasen traten in den ersten Jahren nach der Klosteraufhebung häufig ein; dann aber wurden sie wesentlich seltener. Im Juli 1816 bemerkt Dr. Wesener: "Es ist auffallend und merkwürdig, daß die Kranke schon seit einem Jahre und länger wenige solche Verzückungen mehr hat, und wenn sie sich einstellen, nur von kurzer Dauer sind. Ich habe sie wohl selbst hierauf aufmerksam gemacht und sie legt die Ursache dieses Umstandes in die vielen Zerstreuungen, die ihr die Besuche verursachten" (346).

Der Anstoß zu plötzlichen Ekstasen konnte von verschiedenen Ursachen ausgehen. Von der Zeit an, als Clemens Brentano oftmals als Gast bei der Stigmatisierten weilte, wurden die Ekstasen, die in den vorausgegangenen Jahren seltener geworden waren, wieder zahlreicher. "Durch seine Unterhaltungen von Gott und das Vorlesen aus guten Büchern" stellten sich "die ekstatischen Zufälle wieder häufiger ein". Einmal löste sogar ein vorausgegangener, durch den Geruch frischgebackenen Brotes verursachter Husten eine Ekstase aus. Kaum war der Husten mit vieler Mühe gestillt, fiel Anna Katharina "in die bekannte ekstatische Bewußtlosigkeit mit ganz steifem, unbeweglichem Körper"; der Zustand währte mehr als zwei Stunden lang (347).

Dr. Wesener versucht eine Einteilung der ekstatischen Zustände bei Anna Katharina Emmerick. Er unterscheidet drei Arten. Die erste sei "jener allgemeine Tetanus, wo ihr Körper einer Bildsäule gleich dalag und spezifisch schwerer zu sein schien". Da "litt sie manchmal die schrecklichsten Qualen, welche sich in ihrer Miene ausdrückten, wenn ihr z.B. der Greuel der Sünde von Gott gezeigt wurde". Die zweite Art war der ersten entgegengesetzt. Es "schien ein Zustand himmlischer Beseligung zu sein". Der Körper war federleicht, alle ihre Gelenke schlaff und biegsam. Ihr Gesicht war unbeschreiblich heiter und sie erwachte ganz erquickt aus diesem Zustand. Die dritte Art schien Dr. Wesener dem wahren Traume gleich zu sein; hier sah sie "das Leben und Leiden Jesu". Weiterhin schreibt Dr. Wesener: "Sehr merkwürdig waren zwei Dinge in den beschriebenen (ersten) beiden Zuständen, nämlich die gänzliche Unempfindlichkeit für alle Sinneseindrücke; kein Rufen, kein Rütteln, kurz: nichts war imstande, sie ins wache Bewußtsein zurückzurufen, als der Befehl eines geweihten Priesters". Im dritten Zustand dagegen vermochte sie zu sprechen, wenn auch "unzusammenhängend". Wurde die Kranke von einer Ekstase plötzlich erfaßt, dann stand jegliche Bewegung still. Einmal kam Overberg und gab ihr die Hand zur Begrüßung. "In diesem Augenblicke verklärte sich die Kranke und fiel in den bekannten starren Zustand , in welchem sie Herrn Overbergs Hand untrennbar festhielt" (348).

Im Kloster zu Dülmen versah Katharina Emmerick die Aufgabe einer Küsterin. Während ihrer Verrichtungen geriet sie oftmals plötzlich in Verzückung. In diesem Zustand verbrachte sie ihrer Einbildung nach Kunststücke, die kein Akrobat fertig bringt. Sie erzählt: "In meinen Verrichtungen als Küsterin wurde ich oftmals ekstatisch und kletterte und stieg und stand in der Kirche auf hohen Stellen, an Fenstern, Bildwerk und Vorsprüngen, wo es menschlicher Weise unmöglich schien. Da reinigte und zierte ich alles; mir war, als habe ich gute Geister, die mir halfen. Ich fühlte mich von ihnen emporgehoben und gehalten und hatte kein Arg darüber; denn ich lebte von Jugend auf in solcher Gemeinschaft. Manchmal fand ich mich erwachend in einem Schranke sitzend, worin ich die Sakristeisachen verwahrte, manchmal erwachte ich in einem Winkel hinter dem Altar, in welchem man mich selbst nicht sehen konnte, wenn man dicht dabei war. Ich kann mir gar nicht denken, wie ich dahin gekommen, ohne meine Kleider zu zerreißen. Man konnte sehr schwer hin. Oft fand ich mich erwachend auf dem obersten Balken im Dache sitzend. Es war dies gewöhnlich, wenn ich mich verbarg, um zu weinen. Ich hatte die heilige Magdalena von Pazzis auch immer so herumsteigen sehen und seltsam laufen auf Böden, Balken, Gerüsten und Altären" (349) .

Was Anna Katharina in ihren Tagwachträumen und Erzählungen zusammenphantasiert, ist symptomatisch für eine Pyknolepsie. Die Kranke weiß die tollsten Geschichten aufzutischen, die, hätten sie sich wirklich ereignet, eine Sensation ersten Ranges gewesen wären. Aber von all diesen Dingen merkte kein einziger Mensch in ihrer Umgebung jemals etwas, konnte nichts merken, weil ihre Erzählungen keinen Bezug zu realen Erlebnissen hatten. Der scheinbar religiöse Inhalt ihrer Traumerlebnisse berechtigt nicht, sie als religiöse Ekstasen oder Visionen zu deuten.

Was haben die geschilderten "Ohnmachten" zu bedeuten? Welchen Wert sollen sie haben? Wenn es stimmt, was Katharina Einmerick angibt, dann war sie doch zum mindesten sehr häufig bei ihren "Ohnmachten" bewußtlos; sie fiel ja auch zu Boden. Verletzt aber hat sie sich dabei nicht. Die von ihr selbst geschilderten "Ohnmachten" zeigen klassische Merkmale einer Pyknolepsie.

Die "Ohmachten" oder "Ekstasen" der Stigmatisierten von Dülmen haben sehr viel Ähnlichkeit mit den Zuständen, die viel später Therese Neumann von Konnersreuth nachgeahmt hat. Beispielsweise geschah es, daß diese "steif wurde, und zwar wie Eisen, so daß der ganze Körper mitging, wenn man gewaltsam ein Glied hochzuheben versuchte" (350). Auch bei ihr kam es häufig vor, daß sie von ihren "Ekstasen" plötzlich überfallen wurde; freilich hat man dabei den Eindruck des Gewollten.

Die sogenannten Trancezustände", sagt Prof. Dr. Jean Lhermitte, beruhen "auf Hypnose oder Somnambulismus; es gibt keine alte oder neue Arbeit über Psychologie, die nicht darüber eine Schilderung enthielte" (351). Im Hinblick auf "Ekstasen, Ansprachen und Visionen" urteilt er: "Im Gegensatz zu der Auffassung, die zahlreiche Theoretiker der Mystik vertreten, ergibt die vergleichende Analyse der Phänomene, die durch Visionen, Ansprachen und die Gegenwart eines Dritten gekennzeichnet werden, während sich keine erregende Ursache im Bewußtsein zeigt, daß diese Erscheinungen nicht als die Folge ein übernatürlichen Vorgangs angesehen werden können. Man kann sich daher nicht auf die Ekstasen, und weniger noch auf die Visionen, die Ansprachen oder die aufgezwungenen Empfindungen stützen, um die Echtheit der mystischen Vorgänge zu würdigen" (352)


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Letzte Änderung: 26. Januar 1998