Der Nachruf auf Ferdinand Neumann

Konkretere Behauptungen über eine solche „biographische“ .Dokumentation enthält der im Dezember 1999 im „11. Therese-Neumann-Brief“ erschienene Nachruf auf Ferdinand Neumann, der am 22.2.1999 verstorben war3 .Dort heißt es nämlich:

  1. „Gemäß dem Wunsch des Bischofs Michael Buchberger in Regensburg sollte er die Geschehnisse in Konnersreuth für die Nachwelt erhalten. Ferdinand Neumann ist es zu verdanken, dass diese bereits seit 1930 in Schrift, Bild, Film und Ton festgehalten wurden und nun ein erschöpfendes Archiv vorhanden ist.“ In diesem Zusammenhang sind auch folgende Abschnitte des Nachrufs näheren Zusehens wert:

  2. „Im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Konnersreuth wurde Ferdinand Neumann Anfang der Dreißiger Jahre ein Studium der Philosophie möglich.“

  3. „Als sich aber zur Nazizeit um Therese Neumann ein Kreis des Widerstandes gegen Hitler bildete, war auch er dabei, kam deshalb eineinhalb Jahre lang in Gestapohaft und Gefängnis, verbunden mit Verhören sowie Misshandlungen, und durfte sein Studium nicht fortsetzen.“

  4. „Während des Zweiten Weltkrieges wurde er wegen Nierenschäden ausgemustert, musste jedoch zwei kriegswichtige Betriebe in Neusorg leiten.“

  5. „Danach wurde er Mitbegründer der CSU (Mitglied Nr. 7) und ein enger Mitarbeiter des ,Ochsensepp'. Als Landtagsabgeordneter arbeitete Ferdinand Neumann wesentlich im Ausschuss für Wiederaufbau und Wiederorganisation von Universitäten in Bayern mit. Zudem war er zehn Jahre lang Landrat des Landkreises Kemnath.“

  6. Nun erwartet man in der Regel von einem Nachruf keine vollständige und ungeschminkte Darstellung von Person und Lebenslauf des Verblichenen, im Gegenteil: De mortuis nil nisi bene! Oder wie die Franzosen zu sagen pflegen: “Ils sont menteurs comme une oraison funebre.

Anders, wenn, wie nicht selten, mit dem „Memorial“ über das bloße Totengedenken hinaus weitere, höchst diesseitige Zwecke verfolgt werden wie z.B. bestimmte politische Ziele oder gar Geschichtsklitterungen. In solchen Fällen ist jeder ehrliche Geschichtsschreiber berechtigt und verpflichtet, auch den Inhalt von Nachrufen auf Wahrheit und Vollständigkeit zu überprüfen, vor allem dann, wenn schon auf den ersten Blick erkennbar ist, dass „Nachgerufenes“ in offenkundigem Widerspruch zu den bekannten Tatsachen steht. Dies gilt verstärkt, je mehr Geltung der Verstorbene in der Öffentlichkeit beansprucht hat. Als Bruder und stetiger Helfer und Fürsprecher der weltbekannten „Stigmatisierten“ von Konnersreuth war Ferdinand Neumann jr. nicht nur eine „absolute Person der Zeitgeschichte“, die selbst immer wieder „Schlagzeilen machte“, sondern auch Augen- und Ohrenzeuge des Geschehens um seine Schwester. Da er nunmehr offensichtlich als Kronzeuge für „sich von der bisherigen Literatur abhebende“ Versionen der Ereignisse aufgebaut werden soll, scheint die Wahrheitsfrage noch dringlicher- ohne Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugen kann ja auch ein Kanonisationsverfahren nicht auskommen.

Wir haben deshalb zu prüfen: Wie fundiert sind die oben zitierten Angaben des Nachrufs?

Bischof Buchbergers „Wunsch“

Ferdinand Neumanns Geburtstag war nicht, wie angegeben wird, der 24.4.1924, sondern der 24.4.1911. Hätte Bischof Buchberger dem Bruder der Stigmatisierten gegenüber einen Dokumentationswunsch geäußert, dann hätte er auch ohne Zweifel verlangt, dass ihm die „Geschehnisse“ abgeliefert würden.

Wann soll der Bischof einen entsprechenden Wunsch geäußert haben? Im März 1928 war er zusammen mit Weihbischof Hierl und vier Professoren in Konnersreuth, um zu beobachten, aber nicht, um dem damals Siebzehnjährigen einen mysteriösen Auftrag zu erteilen, von dem nie jemand etwas erfahren hat. Danach hat er bis 1953 Konnersreuther Boden nicht mehr betreten.

Bischof Buchberger war immer ein Gegner der Propaganda für Konnersreuth, ob in Schrift oder in Bild. Anders war es auf Seiten des Konnersreuther Pfarrers Josef Naber und der Familie Neumann. Schon am Karfreitag des Jahres 1927 ließ der Pfarrer im Zimmer der Stigmatisierten Filmaufnahmen machen. An diesem Tag wurden die angereisten Besucher nicht vorgelassen. Zu diesen gehörte der Münchner Arzt Dr. Müller. Der Pfarrer erklärte ihm, „dass Therese angeblich sehr schwer leidend und außerordentlich schwach sei“. Aber später erfuhr der Arzt, dass nicht eine Erkrankung der „Stigmatisierten“ die eigentliche Ursache des Besuchsverbots war, sondern Filmaufnahmen, die von Prof. Dr. Wutz, von Dr. Pabstmann aus Bamberg und von Privatdozent Dr. Schmeller aus Erlangen “den ganzen Nachmittag“ vorgenommen wurden4.

Therese Neumann wusste, dass Bischof Buchberger die Reklame mit Bildern für Konnersreuth zuwider war. Darum hat sie gelegentlich dagegen protestiert. Im Jahr 1934 hat sie sich darüber beschwert, dass der Arzt Dr. Witry in seinem Buch Bilder der Stigmatisierten veröffentlichte und dass der Waldsassener Photograf „Bilder von den Wunden“ verbreitete5 .Aber warum hat sie dann Aufnahmen gestattet? Dem Waldsassener Sanitätsrat Dr. Seidl gegenüber wusste sie eine geradezu umwerfende Begründung anzugeben. Als der Arzt ihr Bilder zeigte, „die von ihr gemacht waren“, erklärte sie, „der Heiland habe es so gewollt, dass die Aufnahmen gemacht wurden, sonst wären sie nicht so schön geworden“6.

Der Student

Es wird behauptet, „Anfang der Dreißiger Jahre“ sei Ferdinand Neumann „ein Studium der Philosophie möglich“ geworden. Das müsste also zwischen 1931 und 1934 der Fall gewesen sein. Aber zu dieser Zeit war Ferdinand nach eigenen Bekundungen noch Schüler. Er selber hat bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs angegeben:

„1929 Gymnasium am Salesianum in Eichstätt,
1935 Theolog. Anstalt in Fürstenried bei München,
1936-1937 Gymnasium in Bingen,
1937-1939 Studium in Eichstätt - ohne Abschlussexamen.“

Solange Ferdinand Neumann seine Zeit in Eichstätt verbrachte, wohnte er im Haus des Prof. Wutz. Gelegentlich hat er gesagt, er habe „als Gymnasiast bei Prof. Wutz“ gewohnt; aber er war nie Schüler des Humanistischen Gymnasiums in Eichstätt.

Die Salesianer erteilten „Mittelschulunterricht für Spätberufene“. Ferdinand Neumann hat sich von 1931 bis 1936 durch Privatunterricht in Eichstätt den Stoff von sieben Schuljahren Gymnasium angeeignet. Dies dürfte bei den Salesianern geschehen sein, aber nicht von 1929 an. In Fürstenried gab es keine Theolog. Fakultät; dort bestand von 1929 bis 1939 eine Spätberufenenschule; Unterlagen für die in Frage kommende Zeit gibt es nicht.

Es steht fest, dass für Ferdinand Neumann Anfang der Dreißiger Jahre kein Studium der Philosophie möglich war. Ein solches begann er erst im Mai 1937, nachdem er am Humanistischen Gymnasium mit Realschule in Bingen die Reifeprüfung abgelegt hatte. Danach war er als „Stadtkandidat“ Student der Philosophie an der Phil.- Theol. Hochschule in Eichstätt, und zwar vom Sommersemester 1937 an bis einschließlich Sommersemester 1939. Im Wintersemester 1939/40 belegte er die theologischen Fächer Dogmatik, Moral und Kirchenrecht.

„Studium im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Konnersreuth“

„Im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Konnersreuth“, so wird gesagt, „wurde Ferdinand Neumann ein Studium der Philosophie möglich“. Diese Angabe gilt, nebenbei bemerkt, auch für seinen Bruder Hans. Dieser hat in Eichstätt studiert; im Schuljahr 1933/34 war er Schüler der 8. Klasse am Humanistischen Gymnasium. Zwei Jahre darauf taucht er als „Stadtkandidat“ im Jahresbericht der Phil.- Theol. Hochschule auf; er studierte dort drei Semester lang, von 1936/37 bis 1937/38.

Worin bestand der „Zusammenhang mit den Geschehnissen in Konnersreuth“? Der Eichstätter Professor für Altexegese Franz Wutz wurde schon frühzeitig zum überzeugten Verehrer Therese Neumanns, deren Schwester Ottilie er als Haushälterin anstellte. Das war der Grund, warum die beiden Brüder Ferdinand und Hans nach Eichstätt kamen, wo sie im Wutzhaus wohnten. Darin und nur darin besteht der „Zusammenhang mit den Geschehnissen in Konnersreuth“.

„Gestapohaft und Gefängnis“

dass Ferdinand Neumann eine Zeitlang im Gefängnis verbringen musste, dafür gibt es verschiedene Hinweise. Wie Anni Spiegl, die in Eichstätt wohnende Freundin Therese Neumanns, bald nach deren Tod schreibt, hat sie erstmals davon geraume Zeit nach Kriegsbeginn erfahren, und zwar aus dem Mund Ottilie Neumanns. Der zweite Hinweis stammt von Ferdinand Neumann selbst; nicht lange nach dem Kriegsende gab er an, im Jahr 1939 in Schutzhaft genommen worden zu sein. Im „Therese-Neumann-Brief 11 (1999)“ schließlich ist die Rede von eineinhalb Jahren Gestapohaft und Gefängnis. Die drei Angaben weichen also nicht unerheblich von einander ab. Dabei ist zu bedenken, dass sie wohl alle auf ein und denselben Urheber zurückgehen, auf Ferdinand Neumann.

Es ist klar, dass von den drei verschiedenen Berichten höchstens einer der Wahrheit entsprechen kann; der Verdacht, dass keiner stimmt, liegt nahe. Dafür, dass Ferdinand Neumann als aktiver Widerstandskämpfer aufgetreten oder in Konflikte mit dem NS-Regime geraten sei, gibt es weder in Konnersreuth noch in den einschlägigen Eichstätter Akten irgendeinen Hinweis. Könnte man Ferdinands jeweilige Behauptungen ernst nehmen, dann müsste man eher vermuten, er habe gute Beziehungen zu Nazigrößen gehabt. Es sei nur an die Ereignisse im März 1943 erinnert. Damals war es aufgrund der Enthüllungen des Mädchens Theres Härtl über ihre Tante Therese Neumann zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Neumann-Familie und dem Benefiziaten Heinrich Muth gekommen, bei denen Ferdinand Neumann eine wichtige Rolle spielte. Dieser betonte, er habe einen Freund bei der Gestapo. Er drohte mit den Worten: „Die Gestapo ist da!“ Dann brüstete er sich: „Die Gestapo steht mir zur Verfügung.“7

Anni Spiegl schreibt, Ferdinand und sein Bruder Hans seien gleichzeitig verhaftet worden. Wie sie angibt, erfuhr sie davon aus dem Mund von Ferdinands Schwester Ottilie, die bis zu ihrem Tod im „Wutzhaus“ in Eichstätt wohnte. Da ihr Geschäft in Eichstätt boykottiert und sie selber „der Stadt verwiesen“ wurde, musste sie sich eine andere Bleibe suchen. Therese Neumann überredete sie, nach Konnersreuth zu kommen. Spiegl verließ Eichstätt, begab sich nach Konnersreuth und blieb „für zehn Wochen als Gast bei Resl“. Eines Tages besuchte eine Geschäftsfrau aus Ravensburg die Stigmatisierte und kam bei dieser Gelegenheit mit Anni Spiegl ins Gespräch. Die Frau suchte für ihre Metzgerei eine Verkäuferin. Frau Spiegl berichtet:

„Ich sagte gleich für I. ds. Mts. zu. So hatte ich die Freiheit wieder mit strenger Pflicht vertauscht. Ravensburg wurde mir fast für zwei Jahre Heimat. Es gefiel mir gut, doch jede Verbindung mit Konnersreuth und Eichstätt war abgebrochen. Einmal besuchte mich Ottilie und erzählte mir von der Verhaftung ihrer Brüder Ferdl und Hans. Sie wurden rauf der Rückfahrt an der Schweizer Grenze verhaftet. Sie hatten Gefährdete in Sicherheit gebracht. Sie waren lange im Gefängnis in Konstanz. Hans wurde dann einer Strafkompanie zugeteilt und an die Front geschickt. Er wurde verwundet und in die Heimat entlassen. Auch Ferdl wurde inzwischen aus dem Gefängnis entlassen. So war für die Neumannfamilie diese große Sorge behoben ... - Als der damalige Kreisleiter von Eichstätt fiel - er war schuld an meinem Stadtverweis – kehrte ich nach Eichstätt zurück“.8

Von den Angaben Spiegls lässt sich nur die Zeit ihres Aufenthalts in Ravensburg mit einiger Sicherheit eingrenzen. Sie sagt, dass sie zum „ersten des Monats“ Eichstätt verlassen habe und dass sie nach dem Tod des Kreisleiters nach fast zweijähriger Abwesenheit wieder zurückgekehrt sei. Der Kreisleiter ist am 22. September 1941 gefallen. Demnach müsste Anni Spiegl Eichstätt am 1. Oktober 1939 verlassen haben und Ende September 1941 wieder zurückgekehrt sein. Als sie sich Ende September 1939 von Therese Neumann verabschiedete, wusste man noch nichts von einer Verhaftung der beiden Brüder Ferdinand und Hans Neumann. Davon war ja erst die Rede beim Besuch von Ottilie Neumann in Ravensburg. Dies dürfte im Sommer 1940 gewesen sein. Wann sollten beide in. Konstanz verhaftet worden sein? In Frage I käme nur der Oktober 1939; denn wäre die Verhaftung vorher erfolgt, dann hätte Anni Spiegl davon aus dem Munde der beiden Schwestern Therese und Ottilie Neumann etwas erfahren müssen. Nach Beginn des Wintersemesters 1939/40 an der Phil.- Theol. Hochschule in Eichstätt kann Ferdinand Neumann sich nicht in Haft befunden haben; andernfalls hätte davon die Hochschulleitung etwas mitbekommen müssen.

Nach Spiegls Darstellung müsste Ferdinand Neumann länger im Gefängnis zugebracht haben als sein Bruder Hans. Wann sollte auch Ferdinand entlassen worden sein? Auf jeden Fall müsste er schon zu der Zeit ein freier Mann gewesen sein, als seine Schwester Ottilie auf Besuch in Ravensburg war, also etwa im Sommer 1940. Aber alle Berechnungen sind überflüssig; wir wissen ja, wo sich Ferdinand Neumann vom Semesterbeginn 1939/40 an aufgehalten hat. Darüber werden wir unten noch Genaueres erfahren.

Wenden wir uns Anni Spiegls Angaben über Hans Neumann zu: Langandauerndes Gefängnis in Konstanz - Strafkompanie - Fronteinsatz - Verwundung- Entlassung! Eine Reihe von Fragen drängt sich auf: War er bei seiner Verhaftung bereits Soldat? Wäre er als solcher in ein Zivilgefängnis eingeliefert worden und dort lange Zeit geblieben? Wann soll er an die Front geschickt worden sein, und zwar strafweise?

Die Nachforschungen haben ergeben:

Der am 28. Juli 1912 in Konnersreuth geborene Johann Neumann wurde am 29. Januar 1942 zum Militärdienst eingezogen. Laut Meldung vom 21. Juli 1942 wurde er bei Bol Wareika verwundet und befand sich bis zum 2. Oktober 1942 in einem Lazarett. Am 21. Juli 1942 wurde er zum Gefreiten befördert; am 3. Dezember 1942 war er Sanitätsgefreiter und ab 1. Dezember 1943 „Reserve-Sanitäts-Offiziers-Anwärter“. Bei seiner Einberufung war er Zahnmedizinstudent9.

Fazit: Von all den Angaben Anni Spiels ist nur eine einzige zutreffend, nämlich, dass Hans Neumann verwundet worden ist. Wie wir wissen, kam er nach seiner Verwundung Ende Juli 1942 in ein Lazarett.

Dies konnte aber Frau Spiegl nicht bereits ein Jahr zuvor aus dem Munde Ottilie Neumanns erfahren haben. Rufen wir uns ins Gedächtnis zurück, was Anni Spiegl weiterhin berichtet hat: Hans „wurde verwundet und in die Heimat entlassen; auch Ferdl wurde inzwischen aus dem Gefängnis entlassen; so war für die Neumannfamilie diese große Sorge behoben.“ Wann soll sich all das abgespielt haben? Als Ottilie Neumann Anni Spiegl in Ravensburg besuchte, müsste ja alles bereits der Vergangenheit angehört haben.

Dass Ferdinand Neumann „eineinhalb Jahre in Gestapohaft und Gefängnis“ zugebracht habe, bedarf keiner weiteren Untersuchung: Darüber, wo er sich während des Krieges jeweils aufgehalten hat, sind wir ausreichend informiert; da gibt es keine entsprechende Lücke. Hätte Ferdinand Neumann eineinhalb Jahre in Gestapohaft verbringen müssen, dann wäre dies sicherlich bei seiner Beisetzung erwähnt worden; aber davon war nichts zu hören. Schließlich habe ich. bei verschiedenen

in Frage kommenden Behörden angefragt -man wusste über das Thema nichts zu berichten.

„Studienverbot“

Eine Fabel ist auch die Behauptung, Ferdinand Neumann sei mit einem Studienverbot bestraft worden. Es trifft zu, dass er sein Studium unterbrechen musste, aber das geschah nicht zur Strafe, sondern weil er wie viele andere Studenten zur damaligen Zeit zum Militär eingezogen wurde. Der Jahresbericht 1939/40 der Bischöfl. Phil.- Theol. Hochschule Eichstätt führt ihn noch als Theologiestudenten an. Am 16. April 1940 erfolgte seine Exmatrikulation. Ende Januar 1940 wurde ihm der Gestellungsbefehl zugesandt. Offenbar hat er sich an der Hochschule nicht abgemeldet. Anfang Februar schrieb der Regens des Eichstätter Priesterseminars, der zugleich Rektor der Phil.- Theol. Hochschule war, an Ferdinand Neumann, der mit seiner Schwester Ottilie im „Wutzhaus“ wohnte, einen Brief, den er von dem Seminarpförtner zustellen ließ. Der Bote erhielt von Ottilie die Auskunft, ihr Bruder sei einberufen worden und befinde sich derzeit in einer Münchener Klinik.

Im Jahresbericht 1939/40 wird über Ferdinand Neumann gesagt: „Zu Ostern 1940 zum Heer einberufen.“ Einen aktiven Wehrdienst hat er jedoch nie geleistet, obwohl er am 23. Oktober 1939 gemustert und als „kriegsdienstverwendungsfähig“ eingestuft worden war. Aus den ab 1940 fortlaufend ausgestellten medizinischen Gutachten geht hervor, dass er „sich in ständiger Untersuchung und Behandlung befand“.

Aufenthalt während des Krieges

Wir wenden uns der Frage zu: Wo hat sich Ferdinand Neumann nach seiner „Ausmusterung“ aufgehalten? Das Ergebnis ist zugleich eine Beantwortung des bereits behandelten Themas und eine Widerlegung der Behauptung, er habe während des Krieges zwei kriegswichtige Betriebe in Neusorg leiten müssen.

Zwei Abschnitte sind zu unterscheiden, die Zeit von 1940 bis zum Oktober 1942 und die folgenden Jahre bis 1945. Im April1940 hat er zwar sein Studium in Eichstätt beendet, er hat sich aber auch weiterhin häufig dort aufgehalten. Auch in Konnersreuth ist er immer wieder erschienen. Eine Reihe von Angaben informiert uns, wo er sich gelegentlich in der Zeit bis zum Oktober 1942 aufgehalten hat10. Im einzelnen werden genannt:

Im Juli 1941 war er einige Zeit in Eichstätt und empfing dort Besuche. Im September 1941 ist er nach Stuttgart gefahren, wo er den Fürsten Waldburg-Zeil getroffen hat. Im Oktober fuhr er nach Nürnberg und begab sich dann nach Eichstätt. Ein paarmal wird Wegscheid genannt, wo er Einkäufe tätigte. Ende November und Anfang Dezember 1941 sowie im Januar 1942 verbrachte er längere Zeit in Bad Brambach in Sachsen. Ende Februar 1942 fuhr er nach Wien, wo er sich Post nachschicken ließ.

Er war nicht beruflich gebunden und konnte über seine Zeit frei verfügen. Das hat zur damaligen Zeit auch Benefiziat Heinrich Muth erfahren. Im Juni 1942 hielt sich Ferdinand Neumann in Konnersreuth auf; er machte dort Farbaufnahmen und zeigte etwa dreißig Gästen Bilder. Einige Zeit weilte er im März 1943 in Konnersreuth, in der Zeit, als es zum großen Krach zwischen Muth und der Familie Neumann gekommen war.

Während des Krieges war für Ferdinand Neumann sein Hauptaufenthaltsort weder Konnersreuth noch Eichstätt. In der ersten Hälfte wohnte er in der Hauptsache in München, in der zweiten Hälfte in Neusorg.

Dass er sich in München niedergelassen hat, dürfte damit zusammenhängen, dass er bald nach seiner Einberufung zum Militär in eine Münchener Klinik eingeliefert wurde und dass in München der Arzt Dr. Mittendorfer seine Praxis hatte, Mittendorfer, der „Leibarzt Resls“, der sich gerne als „Resls Chauffeur“ bezeichnete. In München befand sich Ferdinands Hauptquartier bis zum Oktober 1942. Einmal in dieser Zeit hat er die Wohnung gewechselt und ein „neues Zimmerchen“ bezogen11. dass er sich oftmals anderswo aufgehalten hat, ergibt sich aus der Angabe auf Briefumschlägen: „postlagernd“. Mehr noch erhellt seine Reisefreudigkeit die Bemerkung einer Freundin, die - nach vielen vorausgegangenen Briefen, Besuchen und Telefongesprächen - in einem ihrer Briefe die Bemerkung machte: „Wenn ich auch nicht weiß, wohin ich diesen Brief senden soll.“

Seine Freundin blieb auch weithin im unklaren über seinen Beruf oder, besser gesagt, über seine Tätigkeit. So stellte sie ihm einmal in einem Brief die Frage: „Was wirst Du wohl morgen unternehmen? Ich möchte halt zu gerne immer wissen, was Du tust und was Dich alles beschäftigt. Ach, das werde ich wohl nie so ganz erfahren, gell!“12

Besorgungen

Eine der wichtigsten Beschäftigungen Ferdinand Neumanns bestand offenbar im Besorgen und „Organisieren“. Aus Angaben in Briefen aus Neusorg erfahren wir, was er so alles besorgt hat: Schuhe, Schirm, Kostüm, Mappe, Verdunklungspapier, Staubsauger, Schleifmaschine, Kartoffelschneidemaschine, Lämpchen, Zigarren und Zigaretten. Er kümmerte sich um eine Pumpenanlage und das Reinigen von Kleidungsstücken „und sonst allerlei“. Unter den Bezugsquellen spielte der östlich von Passau gelegene niederbayerische Bezirksort Wegscheid mit seiner Seiden-, Damast- und Leinenweberei eine besondere Rollel13.

Es versteht sich, dass sich Ferdinands Hilfsbereitschaft nicht nur auf Neusorg beschränkt hat; sie kam auch seinen Angehörigen in Konnersreuth zugute, nicht zuletzt seiner Schwester Therese, die ihrerseits die Möglichkeit bekam, anderen einen Gefallen zu erweisen, falls sie es „verdienten“. Einer, der entsprechende Erfahrungen sammeln konnte, war Heinrich Muth, der im April 1942 als Benefiziat nach Konnersreuth gekommen war. Therese zeigte sich von Anfang an in auffallender Weise besorgt um ihn. Ja, sie drängte sich ihm förmlich auf. So wollte sie ihm „unbedingt“ die Umzugskosten von Perkam nach Konnersreuth bezahlen; sie bot sich auch an, ihm für seine Wohnung einen Teppich und einen neuen Ofen zu besorgen. Dabei betonte sie, sie verfüge über genug Beziehungen. Aus reiner Nächstenliebe allerdings geschah solches nicht. Sie nannte dem Benefiziaten eine Bedingung: „Wenn Sie glauben.“

Der Benefiziat nahm in der ersten Zeit kleinere Geschenke an. Dazu gehörten Zigaretten, die Ferdinand Neumann nicht nur für Neusorg zu besorgen pflegte. Zu diesem Thema seien zwei aufschlussreiche Szenen angeführt. Die eine Szene spielte sich an einem „Leidensfreitag“ in der Mitte des Jahres 1942 ab, an einem Freitag, an dem nur wenige Besucher erschienen sind:

Der Benefiziat betritt das Zimmer Thereses. Diese liegt im Bett. „Unter den Augen“ hat sie „nur zwei kleine Blutstreifen“. Muth nimmt auf dem Diwan Platz. Die „Leidende“ hat weder Schauungen noch muss sie leiden; sie ist „total munter und lebendig im Sprechen“. Sie fordert Muth auf, er solle rauchen. Da kommt ein Besucher, ein Priester. Therese fordert Muth auf, sich im Erker hinter dem Vorhang zu verstecken und sich ruhig zu verhalten. Der Besucher betritt das Zimmer; Therese „jammert“ mit „überaus leidender, dem Weinen naher Stimme“. Der Besucher entfernt sich; die Leidensszene ist augenblicklich vorüber. Die Resl ist „quicklebendig wie zuvor“14.

Die zweite „Zigarettenszene“ spielte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ab. Die Zigaretten, um die es sich diesmal handelt, hatte nicht Ferdinand Neumann besorgt, sondern seine Schwester Therese. Wie sie so etwas zu bewerkstelligen pflegte, erläuterte sie zwei aus der Kriegsgefangenschaft entlassenen jungen Soldaten, die ihr Weg nach Konnersreuth geführt hatte. Dort begaben sie sich zum Pfarrhof. Die Resl reichte ihnen ein „Schmalzbrot“. Dann fragte sie: „Raucht Ihr? -Dann nehmt Euch die angerauchten Zigaretten! -Wenn die Amerikaner kommen, fragen sie immer: ,Dürfen wir rauchen?' -Ich sage dann: ,Ja.' -Und wenn sie die Zigaretten angezündet haben, dann sage ich: ,0 mei, tut mir der Kopf weh!' -Dann machen sie die Zigaretten sofort aus, und ich hab für meinen Bruder was zum Rauchen.“

Neusorg

In München behielt Ferdinand Neumann seinen Wohnsitz bei bis zum Frühherbst 1942. Dann zog er nach Neusorg um. Dorthin war er schon früher des öfteren gekommen, und zwar seit etwa Juli 1941. In Neusorg wurde ihm von der Familie Hoffmann/Troesch ein Zimmer zur Verfügung gestellt. Der genannten Familie gehörten die „Marmor-Kalkwerke Neusorg und Holenbrunn Mineral- und Talkum-Mahlanlagen, Werk Neusorg“

Den Grund, warum Ferdinand Neumann München verließ und nach Neusorg umzog, bildeten die Kriegsereignisse. Mitte September 1942 kehrte er nach einem Besuch in Neusorg wieder nach München zurück. In dieser Zeit wurde die Stadt schwer bombardiert. Daraufhin wurde er von der Familie Hoffmann/Troesch aufgefordert, München zu verlassen und nach Neusorg umzuziehen.

Mit dem Umzug nach Neusorg änderte sich Neumanns Lebensweise nicht wesentlich; genauere Angaben sind nicht zu erhalten. Sicherlich hat er seine gewohnte Freiheit beibehalten und auch am neuen Wohnort „besorgt“ und „organisiert“.

Der Theologe

Schon bevor Ferdinand Neumann an ein Studium dachte, hat seine Schwester Therese über seinen späteren Beruf gesprochen. In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 1927, also während der Überwachungstage in ihrem Elternhaus, als ihre vorgebliche Nahrungslosigkeit überprüft werden sollte, betete sie für einen ihrer Brüder und einen ihrer Neffen so laut, dass die anwesenden Mallersdorfer Schwestern mithören konnten. „Die beiden werden Pfarrer“, so versicherte sie. Dass Ferdinand Neumann Priester werden wolle, davon war in Konnersreuth auch während des Krieges die Rede. Auch die Konnersreuther Hilfspriester der damaligen Zeit, Heinrich Muth und Josef Schuhmann, wurden so unterrichtet. Derselben Meinung war man in Neusorg. Dort war man offenbar der Ansicht, Ferdinand Neumann sei immer noch Theologiestudent in Eichstätt. Das geht beispielsweise aus einem Brief hervor, der am 21. Juli 1941 an seine Adresse in Eichstätt abgesandt wurde. Im Brief wird gesagt: „Nun wirst Du froh sein, dass Du um Dich ein geordnetes Hauswesen hast und somit eine Konzentration für das Studium möglich ist ... Morgen werden wir also fest den Daumen drücken! Ist wohl dieser Professor Lechner, den ich kennen gelernt habe, der Dich prüft? Da kommst Du sicher durch.“ Da hat Ferdinand Neumann sicherlich geflunkert; er hatte ja bereits eineinhalb Jahre zuvor sein Studium in Eichstätt beendet.

Dass man Ferdinand Neumann als künftigen Priester sah, geht aus mehreren Briefen hervor. So wird in einem der Briefe nach dem Hinweis auf einen beliebten Pfarrer gesagt: „So wirst Du auch.“ In vielen der an Ferdinand Neumann gesandten Briefe wird dessen Schwester Therese erwähnt, und zwar regelmäßig im Hinblick auf Ferdinands späteren Beruf als Priester. Nachdem ihn seine Freundin zu einem Besuch aufgefordert hatte, schrieb sie: „Verstehe mich recht, lb. Ferdl, nur wenn es geht von Dir aus, d.h. von Deiner Seite aus, sollst Du kommen. Besprich Dich bitte vorher ...; so sehr bin ich bedacht, dass Dir durch so einen Besuch kein Schaden entsteht.“ Denselben Gedanken wiederholt sie des öfteren, z.B. „Meinst Du auch wirklich, dass es Resl recht sein wird?“ - „Faß es nicht falsch auf ...Ich möchte mich Resls Anordnungen fügen, was auch Resl fordert, weil ich weiß, dass es dann Gottes Wille so ist ...Gedenke doch, wenn Du am Montag in K. bist, ob Du auch wirklich (wenigstens weiterhin!) keinen Schaden hast mit mir.“ - “Komm doch bald! Sage es aber bitte Resl immer.“17

Aus dem Gesagten könnte der Eindruck entstehen, als ob sich Ferdinand Neumann regelmäßig von seiner Schwester habe beraten lassen. Das war sicherlich nicht der Fall. Wenn er seine Schwester vorschob, dann geschah dies wohl, um sich seine Freiheit zu wahren. Einmal werden in einem Brief Ferdinands „Betrachtungen“ über ein „dauerhaftes“ zukünftiges „Zusammensein“ erwähnt. Bei diesen „Betrachtungen“ spielte die Frage seines späteren Berufes eine wichtige Rolle, eine Frage, bei der nach Ferdinands Darstellung seine Schwester mitzureden habe.

Aus diesen Briefen geht eindeutig hervor, dass Ferdinand Neumann als Theologe gelten wollte. In dieser Rolle trat er auch noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in seiner Heimat auf. So erzählte mir einmal der Konnersreuther Pfarrer Josef Schuhmann schmunzelnd: „Im Jahr 1945 nahm Ferdinand Neumann an der Fronleichnamsprozession in Konnersreuth teil; als Kleriker, mit Talar und Chorrock angetan, schritt er, ohne einen Nebenmann, hinter dem ;Traghimmel' einher.“

Betriebsleiter

Ferdinand Neumann, so liest man im Nachruf, wurde während des Zweiten Weltkrieges wegen Nierenschäden ausgemustert, musste jedoch zwei kriegswichtige Betriebe in Neusorg leiten. Ähnlich lautet schon die entsprechende Angabe, die er um 1950 gemacht hat. In Neusorg selbst hat er so etwas sicherlich nicht zu behaupten gewagt. Mit der Betriebsleitung in Neusorg und Holenbrunn hatte Ferdinand Neumann nie etwas zu tun. Dazu fehlte ihm ja auch jegliche Vorbi1dung; sein Studium der Philosophie kann man nicht als solche bezeichnen.

Bis zum Frühjahr 1941 hatte er keine Beziehungen zu der Familie in Neusorg, in deren Besitz der Betrieb stand. Als die Beziehungen begannen, wohnte er in München. Gegen Ende des Jahres 1942 zog er nach Neusorg um. Seine Lebensweise, wie er sie in München gewohnt war, wird sich nicht wesentlich geändert haben. Das Neusorger Werk brauchte keinen neuen Betriebsleiter; es verfügte ja über einen solchen. Ignaz Stauffer erfüllte diese Aufgabe während der ganzen in Frage

kommenden Zeit, vor dem Krieg, während des Krieges und nach dem Krieg.

Ich habe versucht, in Neusorg nähere Angaben über die Tätigkeit Ferdinand Neumanns zu bekommen. Weder das „Neusorger Kalksteinwerk“ noch die „Verwaltungsgemeinschaft Neusorg“ vermochten Bescheid zu geben. Vom Personalbüro des Kalksteinwerkes wurde gesagt, es seien „keine Unterlagen vorhanden“. Die Verwaltungsgemeinschaft Neusorg gab die Auskunft, dass „Ferdinand Neumann nach dem Krieg in der Gemeinde Neusorg in einem Kalkwerk tätig war“.

CSU-Mitglied

Die letztgenannte Bemerkung im Nachruf auf Ferdinand Neumann bezieht sich auf seine politische Tätigkeit. Es heißt dort, nach dem Krieg sei er „Mitbegründer der CSU (Mitglied Nr. 7) und ein enger Mitarbeiter des „Ochsensepp“' geworden. Damit sollte wohl der Eindruck erweckt werden, Neumann sei Mitbegründer der gesamtbayerischen CSU gewesen, zusammen mit Josef Müller, einem bekannten Politiker der Nachkriegszeit in Bayern. Vielleicht stimmt die angegebene Zahl 7 tatsächlich, aber natürlich nur für die Ortsgruppe Neusorg.

Was tat Ferdinand Neumann in den Gefilden der Politiker? Im Jahr 1946 gelang es ihm, für die CSU in den Kemnather Kreistag zu kommen, im selben Jahr auch in den Bayerischen Landtag. 1949 wurde er von den örtlichen Kreisräten als Nachrücker für Christoph Nicki, der Mitglied des 1. Deutschen Bundestags geworden war, zum Landrat von Kemnath gewählt.

Der Landrat

Mit den Leistungen Ferdinand Neumanns im Landratsamt befasst sich der Nachruf nicht. Dabei hat der Verblichene gerade dort Aktivitäten entwickelt, die in der Öffentlichkeit größten Widerhall fanden. Ferdinand Neumann stieg nämlich in ein Unternehmen ein, das später als „Traunsteiner Weinschieberskandal“ eine überregionale Berühmtheit erlangt hat. Ende der vierziger Jahre hatte ein Südtiroler Weinhändler durch Vermittlung eines Paters vom Orden der Herz-Jesu-Missionare in Innsbruck einen Rosenheimer Kollegen gebeten, kirchliche und soziale Institutionen anzugeben, die gegen „Provisionen“ bereit waren, an illegalen Weinimporten nach Bayern mitzuwirken. Die Weinimporte sollten als Geschenke an diese Organisationen getarnt werden, um von den alliierten Kontrollstellen die nötigen Importlizenzen zu erschleichen. Zu diesem Zweck trat man u.a. auch an Landrat Neumann heran, der über seine Beziehungen zur CSU und zum „Konnersreuther Kreis“ die „richtigen“ Verbindungen herstellen konnte. Auf diese Weise gelang es, durch Täuschung der Genehmigungsbehörden insgesamt 850.000 Liter Südtiroler Weine illegal nach Süddeutschland einzuführen und dort abzusetzen. Die erzielten erklecklichen Gewinne flossen allerdings nicht wie angegeben in soziale Hilfswerke oder in Fonds „für Pilgerreisen nach Rom“, sondern größtenteils in die Allunitwerke in Zwiesel, deren Teilhaber Ferdinand Neumann war.

Die Sache flog jedoch auf. Nach sechsjährigen Ermittlungen erhob die Staatsanwaltschaft schließlich gegen insgesamt 8 Beschuldigte, darunter auch Landrat Neumann,Anklage; die Vorwürfe umfassten so profane Vorgänge wie verbotene Weineinfuhr, Devisenschiebungen, Steuer- und Zollhinterziehungen, Vergehen gegen das Lebensmittelgesetz, Betrug, Urkundenfälschungen, Meineid und uneidliche Falschaussagen. Am 15.10.1956 begann dann vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Traunstein die Hauptverhandlung „in einem der sensationellsten Schieberprozesse der Nachkriegszeit“18. Nahezu vier Monate benötigte das Gericht, um all die Manipulationen aufzuklären, mit denen die lukrativen Einfuhrgenehmigungen ergaunert worden waren. Auch Ferdinand Neumanns Schwester Therese war involviert: „Gottes Stimme“ hatte mehrfach die Täter „übernatürlich“ beraten („Nicht ich sage es, sondern der Heiland“).19 Am 11. Februar 1957 wurde das Urteil verkündet. Sieben Angeklagte wurden zu teilweise hohen Gefängnis-, Geld- und Wertersatzstrafen verurteilt. Ferdinand Neumann erhielt 6 Monate mit Bewährung wegen Devisenvergehen und falscher uneidlicher Aussage20; nach Revision wurde seine Freiheitsstrafe später auf 5 Monate (mit Bewährung) ermäßigt21 .Schon vorher hatte die Regierung ein Disziplinarverfahren gegen Neumann eingeleitet, das damit endete, dass er noch im Jahr 1957 seines Amtes als Landrat enthoben wurde22. Im Jahre 1959 wurde Ferdinand Neumann erneut strafgerichtlich verurteilt. Wegen fortgesetzter Untreue im Amt erhielt er von der Großen Strafkammer Weiden 8 Monate Gefängnis und DM 1.000,- Geldstrafe23.

Die Glaubwürdigkeit des neuen Kronzeugen

Wir haben den Nachruf auf Ferdinand Neumann, wie er im Konnersreuther „Therese-Neumann-Brief“ Nr. 11 erschienen ist, unter die Lupe genommen. Das Ergebnis war stets ähnlich: auffallende Diskrepanzen zur Wirklichkeit. Und gerade die Tatsachen, die für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des neuen Kronzeugen für die angebliche Echtheit der “Konnersreuther Phänomene“ von ausschlaggebender Bedeutung sind, glänzen durch Abwesenheit.

Was danach von der Glaubwürdigkeit des Nachrufs zu halten ist, kann jeder Leser selbst leicht entscheiden. Zwar ist der Verfasser im anonymen Dunkel geblieben; für die richtige Einschätzung genügt jedoch die Lektüre des Impressums24. Danach ist Herausgeber des genannten Briefs der Konnersreuther Ring „in Zusammenarbeit“ mit der Bischöfl. Kanonisationsabteilung Regensburg; als verantwortlicher Schriftleiter zeichnet Domvikar Georg Franz Schwager. Kein Wunder also, dass auch dieser Nachruf das Schicksal so vieler tendenziöser „Gedenken“ teilt, mit denen zusätzliche Ziele religionspolitischer Art anvisiert werden, nämlich die Einschätzung: Fide, sed cui, vide!

Gewichtiger als der Inhalt des erwähnten Nachrufs erscheint die Frage: Wie glaubwürdig war der Mann, dem der Nachruf gilt? Die Frage ist nicht neu. Sie ist schon früher immer wieder aufgetaucht und musste jedesmal negativ beantwortet werden25. Es seien nur folgende kennzeichnende Beispiele herausgegriffen. Ich zitiere: „Im September 1989 hat Ferdinand Neumann im Kreis der in Konnersreuth versammelten Mitglieder des ,Konnersreuther Rings' behauptet, ich hätte ihm versprochen, nie mehr gegen Konnersreuth zu schreiben, wenn er seine Anzeige gegen mich zurückzöge. Zwanzig Monate später, am 23. April 1991, erzählte Emmeram Ritter dieses Märchen einem Passauer Professor etwas anders: ,Die Angehörigen der verstorbenen Neumann hätten im Jahr 1972 eine Anklage gegen mich ,erwogen', ,dank ihres Anwalts', dessen Name Ritter nennt, hätten sie ,die Klage zurückgezogen', nachdem ich versichert hätte, ich würde ,bei Zurückziehung des Strafantrages nicht mehr gegen Konnersreuth schreiben'; ,leider' hätte ich mich ,nicht daran gehalten'. Wieder anders lautet die einschlägige Auskunft, die Ferdinand Neumann am 14. April 1991 dem Konnersreuther Pfarrer Anton Vogl gegeben hat, nämlich: ich hätte dem von ihm namentlich genannten Rechtsanwalt telefonisch erklärt, ,wenn Neumann diesen Strafantrag zurückzöge', dann, würde ich nicht mehr gegen Konnersreuth schreiben'; Ferdinand Neumann sei damit einverstanden gewesen. -Was entspricht der Wahrheit? Ferdinand und seine Geschwister haben mit Wissen des Regensburger Bischofs Rudolf Graber einen Juristen beauftragt, er solle mein Buch ,Konnersreuth als Testfall' daraufhin durchlesen, ob man mich verklagen könne. Alle anderen Angaben gehören in das Reich der Fabeln. Ich bin Ferdinand Neumann nie in meinem Leben begegnet; ich habe mit ihm nie ein Wort gewechselt, weder mündlich noch schriftlich.“26

Ein weiteres ,'Zeugnis“ des Augen- und Ohrenzeugen Ferdinand Neumann sei erwähnt. Am 30. März 1980 hat er behauptet, während der vierzehntägigen Beobachtung der Stigmatisierten im Juli 1927 seien medizinische Eingriffe vorgenommen worden, „die zum Teil lebensgefährlich“ gewesen seien. Von den „lebensgefährlichen Eingriffen“ wusste er nur einen einzigen zu benennen, einen „Blendversuch“. Er behauptete, Prof. Ewald habe „während der Vision Lampen, die man nur mit Schutzbrillen benutzen durfte“, in die „offenen Augen“ Thereses gerichtet. Ja, er gab sogar an, der Arzt habe ihm erklärt: „Wenn der Zustand der Schauungen, der Vision, natürlich und normal gewesen wäre, dann hätte sie nachher geblendet sein müssen, hätte sie blind sein müssen.“ Weiterhin versicherte er: „Solche Versuche sind durchgeführt worden.“27

Der Vorwurf gegen Dr. Ewald wurde in der Folgezeit mehrmals wiederholt. Am 2. März 1986 hat das Regensburger Bistumsblatt Christian Feldmann zu Wort kommen lassen. Dieser hat geschrieben: „Während der Vision überstand Therese Neumann Blendversuche mit 5.000 Watt starken Karbonlampen ohne jede Regung -ein lebensgefährlicher, unverantwortlicher Eingriff übrigens.“ In der 1989 veröffentlichten Schrift DER SCHWINDEL VON KONNERSREUTH habe ich zu der ungeheuerlichen Falschbeschuldigung Stellung genommen. Es war umsonst. Im September 1993 hat sie Toni Siegert während seines Vortrags in der Hauskapelle von Fockenfeld neuerdings aufgefrischt. Auf diese erneut vorgebrachte unsinnige und unverschämte Lüge habe ich in meiner Schrift KONNERSREUTH, LUG UND TRUG -MIT KIRCHLICHEM SEGEN? geantwortet. Es hat wiederum nichts genützt. W. J. Bekh hat die Lüge in seinem 1994 veröffentlichten Buch ein weiteres Mal aufgetischt, mit neuen Varianten garniert. Beispielsweise macht er den bekannten Vorwurf nunmehr gleich mehreren „rücksichtslosen Ärzten“.28

Wie bereits erwähnt hat Ferdinand Neumann den bekannten Vorwurf gegen Prof. Ewald zum ersten Mal am 30. März 1980 erhoben. Dies geschah während einer Sendung des Bayerischen Rundfunks, bei der auch der Regensburger Bischof Rudolf Graber mitgewirkt hat. Das Thema lautete: „In Gottes Namen. Die Resl von Konnersreuth -ihr Leben, ihr Leiden, ihre Bestimmung.“

Überblickt man die vielen Widersprüche und Ungereimtheiten, die auch bei der Überprüfung des Nachrufs für Ferdinand Neumann zutage getreten sind, so fällt dem kriminalistisch Geschulten zunächst die unstete Lebensführung des Probanden ins Auge; das erkennbar mangelhafte Durchhaltevermögen verhindert den erfolgreichen Abschluss einer ordentlichen Berufsausbildung -nichts wird richtig zu Ende geführt. Daneben sind schon früh gewisse hochstaplerische Züge deutlich erkennbar, die dann auch später prompt in strafrechtliche Verstrickungen führen. Es kommt sogar zur Verurteilung wegen falscher uneidlicher Aussage vor Gericht -der klassische Indikator für fehlenden Wahrheitswillen. Denn dieses Delikt setzt immer den Nachweis vorsätzlicher Begehung voraus, also eine bewusste Lüge; bloße Fahrlässigkeit reicht zur Verurteilung nach § 153 StGB nicht aus.

Eine auf diese Weise nachgewiesene Unwahrhaftigkeit eines Zeugen ist aber nach den Erkenntnissen der forensischen Psychologie von zentraler Bedeutung für die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit ganz allgemein. Für die Justiz gilt hier die Regel, dass „bei genereller Unglaubwürdigkeit, die auf dem Mangel der Wahrhaftigkeit beruht, die spezielle Glaubwürdigkeit (d.h. in anderen Fällen) mit Gewissheit nicht , bejaht werden kann“29. Insoweit kommt also die alte Weisheit zu neuen Ehren:

„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, weil man nie weiß, ob er die Wahrheit spricht.“

Es versteht sich von selbst, dass diese Erfahrungen bei allen Prozessen zu beachten sind, in denen es um Wahrheitsfindung geht -somit auch in kirchlichen Kanonisationsverfahren.

Anders würden Fehlurteile geradezu vorprogrammiert. Das bedeutet für vorliegenden Fall: Als Kronzeuge für die Seligsprechung seiner Schwester erscheint Ferdinand Neumann nun wirklich denkbar ungeeignet.


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Letzte Änderung: 1. Juli 2006