Der stigmatisierte Pater Pio von Pietrelcina

I. Lebensüberblick

Francesco Forgione, der später nach seinem Eintritt ins Kloster den Namen Pio erhielt, wurde am 25. Mai 1887 geboren. Sein Geburtshaus stand in Pietrelcina, einem in der Provinz Benevent in Süditalien gelegenen Marktflecken. Seine Eltern Orazio und Giuseppina Forgione waren Kleinbauerseheleute. Der karge landwirtschaftlich nutzbare Boden warf nicht viel Gewinn ab; darum wanderte der Vater Orazio zweimal nach Amerika aus, um zusätzlich etwas für die Familie zu verdienen. Weder der Vater noch die Mutter konnten lesen oder schreiben. Auch ihr Sohn Francesco besuchte keine Volksschule. Er war bereits zehn Jahre alt, als er erstmals Lesen und Schreiben lernte, und zwar bei einem Kleinbauern, der "ein wenig gebildet" war und für ein geringes Entgelt Kinder seiner Nachbarn am Abend unterrichtete. Ende 1898 kam Francesco zu einem anderen Lehrer, Domenico Tizzani mit Namen. Dieser verdiente sich dadurch seinen Lebensunterhalt, indem er eine kleine Gruppe von Knaben in Pietrelcina "Latein und die anderen Unterrichtsfächer" lehrte. Eines Tages erkundigte sich Francescos Mutter bei Tizzani über die wissenschaftlichen Fortschritte ihres Sohnes. Tizzani gab die Auskunft: "Er ist ein Esel; schickt ihn, die Schafe hüten!" Die Mutter des Jungen gab jedoch nicht auf; sie schickte ihn nun vom Herbst 1901 bis Ende 1903 zu einem anderen Privatlehrer, nämlich Angelo Caccavo (1)

Im übrigen verlebte Francesco Forgione seine Kindheits- und Jugendjahre in Pietrelcina wie andere Jungen auch. Wenn man P. Pio in seinem späteren Leben fragte, wie er als Junge gewesen sei, antwortete er "munter": "Un maccarone senza sale", "Makkaroni ohne Salz", was so viel bedeutet wie "eine fade Nocken" (2). So bezeichnet sich P. Pio selbst. Später wird von seinen Verehrern, wie nicht anders zu erwarten, auch die Kindheit Francescos verklärt und als das Leben eines Heiligen, wie man einen solchen zu sehen pflegt, dargestellt. Pios Onkel Orazio weiß dann zu erzählen, der kleine Francesco habe sich gewöhnlich nicht an den Spielen seiner Altersgenossen beteiligt; oder die Mutter Giuseppina berichtete, sein "Lieblingsspiel" sei es gewesen, "aus kleinen hölzernen Stäbchen die ihm gerade in die Hände fielen, kleine Zeichnungen in Kreuzesform auf den Boden zu machen" (3).

Von früher Jugend an stand für Francesco Forgione fest, daß er Mönch werden würde, und zwar "ein Franziskaner, mit einem Bart". Seine Angehörigen schlugen die Wahl eines anderen Ordens vor; aber Francesco lehnte alle Anregungen jedesmal mit der Bemerkung ab: "Die haben aber keinen Bart." Dies "schien eine fixe Idee des Knaben gewesen zu sein (4). Im November 1922, als P. Pio bald zwanzig Jahre lang dem Kapuzinerorden angehörte, schilderte er, in der ihm eigenen Sprechweise, "die ganze Mühsal der Berufung zum Kapuzinerorden" in einem Brief an eine "seiner geistigen Töchter, Nina Campanile". Er sagt, Gott habe ihm, "seinem armen und verwerflichen Geschöpf", bereits "von Geburt an Zeichen seiner besonderen Bevorzugung gegeben". "Die Stimme des liebreichen Vaters" habe ihm alle Gefahren vorgestellt, "denen er im Lebenskampf begegnet wäre". Die "Stimme des wohlwollenden Vaters" habe "das Herz des Sohnes von ... infantilen, unschuldigen Liebschaften gelöst wissen" wollen; die "Stimme des liebreichen Vaters" habe leise zum Ohr und "zum Herzen des Sohnes" gesprochen, "daß er sich völlig von der Erde, dem Moraste lösen und sich, eifersüchtig, ganz Ihm weihen solle". Gott habe ihn begreifen lassen, "daß der sichere Hafen, das Asyl des Friedens ... die Heerschar der kirchlichen Miliz sei". Der Kampf zwischen der Welt, die ihn für sich wollte, und Gott, der ihn zu neuem Leben rief, habe große Mühsal bereitet. "Mein Gott", so beteuert Pio, "wer könnte das innere Martyrium wiedergeben, das sich in mir abspielte! Allein die Erinnerung an diesen inneren Kampf, der damals in mir stattfand, ließ mir das Blut in den Adern erstarren" (5).

P. Pio gebrauchte gerne eine dramatische Sprechweise; aber ganz so erdrückend war wohl die "Mühsal seiner Berufung" in Wirklichkeit nicht. Im Alter von 15 1/2 Jahren wurde Francesco Forgione am 6.März 1903 als Novize im Kapuzinerkloster von Morcone aufgenommen, wo er den Namen Fra Pio erhielt. Seine weiteren Studienjahre verbrachte er dann in verschiedenen Kapuzinerklöstern. Bald nach seinem Eintritt ins Kloster begann er zu kränkeln. "Im Kloster zeigten sich merkwürdige Anfechtungen des Bösen, aber auch plötzliche Krankheiten mit hohem Fieber, und ebenso plötzliche Genesungen." Wiederholt und für längere Zeit schickten ihn seine Ordensoberen in seine Heimat Pietrelcina zurück, wo er sich immer wieder "erfing". Den Unterricht in den verschiedenen Klöstern erteilten Kapuzinerpatres. Im Jahr nach der Noviziatszeit, als Francesco vor allem "lateinische und griechische Übungen" zu machen hatte, litt er sechs Monate lang "furchtbar an Verstopfung"; dazu quälten ihn oftmals heftige Kopfschmerzen, so daß er kaum zu studieren fähig war. Im Jahre 1905 kam er nach San Marco da Catola "wo er sein Philosophiestudium begann 6) . Diesem schloß sich 1907 das Theologiestudium an. Aber er verbrachte die Zeit von 1906 bis Mitte 1910, nur mit ganz kurzen Unterbrechungen, fast andauernd bloß in seiner Heimat Pietrelcina, wo er sich privat weiterbildete (7)

Am 10. August 1910 empfing Pio im Dom zu Benevent die Priesterweihe. Auch in den folgenden Jahren verbrachte der junge Pater seiner Kränklichkeit wegen lange Zeit in seiner Heimat, wo er sich auf elterlichem Grund eine Strohhütte baute, in der er die Zeit mit Beten und Studieren zubrachte. Sein Beichtvater war in den ersten Priesterjahren der Heimatpfarrer, Erzpriester Don Salvatore, dem er "unbedingten Gehorsam erwies".

Im Jahr 1916 kam P. Pio nach San Giovanni Rotondo, seiner endgültigen klösterlichen Station. Während des Ersten Weltkrieges wurde er zum Militärdienst eingezogen, trug aber nur für kurze Zeit die Soldatenuniform, da er krankheitshalber immer wieder für längere Zeit beurlaubt wurde. 52 Jahre lang gehörte er dem Konvent in San Giovanni Rotondo an; dort verstarb er im 82. Lebensjahr am 23. September 1968 um 2.30 Uhr


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Letzte Änderung: 19. August 1997