V. Die Stigmatisierte

Therese Neumanns Ruhm begann mit dem Empfang von Wundmalen im Jahre 1926. Die Stigmatisationsfrage ist kein theologisches, sondern ein medizinisches Problem; der Mediziner hat hier das entscheidende Wort zu sprechen. Eine Reihe ausgezeichneter Schriften steht zur Verfügung. Nur ein paar seien genannt, die nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen sind.

Im Jahre 1948 hat Prof. Dr. med. Franz Schleyer sein Buch „Die Stigmatisation mit den Wundmalen“ veröffentlicht. Im ersten Kapitel bringt er die wichtigsten Angaben über 63 stigmatisierte Personen, unter diesen auch Therese Neumann von Konnersreuth. Dann bespricht er die „Stigmatisationssymptome“ und „mit der Stigmatisation verbundene Phänomene“. Ein Kapitel hat zum Thema „Medizinische Stimmen zum Stigmatisationsproblem“, und das letzte lautet: „Die theologische Bewertung der Stigmatisation.“

Zwei französische Mediziner kommen auf Therese Neumann nur im Zusammenhang mit ihrer Problemstellung zu sprechen. Im Jahre 1952 erschien das Buch des Neurologen und Psychiaters Jean Lhermitte „Mystiques et faux mystiques“ (deutsch: „Echte und falsche Mystiker“). Im Jahre 1957 veröffentlichte René Biot seine Arbeit: „Das Rätsel der Stigmatisierten.“

Eine Übersicht über die körperlichen und psychischen Grundlagen (und Voraussetzungen) der Stigmengenese anhand der Kasuistik enthält ein Aufsatz der Dermatologen Borelli und Fürst (1960). Die Erkenntnisse über die Morphologie der Blutungsphänomene und der Veränderungen an der Haut Stigmatisierter sowie über die psychologischen Grundlagen hat Schleyer 1962 nochmals zusammengefasst. Erschöpfende Literaturangaben zur Geschichte der Stigmatisation, zu den Einzelfällen, zur medizinischen Analyse der Haut- und Blutungsphänomene und zur Psychopathologie der Stigmatisierten finden sich reichlich in der zitierten Literatur sowie bereits in dem Buchwerk von Thurston.

In dieser Schrift handelt es sich nicht um eine über den Fall Therese Neumann hinausgehende Bearbeitung des Komplexes „Stigmatisation“. Daher wird auf Verweisungen auf die zahlreichen Parallelfälle nachgewiesener Artefakte von „Blutungen“ und Wundmalen in der Geschichte der Stigmatisation sowie auf einschlägige Fälle außerhalb des katholisch-kirchlichen Raumes verzichtet. Das Thema Stigmatisation wird nur deshalb aufgegriffen, weil interessierte Kreise eine Seligsprechung der Therese Neumann anstreben. Was wir über ihre Wundmale wissen, spricht nicht für, sondern gegen sie.

1. Blutungen bei Therese Neumann vor der Stigmatisation

Bei Therese Neumann ist eine Angabe bemerkenswert, die, wenn überhaupt, nur so nebenbei gemacht wird, nämlich, dass sie schon lange vor der Stigmatisation zu Blutungen neigte, namentlich zu wässerigem Blutaustritt aus den Augen. So hat sie dem Pfarrer Leopold Witt erzählt, bereits um die Wende von 1923 auf 1924 hätten ihre Augen geblutet, das Blut sei allerdings nur „selten und nur tropfenweise“ gesickert; dies habe aber weder sie noch ihr Arzt Dr. Seidl weiter beachtet.

In einem am 7. November 1924 geschriebenen Brief spricht Therese Neumann wiederholt von Blutaustritt aus ihren Augen. Einmal sagt sie, ihre Augen seien „vom vielen Bluten ganz zugeklebt“ gewesen. Später schildert sie ein „Geschwür im Kopf“ und fährt dann fort: „Meine Augen brennen ganz. Immer die Schärfe von dem Blut, da werden die Lider ganz offen, denn die Wunde ist noch nicht geheilt. Die Augen bluten ständig ein bißchen, besonders, wenn ich den Kopf im geringsten bewege.“ Dann spricht sie von Blutungen ohne nähere Angabe, wo diese aufgetreten sind; ihre Mutter habe „wegen dem Bluten“ oftmals die Bettwäsche wechseln müssen. Auch in ihrem Brief vom 16. Juni 1925 erwähnt sie Blutungen. Da spricht sie zunächst von einer durch die heilige Theresia erhaltenen Hilfe und fährt dann fort: „Aber gesund bin ich noch nicht, weißt, das andere Leiden, das vom Blut herkommt, ist mir geblieben.“ Der Hausarzt der Neumann-Familie, Dr. Seidl, weiß von ihrer Neigung zu Blutungen aus den Ohren und aus dem Halse bereits während der Zeit, da sie gelähmt war.

Bemerkenswert erscheint ein Hinweis in dem ärztlichen Bericht, den Dr. Seidl im Jahre 1926 verfasst hat. Um den 16. Februar herum wurde er zu Therese gerufen, weil sich das Befinden der Kranken verschlimmert habe. „ Sie klagte über heftige Kopfschmerzen und über allgemeines Krankheitsgefühl.“ Bei einem weiteren Besuch konnte der Arzt „das Ausfließen einer schwach blutig gefärbten Flüssigkeit aus den Augen“ beobachten; es waren nach seinen Worten Blutungen „nur in angedeuteter Form“. Dr. Seidl hielt das Leiden für Influenza. „Als ich“, so sagt er, „diese Beobachtung machte, durchzuckte mich ärgerlich plötzlich der Gedanke: ,Sie wird nicht doch auch noch stigmatisiert werden19.“ Der Gedanke des Arztes war, wie sich bald herausstellen sollte, durchaus berechtigt. Auffallend erscheint, dass Dr. Seidl über die später aufgetretenen Blutungen aus den Augen und „Wunden“ weder durch Pfarrer Naber noch durch die Eltern der Therese verständigt worden ist; man hat ihn auch nicht über die Ereignisse am Karfreitag 1926 informiert, obwohl Therese an diesem Tage mit den Sterbesakramenten versehen worden ist.

2. Verehrung des Leidens Jesu

Man könnte vermuten, dass bei Therese Neumann das Entstehen von Wundmalen in enger Beziehung zur Betrachtung des Leidens Christi stand. Freilich, die Angaben in dieser Frage sind, genauso wie auch bei anderen Themen, widersprüchlich. Die „Gläubigen“ lesen das eine und das andere; die Widersprüche bemerken sie nicht.

Wie Therese Neumann dem Pfarrer Leopold Witt versicherte, gehörte das Kreuzweggebet „schon frühe zu ihren liebsten Andachten“. Pfarrer Naber bestätigte diese Aussage, dass sie gerne den Kreuzweg gebetet hat. Nach Anni Spiegl hat Therese während ihrer Leidenszeit bis zu den wunderbaren Heilungen „in den langen schlaflosen Nächten“ mit Vorliebe Betrachtungen über das Leiden Christi gemacht. Genau das Gegenteil behauptet Erzbischof Teodorowicz. Er sagt, es sei „allgemein bekannt“ dass sie „während ihrer langjährigen Krankheit keine Betrachtungen über das Leiden Christi“ angestellt hat. Dabei beruft er sich ausdrücklich auf die Aussage der Stigmatisierten, „dass sie keine besondere Andacht zum Leiden Christi vor der Stigmatisation besaß und überhaupt keine Betrachtung über die Leiden Christi anstellte“; sie habe „vor allem nichts über Stigmen und Stigmatisierte“ gewusst; „weder vor, noch nach der Stigmatisation“ habe sie sich mit der „Betrachtung des Leidens des Herrn“ befasst.

Ähnlich wie Teodorowicz drückt sich Boniface aus: „Noch nie hatte sie von Stigmen erzählen hören.“ Kann man das glauben, dass sie bis zu ihrem 28. Lebensjahr nichts darüber gehört hat? Soll ihr nie das Bild des heiligen Franziskus auf einem der Konnersreuther Kirchenfenster aufgefallen sein? Soll sie nie etwas über Stigmatisierte gelesen haben? Sie hat dem Erzbischof von Lemberg gegenüber beteuert, nichts über Katharina Emmerick, die bekannte Stigmatisierte von Dülmen, gelesen zu haben. Am 13. Januar 1953 hat sie unter Eid Auskunft über die Schriften gegeben, die sie früher gerne gelesen hat. Als Lieblingslektüre bezeichnet sie unter anderem die Zeitschrift „Der Sendbote des göttlichen Herzens Jesu“ und die Schrift „Christkatholische Hauspostille“ von Leonhard Goffiné. In der Schrift „Christkatholische Hauspostille“ von Leonhard Goffiné. In der Schrift “Goffiné“ befindet sich eine Abhandlung über den heiligen Franziskus; auch von seinen Wundmalen ist die Rede. Von der Zeitschrift „Sendbote“ seien nur zwei Jahrgänge herausgegriffen. Ein Aufsatz in der Märznummer des Jahres 1918 hat zum Thema „Die Leidensblume von Coesfeld“; hier wird über Katharina Emmerick, die „Seherin“ von Coesfeld, berichtet, die mit Wundmalen ausgezeichnet gewesen sei. Im Jahre 1924 ist eine Abhandlung in mehreren Folgen über Katharina Emmerick veröffentlicht worden; unter anderem ist dort die Rede von ihren Wundmalen und von ihren „Sühneleiden“. Soll Therese Neumann ausgerechnet solche Erzählungen übersehen haben?

Bei der eidlichen Vernehmung in Eichstätt hat Therese Neumann noch eine weitere Versicherung abgegeben; sie hat beteuert: „Bücher über Visionen der seligen Katharina Emmerick und Ähnliches las ich in meinem Leben nie.“ Diese Aussage ist eine glatte Lüge. Dies beweist allein schon ein Vergleich; ein ganz bedeutender Teil der „Konnersreuther Phänomene“ ist eine offensichtliche Anleihe bei Katharina Emmerick. Vergleicht man dazu noch die Visionen der Katharina Emmerick mit denen der Therese Neumann, so stößt man gerade bei ganz ausgefallenen Szenen auf derart auffallende Parallelen, dass man von einem bloßen Zufall nicht mehr sprechen kann20.

Dass Therese Neumann über Katharina Emmerick sehr gut informiert war, bezeugt sogar Pfarrer Naber. Am 8. August 929 war Georg Liesch, damals noch Theologiestudent, das erste mal in Konnersreuth; er hat den Ort im Laufe der Jahre öfter als zwanzig mal aufgesucht, das letzte mal für zehn Tage im August 1974. Trotz mancher Bedenken hat er bis dahin geglaubt, es könne sich um wunderbare Dinge handeln. Aber dann wurde aus einem Paulus ein Saulus. Dies kam so: Als er bei der Lektüre des Buches „Konnersreuth als Testfall“ auf die eidlichen Aussagen stieß, die die Stigmatisierte im Jahre 1953 in Eichstätt abgegeben hatte, hielt er erstaunt inne. Das Thema „Therese Neumann und Anna Katharina Emmerick“ hatte er doch anders in Erinnerung. Er nahm sein Notizbuch zur Hand und las nach, was er an jenem 8. August 1929 notiert hatte. Dort stieß er auf einen Eintrag über ein Gespräch, das Pfarrer Naber mit ihm und einigen Priestern geführt hat Unter anderem erzählte der Pfarrer: „Ich habe der Resl die Visionen der Katharina Emmerick besorgt, um mich selbst von diesen Visionen leiten zu lassen, und die Resl liest dieselben mit großem Eifer.“ Der Pfarrer fügte noch die Worte der Therese Neumann hinzu, die sie über ihr Vorbild gebraucht hat: “Arms Moiderl, hast grad soviel leiden müssen wie i a“21. Dass Therese Neumann die Unwahrheit gesagt hat, ist offensichtlich.

Wir erinnern uns an die Beteuerung der Therese Neumann, sie habe sich “weder vor noch nach der Stigmatisation“ mit der Betrachtung des Leidens Christi befasst. Hat sie es nachher getan? Hören wir, wie sie diese Frage selber beantwortet hat. Am 16. Januar 1953 hat sie unter Eid angegeben: „Wenn ich vom Leiden Christi höre, dann greift mich das nach kurzer Zeit seelisch so an, dass ich starke Herzbeschwerden bekomme und ohnmächtig werde.“ In den Veröffentlichungen wird nichts darüber berichtet, dass Therese Neumann des Rosenkranzgebetes oder des Kreuzweges wegen ohnmächtig geworden ist; dies konnte schon allein deswegen nicht geschehen, weil sie diese Gebetsformen nicht gepflegt hat. Das beweist ja ihre weitere eidliche Anmerkung; sie sagt nämlich, Kardinal Faulhaber habe sie beruhigt, indem er ihr erklärt habe, sie brauche sich deswegen keine Vorwürfe zu machen, wenn sie „von den erwähnten Gebetsformen abstehe“ Ist das nicht sonderbar? Den Kreuzweg vermochte sie nicht ohne Herzbeschwerden zu betrachten, aber bei den Freitagspassionen, die mit angeblich riesigem Blutverlust begleitet waren, hat sie keine Herzbeschwerden bekommen und ist nicht ohnmächtig geworden, obwohl sie doch den ganzen Passionsweg Jesu mitverfolgt hat!

3. Die Passionstage

An welchen Freitagen folgte Therese Neumann Jesus auf seinem Kreuzweg23? Auf diese Frage vermag man keine genaue Antwort zu geben; die Autoren widersprechen sich allzu sehr. Als leidensfreie Zeit wird angegeben: Advent bis Sonntag Septuagesima; Ostern bis Christi Himmelfahrt; Freitage, auf die ein Feiertag fiel oder an denen ein Apostel- oder Marienfest gefeiert wurde; etliche Wochen im August und September. In diesen Monaten fiel jedoch das Leiden nicht aus, wenn Bischöfe zu einem Besuch nach Konnersreuth kamen. So gab es für Therese keine Spätsommerpause im Jahre 1928; in dieser Zeit waren nämlich mehrmals an Freitagen Bischöfe in Konnersreuth, die Zeugen der Ekstasen sein wollten. Auch die Pause im Advent wurde durchbrochen, als der amerikanische Bischof Schrembs am Freitag, dem 23. Dezember 1927, in Konnersreuth weilte.

Umgekehrt geschah es aber auch, dass das Freitagsleiden an sonst üblichen Passionstagen ausgefallen ist, wenn Therese eine andere Beschäftigung für wichtiger hielt, beispielsweise eine Reise in schöne Gegenden des In- oder Auslandes. So begann sie Mitte September 1934 eine längere Reise, in der sie vor allem die Schweiz kennenlernte; damals wurde bekanntgegeben, dass sie zwei bis drei Monate lang abwesend sein werde. Am 3. Oktober 1936 trat sie eine Fahrt an, die sie nach Österreich und in die Schweiz führte; mindestens vier Wochen blieb sie im Ausland. Auch sonst blieb sie vom Leiden verschont, wenn sie gerade an einem Freitag eine Fahrt unternehmen wollte. Man steht also vor der merkwürdigen Tatsache: Es lag ganz im Belieben der Stigmatisierten, wann sie die Freitagspassion durchzumachen bereit war und wann diese auszufaIlen hatte.

Im Laufe der Zeit verringerten sich die Leidensfreitage zusehends. Die Passion fiel beispielsweise aus, wenn Therese „durch Krankheit oder Sühneleiden zu sehr erschöpft war" Als sie im Alter von 50 Jahren stand, stellten sich die Freitagsekstasen nur noch an den Freitagen der Fastenzeit und an den Herz-Jesu-Freitagen ein. Da wurde Therese einmal gefragt: „Wie kommt es, dass die Leidensekstasen so selten geworden sind?“ Die bezeichnende Antwort lautete: „I will do a amal mei Ruh` hob'n!“ Damit hat sie selber die Frage beantwortet, wem sie die gewährte Ruhe zu verdanken hatte. Zur selben Schlußfolgerung zwingt ein Ausspruch, den Pfarrer Naber bereits im Jahre 1930 dem Rektor August Licht gegeben hat, als er die Frage stellte, wie lange die Passion andauere. Der Pfarrer gab die Auskunft, „das richte sich nach der größeren oder geringeren Menge der Besucher“.

4. Die Form der Stigmen24

Widersprüchlich wie die eigenen Angaben der Therese Neumann sind auch die Aussagen von Konnersreuth-Besuchern über die Form der Stigmen. Im Jahre 1953 hat Therese unter Eid ausgesagt, am Karfreitag des Jahres 1927 hätten die Wundmale eine viereckige Form angenommen, und zwar an Händen und Füßen. Die Angabe ist unrichtig; jahrelang hatten die Male eine rundliche Form. Während der Fastenzeit 1928 machte Prof. Dr. Gemelli, der nicht nur Mediziner, sondern auch Theologe (Franziskaner) und zeitweise Rektor der Universität Mailand war, einen Besuch in Konnersreuth. In seinem Bericht über die dort gewonnenen Eindrücke heißt es über die Form der Wundmale: „Sie sind rund und groß wie eine kleine Münze auf dem Handrücken, etwas länglich und viel kleiner auf der Handfläche.“

Sechs Jahre nach der Stigmenbildung hat der Arzt Dr. Witry geschrieben: „Ich habe die Beobachtung aller Ärzte seit der Stigmatisation gesammelt. Alle weisen Veränderungen auf.“ Die Veränderung ist bereits im Jahre 1927 dem Regensburger Prof. Dr. Killermann aufgefallen. Im August 1926 hat er auf dem Handrücken der Stigmatisierten „rote, scheibenförmige, etwa zweimarkstückgroße, scharf umrandete Stellen, wie aufgepreßtes Siegellack, etwas erhaben über der übrigen Haut oder wie Muttermäler“ vorgefunden. Im Jahr darauf war Killermann wieder in Konnersreuth; er schreibt nun: „Zu meiner Verwunderung fand ich die Male diesmal kleiner, etwa 50-Pfennig-groß und nicht so erhaben wie im vorigen Jahr.“

Dr. Seidl sah die Wundmale immer oberflächlich; sie gingen nicht über die Dicke der Haut hinaus. Schulrat Dr. Miller strich im Jahre 1927 bei seinem Besuch in Konnersreuth über die Handwundmale der Stigmatisierten; er sagt: „Sie waren nur oberflächliche Rötung der Haut, die nicht ins Unterhautgewebe hineindringen.“ Ganz anders lautet die Schilderung des Arztes Dr. Witry; er sagt: „Die ganze substanzielle Struktur erhob sich etwa 2,5 Millimeter, in tafelartigem Relief, über die umgebende Haut. Die abfallenden Ränder waren steil und hoch an allen Seiten. Die Stigmata erschienen quasi vulkanös aus der Mitte des Handrückens emporzusteigen.“ Im Gegensatz dazu sagt im Jahre 1937 der Wiener Prof. Dr. Matzinger, er habe bei seinem Besuch in Konnersreuth „nichts Außerordentliches“ bemerkt; er glaubte lediglich, „an den Händen Spuren von Stigmatisation zu sehen 25 Einen völlig anderen Eindruck bekommt man, wenn man den rechten Handrücken der verstorbenen Therese Neumann betrachtet; da zeigt sich das von Dr. Witty im Jahre 1932 beschriebene, auffallend vulkanöse Mal26.

Bald nach dem Fest Christi Himmelfahrt 1938 weilte Frau M. Hartmann aus Breslau in Konnersreuth. In ihrem Bericht über das dort Erlebte heißt es: „An den Händen war von Stigmen nichts zu sehen. Als mich Therese bemerkte, versteckte sie die Hände (wie am Morgen). Ich kann beeiden, dass sie keine Stigmen trug 27.“ Es ist verständlich, dass ein ähnliches Erlebnis einem Besucher nur selten gelang. In der Regel richteten die Besucher ihr Augenmerk auch bloß auf die Handrücken der Stigmatisierten, viel weniger auf die Handflächen. dass Therese vor allem an dieser Stelle nicht immer ein Mal aufzuweisen hatte, beweist sogar ein veröffentlichtes Farbbild. Im Jahre 1968 wurden vom Friedrich-Feilner-Verlag in München mehrere Farbaufnahmen verschickt. Auf einem der Bilder ist die Handfläche der rechten Hand zu sehen. Die Handlinien sind zwar deutlich zu erkennen, aber von einem Wundmal sieht man nichts, auch nicht mit einem Vergrößerungsglas, obgleich die Handfläche ungefähr 24 Millimeter mißt.

5. Blut aus nicht vorhandenen Wunden

Die Kopftücher, die Therese Neumann jeweils an den Freitagen getragen hat, weisen acht große Blutflecken auf, deren Ursprung Kopfwunden gewesen sein sollen. Am 15. Januar 1953 hat Therese eidlich versichert: „Ich bemerke noch, dass im selben Jahre (1926) als Dauerwundmale zu den bisher erwähnten noch die Kopfwundmale auf gleiche Weise wie die anderen hinzukamen.“ Diese „Dauerwundmale“ sind niemals entdeckt worden. Im Frühjahr 1928 hat Prof. Gemelli Konnersreuth besucht. In seinem Gutachten vom 20. Mai 1928 heißt es: „Ich habe auch die behaarte Kopfhaut untersucht und auch dort habe ich keine Veränderung wahrgenommen. Am 19. Februar 1930 machte Pfarrer Naber den Nuntiaturrat Dr. Brunelli auf das Kopftuch der Stigmatisierten aufmerksam: „Sehen Sie, hier sind acht Flecken; denn Therese hat auch auf dem Kopf acht Wunden.“ „Kann man sie sehen?“, fragte Brunelli. Darauf Naber: „Sie sind klein, auch ich habe sie niemals gesehen.“ Wenn es keine Wunden gab, woher kam dann das Blut? Einen Hinweis gibt die Beobachtung von Besuchern. Im Jahre 1927 weilten drei Personen in Konnersreuth, nämlich Dr. Wilhelm Alfred Miller, der Chefarzt Dr. Stephan und Fräulein Isenkrahe. Sie wollten den Beginn der Freitagspassion verfolgen. Pfarrer Naber gestattete dies jedoch nicht. Er entschuldigte sich mit dem Hinweis, Thereses Eltern seien dagegen. Während diese drei Besucher später im Zimmer der Stigmatisierten weilten, fiel ihnen auf, dass sie einmal zum Kopf griff und dort „heftig“ rieb. Ähnliches berichten andere Zeugen. Auch Johannes Steiner spricht von dem erwähnten Vorgang: „Man konnte sehen, wie sich die Hände zum Kopf hinbewegten und die Dornen auszuziehen versuchten.“ Ähnlich drückt sich Anni Spiegl aus: Therese bemühte sich nach der geschauten Dornenkrönung, „die Dornen aus dem Kopf zu ziehen, genau an der Stelle, an welcher das weiße Kopftuch frische Blutspuren zeigte“. Am Palmsonntag 1980 erinnerte sich Bischof Graber an seinen ersten Besuch in Konnersreuth; damals habe er beobachtet, wie Therese „immer wieder Handbewegungen“ machte, „als wolle sie sich die Dornen aus der Kopfhaut ziehen“; die Resl habe den Eindruck einer Sterbenden gemacht und „Unsummen von Blut“ verloren.

Anläßlich des 25. Todestages der Therese Neumann hat das Bayerische Fernsehen einen von Max Rößler zusammengestellten Film gesandt. Am 22. Oktober 1987 hat mir ein Facharzt für Rechtsmedizin und Spezialist für Blutspurenanalysen seinen Eindruck von dem dort gezeigten Kopftuch mitgeteilt: „Diese angeblichen Blutspuren bestanden aus etwa stecknadelkopfgroßen, isoliert stehenden Punkten. Nun weiß aber jeder Fachmann, dass schon kleinste Blutflecken auf Leinen sich sofort ausbreiten und eine viel größere Durchblutung des Stoffes erzeugen, als man erwarten sollte. Ein Vergleichsbeispiel ist die Menstrualblutung, die von den Frauen oft als ,sehr stark` bezeichnet wird, aber in der Norm nur etwa 40, allerhöchstens 80 Milliliter Blut beträgt. Wenn man also bedenkt, dass Therese Neumann angeblich doch mindestens stundenlang aus den ,Kopfwunden` geblutet haben will, so hätten die benutzten Tücher total durchblutet sein müssen - vergleicht man etwa die enormen dicken Blutkrusten aus den angeblichen ,Augenblutungen` auf der Gesichtshaut. Statt dessen nur punktförmige blasse Stippchen auf einem sonst sauberen Tuch! Es dürfte daher zu folgern sein, dass die angeblichen Kopfspuren künstlich zu Demonstrationszwecken hergestellt wurden und überhaupt keine Kopfwunden bestanden haben.“

Dazu bleibt nur nochmals zu betonen, dass nie jemand Kopfwunden gesehen hat. Genauso verhält es sich mit der Schulterwunde. Den Angaben gemäß ist das Wundmal auf der rechten Schulter der Stigmatisierten zum erstenmal während der Fastenzeit des Jahres 1929 aufgetreten. Über an dieser Stelle ausgehende Schmerzen hat sie bereits am 23. März 1928 geklagt; es war der Tag, an dem der Regensburger Bischof mit einigen Begleitern in Konnersreuth erschienen war. Nachdem diese den Ort wieder verlassen hatten, mußte Therese „rasende Schmerzen in der rechten Schulter für jemand, der an diesem Tage dagewesen war, und, wie sie sagte, die Schulterwunde nicht anerkennen wollte“, ertragen. Aber wieso hätten die Besucher etwas anerkennen können, was nicht vorhanden war, und wieso mußte deren Haltung gebüßt werden?

In Konnersreuth-Schriften findet man Abbildungen, auf denen die ganze Leibwäsche der Stigmatisierten blutbefleckt erscheint. Das Blut soll von Geißelungswunden ausgegangen sein, die sich zum erstenmal am Karfreitag 1929 zeigten und die sich dann jedes Jahr zum selben Zeitpunkt wieder einstellten. Am Karfreitag blutete die Stigmatisierte am ganzen Leib. „Ihr ganzer Leib“, schreibt Boniface, „ist an diesem Tag von roten, erhabenen und blutenden Striemen gestreift.“ Das behauptet Boniface; gesehen hat er die Wunden ebensowenig wie sonst jemand 28.

6. Kein aktives Bluten

Es gibt viele Konnersreuth-Besucher, die bezeugen, Blut gesehen zu haben, aber es gibt keinen glaubwürdigen Beobachter, der auch nur ein einziges Mal fließendes Blut gesehen hätte, wirklich fließendes Blut, und dies bei einem Zeitraum von etwa 35 Jahren! Wenn auf diese Tatsache hingewiesen wurde, konnte Therese Neumann sehr erregt reagieren. Da hatte der Regensburger Theologieprofessor Dr. Josef Engert im Februar des Jahres 1939 im , Korrespondenz- und Offertenblatt“ einen Aufsatz über Therese Neumann veröffentlicht. In ihrem Brief vom 14. März 1939 an Bischof Buchberger beschwerte sie sich unter anderem über den Satz: „Das Bluten kommt immer, wenn niemand zugegen ist.“ Um diese Angabe zu widerlegen, schreibt sie: „Wenn es sein muß, rufen wir den Hochwürdigsten Herrn Kardinal Faulhaber, Fürsterzbischof Waitz, den Bischof von Speyer und andere, welche alle, sogar des Nachts, bei Leidensbeginn zugegen waren, öffentlich zu Zeugen dagegen auf. Herr Sanitätsrat Seidl beobachtete sogar mit einem Glas das Beginnen des Blutens der Herzwunde.“ Der Jesuit Dr. Carl Sträter hat in seiner Ansprache, die er am 21. September 1972 in Konnersreuth gehalten hat, behauptet: „Von den zahlreichen Personen, die Therese in ihrem Leiden gesehen haben, konnten viele das aktuelle Bluten der Wunden beobachten. So zum Beispiel Dr. Gerlich, Dr. Hynek, Erzbischof Teodorowicz, Domkapitular Dr. Reichenberger, P. Gemelli OFM, Prof. Ewald.“ Was Therese Neumann und P. Sträter behaupten, ist falsch; die Beobachter haben immer nur Blut gesehen, nie aber das Fließen von Blut. Was beispielsweise Dr. Gemelli wirklich gesehen hat, darüber hätte sich Sträter informieren können; Gemellis Bericht befindet sich ja unter den Akten, die er studiert hat; der betreffende Text wird auch im Buch „Konnersreuth als Testfall“ angeführt 29. Gemelli hat niemals fließendes Blut gesehen; das hat er wiederholt betont, zum Beispiel: “Ich wiederhole, dass ich das Blut nie in der Tat habe ausfließen sehen,, weder von den ,Stigmata', noch von den Augen, noch von dem Haupte, ich habe immer nur geronnenes Blut gesehen.“

Therese Neumann beruft sich ebenfalls zu Unrecht auf Dr. Seidl. In seinem ärztlichen Bericht vom Jahre 1926 an den Bischof von Regensburg schreibt er, niemand habe die Entstellung der Blutungen beobachtet, nicht einmal die Eltern der Stigmatisierten. „Die Eltern , so sagt er, „werden in den Donnerstagnächten von 11.00 Uhr ab von der Patientin weggeschickt. Wenn dann die Mutter um 1.00 Uhr nachts nachsieht, sind die Blutungen schon vorhanden.“ Nach diesen Worten kommt der Arzt auf seine eigenen Beobachtungen zu sprechen: „Ich selbst konnte in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai nur teilweise den Anfang der Blutung aus der Brustwunde beobachten. Mit dem Vergrößerungsglas sah ich damals aus der von Epidermis entblößten Wunde ein schweißtröpfchenähnliches Hervorsickern einer wässerigen Flüssigkeit und an zehn kleinste Blutpünktchen. Aber auch diese Untersuchung war nicht mit den Kautelen vorgenommen, die vielleicht notwendig gewesen wären, weil ich meine ganze Aufmerksamkeit damals zunächst auf die zunächst zugänglichen Wunden an den Händen und Füßen zuwandte, die übrigens damals nicht bluteten und seitdem überhaupt nicht mehr bluten. .. Die Blutungen aus den Augen traten an diesem Tage erst nach meiner Entfernung auf. Was die Blutungen aus den Augen anlangt, konnte ich den Anfang derselben in allerdings nur angedeuteter Form sehen, während der um Fastnacht heurigen Jahres auftretenden Erkrankung, die ich für Influenza hielt. . . Es muß hier auch noch betont werden, dass die vielen Besucher eine eigentliche Blutung nicht sehen. Sie sehen nur die von geronnenem Blute gebildeten, von den inneren und äußeren Augenwinkeln gegen die Nase oder die bei den Ohren hinziehenden Streifen, außerdem die blutdurchtränkten, über die Herzwunde gelegten Leinwandstreifen und das etwas blutdurchtränkte Hemd an dieser Stelle. Auch als die Blutungen an Händen und Füßen noch bestanden, konnte man, so oft ich zu beobachten Gelegenheit hatte, von einem Herabrieseln des Blutes nicht sprechen. Man sah vielmehr nur die über den Wunden aufgelegten Leinwandflecken blutdurchtränkt 30.“

Ähnlich wie Dr. Seidl erging es anderen Beobachtern; sie erlebten weder den Beginn von Blutaustritt noch sahen sie Blut fließen. Am 22. und 23. März 1928 weilten in Konnersreuth Bischof Buchberger sowie Weihbischof Hierl, Prof. Dr. Martini, Prof. Dr. Killermann, Prof. Dr. Stöckl und Prof. Dr. Hilgenreiner. Killermann und Hilgenreiner sollten im Auftrag des Bischofs den Anfang der Freitagspassion beobachten. Sie kamen nicht

dazu. Sonst begannen die Schauungen regelmäßig jeweils am Donnerstag gegen 23.45 Uhr. Um 23.25 Uhr führte Pfarrer Naber die beiden Professoren in das Zimmer der Stigmatisierten. Auf dem Weg äußerte er die Befürchtung, man könne zu spät kommen. Aber warum jetzt auf einmal der Verdacht? Er war es doch, der den Zeitpunkt des Aufbruchs bestimmt hat. Es war tatsächlich so, wie es Naber vermutet hatte; bei der Ankunft der drei Männer war die Passion bereits im Gange; die Augen waren schon voll Blut, was sonst zu dieser Zeit nie der Fall war. Als beispielsweise Kardinal Kaspar am 21. März 1929 zugegen war, begannen wohl die Visionen um 23.40 Uhr; aber erst bei der vierten Schauung, also geraume Zeit nach Mitternacht, bemerkte er, dass die unteren Augenlider ziegelrot wurden. Ähnlich lautet die Angabe Steiners, nämlich, dass sich erst geraume Zeit nach Mitternacht zunächst „wässerige Tränen“ in den Augen bildeten, die erst allmählich rot wurden31. Als aber im Jahre 1928 vom Bischof gesandte Wissenschaftler den Beginn der Blutungen verfolgen sollten, da setzten diese bereits lange vor Mitternacht ein.

Im Jahre 1927 war der Nervenarzt Dr. Eduard Margerie in Begleitung des damaligen Oberarztes an der Heil- und Pflegeanstalt von Bayreuth zweimal in Konnersreuth. Beide konnten „keine Blutungen“ feststellen, sondern immer nur „ geronnenes Blut“. Eingehendere Beobachtungen oder gar Untersuchungen waren ihnen nicht möglich, wie Dr. Margerie versichert: „Die Wunden am Kopf konnte ich nicht beobachten, ebenso nicht die Wunde am Herz und an den Füßen, weil der Herr Pfarrer eine Untersuchung... verweigert hat32.“

Es gibt kein einziges Zeugnis eines Arztes, der Kopf-, Schulter- oder Geißelungswunden gesehen hätte. Was die Seitenwunde betrifft, so muß gesagt werden, dass hierüber nur die Angaben der Ärzte Dr. Seidl und Prof. Ewald existieren. Nach 1928 hat kein Arzt mehr darüber ein eigentliches Gutachten abgegeben. Was späterhin über die Seitenwunde gesagt wird, stützt sich lediglich auf die Angaben der Therese Neumann selbst beziehungsweise ihrer Familienangehörigen. Aber was haben diese wirklich gesehen? Wie Gerlich versichert, haben die Eltern Thereses Herzwunde niemals gesehen und hätten auch diese zu sehen nie verlangt33. An sich ist diese Angabe durchaus glaubwürdig; aber den Berichten gemäß wurde Therese jeweils nach Beendigung der Freitagspassion von ihrer Mutter mit lauwarmem Wasser abgewaschen, von ihr wurden auch die Verbände gewechselt; bei dieser Gelegenheit hätte die Herzwunde gar nicht übersehen werden können.

Wenn nichts zu verbergen ist und wenn alles einwandfrei zu geht, dann darf der Nachweis für einen behaupteten Vorgang nicht unmöglich gemacht werden. Genau dies ist aber geschehen, zum Beispiel, als im März 1928 Bischof Buchberger mit seinen Begleitern in Konnersreuth weilte. Solange damals Prof. Killermann beobachten konnte, änderte sich an den Wundmalen nicht das mindeste. Aber es war ihm unmöglich, ungehindert zu beobachten; immer wieder traten die Eltern der Therese dazwischen. Das war der Fall, als die Mutter ans Bett ihrer Tochter trat, um ihr irgendwie „ behilflich“ zu sein. Sie machte es so, dass Killermann „nicht mehr beobachten“ konnte. Dann tritt die Mutter vom Bett weg, und siehe da, zu seinem Erstaunen bemerkt er nun, „dass die Handwundmale, die vorher immer trocken waren, bluten“34.

Ähnlich wie Killermann erging es anderen Beobachtern. So heißt es im Gutachten des Prof. Martini: „Ich konnte nie sehen, dass die Wunden der Therese Neumann wirklich bluteten. Dazu war es durchaus unmöglich, fortwährend zu beobachten. Therese stellte mehrmals ihr Federbett hoch vor sich auf, und das eine Mal, als ich und Prof. Killermann während einer solchen Zeit uns an das Kopfende des Bettes begaben, mußten wir uns infolge des zornigen Protestes des Vaters sofort wieder von dort entfernen. Während dieser

Zeiten, die von den Eltern damit erklärt wurden, Therese müsse sich etwas Luft machen, fielen mir von Anfang an merkwürdige, intensive Bewegungen der Therese auf, die sowohl mit den Armen wie mit den Beinen ausgeführt wurden, Bewegungen, die zum alleinigen Zweck, sich zu lüften, über die Maßen ausgiebig waren und mir ein peinliches Gefühl einflößten 35.“

Ähnliches wie Prof. Martini und Prof. Killermann erlebte Dekan Höfner von Waldsassen, der spätere Regensburger Dompfarrer. In seinem Bericht heißt es: »Wenn Therese das Bett wieder etwas zurückschob,... dann durfte niemand eine solche Stellung einnehmen, dass er etwas beobachten hätte können, was die Therese mit den Händen oder sonstwie tat. Versuche wurden von den Eltern sofort mit der Bemerkung verhindert, man solle doch zurückgehen, das vertrage sich nicht mit der Sittlichkeit«

Nun haben aber doch immer wieder die Besucher eine blutige Therese Neumann und blutbefleckte Wäsche gesehen. Wann und wie kam das Blut zum Vorschein? Ohne jeden Zweifel wurde manipuliert. Darauf weist ja schon die Tatsache hin, dass Anwesenden eine einwandfreie Beobachtung unmöglich gemacht wurde. Erst recht muß an Manipulation gedacht werden, wenn man einen anderen bezeichnenden Vorgang bedenkt. In regelmäßigen Abständen wurden alle anwesenden Beobachter aus dem Zimmer der Stigmatisierten gewiesen. Während der ganzen Dauer ihrer Anwesenheit blieb das vorhandene Blut unverändert trocken. So oft sie nach dem Verlassen des Zimmers wieder zurückkehrten, auch wenn dies bereits nach wenigen Minuten geschah, war auf einmal das vorher trockene Blut feucht, oder die Blutflecken auf der Wäsche waren größer geworden. Alle damals im März 1928 vom Bischof beauftragten Wissenschaftler haben dieselbe Beobachtung gemacht. Genauso verhielt es sich, als der Mailänder Professor Gemelli zugegen war. Auch er mußte vorübergehend das Zimmer verlassen. Die Aufforderung dazu wurde am 23. März 1928 in der ersten Tageshälfte nicht weniger als dreimal gegeben. Die Räumung des Zimmers wurde jeweils verschieden begründet. Das einemal hieß es, das Zimmer müsse gelüftet werden, obwohl die Luft durchaus nicht verbraucht war; das anderemal gab man an, das Zimmer müsse gereinigt werden. Einmal, als Bischof Waitz zugegen war, lautete die Begründung, Therese leide große Schmerzen. Oftmals berief man sich auf angebliche große Atembeschwerden der Stigmatisierten, welche sie veranlaßten, im Ringen nach Luft die Bettdecke abzuwerfen37.

Am 5. Oktober 1928 weilte Bischof Waitz das zweitemal in Konnersreuth. Er wurde ebenso wie die übrigen Besucher aufgefordert, das Zimmer zu verlassen. Als Grund bekamen sie zu hören, Therese habe arge Schmerzen in den Wunden. Nachher allerdings gab Therese selber einen anderen Räumungsgrund an, nämlich, »dass etwas Böses im Zimmer gewesen sei

Zuweilen wurde das Verlassen des Zimmers von Therese selber beziehungsweise vom »Heiland« gefordert. Wenn sich nämlich jemand im Zimmer befand, der »in irgendeiner Weise unwürdig“ war, ',geschah es, dass sie aus der Leidensvision erwachte und durch Pfarrer oder Eltern bat, dass alle Besucher das Zimmer verlassen mögen- Nach dem Grund gefragt, äußerte sich die Stigmatisierte bei solcher Gelegenheit: ',Der Heiland leidet nix im Stüberl. Er treibt aus, was irgendwie hindern kann39“ Aber warum mußten dann alle Besucher ausnahmslos, auch Bischöfe> weichen? Da hätte ja bloß der eine oder andere ',Hinderer“ entfernt werden müssen; der ,Heiland« hätte doch die Übeltäter benennen können. Warum hat in solchen Fällen das Christusorakel versagt?

Wenn man bedenkt, dass nach dem Wiederzulassen der Besucher frisches Blut zu sehen war, dann wird klar, was in der Zwischenzeit geschehen ist. Da gibt es gar kein anderes

Urteil als: Das Blut, das die Besucher zu sehen bekamen, floß nicht aus Wunden, schon gar nicht aus nicht vorhandenen Wunden; es wurde in Wirklichkeit manipuliert.

Von großer Bedeutung sind die Erfahrungen, die Prof. Gemelli mit stigmatisierten Personen gemacht hat. Er hat bei etwa 30 Stigmatisierten weiblichen Geschlechts, die er im Auftrag kirchlicher Behörden untersuchte, Betrug nachgewiesen. Dabei wandte er eine einfache Methode an. Er umgab die Gliedmaßen, an denen sich „Male“ befanden, mit einem versiegelten Gipsverband, der nach einigen Tagen wieder entfernt wurde. In allen Fällen war das Ergebnis dasselbe: Die verschorften Blutkrusten hatten sich abgelöst, und an die Stelle der Wundmale war eine rosa Epidermis getreten, welche die Regeneration anzeigte40. Hätte man diese Methode auch in Konnersreuth angewandt, ohne Zweifel wäre das Ergebnis nicht anders ausgefallen. Freilich, die Anwendung dieser Methode war in Konnersreuth nicht möglich; nie und nimmer hätten Therese Neumann und ihre Umgebung die Zustimmung gegeben. Und selbst wenn es zu einem Versuch gekommen wäre, das Ergebnis wäre nicht anders gewesen als damals, als Dr. Seidl im Frühjahr 1926 Wundverbände angelegt hat. Damals war die Reaktion der Stigmatisierten einmalig: Sie klagte über ungeheuer große Schmerzen; sie schrie laut auf, ja sie fiel gar in Ohnmacht. Sobald man aber die Verbände entfernt hatte, hörten die Schmerzen schlagartig auf. Diese Szene wiederholte sich regelmäßig. So war es auch beim letzten Verband, den Dr. Seidl angelegt hatte. Wiederum setzten „rasende Schmerzen“ ein. Da kam die zu Hilfe gerufene heilige Theresia und lockerte zuerst den Verband - der Arzt hatte einen Verbandwechsel ausdrücklich untersagt -; nach Beseitigung des Verbandes waren alle Schmerzen wie weggeblasen41. Natürlich haben die Verbände überhaupt keine Schmerzen verursacht. Warum Therese die Verbände nicht duldete, liegt auf der Hand: sie verhinderten eine künstliche Nachhilfe.

Unter den von Prof. Gemelli aufgesuchten stigmatisierten Personen war auch ein Mann; es war der bekannte Kapuziner Pater Pio von Pietrelcina. Der Professor hat darüber einen Bericht abgefasst, musste sich aber unter Eid verpflichten, nichts auszusagen. Ein Mitbruder des Paters, der offenbar den Inhalt gekannt hat, hat einmal den Bericht als „fürchterlich“ bezeichnet. Diese Bemerkung lässt den Inhalt erahnen; er war offenbar mindestens so negativ wie bei den anderen Stigmatisierten, die Gemelli untersucht hat. Warum darf die Öffentlichkeit den Inhalt nicht erfahren? Bei Pater Pio ist noch etwas anderes bemerkenswert, nämlich die Rückbildung der Wunden in den letzten Jahren seines Lebens. Nach seinem Tode konnte nirgends auch nur eine Spur eines Wundmales entdeckt werden. Trotzdem wurde der Pater mit Strümpfen an den Füßen und mit Handschuhen an den Händen aufgebahrt. Als Begründung dafür wurde angegeben, man wolle „einen Skandal bei den Schwachen vermeiden“42. Am 20. März 1984 wurde das Seligsprechungsverfahren eingeleitet.

7. Das Blut im Gesicht als Schauobjekt

Normalerweise gilt der Anblick von Blut nicht als besonders angenehm. Im Neumann-Haus dachte man offenbar anders. Im Gruppentagebuch der beobachtenden Schwestern vom 15. Juli 1927 ist zu lesen: „Um 4.45 Uhr wollten wir vom Gesichte Blut abwischen, aber Fräulein Neumann sagte: ,Jetzt kommt das Postauto, da kommen wieder Leute'.“

Dr. Seidl verlangte wiederholt, man solle doch das Blut im Gesicht der Therese weg waschen, aber immer vergebens. Den Aufforderungen des Arztes begegneten sowohl die Eltern wie auch Therese selber mit dem Einwand, das Entfernen des Blutes sei allzu schmerzhaft43. Aber wie konnte denn das sein? Im Gesicht der Stigmatisierten befand sich ja nie eine Wunde. Außerdem, wie hätte denn das Abwaschen mit Schmerzen verbunden gewesen sein können, solange sich Therese im ekstatischen Zustand befand, wo sie den Angaben gemäß schmerzunempfindlich war? Schließlich wurde ja später das Blut doch beseitigt, ohne Schmerzen.

Warum sich Therese Neumann nicht einmal nach Beendigung der Freitagsvisionen abwaschen lassen wollte, hat sie, wie erwähnt, selber erklärt. Sie hat sich auch gelegentlich außerhalb des Hauses den Leuten mit Blutspuren im Gesicht gezeigt. Was sie damit bezwecken wollte, liegt auf der Hand. Freilich, ob es sich dann tatsächlich um Blut handelte, ist eine andere Frage. Der Konnersreuther Benefiziat Heinrich Muth hat Therese einmal angesprochen: „Resl, heute hast du dich aber schlecht angemalt!“ Sie gab keine Antwort, sondern lief eilends davon.

8. Das Leiden Jesu und das Freitagsleiden der Therese Neumann

Nehmen wir an, die Stigmatisation sei ein Abbild des Leidens Jesu, dann hätten die einzelnen Wundmale in dieser Reihenfolge auftreten müssen: Geißelungswunden, Kopfwunden` Schulterwunde, Wunden an Händen und Füßen, Herzwunde. Bei Therese Neumann war es anders: Zuerst trat die Seitenwunde auf, nach Gerlich am 5. März 1926, nach Anni Spiegl in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar; am 26. März zeigte sich auf dem linken Handrücken ein Wundmal; die Male auf dem rechten Handrücken und an den Oberseiten der Füße entstanden am 2. April 1926; erst am Karfreitag 1927 zeigten sich die Wundmale in den Innenflächen der Hände und an den Fußsohlen. Noch später werden jene Wundmale erwähnt, die nie von einem Menschen gesehen wurden, auch nicht von solchen aus der nächsten Umgebung der Stigmatisierten: Die acht Wunden der Dornenkrönung sollen im Laufe des Jahres 1927 erschienen sein, und zwar „auf mehrere Male verteilt“; während der Fastenzeit 1929 ist erstmals von der “rechten Schulterwunde“ die Rede, und am 29. März 1929 sind angeblich Geißelungswunden aufgetreten44.

Therese Neumann hat am Karfreitag 1928 den beiden anwesenden Theologen, Domkapitular Reichenberger und Pfarrer Höfner, die Reihenfolge der jeweils blutenden Wunden erläutert: “Paßt auf, das ist so: Wenn der Heiland blutet, dann blute auch ich, und zwar an den Stellen, an denen immer der Heiland geblutet hat. Die Augen und das Herz fangen zu bluten an beim zweiten Gebet auf dem Ölberg; die Hände, wenn der Heiland gebunden; die Füße, wie der Heiland auf dem Weg vom Ölberg zur Stadt gefallen ist. Im Verlaufe des Leidens bluten dann die einzelnen Wunden nicht immer, sondern das richtet sich nach den Blutungen des Heilandes; so bluten zum Beispiel Hände und Füße bei der Kreuzigung; das Herz jetzt zum Schluß45.“ Die Angaben der Stigmatisierten stehen im Widerspruch zu den Berichten der Evangelisten. Diese wissen beispielsweise nichts davon, dass auf dem Ölberg Jesu Augen und Herz geblutet hätten; zudem trat aus Thereses Augen bereits Jahre vor ihrer Stigmatisation eine „schwach blutig gefärbte Flüssigkeit“ aus. Bemerkenswert erscheint auch, dass die Stigmatisierte dem Besucher Ennemond Boniface erzählt hat, „bei heftiger Erregung“ sei es zu „ausgiebigen Blutungen aus ihrem Herzen, aus der Seitenwunde“ gekommen46. Das hat mit dem Miterleben des Leidens Jesu nichts zu tun.

Die Freitagspassion der Therese Neumann wird als Miterleben der Ereignisse am Karfreitag in Jerusalem bezeichnet. War es das? Bedenken wir, wie Prof. Killermann die „erbaulichen“ Szenen in Konnersreuth erlebt hat. Therese beklagt sich immer wieder, ihr sei so heiß; auf dem Ölberg, so erklärte sie, sei es kälter gewesen als in ihrem Bett, wo es so heiß sei. Sie folgt angeblich Jesus auf seinem Kreuzweg; aber sie weiß dabei nicht, um was es eigentlich geht. Als von einem Anwesenden das Kreuzesholz erwähnt wird, meint sie: „Zum Einschüren ist kein Ofen da.“ Wiederholt spricht sie die Vermutung aus, der Heiland befinde sich auf dem Heimweg; dass er dem Tod entgegengeht, weiß sie nicht. Sie lernte überdies vom einen zum andern Mal nichts hinzu; auch Pfarrer Naber vermochte da nicht abzuhelfen. So hat er im Jahre 1928 nach der ekstatischen Schau der Kreuztragung und des ersten Falles unter dem Kreuz versucht, die Schauende auf die Tatsache der Kreuzigung hinzu lenken. Alle Versuche misslangen; die Seherin blieb hartnäckig dabei, „dass der liebe Heiland ja gar nicht ans Kreuz genagelt werde“47.

Am Freitag vor dem Palmsonntag 1928 war Domkapitular Dr. Reichenberger in Konnersreuth. In der Zeit zwischen 6.00 und 10.00 Uhr machte er sich einige Notizen:

Um 6.15 Uhr spricht Therese über die Frage, wer im Regensburger Bischöflichen Ordinariat für oder gegen sie sei.

Um 6.30 Uhr bezeichnet sie Dr. Martini als „gut“; von Prof. Killermann behauptet sie, er habe sich nicht recht ausgekannt, „nicht ganz“. Dann gähnt und stöhnt sie. Als Dr. Seidl eine Frage stellt, antwortet sie: „Heiß ist mir. Wer bist du? Was da schmeckt!“ - Sie hatte den Lysolgeruch bei Seidl wahrgenommen; der Arzt hatte nämlich kurz vorher eine Entbindung geleitet. Der Geruch ließ Therese keine Ruhe. Sie sagt: „Das mag ich nicht, das stinkt.“

6.40 Uhr: Therese: „Wo der Heiland da war, hat es nicht so geschmeckt. Jetzt, wo er furt ist, schmeckt es wieder. Ich vertrag es schon.“

6.45 Uhr: Sie klagt wieder über den Geruch.

7.00 Uhr: Therese: „Dem Heiland ist es schlecht geworden. Da schmeckt es; das wächst mir da hinein“; dabei zeigt sie auf ihren Mund.

7.15 Uhr: „Beim Heiland stinkt es nicht so.

7.30 Uhr: Dr. Seidl ist weggegangen; vorher hat er ihr die Hand gereicht. Therese klagt, jetzt rieche auch ihre Hand. Sie sagt: „Dem Heiland zulieb will ich dieses Zeug ertragen.

8.25 Uhr: Therese: „Da geh ich fort von dem stinkenden Zeug.“

9.00 Uhr: Sie beklagt sich über die Wissenschaft, wodurch niemand dem Heiland nahe komme; die Wissenschaft glaube nicht an Gott. Sie lobt den Regensburger Weihbischof, weil er es mit der Wissenschaft „nicht so arg“ habe; sie äußert sich gegen den verstorbenen Bischof Antonius, lobt aber seinen Nachfolger Michael Buchberger48.

Schaut so das Ergriffensein von dem aus, was die Freitagsschau geboten hat? Ähnlich muss man sich fragen, wenn man liest, wofür sich Therese interessiert, wenn sie andere Szenen visionär erlebt. Da schildert sie beispielsweise die Szene des Bethlehemitischen Kindermordes; plötzlich unterbricht sie die Schilderung, wendet sich ihrem anwesenden Neffen zu und fragt: „Hast du an Haring g'habt?“ Nach der weiteren Erörterung, ob der Neffe einen gegessen habe, geht die Schilderung des Kindermordes weiter49. Im Hinblick auf die Freitagsvisionen der Therese Neumann hat im Jahre 1927 der evangelisch-lutherische Pfarrer Simon gesagt: Vom „geistigen Gehalte des Leidens Jesu ... schweigt in Konnersreuth alles, vom Glauben, vom Gehorsam und von der Liebe Jesu - auch nicht ein Wort! Bei solchen Mängeln können wir in der intensiven Beschäftigung Thereses mit den Leidensphasen Jesu grundsätzlich nichts anderes sehen als eine religiös verbrämte Parallele zu dem Wühlen in den schauerlichen Einzelheiten gräßlicher Folterungs- und Hinrichtungsszenen, wie sie die Hintertreppenromane übelster Sorte malen50.“


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Letzte Änderung: 6. Januar 2002