Konnersreuth als Testfall

III. Stigmatisation

Die kritische Betrachtung von Therese Neumanns Krankheitsgeschichte und Heilung führte in überzeugender Weise zu der von vielen Fachleuten bestätigten Diagnose einer nosophilen Hysterie. Wie aber 1äßt sich in diesem Zusammenhang die Stigmatisation der Therese Neumann erklären? Zur Verdeutlichung dieser Fragestellung scheint hier eine kurze historische und allgemeine Einführung in das Stigmatationsproblem notwendig.

1. Allgemeines über Stigmatisierte

Zum ersten Mal sicher nachgewiesen ist die Stigmatisation in der römisch-katholischen Kirche im Jahr 1224, nämlich an Franziskus von Assisi. In der orthodoxen Kirche hat sich bis heute kein einziger Stigmatisationsfall ereignet. Seit Franziskus bis in unsere Zeit können ein paar hundert Fälle von Stigmatisierten, nachgewiesen werden. Nicht wenige sind darunter, die aufgrund ihrer Lebensführung als recht zweifelhafte Personen zu bezeichnen sind.

Bei vielen der Träger von Wundmalen sind die Stigmen auf dem Handrücken besonders ausgeprägt, obwohl man annehmen müßte, daß diese kleiner wären als die in der Handfläche. Auch bei Therese Neumann waren die Stigmen auf dem Handrücken wesentlich größer. Es fällt auf, daß die Wundmale bei Frauen fast nur im Alter zwischen 15 und 50 Jahren auftreten. Im allgemeinen stammen diese Menschen aus dem einfachen Volk und sind auffallend oft bäuerlicher Herkunft. Man spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer gewissen Veranlagung für die Stigmatisation. Bei so Veranlagten, schreibt Lhermitte, begegnet man häufig körperlichen Erscheinungen, die einen psychischen Ursprung haben.

"In zahlreichen Fällen liegt beispielsweise Taubheit, Blindheit oder .Stimmlosigkeit vor;. in anderen zeigen sich Veränderungen der Geschmacks-, Geruchs- oder Tastempfindungen, oder man findet auch Krämpfe und Phänomene einer Muskelstarre, die an Katalepsie erinnern. Schließlich erweisen sich, wie P. L. Schleyer hervorhebt, die für Wundmale Prädestinierten als Spezialisten für plötzliche Heilungen' (R. Dalbiez), die wie Wunder anmuten und sich jedenfalls durch die Psychologie nicht erklären lassen. Es gibt kaum einen Autor, der nicht überdies auf die Fieberphantasien, das "Thermometerfieber", die Schmerzen hingewiesen hätte, von denen die künftigen Mystiker angeblich geplagt sind, aber bei denen man niemals einen organischen Ursprung entdeckt. Es ist begreiflich, daß sich der Arzt, der derartiger Erscheinungen konsultiert wird, häufig ratlos zeigt, daß er unschlüssig oder allzu leichtgläubig ist, und dadurch den Patienten und seine Umgebung auf eine recht gefährliche Bahn bringt."(1)

Diese und insbesondere die dort folgenden Ausführungen Lhermittes über auffallende körperliche Erscheinungen bei Stigmatisierten lassen an Therese Neumann denken, obwohl der gelehrnte Arzt nur allgemein über das Stigmatisationsproblem spricht:

"Rätselhafte Krankheiten, anormale Erscheinungen ohne organische Ursache, plötzliche und unerwartete Heilungen, die durchaus dazu angetan sind, eine ahnungslose Umgebung in Erstaunen zu setzen, Schmerzen, die gerade in einem Augenblick auftreten, der besonders geeignet erscheint, um der Umgebung etwas abzunötigen - so sehen die typischen Merkmale aus, die die Kandidaten für die leibliche Stigmatisation auszeichnen."(2)

Viel mit dem Stigmatisationsproblem hat sich der Jesuitenpater Herbert Thurston beschäftigt. Er glaubt, daß das Beispiel des hl. Franziskus bei anderen einen "Kreuzigungskomplex" herbeigeführt habe.

"Seitdem den Beschaulichen die Überzeugung beigebracht worden, daß die Möglichkeit einer physischen Gleichförmigkeit mit dem Leiden des Herrn durch Anbringung seiner Wundmale in Händen, Füßen und Seite bestehe, da nahm in den Gemütern vieler die Idee dieser Art von Vereinigung mit ihrem göttlichen Meister Gestalt an. Es entstand in der Tat eine fromme Besessenheit, so sehr, daß bei einigen besonders empfänglichen Personen die in Geist und Gemüt aufgenommene Idee sich im Fleischverwirklichte. Wenn die soeben gemachte Annahme wohl begründet sein sollte, dann dürften und sollten wir erwarten, daß die Veräußerlichung des "Kreuzigungskomplexes" in ihrem Auftretungsgrad stark wechseln weide, je nach der Suggestibilität der einzelnen Persönlichkeit. Das trifft nun aber tatsächlich und wirklich zu. Es ist bemerkenswert, daß in sehr vielen Fällen die Ausbildung (der Stigmen) nicht irgend weiter geht als bis zu einer gewissen tiefen Rötung der Haut oder zur Bildung von etwas, was einer Blutblase ähnelt an jeder der Wundstellen. Es ist desgleichen bemerkenswert, daß die Form und Lage dieser Wunden oder dieser Male stark wechselt. In einigen Fällen befindet sich die Seitenwunde rechts, in anderen Fällen links. Manches Mal haben wir eine runde Öffnung, zu anderen Malen einen großen Schnitt, wieder einmal eine halbmondförmig gestaltete Wunde, Als Gemma Galgani die Geißelungsmale an ihrem Körper vorwies, Male, die überreich bluteten, daentsprachen, wie berichtet wird, diese Wunden in Größe und Lage den Wunden, wie sie dargestellt sind auf einem großen Kruzifix, vor welchem sie zu beten pflegte. Als Anna Catherina Emmerich erstmals ausgezeichnet wurde mit einem Kreuz auf ihrer Brust, geschah dies mit einem Y-artigen Kreuz, in Wiedergabe der Form eines Kruzifixes zu Coesfeld, zu welchem sie in ihrer Kindheit große Verehrung gehabt hatte. Alle diese Dinge scheinen mehr für eine autosuggestive Wirkung zu sprechen als für die Verursachung durch eine äußere Ursache irgendwelchen Art....Nun gibt es, während im Laufe der letzten sieben Jahrhunderte eine unermeßliche Zahl weiblicher Mystikerinnen sich findet, bei denen eine vollendete Stigmatisation nicht bezweifelt werden kann, nur zwei ganz klare Fälle von Männern, welche sichtbar ausgezeichnet waren mit allen fünf Wunden [der hl. Franziskus und Pater Pio von Foggia - D.V.]. Überdies wissen wir auch nichts von einer periodischen Blutung von aufeinanderfolgenden Feiertagen, so wie das bei stigmatisierten Frauen gewöhnlich ist. Die natürliche Folge scheint zu sein, daß nicht eine ungewöhnliche Tugend auf den Empfang der Wundmale vorbereitet , sondern irgendeine Form nervöser Empfänglichkeit, die sich bei Frauen öfter findet als beim Mann. Physisch gesund Heilige...wurden nicht begnadigt, obwohl die Andacht zum Leiden unseres Herrn und der innige Wunsch nach Leiden bei ihnen offensichtlich war. Dagegen sind nicht wenige fromme Frauen, die aber nicht heilig gesprochen worden sind, und deren Geschichte hindeutet auf ein gewisses Übermaß von Empfindlichkeit, so ausgezeichnet worden, und haben periodisch die Leidenszeit wiederholt, wobei sie aus ihren fünf Wunden bluteten. Soweit unsere Berichte aufbewahrt sind über die Vorgeschichte sigmatiesierter Personen, läßt sich behaupten, daß es kaum einen einzigen Fall gibt, in dem nicht eine der Stigmatisation vorangehende Nervenstörung offensichtlich ist....Es ist einfach eine Frage der pathologischen Veranlagung."(3)

2. Blutungen bei Therese Neumann vor der Stigmatisation

Beachtenswert erscheint eine Angabe, die in einigen Büchern nur nebenbei gemacht wird: daß Therese Ncumann schon lange vor der Stigmatisation, vor allem aus den Augen, geblutet hat. So erzählt sie selber dem Pfarrer Leopold Witt(1), schon um die Wende 1923 auf 1924 hätten ihre Augen geblutet:

"Doch kam das Blut selten und nur tropfenweise aus den Augen, während es jetzt an den Freitagen mehr oder minder stark aus den Augen tritt. Dieses Bluten aus den Augen habe ich damals nicht weiter beachtet. Auch der mich behandelnde Arzt hat sich nicht weiter darüber geäußert."

Pfarrer Naber sagt sogar:

"Ein Jahr lang war ihr infolge eines Kopfgeschwüres das Blut aus beiden Augen und dem rechten Ohr gelaufen."(2)

In einem am 7. November 1924 geschriebenen Brief spricht Therese wiederholt von Blutaustritt aus den Augen. Einmal sagt sie, ihre Augen seien "vom vielen Bluten ganz zugeklebt" gewesen. Später schildert sie ein Geschwür im Kopf und fährt dann fort: "Meine Augen brennen ganz. Immer die Schärfe von dem Blut, da werden die Lider ganz offen, denn die Wunde ist noch nicht geheilt. Die Augen bluten ständig ein bißchen, insbesondere wenn ich den Kopf im geringsten bewege." Dann spricht sie ganz allgemein vom Blutverlust, der einen Wechsel der Bettwäsche "wegen dem Bluten" notwendig mache. Sie klagt über Herzbeschwerden, die nach dem Urteil des Arztes auf den "viel Blutverlust" zurückzuführen sein. Die Mutter sei "wegen dem Bluten" Tag und Nacht an das Bett der Tochter gebunden gewesen; offenbar haben nicht bloß die Augen geblutet. Auch im Jahr 1925 dauerten die Blutungen an, wie Therese in einem Brief vom 16. Juni berichtet. Sie spricht zunächst von der durch die hl. Theresia erhaltene Hilfe und fährt dann fort: "Aber gesund bin ich noch nicht, weißt, das andere Leiden, das vom Blut herkommt , ist mir geblieben."(3) Dr. Seidl weiß von der Neigung der Therese Neumann zu Blutungen aus den Ohren und aus dem Hals bereits während der Zeit der Lähmung.(4)

Vom Blutaustritt aus den Augen ist noch einmal die Rede zu Beginn des Jahres 1926, also unmittelbar vor dem Auftreten der ersten Wundmale. In dieser Zeit begannen die Augen der Kranken blutfarbiges, eitriges Serum abzusondern. Um den 16. Februar 1926 herum wurde

Dr. Seidl gerufen, weil sich das Befinden der Kranken verschlimmert hatte. "Sie klagte über heftige Kopfschmerzen und über allgemeines Krankheitsgefühl." Bei einem weiteren Besuch konnte der Arzt "dies Ausfließen einer schwach blutig gefärbten Flüssigkeit aus den Augen" beobachten. Dazu bemerkt Hilda Graef: "Eine nicht unbekannte Erscheinung bei Frauen, deren normale Periode unterbrochen ist."(5)

Über die später auftretenden Blutungen aus den Augen und den "Wunden" wurde Dr. Seidl weder durch den Pfarrer noch durch die Eltern der Therese verständigt; er wurde auch nicht über die Ereignisse am Karfreitag 1926 informiert, obwohl Therese an diesem Tage mit den Sterbesakramenten versehen wurde. Erst später erfuhr er von den Vorgängen. Seit Karfreitag 1926 sickerte zunächst ständig Blut ab; erst einige Wochen nach Ostern - eine genaue Angabe vermochte Therese selber nicht zu geben - hörte das Bluten auf und erfolgte dann nur noch an den Feiertagen.(6)

Diese Tatsache erscheint wichtig, daß Therese Neumann bereits seit Jahren, insbesondere aus den Augen, Blut abgesondert hat, bevor sich die Wundmale bildeten.

3. Die Wundmale bei Therese Neumann

Während beispielsweise beim hl. Franziskus die Wundmale alle insgesamt zur selben Zeit vorhanden waren, stellten sie sich bei Therese Neumann erst in längeren Zeitabschnitten ein. Auffallenderweise findet man in den einzelnen Konnersreuther Schriften keine übereinstimmenden Zeitangaben.

Zuerst trat die Seitenwunde auf. Nach Gerlich geschah dies am 5. März 1926; Anni Spiegl nennt die Nacht vom 25. auf den 26. Februar. Während einer Ekstase verspürte Therese auf der linken Seite plötzlich einen so durchdringenden Schmerz, daß sie glaubte, daran sterben zu müssen: "Es war, als hätte ein Messer ihre Seite durchbohrt und sich ins Herz gestoßen." Blut begann reichlich zu fließen, und aus der Ekstase erwacht, hatte Therese keine Ahnung von dem Wundmal. Sie glaubte vielmehr an eine nette, zusätzliche Erkrankung, da sie in dieser Zeit schwer leidend war. Um die Eltern nicht zu erschrecken, suchte sie vor ihnen die Wunde zu verbergen; nur ihre Schwester Kreszentia wurde in das Geheimnis eingeweiht.

Widersprüchlich sind auch die Angaben über die Entstehung der Wundmale an Händen und Füßen. Steiner schreibt in Übereinstimmung mit Gerlich, am 26. März 1926 habe sich das zweite Wundmal gezeigt, und zwar auf dem linken Handrücken; die Male auf dem rechten Handrücken und an den Oberseiten der Füße seien erst am 2. April entstanden. Im Widerspruch dazu lassen andere Biographen die Stigmata an Händen und Füßen zur selben Zeit auftreten, aber dafür an verschiedenen Tagen. Staudinger nennt den 5. März 1926, Boniface den 13 März, Fahsel den 26. März und Grabinski den 2. April. Die widersprüchlichen Zeitangaben überraschen, zumal die einzelnen Berichterstatter die Gelegenheit wahrgenommen haben, in Konnersreuth unmittelbar Aufschluß einzuholen. Verwirrender wird die Sache noch, wenn man zwei weitere Aussagen mit heranzieht, die Therese anderen Biographen gemacht hat. Zu Pfarrer Wirt sagt sie: "Es gelang mir bis zum Gründonnerstag, die Seitenwunde (die anderen Wunden hatte ich noch nicht) vor den Eltern zu verbergen." Teodorowicz erfährt von ihr, zuerst habe sie die Herzwunde erhalten, später erst die übrigen Stigmen: "Wann ich sie genau bekommen habe, weiß ich selbst nicht. Am Karfreitag abends waren sie einfach da." Als Therese am

15. Januar 1953 in Eichstätt endlich vernommen wurde, wußte sie jedoch ganz genau den Zeitpunkt der Ausbildung ihrer Hand- und Fußwunden anzugeben, nämlich den Karfreitag 1926.

Einig sind sich die Biographen darüber, daß die Wundmale in den Innenflächen der Hände und an den Fußsohlen am Karfreitag. des Jahres 1927 aufgetreten seien. Nur Therese selbermachte den sie verhörenden Eichstätter Professoren andere Angaben: "An einem Freitag desselben Jahres gingen die Wundmale durch die Hände; das genaue Datum weiß ich nicht mehr." Am Karfreitag, ihrer Meinung nach im Jahr 1927, hätten die Wundmale eine viereckige Form angenommen, und zwar sowohl an den Händen wie an den Füßen. Auch diese Auskunft ist unrichtig. Wie verschiedene Beobachter in späteren Jahren bezeugen, waren die Wunden rund. So schreibt Dr. Gemelli nach seinem Besuch in Konnersreuth während der Fastenzeit 1928: "Sie sind rund und groß wie eine kleine Münze auf dem Handrücken, etwas länglich und viel kleiner auf der Handfläche." - Zu beachten ist, daß in der Karwoche 1926 nicht bloß die Wunden Blut abgesondert haben; am Karsamstag "floß aus dem rechten Ohr eine Portion Eiter und Blut"(1)

Wie einmal Therese Neumann selber versicherte, war im Gegensatz zur Seitenwunde jedes andere Stigma nur oberflächlich ausgeprägt, die zwei Wundmale an Händen und Füßen standen nicht miteinander in Verbindung, Sie sagt darüber:

"In den Händen und Füßen ist es mir, als wenn etwas drinnen stecken würde. Die Seitenwunde scheint mir wohl auch eine Herzwunde zu sein. Jedes Wort, das ich plaudere, spüre ich. Wenn ich bei angestrengtem Sprechen oder bei raschem Gehen tiefer Atem hole, empfinde ich es im Herzen wie einen stechenden Schmerz. Wenn ich mich ruhiger verhalte, merke ich weniger davon."(2)

Einmal will Therese während einer Ekstase geschaut haben, daß die Brustwunde "durch ihr ganzes Herz durchging."(3)

Über die Entstehung der Seitenwunde bereitete sie unter Eid zwei Eichstätter Professoren: Als der Heiland auf dem Ölberg sie liebevoll angeblickt habe, sei es ihr gewesen, "wie wenn man mit einem scharfen Gegenstände von der rechten Seite auf die linke Seite durchs Herz sticht und dann ihn wieder zurückzieht."(4) Therese hatte aber die Wunde nicht auf der rechten Seite.

Die Stigmen auf dem Handrücken warn wesentlich größer als die an den Handtellern; hier waren sie etwa linsengroß. Die Angaben sind allerdings nicht einheitlich. Wie Boniface(5) schreibt, konnte man sie nur schwer beobachten, da sie genau im Schnittpunkt der beiden Hauptlinien lagen.

Bis zum Karfreitag, dem 2. April 1926, erfuhr außer Thereses Schwester Kreszentia niemand etwas von der Brustwunde. Erst am Karsamstag wurden die Eltern auf die Stigmata aufmerksam und machten dann dem Pfarrer davon Mitteilung. Nach Boniface soll Therese, nachdem sie auch die Hand- und Fußwunden bemerkte, nichts davon geahnt haben, daß es sich um Stigmata handelte; sie hätte von solchen Dingen überhaupt nichts gewußt. Ja, er versichert sogar:

"Am Karfreitag I1927 (15. April) empfing sie unter denselben Umständen die Wundmale an den Innenflächen der Hände und Füße, immer noch zu ihrem großen Erstaunen; niemand sagte ihr, um was es sich eigentlich handelte."

In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1926, also vom Fest Christi Himmelfahrt auf den folgenden Freitag, weilte Dr. Seidl in Konnersreuth, um die Entstehung der Blutungen beobachten zu können; aber da sonderten Hände und Füße kein Blut ab. Als Dr. Seidl bei seinem ersten Besuch seit Einsetzen der Blutungen die über den Handwunden gelegten und mit den Wunden verklebten Leinwandflecken entfernen wollte, sagte Therese: Das machen wir einfach so", und riß den Fleck herunter, Selbstverständlich bluteten dann die Wunden, Dr., Seidl meint dazu: Ganze machte auf mich einen unangenehmen, peinlichen Eindruck."(6)

Wie Boniface angibt, erschienen im Laufe des Jahres 1927, "auf mehrere Male verteilt", acht Wundmale der Dornenkrone. Staudinger wiederum erklärt, diese Stigmen hätten sich bereits im November 1926 gebildet, nämlich am 19. November. Wie diese Kopfwunden ausgesehen haben, vermag niemand zu sagen.. Gemelli z. B, der die behaarte Kopfhaut untersuchte, vermochte keine Veränderung wahrzunehmen. Offenbar hat die Kopfwunden niemand gesehen. Am 19. Dezember 1930 machte Pfarrer Naber den Nuntiaturrat Dr. Brunelli auf die Blutflecken aufmerksam, die sich auf dem Kopftuch der Stigmatisierten zeigten, und bemerkte: "Sehen Sie, hier sind die acht Flecken, denn Therese hat auch auf dem Kopf acht Wunden." Brunelli fragte: "Kann man sie sehen?" ALS Antwort erhielt er die Auskunft: "Sie sind klein, auch ich habe sie niemals gesehen."(7) Das ist eine unbegreifliche Antwort, da doch Therese Neumann selber die Kopfwunden als "Dauerwundmale" bezeichnet hat. Als sie am 15. Januar 1953 in Eichstätt endlich vernommen wurde, erklärte sie: "Ich bemerke noch, daß im selben Jahr (1926) als Dauerwundmale zu den bisher erwähnten noch Kopfwundmale auf gleiche Weise wie die anderen hinzukamen. (Blick des Heilands bei der Dornenkrönung)."(8) Prof. Dr. Gemelli hat bei der Untersuchung der Kopfhaut nicht Spur von Dauerwunden entdeckt. Dabei soll eben diese Wunden an den Freitagen so außerordentlich viel Blut abgesondert haben, daß es durch die Haare hindurch das Kopftuch durchtränkte!

Nach dem erstmaligen Auftreten der Blutungen im Jahr 1926 sickerte das Blut beständig ab. Erst einige Wochen nach Ostern - eine genaue Angabe wußte Therese dem behandelnden Arzt nicht zu erteilen - traten die Blutungen ausschließlich an den Freitagen auf. Im ersten Jahr dauerten die Blutungen die Osterzeit hindurch; auch stellte sich an den Freitagen die Passion ein, "wenn auch nicht in ganz gleich starker Weise."(9) In den folgenden Jahren war gerade diese Zeit frei von Freitagsekstasen, und außerhalb der Fastenzeit bluteten dann nur noch die Augen und die Brust.

Zu den genannten Stigmen erhielt Therese Neumann noch während der Fastenzeit 1929 auf der rechten Schulter das breite Wundmal der Kreuztragung und am Karfreitag 1929, am 29. März, zum erstenmal die Stigmen der Geißelung, die sich seither jedesmal zum gleichen Zeitpunkt wieder einstellten. An diesem Tag blutete Therese am ganzen Leib. "Ihr ganzer Körper", schreibt Boniface(10), "ist an diesem Tag von roten, erhabenen und blutenden Striemen gestreift, und am Abend müssen diejenigen, die sie pflegen, ihr mit unendlicher Vorsicht das am Körper klebende Hemd abnehmen." Ein ärztliches Gutachten über Geißelwunden ist nicht bekannt.

Anfangs waren die Wunden offen und klaffend. Dr. Seidl verordnete zur Ausheilung essigsaure Tonerdesalbe und legte Verbände an. Aber je eifriger er sich um die Heilung der Wunden bemühte, um so mehr vermehrten sich die Schmerzen. Hände und Füße schwollen an. Die Pein wurde so unerträglich, daß Therese wiederholt aufschrie und in Ohnmacht fiel. Entfernte man aber die Verbände, dann hörten die Schmerzen schlagartig auf. Da der Arzt nicht helfen konnte, betete Therese zur hl. Theresia von Lisieux um Hilfe. Und siehe, nach Abnahme des Verbandes verschwinden die Schmerzen; es hatte sich inzwischen zum erstenmal über den Wunden angeblich ein durchsichtiges Häutchen gebildet. Offenbar waren die Verbände doch nicht umsonst.

Am 15. Januar 1953 wurde Therese in Eichstätt unter Eid gefragt, wie sie sich nach Empfang der Wundmale verhalten habe. Sie gab zur Antwort:

"Ich ließ die Wundmale durch meine Schwester Kreszentia, wie eben andere Wunden auch, verbinden, verlangte von ihr, zu niemand davon zu sprechen und tat im übrigen alles Erdenkliche, um die Wundmale zu verbergen. Ich nahm ja ohnehin an, daß die Wundmale wieder verschwänden. Daher verwandte ich und auch meine Mutter verschiedene Hausmittel (gehackte Begonien- und Geranienblätter; Borsalbe, Ringelblumensalbe, von der Mutter verfertigt). Natürlich konnte ich auf die Dauer nicht verhüten, daß meine Mutter, die bei mir im Zimmer schlief, und durch sie der H. H. Pfarrer, der Vater und meine Angehörigen doch die Wundmale bemerkten."

Wie konnte die Mutter nichts von den Wundmalen wissen, wenn sie selber die Hausmittel angewandt hat? Davon, daß Hausmittel verwendet wurden, ist sonst nie die Rede. Im Brief vom 4. Mai 1926 an den Bischof von Regensburg"(11) erwähnt der Pfarrer nichts davon; er spricht lediglich von den Verbänden, die Dr. Seidl zu wiederholten Malen angelegt hat. Nur stellt er es so dar, als ob die hl. Theresia den letzten Verband gelockert hätte.

Eine weitere Frage beim Verhör in Eichstätt lautete: "Haben Sie etwas getan, um eine Heilung oder Veränderung der Wundmale zu verhindern?" Therese antwortete:

"Ich habe das Gegenteil getan; auch durch unseren Hausarzt, Dr. Seidl, wurden Heilungsversuche unternommen, die mir große Schmerzen und Anschwellung der ganzen Hände und Füße bereiteten. Als ich mir, gar nicht mehr helfen konnte, bestürmte ich in dieser Nacht, d. h. nach dem Auflegen der Heilsalbe des Arztes und der Verbindung der Wundmale durch ihn, die kleine hl. Theresia, die ich seit 1917 sehr verehrte, mir doch zu helfen bei der Heilung der Wunden oder mir doch Erleichterung und Rat werden zu lassen. Der Arzt hatte nämlich den Verbandwechsel verboten, wozu die Umgebung mich anstiftete. Die angerufene Heilige brachte mir Erleichterung: Die Geschwulst ging zurück, über den bis dahin feuchten Wundstellen hatte sich, wie man gleich nach Wegnahme des nunmehr locker gewordenen Verbandes feststellen konnte, ein gelatineartiges Häutchen gebildet."

Seltsam, daß die Hausmittel keine Schmerzen bereiteten; die Heilsalbe des Arztes hingegen hatte unerträgliche Pein sowie Schwellung der Hände und Füße zur Folge!

Im Gutachten vom 20. Mai 1928 schreibt P. Gemelli:

"Ich habe auch die behaarte Kopfhaut untersucht und auch dort habe ich keine Veränderung wahrgenommen. Ich habe die "Stigmata" an den Händen aufmerksam beobachtet. Sie sind rund und groß wie eine kleine Münze auf dem Handrücken, etwas länglich und viel kleiner auf der Handfläche; sie scheinen mit einem ziemlich dichten Blutgerinnsel bedeckt zu sein; ich habe gar nicht die Häutchen' bemerkt, die Ewald gesehen haben will; ja, meiner Ansicht nach, scheint mir eine solche Behauptung sehr zweifelhaft zu sein; ich glaube, man könne nicht denken, wie Ewald zu glauben scheint, daß auf den "Stigmata" der Therese Neumann ein Hautgewebe sich befindet, die durch geronnenes Blut bedeckt worden ist. Ich glaube im Gegenteil, daß besonders auf der Rückseite eine wahre mit Gerinnsel angefüllte Aushöhlung da ist, denn die Oberfläche des Gerinnsels springt nicht vor (wie nach Walds Behauptungen der Fall sein soll), sondern liegt mit dem Handrücken auf einem und demselben Niveau. Ich kann nicht sagen, wie tief die Aushöhlung ist; die Ränder sind leicht geneigt und mit sehr spärlichem Granulationsgewebe bedeckt. An den Rändern der Stigmata habe ich ein Narbengewebe beobachtet, das sich seit ziemlich kurzer Zeit gebildet hat. Sie sind absolut nicht schmerzhaft, was man auch beobachten kann, wenn man langsam die lückenhaften Stellen drückt."(12)

Der Hinweis auf das frische Narbengewebe ist wichtig; solch ein Hautgewebe bildet sich nach Verletzungen.

Im Gegensatz zu Gemelli behaupten andere, die Wundmale seien sehr schmerzempfindlich gewesen. Therese soll lange Zeit gebraucht haben, bis sie es fertig brachte, trotz durchdringender Schmerzen sich ihrer Hände zu bedienen.

Ganz so schlimm können jedoch die Schmerzen nicht gewesen sein, wie sich Dr., Ewald vergewissern konnte. Er bezweifelte die Glaubwürdigkeit der Berichte; darum strich er wiederholt kräftig drückend über die Wundmale an den Händen indem er suggestiv sagte: Wenn ich so leicht darüber streiche, dann tut es doch nicht weh; weh tut es doch erst beim Drücken." Therese bestätigte sofort, keine Schmerzen zu verspüren."(13)

P. Staudinger" schreibt, Therese habe durch die Wundmale an Händen und Füßen sehr große Pein ertragen müssen; deshalb habe sie die Tür nicht mit der Hand geöffnet, sondern mit dem Ellenbogen; sie sei aus dem gleichen Grund nicht mit dem ganzen Fuße aufgetreten, sondern nur mit der Ferse. Aber vermutlich war es nicht so schlimm, denn wenn Therese sich unbeobachtet glaubte oder wenn sie einfach vergaß, auf den Fersen zu humpeln, dann vermochte sie ganz normal zu laufen. Davon konnte sich eine Besucherin aus Breslau, M. Hartmann, mit eigenen Augen überzeugen. In der Himmelfahrtsoktav 1938 traf ein Auto mit etwa 25 Pilgern in Konnersreuth ein. Pfarrer Naber führte die Gruppe zu einem neu erbauten Saal. In einer der letzten Reihen schritt Therese Neumann, von zwei Pilgern mit den Armen gestützt, und humpelte mühsam, auf den Fersen gehend, in den Saal. Etwa zwei Stunden später sah Frau Hartmann Therese aus ihrem Hause kommen: Sie "sprang mehr .als sie lief, leichtfüßig wie eine Katze über die Straße zum Pfarrhaus". Frau Hartmann äußerte ihre Verwunderung über dieses Erlebnis gegenüber dem Gastwirt, bei dem sie übernachtete. Dieser gab zur Antwort: "Die kann besser laufen als Sie."

Im Jahr 1933 weilte Therese Neumann zu Besuch in Landstuhl bei Schwestern, die ein Waisenhaus betreuten. Am Abend hatte man bereits die Kinder ins Bett geschickt. Therese aber wollte diese sehen, "und eins, zwei, drei war sie (die Treppen hinauf) zu den Schlafsälen der Kleinsten, obwohl sie sonst, der Fußwunden wegen, sehr schlecht gehen kann". - Eines Tages machte sie am selben Ort mit der Provinzialoberin einen kleinen Spaziergang durch das am Haus gelegene Wäldchen. Dabei hatte sie es so eilig, daß die Oberin fragte: "Warum laufen Sie so?" Therese antwortete, der Waldboden täte ihr so wohl an den Füßen -. Sehr schmerzempfindlich können demnach die Wunden nicht gewesen sein.

Auch P. Staudinger gibt an, die Wundmale seien so gewesen, daß Therese bloß mit dem Ellenbogen die Türe ,geöffnet habe. Wie aber hätte da Therese im Stall, im Garten und auf dem Feld saugen können wie die stärkste Bauernmagd?, Jedenfalls behauptet dies Boniface. Auch Dr. Witry widerlegt die Behauptung Staudingers, wenn er schreibt: "Ich hatte Therese in ihrem kleinen Gärtchen herumhantieren sehen. Sie lockerte den Boden und besorgte ihre Blumen, ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen für die Stigmata getroffen zu haben."(16)

Nachdenklich stimmt auch ein Eintrag im Gruppen-Tagebuch der beobachtenden Schwestern vom Freitag nachmittag, dem 15. Juli 1927: "Um ¾ 5 Uhr wollten wir vom Gesichte Blut abwaschen, aber Frl. Neumann sagte: "Jetzt kommt das Postauto, da kommen wieder Leute." - Therese hätte sich also gern den Besuchern mit blutigem Gesicht vorgestellt.

Dr. Seidl verlangte zwar wiederholt, man solle doch das Blut im Gesicht der Therese wegwischen, da man ja sonst Blut wegzuwaschen pflegte, aber immer vergeblich! Die Blutkrusten wurden nicht beseitigt, der Wirkung auf die Zuschauer wegen.

Den Aufforderungen des Arztes begegneten sowohl die Eltern wie auch Therese selber mit dem Einwand, das Entfernen des Blutes sei zu schmerzhaft. Dazu Dr. Seidl: "Nun kann ich nicht einsehen, warum des Wegwischen des Blutes von den Wangen, an denen ja keine Wundstelle sich befindet, schmerzhaft sein soll. Noch weniger verständlich aber erscheint es mir, wie dies so schmerzhaft sein soll während einer echten Ekstase." Der Hinweis auf Schmerzhaftigkeit vermag kaum zu überzeugen, da Therese es ja auch nicht als allzu schmerzhaft empfand, als sie in Gegenwart des Arztes die Verbände von den Wunden herunterriß und sie zum Bluten brachte.

4. Die Passionstage

Blutungen und Wundmale der Stigmatisierten von Konnersreuth stehen in einem wesentlichen Zusammenhang mit ihren Leidenstagen, die gewöhnlich mit dem Freitag zusammenfielen. So erscheint auch die Erörterung der Frage wichtig: An welchen Freitagen hatte Therese Neumann ihre Ekstasen, die vom Bluten der Wunden begleitet waren? Hynek teilt mit, die Leidensekstasen seien vom Beginn des Advents bis zum Sonntag Septuagesima und von Ostern bis Christi Himmelfahrt ausgeblieben; sie seien auch nicht eingetreten, wenn auf den Freitag ein Feiertag oder eine kirchliche, freudige Gedenkfeier fiel. Zu den freien Tagen zählten beispielsweise auch die Apostel- und Marienfeste(l). Daß jedoch von einer Regelmäßigkeit der Leidensekstasen nicht gesprochen werden kann, zeigt die Tatsache, daß Therese 25. März 1927, dem Feste Mariä Verkündigung, einem Freitag, das ganze Leiden miterlebt hat(2). Das gleiche gilt für des Fest des hl. Apostels Thomas im Jahr 1928(2). Wie das Fest selbst, soll auch der Freitag während der folgenden Oktavleidens frei geblieben sein. Dennoch läßt sich keine zuverlässige Regelmäßigkeit feststellen. Am Oktavttag von Peter und Paul 1929 brauchte beispielsweise Therese nicht zu leiden, wohl aber stellte sich die Passion zwei Jahre zuvor am Tag nach dem Fest Christi Himmelfahrt ein.

Nach Franz Huber(4), der in der näheren Zeitangabe von Hynek erheblich abweicht, hat sich erst im Laufe der Jahre eine Regelmäßigkeit herausgebildet. Seit dem Karfreitag 1926 sollen die ,Passionen "mit Unterbrechungen" "unregelmäßig und darum unberechenbar" aufgetreten sein. Seit dem 30. September 1926 habe Therese Neumann die Passion jeden Freitag geschaut. Unregelmäßig hätten auch in den ersten beiden Jahren die verschiedenen Wundmale geblutet; nur an den Freitagen der Fastenzeit sei Blut ausgetreten. Von Christi Himmelfahrt an bis zur Karwoche des Jahres 1927 seien die Blutungen in Händen und Füßen ausgeblieben und nur die Augen sowie die Herzwunde hätten Blut abgesondert. Mit der Zeit habe sich jedoch eine erkennbare Gesetzmäßigkeit im Auftreten der Passion herausgebildet. Im Unterschied zu Hynek gibt Huber an, die Passion sei an den Freitagen von Weihnachten bis zur Fastenzeit und von Ostern bis zum Herz-Jesu-Fest ausgefallen.

Derselbe Autor spricht noch von einer weiteren Pause:

"Am 19. August 1927 blieb gegen alle Erwartung die Passion das erstemal aus, und in den folgenden Jahren hat es sich gezeigt, daß sie jeweils etliche Wochen im August und September ausfiel, mit einer solchen Regelmäßigkeit, daß diese zur Wahrscheinlichkeit wurde und es erlaubten mit ziemlichem Verlaß darauf Dispositionen zu treffen, die sich bei Passionen schwerlich und nur umständlich hätten treffen lassen: eine Ortsveränderung vorzunehmen; bei der Schwester, die in Eichstätt den Haushalt des Professors Wutz führte, einen Besuch von vier bis sechs Wochen zu machen, eine Fahrt zu unternehmen zu reden, die eingeladen hatten; im Auto des Professors Wutz oder des Dr. Gerlich eine Tour durch eine schöne Gegend des Bayernlandes zu machen."(5)

Diese Angabe Hubers stimmt nicht ganz. Am 19. August 1927 1,began die gewohnte Passion ungefähr um 1 Uhr, brach aber dann plötzlich nach etwa einstündiger Dauer ab. Als Grund wurde .angegeben, dieser Freitag falle in die Oktav von Mariä Himmelfahrt.(6)

Offenbar war dies Therese etwas verspätet eingefallen.

Die Spätsommerpause wurde allem Anschein nach dann eingelegt, wenn Therese zu verreisen beabsichtigte. Jedenfalls läßt ",sie sich für das Jahr 1928 noch nicht feststellen. In dieser Zeit trafen nämlich mehrmals an Freitagen Bischöfe in Konnersreuth ein, die Zeugen der Ekstasen waren. Das war der Fall am 24. August, als Kardinal Faulhaber anwesend war; ebenso in den beiden folgenden Freitagen, jedesmal, wenn sich Bischöfe in Konnersreuth aufhielten. Auch am 21. September hatte Therese die üblichen Ekstasen. Die Spätsommerpause läßt sich auch nicht für das Jahr 1929 nachweisen; in dieser Zeit stellte sich die Passion in gewohnter Weise ein. Das gleiche gilt für den August und September 1930; sogar am Oktavtag vom Fest Mariä Namen mußte Therese leiden. Nicht anders war es im Spätsommer 1932 und 1933; am

26. August und am 2. September 1932 stellten sich die Freitagsleiden ein, ebenso am 25. August 1933.

Auch die Angabe für die Pause im Advent stimmt nicht. Am Freitag, dem 23. Dezember 1927, stellten sich die Ekstasen ein, als der amerikanische Bischof Schrembs zugegen war. Am

21.Dezember 1928, im Advent 1930 und 1931 fielen die Freitagsleiden nicht aus(7). Das sind nur einige Beweise dafür, daß die Angaben, wie so oft, sehr unzuverlässig sind.

Therese brauchte auch dann nicht zu leiden, wenn sie irgendein Vorhaben ausführen wollte, Im September 1934 begann sie eine längere Reise, die sie auch in die Schweiz führte, Am

19. September machte das Konnersreuther Sonntagsblatt darauf aufmerksam, daß Therese zwei bis drei Monate lang abwesend sein werde. Im Jahre 1936 stellte sich nach einer längeren Pause2. Oktober, wie erwartet die Passionsekstase wieder ein. Am Morgen des folgenden Tages war Therese bereits so gekräftigt, daß sie nach der Frühmesse mit zwei Brüdern und mit Pfarrer Naber eine Fahrt antreten konnte, die sie nach Österreich und in die Schweiz führte. Während am 18. Oktober Pfarrer Naber nach Konnersreuth zurückkehrte, zog sich Therese für ein paar Wochen in einen ruhigen abgeschiedenen Erdwinkel zurück, wo sie gerne gesehen und vor Belästigungen und Besuchern sicher war."(8) Demnach sind die Freitagsekstasen auch im Oktober ausgefallen; denn - abgesehen von zwei Ausnahmen - wurde Therese außerhalb von Konnersreuth nicht von der Passion "überrascht". Die Beispiele zeigen, daß von einer regelmäßigen Pause in keiner Weise die Rede sein kann. Also läßt sich folgern: Die Stigmatisierte vermochte sehr wohl die Passionsekstasen zu steuern, das heißt, sie selber bestimmte, wann sie ihre Ekstasen haben wollte und wann sei auszufallen hatten. Wie Steiner bemerkt, unterblieben die Freitagsekstasen am Laurentiusfest, aber nur dann, wenn Therese in Konnersreuth weilte - die Pfarrkirche hat den hl. Laurentius zum Patron. Die Passion fiel aus am Fest des hl. Wolfgang, wenn Therese sich in der Regensburger Diözese aufhielt. "Da sie hierfür keine Erfahrung hatte, wurde sie zweimal im Leben auswärts vom

Leiden überrascht, weil sie mit Freiheit für den nächsten Freitag gerechnet und deshalb auswärtige Besuche angesetzt hatte. Der eine Fall ereignete sich im Schloß Zeil, der andere in -

Eichstätt." - Die Begründung für die zwei Ausnahmen ist nicht einleuchtend. Dieser aber wußte, daß beispielsweise das Fest des hl. Wolfgang weder in Eichstätt noch in Zeil gefeiert wird. Ebenso war ihm wie sicher auch Therese Neumann bekannt, daß ein Kirchenpatrozinium nur für den Bereich der Pfarrei gilt. Außerdem kam es auch sonst wiederholt vor, daß die Passion ausblieb, allerdings nach vorheriger Ankündigung durch die "Stimme".

Das Datum für den Eichstätter Fall kennen wir, nämlich das Wolfgangsfest 1941. Der zweite Termin, an dem Therese vom Leiden "überrascht" worden ist, müßte demnach das Laurentiusfest gewesen sein; als Ort könnte nur Zeil in Frage kommen, Aber hier erhebt sich wiederum eine Schwierigkeit. Das Fest des hl. Laurentius stand vor der Reform des liturgischen Kalenders durch Papst Johannes XXIII. allgemein im Rang höher als das Fest der Mutter Anna oder des Apostels Jakobus. An diesen Tagen brauchte normalerweise Therese nicht zu leiden. Es müßte demnach die Passion des 10. August auch außerhalb der Diözese Regensburg ausgefallen sein.

Wie 1941, so fiel auch 1936 das Wolfgangsfest auf einen Freitag. Zu dieser Zeit weilte Therese Neumann offenbar nicht in Konnersreuth, sondern in Zeil. Dies dürfte nämlich sein "abgeschiedene Erdwinkel" gewesen sein, an dem sich die Stigmatisierte nach der erwähnten Auslandsreise aufgehalten hat. Entgegen der gewohnten Regel hatte sie dann wohl, abgesehen vom ersten Freitag im Oktober, an weiteren Freitagen keine Ekstasen, dann also auch nicht am Wolfgangsfest. Warum wurde dann Therese am Fest des hl. Wolfgangs im Jahre 1941 "überrascht"?

Überraschen aber muß etwas anderes, nämlich daß Therese überhaupt am 31. Oktober leiden mußte. Pfarrer Naber zählt am 1. September 1930(9) als leidensfreien Freitage neben anderen den Kirchweihoktavfreitag und den Freitag in der Oktav des Chriskönigsfestes auf. Der 31. Oktober aber fiel bis zur Reform des Kalenders im Jahre 1969 immer in die Oktav des Chriskönigsfestes. Therese hätte demnach nie und nirgends an diesem Tage leiden dürfen.

Über die außergewöhnliche Ekstase am Wolfgangsfest 1941 berichtet Steiner. Er hat auch ein Bild, das bei dieser Gelegenheit aufgenommen wurde, veröffentlicht. Ferdinand Neumann soll nachts ½ 2 Uhr Licht in der Hauskapelle des Prof. Wutz bemerkt und nachgesehen haben. Er fand Therese auf dem Boden sitzend, vor dem Altar, "mit Blutstreifen aus den Augen über die Wangen". - Wenn es stimmt, daß die Stigmatisierte gewohnt war, längere Zeit während der Nacht im Gotteshaus zu verbringen, dann müßte es ein reiner Zufall gewesen sein, daß in dieser Nacht der Bruder, der im Hause Wutz wohnte, nachgeschaut hat. Therese setzte sich regelmäßig, wenn sie in Konnersreuth die Kirche besuchte, in ihren Stuhl; hier in Eichstätt hockt sie auf dem Boden, stundenlang. Sonst lag sie während der Freitagsekstasen im Bett; hier dagegen bitte sie die Kraft, in einer ungewöhnlichen Stellung auszuharren, stundenlang. Auffallend ist ebenso, daß sie die weiße Nachtjacke trägt, die sie sonst nur im Bett anhatte(10).

In diesem Zusammenhang muß noch hingewiesen werden, daß auch Prof. Dr. Franz X. Mayr auf die genannten zwei Ausnahmefälle zu sprechen(10a),kommt. Sowohl in Eichstätt wie in Zeil hatte Therese Familienangehörige um sich. In Eichstätt wohnte sie im Hause des Prof. Wutz, dessen Haushälterin, Ottilie Neumann, ihre leibliche Schwester war. Als Therese in Zeil von der Passion "überrascht" wurde, waren auch die beiden genannten Personen anwesend. Den Eichstätter Ausnahmefall schildert Prof. Mayr etwas anders als Dr. Steiner. Mayr erwähnt den Bruder der Thereses überhaupt nicht; er sagt: "Durch die klagenden Laute, die Therese in dem der Passion folgenden Zustand der kindlichen Eingenommenheit von sich gab, wurde ihre Schwester Ottilie, die im Zimmer in der Nähe schlief, aufmerksam und fand sie blutüberströmt in der Kapelle, auf einer Stufe des Hausaltars sitzend."

Fahsel weiß noch von einem weiteren Fall, da Therese Neumann auswärts vom Leiden überrascht wurde.(10b)Während einer Kahnfahrt auf dem Walchensee, am Donnerstag vor Mariä Geburt, versicherte Therese, der kommende Freitag werde leidensfrei sein, "da es ja in früheren Jahren ebenso war." Entgegen der Ankündigung mußte sie leiden, und zwar schwerer als sonst. Wir haben wieder eine Bestätigung dafür, wie so oft, daß die Angaben nicht stimmen. Es hieß doch, an Marienfesten bliebe Therese leidensfrei. Außerdem wußte angeblich Therese die kommenden Ereignisse voraus.

Steiner erklärt, Therese Neumann sei zweimal in ihrem Leben auswärts vom Leiden überrascht worden, "weil sie mit Freiheit für den nächsten Freitag gerechnet und deshalb auswärtige Besuche angesetzt hatte". Daraus müßte man folgern, daß Therese auswärtige Besuche nur in die Zeit verlegt hat, in der keine Passion zu erwarten war. So lautet ja auch die Aussage verschiedener Biographen. Dem widerspricht freilich eine Bemerkung im "Konnersreuther Sonntagsblatt" vom Jahr 1934; dort wird versichert: "Es ist aber bemerkenswert, daß auch fern von Konnersreuth die Vision und die Freitagsleiden eintreten genau wie zu Hause."(11) Das ist sicher eine Übertreibung. Außerhalb von Konnersreuth konnte man das gewohnte Schauspiel gewöhnlich nur in Eichstätt bewundern, dies allerdings bereits im Jahre nach der Stigmatisation. Im Brief vom 21. November 1927 an den Bischof von Regensburg behauptet Therese, sie habe "unlängst" an einem Freitag in Eichstätt "gelitten".

Etwa im Jahr 1932 hielt sich Therese während der Fastenzeit in Eichstätt auf. An einem Freitag stellten sich die gewohnten Ekstasen ein wie in Konnersreuth. Die Anwesenheit des Konnersreuther Pfarrers läßt darauf schließen, daß die Passion erwartet worden war(12). Das gilt sicherlich auch für die anderen Jahre, in denen Therese sich während der Fastenzeit in Eichstätt aufgehalten hat, wo sie dann an den Freitagen ihre gewohnten Leidensvisionen hatte. Auch zu anderer Zeit konnte im Haus Wutz das sonst nur in Konnersreuth übliche Schauspiel bewundert werden. Die Schwester der Stigmatisierten, Ottilie, bewahrte die blutgetränkten Kopftücher, Nachtjäckchen und Kompressen der Herzwunde auf; Anni Spiegl sandte dann nach dem Tod der Ottilie Neumann diese "Reliquien" nach Konnersreuth". Wenn Franz Huber mitteilt, Therese habe ihre Reisen nach Eichstätt und anderswohin in die Zeit verlegt, da sie mit Leidensfreiheit rechnete, so stimmt das jedenfalls für Eichstätt nicht. Die Umgebung im Haus Wutz zwang sie nicht, auf das gewohnte Schauspiel zu verzichten. Wenn man an die verschiedenen Feste des Kirchenjahres denkt, vor allem an die Apostel-, Marien und andere gleichrangige Heiligenfeste sowie die Oktaven davon, an denen angeblich die Passion ausfiel, dann standen genug Wochen zur Verfügung, an denen Therese sorglos hätte verreisen können. Wenn sie trotzdem auswärts "gelitten" hat, dann scheint die Rücksicht auf das Publikum dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt zu haben.

Die Gesetzmäßigkeit im Auftreten der Freitagspassion wurde auch sonst durchbrochen, ohne daß jedesmal ein Grund ersichtlich war. Dies gilt sogar für den Karfreitag einzelner Jahre. Am Karfreitag 1951 blieben zum Beispiel die Visionen und Leiden ,aus, nachdem sie am Gründonnerstag begonnen hatten".(14) So wenigstens schreibt Aretin in seinem 1952 veröffentlichtem Buch. Steiner der sich an dem genannten Karfreitag in Konnersreuth aufhielt, sagt: "An diesem Tag sah wohl Therese die ganze Passion wie sonst, brauchte aber nicht mitzuleiden." Den Tausenden" von Besuchern mußte eröffnet werden, daß sie umsonst gekommen waren; sie durften Therese nicht sehen,. Als Begründung für den Ausfall der Leiden verkündete Pfarrer Naber den Wartenden, die Stigmatisierte habe "im erhobenen Ruhezustand" ausgesagt, der Grund dafür sei, daß nunmehr 25 Jahre seit der Stigmatisation vergangen seien.(15) - Anders wiederum als die genannten Berichterstatter drückt sich Pfarrer Naber selbst aus(16): Als er kurz vor der Freitagszeremonie, die damals um 9 Uhr begann, Therese besuchte, kam sie in Ekstase und erklärte "auf das bestimmteste, heute könne niemand, es möge sein, wer immer, zu ihr kommen". Sie hatte am Gründonnerstag abends das Essen des Osterlammes, die Fußwaschung und die Einsetzung des Altarsakramentes geschaut und dann den Heiland im Ölgarten begleitet. Da "bluteten ihre Augen und ihr Herz ein wenig, bis 12 Uhr mitternachts; von da na aber begleitete sie den Heiland auf seinem Leidenswege, alles, was er litt, sehend und seelisch und auch in körperlichen Schmerz mitleidend, aber ohne daß mehr Blut aus ihren Wundmalen oder sonstigen Stellen ihres Körpers drang." - Die Besucher - etwa 8000 Personen - durften die Stigmatisierte bloß deswegen nicht sehen, weil sie kein Blut hätte schauen können!

Auch in den zwei folgenden Jahren war es anders als gewohnt. Am Karfreitag 1952 "bluteten die Augen und die Stigmen nicht, dagegen war der Leib und die Betwäsche mit Blut durchtränkt; Therese befand sich nicht in Ekstase, sondern murmelte nur Stoßgebete". In einem Bericht zum Karfreitag 1953 heißt es, Therese sei "vollkommen apathisch dagelegen, also "nicht in Ekstase ". Außerdem wird bemerkt, daß sie "kaum Nahrung zu sich nehme."(17) - Diese Angabe für den Karfreitag 1953 muß, angezweifelt werden, da Johannes Steiner in seinem Buch ein, wie es heißt am Karfreitag aufgenommenes Bild bringt, das Therese blutend zeigt.

Mit zunehmendem Alter, sagt Steiner, hatte Therese nur mehr spärlich die Freitagspassion zu erdulden. Sie fiel aus im Advent und immer dann, wenn sie "durch Krankheit oder ein Sühneleiden zu sehr erschöpft war". In den letzten Lebensjahren sollen sich die Freitagsekstasen nur eingestellt haben an den Freitagen der Fastenzeit und an den Herz-Jesu-Freitagen.(18) Die Verringerung beginnt ungefähr mit dem Jahr 1950 und ist im Zusammenhang mit dem Sterbetag ihrer Mutter am 9. Dezember 1949 zu sehen.

Einmal wurde Therese die Frage gestellt: "Wie kommt es, daß die Leidensekstasen so selten geworden sind" Die überraschende Antwort lautete: "I will do a amol mei Ruh hob´n!"(19)

Die Ekstasen an den einzelnen Freitagen dauerten gewöhnlich bis gegen 13 Uhr. Am Karfreitag endeten sie offenbar erst gegen 15 Uhr.(20) Bemerkenswert ist die Auskunft, die Rektor August Licht im Jahr 1930 durch Pfarrer Naber erhalten hat. Als er fragte, wie lange die Passion dauere, bekam er zu Antwort, "das richte sich nach der größeren oder geringeren Menge der Besucher".(21)

5.Die Echtheitsfrage

Die Frage, die uns vor allem interessiert, lautet: Ist die Stigmenbildung bei Therese Neumann echt oder unecht? Als unecht werden Wundmale bezeichnet, wenn menschliches Zutun nachgewiesen werden kann, als echt, wenn ein menschliches Einwirken ausgeschlossen erscheint. In keinem Fall sagen Wundmale an sich, auch wenn sie nicht künstlich erzeugt worden sind, etwas über die Heiligkeit eines Menschen aus, ebensowenig läßt sich mit Sicherheit folgern, sie seien durch übernatürlichen Einfluß entstanden.

Als wichtiger Zeuge für den übernatürlichen Charakter der Konnersreuther Phänomene insgesamt wird gern P. Gemelli genannt. Er war im Frühjahr 1928 zweimal in Konnersreuth und soll das Urteil abgegeben haben: "Natürlich sind solche Zustände wissenschaftlich nicht zu erklären".(1) René Biot kommt in seinem Buch Das Rätsel der Stigmatisierten, das er im Jahr 1955 veröffentlicht hat, ebenfalls auf P. Gemelli zu sprechen, stellt aber fest, daß Gemelli persönlich dreißig Fälle von Stigmatisation beobachtet habe und bei keinem einzigen in absoluter und entscheidender Weise jede menschliche Einwirkung habe ausschließen können.

Vom ausgehenden Winter 1926 an, als Blut aus der Brustwunde floß, bis zum Karfreitag, da vier weitere Wunden entstanden, soll weder Therese Neumann selber noch ihre Schwester Kreszenz an Stigmen gedacht haben; "auch die neuen Wunden hielt sie für eine Krankheit; von Stigmen hatte sie noch nie etwas gehört".(2) Wenn das stimmt, dann trifft es ebenso sicher für die Schwester wie für die Eltern zu, die allerdings immer wieder das große Bild im Seitenfenster der Konnersreuther Kirche, die den hl. Franziskus mit seinen Wundmalen zeigt, gesehen haben, ohne von Wundmalen etwas zu wissen!

Erst am Karsamstag erfuhren die Eltern etwas von den Wunden; der Pfarrer jedoch wurde erst am Ostersonntag verständigt, obwohl er Therese am Karfreitag versehen hat. Noch später bekam Dr. Seidl etwas von den Wunden zu hören, aber seine Versuche, diese zu heilen, mußten scheitern, weil Therese keinen Verband duldete.

Therese hat, so sagen ihre Biographen, die Wunden zu verheimlichen verstanden. Sie hat auch, wie Anni Spiegl behauptet, über "das Geschaute" geschwiegen, das heißt über jene Visionen, die sie an den Freitagen der Fastenzeit über den Leidensweg des Herrn gehabt haben will. Nun aber hat Pfarrer Naber die Kranke regelmäßig, -,wahrscheinlich jeden Tag, besucht. Hat sie ihm in der ganzen Zeit nichts über ihre Schauungen während der Fastenzeit erzählt? Hat sie ihm nichts davon berichtet, daß sie am 25. Februar beziehungsweise am 4. März Christus im Ölgarten geschaut hat, daß sich dabei auf ihrer Brust unter heftigen Schmerzen eine Wunde aufgetan hat, aus der viel Blut geflossen ist? Hat sie dem Pfarrer auch nichts von ihrem Erlebnis acht Tage darauf erzählt, als sie Christus auf dem Ölberg beim Gebet, bei der Gefangennahme und an der Geißelsäule sah? Hat sie ihm gegenüber geschwiegen, als sie am 26. März den Kreuzweg bis zur Kreuztragung und zum Sturz schaute? Hat sie am Karfreitag, an dem sie das ganze Leiden Christi bis zur Kreuzigung geschaut haben will, dem Pfarrer nichts von ihrer Schauung erzählt? All scheint ungewöhnlich, da sie ihm doch früher alle Lobsprüche anvertraut hat, die ihr von der "hl. Theresia" gespendet worden war!

Es ist ebenso auffällig, daß die Reihenfolge der bei Therese Neumann aufgetretenen Wunden nicht dem historischen Ablauf des Leidens Christi entspricht. Bei Therese steht die Herzwunde nicht am Ende, sondern am Anfang der Male. Auch bei, den folgenden Freitagspassionen trat das Blut aus den Wunden im Gegensatz zu den wirklichen Ereignissen am Karfreitag in Jerusalem; in der Reihenfolge der historischen Ereignisse hätten zuerst die Geißelungswunden bluten müssen, dann die Wunden, am Kopf und danach erst die Hand- und Fußstigmen; erst ganz zum Schluß hätte die Herzwunde Blut absondern dürfen.

Es wurde bereits erwähnt, daß Therese Ncumann schon Jahre vor Stigmatisation geblutet hat. Auch danach wurde gelegentlich Blut aus den Wunden abgesondert außerhalb und unabhängig von den Freitagsekstasen, wie es Boniface ausdrücklich bezeugt:

"Bekanntlich zeigen sich bei heftiger Erregung ausgiebige Blutungen aus ihrem Herzen, aus der Seitenwunde" - ein Faktum, das mit dem Miterleben der Leiden Christi nichts zu tun hat. Es handelt sich auch bei Therese Neumann keineswegs um einen einmaligen Fall. "Parrot kannte eine Frau, die unter dem Einfluß großen Grams blutige Tränen vergoß. Hernach, nach jeder Erregung, kam es wieder zu schmerzhaften Hautblutungen der Brust, an den unteren Augenlidern, an den Händen, ein paarmal sogar auf der Stirne", wie P. Siwek in seinem Buch über Konnersreuth es beschreibt(3) und hinzufügt: "Alle uns bekannten Stigmatisierten waren Opfer von nervöser Krisen-Hysterie." Kann man annehmen, daß Gott vor allem solche Menschen auserwählt hat, um seine Wunder zu zeigen?

Bekanntlich war Therese vom Miterleben der Passion Christi falls auf den Freitag irgendeine Festfeier fiel; das gilt sogar für die Fastenzeit. Sonderbarerweise aber blutete die Herzwunde einmal sogar an einem Sonntag, dem 1. Juli 1928.(4) Warum hat die Wunde am Fest des kostbaren Blutes Christi geblutet, das in diesem Jahr auf einen Sonntag fiel? Abgesehen vom Jahr 1926 ist sonst nie die Rede davon, daß eine Wunde an einem Sonntag geblutet hätte.

Bei den Freitagsleiden soll Therese bis zu drei Liter Blut verloren haben. Wenn jedoch kritische Besucher anwesend waren, hat die Sache nicht so recht geklappt, und die Wunden wollten nicht bluten. Der erste Arzt, der sich mit den Wunden beschäftigt hat, war Dr. Seidl. Dieser wurde aber erst geraume Zeit nach Ostern 1926 informiert und konnte aus verständlichen Gründen über die Entstehung der Wunden nichts aussagen. Über die Blutungen selber drückte er sich sehr vorsichtig aus: "Wie leicht kann sie - unbewußt und unbeabsichtigt - bei einem ekstatischen Zustand durch das Ringen der Hände, durch Druck der Hände auf die Herzwunde usw. die vorhandenen Krusten wegreißen! Außerdem ist nicht auszuschließen, daß verschiedene ,autosuggestive und heterosuggestive Einflüsse bei ihr zur Geltung kommen." Bisher, so heißt es weiter in Seidls ärztlichem Bericht vom Jahr 1926, habe niemand die Entstehung der Blutungen beobachtet:

"Obwohl seit 1919 behandelnder Arzt, wurde ich, was sehr wesentlich gewesen wäre, unbegreiflicherweise beim erstmaligen Auftreten der Blutungen nicht verständigt....Die Eltern werden in den Donnerstagnächten von 11 Uhr ab von der Patientin weggeschickt. Wenn dann die Mutter um 1 Uhr nachts nachsieht, sind die Blutungen schon vorhanden. Ich selbst konnte in der Nacht vorn 13. auf 14. Mai nur teilweise den Anfang der Blutung aus der Brustwunde beobachten. Mit dem Vergrößerungsglas sah ich damals aus der von Epidermis entblößtem Wunde ein Schweißtröpfchen ähnliches Hervorsickern einer wässerigen Flüssigkeit und an 10 kleinsten Blutpünktchen. Aber auch diese Untersuchung war nicht mit den Kautelen vorgenommen, die vielleicht notwendig gewesen wären, weil ich meine ganze Aufmerksamkeit damals zunächst auf die zunächst zugänglichen Wunden an den Händen und Füßen zuwandte, die übrigens damals nicht bluteten und seitdem überhaupt nicht mehr bluten...Die Blutungen aus den Augen traten an diesem Tag erst nach meiner Entfernung auf. Was die Blutung aus den Augen anlangt ö, so konnte ich den Anfang derselben in allerdings nur angedeuteter Form sehen, während der um Fastnacht heurigen Jahres auftretende Erkrankung, die ich für Influenza hielt. Als ich dieses Beobachtung machte, durchzuckte mich ärgerlich plötzlich der Gedanke: " Sie wird nicht doch auch noch stigmatisiert werden."... Es muß hier auch noch betont werden, daß die vielen Besucher eine eigentliche Blutung sehen. Sie sehen nur die vom geronnenem Blute gebildeten, von den inneren und äußeren Augenwinkeln gegen die Nase oder die bei den Ohren hinziehenden Streifen, außerdem die blutdurchtränkten, über die Herzwunde gelegten Leinwandstreifen und die etwas blutdurchtränkte Hemd an dieser Stelle. Auch als die Blutungen an den Händen und Füßen noch bestanden, konnte man, so oft ich zu beobachten Gelegenheit hatte, von einem Herabrieseln des Blutes nicht sprechen. Man sah vielmehr nur die über den Wunden aufgelegten Leinwandflecken blutdurchtränkt."

Ähnlich wie Dr. Seidl erging es den kritischen Beobachtern an den folgenden Jahren. Lehrreich hierfür ist das Gutachten von Professor Dr. Martini, dem Direktor der medizinischen

Universitätsklinik in Bonn.(5) Er war am 22. und 23. März 1928 in Konnersreuth, und zwar zusammen mit Bischof Buchberger, Weihbischof Hierl, Prof. Killermann, Prof. und Prof. Hilgenreiner. Die Schauungen begannen sonst regelmäßig jeweils am Donnerstag in der Nacht gegen 23.45 Uhr.(6) Der Pfarrer führte die Herren Killermann und Martini um 23.25 Uhr in das Zimmer der Stigmatisierten. Schon auf dem Weg äußerte der Pfarrer die Befürchtung, man könnte zu spät kommen. Tatsächlich war bei ihrer Ankunft die Passion bereits im Gange; die Augen bluteten, beziehungsweise waren voll Blut. Die Blutung hatte vorzeitig eingesetzt. Als Bischof Kaspar am 21. März 1929 zugegen war, begannen die Visionen um11.40 Uhr. Erst bei der vierten Schauung, also geraume Zeit nach Mitternacht, bemerkte er, daß die unteren Augenlider "ziegelrot" wurden.(7)

Im Gutachten Martinis heißt es:

Ich konnte nie sehen, daß eine Wunde der Therese Neumann wirklich blutete. Dazu war es durchaus unmöglich, fortwährend zu beobachten. Therese stellte mehrmals ihr Federbett hoch vor sich auf und das eine Mal, als ich und Prof. Killermann, während einer solchen Zeit uns an das Kopfende des Bettes begaben, mußten wir uns infolge des Protestes des Vaters sofort wieder von dort entfernen. Während dieser Zeiten, die von den Eltern damit erklärt wurden, Therese müsse sich etwas Luft machen, fielen mir von Anfang an merkwürdige, intensive Bewegungen der Therese auf, die sowohl mit den Armen wie mit den Beinen ausgeführt wurden, Bewegungen, die zum alleinigen Zweck, sich zu lüften, über die Maßen ausgiebig waren und mir ein peinliches Gefühl einflößten. Da ich immer nur, stehendes Blut sah, nie aber das Auftreten von Blut aus den Augen oder Handwunden, so machte ich es mir von nachts gegen 2 Uhr ab zur Aufgabe, besonders auf das Auftreten von Blut zu achten; verstärkt wurde meine Ansicht von der Notwendigkeit einer solchen Achtsamkeit, als Therese, von 2.50 Uhr an mehrfach darauf drang, wir könnten jetzt ruhig nach Hause gehen, da "jetzt doch nichts mehr käme bis 5 Uhr", und ;als dann Prof. Stöckl und ich für mehrere Minuten aus dem Zimmer -gewiesen worden waren (3.05), inzwischen 3.1O Uhr eine sehr erhebliche Menge des Blutes zustande gekommen war. Aus meinem Bericht geht hervor, daß meine im Verein mit anderen Herren der Kommission angestellten Bemühungen erfolglos blieben, weil zweimal (zwischen 8.10 und 8.25 Uhr und etwa 11.30 Uhr) alle Beobachter gerade zu der Zeit das Zimmer hatten verlassen müssen, zu der, wie sich herausstellte, neues frisches Blut (wenigstens 11.30 Uhr) eingetrocknete Blutkrusten bedecke. Die Brustwunde bekam ich nicht zu sehen, ebensowenig die Kopfhaut. Es ist keine Frage, daß unter den geschilderten Verhältnissen von einer Möglichkeit einer genügenden Beobachtung der "Blutungen" keine Rede sein konnte; im Gegenteil erweckte das zwei- bis dreimalige Entfernen der Beobachter gerade zu der Zeit, wo offenbar neues Blut die Wunden bedeckte, den Verdacht, daß zu diesen Zeiten etwas vorgeht, was die Beobachtung zu scheuen hat. In der gleichen Richtung gefiel mir das häufige Manipulieren hinter dem aufgestellten Federbett nicht. . ."

Im weiteren Bericht ist zu lesen: Die Eltern der Therese reagierten leidenschaftlich, als Prof. Killermann und Martini nachts an das Bett während der Lüftung traten, obwohl Therese keineswegs besonders entblößt im Bett lag. Der Vater verlangte, alle müßten das Zimmer verlassen, da die Luft zu schlecht sei, wo von einer schlechten Luft nicht die Rede sein konnte." Ganz besonders geeignet, Mißtrauen zu erwecken", fährt Prof. Martini fort, ist aber die Tatsache, daß bei diesen Gelegenheiten dann alle Besucher samt und sonders den Raum verlassen mußten, und zwar trotz des gegenteiligen Wunsches des Herrn Bischofs, der Frau Neumann bekannt war, als sie morgens gegen 11 Uhr auch Prof. Hilgenreiner und Prof. Killermann aus dem Zimmer entfernte." Nie blutete eine Wunde unter den Augen der Beobachter. Als nach 8 Uhr der Regensburger Bischof auf Drängen das Zimmer verließ, war das Kopftuch noch vollkommen rein. Zehn Minuten später erscheint der Weihbischof Hierl; zu dieser Zeit war das Kopftuch "ganz blutig". Gegen 11.30 Uhr klagen die Eltern der Stigmatisierten über die schlechte Luft im Zimmer; der Bischof und Prof. Martini verlassen das Zimmer. Beide sowie die ebenfalls anwesenden Professoren Killermann und Hilgenreiner überzeugen sich, daß die Augen und die linke Hand bloß eingetrocknetes Blut aufweisen. Prof. Martini fordert die zurückbleibenden Kollegen auf, genau darauf zu achten, wann und wie das Bluten der Wunden einsetze. Der Bischof bittet beim Weggehen ausdrücklich, es solle immer wenigstens einer der Herren im Zimmer bleiben. Doch sie wurden aus dem Zimmer gewiesen, gleich nachdem der Bischof gegangen war. Als Begründung gab die Mutter nicht mehr schlechte Luft an, sondern sagte, um diese Zeit brauche Therese immer wenigstens eine Stunde völlige Ruhe; sie müsse auch an diesem Tage "etwas ganz allein" sein. Als die beiden wieder zurückkehrten, war "alles rot von frischem Blut". - Es klingt seltsam, wenn Steiner schreibt(8), daß die Kommission "den Beginn der Passion und das aktive Bluten versäumte."

Über die Beobachtungen am gleichen Freitag hat auch Prof. Killermann einen Bericht niedergeschrieben. Auch er betont keiner der Beobachter habe während der ganzen Dauer der Ekstasen den Austritt von Blut bemerken können. Als Killermann ankam, waren bereits zwei blutige Striemen vorhanden, die von den Augen über die Wangen bis zum Halse reichten; die Blutstriemen waren trocken. Da tritt die Mutter ans Bett und ist Therese behilflich, und zwar so, daß Killermann "nicht mehr beobachten" kann. Sobald die Mutter vom Bett wegtritt, beobachtet der Professor weiter und bemerkt zu seinem Erstaunen, "daß die Handwundmale, die vorher immer trocken waren, bluten". Er spricht darum die Vermutung aus, die Wunden seien "irgendwie mechanisch zur Blutung gebracht worden". Am Freitag gegen Mittag wird Therese sehr unruhig; die Mutter erscheint und weist die Beobachter aus dem Zimmer. Vor dem Weggehen stellt Prof. Killermann fest, daß alle Striemen trocken waren. Als er nach I5 Minuten wieder vorgelassen wird, sieht er zu seiner Verwunderung "die Striemen an den Wangen wieder frisch blutig"; auch die Male an den Händen bluten nunmehr. Prof. Killermann faßt seine Beobachtungen zusammen:

"Das Blut an den Wangen ist nicht eigentlich frisch (arteriell), es schien mir durch Aufweichung (vielleicht mit Speichel) flüssig gemacht, war eigentümlich glasig und serös. Damit ist meine Beobachtung mit einem großen Zweifel zum Abschluß gebracht. Das ist wohl der Grund, warum man die Kranke vom Blute nicht reinigt."

Die Beobachter konnten nicht ein einziges Mal Blutaustritt feststellen, obwohl es doch heißt, Therese habe jeweils an den Freitagen bis zu drei Liter Blut verloren!

Nicht anders erging es der bischöflichen Kommission, die acht Tage später in Konnersreuth weilte. Um 9.5o Uhr werden die Herren zum Verlassen des Zimmers aufgefordert; fünf Minuten später durften sie wieder eintreten. Während vor dem Verlassen des Zimmers die Wunden nicht bluteten und das bereits vorhandene Blut trocken war, war nach der Rückkehr der Beobachter das Blut auf der linken Hand wieder frisch.(9) Den Zeugen wurde auch nicht während ihrer Anwesenheit im Zimmer eine einwandfreie Beobachtung gestattet. Ähnlich wie Prof. Killermann erging es dem Dekan Höfner von Waldsassen. In seinem Bericht ist zu lesen:

"Wenn Therese das Bett immer wieder etwas zurückschob, um sich in ihrer fühlbaren Hitze Erleichterung zu verschaffen, dann durfte niemand eine solche Stellung einnehmen, daß er etwa beobachten hätte können, was die Therese mit den Händen oder sonstwie tat. Versuche wurden von den Eltern sofort mit der Bemerkung verhindert, man solle doch zurückgehen, das vertrage sich nicht mit der Sittlichkeit."

Mit dem Zeugnis der Genannten stimmt jenes von P. Gemelli völlig überein:

"Ich habe an dem ersten Hervorbrechen der blutigen Tränen nicht beigewohnt. Dieses Vergießen von Tränen begann, als ich nicht zugegen war; so aufmerksam ich auch betrachtete, konnte ich niemals eine Träne aus den Augen hervorbrechen und auf den Wangen fließen sehen. So oft ich den Besuch unterbrach (denn oft wurde ich mit den anderen Anwesenden von dem Zimmer entfernt), fand ich, daß der von den blutigen Tränen gebildete Streifen auf dem Gesicht breiter und dicker geworden war, so daß er zuerst die Wangen, dann das Kinn und den Hals erreichte. Ich habe den Liderspalt aufmerksam beobachtet man merkte absolut keine Unterbrechung oder Veränderung; und so sehr ich auch die oberen Lider erhob, konnte ich niemals im Konjunktivalraum eine Tränen- oder Blutniederlage sehen. Der blutige Streifen ist sehr glänzend, als ob das Blut mit heterogenen Stoffen gemischt wäre. Wenn ich eine Ähnlichkeit finden sollte, würde ich sagen, daß dieses Blut dem Menstrualblut sehr ähnlich ist. Ich bitte Sie, zu bemerken, daß ich damit keineswegs die Behauptung des H. Prof. Ewald und anderer bestätigen will, nämlich, daß es sich um eine "Hämorrhagia vicariana" handelt. Ich denke hingegen, daß bisher eine solche Behauptung weder in diesem, noch in anderen Fällen gar nicht hinreichend und befriedigend bewiesen wurde; ja, ich glaube aus Gründen, die ich hier nicht darlegen kann, ohne meinen Bericht in die Länge zu ziehen, daß naturgemäß weder eine "Hämorrhagia vicariana" der Menstrualblutung noch ein Ausfluß (durch Diapedesis oder ähnliche Tatsache) der roten Blutkörperchen durch die Wand der Blutgefäße und nicht einmal der Capillaren vorkommen kann. Ein auf Erfahrung beruhender, befriedigender und einmütiger Beweis dieser beiden Tatsachen ist nie beigebracht worden; und die Fälle, die hierüber in der medizinischen Literatur angeführt werden, verdienen eine strenge Kritik. Wie dem auch sei, ich habe nur einen äußeren Eindruck ,ausgesprochen; das Blut, das ich auf den Wangen und auf dem Gesicht ,neu Therese Neumann gesehen habe, ist in der Farbe und Durchsichtigkeit dem Menstrualblut sehr ähnlich. Die "Stigmata"' bieten während dieses Zustandes der Ekstase das gewöhnliche Gerinnsel dar, aber einige Tropfen lebendigen Blutes, die aus dem Gerinnsel geflossen waren, sind auf der Handfläche sowie auf dem Handrücken geronnen. Auch einige spärlichere und kleinere Tropfen habe ich auf dem Rücken der beiden Füße bemerkt. Solche Tropfen habe ich nur geronnen gesehen. Reichlich Blut hatte während dieses Zustandes das Hemd durchnäßt, zur Höhe der fünften oder sechsten Rippe gegen den Rand des Brustbeines; auch der Schleier, der den Kopf bedeckte, war durchnäßt. Es handelte sich um ein Blutserum stark verdünntes Blut; auf dem Hemd war ein großer Fleck sichtbar, am Haupte kleine, längs des großen Schädelumfangs zerstreute Fleckchen. Ich wiederhole, daß ich das Blut nie in der Tat habe ausfließen sehen, weder von den noch von den Augen, noch von dem Haupte; ich habe immer nur geronnenes Blut gesehen; und so oft ich ins Zimmer eintrat, hatten die Flecken oder das geronnene Blut und die Blutstreifen einen größeren Umfang angenommen. Dieser Umfang blieb während meines Verweilens im Zimmer der Kranken ganz unverändert. ... Ich wiederhole, was ich oben gesagt habe; ein tatsächlicher Beweis des Ausflusses der Blutkörperchen (hämorrhagia) aus den Blutgefäßen im allgemeinen und den Capillargefäßen insbesondere, ohne daß eine vorhanden sei, ist noch nicht beigebracht worden, obwohl viele Gelehrte behauptet haben, daß ein solcher Ausfluß unter einer emotiven Anregung oder durch ein besonderes Spiel des Nervensystems möglich ist. Deswegen sind die Bluttränen, das von dem Haupte fließende Blut und die anderen von Therese Neumann aufgewiesenen Erscheinungen entweder von einem unter den vielen Kunstgriffen verursacht, welche die Hysterischen aus Psittacismus anwenden (welche Kunstgriffe, man merke es sich wohl, nur sehr schwer entdeckt werden können) oder übernatürlichen Ursprunges; wenigstens ist keine Erklärung derselben auf natürliche Weise möglich."(10)

Mit diesen Beobachtungen stimmt auch das Zeugnis des Sekretärs bei der Apostolischen Nuntiatur in München, Msgr. Dr. Brunelli, überein, der am 12. Und 19 Dezember 1930 als Beobachter in Konnersreuth weilte. Brunelli schreibt:

"Ich muß bemerken, daß das Blut wohl aus den Augen der Therese gekommen sein wird, aber ich blieb darüber in Zweifel, denn das Blut machte halt an den Augenlidern und ich hatte nicht den Eindruck, daß das Blut wie Tränen aus dem Inneren der Augen geflossen wäre. Ich verlangte Aufklärung vom Pfarrer, aber dieser sagte, daß das Blut aus den Augen hervorgequollen sei. In etwa zwei Stunden, die ich im Hause blieb, sah ich keinen einzigen Tropfen fließenden Blutes rinnen, ich sah nur hartes trockenes Blut."(11)

Die Beobachter konnten nur geronnenes Blut sehen, und keinem war es je möglich, den Beginn der Blutungen aus den einzelnen Wunden festzustellen; das Einsetzen der Blutungen aus der Brustwunde war nicht zu beobachten, weil die Wunde verdeckt war. Der Stigmatisierten machte die Kritik der Beobachter schwer zu schaffen. o schrieb sie am 14. März 1939 an den Bischof von Regensburg:

"Wenn es sein muß, rufen wir den hochwürdigsten Herrn Kardinal Faullhaber, Fürsterzbischof Waitz, den Bischof von Speyer und andere, welche alle sogar des nachts bei Leidenbeginn zugegen waren, öffentlich als Zeugen auf."

Die Sprache einer demütigen Heiligen findet man in solchen Worten nicht. Es ist schwer zu sagen, was die genannten Personen wirklich beobachtet haben; vielleicht sahen sie blutfarbige Tränen. Blutaustritt aus den Augen jedenfalls beobachtete Dr. Seidl am I4 Juli 1927 in der Nacht um 23.43 Uhr und acht Tage darauf, dieses mal bereits um 23.17 Uhr. Aber das beweist nicht mehr als das, wovon Therese Neumann bereits vor der Stigmatisation gesprochen hat. Die entscheidende Tatsache ist die, daß kein einziger Beobachter weder zu Beginn der Passion noch während ihrer ganzen Dauer feststellen durfte, wann und wie die Wunden geblutete haben.

Im Herbst 1927 war der Kreisschulrat von Herchingen, Dr. Wilhelm Miller, in Konnersreuth; in seiner Begleitung befanden sich Chefarzt Dr. Stephan und Frl. Isenkrahe. Sie verlangten, bereits vor dem Beginn der Freitagsekstasen anwesend sein zu dürfen, um den Anfang der Blutungen zu erleben. Doch der Pfarrer von Konnersreuth gestattete es nicht mit dem Bemerken, die Eltern seien dagegen, "weil es nachts zwischen 23 und 24 Uhr geschehe." Am Freitag wurden die Beobachter vorgelassen. Sie bemerkten, "daß die Ncumann nach ein paar Stunden in Schmerz oder aus anderer Ursache sich nach dem Kopf greift und dort heftig reibt."(13) Ihre Beobachtung deckt sich mit der anderer Besucher. Wie leicht konnte Therese ihre Wunden zum Bluten bringen! Steiner schreibt: "Man konnte sehen, wie sich die Hände zum Kopf hin bewegten und die Dornen auszuziehen versuchten."(13) Ähnlich äußert sich Anni Spiegl: Therese bemühte sich nach der Dornenkrönug "die Dornen aus dem Kopf zu ziehen, genau an der Stelle, an welcher das weiße Kopftuch frische Blutflecken zeigte.(14) Die Vermutung, daß Therese Blutungen am Kopf künstlich erzeugt hat, ist ebenso naheliegend wie der Verdacht, daß sie in der Zeit, da die Besucher das Zimmer hatten räumen müssen, ihre Wunden zum Bluten gebracht hat.

Am Karfreitag 1928 gab Therese selber die Zeiten an, wann - jeweils während der Passion - die Blutungen der Wunden einsetzten.(15). Nach 11 Uhr erklärte sie, erst um 12 Uhr werde das Leiden fortgesetzt, "das heute länger dauere, aber nicht die Blutung; der Heiland habe auch nicht immer geblutet." Um 13.20 Uhr bricht sie plötzlich ihr Gespräch mit dem Ortspfarrer ab und spricht zu den beiden anwesenden Herren, Dr. Reichenberger und Pfarrer Höfner:

"Die Zwei kennen sich nicht aus mit den Blutungen. Paßts auf, des is a sou (Paßt auf, das ist so): Wenn der Heiland blutet, dann blute .auch, und zwar immer an den Stellen, an denen immer der Heiland geblutet hat. Die Augen und das Herz fangen zu bluten an beim zweiten Gebet des Heilands auf dem Ölberg; die Hände, wenn der Heiland gebunden; die Füße, wie der Heiland auf dem Weg vom Ölberg zur Stadt gefallen ist. Im Verlaufe des Leidens bluten dann die einzelnen Stellen nicht immer, sondern das richtet sich nach den Blutungen des Heilands; so bluten zum Beispiel Hände und Füße bei der Kreuzigung; das Herz jetzt zum Schluß."

Diese Angaben stehen im Widerspruch zu den tatsächlichen Ereignissen in Jerusalem; sie stimmen auch nicht überein mit den verschiedenen Schilderungen der Autoren über ihre Eindrücke in Konnersreuth. Beispielsweise wird für den Beginn der Blutungen regelmäßig ein anderer Zeitpunkt angegeben. Über den genauen Verlauf der Leidensvisionen informieren ausführlich Johannes Steiner.(16). Demnach zeigen sich geraume Zeit nach Mitternacht zunächst "wässerige Tränen" in den Augen, die erst allmählich rot wurden; zugleich aber beginnt bereits die Herzwunde zu bluten. Als Therese die Gefangennahme schildert, beginnt das Mal des linken Handrückens zu bluten. Beim "Übergang über den Bach Kedron" bluten auch das rechte Handstigma und die Fußwunden. Therese blutete offensichtlich entgegen ihrer eigenen Beteuerung nicht "an den Stellen, in denen immer der Heiland geblutet hat."

Bekanntlich wurde Therese Neumann erst am Nachmittag oder Abend nach Beendigung der Freitagsleiden vom Blut gereinigt. Gelegentlich wurde sie sogar außerhalb des Hauses, also nicht dem Freitag, mit Blutspuren im Gesicht gesehen. Das ist unverständlich, da ja Blut leicht entfernt werden kann. - Die an den Freitagen aufgenommenen Bilder, so weit sie veröffentlicht worden sind, weisen eine Merkwürdigkeit auf. Alle Bilder, wie sie in den Büchern von Steiner und Anni Spiegl zu finden und vom Verlag Feilner im Jahr 1968 verbreitet worden sind, weisen die gleichen von den Augen ausgehenden zwei Blutstränge auf. Sie erstrecken sich von den Augen nach unten über die Wangen; auf keinem Bild sieht man seitlich von den Augen zum Ohr hin Blut, obwohl Therese verschiedentlich den Kopf zur Seite geneigt hat. Insbesondere überrascht der Anblick einer Aufnahme, die Pfarrer Naber zeigt, als er Therese die Hostie reicht. Weder das Gesicht noch die rechte Hand der Therese weisen Blutspuren auf. Auch am Kopftuch sieht man kein Blut; aber das Bett und vor allem das weiße Kleid, besonders die Ärmel und die rechte Schulter, zeigen großflächige Blutspuren. Es muß sich demnach um eine in der Fastenzeit gemachte Aufnahme handeln. Sollte Therese entgegen der allgemeinen Versicherung, daß sie erst am Freitag abend gewaschen wurde, ausnahmsweise trotz der angeblich großen Schmerzhaftigkeit vor der Kommunion von jeglicher Blutspur gereinigt worden sein? Warum ist auf dem Kopftuch kein Blut zu sehen?

Es wurde bereits erwähnt, daß die Beobachter entgegen dem besonderen Auftrag des Bischofs wiederholt aus dem Zimmer gewiesen wurden. An allen Freitagen wurden die Besucher wiederholt aufgefordert, das Zimmer vorübergehend zu verlassen. Diese Maßnahme wurde nur jeweils verschieden begründet. Einmal wurde Lüftung oder Reinigung des Zimmers vorgetäuscht. Unter diesem Vorwand mußten am 7. September 1928 um 11 Uhr alle, ausnahmslos das Zimmer räumen, auch der anwesende Bischof Sebastian von Speyer.(17) Zuweilen wurde die Räumung des Zimmers von Therese, beziehungsweise vom "Heiland" selber "erfordert. Wenn jemand sich im Zimmer befand, der "in irgend enger Weise unwürdig" war, "geschah es, daß sie aus der Leidensvision erwachte und durch Pfarrer oder Eltern bat, daß alle Besucher das Zimmer verlassen mögen. Nach dem Grund gefragt, äußerte die Stigmatisierte bei solcher Gelegenheit: Der Heiland leidet nix im Stüberl. Er treibt aus, was irgendwie hindern kann.(18) - In solchem Fall war dann merkwürdigerweise kein einziger dabei, der nicht "hinderte".

Auch angeblich sehr große Schmerzen wurden als Begründung erwähnt - Am 5. Oktober 1928 war Bischof Waitz zum zweitenmal in Konnersreuth. "Während der Freitagsvisionen bekam Therese sehr arge Schmerzen in den Wunden, so daß die Besucher das Zimmer räumen mußten. Therese sagte nachher, daß etwas Böses im Zimmer gewesen sei. "Eine andere Begründung für die Entfernung der Besucher nennt Teodorowicz(19), der erwähnt, daß Therese Neumann während der Freitagsekstasen neben anderen Beschwerden vor allem an "Herzbeschwerden" litt." Oft werden die Anwesenden aus dem Zimmer gebeten, denn in Augenblicken der Atembeschwerung wirft sie im Ringen nach Luft die Bettdecke ab" - ein Verhalten, daß sehr an hysterische Anfälle erinnert. Teodorowicz knüpft an die Bemerkung über die Herzbeschwerden die bange Frage: "Was würde geschehen, wenn jetzt die enge bayerische Landestracht sie einschnürte?" - Nun, da drohte sicher keine Gefahr. Niemand trägt im Bett die bayerische Landestracht; außerdem sind übernatürliche Gaben nicht lebensgefährdend.

Es fällt schwer, daran zu glauben, Gott könnte an einem derartigen Blutverlust, von dem so oft die Rede ist, Wohlgefallen finden. Noch mehr steigen die Bedenken, wenn von so großer Blutmenge gesprochen wird. Gerade an Tagen, da Therese angeblich bis drei Liter Blut verloren hat, hätte das Blut genau untersucht werden müssen. Warum ist das nie geschehen?

Wie bekannt, sind die Stigmen seit Frühjahr 1926 in Schüben aufgetreten. Über die Entstehung, sagt Prof. Ewald, bestellt. Einiges Dunkel. Er meint, daß zumindest anfangs eine künstliche Nachhilfe mit im Spiel gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf den Brief, den Therese Neumann am 7. November 1924 an eine Freundin geschrieben hat".(20) Unter anderem ist darin viel die Rede von ihren Leiden, die oft unerträglich gewesen seien. "Heute noch", schreibt sie, "sieht man auf beiden Händen die Masen, wo ich vor lauter Qual aufkratzte. Auch raufte ich mir ganz die Haare aus."

Als Dr. Ewald die Lage der Herzwunde erwähnte, widersprach Therese und versicherte, sie läge zwischen zwei Rippen, was jedoch nach Untersuchung nicht zutraf. Ein Röntgenbild wurde von Thereses Eltern hartnäckig verweigert. Die Wundmale bluteten unregelmäßig. "anfangs soll das Blut aus den Stigmen langsam abgesickert sein, später traten Blutungen nur noch an den Freitagen während der Ekstase auf. In der Passionszeit 1927 bluteten sämtliche Stigmen, während jetzt nur noch blutige Tränen fließen und Kopf- und Herzwunde bluten, Hände und Füße dagegen nicht mehr. Die Schorfe über den Stigmen an Händen und Füßen heilen aber nicht ab." Bei der Beobachtung im Sommer 1927 erfuhr Ewald, daß die Stigmen an Händen und Füßen seit drei Monaten nicht mehr geblutet hatten. Mit Ausnahme der Fastenzeit erfolgten an den übrigen Freitagen des Jahres nur Blutungen an der Brust, am Kopf und aus den Augen; darüber sind sich alle Biographen einig. Nur Dr. Lemke berichtet im Oktober 1927: "Die Wunden haben sämtlich geblutet, am stärksten die Kopfwunden.(21)

Das Blut wurde anläßlich der Beobachtung im Elternhaus 1927 untersucht. Es handelte sich nicht um reines Blut, sondern um eine serös-blutige Flüssigkeit, wie die relativ gelblichrote Farbe der frischen, feuchten Stellen bewies, die durch eine künstliche Verletzung nicht hervorgerufen werden können. Die Stigmatisation bezeichnet Ewald als einwandfrei hysterischen Ursprungs.

Die Farbe des Blutes beschreibt P. Gemelli, wie folgt:

"Der blaue Streifen ist sehr glänzend als ob das Blut mit heterogenen Stoff en gemischt wäre. Wenn ich eine Ähnlichkeit finden sollte, würde ich sagen, daß dieses Blut dem Menstrualblut sehr ähnlich ist. ... Das Blut, das ich auf den Wangen und auf dem Gesicht der Therese Neumann gesehen habe, ist in der Farbe und Durchsichtigkeit dem Menstrualblut sehr ähnlich."(22)

Diese Beobachtung Gemellis bestätigt Bischof Kaspar. Er bezeichnet das Blut an den unteren Augenlidern als "ziegelrot, nicht blutrot, sondern dunkler, wie Ziegeln."(23)

Prof. Dr. Killermann war dreimal in Konnersreuth: im Jahr 1926 in einem Donnerstag im August; am Schmerzhaften Freitag, den 8. April 1927, und das drittemal mit der bischöflichen Kommission im Jahr 1928. Noch bei seinem zweiten Besuch glaubte er an die Echtheit der Stigmatisation. Bei diesem Besuch nahm er etwas blutgetränkte Watte von der Herzwunde mit, untersuchte das Blut selber, fand aber darin keine Erythrozyten. Im Bericht vom 25. April 1927 an den Bischof von Regensburg schreibt er: "Das Blut weist keine Körperchen auf." Der Professor ließ das Blut auch in München beim gerichtsärztlichen Institut untersuchen. Es wurde als Menschenblut befunden. Dem Professor wurde aber auch mitgeteilt: "Der Mangel an Körperchen deute auf Menstrualblut hin; doch sei diese Probe als solches nicht bestimmbar."(24)

In der Frage, ob Stigmen echt sind, das heißt seelisch hervorgebracht und nicht künstlich erzeugt, oder ob sie künstlich unterhalten werden, ist keinesfalls an letzter Stelle die Medizin zuständig. Dr. Deutsch schreibt:

"Für die Echtheit der Stigmen beruft man sich darauf, daß sie sich durch ihr Aussehen von gewöhnlichen Wunden unterscheiden. Diese Behauptung ist unrichtig und durchaus laienhaft. jeder erfahrene Chirurg hat Wunden ähnlicher Art, wie sie von den verschiedenen Beobachtungen bei Therese Neumann beschrieben werden, hundertfach gesehen; dabei handelte es sich in allen Fällen um gewöhnliche chronische Wunden, die auf durchaus natürliche Weise entstanden waren."(25)

Einen Beweis für die Echtheit hält Dr. Deutsch nicht für erbracht. Er spricht vielmehr von starken Zweifeln in dieser Hinsicht, und sein Rat war, man solle zum Schutz einer der Wunden einen Gipsverband anlegen, so daß von außen her kein Einfluß genommen werden könne. Dieser Rat wurde nie befolgt. Deutsch hat später seinen Vorschlag wiederholt, vor allem mit dem Hinweis darauf, daß seinerzeit Therese Neumann die vom Arzt angelegten Verbände beseitigt hat beziehungsweise hat abnehmen lassen mit der Begründung, die Wunden hätten unter dem Verband unerträgliche Schmerzen zur Folge gehabt. Dazu stellt Dr. Deutsch fest:

"Ein von einem geübten Arzt angelegter Verband kann keine wesentlichen Schmerzen verursachen. Wenn Therese Neumann nicht aushalten kann, was Hunderttausende aushalten, so höre man wenigstens auf mit der Redensart von der Leidensbraut und ähnlichem Unisinn. Kann sie das nicht aushalten, so beweist sie eben neben anderem, daß sie eine empfindliche Person ist, der auch unbedeutende Unannehmlichkeiten untragbar sind."

Einerseits wird andauernd gerühmt, mit welcher Tapferkeit Therese ihre Krankheiten ertragen hat, ja wie gern sie freiwillig äußerste Pein auf sich genommen hat, um anderen zu helfen, andererseits erfährt man, daß sie über die geringsten Schmerzen in bitterste Klage ausbricht.

Dr. Seidl macht sie zum Beispiel den Vorwurf, er habe sie grausam gequält.(26). Er soll mit einer Pinzette in die Wunde der linken Hand "hineingestochen" haben. Zeugen waren leider nicht zugegen. Schleierhaft bleibt, warum der Arzt das getan haben soll; eine erklärende Angabe bringt Therese nicht. Das Vorgehen Dr. Seidls soll ihr sofort aufs Herz gegangen sein, Sie erklärte danach den anwesenden Herren, die zuvor nicht im Zimmer waren, als Dr. Seidl ihre Wunde mit den Pinzette berührt haben soll: "Ich halte es unbedingt nicht mehr aus." Darauf soll Prof. Fischer den Arzt einen Schinder genannt haben, obwohl er nicht wissen konnte, was wirklich geschehen war. Seidl soll resigniert sich geäußert haben: "Da ist doch gar nichts zu machen mit ihr." - Selbst wenn Dr. Seidl getan hätte, was ihm Therese nachsagt, unverständlich bliebe trotzdem die Überempfindlichkeit der Leidensbraut," wie sie P. Staudinger nennt.

Man kann die Betrachtung der Wunder, wie sie im Jahr 1927 geschehen sind, nicht als einwandfreie Prüfung im medizinischen Sinne bezeichnen. Immer wieder und unter Ausschluß jeglicher Täuschungsmöglichkeiten hätten Untersuchungen angestellt werden müssen. Aber dagegen sträubte man sich. "Meine Versuche einer exakten Nachprüfung scheiterten an dem Widerspruch des Ortspfarrers", schreibt Dr. Aigner in der "Münchener Post" vom 27. September1927. Daß mit dem Verlangen nach einer exakten Nachprüfung nicht zugemutet wurde, dafür zeugt sogar, ohne es zu wollen, ein Verteidiger der Therese Neumann, nämlich Teodorowicz:

"Wenn man daher Fälle, wo die Hypnose so augenfällig wir und bei denen die hysterische Person stundenlang auf sich selbst angewiesen ist, unbedingte wissenschaftliche Gewähr haben will, muß man der zu beobachtenden Person einen Verband an den Händen anlegen."(27)

Teodorowicz hat sicher von den fehlgeschlagenen Versuchen gewußt, in seinem Sinne zu handeln, und er hätte gut daran getan, Therese zu überreden. Ahnte er vielleicht, daß auch Versuch dieser erfolglos geblieben wäre?

Dr. Lechler(28)" hat in einer langen Reihe von Versuchen nachgewiesen, daß einfache Stigmen auf dem Wege von Suggestion erzeugt werden können. Er bringt in einem Buch über dieses Thema eine Reihe von Aufnahmen einer Versuchsperson, die an Händen und Füßen Wundmale bekam, wie er sie ihr suggeriert hatte. Es ist verständlich, daß der Konnersreuther Kreis die Möglichkeit von Suggestion ausschließt. Teodorowicz gibt folgende Ergänzung an:

"Sogar die Annahme des natürlichen Auftretens der Stigmata in Folge immerwährender Betrachtungen über das Leiden Christi anstellte, wie allgemein bekannt ist."(29)

Sogar wenn die Annahme des natürlichen Auftretens der Stigmata als Folge immerwährender Betrachtung über das Leiden Christi haltbar wäre, so fände es keine Anwendung auf Therese Neumann, die ja während ihrer langjährigen Krankheit keine Betrachtungen über das Leiden Christi anstellte, wie allgemein bekannt ist."(29)

Er habe selber ausgeforscht und dabei habe sich herausgestellt, "daß sie keine besondere Andacht zum Leiden Christi vor der Stigmatisation besaß und überhaupt keiner Betrachtung über das Leiden Christi anstellte. Desto weniger konnte man Therese Neumann zumuten, daß sie sich nach den Stigmen sehnte. Sie wußte vor allem nichts über Stigmen und Stigmatisiert...." Sie habe sich "weder vor, noch nach der Stigmatisation mit der Betrachtung des Leidens des Herrn" befaßt.

Gegen solcherlei Argumente muß man starke Zweifel anmelden. Therese Neumann ist von früher Jugend an in den christlichen Wahrheiten unterrichtet worden. Sie sah tagtäglich in der elterlichen Wohnung ein Bild des Gekreuzigten. Sie hörte immer wieder das Grundthema unseres Glaubens, dem Erlösungswerk Christi. Wie konnte sie behaupten und wie konnte das Teodorowicz glauben, daß sie überhaupt keine Betrachtung über das Leiden Christi angestellt hat? Auch Therese Neumann hat sicherlich, wie es katholischer Brauch ist, den Rosenkranz in der Fastenzeit, vor allem den schmerzhaften Rosenkranz, gebetet. Den Rosenkranz richtig beten heißt, seine Geheimnisse betrachten. Während der Fastenzeit wird üblicherweise der Kreuzweg gebetet, in Konnersreuth genauso wie an anderen Orten. Die Kreuzwegandacht ist nichts anderes als eine Betrachtung über das Leiden und Sterben unseres Heilands. Therese Neumann hat sicher auch Fastenpredigten angehört, bei der Andacht zum leidenden Heiland teilgenommen und die ergreifenden Zeremonien in den Karwochen miterlebt. Wer all das betend miterlebt, vor dessen geistigem Auge steht das Bild Christi, der für uns Leiden und Tod auf sich genommen hat. Schließlich dürfte auch wohl auch die Tatsache von Bedeutung sein, daß Pfarrer Naber der Patientin auf dem langjährigen Krankenlager Trost zugesprochen hat, der ohne Hinweis auf das Leiden des Herrn undenkbar scheint,

Wie konnte also Teodorowicz glauben, was ihm Therese vorgemacht hat? Schließlich widerlegte er sich ja selber, wenn er in seiner Schrift auch Angaben über die Kindheit der Stigmatisierten bringt und sich dort auf die Versicherung des Ortspfarrers beruft: !Sie betet gerne den Kreuzweg,"(30) Danach kann min nicht mehr behaupten, sie habe überhaupt keine Betrachtung über das Leiden Christi an angestellt. Wenn Teodorowicz sagt, sie habe sich "weder vor noch nach der Stigmatisation mit der Betrachtung des Leidens des Herrn" befaßt, so stimmt dies in keiner Weise, erst recht nicht für die Zeit nach der Stigmatisation. Therese schaut an den Freitagen die Passion des Herrn und berichtet darüber. Falls Teodorowicz mit seiner Auffassung recht hat, dann muß man folgern: Für Therese waren die Schauungen ohne jeden religiösen Einschlag.

Anders als Teodorowicz urteilt die Freundin der Stigmatisierten Anni Spiegel, die in der Einleitung zu ihrer Schrift über Therese Neumann erklärt, sie schreibe ihre "Erlebnisse mit ihr wahrheitsgetreu" nieder. Es heißt dort von Therese: "Sie liebte es, ,in langen schlaflosen Nächten das Leiden Christi zu betrachten."(31) - Offensichtlich muß Therese entweder Anni Spiegl oder den Bischof von Lemberg falsch informiert worden sein.

Die Ansichten von Teodorowicz widerlegt auch ein anderer Anhänger von Konnersreuth, nämlich Boniface, wenn er von Thereses Kindheit erzählt:

"Ihre starke Frömmigkeit fiel allgemein auf. Besonders beobachtete man, daß sie die Leidensgeschichte trotz aller Bemühungen sich zu beherrschen, nicht anhören konnte, ohne zu weinen. Oft verbarg sie sich in der Kirche, um nicht bemerkt zu werden."(32)

Einer der erstens der über Konnersreuth zur Feder gegriffen hat, war der Pfarrer von Münchenreuth Leopold Witt. Er versichert, in seinem Buche stehe kein Wort, mit dem Therese Neumann oder ihre Eltern nicht einverstanden sein könnten, Auch Witt erzählt, daß Therese "schon im zarten Kindesalter" eine besondere Empfänglichkeit für die Verehrung des bitteren Leidens und Sterbens Christi gehabt hat.

"Wenn in der Schule davon gesprochen wurde, preßte ihr dies Tränen des Mitleids aus. Der heilige Kreuzweg des Herrn gehörte schon früh zu ihren liebsten Andachten. Sie verrichtete ihn, wie sie es in der Kirche von Priester und Volk sah. Mit einer Freundin zusammen habe sie sich während der Schulpause gerne in die Kirche begeben und das Leiden und Sterben Christi betrachtet; ihr Mitleid mit dem leidenden Heiland habe sie manche Träne gekostet."(33)

Es ist auffallend, wie völlig anderslautend dieselbe Therese einen Bischof von Lemberg informiert hat!

Teodorowicz meint ferner: "Sie wußte vor allem nichts über die Stigmen und Stigmatisierte." Ähnlich drückt sich Boniface aus: "Noch nie hatte sie von Stigmen erzählen hören."(34) - Auch diese Angabe klingt unglaubwürdig. Einer der bekanntesten Heiligen ist Franz von Assisi. Es ist ausgeschlossen, daß über ihn in Konnersreuth weder in der Kirche noch beim Religionsunterricht gesprochen wurde. Zudem befinden sich an vielen Orten Mitglieder des sogenannten 3. Ordens des hl. Franziskus. Man kann einfach nicht annehmen, daß Therese Neumann bis zum 28. Lebensjahr nie etwas über Stigmen und Stigmatisierte gehört hat, vor allem wenn man bedenkt, daß ein Fenster des Konnersreuther Gotteshauses das Bild des Heiligen von Assisi mit Wundmalen zeigt.(35)

Eher noch wäre möglich, daß Therese Neumann die Schriften über Katharina Emmerich gelesen hat, wie Teodorowicz versichert:

"Sie liest keine Bücher über Visionen, wie beispielsweise die Werke der Katharina Emmerich; sogar später, als man ihr, der schon Stigmatisierten, dieses Buch zum Lesen anbietet, bezeigt sie keine Teilnahme dafür. Sie gibt dem Pfarrer, der ihr das Buch überreicht, mit den Worten zurück: 'Wenn Die mir befehlen, das Buch zu lesen, gehorche ich, aber wenn ich meinen Willen durchzusetzen hätte, so würde ich es nicht lesen', und sie hat keine Seite von den Offenbarungen der Katharina Emmerich gelesen."(36)

Trotz solcher Beteuerung muß die Richtigkeit der Angabe bezweifelt werden. Warum betont Therese so nachdrücklich daß sie nichts über das Leben und die Visionen der Katharina Emmerich gelesen habe? Wenn sie das angebotene Buch derart entschieden ablehnte so muß sie zumindest um seinen Inhalt gewußt haben, da sowohl Pfarrer Naber Veröffentlichungen über die Stigmatisierte von Dülmen besaß, als auch Thereses Vater Bescheid wußte, wie aus den Worten des Bischofs Teodorowicz hervorgeht: "Er stellt sich den klinischen Eingriffen an seiner Tochter noch aus anderen Gründen entgegen; er ist nämlich, wohlunterrrichtet davon, was für schrecklich schwere, aber erfolglose Versuche mit Katharina Emmerich angestellt wurden." - Die Darstellung, wie sie Teodorowicz bringt, will offenbar den Verdacht ausschließen, daß die Wundmale der Therese Neumann auf suggestivem Wege entstanden sein könnten.

Im übrigen sind die Visionen der Stigmatisierten von Konnersreuth weithin nichts anderes als eine Wiedergabe dessen, was sie sich im Laufe der fahre angelegen hat. Vor allem die "Konnersreuther Jahrbücher" und die Wochenschrift "Konnersreuther Sonntagsblatt" legen die vom Konnersreuther Kreis leidenschaftlich bestrittene Vermutung nahe, daß Therese Neumann Schriften über die Stigmatisierte von Dülmen gelesen hat. Es ist kaum ein bloßer Zufall, daß auch Katharina Emmerich das Kreuz von Golgotha in der eigenartigen Gabelform geschaut hat wie später die Stigmatisierte von Konnersreuth. Katharina Emmerich wiederum war bei ihrer Schau beeinflußt vom bekannten Coesfelder Kreuz.(37) Im Kloster bei Dülmen, wo Katharina lebte, befindet sich ein solches Kreuz, das die Nonnen bei ihren Andachtsübungen ständig vor Augen hatten.

Johann Fink stellt in seinem 1927 veröffentlichten Buch über Konnersreuth sogar die Behauptung auf, Therese habe "bis vor kurzem" nicht einmal die Namen der Seherin von Dülmen gekannt. Dr. Seidl soll einmal zu Therese, als sie in ihren Schmerzen dalag, gesagt haben: "Resl, jetzt liegen Sie aber bald da wie die Katharina Emmerich." Da sie Therese traurig geworden und habe den Pfarrer gefragt, wer denn diese Katharina Emmerich sei.(38) - Saß Therese Neumann sehr wohl über Katharina Emmerich informiert war, zeigt eine Bemerkung, die sie im September 1927 dem Minister Dr. Braun gegenüber gemacht hat. Dieser hatte zweifelnd bemerkt, daß die Stigmatisierte von Dülmen nicht wie Therese Jerusalem, sondern Ephesus als Sterbeort der Mutter Gottes bezeichnet hatte. "Therese jedoch erwiderte, daß von den Schriften, die der Katharina Emmerich zugeschrieben werden, nur die Hälfte von ihr ist, die andere Hälfte sei von Brentano."(39) - Sie konnte eine solche Angabe nur machen, wenn sie wesentlich mehr wußte als den Namen der westfälischen Seherin. Wann Sie zum ersten Mal von Katharina etwas erfahren hat, läßt sich nicht nachprüfen, Auf jeden Fall wußte Sie bereits im Früjahr 1926 Bescheid, Sie versicherte ja Dr. Seidl, von Katharina Emmerich oder Luise Lateau weder etwas gelesen noch überhaupt etwas von ihnen gehört zu haben.

Vergleicht man die Visionen der Katharina Emmerich mit denen der Therese Neumann, so findet man gerade bei ganz ausgefallenen Szenen so viele auffallende Parallelen, daß man von bloßen Zufall nicht mehr sprechen kann. Im "Konnersreuther Sonntagsblattt" von 1929 ist zu lesen:

"Beide schauen, wie bei der Geißelung versuchte Buben den Heiland nach seinen Kleidern zu greifen sucht, dieselben mit den Füßen wieder wegstoßen; beide sehen auch die Geißler, wie sie saufen. Was die sogenannte Dornenkrone betrifft, war sie nach Katharina Emmerich mehr eine Dornenhaube; ebenso nach Therese Neumann.. Nach beiden Stigmatisierten trug Jesus sein Kreuz nicht zusammengefügt, sondern als drei lose Balken, die erst auf Golgotha zusammengefügt wurden, und das fertige Kreuz hatte die Gestalt eines griechischen Ypsilons....Nach beiden Seherinnen wurde Jesus während der Vorbereitung zur Kreuzigung in einer Art Gewölbe gehalten und es entstand eine Pause..."

Beide sprechen von sieben Wächtern am Grabe Jesu. Katharina Emmerich und Therese Neumann stimmen auch weiteren Einzelheiten überein. Alle Soldaten, die auf dem Ölberg zu Boden gefallen sind, haben sich später bekehrt. Beim Begräbnis beteiligten sich der Hauptmann und der andere Soldat, der gesprochen hatte: "Das ist wahrhaftig der Gerechte!" Soldaten tragen Fackeln bei der Grablegung. Maria war bei der Vermählung 14 Jahre alt. Die Mutter Anna war dreimal verheiratet; eine ältere Schwester der Mutter des Herrn war mit einem Manne namens Kleophas verheiratet. Die Flucht aus Ägypten beginnt nicht unmittelbar in Betlehem, sondern in Nazareth. Maria von Bethanien ist identisch mit Maria von Magdala, die von beiden Seherinnen in ihrem Sünderleben in ähnlicher Weise geschildert wird. Die Gcschwister von Bethanien hatten noch eine dritte Schwester, die "stille Maria, die blöde Schwester des Lazarus". Jener Jüngling, der nackt vom Ölberg geflohen ist, war niemand anders als der Apostel Johannes.

Schließlich sei darauf hingewiesen, daß beide bei ihrer Freitagsekstase in einer merkwürdigen Szene übereinstimmen: Therese sieht, daß die Schergen die Löcher am Querbalken des Kreuzes in zu weitem Abstand gebohrt hatten.

"Sie binden einen Strick um das Handgelenk und ziehen, bis die Hand hineinpaßt. Sie reißen dabei den Arm aus dem Schultergelenk. Dann wird auch dieser Arm festgebunden und der Nagel durch die Hand getrieben."

Katharina Emmerich schildert:

"Die drei Löcher im Kreuz sind zu weit gebohrt. Als sie die eine Hand angenagelt, reißen sie die andere mit Stricken, die Füße anstemmend, auf das andere Loch. ... Der Leib war aus allen Gelenken auseinandergezerrt."(40a)

Die Ähnlichkeit ist so überraschend, darf der Verdacht, Therese Neumann sei genau über die Stigmatisierte von Dülmen informiert gewesen, zur Sicherheit wird, auch wenn Therese Neumann das nicht zugegeben hat. Im Jahr i953 hat sie sogar eidlich versichert: "Bücher über Visionen der sel. Katharina Emmerich und Ähnliches las ich in meinem Leben nie." Woher hatte sie dann ihr Wissen?

Fast genau zu der Zeit, als Therese Neumann ihre Wundmale bekam, wurde in der Diözese Trier die Stigmatisierte Anna Maria Göbel von Bickendorf als Schwindlerin entlarvt. Darüber wußte man im Konnersreuther Kreis sehr genau Bescheid. Aber dieses Leute ließen sich auch nicht durch die Ergebnisse der vom zuständigen Bischof berufenen Untersuchungskommission belehren; sie glaubte weiterhin an die Bickendorferin.

Johann Lenz, Professor am Trier Priesterseminar, hat im Jahr 1933 Therese Neumann ins Gesicht gesagt, er glaube nicht an die Echtheit der Erscheinungen, weil sie zu viel Ähnlichkeit mit Bickendorf hätten. Therese antwortete: Man habe ihr die Schrift über Göbel zugesandt; der Heiland habe ihr gesagt, sie solle die Schrift nicht lesen. Das habe sie auch nicht getan; sie habe die Schrift verbrannt.(41) Die zugesandt, von Johann Priller verfaßte Schrift nahm die Göbel auch nach Aufdeckung des Betruges in Schutz. Warum soll der Heiland verboten haben, die Schrift zu lesen? Therese Neumann hat die Ereignisse in Bickendorf wiederholt als übernatürlich bezeichnet, auch lange, nach dem das Ganze als Betrug entlarvt worden war. Was dichtet Therese Neumann dem Heiland an? Erstens, daß er Therese verboten hat, sich engen Tatbestand zu informieren; zweitens, daß er selber für einen erwiesenen Schwindel eingetreten ist; denn Therese hat in der Ekstase die Ereignisse von Bickendorf als übernatürlich bezeichnet. Therese beteuert, sie habe nie in ihrem Leben Bücher über Katharina Emmerich oder "Ähnliches" gelesen. Aber sie hat beispielsweise die Jahrbücher Lamas gelesen; sie hat sie sogar mit Anmerkungen versehen. In den Büchern Lamas geht es nicht bloß um Therese Neumann; dort ist auch vielfach die Rede von anderen "begnadeten" Person, Und das ist auf jeden Fall etwas "Ähnliches".

Zu der Lektüre, die Therese Neumann nach ihrer eigenen Versicherung bevorzugt hat, gehört die ihr periodisch zugesandte Schrift "Rosenhain". Im November 1927 hat dort Prälat Geiger - von Bamberg einen Artikel über den stigmatisierten Pater Pio veröffentlicht.(42) Das berechtigt zu der Annahme, daß auch früher in der Schrift ähnliche Themen behandelt worden sind,

Falls Therese Ncumann vor dem Frühjahr 1926 nie etwas über Wundmale und Stigmatisierte wie Franziskus und Katharina Emmerich gehört hätte, dann müßtc sie in der von ihr selbst angegebenen Privatlektüre ausgesprochen jene Artikel übersehen die von solchen Dingen handeln. Am 13, Januar 1953 bezeichnete sie bei ihrer eidlichen Vernehmung in Eichstätt als frühere Lieblingslektüre unter anderem die Zeitschrift "Der Sendbote des göttlichen Herzens Jesu" und die Schrift "Christkatholische Handpostille " von Leonhard Goffiné. In der Schrift "Goffinés" befindet sich eine Abhandlung aber den hl. Franziskus, wo auch von seinen Wundmalen die Rede ist. Von der Zeitschrift "Der Sendebote des göttlichen Herzens Jesu" seine nur zwei Jahrgänge herausgegriffen. Ein Artikel der Märznummer des Jahres 1918 hat zum Thema "Die Leidensblume von Coesfeld"; hier wird über Katharina Emmerich, die "Seherin" von Coesfeld berichtet, die mit Wundmalen ausgezeichnet worden sie. Unter dem Titel "Die Sonne Deutschlands" befaßt sich im Jahr 1924 eine Abhandlung in mehreren Fortsetzungen mit Katharina Emmerich. Unter anderem ist von ihren "Sühneleiden" die Rede und ebenso von den Wundmalen. Was von Katharina Emmerich gesagt wird, trifft auch später für Therese Neumann zu: Auch die Klosterfrau von Coesfeld hatte schon jahrelang vor der Stigmatisation ziehende Schmerzen in der Gegend der späteren Wundmale auszuhalten. Therese Neumann aber behauptet, sie habe vor dem Frühjahr 1926 nie etwas über Stigmen und Stigmatisation vernommen, ja der Name Katharina Emmerich sei ihr vorher nie zu Ohren gekommen.

Therese Neumann soll erst nach ihrer Stigmatisation von Katharina Emmerich etwas gehört haben. Auf eine entsprechende Bemerkung des Arztes Dr. Seidl hin soll sie sich beim Pfarrer erkundigt haben, wer diese Person sei. Ähnlich hat sie einmal, und zwar am

19. November 1926 verneint, die Kleine Theresia zu kennen. Sie litt an diesem Tage nach Beendigung der Freitagspassion an "Verschleimung der Luftwege derart, daß sie von

Erstickungsanfällen und Ohnmacht befallen wurde". Nach Anfällen von Lungenlähmung "verhauchte Therese Neumann nach Ansicht der Anwesenden ihren letzten Atemzug." Da hatte sie plötzlich eine Schauung, und sie kam in den "Zustand des Eingenommenseins". Der Pfarrer führte mit ihr ein längeres Gespräch. Therese gab auf alle Fragen genaue Auskunft. Unter anderem erzählte sie, daß jemand aus einem Lichtschein heraus zu ihr geredet habe. Der Pfarrer meint: "Das wird die hl. Kleine Therese gewesen sein." Darauf antwortete Therese: "Di kenn i net."(43) Kann man ihre Behauptung ernst nehmen, daß sie von Katharina Emmerich nichts gewußt habe?

Prof. Wunderle kommt in seiner Schrift Zur Psychologiee der Stigmatisation auf die sogenannte "vikariierende Menstruation" zu sprechen(44) und verweist auf einige ihm selber bekannt gewordene Tatsachen. Von Gynäkologen ist verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht worden, daß bei der Beurteilung von Stigmatisationen auch Störungen der Menstruation besonders beachtet werden müssen. Wunderle spricht von frommen weiblichen Personen, die ihm gelegentlich gestanden, daß sie beim Ausbleiben der Regel eine starke Blutfüllung der Hautgefäße, vor allem an den betreffenden Hand- und Fußstellen, gespürt hätten, wenn sie sich der Kreuzesbetrachtung hingegeben hätten.

"Eine dieser Personen machte mir an den Händen ein solches ,Stigma' vor, das sich einige Stunden hielt. Von irgendwelchen Täuschung oder auch nur von irgendwelchen Absicht zu täuschen, konnte dabei nicht die Rede sein." - Dr. Ewald weist auf eine bekannte Tatsache hin, "daß im Hungerzustand häufig eine Neigung zu Gefäßschädigungen mit nachfolgenden Hautblutung und Hautzerstörungen besteht."(45) Therese Neumann hat in den Jahren ihres Krankenlagers wenig Nahrungsmittel zu sich genommen; bereits in dieser Zeit wies sie Blutungen auf.

Wieweit bei ihr ein Zusammenhang zwischen Menstruation und Wundmale zu finden ist, läßt sich nicht entscheiden. Zu beachten ist jedenfalls die Tatsache, daß Theresevom 23. April bis zum 10. Juni 19 18 keine Menstruation hatte. Nach dem Fall von einer Leiter um die Wende Juli/August igi8 blieb die Menstruation für immer aus.(46) Diese von Gerlich gemachte Zeitangabe weicht allerdings von der ab, die Dr. Seidl gibt. Er sagt:

"Am Tage des Brandes blieb sie infolge der Durchnässung plötzlich aus und zeigte sich erst wieder in der Zeit vom April bis Juni 1919. Von da an war sie gering und unregelmäßig. Seit 1920 ist sie überhaupt verschwunden."(47)

Therese selber gibt einen anderen Termin an; sie sagte im Januar I953 unter Eid:

"Meine letzte Regel fiel in die Zeit des Unfalles 1918;...die Versuche der Ärzte, die Monatsregel wieder in Gang zu bringen, blieben ergebnislos."(48)

Was Suggestion bewirken kann, zeigt das vorübergehende Auftreten von Wundmalen bei einem schlesischen Arzt. Es handelt sich um A. Mutke aus Domanze. Er selber schilderte am 17. November 1934 den Verlauf der Ereignisse dem Bischof von Regensburg. Seit dreißig Jahren hatte er sich in keiner Weise mehr religiös betätigt. Dann wurde er schwer krank. Eines Tages besuchte ihn sein Vertreter in der ländlichen Praxis; überrascht bemerkte er: "Was haben Sie denn an ihren Händen? Sie sind ja stigmatisiert!" Auf dem Handrücken war eine "zweimarkstückgroße, .ziemlich abgegrenzte, tief dunkelrote, fast blutige Stelle". Ein ähnliches Mal zeigte sich auf der Schulter. Ungefähr siebenmal traten die Male zutage, nachdem sie immer wieder verschwundenwaren. Als Entstehungsursache gibt der Arzt selber an: "Die Termine sind unbestimmt, jedoch durch inneres seelisches Erleben bedingt. Ich kann das Eintreten etwa 24 Stunden voraussagen. Das innere Erleben läßt sich mit wenigen Worten nicht beschreiben. In der Zwischenzeit tritt Heilung ein." Einer der drei geistlichen Neffen des Arztes, Kurat Walter Mutke, sieht die Dinge in engem Zusammenhang mit den Vorgängen in Konnersreuth. Er sagt: "Da er sich mit diesen Ereignissen in Konnersreuth so viel befaßt hat, ist wohl zu erklären, daß an seinen beiden Händen Wunden entstanden sind, die bisher fünfmal aufgebrochen sind"(49). - Der geschilderte Stigmatisationsfall wurde nicht bekannte weil der Arzt so klug war, der Öffentlichkeit gegenüber zu schweigen. Suggestive Einwirkung ist ohne Zweifel imstande, Wundmale auftreten zu lassen; es handelt sich dabei um rein natürliche Vorgänge.

Ein lehrreiches Beispiel für unkritische Wundersucht findet min im Buche Steiners, nämlich in dem Photo bei S. 160 und dem Text dazu. Es wurde am 17. Mai 1927 aufgenommen. Hören wir hierzu den Bericht Gerlichs:

"Der Gottesdienst in der Kirche war bereits zu Ende, als Therese Neumann eine Schauung erhielt. Einige Einwohner von Konnersreuth hatten das Presbyterium betreten und betrachteten aus respektvoller Entfernung Therese Neumann, die sich im Zustand der Beschauung befand. Plötzlich riefen einige der Betrachter: Das Stigma an der linken Hand leuchtet, es gehen Strahlen von ihm aus. Andere bestritten diesen Vorgang. Pfarrer Naber, der das Leuchten nicht wahrnahm, rief dem Hauptlehrer, der den Gesangchor geleitet hatte und noch anwesend war, zu, er möchte doch seinen Photographierapparat holen und eine Aufnahme machen. Dieser eilte in seine Wohnung im benachbarten Schulhaus, brachte seinen Apparat und machte eine Aufnahme. In der Erregung hat er die Platte nicht voll belichtet."(50)

Wiederholt muß man feststellen, daß die Konnersreuther Gewährsleute, wenn sie über ein und dasselbe Ereignis berichten, sich in wesentlichen Punkten widersprechen. Auch in diesem zuletzt geschilderten Fall trifft das zu. So berichtet Franz Huber in seinem 1950 erschienener Buch über die Entstehung jenes Bildes vom 17. Mai 1927.(51) Er spricht von "zahlreichen Augenzeugen", die "zuweilen" die Lichtstrahlen beobachtet haben sollen. "Mehrmals sollen "Fremde und Einheimische" Zeugen gewesen sein; aber nur das Mal der linken Hand habe "hell wie die Sonne" geleuchtet. Am 17. Mai, dem Jahrestag der Heiligsprechung der Kleinen Theresia, habe man mit der Wahrscheinlichkeit eines auffallenden Ereignisses gerechnet. Lehrer Böhm habe sich in Erwartung der Lichtstrahlen "unter den Gläubigen" hinter dem Hochaltar - auch dort seien während des Gottesdienstes Leute gestanden - so aufgestellt, daß er Therese "voll im Sucher" gehabt habe. Und wirklich, die Lichtstrahlen hätten sich gezeigt.

"Inmitten der allgemeinen Spannung machte Hauptlehrer Böhm in aller Ruhe und Sicherheit, kaum bemerkt, zwei Aufnahmen."

Den zeitlich wohl ersten Bericht bringt Pfarrer Leopold Witt.(52)

Nach seiner Darstellung wir Therese gerade im Begriff, in Begleitung ihres Bruders heimzugehen, während sie noch etwas mit dem Pfarrer besprach. Plötzlich sei ihr die hl. Theresia erschienen. Sogleich habe Naber die Eltern der Visionärin und den Hauptlehrer gerufen. Seltsam sei, daß man das Leuchten mir auf dem Lichtbild sehe, "während es in der Ekstase in Therese niemand Vater Neumann habe ausdrücklich versichert: "Ich war dabei, aber von einem Leuchten der Wunden habe ich nichts gesehen."

Nach Leopold Witt also hat überhaupt niemand ein Leuchten des Stigmas beobachtet; erst durch das Lichtbild sei man aufmerksam geworden. Gerlich spricht bereits von mehreren Zeugen für die Strahlen und Huber gar entpuppt sich als vollendeter Märchenerzähler.

Je später die Berichterstatter Auskunft in Konnersreuth einholten, um so mehr wurde das Wunder ausgemalt. Als am 2. und 3. Juni 1927 vier Regensburger Domherren in Konnersreuth weilten, hat ihnen Pfarrer Naher die Entstehung des Bildes geschildert.(53) Demzufolge hatte Therese am Feste Christi Himmelfahrt - also nicht am 17. sondern am 26. Mai - während des Gottesdienstes eine Vision. Nach dem Gottesdienst rief der Pfarrer den Lehrer und veranlaßte ihn, "schon um der erbauenden Schönheit dieses Anblickes willen", eine Aufnahme von Therese zu machen, die beide Arme hochreckte. Die entwickelte Platte zeigte der Pfarrer der bischöflichen Kommission. Zu sehen war ein kleiner dunkler Fleck den der Pfarrer als eine Art von Stern bezeichnete. Von einem Leuchten des Wundmales ist nicht die Rede.

Am 19. Dezember 1930 ersuchte der Nuntiaturrat Dr. Brunelli Pfarrer Naber um Photographien von Therese, insbesondere wollte er jenes Bild mit dem angeblich leuchtenden Wundmal. "Aber er es war keines zu bekommen. Er sagte, die Photographien habe er nicht er, sondern jemand anderer und dieser sei nicht in Konnersreuth. Diese Person habe alle Photographien, damit sie nicht verloren gingen (?). jene Photographie, auf welcher Therese einen Lichtschein in der Wunde der Hand zeigt, habe er nicht (der Lehrer dagegen sagte mir, daß sie der Pfarrer habe) und er habe, obwohl anwesend, den Lichtschein nicht gesehen, der auf der Photographie sich zeigte.(54) Dazu meint Brunelli: "Entschuldigungen, Widersprüche, Unsicherheit und vielleicht Lügen!" Im Juni 1927 besaß der Pfarrer die entwickelte Platte mit dem angeblich leuchtenden Wundmal! Dazu kommt noch: Beim ersten Besuch in Konnersreuth, am

12. Dezember I930, war Brunelli kurz beim Lehrer; dieser zeigte ihm das Bild und erklärte, der Pfarrer besitze sowohl das Negativbild wie auch Abzüge davon.(55)

Nun zum Bild selber! Wie schaut denn das Mal aus, das "hell wie die Sonne" geleuchtet hat? Therese hat die Hände parallel zueinander erhoben,. Bis zu den Fingern sind sie mit Handschuhen bedeckt. Die Innenfläche der linken Hand zeigt einen hellen Fleck, der einen Durchmesser von etwa fünf Zentimeter aufweist. Das Stigma an der rechten Hand - der dem Beschauer zugewandte Handrücken - leuchtet nicht; dabei ist das Stigma in der Innenfläche nur erbsengroß, während das auf dem Handrücken wesentlich größer ist. - Die Angabe der Berichterstatter stimmt also nicht, denn das Stigma leuchtet gar nicht; es kann auch gar nicht leuchten, weil es vom Handschuh bedeckt ist. Es handelt sich um eine einfache Reflexerscheinung, verursacht durch das Licht, das durch die zum Altarraum führende, geöffnete Sakristeitüre dringt. Der Fleck an der Innenfläche der linken Hand unterscheidet sich nicht wesentlich von der Helligkeit der unbedeckten Finger der rechten Hand; der Fußboden und das Tuch, beziehungsweise die Watte auf dem Schoß der Stigmatisierten weisen sogar ein helleres Weiß auf als der Fleck an der Hand. Von einem Leuchten des' Wundmales ist nicht die geringste Spur zu sehen.

Zusammenfassend läßt sich über die Stigmen sagen: Im dunkeln liegt, wann und auf welche Weise die Wunden entstanden sind. Der Austritt von blutiger Flüssigkeit aus den Augen und anderen Körperstellen der Therese Neumann setzt nicht erst mit dem Auftreten der Wunden ein, sondern bereits Jahre zuvor. Am 7. November 1924 schreibt Therese: "Heute noch sieht man auf beiden Händen die Masen, wo ich vor lauter Qual aufkratzte." Der Gedanke, daß auf ähnliche Weise die späteren Wundmale entstanden sind, liegt nahe. Kein einziger Beobachter kann den Beginn von Blutaustritt aus irgendeiner Wunde bezeugen. Lediglich das wollen einige gesehen haben, daß sich Bluttränen gebildet haben; aber auch hier bleiben viele Fragen offen. Der Verdacht auf künstliche Nachhilfe ist nur zu begründet, es muß sogar angenommen werden, daß sich Therese die Haut aufgekratzt hat und daß die dann vorhandenen Wunden künstlich zum Bluten gebracht worden sind. Als eine Wunde am Brustbeinbein erstmals Blut absonderte, dachte Therese selber nicht an ein Wundmal, ja ihrer Versicherung gemäß nicht einmal dann, als die Hand- und Fußwunden vorhanden waren. Weiterhin machen die widersprechenden Angaben über die Zeiten, in denen die einzelnen Wunden erstmals aufgetreten sein sollen, die Sache recht fragwürdig. Vielleicht war es der Pfarrer von Konnersreuth, der durch entsprechende Hinweise auf das Leiden Christi den eigentlichen Anstoß gegeben hat. Das Vorhandensein einer Schulterwunde sowie von Kopf- und Geißelungswunden ist durch leinen Beobachter belegt. Suggestion könnte höchstens das

Auftreten der Male als solche erklären, nicht aber die angeblich so ausgiebigen Blutungen. Nach den Worten des P. Gemelli scheidet der Ausfluß von Blutkörpechen durch die Wand der Blutgefäße Demnach können die Wunden nur durch künstliches Zutun zum Bluten gebracht worden sein. Eine Menge bis zu drei Litern Blut kann Therese Neumann allerdings an einem Tag unmöglich verloren haben.

6. Vergleich mit kanonisierten Stigmenträgern

Vergleicht man die allmähliche Ausbildung der Wundmale bei Therese Neumann mit der Stigmatisation kanonisierter Heiliger, so offenbaren sich wesentliche Unterschiede. Drei der bekanntesten kanonisierten Stigmatisierten - Franz von Assisi, Katharina von Siena und Gemma Galgani - waren in ihrem normalen Gesundheitszustand, als sie die Wundmale empfingen; dies geschah, während sie im Gebet versunken waren. Therese aber lag krank darnieder; sie war so sehr körperlich und geistig erschöpft, "daß ,sie die Wochentage nicht mehr unterscheiden konnte". Sie selber gesteht, sie vermöge nicht genau anzugeben, wann sie die Wundmale bekommen habe.

Ebenso auffallend ist die Tatsache, daß sie die Stigmen nicht auf einmal empfangen hat, wie dies bei den Heiligen der Fall war; sie entwickelten sich bei ihr erst allmählich. ja, sie werden von den Beschauern immer wieder anders beschrieben. So waren die Stigmen auf dem Handrücken zuerst rund, später rechteckig und schließlich werden sie als rautenförmig beschrieben.(1) Hier scheint nicht ohne Einfluß der Einwand von Kritikern gewesen zu sein, die Nägel, mit denen Jesus ans Kreuz geschlagen wurde, seien nicht rund gewesen.

Erst drei Jahre nach der ersten Wunde ist von einer Schulterwunde die Rede. Als Pfarrer Witt seine Bücher über Therese Neumann schrieb, wußte diese noch nichts über Anzeichen eines beginnendes Males. Er faßt das Nichtvorhandensein einer Schulterwunde als Beweis auf gegen die Möglichkeit einer Einwirkung suggestiver Kräfte. "Würde es sich ", so sagt er, "um Auto- oder Fremdsuggestion handeln, so wäre es auffallend, daß Therese nicht die Schulterwunde hat. Andere Stigmatisierte hatten Sie"(2). Wir wissen, daß ein paar Jahre später auch von einer Schulterwunde die Rede ist.

Wer hat diese Wunde gesehen und wie ist sie entstanden? Franz Spirago schreibt in seiner Schrift über Therese Neumann:

"Während der vierzigtägigen Fastenzeit des Jahres 1928 empfand Therese Neumann Schmerzen an der rechten Schulter, die aber mit Schluß der Fastenzeit aufhörten. In der vierzigtägigen Fastenzeit des Jahres 1929 kehrten jene Schulterschmerzen wieder, und zwar mit erhöhter Heftigkeit. Freitag, den 8. März 1929, wurde auf der rechten Schulter plötzlich ein großer Fleck am Kleid sichtbar, und nun war offenkundig, daß zu den Wundmalen Christi auch die Schulterwunde hinzugekommen war."(3)

Der "Altöttinger Liebfrauenbote" verlegt das "plötzliche" Auftreten der Schulterwunde auf den 30. März 1929.

Aber die Schulterschmerzen während der Fastenzeit 1928 erfahren wir Näheres durch Domkapitular Dr. Reichenberger, der am 30. März 1928 zusammen mit P. Gemelli, Stadtpfarrer Höfner und Dr. Seidl nach Konnersreuth gekommen war. Nach 7 Uhr greift Therese mit der Hand "nach dem Rücken" und jammert: "Heiland, wie das sticht!" Dr. Seidl meint, es handle sich um rheumatische Schmerzen; die Mutter behauptet, Therese habe Lungen- und Rippenfellentzündung; der Vater spricht von einer Schwellung an der Schulter. Doch der Arzt wird seinen Grund gehabt haben, warum er zu den Diagnosen der Eltern geschwiegen hat. Von einer Schulterwunde jedenfalls sprichtniemand; es war keine vorhanden. Dafür bürgt auch P. Gemelli; er spricht lediglich von einer "kaum sichtbaren Anschwellung am rechten Schultergelenk". Acht Tage früher, am 22. und 23. März 1928 eilten in Konnersreuth zur Beobachtung die beiden Regensburger Bischöfe zusammen mit Ärzten und Theologen, aber von einer Schulterwunde erfährt keiner etwas.

Nun die große Überraschung! Am26. März 1928 übersandte Pfarrer Naber einen Auszug aus seinem Tagebuch an den Bischof von Regensburg. Der Eintrag für den 20. und 21. März lautet: "Gelenkrheumatismus und Schulterwunde insbesondere verursacht Therese große Schmerzen." Im nächsten Bericht an den Bischof vom 2. April gibt Naber für den 27. März an: "Die angekündigte Lungenentzündung macht sich jetzt stark bemerkbar, daneben besonders Gelenkrheumatismus und Schulterwundenschmerzen." Am 23. März verließ der Regensburger Bischof mit ,einen Begleitern Konnersreuth. Am selben Tag schrieb Pfarrer Naber in sein Tagebuch: "Schließlich leidet sie noch rasende Schmerzen in der rechten Schulter für jemand, der an diesem Tage da gewesen war und, wie sie sagte, die Schulterwunde nicht anerkennen wollte." Unmittelbar vor dieser Bemerkung werden die genannten Herren aufgezählt. Diese also waren die "Ungläubigen ", für die Therese so furchtbar leiden mußte, weil sie die Existenz der nicht vorhandenen Wunde nicht "anerkannten".

Niemand hat in der Fastenzeit 1928 etwas von einer Schulterwunde bemerkt, außer der Stigmatisierten von Konnersreuth und ihrem Pfarrer. Nach Spirago wurde erst am 18. März 1929 auf der rechten Schulter "plötzlich ein großer Blutflecken am Kleid" sichtbar. Dem Bischof berichtete Pfarrer Naber am 26. April 1929, in der vergangenen Fastenzeit habe die Schulterwunde "zum erstenmal" etliche Male geblutet.(6) Über das Aussehen der Wunde selber sind nirgends Angaben zu finden. Wer hat sie gesehen?

Bemerkenswert ist die Tatsache, daß bei Therese Neumann verschiedene Körperstellen, die später bluteten, längere Zeit vorher eine starke Druckempfindlichkeit aufgewiesen haben. Seit dem Herz-Jesu-Freitag im November1926 zeigten sich Blutungen zuerst an drei, später an acht Stellen der bedeckten Kopfhaut. Schon längere Zeit zuvor bestand dort eine starke Druckempfindlichkeit, "ohne daß hier etwas Auffallendes hätte festgestellt werden können". Am Karsamstag 1927 früh bemerkte Therese zum erstenmal die Stigmata an den Innenflächen der Hände und an den Fußsohlen. Schon seit dem 15. Mai 1926 konnte Dr. Seidl Druckempfindlichkeit an den gleichen Stellen bemerken, "ohne daß hier äußerlich etwas Abnormales, etwa eine Hyperämie oder eine Anämie bemerkbar war". Ähnliches spielte sich ab, bevor die Jacke an der rechten Schulter Blutspuren aufwies. Zu diesen Beobachtungen bemerkt Dr. Seidl:

"Die Tatsache, daß vor dem Auftreten der Blutungen am Kopf und an den Handflächen der Hände und an den Sohlenflächen der Füße monatelang, eine sehr starke Druckempfindlichkeit bestand, zwingt wohl zu der Annahme, daß biologische Vorgänge sich abspielen müssen, bevor die Stigmata äußerlich sichtbar werden. Daß die Therese seit 1927 häufig an heftigen Schmerzen in der rechten Schultergegend leidet, die sie selbst für rheumatisch hält, berechtigt vielleicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu der Annahme, daß über kurz oder lang auch das Stigma der Schulter sieh zeigen wird."(7)

Was Dr. Seidl vermutet hat, ist eingetreten; nur ist niemand bekennt, der die Wunde selber gesehen hat.

Dr. Witry, der sich als Arzt besonders für die Aussagen der Mediziner interessierte, mußte feststellen: "Ich habe die Beobachtung aller Ärzte seit der Stigmatisation gesammelt. Alle wiesen Veränderungen auf."(8) Dabei sagt dies Witry sechs Jahre nach dem Auftreten der ersten Wundmale. Bei dieser Sachlage muß man die Frage stellen: Woher kommen die andauernden Veränderungen? An einem Augusttag des Jahres 1926 fand Prof. Killermann die Wunden auf dem Handrücken als "rote, scheibenförmige, etwa 2-Mark-Stück große, scharf umrandete Stellen, wie aufgepreßter Siegellack, etwas erhaben über der übrigen blassen Haut, oder wie Muttermäler". Am 7. April 1927 war Killermann wieder in Konnersreuth. Er sagt nun über dieselben Wunden: "Zu meiner Verwunderung fand ich die Male diesmal kleiner, etwa 5o-Pfennig-Stück groß und nicht so erhaben wie im vorigen Jahr."(9) Dr. Seidl sah die Wundmale immer oberflächlich; sie gingen nicht über die Dicke der Haut hinaus. Frau M. Hartmann aus Breslau versichert im Jahre 1939 in ihrem Bericht über ihren Besuch in Konnersreuth: "An den Händen war von Stigmen nichts zu sehen. Als Therese mich bemerkte, versteckte sie die Hände wieder (wie am Morgen). Ich kann beeiden, daß sie keine Stigmen trug."(10) Schulrat

Dr. Miller strich im Oktober 1927 mit dem Daumen über die Wundmale der Hand und vergewisserte sich: "Sie waren nur oberflächliche Rötung der Haut, die nicht ins Unterhautgewebe hineindringen." Auch nach Martini war die Oberfläche eben. Frl. Isenkrahe sagt das gleiche: Es waren "nur Hautveränderungen an der Oberfläche". Dr. Ewald spricht im Jahr 1927 von "Schorfen", die nicht abheilen. Er bezeichnet die Male an den Streckseiten der Hände und Füße als "etwa -Pfennig-Stück große, leicht erhabene, schorfähnliche, leicht höckrige Gebilde". In einem Artikel desselben Jahres %werden die Wundmale beschrieben als "fast vollkommen kreisrund, 10-Pfennig-Stück-große Flecken, mit einem zarten dunkelroten Häutchen überzogen, das sich wie feine biegsame Gelatine gefüllt"; "Bildung von Borke oder Grind" sei nicht vorhanden. ebenfalls anders als Dr. Ewald sieht Dr. Lemke die Wunden und zwar im Oktober 1927; er sagt: "Wundrand, Wundschorf und das sogenannte Granulationsgewebe" fehlen". Dr. Witry hat in seinem nach 1932 veröffentlichten Buch die Wunden am Handrücken so geschildert: "Die ganze substanzielle Struktur erhob sich etwa 2,5 Millimeter, in tafelartigem Relief, über die umgebende Haut. Die abfallenden Ränder waren steil und hoch an allen Seiten. Die Stigmata erschienen quasi vulkanös aus der Mitte des Handrückens emporzusteigen." Therese erzählte dem Arzt: "In der Hohlhand oder an den anderen Stigmen hab ich nie irgend etwas wie einen Auswuchs oder etwas Hartes wie einen Nagelkopf gehabt." So sagt Therese; aber ein Augenzeuge, der Arzt Dr. Louis, weiß es anders; er versichert: "Sie (die Stigmen) haben zweifellos die Gestalt eines geschmiedeten Eisennagels, der die Hand von außen nach innen durchbohrt und dessen Spitze mit einem Hammerschlag umgebogen ist."(12) Prof. Matzinger, Schriftleiter des Österreichischen Korrespondenzblattes, hat in einem Besuch in Konnersreuth "nichts Außerordentliches" bemerkt; er glaubte lediglich, "an den Händen Spuren von Stigmatisation zu sehen"(13). Theresia, Oberin der Marienschwestern in Steinau an der Oder, bezeugt: "Ich habe das Blut für echt gehalten; aber richtige Stigmen waren es nicht, sondern Bereitete Stellen an den Händen."(14)

Dr. Poray-Madeyski sah im Jahr 1936 die Wundmale "scharf begrenzt rautenförmig, wie ein augeklebtes Pflaster, in der Hand aber nur wie oberflächliche Schrunden". Als er darüber sprach, zeigte er dem Gesprächspartner seine eigene Hohlhand, die die gleichen Schrunden aufwies, die Folge eines alten Leidens. Es ist von Stigmatisierten bekannt, daß sie ihre Wundmale durch ein reizendes Pflaster erzeugt haben. Klara Mös, die Stifterin des 2. Ordens vom hl. Dominikus auf dem Limpertsberg in Luxemburg, hat eine Ordensfrau wiederholt "heimlich" in die Apotheke geschickt, um Einkäufe zu besorgen. Einmal übergab sie der Schwester einen Zettel, angeblich um sich "Pfefferminzpastillen" geben zu lassen. Als der Apotheker den Zettel gelesen hatte, sagte er: "Das ist ja Zugpflaster", und überreichte das Gewünschte"(15). Auch der im Jahr 1968 verstorbene italienische Pater Pio hat sich Zugpflaster verschafft. Am 5. Februar 1939 wurde der Benediktinerabt Laurentius Zeller in St. Matthias zu Trier zum Bischof geweiht. Beim Besuch des Trierer Redemptoristenklosters erzählte er in Gegenwart von anderen Zeugen dem Pater Norbert Brühl, Kardinal Schuster von Mailand habe ihm persönlich gesagt, "P. Pio habe Chemikalien benützt, um die Wundmale und den Duft zu erzeugen; man habe auch die Drogerie festgestellt, woher Pio die Chemikalien bezogen hat"(16). P. Gemelli hat in seiner Eigenschaft als Arzt den Pater untersucht und versichert, daß P. Pio die Wunden mit Chemikalien erzeugt hat. Auf die Untersuchung durch Gemelli hin wurde von Rom aus sechsmal vor jeglichem Verkehr mit dem Pater, sei es persönlich oder schriftlich, gewarnt(17). - Der Verdacht, daß auch Therese Neumann künstlich nachgeholfen hat, liegt schon deshalb nahe, weil ihre Wundmale immerfort Veränderungen aufgewiesen haben.

Seinem "ärztlich-medizinischen Bericht" vom Jahr 1928(18) hat Dr. Seidl einige Aufnahmen beigefügt. Auf zwei Bildern, am 14. Juli um 16.30 Uhr aufgenommen, sieht man deutlich die Wundmale an den Händen. Die Handfläche auf dem Bild weist eine Länge von etwa 2 mm auf; die Länge der Wundmale auf dem Handrücken beträgt etwa 2 mm und die Länge in der Handfläche 1 mm; das Aussehen beider Male ist ohne Unterschied gleich dunkel. Auch auf einem anderen Bild, aufgenommen am 15. Juli um 11.30 Uhr, ist das Wundmal in der Handfläche deutlich zu erkennen, obwohl sich die Handfläche im Schatten befindet. Seidl bezeichnet die Wunden in der Handfläche als "Stigmata geringeren Umfangs". Msgr. Brunelli wiederum findet sie als "kaum angedeutet". Auch Steiner bringt mehrere Bilder. Auf der am Ostermorgen 1936 gemachten Aufnahme hat das Mal in der Handfläche der linken Hand ein den im Jahr 1927 angefertigten Bildern ähnliches Aussehen; das gleiche gilt für das am

31. Oktober 1941 gemachte Bild". Dieses fällt aber insofern auf, als das Stigma in der Handfläche der linken Hand an Aussehen und Größe dem auf dem Handrücken der rechten Hand gleicht; hier ist das Wundmal im Handteller nicht - wie es allgemein heißt - kleiner als auf dem Handrücken. Noch auf etwas anderes muß aufmerksam gemacht werden: Alle in Steiners Buch zu Lebzeiten der Stigmatisierten angefertigten Bilder zeigen, daß die nicht blutenden Wundmale auf dem Handrücken keine Ausbuchtung aufweisen; sie sind völlig flach, nicht über die Haut hinausreichend. Ein ganz anderes Stigma sieht man auf dem rechten Handrücken der verstorbenen Therese Neumann(20). Hier findet man das von Dr. Witry im fahr 1932 beschriebene, auffallend vulkanöse Mal. Es gleicht den Wundmalen eines "in den ersten Jahren nach der Stigmatisation" gemachten Bildes, wie wir es in der Schrift von Anni Spiegl auf S. 65 finden.

In Steiners Buch befindet sich auf S. I76 ein in Eichstätt aufgenommenes Bild. Hier ist auf der Handfläche der rechten Hand kein Wundmal zu erkennen. Im Jahr 1968 wurden vom Verlag Friedrich Feilner in München mehrere Farbaufnahmen verschickt. Auf einem der Bilder ist die Handfläche der rechten Hand zusehen. Die Handlinien sind zwar deutlich zu erkennen, aber von einem Wundmal sieht man nichts, auch nicht mit Hilfe eines Vergrößerungsglases, obgleich die Handfläche ungefähr ,4 mm mißt. Das auf dem Bild fehlende Wundmal soll am 17. Mai 1927 durch den Handschuh hindurch geleuchtet haben!

Dr. Witry meint zu den widersprüchlichen Schilderungen der Wundmale: "Nach den medizinischen Berichten über die Resl, die ich gesammelt habe, gibt es demnach Ärzte und Naturforscher, die bei der Resl Sachen gesehen und beschrieben haben, die niemals existiert haben." Die eigene Beobachtung berechtigt Dr. Witry nicht, die Beobachtungen anderer Ärzte insgesamt als falsch hinzustellen. Richtiger hätte der Arzt geurteilt, wenn er den Grund für die widersprüchlichen Beschreibungen nicht bei den Beobachtern, sondern bei der Stigmatisierten gesucht hätte.

Der grundlegende Unterschied zu den genannten Stigmatisierten ist der, daß diese beim Empfang der Wundmale bereits auf der Höhe des mystischen Lebens standen, während es bei Therese Neumann nicht einmal begonnen hatte. So gesteht Bischof Teodorowicz: "Das mystische Leben und die mystischen Gnaden Therese Neumanns beginnen erst nach der Stigmatisation." Therese selbst hat ihm versichert, sie habe vorher nichts von inneren mystischen Erlebnissen in sich verspürt. Da hätten aber dem Bischof von Lemberg Bedenken kommen müssen, hatte ihm doch Therese ausführlich über ihre "Erlebnisse mit der hl. Theresia" und die verschiedenen wunderbaren Krankenheilungen berichtet; wußte er doch aus ihrem eigenen Munde von den bereits im Jahr 1922 eingetretenen "stellvertretenden Leiden". Wir müssen uns die Aussage der Stigmatisierten merken; denn wir werden später hören, daß Therese Jahre später unter Eid ausgesagt hat, sie habe bereits in ihrer Kindheit wiederholt ganz außerordentliche mystische Erlebnisse gehabt.

Nimmt man zu den bisher angegebenen Punkten noch die Tatsache, daß Therese Neumann auch in ihrem späteren Leben Fehler aufweist, die mehr als bedenklich stimmen, dann versteht man die Schlußfolgerung: Die Wundmale der Therese Ncumann waren mit Sicherheit rein natürlichen Ursprungs; es kommt ihnen kein übernatürlicher, charismatischer Charakterzu.(21)

Einmal beschäftigten sich Beobachter in Konnersreuth mit der Frage, welche durch Kritiker aufgeworfen worden war: Wie weit stimmen die Wundmale bei Therese Neumann überein mit den Berichten, die wir über die Wunden Christi besitzen? Schließlich wurde Therese, welche sich gerade im Zustand der Ekstase befand, "über solche Abweichungen ihrer Stigmen" befragt. Darauf kam die Antwort: "Das ist so, damit sie etwas zu kritisieren haben.(21a)

Es wurde bereits erwähnt, wie widersprechend die Angaben über Therese Neumann und ihre Einstellung zur Passion Christi lauten. Nochmals sei hingewiesen auf die Versicherung des Erzbischofs von Lemberg, Therese habe vor der Stigmatisation keine besondere Andacht zum Leiden des Herrn gehabt, eine Behauptung, die er merkwürdigerweise sogar für ihr späteres Leben aufrecht hält. Er sagt, es sei ihr eine "physische Unmöglichkeit", über das Leiden Christi nachzudenken. Nie rühre sie nach ihren eigenen Worten in ihren Betrachtungen an dieses Thema. Teodorowicz erzählt dann ein Beispiel aus der Zeit seines Aufenthalts in Konnersreuth:

"Ich war damals eben bei einer Mission, die Kapuziner in Konnersreuth hielten. Sie hatte mich auf ein frisches Beispiel hingewiesen, welches das von ihr Gesagte grell beleuchtete: Sie beteiligte sich an der Mission und an den Andachtsübungen, die in der Kirche stattfanden. Eben war ich zugegen in der Kirche - erzählte sie mir -, ,als man den schmerzhaften Rosenkranz betete. ...Es war für mich schier unmöglich, sagte sie -, an diesem Gebete länger teilzunehmen; ich mußte trotz des Aufsehens, das ich dadurch erregte, die Kirche während des Gebetes auf das schnellste verlassen. In solch einem Seelenzustande befindet sie sich jetzt."(22)

Dieser eigenartige "Seelenzustand" blieb von Dauer. So versicherte Therese am 16. Januar 1953 unter Eid: "Wenn ich vom Leiden Christi höre, den Kreuzweg oder den schmerzhaften Rosenkranz beten will bzw. möchte, dann greift mich dies nach einiger Zeit seelisch so an, daß ich starke Herzbeschwerden bekomme und ohnmächtig werde. Der verewigte H. H. Kardinal Faulhaber hat mich darob beruhigt, daß ich mir unter diesen Umständen keinen Vorwurf zu machen brauche, wenn ich von den erwähnten Gebetsformen abstehe." Aber dem Pfarrer Leopold Witt erklärt sie, der Kreuzweg habe "schon früh zu ihren liebsten Andachten" gehört und nach den Worten ihres Heimatpfarrers betete sie gern den Kreuzweg. Anni Spiegl versichert, Therese habe während ihrer Leidenszeit "in den langen schlaflosen Nächten" mit Vorliebe das Leiden Christi betrachtet. Dieselbe Therese vermag den Gedanken an Leiden und Tod unseres Heilandes - grundlegende Wahrheiten unseres Glaubens - nicht -zu ertragen! Diese erstaunliche Tatsache provoziert die Frage: Womit hat sie sich denn in ihrem Gebetsleben beschäftigt Woran hat sie dann bei der Feier der hl. Messe, die sie allerdings nur als Nebensächlichkeit betrachtete, gedacht? Die Feier der hl. Eucharistie ist doch die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Christi. Wie vermochte sie überhaupt den Anblick eines Kreuzbildes zu ertragen, zum Beispiel das große Kruzifix, das an der Rückwand des Hochaltars in der Kirche hing und das sie ständig vor Augen hatte, wenn sie in ihrem Polstersessel saß? Wenn sie nicht fähig war, ohne Herzbeschwerden und Ohnmachtsanfälle betend an das Leiden Christi zu denken, wie hat sie es dann fertiggebracht, den Ablauf der Schauungen an den Freitagen anderen zu schildern, und zwar außerhalb der Passionen? Und schließlich die entscheidendste Frage: Hat man je von einem Heiligen gehört, daß er nicht an das Leiden Christi denken konnte oder wollte?


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Letzte Änderung: 26. Dezember 2002