Konnersreuth als Testfall

IV. Ekstatische Zustände

1. Die ekstatischen Trancen im Überblick

In der Fastenzeit des Jahres 1926 erhielt Therese Neumann die Wundmale. Gleichzeitig stellten sich Ekstasen ein, die im Laufe der Jahre eine feste Form an nahmen. Im Schrifttum über Konnersreuth, vor allem bei Teodorowicz, wird ausführlich darüber berichtet.

Zunächst muss in aller Kürze etwas über die wichtigsten ekstatischen Zustände gesagt werden, die unterschieden wurden, weil das zum Verständnis der aufgestellten Thesen notwendig erscheint.

Zum Normalfall der mystischen Zustände gehörte, den Angaben gemäß, der Zustand des visionären Schauens. Darauf folgte der Zustand der „kindlichen Eingenommenheit“ und schließlich die „gehobene Ruhe“. Es wurden noch andere mystische Zustände unterschieden; diese sind jedoch nicht so wesentlich, dass man auf sie eingehen müsste.

Anfänglich erlebte Therese Neumann vergangene Ereignisse aus dem Leben Christi oder der Heiligen so, wie sie sich seinerzeit abgespielt haben sollen. Unmittelbar darauf besprach und beurteilte sie im Zustand der kindlichen Eingenommenheit das Geschaute. Zuweilen richtete sie Fragen an die Anwesenden, wie z. B., wem sie ihre Leiden und Schmerzen zuwenden sollte. Fragen, die an sie gestellt wurden, beantwortete sie in der Regel bereitwillig. Dabei verfügte sie lediglich über die „Ausdrucksfähigkeit eines etwa fünfjährigen Kindes, aber die Denkfähigkeit eines Erwachsenen“. Hier hatte sie auch die Gabe des Hellsehens, wie sie sich beispielsweise in dem Erkennen von Reliquien kundtat.

Während Therese im Zustand der „kindlichen Eingenommenheit“ in ihrer Mundart redete, war bei der „gehobenen Ruhe“ die Sprache das Hochdeutsch. Vom Zustand der gehobenen Ruhe, der regelmäßig nach jeder ekstatischen Schauung auftrat, sagt Teodorowicz: „Er stellt sich ohne Rücksicht auf die Ekstase ein, inmitten der Ekstase, untersteht jedoch, was Zeit und Umstände anlangt, keiner Regel.“ Im Zustand der gehobenen Ruhe gab es kein Besinnen, kein Fragen. „Mit ruhigem Ansehen“ gab sie auf ihr vorgelegte Fragen „unwiderrufliche Antworten.“ In diesem Zustand durchschaute sie die mit ihr Sprechenden, zeigte Kenntnis von Ereignissen aus dem Leben dieser Leute und erteilte Anweisungen verschiedener Art.

Die kindliche Eingenommenheit war von höchster Erschöpfung begleitet; Therese hatte oftmals schwerste Beschwerden bis zur Todesgefahr und litt an beängstigenden Erstickungsanfällen. - Im Zustand der gehobenen Ruhe empfand sie keinerlei Schmerzen, ja sie war schmerzunempfindlich. Nach Aretin soll sie dann sogar völlig blind gewesen sein.

Bemerkenswert ist, dass sie, zum normalen Bewusstsein zurückgekehrt, keinerlei Erinnerung an das hatte, was gesprochen worden war. „Nicht selten kam es deshalb vor, dass ein Auftrag lautete: ,Sag der Resl, sie möge dem und dem schreiben, oder das und das tun'“1. Hier gab also die „Stimme“, gemeint ist der „Heiland“, Anweisung, man solle ihr von dem Gesprochenen berichten, weil sie ja sonst, mangels Erinnerungsvermögens, nicht gewusst hätte, was ihr zu tun aufgetragen worden war. Das ist eine unhaltbare These. Es gibt keinen Fall in der echten Mystik, dass Gott einem Menschen Anweisungen erteilt, von denen dieser Mensch nichts weiß. Dadurch wäre ja die Mitteilbarkeit Gottes in Frage gestellt, oder zumindest bedingt von der Anwesenheit eines Zuhörers, der die "Stimme" zu vernehmen vermöchte.

Bei der eidlichen Vernehmung in Eichstätt im Jahr 1953 sprach Therese selber von ihrer völligen Erinnerungslosigkeit an das, Was sowohl im Zustand der erhobenen Ruhe als auch im Zustand der kindlichen Eingenommenheit vorgefallen war: „An das, was ich im erhobenen Ruhezustand sehe, kann ich mich nicht erinnern. An das, was ich im Zustand der kindlichen Eingenommenheit gesagt habe, kann ich mich nicht erinnern."

Diese Erinnerungslosigkeit nach Beendigung der „ekstatischen Zustände“ , die so genannte Amnesie, „hat ihr Analogon in dem posthypnotischen Zustand, in dem erinnerungslosen Zustand, der nach der Hypnose vorhanden zu sein pflegt“2. Warum sollte dieselbe Erscheinung einmal dem Bereich der Natur und das andere Mal dem Bereich der Übernatur zugeschrieben werden?

Auch die Art, wie Therese Neumann aus dem "ekstatischen" Zustand wieder erwacht ist, ausgiebig gähnend wie nach tiefem Schlaf, schließt den Gedanken an echte Visionen aus. Nach Beendigung des „erhobenen Ruhezustandes“, berichtet Pfarrer Naber seinem Bischof, „gähnt und dehnt sie sich wie jemand, der recht gesund geschlafen hat"3.

Hinsichtlich des Zustandes der "gehobenen Ruhe" muss von vornherein bemerkt werden, dass es Ähnliches in der Mystik nicht gibt.

„Einen halbekstatischen Zustand der gehobenen Ruhe, in dem ein Engel oder Maria oder der Heiland aus dem Ekstatischen redet, dabei verborgene oder weit entfernte unnütze Dinge mitteilt, und nicht bloß im Gehorsam, sondern jedem Beliebigen auf ganz unnütze Fragen nach Verborgenem antwortet, in fremden Sprachen redet, wobei zudem nachher jede Erinnerung an das in jenem Zustand Gesprochene fehlt, wo das Verhalten und Reden auf das eines Kindes herabgedrückt erscheint, sucht man beim Kirchenlehrer der Mystik vergeblich. Auch ist dieser Zustand in der ganzen mystischen Theologie unbekannt. Erinnerungslosigkeiten gilt vielmehr als Zeichen unechter Ekstasen."4

2.Die Leidensvisionen

Die bedeutendsten Visionen hatte Therese Neumann an den Freitagen des Jahres. Im Laufe ihres Lebens schaute sie den Heiland auf dem Kreuzweg etwa siebenhundert mal, in 35 bis 50 Teilvisionen. Diese Visionen dauerten jeweils etwa zwei bis fünf Minuten und wurden immer wieder vom „Zustand der Eingenommenheit“ unterbrochen. Eine längere Pause pflegte nach dem Todesurteil durch Kaiphas einzutreten; dies war der „erhobene Ruhezustand“. Die zweite Ruhephase trat zwischen elf und zwölf Uhr ein; dann erlebte Therese die Kreuzigung bis zum Tod des Herrn.

Über den Verlauf einer Freitagsekstase gibt einen interessanten Einblick Prof. Killermann1. Er war mehrere Stunden Beobachter am 22. und 23. Februar 1928. Was er - vor allem über die Äußerungen der Therese während dieser Zeit - überliefert hat, das ist durchaus nicht ergreifend. Therese klagt immer wieder, ihr sei so heiß, erklärt auf eine entsprechende Frage des Pfarrers, dass sie den Heiland gern habe, um gleich wieder festzustellen, dass es auf dem Ölberg kälter gewesen sei als in ihrem Bett, wo es so heiß sei. Wiederholt spricht sie die Vermutung aus, dass der Heiland heimgehe; sie weiß nichts davon, dass er dem Erlösungstod entgegengeht. Hartnäckig behauptet sie im Gespräch mit Pfarrer Naber, Judas habe den Heiland gern gehabt, während sie Petrus abfällig als „Ohrwaschelabschneider“ bezeichnet. Während sie sonst in der Umgangssprache redet, geht sie plötzlich in die Schriftsprache über und schimpft über die ungläubige Wissenschaft, wobei sie sich besonders abfällig über den Arzt Dr. Aigner äußert. Bei dieser Gelegenheit verweist sie auf Sokrates und zitiert seinen bekannten Ausspruch: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Dann stellt sie fest: „Dem Bischof von Würzburg hat der Heiland auch etwas wissen lassen durch Schreiben.“

Am Freitag gegen Mittag ist die Rede vom Kreuzesholz. Dazu meint sie: "Zum Einschürren ist kein Ofen da." Offenbar weiß sie nicht, wozu das Kreuz dient. Als der Pfarrer fragt, was mit dem Holz gemacht werde, antwortet Therese: „Der Heiland darf jetzt heim!“ Der Pfarrer will daraufhelfen, indem er sagt: „Am Ende nageln sie ihn auf's Holz n'auf.“ Darauf weiß Therese nur zu erklären: „Das sag ich ihm.“ Wider der Pfarrer: „Gewiß, die bösen Leut haben ihm viel angetan.“ Nochmals widerspricht sie: „Ganz gewiß nicht!“ - Ein solches Miterleben jener Ereignisse am Karfreitag in Jerusalem stimmt sehr nachdenklich und muss im Vergleich mit der schriftlichen Überlieferung dieser Ereignisse als sehr fragwürdig bezeichnet werden.

Am Freitag vor dem Palmsonntag 1928 waren Zeugen der Passion P. Gemelli, der Pfarrer von Waldsassen, Höfner, Dr. Seidl und Domkapitular Dr. Reichenberger. Die Aufzeichnungen Reichenbergs seien hier auszugsweise wiedergegeben, da auch sie ein anderes Bild als die üblichen Veröffentlichungen vermitteln. Interessant sind vor allem die Bemerkungen der Stigmatisierten nach den einzelnen Visionen:

6.15: Therese zu Reichenberger: Es sei nahe beim Bischof ein Herr, der gegen die Sache ist. „Wer dagegen oder dafür ist, erfährst Du noch. Deshalb wird es auch nicht anders; der Heiland tut doch, was er will: Der neue Bischof möchte alles recht machen.“

6.30: "Herr Martini war auch gut. Aber der Killermann hat sich nicht recht ausgekannt, nicht ganz." - Jetzt wird sie ganz schwach, gähnt, stöhnt. Man kann mit ihr jetzt gar nichts reden. Sie weiß nichts mehr vom Bischof, nichts von der hl. Theresia, kennt mich nicht mehr, auch nicht Dr. Seidl.

Auf Fragen sagt sie: „Den Heiland kenn' ich schon; man muß nicht alles kennen.“ - Als Dr. Seidl eine Frage stellt, antwortet sie: „Heiß ist mir. Wer bist du? Was da schmeckt?“ (Dr. Seidl hatte vorher bei einer Entbindung geholfen und man konnte Lysolgeruch wahrnehmen). - Therese: „Das mag ich nicht, das stinkt.“

6.40: (Nach der Schau der Gefangennahme Jesu): „Wo der Heiland da war, hat es nicht so geschmeckt. Jetzt, wo er furt ist, schmeckt es wieder. Ich vertrag es schon.“

6.45: Therese klagt wieder über den Geruch.

7.00: „Dem Heiland ist es schlecht geworden. Da schmeckt es; das wächst mir da hinein“ (Therese zeigt auf den Mund).

7.05: Therese greift mit der rechten Hand nach dem Rücken und spricht: „Heiland, wie das sticht!“ - Dr. Seidl sagt, es sei rheumatischer Schmerz. Die Mutter behauptet, Therese habe Lungen- und Rippenfellentzündung. Der Vater meint, die Schulter sei geschwollen.

7.15: Therese: „Beim Heiland stinkt es nicht so.“ - Um 7.30 Uhr entfernt sich Dr. Seidl.

7.30: Therese klagt, jetzt rieche auch ihre Hand (Dr. Seidl hatte ihr zum Abschied die Hand gereicht). - Therese: „Dem Heiland zulieb will ich dieses Zeug ertragen.“ - Sie tut, als ob sie sich erbrechen müßte; dazu ist sie offenbar stark gereizt. - „Es würgt mich drinnen; was das ist?“ - Es folgt ein starker Versuch zu erbrechen. Die Mutter fährt ihr mit dem Finger in den Mund; sie erbricht etwas Schleim. - Starkes Würgen.

8.25: „Da geh ich fort von dem stinkenden Zeug.“

9.00: „Durch die Wissenschaft kommt niemand dem Heiland näher, sie glaubt nicht an Gott. - Der Weihbischof ist gut, den hat der Heiland gern; er hat es mit der Wissenschaft nicht so arg. Im Domkapitel sind solche, die es mit der Wissenschaft arg haben. Was hat der Heiland für Wissenschaftler gehabt? Größtenteils Fischer. - Der Heiland hat es ihm verziehen, dem alten Bischof. Der jetzige Bischof ist anders; er erkundigt sich besser.“ - Zu Gemelli: Sie sagt ihm, daß er wahrscheinlich bis Mittwoch beim Hl. Vater in Rom sein werde, wenn nichts dazwischen komme (Nachher bestätigte Gemelli, daß er tatsächlich die Absicht habe, bis Mittwoch zum Hl. Vater

zu kommen).

9.50: Die Mutter fordert die Herren zum Verlassen des Zimmers auf. - Wunden und Blut sind trocken.

9.55: Beim Wiedereintreten ist das Blut der linken Hand wieder frisch.

13.40: Therese zu Reichenberger: „Du kannst wieder heimfahren, wenn Dir auch der Bischof sagte, daß Du bis morgen bleiben mußt. Die Gnad' kommt vor Ostern nicht mehr“ (Der Bischof hatte Reichenberger beauftragt, für den Fall, daß Therese den Empfang der Hostie für Samstag in Aussicht stelle, solle er bleiben)2

Die Bemerkungen während der Visionspausen weisen keinen religiösen Gehalt auf. Beachtenswert ist bei der Schilderung Reichenbergers, ähnlich wie bei anderen entsprechenden Berichten, die nicht stilisiert sind, wie Therese während ihrer Ekstasen fortwährend von dem Gedanken an ihre Gegner verfolgt wird.

Bei den Auskünften über das in der Ekstase Geschaute muss berücksichtigt werden, dass sie nur erfolgten auf Befragen, und zwar ausschließlich durch den anwesenden Pfarrer Naber. P. Gemelli schreibt hierüber als Zeuge:

„In diesem Zustand spricht Therese Neumann nur, wenn sie befragt wird. Ihre Antworten sind dann kurz, ja einsilbig, höchstens aus zwei oder drei Worten bestehend; der Ton ihrer Stimme ist vom normalen ganz verschieden; die Worte werden wie schleppend, aussetzend, unregelmäßig in einem Klageton ausgestoßen; oft wird das Wort nur leise geflüstert.“ Die Antworten entsprächen der Form nach der Sprechweise eines Kindes; ihr Inhalt sei „sehr kindisch“. „Während des ,Ekstasezustandes' wurde Therese Neumann wiederholt von den Anwesenden befragt. Sie antwortete aber fast ausschließlich dem H. Pfarrer und tat es einsilbig und aussetzend. Meistens sind es Gespräche, in denen der H. Pfarrer ihr ein Wahl stellte. ... Die Antworten waren beschreibender Art und bezogen sich meistens auf Personen oder Stellen der Passion Christi. Manchmal aber waren die Antworten sonderbar, merkwürdig; einige waren sogar komisch, andere kindisch. ... Es ist aber nie vorgekommen, daß Therese Neumann während ihres Zustandes aus freien Stücken ein Gespräch geführte hätte, so kurz dieses auch sein mochte“3.

Viele Zuschauer waren innerlich ergriffen, wenn sie die blutbefleckte Stigmatisierte von Konnersreuth sahen. War auch Therese selber vom Leiden Jesu für die Menschheit, von seinem Erlöserleiden für die sündigen Menschen religiös ergriffen? Dies scheint nicht zuzutreffen. Vielmehr war ihr „Mitleiden“ rein ästhetisch, jedoch nicht religiös normiert; es hat nichts gemein mit wirklicher Frömmigkeit. Was der evangelisch-lutherische Pfarrer Simon schreibt, ist keinesfalls ein zu hartes Urteil:

„Was ist Golgotha für sie? Ein vergangenes Schauspiel? ... Aber eine religiöse Bedeutung kann einer solchen Schau, die den Sinn der Vorgänge überhaupt nicht kennt, unter keinen Umständen zugesprochen werden. Theresia erlebt nur mit, was sie sieht; das ist rührend in der Intensität, mit der sie es erlebt, aber es kann nicht davon gesprochen werden, daß dieses Miterleben religiös sei. Denn nicht darauf kommt es an, was Jesus gelitten hat, sondern, sondern darauf wer das alles gelitten hat; und daß er es für uns gelitten hat. Daß es Jesus ist, der da leidet, das tritt in den Visionen und im Mitleid der Therese vollständig zurück. Es ist das Marterleiden eines Menschen, der zufällig Jesus heißt. So liegt in Konnersreuth auch der Nachdruck ganz auf dem physischen Leiden Jesu. Der seelische Untergrund, der dem Leiden des Körpers erst seine erdrückende Last gibt, bleibt unberücksichtigt. Das Leiden des Unschuldigen unter der Last der Weltschuld, das Leiden aus der Liebe zu der Welt, die ihn verrät und martert, das Leiden im Gefühl der Gottverlassenheit - das erst ist doch das Leiden Jesu! ... Das Kreuz Christi ist uns Christen doch das Gericht über die ganze Welt in ihrer Sündhaftigkeit. Von diesem Bewußtsein der im Kreuz Jesu gerichteten Weltschuld, gar von ihrem persönlichen Mitverflochten sein in diese allgemeine Weltschuld merkt man aber bei Therese Neumann nichts. ... Ebenso wenig wie Gottes großes ,Nein!`zur Sünde der Welt, das im Kreuz Christi gesprochen wurde, kommt in Konnersreuth das ewige ,Ja!' Jesu zum Ausdruck. Das bedeutsame am Leiden Jesu ist ja doch gewiß nicht das dingliche Leiden mit seinen Wunden und Blutstropfen. Wir sehen darin doch vor allem den vollkommensten Ausdruck des Gehorsams und der Liebe Jesu. ... Von diesem geistigen Gehalte des Leidens Jesu aber schweigt in Konnersreuth alles, vom Glauben, vom Gehorsam, von der Liebe Jesu – auch nicht ein Wort! Bei solchen Mängeln können wir in der intensiven Beschäftigung Theresens mit den Leidensphasen Jesu grundsätzlich nichts anderes sehen als eine religiös verbrämte Parallele zu dem Wühlen in den schauerlichen Einzelheiten gräßlicher Folterungs- und Hinrichtungsszenen, wie sie Hintertreppenromane übelster Sorte ausmalen. Es ist eine harte Feststellung, aber sie muß einmal gemacht werden, damit die religiöse Betrachtung des Leidens Jesu vor Verzerrung und Mißdeutung bewahrt werde! Denn Christus hat nicht darum gelitten, daß kranke Phantasierer sich unter dem Deckmantel der Frömmigkeit getrost an solchen Szenen weiden können! Gar ein Gemütszustand, der sich in das körperliche Verspüren der Wunden Jesu hineinbohrt, scheint uns mehr als mit der echten Frömmigkeit mit einer Seelenkrankheit verwandt zu sein, für die nur Schmerzen Wollust bedeuten.“4

3. Andere Visionen

a) Allgemeines

Zu den gewohnten Visionen am Freitag durfte Therese Neumann auch andere Bilder aus dem Leben Christi oder der Heiligen, je nach der Zeit des Kirchenjahres schauen. Es kam oft vor, daß sie urplötzlich von den Schauungen gleichsam überfallen wurde. Von solchen Ekstasen schreibt Luise Rinser:

„Sie kommen ungerufen. Es kommt vor, daß Therese bei der Gartenarbeit davon betroffen wird; dann entfällt ihr Rechen oder Gießkanne. Oder sie spielt mit Kindern und hält eines auf dem Schoß; plötzlich breitet sie die Arme aus und das Kind entgleitet ihr. Oder sie hustete, mitten im Husten fällt sie in Ekstase und sie hustet erst zu Ende

Offenbar stellten sich Visionen mit Vorliebe dann eine, wenn Beobachter zugegen waren, denen etwas bewiesen werden sollte. Therese war bei Prof. Wutz in Eichstätt zu Besuch. Da kommt sie spät in der Nacht in die Schlafkammer der Anni Spiegl und berichtet über ihr über die Tagesereignisse. Plötzlich hatte sie ein Vision über die Heilung des Blindgeborenen. - Eines Abends machten die Stigmatisierte und Anni Spiegl im Eichstätter Krankenhaus Besuch bei der Oberin und einer Mitschwester. Während das Gesprächs gegen 23 Uhr wurde Therese von einer Vision überfallen; sie schaute die wunderbare Brotvermehrung. - Nach einem Besuch des Dompfarrers Kraus schaute Therese plötzlich den Engelsturz1, als sie sich gerade an der Haustür verabschiedeten.

Etwas Merkwürdiges ist Aretin aufgefallen bei solchen Visionen, „die Therese ganz unregelmäßig plötzlich überfallen“. Sie sei hier nicht die „Mitleidende, sondern nur Zuschauerin und Zuhörerin“.

„Da sie körperlich nicht sonderlich groß ist, so kommt es vor, daß ein Teilnehmer der geschauten Szene ihr den Ausblick auf das Geschaute verstellt. Dann biegt sie sich aus ihrer Lage heraus, um an der störenden Gestalt vorbei freie Sicht zu bekommen. So war ich z. B. am Peters- und Paul-Tag 1929 Zeuge dr Vision der Berufung Petri, bei der ein Jünger des Herrn der auf einem Kanapee Liegenden den Ausblick auf die beiden Hauptpersonen versperrte. Therese beugte den Oberkörper, damit ihr nichts entgehe, so weit heraus, dass der Oberkörper schließlich vom Kanapee weg frei in die Luft ragte. Ich eilte hinzu, um den unvermeidlichen Sturz auf den Boden aufzuhalten, und ergriff sie, um sie zu stützen, an der rechten Schulter. Es war unnötig. sie stürzte nicht, aber ich erlebte das Unerklärliche, dass dieser ganze schwere Körper nicht mehr wog als eine Briefmarke“2.

Offenbar beugte sich Therese Neumann nicht so weit über den Rand des Sofas hinaus, dass die Verlagerung ihres Körpergewichts einen Sturz hätte zur Folge haben müssen.

Die Dauer der einzelnen Visionen war nicht gleich. Gewöhnlich nahmen sie wie die einzelnen Teilvisionen an den Freitagen nur ungefähr 5 Minuten in Anspruch. Den Berichten zufolge hatte Therese Neumann im Lauf eines Jahres etwa hundert Visionen. Wie sie versicherte, vermochte sie die dabei geschauten Einzelheiten genauso im Gedächtnis zu behalten wie jedes andere Ereignis im Leben. Das Geschaute schilderte sie sowohl in der „einfachen Ekstase“ wie auch danach im Wachzustand. Therese bezeichnete ihr Gedächtnis über den Inhalt der Visionen als treu. Eine Ausnahme bildeten "ihre Äußerungen in der einfachen Ekstase oder im Zustand der gehobenen Ruhe, und zwar diejenigen, die sich vor allem auf die Gewissens- und Seelenfragen beziehen“3. Ganz klug wird man aus ihren Angaben nicht.


Während der Visionen war Therese Neumann zuweilen nicht nur Zuschauende, sondern sie wirkte selber als Beteiligte mit: „Bei der Darstellung im Tempel legte Simeon auch Resl das Kind in die Arme. Diese Seligkeit konnte sie kaum ertragen. Ebenso erging es ihr, als das zweijährige Kind die Waisen aus dem Morgenland begrüßte. Auch Resl durfte dem Kind die Hand geben. Hierüber ist sie vor Freude ohnmächtig geworden.“ Bei der Grablegung am Karfreitag durfte sie beim Einwickeln helfen. „Mit ihren Händen machte sie die Bewegung mit.“4 - Mit dem historischen Ablauf der Ereignisse hat so etwas nichts mehr zu tun.

b) Visionen und historische Wirklichkeit

„Der Inhalt der Visionen“, schreibt Fahsel, „weicht niemals von den Grundlagen des Evangeliums und der christlichen Sittenlehre ab.“ Das erscheint ohne weiteres glaubwürdig, da der Ausdruck „Grundlagen des Evangeliums“ ein verschieden deutbarer Begriff ist. Wie hätte sich Therese Neumann in ihren Äußerungen in grober Weise gegen die christliche Sittenlehre verfehlen können, wenn sie unter der ständigen Kontrolle ihres Seelenführers Pfarrer Naber stand?

Die Frage, die uns beschäftigt, lautet vielmehr: stimmen die geschauten Erlebnisse mit den Berichten der Evangelien oder sonstiger bezeugter Überlieferungen überein? Von manchen Konnersreuthanhängern wird dies zwar als ziemlich bedeutungslos bezeichnet; aber man kann doch nur dann Gott als den Urheber der Visionen bezeichnen, wenn der Inhalt des Geschauten mit dem tatsächlichen Geschehen übereinstimmt. Es lässt sich aber nachweisen, dass vieles von dem, was Therese visionär erlebt haben will, mit den Berichten der Hl. Schrift oder sonst verbürgter Berichte nicht im Einklang steht. Manches entspricht bloß gängigen Ansichten, die zum Teil aus Bildern oder Schriften übernommen werden; anderes stammt aus Legenden oder direkt von der Visionärin. Was beispielsweise Therese in ihren Visionen über das Martyrium der hl. Katharina zu sagen weiß, was sie aus dem Leben der hl. Maria Magdalena, vor allem über ihre Fahrt mit Lazarus, Martha und anderen Begleitern nach Südfrankreich erzählt, das ist nichts anderes als eine Nacherzählung frommer Legenden, die von heutigen Hagiographen aus den schwerwiegendsten Gründen als reine Erdichtungen abgelehnt werden.

Dasselbe ist zu sagen, wenn Therese „an einem Freitag vor dem Kirchweihfest, wie auch sonst öfter“, abseits vom Kreuz „eine große Menge modern gekleideter Leute“ stehen sieht, „die gegen die Liebe des Heilands und sein Leiden kalt und gleichgültig sind, darunter auch Angehörige des Klerus“1. - Hier handelt es sich nicht um eine Vision, sondern um die simple Äußerung von aufgestautem Groll gegen Zweifler.

Maria soll nicht ärmlichen Verhältnissen entstammt sein. „Das Haus ihrer Eltern Joachim und Anna schaute Therese als ein schönes Steinhaus, wie es begüterte Leute hatten, auch sah Resl Maria in der Tempelschule zu Jerusalem. Es konnten sich nicht alle Eltern leisten, ihre Kinder in die Tempelschule zu schicken. Die Armut begann mit der Geburt ihres Kindes im Stall, aber nur, weil in der Herberge kein Platz war.“ -Diese Aussage der Therese Neumann steht im Widerspruch zu den Berichten der Hl. Schrift. Falls Maria aus einer begüterten Familie stammte, hätte sie nicht bloß als Opfer bei der Reinigungszeremonie einer Wöchnerin „ein paar Turteltauben oder zwei junge Täubchen“ bringen dürfen; denn nach dem Gesetz war dies das für die ärmeren Leute festgesetzte Opfer.

Wie Therese versicherte, war die Mutter Anna dreimal verheiratet, zuletzt mit Joachim. Aus ihrer zweiten Ehe mit einem gewissen Heli soll eine Tochter gestammt haben, die einen Mann, Kleophas mit Namen, heiratete. Aus dieser Ehe sollen zwei Kinder hervorgegangen sein, die später Spielgenossen des kleinen Jesus geworden seien. Es wurde bereits die Ähnlichkeit dieser Vision mit jener der Seherin von Dülmen erwähnt.

Im Jahr 1929, so berichtet das „Konnersreuther Sonntagsblatt“, schaute sie die Flucht der Hl. Familie nach Ägypten. „Auf der Reise begegnete die flüchtende Familie einer Nomadensippe, von der sich Maria Milch und Wasser erbat. Die Frau der Nomaden hatte mehrere Kinder, darunter war eines vom Aussatz befallen. Nachdem Maria Wasser erhalten hatte, badete sie darin das Kind. Danach badete darin auch die Nomadin ihr aussätziges Söhnchen und es wurde sofort geheilt. Nach einer weiteren Aussage soll dieses geheilte Kind später der rechte Schächer geworden sein.“ Woher hatte die Seherin ihr Wissen? Was sie, die niemals auch nur eine Zeile über Katharina Emmerich gelesen haben will, zum besten gibt, ist wiederum nichts anderes als eine Nacherzählung dessen, was Katharina Emmerich am 10. März 1821 geschaut haben will: „Maria habe Wasser in einer Mulde, Jesum zu baden, begehrt und unter einem Tüchlein ihn gebadet, habe dann der Frau gesagt, ihr aussätziges Kind hineinzulegen, welches sogleich rein geworden.“ - Wie wenig Zuverlässigkeit solche Phantasiegeschichten an sich haben, lässt sich an einem anderen Beispiel nachweisen. Nach einer Vision am 3. Oktober 1930 erzählte Therese, sie habe unter anderem geschaut, wie der Heiland einen Knaben herbeigerufen und zu den Jüngern gesprochen habe: „Wer sich verdemütigt wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreim.“ Dieser Knabe, behauptete sie, war derjenige, den wir aus der Geschichte der Kirche als Ignatius von Antiochien kennen2. Diese Auskunft ist ohne Zweifel falsch. Ignatius war in seiner Jugend Schüler des hl Johannes. Er starb als siebzigjähriger Greis um das Jahr 109. Demnach konnte er um die fragliche Zeit noch nicht am Leben gewesen sein.

Unseren Krippendarstellungen entsprechend, schaute Therese an Weihnachten den Stall von Bethlehem aus Holz gebaut, an einen Berg angelehnt; der Stall hatte ein schräges Dach. so schildert Therese den Stall das eine Mal; das andere Mal lässt sie ihn aus Stein gebaut sein. - Von den Weisen aus dem Morgenlande sagt sie, sie hielten sich Sternkundige und Gelehrte und bauten sich zur Beobachtung der Sterne hohe Türme, die mit Strickleitern erklettert werden mussten. Sie wanderten nur bei Nacht, weil der wunderbare Stern bei Tag unsichtbar war. Über dem Ort, in dem die Hl. Familie wohnte, schien der Stern herabzustürzen3.

Einen phantastisch-blutrünstigen Eindruck macht die „Ecce homo-Szene“ , die Boniface schildert:

„Die Geißelung, die aus vollen Leibeskräften und mit unverhohlener Freude durch drei völlig betrunkene römische Soldaten ausgeführt wurde, wird nach kurzer Zeit auf Befehl des Pilatus unterbrochen, der ihnen befiehlt, das Antlitz des Gegeißelten zu bearbeiten, um ihn dem Pöbel in einem erbärmlichen Zustand vorführen zu können und sein Mitleid zu erregen. Aus voller Herzenslust stürzen sich die drei Kriegsknechte auf das neue scheußliche Geschäft. Das Blut schießt bald aus dem Mund, der Nase, den Augen, aus dem ganzen Antlitz des Nazareners, der rasch mit Wunden und blutunterlaufenen Flecken bedeckt ist. Sobald Pilatus seinen Zustand für erbärmlich genug hält, zeigt er den Gepeinigten der ungeduldigen Menge, die draußen lästert und tobt: ,Ecce homo -welch ein Mensch!' Die blutgierige Menge lässt sich jedoch nicht beschwichtigen. ... Die Geißelung geht weiter. Als sie beendet ist und man ihm gestattet, wieder seine auf Erden liegenden Kleider zu nehmen, bückt sich Jesus, um sie aufzunehmen. Da versetzt ihnen einer der Mordbuben einen Fußtritt, dass sie weit fortfliegen.“ ... Man setzt den Heiland auf einen Thron; er wird mit Lumpen bedeckt und verspottet. Therese schaut einem der Unmenschen genau zu, „wie er mehrmals den Augenblick erwartet, in dem Jesus seufzt, um ihn dann in den geöffneten Mund zu spucken“. Das grausige Spiel wird beendet, indem die Peiniger dem Heiland „auf die possierlichste Weise“ eine Krone aufs Haupt setzen. „Die von ihnen benutzte Krone ist jedoch nicht aus regelmäßig geschlungenen Dornen oder Wildrosenzweigen gebildet, wie es überliefert wird, sondern sie war wie ein unförmiger Hut aus orientalischem Akanthus mit langen, spitzigen, gedrängten Dornen angefertigt. Sie wurde mit Knüppeln eingeschlagen, damit die söldner sich bei der Berührung nicht selbst verletzten.“4

Diese Visionen muten sehr unwahrscheinlich an und erinnern an jene Bedenken, die Pfarrer Simon über die Passionsvisionen vorgebracht hat! Vielmehr scheint es sich hier um krankhafte Phantasien, nicht um echte Visionen zu handeln, und die Spur eines religiösen Gedankens ist hier kaum zu finden.

Ein lehrreiches Beispiel dafür, dass die Ekstatikerin in ihren Visionen nur das wiedergefunden hat, was sie zuvor gelesen oder sonst wie gewusst hat, ist die Schau der Ölbergszene5. Therese wird während der Ekstase gefragt, wie der Mond ausgesehen habe. Sie beschreibt eine aufrecht stehende Sichel mit der Hand. Jetzt bemerkt Prof. Killermann zu Pfarrer Naber: „Im Orient hat der Neumond im Frühjahr die Form eines Kahnes oder Schiffchens.“ Erregt erwidert der Pfarrer: „Die Resl, der Heiland wird das besser wissen!“ Der Protest ändert nichts an der Tatsache, dass die Auskunft nicht richtig war; denn nach den Berichten der Hl. Schrift wurde das Osterfest immer in der Zeit des Vollmondes gefeiert. - Therese sah den Mond in Sichelform. Das hing ohne Zweifel mit dem Ölbergbild zusammen, das im Stiegenhaus der Familie Neumann hing. Killermann wurde hernach darauf aufmerksam, als er wegging. Auf diesem Bild war der Mond so dargestellt, wie Therese ihn während der Ekstase geschaut hatte. Wahrscheinlich hätte sie aber trotz der falschen Mondphasendarstellung auf dem erwähnten Bilde doch die richtige Antwort auf die Frage nach der Gestalt des Mondes gegeben, wenn nicht auch Prof. Killermann und Pfarrer Naber ein Irrtum unterlaufen wäre. „Übrigens“, so schreibt Killermann am 23. Juli 1938 an Dr. Deutsch, „haben wir uns beide geirrt: Es muß ja damals (14. Nisan) Vollmond gewesen sein“. Auf dem Wege von Gedankenübertragung hätte wohl Therese, wenn die beiden Theologen sich in die damaligen Zeit- und Himmelsverhältnisse hineinversetzt hätten, die richtige Antwort gegeben.

Anderthalb Jahre später freilich wusste Therese besser Bescheid. Ein Regensburger Domvikar hatte auf die unrichtige Vision der Mondgestalt hingewiesen. Das war der Grund, warum Pfarrer Naber am Freitag, dem 15. Oktober 193O, die stigmatisierte im „Zustand der Eingenommenheit“ fragte: „Resl, sag uns, wie hat der Mond ausgesehen auf dem Ölberg? Das war doch nur der halbe oder ein viertel vom Mond? Weißt, so eine Sichel?“ Die Antwort lautete jetzt: „O nein, nein, das war der volle Mond, so, so (und sie zog einen deutlichen Kreis mit dem Zeigefinger auf dem Oberbett, zwei- bis dreimal).“ Der Pfarrer fragte weiter: „Resl, aber ein Stückl davon hat doch gefehlt!“ Therese widersprach: „Kein Stückl hat g'fehlt. Aber oben rechts war ein gelber Rand“7 -Erst jetzt hat es der „Heiland“ besser gewusst.

Eine sonderbare Ergänzung erfährt durch Therese Neumann der evangelische Bericht über die Gefangennahme Jesu auf dem Ölberg. Therese verkündete an einem Freitag, an dem Prof. Killermann anwesend war: „Einer hat ihm das Auge ausgeschlagen; dann hat der Heiland es wieder hinpickt.“ - Der Pfarrer fragte: „Was habens' dann ihm angetan ?“ -Therese gab die Auskunft: „Zusammengebunden habens' ihn ... in den Bach gestoßen.“ - Als der Pfarrer nach Mitternacht feststellte, Therese schlafe, widersprach Killermann. Da lächelte sie und sprach zu ihm: „Du glaubst es auch noch einmal.“ Killermann erwiderte: „Das bildest Du dir nur ein.“ Sie lächelte bloß dazu8. Der Professor ist kein „Gläubiger“ geworden.

Man möchte meinen, die Visionen hätten Therese eine tiefere Einsicht vermitteln sollen. Aber gerade das Gegenteil ist der Fall. Ihr Interesse richtet sich offensichtlich nur auf äußere, nebensächliche Dinge, die zuweilen mit recht zweifelhaften Szenen ausgeschmückt werden. Das Geschaute lässt sich oftmals mit dem Bericht der Evangelien und sonst verbürgter Begebenheiten nicht oder nur schwer vereinbaren. Vom Verräter, den Therese nach landläufiger Auffassung als rothaarig bezeichnet, behauptet sie, er habe den Heiland geliebt; Pilatus soll den Heiland mit Ehrfurcht behandelt haben, während Petrus getadelt wird, weil er sich bei der Gefangennahme des Meisters gewehrt hat. Als sie gerade Petrus Vorwürfe machte, da meinte der anwesende Professor Wutz: „Aber, Resl, mir scheint, du bist heute etwas dumni.“ Und Resl gab zur Antwort: „Und mir scheint, du bist noch dümmer“9. -Eine sonderbare Antwort, wenn man bedenkt, dass die ekstatischen Auskünfte dem Heiland zugeschrieben wurden !

Im Widerspruch zum Bericht der Evangelien, der ganz eindeutig davon spricht, dass der Heiland auf dem Ölberg seine Jünger schlafend gefunden hat, betont Therese, die drei Apostel

seien weder gelegen, noch hätten sie geschlafen. so erzählt Therese nach ihrer Freitagsekstase vom 4. auf 5. März 1926. Zwei Jahre später, als sie offenbar besser unterrichtet war, weiß sie mehr, nämlich dass die Apostel wirklich geschlafen haben11.

Ebenso hat Therese Neumann, als verschiedentlich an ihrer Behauptung Anstoß genommen wurde, widerrufen, Judas habe den Heiland geliebt. Im Jahr 1930 sah sie in Judas „nicht mehr den Guten, sondern den Schurken“12. In einem Punkt allerdings hat sie bei den Freitagsvisionen nie ein besseres Verständnis bekommen: sie hat nie begriffen, dass der Heiland wirklich zum Tode geführt würde.

Wie wir dem Evangelium entnehmen, wurde Judas im Zusammenhang mit der jüdischen Paschafeier entlarvt und hat dann den Saal verlassen; bei der Feier der hl. Eucharistie war er sicher nicht mehr anwesend. Therese sieht das anders. Eine merkwürdige Sache, wenn sie schildert, die Speisenden hätten nach dem Mahle auch die Teller verzehrt, von denen sie vorher das Fleisch genommen hätten. Die Teller seien runde Fladen dünn gebackenen Brotes gewesen. Jesus habe dem Judas das geheimnisvolle Brot gereicht; nunmehr sei der Verräter davongeeilt, worauf Christus den übrigen Aposteln den geheimnisvollen Kelch gereicht habe.

Nach dem Abendmahl sieht Therese, wie Jesus die Priesterweihe spendet. Der Heiland hält seine beiden Arme „wie mit großer Anstrengung ausgestreckt“. Sie erklärt: „Das war die Priester und Bischofsweihe der Apostel.“ -Ihr Wissen aus der Spendung der Priesterweihe spielt hier mit herein13.

Ebenso weiß sie von einem Ereignis zu erzählen, von dem kein Evangelist berichtet. Am Ostersonntag, so schildert sie es, erscheint am Grabe Jesu ein Engel vom Himmel. „Beim Anblicke des glänzenden Engels in seinem furchtgebietenden Auftreten, so dass unter seinem Fuße die Erde erschüttert wurde, stürzten sechs der Wächter zu Boden. Ein siebenter Soldat, der gleiche, welcher am Kreuze die Brust Jesu mit der Lanze durchbohrt hatte, geriet wohl ebenfalls ins Wanken, stürzte aber nicht, sondern hielt sich aufrecht.“14

Im Widerspruch zu dieser Darstellung lässt Therese im Jahre 1930 sechs Wächter zu Boden sinken; während fünf bewusstlos liegen bleiben, erhebt sich einer wieder15. Ausführlich berichtet über die Ostervisionen Steiner in der fünften Auflage seines Buches über Therese Neumann. Daraus sei herausgegriffen, was namentlich über die Wächter am Grabe gesagt wird: Therese sieht die Wächter, wie sie am Boden liegen, „bis auf einen, der auch noch einen benommenen Eindruck macht“. Sie sind noch bewusstlos, als die Frauen mit Magdalena erscheinen; die Frauen „fürchten sich bei dem Anblick, der sich ihnen bietet“. Die Wächter liegen „so verdreht“ herum. Die Frauen schauen in das Grab. „Magdalena geht ein paar Schritte vor, sieht den Heiland nicht, jedoch einen lichten Mann, der ein paar Worte spricht“. Jetzt läuft Magdalena „den Berg hinauf und dann durch die ganze Stadt“ bis zu dem Haus, in dem sich die Jünger „eingesperrt“ hatten. Petrus und Johannes begeben sich zum Grabe. Bei ihrer Ankunft liegen die Wächter „immer noch wie tot herum“. Bevor Petrus zum Grabe kommt, „erscheint ihm plötzlich kurz und wortlos der Heiland und blickt ihn an“. Die Apostel entfernen sich wieder. „Longinus geht dann auch weg, später vermutlich auch die anderen Wachen, nachdem sie zu sich gekommen waren.“ -Man vergleiche diesen kurzen r Auszug aus der Ostervision mit den Auferstehungsberichten der Hl Schrift! - An Ostern sieht Therese auch die Einkehr des Auferstandenen bei den Jüngern von Emmaus. sie vertritt die Auffassung, Jesus habe wie am Gründonnerstag die Eucharistie gefeiert, allerdings nur unter einer Gestalt. Zum Pfarrer spricht sie: „Weißt Du, wann ihnen ( = den Jüngern) das Licht aufgegangen ist? Wie sie den Heiland in sich gehabt haben.“ Therese kommt im weiteren Gespräch nochmals darauf zurück und sagt: „Das war doch genau so, wie wenn man in der Kirche den Heiland erhält; in dem Augenblick, als sie ihn in sich hatten, hat er sich ... zu erkennen gegeben.“15a -Zu dieser Vision ist zu sagen: Hätte es sich um das eucharistische Brot gehandelt, wie hätten die Jünger es wissen sollen? Sie waren ja am Gründonnerstag nicht Teilnehmer beim Abendmahl.

Das Pfingstereignis wird von Therese phantastisch ausgemalt. Petrus feiert zuerst die hl. Messe. Die Apostel sind mit Maria versammelt; im Hintergrund stehen noch etwa r20 Personen. Die Flammenzungen kommen nur auf Maria und die Apostel. Kurz darauf taufen die Apostel die Neubekehrten in einem Teich am Fuß des Berges, auf dem die Stadt Jerusalem stand. „Petrus taufte'

fast nicht, er lehrte nur und überblickte alles; am notwendigsten hatte es Philippus.“ Maria schaute weinend zu. Auf denselben Tag verlegt Therese auch noch die Heilung des Lahmgeborenen durch Petrus. Den Bettler schildert sie ganz genau, sogar dieses Detail, dass er zum Betteln nicht einen Hut benützte, sondern eine offene Tasche, in die ein Knabe im Vorbeigehen hineinspuckte. Die Apostel Petrus und Johannes werden bereits am Pfingstsonntag verhaftet und ins Gefängnis geworfen, wo der eben Geheilte die ganze Nacht vor dem Tor Wache hält18. Nach der Entlassung am Pfingstmontag feiert Petrus inmitten der übrigen Apostel die hl. Eucharistie, und wieder erscheinen feurige, lodernde Zungen17.

Vom Kreuz auf Golgotha sagt Therese das eine Mal, es sei aus drei Balken zusammengesetzt gewesen, dann wieder erklärt sie, es seien vier Balken gewesen. Wie das Kreuz ausgesehen haben soll, zeigt eine Skizze im Buch Steiners auf S. 182. In Anlehnung an die Angaben der stigmatisierten wurde das Friedhofskreuz von Konnersreuth gestaltet.

Ein bemerkenswertes Beispiel für die phantastische und fragwürdige Ausschmückung biblischer Berichte ist das, was Therese Neumann in der Weihnachtszeit schaute. Wiederholt ist davon die Rede, besonders in Lamas Konnersreuther Berichten und im Konnersreuther Sonntagsblatt. Lesen wir zuerst den ausführlichen Bericht aus der Feder des Erzbischofs Kaspar18, so wie er ihn unmittelbar Pfarrer Naber verdankt:

„So soll die Hl. Familie 50 Tage in einem Stalle verblieben sein und auch die Beschneidung des Herrn soll dort stattgefunden haben. Von hier aus gingen sie dann zur Aufopferung ihres Kindes nach Jerusalem und kehrten dann wieder in den Stall zurück. In Bethlehem wohnten sie etwa dreiviertel Jahre. Zur Nachtrag-Volkszählung kamen wieder viele Fremde und die Hl. Familie musste wieder auf vierzehn Tage in einen Stall ziehen. Nun wurde der hl. Joseph durch einen Engel auf die von Herodes drohende Gefahr aufmerksam gemacht. Darauf zog die Hl. Familie nach Süden und wohnte etwa ein halbes Jahr an der Grenze Judas, da sie wegen der schlechten Wege nicht

weiterkonnten. Als sie dann die weite Reise antritt, fand sie einen gemauerten Stall, der mehreren Hirten gehörte, die in ihm Heu aufbewahrten. Einer der Hirten machte auf die Hl. Familie aufmerksam. Sie verblieb hier mehrere Wochen. Hier war es auch, wo die Anbetung durch die Hl. Drei Könige erfolgte. sie sollen fast anderthalb Jahre unterwegs gewesen sein, da sie nur nachts wanderten und am Tage ruhten. Der Jüngste war von schwarzer Hautfarbe (ein Numidier), der zweite von brauner (ein Araber) und der dritte ein Gelber (ein Meder). Einer konnte sich nicht verständlich machen; die anderen kamen nach ihm und wandten sich an Herodes, der ihnen nach Befragung der Schriftgelehrten mitteilte, der Heiland werde in Bethlehem zur Welt kommen. sie zogen nun gegen Norden in ein anderes Bethlehem; hierbei zeigte sich ihnen aber der Stern nicht. Herodes aber ließ etwa eine Woche nach ihrem Weggang alle Knäblein zu Bethlehem (etwa 54) und dessen Umgebung (19) umbringen. Bei dieser Gelegenheit wurden auch zwei Kinder derselben Familie getötet. Erst nach einigen Wochen kehrten die Weisen nach Jerusalem zurück und diesmal wurden sie nach dem richtigen Bethlehem gewiesen. sobald sie Jerusalem verlassen hatten, erschien ihnen auch der Stern wieder. sie durchzogen Bethlehem nun in den Nachtstunden und am Morgen nach der zweiten Nacht blieb der leuchtende Stern über einem gemauerten Stall stehen, in dem die Hl. Familie Unterkunft gefunden hatte. Der Stern sei ein Komet gewesen, dessen Lichtglanz ,bis herunter' strahlte. Der kleine Jesus konnte damals schon gehen; die Jungfrau Maria führte ihn an der Hand, um ihm den Zug der Könige zu zeigen. ... Joseph wusste noch nichts davon, dass zu Bethlehem die Knäblein unter zwei Jahren hingemordet worden waren. Kaum aber waren die Könige angekommen, so erschien ihm ein Engel mit der Weisung: ,Mache dich auf und gehe eilends von hinnen!' Die Hl. Familie zog nun nach Resls Angaben nicht direkt nach Ägypten, sondern um das Tote Meer herum jenseits des Jordans zurück nach Nazareth, wo der hl. Joseph ein Häuschen besaß. Die Eltern Josephs sollen ebenso wie die der Muttergottes wohlhabend gewesen. Sein. ... Nachdem Joseph das Nötigste besorgt hatte, begab er sich längs der Küste des Mitteländischen Meeres nach Ägypten.“

In dieser Erzählung wimmelt es von Ungereimtheiten, auf die einzugehen es sich nicht lohnt. Zudem findet man in anderen Büchern über Konnersreuth eine Reihe von Angaben, die im t Widerspruch stehen zur Berichterstattung Nabers. Beispielsweise wird als Heimat der Magier auch Nikomedien, Persien und Nubien angegeben. Merkwürdigerweise hatte Therese Neumann auch am ersten Fastensonntag, dem 17. Februar 1929, eine Vision über die Flucht nach Ägypten19. Da heißt es, die Magier seien, „im Stall von Bethlehem“ empfangen worden. - Im Jahr 1932 gibt Therese an, der Empfang der Magier habe „in einer gemauerten Hütte außerhalb der Fluren Bethlehems“ stattgefunden20. Dem Bericht Kaspars zufolge trafen die Weisen die Hl. Familie erst auf ägyptischem Boden. - An Epiphanie 1936 wiederum erklärt Therese, die Weisen hätten dem Jesuskind nach erfolgtem Kindermord in Bethlehem gehuldigt21. - Ein andermal wird behauptet, die Hl. Familie habe sich in Ägypten etwa vier Jahre hindurch aufgehalten22. - Die Berichte über die Kindheit Jesu sind äußerst spärlich; der angegebene Termin jedoch ist auf keinen Fall wahrscheinlich, da Herodes bereits am 1. April des Jahres 4 vor unserer Zeitrechnung starb.

Wie viel Therese an „erbaulicher Literatur“ gelesen haben muss, zeigen ihre Visionen über die Flucht des hl. Petrus aus Rom und seine Begegnung mit Christus auf dem Weg, sowie die Szene, bei der Johannes in Smyrna Gift trinkt, das ihm nicht schadet23. Im Jahrbuch 1929 kommt Lama dreimal auf den Bericht des Evangeliums zu sprechen, nach dem ein Jüngling sich auf dem Ölberg dem Zugriff der Häscher durch Flucht entzogen hat24. Therese behauptete, wie erwähnt, jener Junge sei kein anderer gewesen als der Apostel Johannes. - Auf diese unhaltbare Vermutung ist noch kein Exeget gekommen.

Die bekannte Erzählung über den Anstoß, den Jesus in seiner Vaterstadt erregt hat, erfährt durch die Seherin von Konnersreuth folgende Begründung: „Therese sah mit Erschrecken, wie man den Heiland über den Felsen in den Abgrund hinausstößt, und dann mit Triumph, wie er in der Luft sich umwendet und wieder hereinkommt, so dass die Menge bestürzt auseinander weicht.“ Danach wird die Ekstatikerin gefragt, ob der Heiland in der Luft gegangen oder geschwebt sei. sie antwortete lachend: „Natürlich geschwebt. Er geht ja auch auf dem See nicht etwa schrittweise.“ - Es handelt sich hier um ein: märchenhafte Ausmalung des biblischen Berichts und um eine phantastische Begründung. Lukas, der den einschlägigen Bericht am ausführlichsten bringt, spricht lediglich davon, dass die Landsleute Jesus über den Rand des Berges stoßen wollten; zu einer Ausführung dieses Entschlusses ist es jedoch nicht gekommen.

Am Ostersonntag 1928 sieht Therese, wie der Auferstandene seiner Mutter erscheint. „Sie war mit den anderen Frauen am Ostermorgen mitgegangen, aber, aufs tiefste betrübt, an der Stelle der Kreuzigung stehen geblieben, während die anderen Frauen zum nahe gelegenen Grabe weitergingen. Da erschien ihr kurz, ohne Worte, nur sie aufs innigste anblickend, der Heiland im unaussprechlichen, überirdischen Glanz der Auferstehung. So schreibt Dr. Steiner in der zweiten Auflage seines Buches über Therese Neumann. In der 5. Auflage wurden zwei wesentliche Änderungen vorgenommen. Einmal heißt es nun: Der Heiland „sagt einige Worte zu seiner staunenden Mutter und ist dann entschwunden“. Zum anderen wird die Angabe der Therese über die Begleiterinnen der Mutter Gottes nur als Vermutung der Seherin angegeben, eine Vermutung, welche im Zustand der Eingenommenheit abgegeben worden sei: „Wird wohl mit den anderen Frauen hingegangen sein und dann gesagt haben: ,Geh, laß mich ein bissel allein.'“25 Übrigens schreibt im Widerspruch zu Steiner Anni Spiegl, der Auferstandene sei seiner Mutter "auf dem Ölberg" erschienen26.

Der Hauptmann, der bei der Kreuzigung Jesu anwesend war, und der Soldat Longinus sollen bei der Taufe am Pfingstfest zugegen gewesen sein, ja sogar die Frau des Pilatus. Diese soll auch Zeugin der Himmelfahrt des Herrn gewesen sein.

Maria sei nur einige Jahre in Jerusalem geblieben und dann sei sie von Johannes mit nach Ephesus genommen worden. Dort soll ihnen ein Haus geschenkt worden sein, in dem sie eine Reihe von Jahren wohnten. Die Mutter des Herrn sei im Jahr 49 in Jerusalem gestorben, kurz nach der Rückkehr aus Ephesus. - Es ist nicht gut möglich, dass Johannes vor Paulus Jahre hindurch in Ephesus gewirkt hat; wäre dies der Fall gewesen, hätte er mit der Verkündigung des Evangeliums nicht den geringsten Erfolg gehabt. Paulus nämlich kam um das Jahr 53 erstmals in die Stadt; dort traf er wohl einige „Jünger“ an, aber diese hatten weder ein Wissen um die christliche Taufe noch um das Sakrament der Firmung; sie waren demnach nicht Christen.

Am 19. Januar 1931 hatte Therese folgendes Gesicht: Der Heiland war zusammen mit den Aposteln in Bethanien. Auf dem Rückweg nach Jerusalem gehen die Apostel voraus, Jesus mit Lazarus folgt. Johannes leidet sehr darunter, dass er nicht neben seinem geliebten Meister gehen darf. Dann trennt sich Jesus von Lazarus, der wieder zurückkehrt. Jesus begibt sich auf den Ölberg, um zu beten. Johannes kann in der Herberge aus Sehnsucht nach dem Meister keine Ruhe finden und sucht den Herrn auf dem Ölberg. Er eilt auf Jesus zu, umarmt ihn und küsst ihn auf Stirn, rechte Wange und Mund. Jesus erwidert die Küsse in gleicher Weise. Dann hilft Johannes dem Heiland in der Herberge das Gewand ablegen und schickt sich an, ihm die Füße zu waschen.

„Der Heiland war barfuß gegangen und hatte sich die Füße verletzt. Voll Liebe suchte Johannes das Blut wegzuküssen. Der Heiland aber zog Johannes liebkosend an seine Brust und Tränen flossen aus den Augen des geliebten Meisters auf das Haupt des liebenden Jüngers. Nach der Fußwaschung machte Johannes dem Heiland das Nachtlager zurecht, bedeckte ihn sorgsam und ging dann selbst zur Ruhe.“ Während der Ekstase schilderte Therese, was sie schaute. Da sie sich im darauf folgenden Wachzustand an die geschauten Szenen nicht mehr erinnern konnte, erzählte man ihr den Verlauf der ganzen Vision. Daraufhin wurde sie so sehr von Freude und Begeisterung erfüllt, dass sie ohnmächtig wurde. „Der Eintritt des erhobenen Ruhezustandes richtete sie wieder auf.“27 - In diesem Bericht sind märchenhafte und sentimentale Züge nicht zu leugnen. Jesus und Johannes waren nicht von solch unmännlicher Art. Merkwürdigerweise vermochte sich Therese nach der Ekstase nicht an den Inhalt des Geschauten zu erinnern; dabei behielt sie nach ihrer eigenen Versicherung das während einer Vision Erfahrene sogar bis in die nebensächlichsten Einzelheiten genau im Gedächtnis, so genau, wie jedes Geschehen in ihrem Leben! Wir haben bereits erwähnt, dass sie wiederholt ihre Visionen zweimal geschildert hat: einmal während der Ekstase, dann wiederum im Wachzustand.

Nicht nur in der geschilderten Szene machte Therese aus dem Jünger, „den der Herr liebte“ , eine niedliche Figur. Nach Nabers Angabe war Petrus auf Johannes eifersüchtig. „Er beeilte sich einst bei einem Mahl und setzte seinen Bruder Andreas auf seinen Platz (zur Linken des Herrn). Johannes wurde vor Leid ohnmächtig. Als der Herr kam, umarmte und küßte er ihn und hernach predigte er über die Nächstenliebe.“27a

Am Fest der hl. Maria Magdalena schaute Therese deren ganzes Leben: die Zeit, da sie auf sündhaften Wegen wandelte; ihre Begegnung mit Jesus; ihre Reue und Umkehr sowie ihre Dienste, die sie dem Herrn leistet. Aber Sie wurde wiederholt rückfällig; erst Im Hause des Pharisäers Simon wurde Ihre Bekehrung endgültig. später ging sie mit ihrer Schwester Martha und ihrem Bruder Lazarus nach Südfrankreich, wo sie im Jahr 67 starb: „Ihre Seele wurde von ihren Eltern, ihrer Schwester Anna und ihrem Schutzengel zum Himmel geleitet, von woher ihr der Heiland entgegenkam.“ Nach den Angaben der Therese war Maria Magdalena die Schwester von Martha und Lazarus aus Bethanien. Eine weitere Schwester soll, wie erwähnt, Anna geheißen haben; sie wird jedoch auch von der Seherin als „stille Maria“ und „blöde Schwester des Lazarus“ bezeichnet. - Woher kommt die Bezeichnung „Maria Magdalena“ Therese wusste dies so zu erklären: Maria habe sich ihr Erbteil ausbezahlen lassen und Lazarus habe seiner Schwester bei Magdala ein Haus bauen lassen. „Auf ihrem Gute Magdala“ habe sie Wohnung genommen und ein leichtes Leben geführt. Diese legendären Aussagen stehen im Widerspruch zu den Berichten der Hl Schrift, wo Maria von Magdala weder mit Maria von Bethanien noch mit der Sünderin identisch ist.

Pilatus, so verkündete Therese, sei nicht verdammt worden, da er ja Jesus habe befreien wollen. dass er Selbstmord begangen habe, sei ebenso unrichtig. Soldaten hätten ihn auf Befehl des Kaisers erwürgt und ins Wasser geworfen. - Das ist eine Korrektur von dem, was Eusebius berichtet, nämlich dass Pilatus Selbstmord verübt habe.

Beachtung verdient ebenfalls das Urteil der stigmatisierten über das Turiner Leichentuch. Wie sie an einem Karfreitag zunächst aussagte, wurde der Leichnam Jesu in Tücher gewickelt; das Haupt des Herrn wurde in ein gesondertes Tuch „gebunden“. Ober das Turiner Tuch befragt, gab sie zur Antwort: „Das Turiner Grabtuch kann das Leichentuch gewesen sein, mit dem der Heiland vom Kreuze abgenommen wurde.“ Eine sichere Auskunft wagte also Therese nicht. Über das Tuch, das zur Abnahme des Leichnams vom Kreuz gedient habe, sagt Therese, es sei nachher zusammengefaltet und in eine Ecke des Grabes gelegt worden; dort sah sie es nach der Auferstehung des Herrn liegen. - Inzwischen hat Prof. Dr. J. Blinzler einwandfrei nachgewiesen, dass das Turiner Leichentuch nicht echt sein kann28. Wie in das von Therese bezeichnete Tuch ein so deutliches Bild, wie wir es auf dem Turiner Linnen sehen, kommen konnte, das wusste auch sie nicht anzugeben.

Seltsame Züge weist die schau der Versuchung Christi auf. Therese schildert diese Szene so :

„Am Mittag des nächsten Tages stand der Herr auf der Zinne, während der Teufel unten war und grässlich zu ihm hinauf brüllte. Die dritte Versuchung war am Abend auf einem Berge, auf den der Teufel den Heiland an beiden Schultern hinaufzog. Später flog der Teufel herunter, worauf Engel kamen, den Heiland nach Hause trugen und ihn mit Trauben, Bananen und Brot bedienten“29.

Weder der Erzählende, Pfarrer Naber, noch der Zuhörer, Erzbischof Kaspar von Plag, fanden an dem überaus naiven Inhalt der „Vision“ etwas auszusetzen.

Eines Tages schilderte Therese die Steinigung des Diakons Stephanus. „Plötzlich gähnte sie laut. Auf Lachen eines Zuschauers sagte sie sofort: ,Das gehört auch dazu.'“30

Ein klares Beispiel, wie Bild und Wirklichkeit auseinander fallen, ist die Vision über den Tod des hl. Franz von Sales31. Therese Neumann beschreibt in der Ekstase das Sterbezimmer des Heiligen32 als ein prächtig ausgestattetes, mit allen möglichen Kunstgegenständen und Bequemlichkeiten versehenes Gemach, wie man es wohl in einem bischöflichen Palast finden könnte. Nun ist aber der Heilige gar nicht auf seinem Bischofsitz in Genf gestorben, sondern in der ganz ärmlich ausgestatteten Gärtnerwohnung eines Klosters bei Lyon. Eine Marmorplatte am Sterbeort gibt heute noch Kunde davon.

„Diese Vision“, so folgert Dr. Deutsch, „zeigt ganz eindeutig, dass es sich hierbei und bei ähnlichen Visionen lediglich um sogenannte ,Wach- und Wahrträume' einer krankhaften Person handelt, die sich in nichts unterscheiden von ,imaginären Visionen' und ,religiösen Ekstasen psychopathischer Persönlichkeiten', die wir nicht so selten in der psychiatrischen Klinik zu sehen bekommen.“

Dr. Deutsch brachte durch seine Kritik den Konnersreuther Kreis, insbesondere Pfarrer Naber, in schwere Verlegenheit. Doch Naber suchte die Lösung, wie in ähnlichen Fällen, bei der Seherin von Konnersreuth. Er fragte sie, als sie im Zustand der Ekstase war, ob Franz von Sales im Gartenhaus gestorben sei. Die Auskunft lautete: Das stimmt nicht. In der Gärtnerwohnung hat er sich aufgehalten, bis er krank wurde; dann hat man ihn „in ein großes Haus“ getragen, wo er starb. Naber fragte weiter, ob man das heute noch beweisen könne. Therese antwortete: Ja, das sei bereits „irgendwo“ aufgeschrieben; es werde schon herauskommen. Der Pfarrer gab sich noch nicht zufrieden; er bohrte weiter: „Weiß das heute schon einer, wo das gefunden werden kann?“ Therese erklärte, jener „große Pater“, welcher ein Jahr zuvor in Konnersreuth gewesen sei, wisse es. Pfarrer Naber meinte zu dieser Prophezeiung, „zweifellos“ sei gemeint P. Reisinger, welcher im Jahre 1937 in Konnersreuth war; er bereite eine Biographie des heiligen Franz von Sales vor32a. - Die Auskunft der Seherin ist eine Art Orakel, mit dem man alles und nichts beweisen kann. Bis jetzt, nach mehr als 30 Jahren, ist die angekündigte Biographie nicht erschienen. Inzwischen herausgekommene Schriften lassen keinen Zweifel offen über den Sterbeort des Heiligen. In dem im Jahre I956 erschienenen Werk „Die Großen der Kirche“32b wird über Franz von Sales gesagt, er sei gestorben „im Gartenhäuschen des Klosters der Heimsuchung in Lyon, wo er wohnte, während .in der Allerheiligenlitanei der Sterbegebete gerade die heiligen Unschuldigen Kinder um ihren Beistand angerufen wurden.“ Anette Thoma schreibt im Jahre 1960: „Tagelang musste der Todgeweihte noch Rede und Antwort stehen, da Priester und Laien herbeieilten in das kleine Gärtnerhäuschen der Heimsuchung, um ihn noch einmal zu sehen, noch einmal zu sprechen und seinen Segen zu empfangen.“32c

Wiederholt musste darauf hingewiesen werden, dass die Visionen der Therese Neumann nichts anderes waren als eine bloße Wiederholung dessen, was sie vorher in erbaulichen Schriften gelesen hatte. dass hier nicht lediglich eine Vermutung ausgesprochen wird, zeigt eine Vision, die Therese Neumann am Freitag, dem 22. Juli 1927, also am zweiten Freitag während der Beobachtungszeit im Elternhaus in Konnersreuth, hatte. Am selben Tag wird das Fest der hl. Maria Magdalena gefeiert. Nach Beendigung der Freitagsvisionen hatte Therese eine etwa fünf Minuten dauernde neue Schauung. Sie sah jetzt „den lieben Heiland bei Maria und Martha in Bethanien“. Wie kam es zur Schauung? Therese hatte sich vorher in einschlägiger Literatur informiert. Das ergibt sich aus einem Bericht der beobachtenden Schwestern. Therese ging am Tag nach ihrer Vision mittags um 13.20 Uhr in den angrenzenden Schuppen und suchte dort ein Buch, „in dem die Begebenheit bei den Geschwistern in Bethanien ausführlich berichtet wäre“. sie gab allerdings an, im Buch nichts gefunden zu haben, „was dem Schauen von gestern geglichen hätte“33. Wie weit diese Angabe gestimmt hat, darüber haben sich die Schwestern keine Aufklärung verschafft. Aber es scheint damit erwiesen, dass Therese ihren Stoff für die Schauungen aus Büchern bezogen hat.

In welchem Buch könnte Therese im Schuppen nachgesehen haben? Bischof Teodorowicz versichert: „Therese liest keine Bücher über Visionen, wie beispielsweise die Werke über Katharina Emmerich.“ Der Pfarrer habe ihr zwar ein Buch über die Seherin von Dülmen überreicht, doch habe sie es zurückgewiesen und erklärt, nur auf Befehl des Pfarrers. würde sie es lesen. Therese habe „keine Seite von den Offenbarungen der Katharina Emmerich gelesen“. Ist die Darstellung des Bischofs zutreffend? Im Bericht vom 4. August 1926 an den Bischof von Regensburg

schreibt Pfarrer Naber:

„Mehrere Schriften über Katharina Emmerich und Columba Schonath sind uns zugekommen. Neumann, die offenbar eine Andeutung erhalten, dass darin ganz Außergewöhnliches enthalten, erklärte, sie würde diese Schriften nur lesen, wenn ich es ihr befehlen würde“34.

Damit ist nicht einmal klar zum Ausdruck gebracht, an wen die Schriften adressiert waren. Es ist auch keineswegs erwiesen, dass Therese in die Bücher nicht doch Einblick genommen hat. Das muss vielmehr sogar angenommen werden, da, wie bereits festgestellt wurde, die Visionen der Stigmatisierten von Konnersreuth mit denen der Seherin von Dülmen in auffallender Weise übereinstimmen. Im elterlichen Schuppen hat Therese Neumann in einem Buch nachgesehen; sie wollte darin über die „Begebenheit bei den Geschwistern in Bethanien“ nachlesen. Katharina Emmerich hat auf Grund ihrer Visionen ausführlich über Maria Magdalena berichtet35. Vielleicht war das gesuchte Buch eine Schrift über die Seherin von Dülmen.

Als Therese am 13. Januar 1953 in Eichstätt eidlich vernommen wurde, versicherte sie, von Kindheit an habe sie eine „zeitlebens gebliebene Abneigung gegen alles Erdichtete und Erfundene, vor allem gegen Märchen“ besessen. Romane, Kalendergeschichten, auch solche religiöser Art habe sie „nie“ gelesen. Am 16. Januar aber gesteht sie ebenfalls unter Eid:

„Ich las ja nur Heiligenlegenden meiner Standesgenossinnen und hl. Klosterfrauen, um herauszubringen, wie diese dem Heiland näher kamen und Freude machten. Das Außerordentliche lag gänzlich außerhalb meines Interesses, ja Verständnisses. Am liebsten las ich die ,Philothea' nebst Goffiné und einigen Zeitschriften (Notburga, Rosenhain, Sendbote des göttlichen Herzens).“

Damit hat Therese offensichtlich selber eine Fundgrube ihrer „Visionen“ angegeben und selbst bestätigt, dass sie „Erdichtetes und Erfundenes“ gern gelesen hat, wozu ja auch Legenden zu zählen sind.

c) Vision und Suggestion

Die geschauten Bilder und Szenen kommen bei Therese Neumann aus ihrer eigenen Vorstellungswelt sowie aus Bildern und Büchern. sie können auch auf dem Weg der Suggestion entstanden sein.

Ohne Zweifel spielte hier eine nicht unwesentliche Rolle Pfarrer Naber. An der wiederholten Befragung Thereses durch Pfarrer Naber nach den Ekstasen nahm bereits Dr. Seidl Anstoß1. Vom psychologisch-experimentellen Standpunkt aus, sagt er, hätte dieses Ausfragen unterbleiben müssen, ,weil eine nicht vorbereitete und unvorsichtige Fragestellung die Möglichkeit einer Suggestion geben kann. Wenn beispielsweise Pfarrer Naber frage, ob Therese nicht auch das oder jenes gesehen habe, so könne dies bereits wie eine Suggestion wirken. Das gleiche gelte von den Fragen, die Professor Wutz an sie stelle, um aramäische Worte, die sie in der Ekstase gehört haben soll, herauszubringen.

Von drei visionären Erscheinungen in den Tagen der Beobachtungszeit im Elternhaus berichten die beauftragten Klosterschwestern. Am 24. Juli 1927 fiel Therese nach dem Kommunionempfang während der Frühmesse in eine Verzückung, die. Bis 9.25 Uhr dauerte. Weil der Pfarrer eine Aufnahme haben wollte, wurde Therese in ihrem Stuhl in die Sakristei getragen, ohne dass sie dabei zu sich kam. Nach dem Erwachen gab sie auf die Frage, wo sie gewesen sei, zur Antwort: „Beim Heiland im Himmel“. Zu der Ekstase meint Dr. Seidl:

„Diese visionären Zustände können meiner Ansicht nach einer ernsten kritischen Würdigung kaum standhalten. Autosuggestion, Gesichts- und Gehörhalluzinationen spielen hier zweifellos eine große Rolle. Die Theresia Neumann ist meiner Ansicht nach eine stark suggestible Person. Wie leicht kann sie bei einer intensiven Betrachtung in der Nacht, bei einem inbrünstigen Gebete nach der hl. Kommunion in einen autosuggestiven Zustand hinübergleiten, in dem sie vollkommen der Umwelt entrückt erscheint. Ich getraue mir das zu behaupten, weil ich auf dem Gebiet der Suggestion sehr viel erfahren habe. Ich habe mich nicht nur theoretisch und durch den Besuch glänzender Experimentalvorträge von In- und Ausländern in die Materie hineingearbeitet, sondern bin besonders in früheren Jahren praktisch auf dem Gebiete der Hypnose und Suggestion tätig gewesen und hatte dabei außerordentliche Erfolge. Ich darf vielleicht an den exceptionellen Fall erinnern, in dem es mir gelang, bei einer Dame nach einigen Vorhypnosen die Analgesie soweit herabzusetzen, dass Herr Geheimer Rat Angerer die Laparotomie und die chirurgische Beseitigung einer Darmfistel ohne jede Schmerzempfindung machen konnte."2

An Autosuggestion lässt eine kurze Angabe denken, die Therese am 15. Januar 1953 bei der Vernehmung in Eichstätt gemacht hat. Hier erklärte sie:

„Ich kann mich im gewöhnlichen Zustand genau an das erinnern, was ich in den Schauungen gesehen habe. Der Inhalt dieser Schauungen ist ja der Gegenstand meines Betens, Betrachtens und Denkens.“

Zu diesem Thema ein lehrreicher Bericht Von Prof. Waldmann3:

Am 6. August 1926 begab er sich in Begleitung zweier Mitbrüder nach Konnersreuth. Es war ein Freitag, an dem das Fest der Verklärung Christi gefeiert wird. Während der Fahrt spricht Waldmann immer wieder von seiner Erwartung, dass Therese vor der Passion die Verklärung auf dem Berge Tabor schauen werde. Um 12.30 Uhr kommt er im Neumann-Haus an. Kurz nach 13 Uhr hört er aus dem verschlossenen Zimmer, in dem Therese weilte, die stimme des Pfarrers Naber: „So, jetzt ist alles aus. Bitte, das Zimmer verlassen und niemand hineingehen, damit man das Zimmer lüften kann.“ Die Leute, auch die noch Wartenden, entfernen sich. Jetzt geht Waldmann die

Stiege hinauf bis zur letzten Stufe. Er überlegt: „Also hat die Therese die Verklärung nicht gesehen. Es sollte mich aber wundern, wenn die Schau nicht jetzt käme.“ Er hatte sie zuerst vor der Passion erwartet. Aber schon hört er die Stimme des Pfarrers: „Schnell, schnell, laufen Sie zum Pfarrhof hinüber. Die Herren sollen wieder kommen. Etwas Neues, ganz Neues!“

„Nun also“, dachte Waldmann, „die Verklärung!“ Augenblicklich tritt er in das Zimmer. Der Pfarrer spricht ihn an: „Sehen sie doch Therese sieht etwas überaus Schönes, sie ist ja wie verklärt.“ Darauf Waldmann: „Nun ja, Herr Pfarrer, sie sieht jetzt die Verklärung Christi auf dem Berge Tabor.“ Nach ungefähr drei Minuten sinkt Therese ins Kissen zurück, um nach einer kurzen Pause von etwa einer halben Minute wieder in den Trancezustand zurückzufallen.

Nunmehr verkündete Waldmann mit lauter Stimme: „ Das kommt schon noch ein drittesmal.“ Er rechnete nämlich mit der Schau der Verklärung in drei Szenen. Am Ende der Schau erklärt er: „So, jetzt ist es aus.“ Ohne mit irgendeinem Menschen ein Wort zu wechseln, verlässt er das Zimmer.

Am Samstag, dem 7. August, befragte Pfarrer Naber im Beisein eines anderen Pfarrers Therese, was sie am Freitag mittags geschaut habe. Merkwürdigerweise stellte sich heraus, dass sie nicht die geringste Ahnung davon hatte, dass an diesem Tage das Fest der Verklärung gefeiert wurde. Ja, sie wusste nicht einmal, was sie eigentlich gesehen hatte. Sie habe gemeint, es sei der auferstandene Heiland gewesen, aber er habe keine Wundmale gehabt. In drei Szenen hatte sie tatsächlich die Verklärung geschaut; zuerst Jesus mit drei Männern auf einem Berg und dann zweimal jeweils in gleicher Form: Jesus verklärt in den Wolken. Prof. Waldmahn fährt in seinem Bericht weiter: „Therese Neumann hat überhaupt nur so etwas wie die Verklärung Christi erlebt. sie sah Moses und Elias nicht, sah und härte nichts von der Unterredung der beiden mit dem Herrn, hörte auch nicht die Stimme vom Himmel.“

Hierzu muss bemerkt werden, dass Therese Neumann später ihr Erlebnis vom 6. August 1926 dem biblischen Bericht angepasst hat. In ihrer Schilderung, die sie Pfarrer Witt gegeben hat4, ist die Dreigliederung der schau nicht mehr ersichtlich. Natürlich wird dann ergänzt, was vorher gefehlt: Jetzt erscheinen auch Moses und Elias; ebenso wird von der Himmelsstimme erzählt. Aus diesem Erlebnis zieht Prof. Waldmann folgende Schlüsse:

„Das Erlebnis der Therese Neumann am 6.8.1926 war eine telepathische Schau der Verklärung Christi, angeregt durch meine höchst gespannte Erwartung und unter Zuhilfenahme ihrer Reminiszenzen aus ihrem biblisch-religiösen Unterricht. Tatsächlich geht denn auch aus allen Berichten über Konnersreuth unbestreitbar hervor, dass Therese Neumann im Zustand der ,Benommenheit', worin sie sich an jenem Freitag unmittelbar nach den Leidensvisionen befand, mit ihrer Umgebung, vorab aber Pfarrer Naber, in telepathischer Beziehung steht, auf unausgesprochene Fragen Antwort gibt, den Seelen- oder Krankheitszustand von Personen erschaut, Reliquien benennt. ...: dies alles aber doch nur in der Voraussetzung, dass Umstehende eine bewusste oder unbewusste Kenntnis davon haben. ... Mit bloßer Hysterie, ohne Hinzunahme parapsychologischer Befähigungen, lässt sich demnach das Rätsel von Konnersreuth nicht in allen Einzelheiten verständlich machen.“

Noch eine weitere Gegebenheit fällt auf: Therese hatte bekanntlich keine Leidensvisionen an hohen Festen und deren Oktaven, nicht einmal in der Fastenzeit. so fiel am Passionsfreitag 1948, zugleich Fest des Hl. Josef, die Leidensvision aus. Nicht einmal am Fest Kreuzerhöhung, dem 14. September 1927, hatte Therese die gewohnten Leiden, angeblich deswegen, weil der Tag in die Oktav von Mariä Geburt fiel; vorher und nachher stellten sie sich jedoch ein. Am 6. August aber schaute sie die Passion, nach deren Vision dann erst die Szene von der Verklärung folgte. Therese hatte also keine Ahnung von dem Feste. Sie hätte auch die Vision nicht gehabt, wäre Prof. Waldmann nicht zugegen gewesen.

Hilda Graef zieht daraus folgende Schlussfolgerung:

„Therese weiß z. B. in ihrem gewöhnlichen Bewußtsein, dass auf den nächsten Freitag ein hohes Fest fallen wird; also erwartet sie keine Leidensvision; ihr Unterbewußtsein greift diesen Gedanken auf und bringt tatsächlich keine solche Vision hervor. so ist es Therese, nach Professor Waldmann, möglich, Visionen auf dem Wege über Telepathie oder Suggestion hervorzubringen.“

d) Frage nach dem Zweck der Visionen

Stigmatisierte waren in der Regel - Jacobi behauptet dies sogar von allen - zugleich Ekstatiker. Ekstasen sagen nichts aus über die Heiligkeit einer Person. Aber das eine müssen wir festhalten: Wenn Gott einen Menschen durch mystische Schauungen auszeichnet, dann informiert er nie falsch.

Was haben aber die Visionen, wie sie Therese Neumann schaut, zum Inhalt? Die Themen gehören sicher meist zum Bereich religiöser Fragen. Die Ereignisse jedoch, die sie schaut, und die Aufschlüsse, die sie darüber erhält, haben mit Religiösem sehr wenig zu tun. Vielmehr wird hier höchstens menschliche Neugier befriedigt, ähnlich wie es den apokryphen Schriften und Legenden eigen ist.

Bischof Teodorowicz glaubt versichern zu können, Therese habe auf Äußerlichkeiten nichts gegeben; zumindest stellt er dies im Zusammenhang mit der Vision an Epiphanie fest. Die Seherin, meint er, hatte gar kein Gefallen am prunkhaften, reichen Aufzug der Weisen. In ihrem Gefolge sollen sich an die ,,300 Personen, viel Volk und ein großer Aufzug, viele Kamele“ befunden haben. solch ein Prunk habe ihrer Demut und ihrem schlichten Gemüt nicht entsprechen können. „Ach“ , ruft sie aus, „diese prächtigen Kleider! Diese vielen Leute! Aber die kümmern mich gar nicht! Muß ich denn das alles schauen? Warum läßt mich der Heiland das alles sehen? 1ch möchte mir s'Buzerl betrachten (d. h. das Jesuskindlein)“1

Dennoch scheint Therese viel Wohlgefallen an den Äußerlichkeiten gefunden zu haben. Als Beispiel dafür sei die Epiphanievision vom Jahr 1932 angeführt: „Im gehobenen Zustand erzählt sie, dass die drei Weisen wirkliche Könige waren und dass ihre Namen so ähnlich wie Kaspar, Melchior und Baltasar klingen. In der ersten Vision nun befand sich Therese in Nubien vor dem Palaste des Königs Baltasar. Im Morgensonnenscheine erglänzte das königliche Haus, so dass die Visionärin nicht müde wurde, sich an diesem herrlichen Bilde zu weiden. Das Gold und der Farbenreichtum am niedrigen Hause lag in vollem Glanze, als der König mit seinem großen Gefolge herauskam. Nach der Erzählung der Therese war König Baltasar ziemlich groß und stark, die roten Lippen, die weißen Zähne und das Weiß der Augen fielen ihr besonders auf, da sie sich von der dunkelbraunen Hautfarbe und dem schwarzen, krausen Haare und Vollbart stark abhoben.

Die Kopfbedeckung bestand in einem blendend weißen, mit einem hängenden Goldband umschlungenen Wulst, auf dem sich oben ringsum Goldstäbchen mit goldenen Kügelchen befanden, deren jedes mit einem Edelstein geziert war. Innerhalb der Stäbchen und über dieselben hinaus ragte eine kegelförmige, weiße, golddurchwirkte Haube empor. Er trug einen buntgestreiften, in der Mitte mit einem bunten Gürtel zusammengehaltenen, über und unter demselben faltigen Rock, der bis etwas unter die Knie reichte und dort einen breiten, dagegen an den langen weiten Ärmeln vorne und am Halse einen schmaleren Goldsaum hatte. An den Füßen trug er Sohlen, von denen aus goldene Bänder kreuzweise um Füße und Unterschenkel geschlungen waren. Auf der Brust war der Rock mit Goldstickereien versehen. Um den Hals trug er etwa fünf am Rock festgemachte, mit Perlen verzierte goldene Ketten verschiedener Form, an denen vorn verschiedenförmige goldene Münzen mit eingeprägten Verzierungen übereinander hingen. Der Mantel, der nur etwas über die schultern vorreichte und vorn mit silbernen Bändern und silberner Schließe zusammengehalten wurde, zeigte einen weißen Untergrund mit eingewirkten verschiedenartigen Blumen und war mit einem handbreiten Goldsaum eingefaßt; er war faltenreich und nachschleppend und wurde von zwei Dienern nachgetragen. Des Königs Frau kam hinter diesem, begleitet von vier Dienerinnen. sie trug einen mit zarten Blumen bestickten, in der Mitte mit einem gestickten Gürtel zusammengehaltenen, sehr faltenreichen Rock, der bis zu den Knöcheln reichte und nachschleppte. Vom Hals hingen ihr mehrere goldene Ketten, die mit Perlen besetzt und an der Brust verschlungen und befestigt waren. Um den Hals selbst trug sie einen goldenen Reifen, an den Ohren ein auf den schultern noch aufliegendes, goldenes, mit Perlen besetztes Gehänge, in den bis auf die Schultern reichenden, offenen, schwarzen, krausen Haaren feine Goldkettchen, mit Perlen besetzt, über den Ohren je zwei krumme Spangen mit Edelsteinen. Die Sohlen an den Füßen wurden durch gestickte, um die Knöchel geschlungene Bänder festgehalten. über dem Rock lag ihr ein weißer, großblumig gestickter Mantel, der über die rechte Schulter hereinhing und von da über den Rücken und die linke Schulter nach der rechten Hüfte geschlungen war, so dass er am Boden noch nachschleppte. Zu beiden Seiten ging je eine Dienerin, die der Königin das Gewand emporhielt. Diese trugen gelbliche, blumengestickte, etwas nachschleppende, in der Mitte mit gelben Bändern, deren Enden seitlich herabhingen, gegürtete faltenreiche Röcke, um den Hals etliche Goldkettchen mit etlichen Steinen, ebenso im mittellangen Haar; auch Ringe in den Ohren. Hinter den dreien gingen noch etliche feinere Dienerinnen, letztere in einfachen, bunten oder gestreiften, bis zu den Knöcheln reichenden, hinten meistens längeren Röcken, ohne Schmuck außer in den Ohren, mit mittellangen, offenen, krausen Haaren. Der König hatte zwei Diener rückwärts zur Seite, die den Mantel nach trugen. Sie hatten einen gelblichen Rock mit farbigen, eingestickten Verzierungen an, der bis unter die Knie reichte und in der Mitte mit einem Band zusammengehalten war, dessen Enden an der Seite herabhingen und mit goldenen Quasten versehen waren. Um den Hals trugen sie einige goldene Ketten; um den Kopf einen goldenen Reif. Ihre Fußbekleidung ähnelt der des Königs. Hinter ihnen folgten noch viele Diener, auch vor dem König war schon ein Trupp Diener heruntergegangen. Die einen waren vollständig mit bunten Gewändern bekleidet, aber ohne Schmuck, nur teilweise trugen sie Ohrringe. Insbesondere die Diener um den König trugen einen krummen Dolch mit weißem und kupfernem Griff. Andere Diener hatten nur ein buntes Lendentuch über Schulter und Brust geworfen, die Füße waren bloß.

In der Nacht hatte man einen Stern bemerkt, und nun hielt der König Rat, was dies bedeuten sollte. Nach dieser Beratung brach ein Gesandter auf nach Arabien, um dort sich Kunde zu holen. Hier war wohl der Stern bemerkt worden, doch die Magier kümmerten sich nicht darum, und als nun der nubische Gesandte eintraf, stieg der arabische König selbst auf den Beobachtungsturm und sah ihn. Da schickte er Boten nach Medien, wo man gleichfalls den Stern gesehen. Auch hier hatte der König Rat gehalten, ohne aber zu einem Entschluß zu kommen. Als aber nun die arabischen Boten eintrafen, da beschloß man, nach Arabien zu reiten. Inzwischen war nun der König von Nubien aufgebrochen mit großem Gefolge nach Arabien, wo nun bald auch der medische König mit seinem Zuge eintraf.

Gemeinsam machten sie nun die Reise durch die Wüsten, über mächtige Flüsse unter größten Strapazen. So kam ungewohnt für die Bevölkerung Jerusalems der Zug der Könige mit Gelehrten, Dienern in die Stadt, allseits beamtet und begleitet, bis zur Burg des Herodes. König Herodes empfing in seinem Saale die drei Könige, beriet sich dann mit seinen Räten und wies die hohen Gäste nach Bethlehem. Doch der Stern leuchtete nicht mehr und der Führer zog den Weg nach einem falschen Bethlehem im Norden. Dort angekommen, erkannten sie, dass sie irregeleitet worden waren und kehrten nach Jerusalem zurück. Als sie die Stadt erreichten, da leuchtete der Stern wieder auf und herrschte im Königszuge große Freude. So erreichten sie denn Bethlehem und fanden das Kind und die heilige Familie. Diese wohnte damals nicht mehr im Stalle, sondern in einer gemauerten Hütte, außerhalb der Fluren von Bethlehem.“2

Es ist staunenswert, wie Therese die nebensächlichsten Dinge bemerkt und sich eingeprägt hat, obwohl sie sich nach ihren eigenen Worten um solche Äußerlichkeiten gar nicht gekümmert hat.

Unmittelbar nach oder zwischen den einzelnen Visionen, beispielsweise an den Freitagen, stellte sich der „Zustand der Eingenommenheit“ ein, währenddem man Therese befragen konnte und sie Auskunft gab. Aber, so muss man fragen, wieso vermochte sie dies zu tun, da sie angeblich im Zustand der Eingenommenheit jedes natürlich erworbene Wissen verloren hatte?

Benefiziat Härtl bezeugt: „In diesem Zustand ist jedes natürlich erworbene Wissen völlig ausgeschaltet; sie weiß nicht einmal, dass sie die Therese Neumann von Konnersreuth ist. Auf die Frage nach ihren Personalien gibt sie zur Antwort: ,Ich bin die Heilandsresl'3. Im Zustand der Eingenommenheit vermochte sie weder Zahlen noch Namen zu benennen. sie zählte dann nur auf: „Eins und eins und eins.“ Auch der Name Bethlehem fiel ihr nicht ein; sie sagte dafür: „Der Platz, wo's neulich die Mutter net hineinlassen ham.“ Für den Fluß Jordan gebrauchte sie den Ausdruck: „Das laufende Wasser, wo die drei mit ihre Leut (Zug der heiligen drei Könige) drüber san.“ Paulus nennt sie den „Stamperer“, Maria Magdalena „das Moidl“, Pilatus den „Idrauminet“, den hl. Josef den „guat Mo“, den Apostel Johannes den „jungen Mann“, Petrus den „Ohrwaschlabschneider“, den Vorläufer Jesu „den mit'm Viechgewand“. Ja, oftmals wusste sie nach den Visionen überhaupt nicht, was sie eigentlich geschaut hatte. Am Fest der Verklärung Christi beispielsweise kannte sie sich nach der Vision nicht im mindesten aus; an Mariä Verkündigung wusste sie nicht einmal, dass die geschaute Person Maria war. Wie ist dies zu verstehen, dass Therese bekannte Ereignisse und Personen überhaupt nicht erkannt hat? dass sie einfache Zahlen und Bezeichnungen nicht wiederzugeben vermochte? Dabei waren doch offensichtlich die Namen leichter zu merken als die von ihr gebrauchten, mehr oder minder treffenden Bezeichnungen! Zudem war sie fähig, ganze Sätze, auch in hochdeutscher Sprache, zu sprechen. Mit Prof. Killermann und vielen anderen hat sie sich in der gleichen Situation unterhalten und wusste dann sehr wohl Auskunft zu geben. sogar fremdsprachliche Ausdrücke soll sie wiedergegeben haben; aber einfache deutsche, sehr wohl bekannte Bezeichnungen soll sie nicht gefunden haben!

Es bleibt die Frage: Welchen höheren Zweck soll man in den Visionen der Stigmatisierten von Konnersreuth finden? Irgendeine zufällige und legendäre Erzählung hat den Anlass gegeben, dass der hl. Antonius von Padua in der gewohnten süßlichen Art, mit dem Jesuskind auf dem Arm, dargestellt wird. In dieser Weise schaute auch Therese Neumann den Heiligen Jahr für Jahr und verkitschte das der gesamten katholischen Welt vertraute Bild in abstoßender Weise. Am 13. Juni 1928 sieht sie, wie das Jesuskind vor dem Heiligen sich auf einem Buch niederlässt „Antonius streckt freudestrahlend die Arme nach ihm aus, zieht es an seine Brust und küsst es auf Stirne, rechte Wange und Mund. Das göttliche Kind legt seine Arme um des Antonius Hals und küsst ihn ebenso. Einige Zeit verbleiben sie in glückseliger Umarmung, dann legt das Kindlein dem Antonius seine rechte Hand auf das Haupt und verschwindet.“4

Im Gegensatz zu den Visionen, die Therese Neumann schaute, hatten die Visionen, von denen die Hl. Schrift berichtet, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Es waren Weisungen Gottes, die tiefere Einsicht und Erleuchtung brachten, keine Gefühlsduselei oder Verdunkelung. Therese hingegen begreift bei ihren Freitagsekstasen nicht, was eigentlich vorgeht. sie hat kein Wissen vom Tode des Erlösers für die Menschen, und ihre Gedanken gehen nur darauf aus, diesen Heiland zu befreien, mit ihm zu fliehen.

„Der bloße Gedanke an seinen Tod klingt wie Gotteslästerung in ihren Ohren“, schreibt Teodorowicz. Als sie dem Pfarrer von den Balken erzählt, die der Heiland tragen muss, da meint der Pfarrer: „Der Heiland wird gewiß an diese Balken geschlagen.“ Aber da fährt Therese den Pfarrer entrüstet an: „Wie unterstehst du dich, so etwas zu sagen ? Ich werde dich vor dem Heiland verklagen.“

Dieser Mangel an tieferem Verständnis blieb bei allen Freitagsekstasen erhalten; Therese lernte von einem- zum andernmal nichts hinzu. schon Prof. Killermann ist dieser Verständnismangel aufgefallen. Ähnlich berichtet Lama:

„Nach der ekstatischen Schau der Kreuztragung und des ersten Falles unter dem Kreuz versucht der Pfarrer auf meine Anregung hin sie sofort auf die Tatsache der Kreuzigung hinzuführen. Alle Versuche mißlangen. sie blieb hartnäckig dabei, dass der liebe Heiland ja gar nicht ans Kreuz genagelt werde.“5

Während der ganzen Freitagsekstase ist sie immer wieder der Meinung, Jesus werde freigelassen. Noch nach der Ankunft der Verurteilten auf Golgotha meint sie: „Sie han ihn halt a Bauholz rauftragen lassen.“ Bei anderen Visionen versteht sie alles; vom Geschehen auf Golgotha begreift sie das Entscheidende nicht!

Sie sieht den Heiland weder als Erlöser noch als Gottessohn; sie sieht lediglich ein hilfloses Schlachtopfer in ihm, das Mitleid erheischt. Petrus, so sagt uns die Hl. Schrift, will den Herrn vom Lciden abhalten und muss dafür einen überaus harten Verweis hinnehmen: „Zurück, Satan, du bist mir zum Ärgernis; du denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern der Menschen.“ Im Lichte dieser Aussage ist es einfachhin undenkbar, dass von Gott gewährte Visionen ausgerechnet das Verlangen wecken sollen, das Erlösungswerk zu ignorieren. Immer, wenn Gott einem Menschen Schauungen oder Offenbarungen schenkte, hat er den Verstand erleuchtet und die Liebe entzündet. Völlig anders bei Therese! Ihr Verstand wird nicht erleuchtet, sondern verdunkelt, und zwar bis zu einem Grad, dass sie die grundlegende Glaubenswahrheiten nicht mehr erkennt, dass sie sogar ihren Seelenführer verklagen will, weil er auf das hinweist, was Christus für uns getan hat, und dass sie nicht einmal das Hochdeutsch versteht, das der „Schutzengel“ zu ihr spricht.

Natürlich sprechen die Berichterstatter von der großen Liebe der Stigmatisierten zum Heiland. Aber was ist das für eine Liebe! Bei vielen Visionen außerhalb des Freitags handelt es sich fast ausschließlich um nebensächliche Dinge mit einem schmalen religiösen Rahmen, und bei der Schau der Passion findet man einen stark sentimentalen Einschlag. Die Angaben über das Geschaute sind durchwegs nichtssagend, farblos, ja banal. Zudem müssen die Auskünfte durch beständiges Ausfragen der Visionärin eingeholt werden, und zu guter Letzt kommt oft nicht das heraus, was Therese wirklich geschaut hat. Was veröffentlicht wurde, ist so zusammengestellt und ergänzt, dass man den Eindruck hat, Pfarrer Naber selber habe die Visionen gehabt. Es sei nur bei der Schau der Verklärung Christi auf das verwiesen, was Therese wirklich wahrgenommen hat und was später veröffentlicht worden ist.

Ebenso erstaunlich ist, dass Therese dann, wenn sie ihre Visionen nen schildert, keinerlei tiefere Ergriffenheit offenbart. Nur eine Szene sei ergänzend angefügt: sie war gerade beim Schildern des bethlehemitischen Kindermordes. Plötzlich redet sie ihren Neffen Josef an: „Hast du an Haring g'habt?“ Nach der Erörterung dieser Frage, ob ihr Neffe einen Hering gegessen habe, geht die Schilderung des Kindermordes weitere, Man hat nie den Eindruck einer tieferen Ergriffenheit als Frucht der Vision. Welche Ehrfurcht spricht schließlich aus ihren Worten, wenn sie an einem Karsamstag im erschöpften Zustand die Bemerkung macht: „Heiland, i hab' jetzt keine Zeit, dass I red mit dir; ich muß ausschlafen.“7 Ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Heiland wird man es wohl nicht nennen dürfen.

Es ist auffallend, wie Therese selber immer wieder im Mittelpunkt der Visionen steht und nicht Christus. Ein paar Beispiele:

Da schildert Therese ihre Weihnachtsvision und behauptet: „Mit hellen, dunkelblauen Augen blickte es mich freundlich an; das Kindlein trug ein weißes Hemdchen, breitete gegen mich seine Ärmchen aus und lächelte mir zu, Es sah aus, als wolle es zu mir.“ Während derselben Ekstase wird die Seherin von der hl. Theresia angesprochen: „Du mußt nicht nur leiden mit dem göttlichen Heiland - du darfst dich auch mit ihm freuen. Nur bleib kindlich!“8 Was macht außerdem auf sie den größten Eindruck? Natürlich die schöne Musik und der liebliche Gesang der Engel sowie das Christkind, aber offenbar nur, weil es „so feine gerötete Wangen“ hat und so „schöne Füßchen“.

Bei der Darstellung Jesu im Tempel legt Simeon das Kind in die Arme der Resl; an Epiphanie gibt das Jesuskind ihr zum Gruß die Hand. Ein andermal sah Therese, wie das Jesuskind dem hl. Antonius von Padua erschien. sie schaute, wie der Heilige die Arme gegen das Kind ausstreckte, das auf einer Wolke zu ihm niederstieg, es ans Herz drückte und sein Antlitz mit Küssen bedeckte. „Therese bat ihn, er möchte das Kind für einige Augenblicke ihr geben, und als der Heilige ihr keine Antwort gab, sagte sie zu ihm: ,Wart nur, wenn es an Weihnachten zu mir kommt, so bekommst du es dann auch nicht'.“9

Die Heiligen haben vor allem das Leiden und Sterben Christi betrachtet weil sie um die Schuld der Menschen wussten und schwer an ihrer eigenen Unvollkommenheit litten. Finden wir Ähnliches bei Therese Neumann? Eine Flut von Büchern wurde über sie geschrieben und viele Beteuerungen, die sie auf Fragen abgab wurden bestätigt, aber von einem tiefen persönlichen Schuldbewusstsein eines liebenden Sünders ist darunter nichts zu finden. Von einer Tugend der Reue keine Spur! Niemals klagt sie sich irgendwelcher Fehler an. Nie gesteht sie nachgewiesenes Versagen ein, aber sie ist jederzeit in Abwehrstellung, um sich zu verteidigen und zu entschuldigen; andere hingegen hat sie, und zwar sehr oft, beschuldigt.

Es bleibt also die Grundfrage: Handelte es sich bei den Visionen der Therese Neumann um von Gott gewährte Schauungen? Keineswegs! Sie waren nichts anderes als gewöhnliche Halluzinationen. Visionen, die ein falsches Bild von der Wirklichkeit geben, können nicht von Gott gewährt worden sein. Außerdem fällt auf, dass zwar Therese wiederholt dieselbe Szene schaut, jedoch immer wieder in wesentlichen Punkten widersprechende Angaben macht. Erinnern wir uns nur an die Schauungen am Feste Epiphanie! Gerade hier steigen auch Zweifel anderer Art auf. Wie vermochte die Seherin Angaben in nebensächlichsten Dingen zu machen, die sich unmöglich so dem Gedächtnis eingeprägt haben können? Offenbar findet man hier lediglich die Schilderung von Krippenfiguren oder von Bilddarstellungen. Eine weitere Frage bleibt zu beantworten: Wie konnte Therese Angaben über Dinge machen, die über den Ablauf der geschauten Ereignisse hinausgingen? Das wäre ihr doch nur dann möglich gewesen, wenn während der Vision zugleich von einem Engel oder Heiligen die notwendigen Erklärungen gegeben worden wären. Offenbar stammt dieses Wissen aus der Lektüre oder aus vorausgehenden sowie nachfolgenden Gesprächen, vor allem mit ihrem Pfarrer. Als Therese im Sommer 1927 erstmals die Verklärung Jesu schaute, wusste sie danach nicht einmal, was sie eigentlich gesehen hatte; sie hatte auch nicht die bekannten Worte vom Himmel her vernommen. Trotzdem wurde schon bald darauf betont, sie habe alles genau so gesehen, wie es die Hl Schrift berichtet. Was nunmehr bekannt gemacht wird, das ist nicht rnehr dic Vision der Therese Neumann, sondern eine frisierte Darstellung des Pfarrers.

Die „Ekstasen“ selber, als „Eingenommenheit“ oder „gehobene Ruhe“ bezeichnet, sind in der Konnersreuther Art der echten Mystik unbekannt. Das geben sogar Verteidiger der Therese Neumann zu, wie zum Beispiel Erzbischof Teodorowicz. Diese „Ekstasen“ gleichen aber ganz genau jenen des „zweiten Zustands“ , wie er bei hochgradiger Hysterie von den Psychiatern beschrieben wird, oder dem Trancezustand spiritistischer Medien und dem Zustand der Hypnose. Auch die Erinnerungslosigkeit nach der „Ekstase“ ist ein Symptom bei hochgradiger Hysterie im „zweiten Zustand“. Erinnerungslose Ekstasen gelten in der Mystik ganz allgemein als unecht und als nicht von Gott gewirkt. Was hätten sie auch für einen tieferen Sinn?

Während bei der echten mystischen Begnadigung der Verstand über das gewöhnliche Erkennen hinausgehoben wird, zeigt sich bei Therese Neumann ein Grad von Verdunkelung, ja Verdummung, wie er sich eben nur bei hochgradiger Hysterie findet.

4. Sprachengabe

Den Berichten zufolge geschah es, dass Therese Neumann in der Ekstase Fremdsprachen vernommen hat, und zwar: Arämäisch, Französisch, Griechisch und Portugiesisch, obgleich sie fremde Sprachen weder gesprochen noch verstanden hat. Sie soll lediglich während der Ekstase die ihr ungewohnten Laute gehört haben.

Eigenartiges hierzu berichtet allerdings Steiner1. Er spricht davon, wie zuweilen der Schutzengel zu Therese geredet habe: „Im eingenommenen Zustand versteht Therese Neumann hochdeutsch nicht und gibt deshalb die Worte des Engels nur mechanisch weiter wie fremdsprachliche Worte.“ Sie beklagt sich, daß der Engel so sonderbar daherrede, er könne doch auch so sprechen, dass man ihn verstehe. -Wie hätte der Engel sprechen sollen? Und wozu redete er, wenn er doch nicht verstandsn wird?

Steiner erzählt aber auch2, Therese habe im erhobenen Ruhezustand, der fast nach jeder hl. Kommunion und ebenso zur Stärkung zwischen den Leidensvisionen aufgetreten sei, auf Befragung die Auskunft in hochdeutscher Sprache gegeben. Das klingt recht eigenartig. Sie redet hochdeutsch und versteht die Worte, wenn der Engel in der Umgangssprache zu ihr spricht, sie versteht ihn jedoch nicht, wenn er hochdeutsch spricht!

Dass Therese Neumann suggestiv ansprechbar war, beweist ihre erstmalige Vision über die Verklärung Christi. Und auch die Tatsache, dass sie fremde Worte oder Wortfetzen hervorbrachte, ist nicht schwer zu erklären. so sagt Prof. Wunderle. „Man kann auch Dinge durch Fragen in einen Menschen hineinsuggerieren. Merkwürdig, dass Prof. Wutz angefangen hat, nach diesen Dingen zu fragen, ebenso Josef Naber. Man ging folgendermaßen vor und fragte: Hat der Heiland so gesagt oder hat er so gesagt?“3 - Auf einen Aufsatz von Prof. Hasenfuß über Prof. Wunderle4 erwiderte Prof. Mayr von Eichstätt: Als Prof. Wutz Therese Neumann nach aramäischen Worten fragte, beteuerte diese immer wieder, „dass sie nicht verstehen könne, was gesagt w'urde, und es kostete sehr viel Geduld und Mühe, bis er einige Silben und Worte herausgebracht hatte“H, Nach und nach hätten sich die Worte dem Gedächtnis der Therese Neumann besser eingeprägt, „und für Wutz wurde es weit leichter, nach einigen Jahrcn konnte sie die Worte am Kreuze und andere Worte und Sätze selbständig wiederholen.“ - Ist das verwunderlich? Außerdem ist das eine eindeutige Bestätigung der Argumente Wunderles.

Die ersten aramäischen Worte, die von Therese Neumann gesprochen wurden, gehen nicht über die Zahl jener Worte hinaus, die in der Leidensgeschichte überliefert wurden. so urteilt Prof. Wunderle: „Die allermeisten Andeutungen, die Pfarrer Naber mir gegenüber diesbezüglich machte, kann ich nur als Wiedergabe der wenigen aramäischen Worte verstehen, die Therese Neumann aus der häuslichen Lesung der Passionsgeschichte kannte.“6

Wie die übrigen Konnersreuther Phänomene, so lässt sich auch bei der Sprachengabe der Einfluss der vertrautesten Berater mehr als erahnen. „Pfarrer Naber und Prof. Wutz suggerieren der Therese Neumann ihre Gedanken; Prof. Wutz auch sein Aramäisch, das er nachher findet“ , so urteilt P. Hummel, der oft in Konnersreuth weilte und den Dingen lange Zeit nicht ablehnend gegenüberstand7.

Wenn Prof. Wutz zugibt, welche Mühe er habe aufwenden müssen, um einzelne aramäische Ausdrücke bruchstückweise aus Therese Neumann herauszubringen, so ist das sicher kein Beweis gegen, sondern für ein Suggerieren von Worten. Was er dem Bischof von Lemberg8 anvertraute, spricht ebenfalls für suggestives Hineinfragen: „Mit den Fragen ging es aber nicht so leicht; grundsätzlich hat Therese Neumann nicht gerne, dass man sie zu viel mit Fragen belästigt, besonders da sie sich nicht auf alles besinnen kann. ,Ja, denken sie' - sagte mir Prof. Wutz – ich brauchte ein volles Vierteljahr dazu, um schließlich ein Wort aus ihr herauszubekommen, das sie mir obendrein nur silbenweise wiedergab'." Zu solch einer Leistung benötigt man keine Seherin.

Über die Möglichkeit von Suggestion im Falle Therese Neumann sagt Prof. Ewald:

„Dass das ständige Ausfragen über Erlebnisse, auch während der Ekstase, zwar keine Quälerei ist ..., dass es aber nur zu oft in das Vorlegen von Suggestivfragen und in ein Hineinfragen ausartet, ,war das nicht so, oder so, oder so', bis eine Zustimmung erfolgt, das weiß jeder, der sich überhaupt einmal in verständiger Weise mit der Exploration eines Menschen befaßt hat. Wesentlich ungünstiger, von der Seite des Wissenschaftlers gesehen, scheint mir in dieser Beziehung noch der Einfluß eines anderen Geistlichen ..., der sehr häufig zu Besuch kommt und in seiner temperamentvollen Art ganz zweifellos ganz ungemein viel in die Kranke hineinkatechisiert. So und nur so ist es zu erklären, dass Therese nun mit einem Male angefangen hat, aramäisch zu halluzinieren, während früher des Heilands Worte auf gut oberpfälzisch von ihr vernommen ,wurden. Dieses Aramäisch sollte auch mir vorgeführt werden - eigentlich ein naives Unterfangen -, man fragte während einer Ekstasepause, was der Heiland gesagt hatte, sie antwortete etwas von ,,Jeruschalem' und fügte dann noch etwas Unverständliches hinzu. Das war wohl nichts recht Positives, denn der betreffende Herr sagte nur lächelnd: ,Eine tolle Aussprache', und gab weitere Versuche auf. Ebenso wurde berichtet, dass man gelegentlich aramäische Worte aus ihr herausfragen wollte, indem man ihr anbot, ,hat es nicht so geheißen?', und nun einige aramäische Worte sagte, und als Therese verneinte, ihr von neuem andere aramäische Worte anbot. Es kann nicht wundernehmen, dass das Mädchen bei ihrem guten Gedächtnis auf diese Weise nun einige aramäische Worte gelernt hat, die sie gelegentlich dann zum Staunen der Umwelt wiedergeben mag."9

Vom Herbst 1926 an war Prof. Wutz ein regelmäßiger Gast in Konnersreuth. Nach Auskunft des „Konnersreuther Sonntagsblattes“ hat er am 25. März 1927 „die Forschungen über das aramäische Sprachvermögen Thereses“ begonnen. Vier Monate später versuchte er, Prof. Ewald die Sprachengabe der Stigmatisierten zu beweisen. Der Versuch scheiterte vollkommen; so wenig hatte Therese in der Zwischenzeit gelernt. Zwischen Herbst 1926 und 25. März 1927 war offenbar Wutz bei seinen häufigen Besuchen kein aramäisches Wort zu Gehör gekommen.

Beachtung verdient, dass die angeblich aramäischen Wörter von den einzelnen Berichterstattern wiederholt ganz verschieden wiedergegeben. werden. Hierzu einige Beispiele: Im Jahr 1927 weilte Prof. Killermann an einem Freitag in Konnersreuth. Damals bekam er kein aramäisches Wort aus Thereses Mund zu hören. Ein Jahr darauf vernahm er bereits mehrere Ausdrücke. Dazu gehört das Wort „kuma“, das heißt „steht auf!“ Bei Franz Huber heißt es „kumu“, bei steiner „kume“; Teodorowicz hört „komu“. - Die Jünger sollen dem Verräter gegenüber Schimpfworte gebraucht haben, neben anderen die von Steiner als „du Schurke“ erklärte Bezeichnung „ganapa“. Dafür findet man aber auch „gannaba“, „kannappa“, „grallaba“ und „gallaba“. Als ein weiteres Scheltwort wird erwähnt „baisebna“. Dieses angeblich aramäische Wort wird aber auch als „aisehuba“, „aisebna“, „biasebua“ und „beisebuba“ überliefert; schließlich findet man alle diese Ausdrücke bei ein und demselben Verfasser, nämlich bei Teodorowicz. Dr. Bauer10 bringt für das fragliche Wort „bäisebua“; Waitz hört „bäisehuba“ ; er vermutet die Bezeichnung „Belzebuba“. Nach Huber lauteten die Worte „ausebua, aisehuba, baisebua“. Dazu bemerkt er, diese Scheltworte der empörten

Jünger seien Wutz „völlig fremd und unbekannt“ gewesen; sie seien auch „durch rein nichts irgendwie überliefert“ . Wie wusste dann der Professor, dass die ihm unbekannten Wörter aramäische Bezeichnungen waren und wie man sie übersetzen musste? Zudem sind die Fassungen für ein und dasselbe Wort überaus widersprüchlich.

Im Oktober 1927 erschien in Konnersreuth Frl. Isenkrahe in Begleitung des Studienrats Dr. Müller. Als die Dame auf das Aramäische zu sprechen kommt, wird Therese „etwas zaghaft“. „Sie trägt einige aramäische Worte vor, die sie gehört haben will, duldet aber nicht, dass sie Dr. Müller notiert. Sie fürchtet, dass ihr bei der Wiedergabe doch einige Ungenauigkeiten unterlaufen könnten, und glaubt, die Wiedergabe sofort nach der Schauung exakt machen zu können.“12 - Den genannten Besuchern gegenüber ist Therese vorsichtig. Wenn Prof. Wutz die aramäischen Worte ausfindig machen wollte, war sie so sicher, dass sich angeblich der Professor seine Aussplache aramäischer Ausdrücke oftmals korrigieren lassen musste. So sicher war sich jedoch Therese nach dem Zeugnis Witts keineswegs: „Doch vermochte Therese die fremden Worte nicht zu wiederholen. sie war nicht imstande, sich nach einmaligem Vorsagen derselben zu erinnern ... noch vermochte sie, dieselben nachzusprechen.“13

Über die von Prof. Wutz angewandte Methode urteilt Dr. theol. Schneider:

„Das famose Aramäisch habe im damals auch etwas unter die Lupe genommen, da ich ja auf der Universität lange Syrisch getrieben habe und mich nachher noch mit etwas palästin. Aramäisch abgab. Wenn man wie Wutz sinnloses Gestammel solange willkürlich behandelt, kommt schließlich auch etwas heraus, das sich so anhört. Das ist so, wie wenn Piefkes gen Süden fahren und sich aus dem Bädecker rasch einige italienische Phrasen zusammenstoppseln. Übrigens ist diese hirnrissige Methode damals ja auch vom alten Kittel ad absurdum geführt worden.“14

Für die angeblich aramäischen Worte, die Therese gehört beziehungsweise gesprochen haben soll, liegt eine sehr einfache Erklärung nahe. sie wurde bereits von Dr. Ewald angedeutet, und auch Hilda Graef hat darauf hingewiesen15. Die Stigmatisiert gebraucht Worte, die selbst dem Fachmann Wutz unbekannt waren. Er hat die uroberpfälzischen Laute nicht verstanden und hat darin aramäische Ausdrücke vermutet. So besteht kein zwingender Grund, in dem Wort „kum“ einen aramäischen Ausdruck mit dem Sinn „auf!“ zu verstehen. In der Oberpfalz bedeutet „kum“ nichts anderes als „komm!“ - Während Therese die Szene auf dem Ölberg schaut, spricht sie ähnliche Worte wie „magera, baisebna, gannaba“. Prof. Wutz versteht sie als Ausdrücke der über den Verrat des Mitapostels empörten Jünger. Hilda Graef vermutet darin Bezeichnungen der oberpfälzischen Mundart. Das Wort „magera“ hat Wutz als Lehnwort aus dem griechischen „macheira“ = „Schwert“ abgeleitet. Das klingt zwar etwas geistreich, scheint aber sehr unglaubwürdig. Viel eher ist hier an das oberpfälzische „der Magere“ zu denken. - Das andere Wort „baisebna“ beziehungsweise „biasebua“ oder „bäisebua“ erklärt Graef als „böser Bub“. Eine Bestätigung für diese naheliegende Auslegung befindet sich in der Schrift von Dorsaz. Da heißt es: „Dann lauscht sie zum Heiland hinüber, was er erwidert, und kehrt sich plötzlich mit zorniger Miene von dem fluchenden linken Schächer ab, vom ,böisen Mo', wie sie ihn zu nennen pflegt, wenn sie über ihn befragt wird.“16 - Eine auffallende Parallele: böser Bub! - böser Mann!

Das dritte Wort wird einmal mit „gannaha“ wiedergegeben auf einem Schriftstück17, das keine Zeitangabe enthält, auf dem aber der Verfasser bemerkt, es sei damals, als er die Worte zum erstenmal gelesen habe, noch von keinem Gelehrten verstanden worden. Man muss bedenken, dass gerade in der Ekstase Thereses Sprechweise sehr undeutlich war. Der Ausdruck kann verstanden werden entweder als „Gauner“ oder als „geh weg!“ Prof. Wutz legt den ihm unbekannten Wörtern „magera, baisebua, gannaha“ den Sinn unter: „Ein Schwert! Beelzebub! Dieb!“, beziehungsweise „Lump“ oder „Mörder“. Der Zusammenhang mit Konnersreuther Mundartausdrücken ist einleuchtender: „Magerer, böser Bub, Gauner!“, oder: „Magerer, böser Bub, geh weg!“

Das aramäische Sprachverständnis nahm sein Ende mit dem Tod des Professors Wutz. Von da ab wurde in den Berichten nur Altes und Bekanntes wieder hervorgeholt. „Von der Wiedergabe aramäischer Ausdrücke ist seit langem nichts mehr bekannt geworden", konnte im Jahr 1957 auf Anfrage Generalvikar Baldauf von Regensburg mitteilen18.

Allmählich und mit viel Mühe hat Wutz aus Therese Neumann aramäische Worte herausgeholt. Die Visionärin sah aber auch Ereignisse, bei denen die Menschen nicht Aramäisch, sondern Griechisch oder Französisch sprachen. Aus diesen Fremdsprachen hat Therese nur wenige Worte vorgebracht, da vermutlich ein Inspirator wie beim Aramäischen fehlte. In einer unbekannten Sprache kann man zudem einen Irrtum nur schwer nachweisen; anders hingegen bei einer bekannteren. Das ist wohl ein weiterer Grund, warum Therese bei geläufigeren Fremdsprachen ihre Sprachengabe kaum betätigt hat.

Nur ein einziges Mal hat sie ein paar zusammenhängende griechische Ausdrücke erwähnt. Aus einer Vision vom hl. Johannes, der aus einer Tonne siedenden Öls steigt, erinnert sie sich der Worte aus seinem Gebet: „Jesus Christos Theos Hyios ego bios“ (Jesus Christus, Gottes Sohn, ich bin das Leben)19. - Ein höchst lehrreicher Satz! Der Ausdruck „bios“ kommt im ganzen Neuen Testament nur fünfmal vor; er wird nie im metaphorischen Sinn gebraucht, sondern stets für „Leben“ im wörtlichen, biologischen Sinn. Wann immer das Leben der Seele oder Christus als das Leben gemeint ist, wird regelmäßig das Wort „zoe“ verwendet. Im Evangelium des hl. Johannes kommt „zoe“ nicht weniger als vierhundertdreißigmal vor, „bios“ überhaupt nicht. Woher stammt also das von Therese vorgebrachte Wort „bios“? Sicher nicht von Johannes, sondern vom Pfarrer Naber und aus seiner unzureichenden Kenntnis des neutestamentlichen Griechisch. Naber war, wie sein ehemaliger Mitstudent Prof. Waldmann versicherte, „ein guter Hebräer, aber ein schlechter Grieche“.

Die Angabe des Bischofs Teodorowicz, Therese Neumann habe fremde sprachen gesprochen, ist reichlich übertrieben. Es sind nur wenige Worte, die zuweilen von ihr gehört wurden oder die man zu hören vermeinte. Von den veröffentlichten wenigen Beispielen sei nur noch auf eines hingewiesen. Am 16. Juli 1928 weilten zwei Männer im Empfangszimmer der Stigmatisierten; sie unterhielten sich in portugiesischer Sprache. Da unterbricht sie Therese: „Mir scheint, diese Sprache habe ich in der Ekstase gehört.“ Man ging auf die Bemerkung nicht ein. Aber da unterbricht sie die Herren ein zweites Mal und erklärt, sie habe diese Sprache während einer Ekstase gehört. Nun greift Pfarrer Naber ein. Er meint, falls kein Irrtum vorliege, könne Therese bei keiner anderen Gelegenheit Portugiesisch gehört haben als bei der Vision, die sie am vergangenen 13. Juli gehabt habe. Da habe sie am Fest des hl. Antonius geschaut, wie der Heilige einem vornehmen Freund auf dessen Schloss einen Besuch gemacht habe20. Therese glaubte, die Sprache gehört zu haben; wann das war, wusste sie nicht. Pfarrer Naber hilft mit einer Vermutung nach. Sie hat auch kein einziges Wort wiedergeben können; nur der Klang der Sprache soll ihr bekannt vorgekommen sein. - Dass sie dann später ihr Wissen in ein besseres Licht gerückt hat, verwundert nicht. Wie Steiner auf Grund einer Mitteilung durch Prof. Mayr schreibt21, soll Therese sofort ohne Vermittlerrolle des Pfarrers, geäußert haben: „Die Sprach hob i doch scho ghört. Ja, beim hl. Antonius, ham's so g'redt.“

In dem Zeitraum von mehr als einem Jahr nach Beginn der Visionen hat offenbar niemand etwas von einer Sprachengabe bemerkt. Als Prof. Killermann im Jahr 1927 in Konnersreuth zur Beobachtung weilte, hat er kein einziges aramäisches Wort aus dem Mund der Stigmatisierten vernommen. Erstmals hörte er ein paar angeblich aramäische Brocken im Jahr 1928. Man geht nicht fehl in der Annahme, dass die Sprachengabe künstlich angeregt und gefördert wurde, vor allem durch Prof. Wutz. Aus oberpfälzischen Ausdrucken wurden aramäische und der weitere Ausbau der Sprachengabe war dann nicht mehr allzu schwierig.

Als Therese im Jahr 1953 von zwei Eichstätter Professoren eidlich vernommen wurde, erzählte sie ihnen, sie habe in der Fastenzeit 1926 zum erstenmal Jesus auf dem Ölberg geschaut; da habe er die Worte gebetet: „te sebud ach“*. Diese Worte hat sie damals bestimmt nicht gehört; sie erwähnte ja in dieser Zeit nicht einmal die in der Bibel überlieferten Worte Jesu.

Genau besehen kann man von einer Sprachengabe bei Therese Neumann überhaupt nicht reden. sie hat nie in fremden Sprachen geredet und gesteht lediglich, nur fremde Wörter gehört zu haben. Aber auch diese Wörter hat sie in Wirklichkeit gar nicht gehört; sie stammen vielmehr aus dem Wissen anderer, vor allem von Prof. Wutz und Pfarrer Naber. In der Konnersreuther Literatur ist nur ein einziges Mal die Rede davon, dass Therese eine ihr fremde Sprache verstanden habe. Am Freitag, dem 2. September 1932, soll sich ein indischer Bischof mit der Stigmatisierten während ihres ekstatischen Zustandes unterhalten haben; der Bischof sprach nur lateinisch; Therese gab ihre Antworten in deutscher Sprache. Das soll der Bischof einem Pater aus Afrika erzählt haben22. - Wie wollte der Bischof wissen, dass Therese seine Fragen begriffen hat? Er selber verstand ja nicht Deutsch. Und selbst wenn Therese zutreffende Antworten auf eine ihr unverständliche Sprache gegeben hätte, ihr Können ginge nicht über das hinaus, was beispielsweise in der Hypnose möglich ist. Der im Jahr 1779 in Pondorf a. D. verstorbene Pfarrer Johann Joseph Gaßner sprach bei seinen „Heilkuren“ zu den Patienten oftmals in lateinischer Sprache die Patienten taten, was er befahl, obwohl sie seine Sprache nicht verstehen konnten. Ja ein Mädchen erwiderte sogar auf die Aufforderung: „Latine loquatur creatura ista! (Deutsch soll sie sprechen, die Kreatur)“ spontan: „Non possum.“ Gaßner verfügte über hypnotische Fähigkeiten wie ganz wenige23. Im Vergleich zu seinem Können verblasst das, was über Therese Neumann erzählt wird, erheblich.

Der katholische Religionsphilosoph Friedrich von Hügel hat sich eingehend mit der Mystik beschäftigt. Er sieht die Ekstasen und Visionen sowie das Stimmenhören als etwas durchaus Nebensächliches an. Von Hügel sagt klar und deutlich: „Wenn diese Erscheinungen als etwas Heiliges, Übernatürliches gelten sollen, dann sind nirgendwo mehr Heilige zu finden, als in den Irrenhäusern.“24

5. Hierognosie

Im Zustand der gehobenen Ruhe besaß Therese Neumann angeblich die Gabe der Hierognosie, das heißt die Fähigkeit, Reliquien oder geweihte Dinge zu erkennen. „Über diesen Punkt“, schreibt Boniface1, „liegen so viele Erfahrungen vor, ohne dass ihr je ein Irrtum nachgewiesen werden konnte.“ Die genannte Fähigkeit erstreckte sich insbesondere auf Kreuzpartikeln und andere Christusreliquien. Boniface nennt unter anderem „Fäden des Schweißtuches und des Hl. Rockes“. Steiner2 weiß zu berichten, wie man eines Tages Therese eine Reliquie reichte, die sie sofort als ein Stück von einem „Schleier der Muttergottes“ erkannte. sie gab sogar anschließend bekannt, auf welchem Wege die Reliquie in die Hände der derzeitigen Besitzer gekommen sei. Ebenso soll Therese ohne Zögern „reagiert“ haben, sobald echte Kreuzpartikeln einem ihrer Wundmale, besonders der Seitenwunde, nahe gebracht wurden. „Ganz eigentümlich“ nennt es Boniface, „dass sie auch auf ähnliche Weise reagierte bei Berührung der mit ihrem eigenen Blute getränkten Wäschestücke“. Wiederholt habe sie im Verlaufe solcher Versuche ausdrücklich betont: „Das ist nicht mein Blut.“ Diese Äußerung passt nicht zu der vorausgegangenen Feststellung. Aber ähnlich überliefert die Worte auch Fahsel2a. Die ekstatische Auskunft überrascht. Entweder hat sich Therese tatsächlich getäuscht oder die Wäschestücke waren nicht mit ihrem Blut getränkt. Außerdem, wenn Therese, wie auch Benefiziat Härtl versichert3, über heftige Schmerzen in dem Wundmal, dem ein Tüchlein mit ihrem vom Freitag her eingetrockneten Blut nahe gebracht wurde, geklagt hat, welche hellseherische Gabe hätte sie damit bewiesen? An den Passionsfreitagen trugen ihre Wäschestücke regelmäßig blutige Spuren. Sollte sie bloß auf länger aufbewahrte blutgetränkte Linnen „reagiert“ haben?

Wie hat Therese Neumann „reagiert“, wenn man einer ihrer, Wunden eine Reliquie, vor allem eine Kreuzpartikel, nahe brachte? Ein Bischof reichte ihr sein Brustkreuz, in dem sich eine Kreuzreliquie befand. „Wie ein Blitz durchzuckt der schmerzliche Krampf Gesicht und Körper Theresens; besonders krampfen sich die Hände.“ Ein Kapuzinerpater berührte mit einer Kreuzpartikel eine Hand der stigmatisierten. „Sie ließ einen Seufzer hören, wurde weiß wie der Tod und sank in sich zusammen. Der Kopf fiel etwas nach hinten, der Mund blieb geöffnet. Es war das Bild einer soeben Gestorbenen.“ Erzbischof Kaspar hält sein Pektorale, das eine Kreuzpartikel enthält, an die Hand Thereses; „augenblicklich fühlt sie einen furchtbaren Schmerz“4. - Dieses Verhalten der Stigmatisierten beweist gar nichts über die Echtheit von Reliquien; es ist höchstens eine entsprechende Reaktion auf Grund des Wissens der die Reliquien darreichenden Person. Aber angenommen, die Reliquien wären echt gewesen, was soll ein derart sonderbares, unverständliches Verhalten? Das kann nicht die Wirkung echter Reliquien sein.

Andere stigmatisierte empfanden bei ähnlichen Versuchen sichtbare Freude und Linderung in ihren Schmerzen.

Als im Jahr 1933 in Trier der Hl. Rock gezeigt wurde, war Therese Neumann dabei. Um sie dem Andrang der Menge zu entziehen, wurde der Dom abgesperrt; Therese konnte in aller Ruhe den Hl. Rock aus nächster Nähe betrachten. Wiederholt versicherte sie, auch im „Zustand der Eingenommenheit“ , der Rock sei echt. Sie berührte bei dieser Gelegenheit einen Rosenkranz am Hl. Rock und sandte ihn an den Freiherrn von Aretin. Zwei Jahre später kam dieser wieder einmal nach Konnersreuth. Während Therese im ekstatischen Zustand dalag, legte ihr von Aretin auf Anregung des Pfarrers den Rosenkranz auf das rechte Handstigma. sofort erklärte Therese, aber ohne wie gewöhnlich bei solchen Experimenten zu jammern: „Du, da sind fein hohe Weihen darauf! Das ist an etwas angerührt worden, was dem Heiland selbst gehört hat.“5 - Therese hat sich getäuscht. Der Hl. Rock weist zwar ein ehrwürdiges Alter auf, aber echt ist er keinesfalls.

Boniface meint, nie sei ein Irrtum hinsichtlich der Angaben über die Echtheit von Reliquien nachgewiesen worden. Das ist die große Frage. Hier hätte man experimentell vorgehen müssen unter Verwendung von nachweislich echten oder unechten Reliquien. Anders lassen sich höchstens Vermutungen anstellen.

Wir haben keine sicheren Beweise für die Echtheit von Kreuzpartikeln. Noch fragwürdiger ist die Sache hinsichtlich des Schweißtuchs Jesu oder des Schleiers der Muttergottes. Unecht sind ganz bestimmt die Fäden vom Hl. Rock, weil der ganze Rock nicht echt ist. Man hätte in jedem Fall experimentell vorgehen müssen. „Anders dagegen, wenn Therese Neumann über dieselbe Reliquie widersprechende Aussagen macht oder eine zweifellos echte Reliquie für unecht erklärt. Beides ist geschehen“, wie Dr. Heermann in seiner Schrift Um Konnersreuth6 berichtet. Heermann hat den Vorschlag gemacht, man möge die Fähigkeit der Therese auf die Probe stellen, indem man sie aus geweihten und ungeweihten Gegenständen die geweihten aussuchen lasse. „Tatsächlich“, so versichert er, „hat ein mir bekannter Konnersreuthpilger mit Begleiter dem Pfarrer Naber diesen Vorschlag in Gegenwart der Therese Neumann gemacht. Naber lehnte jedoch sofort ab mit der Begründung: ,Das haben wir bisher nicht gemacht einen Mißerfolg würde man uns übel auslegen.'“ - Die Konnersreuthpilger waren Caecilie Isenkrahe und Dr. Miller. Vor ihrer Abreise nahmen sie sechs Medaillen mit, von denen sie eine vorher von einem Pater segnen ließen. Sie legten jede Medaille einzeln in einen Briefumschlag und wollten dann in Konnersreuth Therese auf die Probe stellen. Dort erhielten sie dann die bekannte Antwort7.

Ebenso hatte Msgr. Dr. Brunelli bei seinem Besuch in Konnersreuth am Freitag, dem 19. Dezember 1930, Reliquien mitgebracht. Aber Therese wollte keine Auskunft geben. sie sagte:

„Das ist schon angeschrieben, was es für Reliquien sind.“ Brunelli antwortete, es sei nichts darauf geschrieben; er wolle wissen, ob die Reliquien echt seien oder nicht. „Therese sagte, dass sie nichts wisse. Wenn sie etwas wisse, sei es nur, weil Jesus ihr alles eingebe.“ Da kam ihr der Pfarrer zu Hilfe, indem er meinte: „Heute ist sie nicht in wirklicher Ekstase, sondern in einem halbekstatischen Zustand.“8 Nunmehr ließ der Pfarrer den Nuntiaturrat allein mit Therese. Brunelli wollte sehen, ob sie ihm „wenigstens etwas ganz Intimes“ zu sagen wisse, so wie sie es zuweilen Bischöfen gegenüber, sogar unaufgefordert, getan hatte. Aber es erfolgte keinerlei Auskunft. - Die Entschuldigung des Pfarrers leuchtet nicht ein, da Therese ja ihre gewohnten Freitagsvisionen hatte und der Pfarrer während der Schauungen die üblichen Erklärungen abgab; Therese brachte auch „einige lange hebräische Ausdrücke“ vor.

Man kann nicht Glauben fordern und dabei jedwedem Nachweis für die Wahrheit der Thesen aus dem Wege gehen, wie es im Fall Konnersreuth nicht bloß hinsichtlich der in Anspruch genommenen Gabe der Hierognosie der Fall war. Dort aber, wo man den Spuren nachgehen kann, zerrinnen die „Beweise“ wie Schnee in der Sonne, und man stößt ins Leere.

Einige Male gelang es doch, Thereses Hierognosie auf die Probe zu stellen, und sie hat die Prüfung nicht bestanden. Eine Reliquie des heilig gesprochenen Bruders Gerhard C.Ss.R., die dem Kardinal Kaspar von Prag geschenkt worden war, hat Therese Neumann als unecht bezeichnet, hingegen das Brustkreuz des Bischofs von Regensburg als Reliquienkreuz anerkannt. Zugleich hat sie genaueste Angaben über die Herkunft der „Kreuzpartikel“ gemacht. Der Bischof wollte zu Hause die Reliquie in Augenschein nehmen, „als er indes das Kreuz öffnete, war überhaupt nichts drinnen“9. Von einer Reliquie des italienischen Rcdemptoristenfraters Blasucci sagte Therese, sie stamme von Johannes dem Täufer.

Ein und dieselbe Reliquie bezeichnete Therese einmal als echt, das andere Mal als unecht, wie der Jesuitenpater Fonck bezeugt. Der geistliche Studienrat Dr. Günther von Hagen-Böle stellte im Jahr 1928 der Seherin die Frage: „Die Schwestern in Böle haben eine Reliquie vom Kreuze Christi; ist diese echt?“ Die Antwort lautete: „Ja!“ Tatsache ist aber, dass die genannten Schwestern überhaupt keine Reliquie besitzen10.

Als Beweis für die eine Form des Hellsehens, nämlich die „Reliquienkenntnis“, berichten mehrere Autoren, wie Therese Neumann bei Berührung mit einem Linnen reagiert hat, das mit Blut der Wundmale anderer Stigmatisierter getränkt worden war. Eines Tages berührte man sie mit einem Tuch, das Blut von den Wundmalen der belgischen stigmatisierten Louise Lateau enthielt. „Sofort fing sie an zu zittern und zu jammern. Das Zittern wurde zu einer heftigen Erschütterung des Körpers, das Jammern zu Schreien. Ähnlich stark hatte sie am Morgen schon auf diese selbe Probe reagiert, außerdem in ihrer Ekstase er-klärt: ,Das Blut ist echt; alle Geschehnisse dort waren echt.'“11 Sie gab außerdem an: „Louise Lateau kam gleich nach ihrem Tod in den Himmel, ohne durchs Fegfeuer hindurchzugehen.“12

Therese Neumann hat also in der Ekstase versichert, alle Geschehnisse seien echt gewesen. Ihre Aussage bezieht sich insbesondere auf die Behauptung, Louise Lateau habe im Alter von 21 Jahren aufgehört, speisen zu sich zu nehmen. Es erhebt sich die Frage: Waren die Geschehnisse, wie Therese behauptete, echt? - Durchaus nicht! Eines Tages wurde Louise Lateau von ihrem Beichtvater ertappt, wie sie in betrügerischer Weise Stigmen und eine Ekstase hervorrief. „Ferner entdeckte Doktor Warlomont nach Louises Verschwinden Früchte, Wasser und Weißbrot in ihrem Schrank, womit ihre Ausdauer bei dem verlängerten Fasten eine natürliche Erklärung findet.“ Ebenso hatte der Vater des belgischen Arztes Dr. Masoin mit seinem Spazierstock angekaute Brotkrusten und andere Speisen unter dem Bett der Louise hervorgeholt; er wurde daraufhin von ihrem Vater an die Luft gesetzt13.

Ähnlich wie im erwähnten Fall reagierte Therese, als sie mit einer Abbildung des Herz-Jesu-Bildes von Mirebeau mit den angeblichen Blutspuren berührt wurde. Der Urheber der Legende von Mirebeau war Abbé Vachère, der wegen seines Ungehorsams von Papst Pius X. exkommuniziert worden und unbußfertig gestorben war. Der Priester hatte trotz Verbotes den Leuten „blutschwitzende“ Hostien und Herz-Jesu-Statuen vorgelegt und ihnen sogar konsekrierte Hostien ausgehändigt. sofort nach der Berührung mit dem Bild begann Therese zu seufzen und zu jammern: „Lieber Heiland, Du durchbohrst mich ja; Du brennst mich so fest.“ Da befragte sie der Kathedralkanonikus von Bamberg, Msgr. Geiger, in Gegenwart des Konnersreuther Pfarrers und des Vaters der Stigmatisierten: „Sag uns, Resl, wo ist jetzt Abbé Vachère?“ Die Antwort lautete: „Im Himmel, beim lieben Heiland,“ Geiger äußerte Bedenken. Doch Therese blieb fest: „Er ist im Himmel; er war unschuldig; er war ein frommer Priester; man hat sich an ihm geirrt; die Herren haben falsch getan; der Heiland war mit seinem Vorgehen zufrieden.“ Dompfarrer Geiger wandte ein: „Ja, er hat aber doch so viel über den Klerus geschimpft!“ Darauf wusste Therese nur zu erwidern: „Das hat der liebe Heiland auch getan,“14 Mit solcher Auskunft gab sich Geiger zufrieden. Er blieb weiterhin ein „freimütiger Verteidiger des verstorbenen Abbé“ und meinte: „Man muß sagen, daß mit der Exkommunikation die Sache nicht so einfach abgetan ist.“15

Sicher trifft zu, daß Therese Neumann zuweilen über Dinge richtig geurteilt hat, von denen sie keine genaue Kenntnis besaß. Auskünfte über Reliquien, über deren Herkunft niemand Bescheid weiß, scheiden bei unserer Betrachtung aus, weil sie eben nicht nachprüfbar sind, In den Fällen, da Therese echte Reliquien richtig benannt hat, braucht keineswegs auf eine übernatürliche Einsicht geschlossen zu werden; hier genügt die Tatsache einer suggestiven Antwort, vermittelt durch das Wissen anwesender Personen. Fast ausnahmslos wurden die Reliquien durch Pfarrer Naber und Prof. Wutz der Stigmatisierten gereicht, die dann an sie die entsprechenden Fragen richteten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Fragenden vorher die Reliquien, zumal wenn sie zugesandt worden waren, genau untersuchten. [ Nur ganz selten durfte ein anderer Priester unmittelbar Fragen stellen. „Auch über diese Geistlichen“, so urteilt P. Gemelli, „muß ich wiederholen, was ich über Pfarrer Naber gesagt habe, ein objektiver und unvoreingenommener Beobachter erhält keinen guten Eindruck davon, weil in seinem Inneren unwillkürlich die Frage auftaucht, ob die Anwesenheit dieser Menschen und deren Fragen auf die Dauer nicht suggestiv wirken; und was die Antworten betrifft, so kann man das nicht bezweifeln.“16

Es heißt ferner, Therese seien hellseherische Fähigkeiten sowohl in der Ekstase als auch im gewöhnlichen Wachzustand eigen gewesen. Einmal allerdings hat sie selber versichert, nur im ekstatischen Zustand verfüge sie über die Gabe, geheime Dinge zu offenbaren. Da hatte ihr jemand eine zweifelhafte Reliquie zur Begutachtung vorgelegt, worauf sie den Bescheid gab: „Ja, das weiß ich jetzt nicht, das weiß ich nur in der Ekstase.“17 Dennoch wird in den Berichten wiederholt ihr hellseherischer Blick auch im Normalzustand hervorgehoben. Eingehender wird darüber noch die Rede sein bei der Betrachtung ihres Verhältnisses zum Schutzengel. Von diesem erhielt sie nach ihrer eigenen Versicherung Auskunft über geheime Dinge auch im normalen Warnzustand.

Was über Thereses Reliquienkenntnis berichtet wird, entbehrt demnach jeder Beweiskraft. Vor allem aber fallen ins Gewicht die nicht wenigen Fälle, bei denen Therese falsche Angaben gemacht hat. Persönliche Erfahrung zwang den lange Zeit konnersreuthgläubigen Redemptoristenpater Hummel zum Geständnis: „Mit ihren Angaben über Reliquien hat Therese Neumann entschieden Pech. Wir haben wiederholt Versurne gemacht, die mißlungen sind.“18 Auch andere Besucher in Konnersreuth haben, trotz der Vorsicht, die Pfarrer Naber hat walten lassen, ähnliche Erfahrungen gemacht wie P. Hummel. Der Jesuitenpater Alois Gatterer war am Freitag, dem 15. Juli 1932, in Konnersreuth. Pfarrer Naber legte auf des Paters Anregung hin ein Päckchen, das eine Reliquie der hl. Theresia von Lisieux, und zwar ein Knochenstück, enthielt, der Ekstatischen in die Hand: „Sie reagierte aber in keiner Weise darauf.“ Zu einem zweiten Versuch war der Pfarrer daraufhin nicht mehr zu bewegen19. Im Verein mit bedingungslos Gläubigen nahm wohl der Pfarrer auch weiterhin Proben vor, in anderen Fällen jedoch erklärte er ohne Entgegenkommen: „Probiert wird nichts.“20

6. Kardiognosie

Ein weiteres Argument, das die göttliche Erwählung der Stigmatisierten von Konnersreuth unter Beweis stellen soll, ist die Gabe der Herzenskenntnis. Es kam vor, dass sie beispielsweise einem Priester, der als Zweifler gekommen war, den Vorwurf machte, er bete sein Brevier nicht andächtig oder er sei bei der Feier der hl. Messe sehr zerstreut. Aber zu solchen Erkenntnissen braucht es offensichtlich keine besondere Erleuchtung jedermann weiß, wie leicht beim Beten unsere Gedanken abschweifen.

Aber, so lauten die Argumente, Therese wusste viel genauere Auskünfte zu geben, vor allem im „Zustand der Eingenommenheit“ sie offenbarte, ob jemand im Gnadenstand war, ob er aufrichtig oder stolz und lieblos war. Ja sie sagte sogar lebenden Menschen ihr jenseitiges Schicksal voraus. so versicherte sie einer Frau, sie werde nach ihrem Tod ohne Fegfeuer sofort in den Himmel kommen - eine Auskunft, der keinerlei Beweiskraft zukommt.

Ein Besuch in Konnersreuth musste zuweilen etwas riskant gewesen sein, wie Waitz zu erkennen gibt:

„Es ist übrigens für die, die ganz ungläubig nach Konnersreuth kommen, nicht ohne Gefahr, bloßgestellt zu werden; denn Therese redet zu solchen und über solche mit einer Einsicht, die überrascht.“1

Es ist eine Zumutung, glauben machen zu wollen, was Franz Huber für wahr hält:

„Sie spürt -das wurde seit 1929 beobachtet und ist seitdem so -, wenn Anwesende im Stande der Todsünde sind. so wie sie bei einzelnen Personen deren Seelenzustand erkennt, so spürt sie, ob hier weltliche oder fromme Gesinnung überwiegt und zu Hause ist; ob in dem Ort viele Trünksüchtige sind; ob in dem Ort viele geschlechtliche Sünden begangen werden; genau so, wie sie mittels dieses Sinnes unterscheiden kann, ob ein Besucher gläubig oder ungläubig, katholisch, protestantisch oder indifferent ist.“ 

Ein Mann, den Fahsel, von Therese Neumann auf diesen aufmerksam gemacht, nach Konnersreuth gebracht und der dort konvertiert hatte, wurde unmittelbar nach seiner Erstbeichte und Kommunion zu Therese gerufen - sie hatte das verlangt. Im Zustand der erhobenen Ruhe hielt sie ihm zu seinem größten Erstaunen zwei Sünden aus seinem früheren Leben vor, an die der Mann überhaupt nicht mehr gedacht hatte. Sie tat es mit der Bemerkung: „Es ist dir alles vergeben. Aber du sollst wissen, dass man alles weiß.“3 - Sollte Gott eine so geartete „Erleuchtung“ gewähren, um einen Menschen guten Willens zu blamieren?

Luise Rinser glaubt bei ihrem Besuch in Konnersreuth einen Beweis für die Herzenskenntnis der Therese Neumann erhalten zu haben. Zwei Personen waren in ihrer Begleitung, die Therese bereits bekannt waren. Sie wusste, dass eine davon Redakteur bei einer katholischen Zeitschrift war. Während des Gesprächs geschah es: „Plötzlich wandte sie sich zu mir und sagte: ,Gell, es ist schwer, so zu schreiben, dass alle es verstehen, die ganz Anspruchsvollen und die Einfachen!'“4 Mit dieser Äußerung, glaubt Rinser, hätte Therese ihr Wissen um ihren eigenen Beruf zum Ausdruck bringen wollen.

Im Zustand der gehobenen Ruhe, schreibt Boniface5, habe Therese Neumann wiederholt ihre Sehergabe unter Beweis gestellt. „Mehr als einmal hat sie falsche oder schlechte Priester, und sogar falsche Bischöfe, die als Ungläubige, aus reiner Neugierde oder auch zum Vergnügen sie besuchten, demaskiert. So sagte sie dem einen: ,Du bist gar kein Bischof, du bist ein falscher Prälat, trotz deiner prächtigen Kleidung. Aber du bist immer noch Priester; du bleibst es in alle Ewigkeit. sieh dich vor, dass dir unterwegs nichts zustößt!'“

Der Mann soll später verurteilt worden sein, weil er eine ihm nicht zustehende Amtstracht getragen habe. - Wie viele falsche Bischöfe mögen Therese Neumann in „prächtiger Kleidung“ aufgesucht haben?

Nur ein einziges Mal stellte sich tatsächlich in Konnersreuth ein Mann als Bischof vor, ohne es zu sein. Die Dinge lagen jedoch ganz anders, als sie Boniface schildert. Therese ist nämlich auf den Schwindler hereingefallen. Am 11. Januar 1929, einem Freitag, erschien in Konnersreuth ein abgefallener tschechischer Priester, ein Betrüger und Hochstapler. Er gab sich als Weihbischof von Plag aus. Obgleich er keinen bischöflichen Schein besaß, der damals für die Erlaubnis zum Besuch der Stigmatisierten notwendig war, wurde er vorgelassen, weil seine Angabe nicht bezweifelt wurde. Nach seinem Besuch bei Therese erzählte er dem Gastwirt, bei dem er übernachtete, die Stigmatisierte habe ihm prophezeit, er werde einmal zum Kardinal ernannt werden. Im Unterschied dazu schreibt Kaspar, der falsche Weihbischof habe dem Gastwirt versichert, er sei zum Nuntius ausersehen6. Im Dezember 1929 jedoch wurde der Schwindler verhaftet - eine sehr peinliche Angelegenheit für Therese Neumann und den Ortspfarrer! Doch man wusste sich zu helfen. Pfarrer Naber übernahm die Verteidigung: Fürs erste habe man dem „Weihbischof von Prag“ die Besuchserlaubnis nur deshalb gestattet, weil er versprochen habe, nachträglich einen Erlaubnisschein erbitten zu wollen. Zweitens soll sich Therese ihren Eltern gegenüber dahin geäußert haben, der Mann sei ihr eigenartig vorgekommen, gar nicht wie ein Bischof. - An jenem Freitag hatte sowohl der „Heiland“ als auch der ständige Berater der Therese, ihr „Schutzengel“, versagt; sie hatten nicht vor dem Schwindler gewarnt. Dem Betrüger hatte man Gelegenheit gegeben, mit der Stigmatisierten im ekstatischen Zustand zu sprechen. Das soll nach Aussage des Pfarrers nicht lange gedauert haben. Therese habe dem „Weihbischof“ nur erklärt, der Besuch bei ihr werde ihm „nützen“. Obwohl Naber gesteht, dass der „Weihbischof“ sich während der Ekstasen mit Therese unterhalten durfte, behauptet er weiter: „Im erhobenen Zustand der Ruhe hat Resl mit ihm überhaupt nicht gesprochen.“7 - Dieser Bericht zeigt, dass Boniface in Konnersreuth völlig falsch informiert wurde.

Über eine außergewöhnliche Herzenskenntnis soll Therese Neumann bereits im normalen Zustand verfügt haben. In einem Zwiegespräch versicherte sie Ende Juli 1927 Dr. Ewald, sie habe ihn gleich durchschaut, schneller als er sie habe durchschauen können. Noch einen Monat später, als Prof. Wunderle auf ihn zu sprechen kam, spendete Therese dem Arzt ihr uneingeschränktes Lob. „Therese war geradezu begeistert von der Persönlichkeit und Untersuchungsweise und lobte ihn, den Protestanten, in meiner Gegenwart mit voller Überzeugung.“9 Im Brief vom 31. Januar 1930 an den Bischof von Regensburg erwähnt Wunderle, Therese habe Dr. Ewald als einen „in jeder Hinsicht ausgezeichneten Mann“ bezeichnet; er habe sich bei der Untersuchung „nur nobel“ gezeigt10. Aber schon Ende Oktober 1927 urteilt Therese anders über Dr. Ewald, als sie merkte, dass er nicht an ihre Nahrungslosigkeit glaubte. Jetzt sagt sie: „Herrn Professor schätzte ich anfänglich höher, sonst hätte ich ihm kein Vertrauen geschenkt.“11 Am 9. März 1928 äußerte sie sich vor Zeugen über Ewald: „Der Heiland ist klüger als alle Professoren. Wenn er zeigen will, dass etwas sein Werk ist, dann können alle Professoren nichts dagegen machen. Es war schon einer hier, der hier sagte, er sei überzeugt, dass es etwas Übernatürliches sei. Dann ging er nach Hause und schrieb, es sei Hysterie oder etwas Anderes.“12 - Therese hat sich offensichtlich in Ewald nicht nur getäuscht; sie hat ebenso offensichtlich später die Unwahrheit gesagt. - Als schließlich Gerlich im Jahr 1931 Therese Neumann über die Besuche Wunderles ausforschte, wollte diese ihr früheres Urteil über Dr. Ewald, wie sie es Wunderle gegenüber im Jahr 1927 abgegeben hatte, nicht mehr

wahrhaben. Jetzt will sie ihm auf die Frage, was sie von Ewald halte, geantwortet haben: „Wenn er es aufrichtig meint, ist er schon recht.“13 -Von Herzenskenntnis kann man da nicht mehr reden. Vielmehr fällt auch auf die Wahrheitsliebe der Stigmatisierten ein zweifelhaftes Licht.

Thereses Herzenskenntnis versagte ebenso bei einem Mann in Konnersreuth, der in der Familie Neumann viel gegolten hat, nämlich gegenüber Hauptlehrer B., von dem das bekannte Bild mit dem „leuchtenden Wundmal“ stammt. Der Lehrer kam wegen unsittlicher Verfehlungen mit Kindern vor Gericht und wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Seherin ahnte nicht bloß nichts von seinen Verfehlungen, sie behauptete sogar danach, er sei unschuldig14.

7. Hellsehen

a) Räumliches Hellsehen

Zu den außergewöhnlichen Gaben mancher Menschen gehört die Fähigkeit des Hellsehens, das innere Schauen entfernter oder zukünftiger Ereignisse. Auch Therese Neumann, so liest man, verfügte über die Gabe des räumlichen und zeitlichen Hellsehens: „So konnte sie Papstfeierlichkeiten in Rom, Eucharistische Kongresse (z. B. München 1960) und Katholikentage, Feste in Lourdes, Fatima und Lisieux usw. in der Schau miterleben, wie wenn sie körperlich daran teilgenommen hätte.“1 - „Jedes Jahr am Ostersonntag befand sie sich visionär unter den Anwesenden auf dem Petersplatz in Rom, denen der Heilige Vater den päpstlichen Segen urbi et orbi erteilte. In dieser Schauung erlebte sie drei Päpste: Pius XI., Pius XII. und Johannes XXIII. Zum letzten Mal hatte sie diese Vision in ihrem Todesjahr am Ostersonntag 1962.“2

An weniger bedeutenden Festlichkeiten hat Therese Neumann nicht visionär teilgenommen. Auch waren Persönlichkeiten mit Rang und Namen bevorzugt. Eine Ausnahme bildeten nur die Männer, deren Gunst sie vieles zu verdanken hatte. Man versteht, warum sie an Gottesdiensten teilgenommen hat, die ihr ergebene Priester auswärts gefeiert haben, am Messopfer in Eichstätt und vor allem am Gottesdienst, den Pfarrer Naber feierte, zum Beispiel einmal in Berlin, Und wenn Therese in Eichstätt weilte, so hat sie den Pfarrgottesdienst in Konnersreuth mitgefeiert3. Zum Beweis erzählte sie von Vorkommnissen, die sie gesehen, oder von Worten aus der Predigt, die sie gehört habe. Freilich vermag das nicht zu überraschen. Wer Sonntag für Sonntag denselben Pfarrer predigen hört, kann unschwer Gedanken und Worte aus seiner Predigt anführen, zumal wenn es sich um bestimmte Feste handelt. Außerdem hat Therese nicht gleichzeitig mit den Ereignissen ihr Wissen geoffenbart, sondern immer erst später, In der Zwischenzeit konnte sie sich leicht informieren,

Eines Tages nahm Gerlich Prof. Wutz und Therese Neumann in seinem Auto mit. Da streikte der Wagen und Hilfe war nicht zu erwarten. sofort gerät Therese in Ekstase und verrät, dass bestimmte Schrauben im Auto anzuziehen seien. Der Schaden konnte sofort behoben werden4. Ein anderer Fall: Schwestern kauften ein Anwesen, fanden aber auf dem Grundstück keine Wasserquelle. Man begab sich zu Therese Neumann. Diese sagte dann den Schwestern in der Ekstase, wo gegraben werden müsse, um Wasser zu finden5. - Ist zu so irdischen Dingen eine Ekstase notwendig? Der Stigmatisierten von Konnersreuth soll jedoch die Gabe des Hellsehens nur bei kirchlichen Ereignissen zu eigen gewesen sein,

Eines Tages war aus einer Klosterkirche in England eine große, Kreuzpartikel entwendet worden. Auf Anfrage gab Therese Bescheid: „Das Nachforschen würde zu keinem Ergebnis führen, sie werden aber den Kreuzpartikel nach Jahren unversehrt zurückbekommen.“ Das soll auch eingetreten sein. „Der Kreuzpartikel wurde unversehrt in einem Versteck zufällig gefunden.“ Hätte Therese das Versteck gekannt, hätte sie es bestimmt verraten und das Nachforschen hätte zu einem Ergebnis geführt.

Ein andermal war Therese in einem Mietauto unterwegs. Plötzlich blieb das Auto stehen, „Das Benzin war aus. Es war nachts und nirgends welches zu bekommen. ... Da bettelte Therese den Heiland und sagte dann zum Fahrer: ,Probieren sie es doch noch einmal.' Der Motor sprang an, sie kamen wohlbehalten nach Hause“7 -welcher Autofahrer hat nicht schon Ähnliches erlebt?

Um die Zeit, da Konnersreuth berühmt wurde, hatte auch die Diözese Trier einen Fall von Stigmatisation sowie von Nahrungs- und Ausscheidungslosigkeit es handelt sich um die bekannte und in diesem Buch bereits erwähnte Anna Maria Göbel von Bickendorf, die bereits im Frühjahr 1926 als Schwindlerin entlarvt wurde. Am 8. Dezember desselben Jahres aber wusste Therese Neumann offenbar noch nichts von ihrer Kollegin. An diesem Tage nämlich fragte Pfarrer Naber Therese, die sich in der Ekstase befand: „Wie viele gibt's zur Zeit, wie du bist?“ Sie antwortete: „Ich hab's dir doch schon mal gesagt: Außer mir noch zwei, einer da unten und eine weit überm Wasser.“ Therese gab weiter zu verstehen, die eine Person sei in Italien, nämlich P. Pio, die andere sei eine Dominikanerin, von der aber die Öffentlichkeit noch nichts wisse8. Ein paar Jahre später wurde Therese vom Dompfarrer Geiger von Bamberg im Beisein des Konnersreuther Pfarrers gefragt, ob die Bickendorfer Phänomene als echte, übernatürliche Dinge zu bezeichnen seien. Auf Grund der erhaltenen Auskunft schrieb er an den Pfarrer von Bickendorf:

„Zu Ihrem Troste schreibe ich Ihnen folgendes: Ich habe die Resl in der Ekstase gefragt, ob die Bickendorfer Sache übernatürlicher und göttlicher Art sei. Darauf antwortete sie: ,Ja, die Sache kommt vom Heiland. Der Widerstand, den sie findet, ist zurückzuführen auf Verleumdung einer gewissen Familie. Es ist furchtbar! Man hält Volksmissionen ab, ohne Erfolg. Wenn der Herrgott selbst eine einleitet, wird sie unterdrückt.“

Das hier geäußerte Wissen geht nicht auf ein inneres Licht zurück, sondern auf ein Buch, das Therese zugesandt bekommen und das sie sicher, auch wenn sie es leugnete, gelesen hatte. Die Auskunft, die sie gegeben hat, war falsch. Maria Göbel war zu der fraglichen Zeit bereits als Schwindlerin entlarvt worden. Ihre Wundmale wurden von Ärzten behandelt und verheilten wie gewöhnliche Wunden. Man konnte sie auch überführen, dass die „nahrungslos Lebende“ ihren Urin auf die Fensterbank und unter das Bett geschüttet hatte. Ebenso wurde sie dabei ertappt, wie sie heimlich Nahrung zu sich nahm. Der Bickendorfer Medizinalrat Dr. Appelmann gab die Versicherung: „Hier genügt nicht das Wort Hysterie, sondern hier liegt glatter Betrug vor.“ Nach einer vierwöchigen Beobachtung im Krankenhaus im April und Mai 1926 und nochmals später erklärten die vom zuständigen Bischof mit der Untersuchung betrauten Ärzte und Theologen einstimmig, es handle sich um ganz natürliche Phänomene.

Dieser Betrug musste natürlich auch in Konnersreuth zur Kenntnis genommen werden. Wie verhielt sich nunmehr Therese Neumann? Sie leugnete einfach ihre frühere Aussage. Gelegentlich ihres Besuches beim Hl. Rock in Trier hat am 18. August 1933 Prälat Kammer mit ihr in Gegenwart des Konnersreuther Pfarrers über diese Angelegenheit gesprochen. Jetzt behauptete Therese glatt: „Nix hab' i g'sagt, gar nix hab' i g'sagt.“ Pfarrer Naber bestätigte, dass sie nichts gesagt habe9. Wie kam er dazu, eine derartige Versicherung zu geben, da er ja selber anwesend war, als Therese ihre Aussage machte? Ein anderer Hinweis ist notwendig: Therese hatte angeblich über ihre ekstatischen Auskünfte im darauf folgenden Wachzustand keinerlei Kenntnis. Wieso vermochte sie aber in dem geschilderten Fall mit aller Bestimmtheit zu leugnen, eine Aussage gemacht zu haben? Es ist übrigens durchaus nicht der einzige Fall, dass sie dann ihre früheren Auskünfte, falls sie Unannehmlichkeiten befürchten musste, einfach abgestritten hat.

Nicht nur Therese Neumann, sondern der ganze engere Konnersreuther Kreis hat die Ereignisse in Bickendorf als echt angesehen, auch nach den eindeutigen Ergebnissen der vorgenommenen Überwachung und Untersuchung sowie nach dem Ableugnen im Jahr 1933. Zudem war der Vater Therese Neumanns mit dem Pfarrer Naber im Jahr 1933 nicht bloß in Trier, sondern auch in Bickendorf, wahrscheinlich in Begleitung von Therese selbst, die sich wiederholt günstig über Maria Göbel ausgesprochen hat. Im Jahr 1936 weilte Frl. Bönisch aus Neheim i. W. in Konnersreuth. sie hatte den Auftrag, den Vater der Stigmatisierten zu fragen, „ob Bickendorf echt sei und was die Resl dazu sage“. Die Frage: „Halten sie Bickendorf für echt und auch die Resl?“ beantwortete der Vater mit einem klaren: „Na freilich.“10 Die Frage, ob er selber in Bickendorf gewesen sei und ob er Maria Göbel besucht habe, beantwortete er mit den Worten: „Ja, den Schwager; das Mädel kann man nicht besuchen.“11 -Wundersüchtige sind in ihrer Voreingenommenheit offenkundigen Beweisen gegenüber taub. Dompfarrer Geiger von Bamberg wusste zu den Untersuchungsergebnissen im Falle Birkendorf nur zu sagen: „Die Trierische Untersuchung bei Göbel-Birkendorf war eine Farce; auf deren Resultate kann man nichts geben.“12

Vor einigen Jahrzehnten war viel die Rede von dem bekannten Christusbild in Limpias in Spanien. Eine Reihe von Besuchern des Gotteshauses, in dem sich das Bild befindet, gab an, am Bild eigenartige, unerklärliche Lichterscheinungen und Bewegungen beobachtet zu haben. Therese Neumann hat in einer Ekstase die Erscheinungen in Limpias für übernatürlich erklärt, obgleich der ganze spanische Episkopat dagegen Stellung genommen hatte. Es handelte sich, wie erklärt wurde, lediglich um veränderliche Lichtreflexe. Als Pfarrer Naber auf die Aussagen der Stigmatisierten hin angesprochen wurde, gab er zur Antwort, er könne sich an den Ausspruch der Therese nicht erinnern: „Er sei ja auch nicht immer dabei.“ Er war aber höchstwahrscheinlich dabei, als Pfarrer Riederer der Seherin eine entsprechende Frage vorlegte. Riederer war im Mai 1929 persönlich in Limpias und glaubte gesehen zu haben, wie das Antlitz des Gekreuzigten auf dem Bilde „strahlend verklärt“ war und dass aus beiden Augen „helle Tränen bis zum Barte herunterflossen“. Therese wurde in Anwesenheit des Pilgers die Frage vorgelegt: „Ist das, was der Fragesteller, Pfarrer Riederer, am Christusbild in Limpias gesehen hat, eine natürliche Erscheinung oder eine Sinnestäuschung gewesen?“ Therese antwortete: „War übernatürlich.“13

Pfarrer Naber war ebenso anwesend, als Prof. Reuther aus Luxemburg und Dechant Biersdorf Therese Neumann besuchten. Der Pfarrer selber legte ihr die Frage vor: „Sind die Stigmen der Mutter Klara Mös übernatürlich?“ Er bekam zur Antwort: „Sie sind echt.“ Die Stigmen von Klara Mös waren jedoch ebenso wenig echt wie die übrigen „mystischen“ Phänomene einschließlich ihrer angeblichen Nahrungslosigkeit. Klara Mös war nichts weniger als eine Heilige14.

Im Dezember 1927 weilte Bischof Schrembs von Cleveland in Konnersreuth. Damals soll ihm Therese Neumann in der Ekstase die Verhältnisse in seinem amerikanischen Bistum so umständlich beschrieben haben, wie der erfahrenste amerikanische Priester es schwerlich vermocht hätte15. - Es trifft zu, dass Bischof Schrembs Therese Neumann aufgesucht hat; es stimmt auch, dass diese ihm „geheime“ Dinge, die gar nicht so geheim waren, aufgezählt hat. Aber es ist ebenso sicher, dass die Auskünfte sich als unrichtig erwiesen haben. Darüber gibt der Brief vom 29. März 1935 Aufschluss, den Göttsches, Pfarrer von St. Marien in Aachen, geschrieben hat:

„Wie bekannt ist, war der hochwürdigste Herr Schrembs, Bischof von Cleveland, meines Wissens 1930 in Konnersreuth und war, wie er sich mir gegenüber äußerte, von den Ergebnissen um Therese Neumann fest überzeugt. Bei Gelegenheit des Emmerik-Jubiläums in Budapest war der hochwürdigste Herr Bischof Schrembs wieder in Krefeld und in seiner Begleitung waren vier Prälaten seiner Diözese. Bei dieser Gelegenheit hat der hochwürdigste Herr mir auf Anfrage erklärt: ,Ich bin nicht in Konnersreuth gewesen und gehe auch nicht hin; denn, was Therese Neumann mir damals über Geistliche meiner Diözese gesagt hat, stimmt nicht. Ich bin wohl beim hochwürdigsten Herrn von Regensburg gewesen und habe ihm erklärt: Pfarrer Naber von Konnersreuth muß versetzt werden und Therese Neumann in ein Kloster; wenn der Fall in meiner Diözese vorläge, würde ich sofort das anordnen und dafür sorgen, dass meine Anordnungen sofort durchgeführt würden. Ich halte von Konnersreuth nichts mehr.' Das ist sozusagen wörtlich die Äußerung des hochwürdigsten Herrn Bischofs Schrembs.“16

Hier muss die Frage aufgeworfen werden, ob Bischof Schrembs wirklich die hier wiedergegebene Bemerkung gemacht hat; denn , am 18. Juli 1939 behauptete der bischöfliche Sekretär Peter H. Schaefers im Auftrag des Bischofs in einem deutsch geschriebenen Brief an Pfarrer Witt, der Bischof habe die ihm zugeschriebene Bemerkung niemals gemacht17. Möglicherweise bezieht sich der „Widerruf“ bloß auf den genauen Wortlaut der früheren Äußerung. Es ist ausgeschlossen, dass Pfarrer Göttsches alles frei erfunden hat. Bischof Schrembs war im Jahr 1930 beim Regensburger Bischof, dem er zuvor seinen Besuch angemeldet hatte. Dass Schrembs nicht nach Konnersreuth reiste, beweist die Tatsache, dass davon in der Konnersreuther Literatur nicht die Rede ist.

Es ist durchaus möglich, dass die Stigmatisierte zuweilen wirklich hellseherische Fähigkeit entwickelt hat. Solche Begabungen sind gar nicht so selten und gelten als außergewöhnliche, wenn auch nicht als übernatürliche Erscheinungen. Jedoch bereits die Tatsache, dass sich Therese ihrer ekstatischen Aussagen nicht bewusst und so auch nicht in der Lage war, die Verantwortung für deren Richtigkeit zu übernehmen, müsste sehr zu denken geben. Sie war ja nicht mehr als ein Instrument jener Macht, die durch sie gesprochen hat. Andererseits müsste ein Irrtum in der Auskunft - wir wissen und werden weiter hören, wie oft das der Fall war - jener Macht, eben Gott, zugeschrieben werden.

Wie sehr Pfarrer Naber darauf bedacht war, prominente Zeugen für die Konnersreuther Sache zu erhalten, offenbart das Blatt „Konnersreuther Briefe“, Nr. 10. Ein Bischof aus Südafrika wurde von einem Geistlichen gedrängt, einen Besuch in Konnersreuth zu machen. Anstandshalber stattete er dort Pfarrer Naber einen Besuch ab. sogleich fragte ihn dieser: „Exzellenz, wann werden sie morgen auf dem Zimmer der Resl zelebrieren ?“ Der Bischof wehrte sich entschieden dagegen; er wollte in der Pfarrkirche zelebrieren. Doch der Pfarrer gab nicht nach. „Nein“, sagte er, „tuen sie es auf dem Zimmer der Therese; und wann wollen Sie ihr die hl. Kommunion reichen?" Man einigte sich daraufhin, dass es während der Messe geschehen solle. Darauf Pfarrer Naber: „Dann können sie dieselbe nachher auch etwas fragen.“ Entrüstet gibt der Bischof zur Antwort: „Ich frage die doch nichts.“

Am folgenden Tag kniet der Bischof nach der Feier der hl. Messe zu einer kurzen Danksagung nieder. Im Bericht heißt es:

„Auf einmal, ich traute meinen Ohren nicht, fängt Therese an, über mein Bistum in Südafrika zu sprechen: sie nennt Stationen, sie nennt Patres und Schwestern mit Namen und fährt fort: ,Und dann wollen Sie ja noch drei Stationen gründen - auch die nannte sie mit Namen -, zu den beiden ersten würde ich Ihnen raten; die dritte gründen sie besser nicht, da wird nichts draus. Und dann ist da bei Ihnen die Schwester N., die immer nach Hause will; halten sie dieselbe fest, die ist unentbehrlich für dort.' Und schließlich sagte Therese: ,Vor einem halben Jahr ist Ihre Mutter im Rheinland gestorben; da brauchen sie nicht mehr zu beten, die ist bei Gott im Himmel und mit dem und dem Gebet ... auf den Lippen ist Ihre Mutter in die Ewigkeit hinübergegangen.'“

Bischöfen gegenüber war Therese Neumann besonders vornehm. Ihnen hat sie nicht wie anderen geheime Sünden aufgedeckt, nicht einmal beim „Weihbischof von Prag“. Der genannte südafrikanische Bischof ist am 14. Dezember 1966 verstorben. Geradezu abstoßend wirkt, wie aufdringlich sich ihm gegenüber Pfarrer Naber gebärdet hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Bischof im Pfarrhof übernachtet. Dann hat man sich am Abend, sehr wahrscheinlich in Anwesenheit der Stigmatisierten, über die Erlebnisse des Missionsbischofs unterhalten. Aus solch einem Gespräch ließen sich sehr wohl Thereses Aussagen erklären. Aber selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, mehr als eine natürliche hellseherische Fähigkeit liegt nicht vor. Es erscheint ausgeschlossen, dass Christus in solchen Fragen und Gegebenheiten, die dem Bischof durchaus bekannt waren, Auskunft erteilt hat.

Die seherischen Fähigkeiten der Stigmatisierten von Konnersreuth halten, soweit man genauer nachprüfen kann, einer kritischen Betrachtung nicht stand. Als in Wien eine Großstadtmission geplant war, fuhr der Jesuitenpater Tepper nach Konnersreuth, um Therese Neumann um ihr Gebet für das Gelingen der Mission in 108 Kirchen zu bitten. Therese behauptete hartnäckig, es seien 112 Kilchen, während Tepper auf 108 bestehen blieb. Ihre Angabe war tatsächlich richtig aber Therese verriet nicht, dass ihr Wissen ganz einfach zu erklären war. Später erfuhr P. Tepper vom Generalleiter der Wiener Mission, er sei vor ihm in Konnersreuth gewesen und habe der Stigmatisierten verraten, in 112 Kirchen werde die Mission abgehalten. Damals wusste er noch nicht, dass später einige Kirchenvorstände von der Durchführung einer Mission zurücktreten würden18.

Im Frühjahr 1941 kam der damalige Benefiziat Plecher von Konnersreuth zum Regensburger Weihbischof Dr. Höcht und berichtete ihm „von der krankhaften Sucht der Dorfbewohner“, die in allen möglichen Anliegen bei Therese anfragten oder anfragen ließen. Eine Familie hatte von ihrem im Krieg befindlichen Sohn längere Zeit keine Nachricht mehr erhalten und wollte nun wissen, ob er noch am Leben sei. Therese gab ohne Bedenken Bescheid: ,Er ist tot.' Drei Wochen darauf erhielten die Eltern einen Brief vom Totgesagten, er war nicht gefallen. - Ein Dorfbewohner suchte sogar Rat bei Therese, wie einer kranken Kuh zu helfen sei. Therese gab den durchaus vernünftigen Rat: 'Geht zum Tierarzt!'“10

Ebenso aufschlussreich ist eine Auskunft, die Therese einem Arzt aus Düsseldorf erteilte. Er legte ihr zur Begutachtung ein neues, von ihm zusammengestelltes Rezept vor, mit der genauen Angabe der chemischen Zusammensetzung. „Von dem Rezept sagte sie, dass es gut sei und dass er viel Geld damit verdienen könne.“

Dr. Günther aus Hagen-Böle begab sich nach Konnersreuth mit dem Vorsatz, die seherische Gabe der Stigmatisierten auf die Probe zu stellen. Drei vorher genau überlegte Fragen hat er ihr vorgelegt:

„Mein Freund F. L., geistlicher Studienrat, ist seit einem Jahre tot. Er war zeitlebens ein begeisterter Abstinenzler und Bekämpfer des Alkohols. Jetzt verehren ihn seine Schüler und Freunde als Heiligen. Darf man das zulassen oder muß man das untersagen?“ Therese fragte zuerst: „War er auch im übrigen ein ordentlicher Mann?" Günther bejahte. Darauf Therese: „Sie, Antialkoholiker heißt wohl: Er war gegen den Alkohol? Dann darf man ihn ruhig privatim als Heiligen verehren. Wir in Konnersreuth machen es auch so mit der Nonne NN. (diese hat Therese Neumann in den Himmel auffahren sehen)." - Die Seherin hat sich schwer getäuscht. Als Beweis die Auskunft von Dr. Günther: „Tatsache ist, dass F. L. noch lebt, dass er ein vollgerütteltes Maß Alkohol sein Lebtag getrunken hat, dass er noch viel zu trinken gedenkt und hoffentlich kann er es auch noch.“ - Die zweite Frage: „Eine Schwester in Böle will absolut in einen strengen Orden,und zwar in den der Karmelitinnen. sie will nach Südafrika. Soll man das befördern, oder soll man es zu hindern suchen?" Therese meinte, im allgemeinen sei es besser, in einem weniger strengen Orden seine Pflicht gewissenhaft zu erfüllen, als in einem strengen mäßig. Darauf wandte der Fragesteller ein: „Wenn sie aber nun mit weiblichem Eigensinn unbedingt will?“ Da riet Therese, dann solle man sie laufen lassen. -Wiederum eine falsche Auskunft! „Tatsache ist“, sagt Günther, „dass keine Schwester in B öle daran denkt. Ich weiß nicht, ob es in Afrika Karmelitinnen gibt.“ - Die dritte Frage bezog sich auf ein angebliches Reliquienkreuz, von dem bereits die Rede war. Auch hier gab Therese eine falsche Auskunft.20

Um das Jahr 1910 verstarb in Buchau am Federsee die als selige verehrte Äbtissin Adelindis und wurde in der Klosterkirche beigesetzt. Die genaue Lage der Grabstätte geriet jedoch im Laufe der Zeit in Vergessenheit. Da machte sich im Jahr 1929 der zuständige Pfarrer daran, das Grab ausfindig zu machen. Auf eine entsprechende Anfrage in Konnersreuth gab am 7. Februar 1929 Therese Neumann, in der Ekstase durch Pfarrer Naber befragt, den Bescheid: „Die selige Adelindis liegt in der Nähe der Evangelienseite des Hochaltares begraben; tief in einem Metallsarg. Nur mit großer Mühe und großen Kosten wäre sie ans Tageslicht zu bringen.“21 Die daraufhin erfolgten Grabungen im Herbst 1929 führten zwar zur Entdeckung einer römischen Krypta, doch das Grab der Adelindis kam nicht zum Vorschein, trotz des Einsatzes eines Wünschelrutengängers. Wiederum wurde die Sehergabe der Therese Neumann in Anspruch genommen. Am 25. Oktober lautete ihre Auskunft „im Zustand der gehobenen Ruhe“: „Seine (des Pfarrers) Bemühungen werden nicht umsonst sein; es wird aber noch eine Weile dauern. Die Arbeiten sind schwer, aber das, was man gefunden hat, zeigt, daß man auf d rechten Weg ist; dort ist die Grabstätte. Es ist aber nicht wahr, was von einem Metallsarg gesprochen wird; ich habe von einem guten Sarg geredet.“22 Die ursprüngliche Mitteilung an das Pfarramt in Buchau erfolgte durch Pfarrer Naber;sie wurde nunmehr einfach geändert, weil man offenbar eingesehen hatte, dass Adelindis sicher nicht in einem Metallsarg beigesetzt worden war. Der Nachfolger des Seelsorgers in Buchau verließ sich nicht auf die Auskunft der Seherin von Konnersreuth, sondern ließ auf Grund archivalischer Quellen im Jahr 1939 weiter graben - an einer anderen Stelle als sein Vorgänger. Unmittelbar an der linken Seite der Kommunionbank, etwa zehn Meter vor dem Hochaltar, wurde das Grab entdeckt, nicht tief unter der Erde, sondern unmittelbar unter dem Bodenbelag. In einem einfachen Sammelsarg aus Holz befanden sich die Gebeine der Adelindis und ihrer drei erschlagenen Söhne. Die ekstatische Auskunft der Seherin von Konnersreuth hatte sich in allen Punkten als falsch erwiesen.

Nach dem letzten Weltkrieg wusste das Bamberger „Heinrichsblatt“ zu berichten, dass ein Missionar aus der Konnersreuther Gegend in China aufgehängt worden sei. Therese Neumann, in der Ekstase befragt, versicherte, der Missionar sei tot. sie sah ihn, wie er tot am Galgen hing. Man wollte bereits einen Trauergottesdienst für ihn abhalten, da kehrte der „Tote“ im Jahr 1948 in die Heimat zurück. Das war zwar sehr peinlich für Therese Neumann, doch sie wusste sofort eine Ausrede und erklärte nun, sie habe in der Ekstase den Missionar mit seinem verstorbenen Vater verwechselt. Wie kam es zu der falschen Auskunft durch die Seherin? Tatsächlich waren der Missionar und seine Mitbrüder gefoltert worden. Chinesische Räuber wollten einer versuchten Erpressung mehr Gewicht verleihen und haben darum die Männer nach chinesischer Art aufgehängt. Sie wurden mit den Händen an einem Pfahl hochgezogen, während die Missionsschwestern und Christen dabei zusehen mussten. Keiner der Gefolterten wurde jedoch ermordet, sondern bald darauf aus China abgeschoben. „Aufhängen“ bedeutet in China noch lange nicht „Erhängen“. Das hatte das Bamberger „Heinrichsblatt“ nicht gewusst, ebenso wenig Therese von Konnersreuth23. Die Art, wie sie diesen Irrtum zu beschönigen suchte, ist typisch für ihr Vorgehen in ähnlichen Fällen. Der Vater des Chinamissionars war über vierzig Jahre lang Mesner in Konnersreuth und war am 20. März 1941 gestorben. Wie hätte Therese Neumann den Missionar mit seinem Vater verwechseln können? Der Vater ist weder am Galgen gestorben noch trug er die Kleidung eines Missionars.

b) Prophetie

Eine weitere Form des Hellsehens, die Therese Neumann zugeschrieben wurde, ist die Fähigkeit, künftige Ereignisse vorauszusagen. Natürlich wurde auch in Konnersreuth bekannt, dass solche Prophezeiungen daneben gerieten. Pfarrer Naber half sich aus solcher Verlegenheit, indem er einfach mit Entschiedenheit bestritt, dass Therese kommende Ereignisse voraussage. „Therese prophezeit nicht!“, behauptete er1. Ebenso äußerte er sich in einem Brief2. Dennoch hat Therese prophezeit, und zwar nicht selten. Das wusste niemand besser als Pfarrer Naber. Er war es ja vor allem, der sich beispielsweise regelmäßig von der Seherin während ihrer Kommunionekstase die nächsten Ekstasen voraussagen ließ. Von ihr erfuhr er auch regelmäßig andere kommende Ereignisse, zum Beispiel das Auftreten von Krankheiten. so sagte sie ihm in der Ekstase, wann wieder ihr üblicher „Erstickungsanfall“ kommen werde ja sie äußerte sich auch im „erhobenen Ruhezustand“, man solle ihr dann einen Finger „bis weit in den Hals“ stecken, um Hustenreiz herbeizuführen. Diesen Auftrag führte dann auch Pfarrer Naber eigenhändig aus3. Dass Therese Neumann tatsächlich prophezeit hat, gibt auch Pfarrer Naber selbst zu. Er schreibt am 26. Februar 1929 an den Bischof von Regensburg4: Im „erhobenen Ruhezustand benützt der Heiland oftmals der Theres Leib, insbesondere ihre Zunge, um damit das zu äußern, was er äußern will. ... Darauf, dass das, was in diesem Zustand gesagt wird, wahr ist, und was vorausgesagt wird, auch eintrifft, kann man sich unbedingt verlassen.“ Therese hat prophezeit. Der Pfarrer selbst war es, der Fragen von Besuchern der Seherin vorlegte, auch solche, die sich auf kommende Ereignisse bezogen. Hätte Therese Neumann nicht prophezeit, dann hätte Gerlich nicht ein eigenes Kapitel mit dem Titel „Voraussagungen der Therese Neumann“ bringen können und Teodorowicz hätte nie ein Kapitel „Prophetische Gabe“ geschrieben. Es zeigt sich wiederum die bekannte Tatsache, dass Pfarrer Naber Dinge, die ihm unbequem wurden, einfach in Abrede stellte.

Therese Neumann hat oft prophezeit. Im Jahr 1930 weilte sie vierzehn Tage lang fern von Konnersreuth.

"Am 27. Juli hat sie auswärts die Stimme des Heilandes vernommen, der ihr sagte, sie solle sich auf den Sonntag freuen, da werde ein Weißkehlpfäffchen, das ihr besonderer Liebling ist, wieder zu singen beginnen. Am Sonntag darauf, Peter und Paul, begann während einer Vision der Vogel wohl eine Minute lang zu singen!“5

Auch anderen sagte sie kommende Ereignisse voraus. Als Michael Rackl noch Regens des Bischöflichen Priesterseminars in Eichstätt war, prophezeite Therese, er werde Bischof von Eichstätt. Zuerst allerdings erfüllte sich die Prophezeiung nicht; aber nachdem Bischof Preysing das Bistum Berlin übernommen hatte, wurde Rackl tatsächlich zum Bischof von Eichstätt ernannt6. Handelte es sich also um eine echte Prophezeiung, das heißt, um die Voraussage eines künftigen Ereignisses, das nicht auf Grund natürlicher Kenntnisse erschlossen werden kann? Keineswegs! Zur Zeit, als Therese dies ankündigte, rechnete man in Eichstätt mit der Ernennung Rackls zum Bischof; das wusste auch Therese Neumann. Was also die einen nur als eine natürliche Erwartung ausgesprochen haben, gilt im Munde der Therese als eine Prophezeiung.

Wiederholt haben Leute auf Grund der in Konnersreuth erhältenen Prophezeiungen falsch gehandelt. Aber man wusste sich zu helfen. In solchen Fällen lautete die Entschuldigung: Die ekstatischen Auskünfte wurden subjektiv ausgedeutet. Aber kann von einer echten Weissagung die Rede sein, wenn sie, ähnlich wie Orakel des Altertums, leicht falsch verstanden werden kann?

Zweideutig wie diese waren auch die Ankündigungen der Seherin von Konnersreuth. Ein Expositus hatte im Jahr 1943 Therese zwei Fragen vorlegen lassen. Die eine sollte näheren Aufschluss bringen über die Krankheitsursache eines Mannes, worauf Therese in der Ekstase sagte: „Das gibt sich schon.“ Die zweite Frage hatte zum Inhalt: „Sind noch Kinder zu erwarten oder soll ein zweites Kind adoptiert werden?“ Die weise Auskunft hieß: „Abwarten!“7.

Eines Tages versicherte Therese dem Franziskanerpater Greve, seine Mutter werde vor Weihnachten 1928 aus dem Fegfeuer befreit werden, worin sie bereits seit 24 Jahren zu büßen habe8. Im August 1940 teilte Pfarrer Naber dem Bischof von Regensburg mit, Therese dürfe in der zweiten Hälfte des September wieder eine arme Seele erlösen, nämlich die Mutter des Herrn Kuraten Söllner von Lauterhofen9. Hier handelt es sich zweifelsohne um Prophezeiungen, nur vermag die Erfüllung niemand nachzuprüfen. Es gibt aber auch andere Fälle, die nachprüfbar sind, jedoch Thereses prophetische Gabe nicht bestätigen. Im Jahr 1933 unternahm Therese eine Reise nach Trier. „Nachdem Herrn Pfarrer Naber im gehobenen Zustand der Ruhe versichert worden war, es würden in Trier keine ekstatischen Zustände an der Stigmatisierten auftreten, unternahm diese die weite Fahrt.“10 Sie geriet jedoch entgegen ihrer Ankündigung wiederholt in Ekstase.

Recht unsicher klingt die Prophezeiung, die Therese Neumann hinsichtlich der etwa zu erwartenden Seligsprechung der Katharina Emmerich gemacht hat, von deren Leben sie bislang keine Ahnung gehabt haben will. Auf die etwa im Jahr 1928 durch Pfarrer Naber vorgelegte Frage, wie sich der Papst dazu stellen werde, gab sie zur Antwort: „Er wird etwas sagen, aber nicht viel. Der nächste, nicht dieser, der nächste nach ihm, wird viel sagen.“11 Aber nichts in diesem sinne ist erfolgt. Es wird auch ferner nichts geschehen, wie es in einer Notiz der Konnersreuther Akten heißt12: „Sicher ist, dass der römische Prozeß mit Rücksicht auf Konnersreuth eingestellt ist und nach Angabe von Dr. med. Poray-Madeyski für immer. ... Nach Ermann hat die Untersuchungskommission bei der Emmerich Betrug festgestellt.“

In einem Brief wird berichtet, „der Heiland habe erklärt, ein Apfelbaum im Garten der Familie Neumann könne versetzt werden, ohne dass er eingehen werde. Als er aber dann doch einging, wusste Therese als Entschuldigung vorzubringen, die Auskunft habe so gelautet, „damit sich ihr Vater, der an dem Baum sehr hing, darüber nicht so stark aufrege; später würde er es dann vergessen“13.

Von einem Pfarrer berichtet Teodorowicz, er habe ihm das folgende Erlebnis erzählt14:

„In der Pfarrei dieses Geistlichen lebte ein Mann, der dem Tode nahe war. Der Pfarrer hatte ihm zwar die Beichte abgenommen, zögerte aber, ihm die heilige Wegzehrung zu reichen, da verschiedene Anzeichen eine unvorhergesehene Besserung ankündeten. Therese wurde befragt, wie lange er noch leben werde. Auf ihre Aussage gestützt, glaubte der Pfarrer, mit der Darreichung der heiligen Wegzehrung warten zu dürfen. Es trat aber unerwartet der Tod des Kranken; der Pfarrer machte sich Vorwürfe, dass er Therese überhaupt befragt hat; über sie selbst aber kommt er zum Schlusse, den er zwar nicht laut werden läßt, dass sie nämlich vom bösen Geist besessen sei, da ihr Rat zum Schaden einer Seele beigetragen habe. Dieser Pfarrer, der während meiner Anwesenheit ebenfalls in Konnersreuth weilte, wurde nun zu Therese gerufen, als sie sich in der Ekstase befand. Und Therese sagte ihm, was in seiner Seele vorging, sie gibt ihm eine erklärende Antwort, die zugleich eine Rechtfertigung gegen den ihr geltenden Vorwurf war.“

Die Rechtfertigung bestand darin, dass Therese ihrerseits dem Pfarrer vorwarf, er hätte dem Kranken die Wegzehrung reichen müssen; er habe ein von ihr gebrauchtes Wort nicht richtig gedeutet.

„Nach dieser Erklärung bedeutete sie ihm, dass der Vorfa1l selbst eine Fügung Gottes gewesen sei, und zwar zur Strafe, aber auch zum Seelenheile des Sterbenden, der sein ganzes Leben lang so ausschließlich mit den irdischen Angelegenheiten beschäftigt gewesen, dass er nie Zeit noch Sinn für das Seelische gehabt habe. Zur Strafe dafür sei ihm zwar die letzte Wegzehrung in der Sterbestunde nicht zuteil geworden, doch dass er im letzten Augenblicke nach der heiligen Kommunion verlangte und zum erstenmal nach der geistigen Seelenspeise sich sehnte, das sei für seine Seele heilbringend gewesen. ... Im letzten entscheidenden Augenblicke hatte er sehnsüchtigst nach der heiligen Kommunion verlangt und die Verschiebung in der Darreichung derselben hatte eben dies heiße Verlangen in ihm erweckt, das seiner Seele so heilsam war.“

Des weiteren wird berichtet, jener Pfarrer habe sich nachträglich erkundigt, und er habe erfahren, was er nicht gewusst hätte, dass der Verstorbene „ganz im irdischen Hasten und Streben befangen“ war.

Therese hatte also eine falsche Auskunft gegeben. Natürlich gestand sie dies nicht ein; sie rechtfertigte sich vielmehr mit einer Anklage gegen den Verstorbenen, der sich nicht mehr verteidigen konnte. Sie offenbart geheime Fehler des Verstorbenen und behauptet, zur Strafe für diese habe er in der Todesstunde die Wegzehrung nicht empfangen dürfen. Gleichzeitig aber gibt sie dem Pfarrer die schuld an dem Versäumnis. Gott hätte also die Erfüllung seines Willens dadurch erreicht, indem er einen Menschen schuldig werden ließ, schuldig dadurch, dass er zwar selber durch den Mund der Ekstatikerin gesprochen, aber nicht verhindert hat, dass der Angesprochene seine Weisung falsch verstand. Ein weiterer Widerspruch zeigt sich auch darin, dass einmal gesagt wird, der Pfarrer habe mit der Wegzehrung gezögert, weil er trotz der schweren Krankheit mit einer unvorhergesehenen Besserung des Gesundheitszustandes des Patienten gerechnet habe; die Verweigerung der Wegzehrung kann nur so verstanden werden, dass der Pfarrer an der Aufrichtigkeit des Schwerkranken gezweifelt hat. Andererseits handelte es sich um ein Pfarrkind, dessen Leben dem Priester nicht unbekannt sein konnte; trotzdem soll er erst nachträglich über dessen allzu weltliche Gesinnung aufgeklärt worden sein. - Selbstverständlich hat der Pfarrer falsch gehandelt. Er durfte nicht die Wegzehrung hinausschieben, auch wenn er nicht mit dem nahen Tode des Kranken gerechnet hat; es handelte sich ja um einen Schwerkranken, der seine Sünden gebeichtet hatte. Er durfte sich in keinem Fall auf die Auskunft einer „Privatoffenbarung“ verlassen. dass Gott „zur Strafe“ wie auch „zum Seelenheile“ die Wegzehrung verhindert habe, ist ebenso ausgeschlossen wie das andere, dass er der Stigmatisierten die Sünden des Mannes geoffenbart hat, nur um ihren Irrtum zu beschönigen.

Die offenbare Fragwürdigkeit der Konnersreuther Berichterstattung erweist sich auch in diesem Fall. Jener von Teodorowicz bezeichnete Pfarrer war kein anderer als der Benefiziat Härtl von Konnersreuth. Das Ereignis spielte sich in Konnersreuth ab; es wird vom Benefiziaten selbst ausführlich in seinem Bericht vom 25. Juli 193015 so geschildert, aber ganz anders. Mit dem baldigen Ableben des schwer krebskranken Mannes wurde gerechnet. Im Bericht des Benefiziaten ist mit keinem Wort die Rede davon, dass er etwas über die allzu irdische Gesinnung des Mannes gewusst hat. Es ist auch unrichtig, dass der Schwerkranke sich kurz vor seinem Tod „zum erstenmal“ nach der Kommunion gesehnt hat, denn er hatte bereits vorher auf seinem Krankenlager wiederholt die hl. Kommunion empfangen. Erst seit der Zeit, da er kaum mehr zu schlucken vermochte, konnte er nicht mehr kommunizieren. Von einem Zweifel an der Aufrichtigkeit des Kranken sagt Härtl gar nichts. Der Grund, warum er an einem Freitag Therese befragte, war lediglich sein Zweifel, ob der Patient fähig sei, die Hostie zu schlucken. Die Antwort der Gefragten lautete: „An sich kann er schon kommunizieren.“ Die weitere Frage lautete: „Eilt es, oder wird es am Montag noch gehen?“ Jetzt erwiderte Therese: „Je länger man wartet, desto schlimmer wird es. Du wirst es schon sehen, wenn Du heut hinkommst.“ Auf diese orakelhafte Auskunft hin nahm der Benefiziat die Beichte des Kranken ab; am Samstag früh wollte er ihm die hl. Kommunion bringen. Aber da war der Patient bereits verstorben. Nunmehr befragte Pfarrer Naber in der Angelegenheit Therese nach ihrer Kommunion. Die Befragte wusste zu sagen: „An sich hätte er kommunizieren können; aber die Gnade dazu hatte er nicht mehr. Er war in seinem Leben immer so geschäftig; da haben die Leute zu ihm gesagt: Laß dir nur Zeit, zum Sterben mußt du dir doch auch Zeit nehmen; brauchst ja dazu zuvor noch den Pfarrer; er habe darauf gesagt: Das wird schon so auch gehen. Darum wurde ihm diese Gnade versagt. Es musste so sein, daß alles zuvor ausgemacht wurde, er aber nicht mehr kommunizieren konnte.“ Das letzte Wort des Sterbenden soll gelautet haben: „Ach, jetzt kann im nicht mehr kommunizieren.“ - Offensichtlich hat Benefiziat Härtl dem Bischof von Regensburg die Ereignisse glättend und beschönigend dargestellt. Die ekstatische Auskunft selber ist keine Prophezeiung, sondern eine sehr allgemeine Aussage. Die beschönigenden Worte der Seherin Pfarrer Naber gegenüber enthalten keinen anderen Vorwurf gegen den inzwischen Verstorbenen als den, er sei sehr geschäftig gewesen; von einer Vernachlässigung religiöser Pflichten ist nicht die Rede. Pfarrer Naber, der damals bereits zwei Jahrzehnte in Konnersreuth wirkte, erfuhr erstaunlicherweise erst nachträglich, dass der Verstorbene zeitlebens „ganz im irdischen Hasten und Streben befangen“l war; im Verlauf von nicht weniger als 20 Jahren war der Pfarrer selber nicht darauf gekommen. Vor allem muss man sich an der Darstellung stoßen, in der Gott zugeschrieben wird, dem Schwerkranken sei „zur Strafe“ die Wegzehrung vorbehalten worden, während der Mann auf seinem Krankenlager wiederholt die Sakramente empfangen hatte. -Welche Gesinnung wird hier Gott zugeschrieben?!

Zwei Vorkommnisse haben den Bischof von Regensburg am 12. Oktober 1928 veranlasst, vom Pfarrer Naber Auskunft zu verlangen. Therese hatte einer Frau erklärt, sie sei ungültig getauft, da bei ihrer Taufe kein Wasser verwendet worden sei. Im zweiten Fall geht es um eine kranke junge Person. sie befand sich im Krankenhaus von Waldsassen und sollte, weil sie sich mit Selbstmordgedanken trug, in die Nervenheilstätte Karthaus in Regensburg gebracht werden. Der Pfarrer von Konnersreuth veranlasste den Vater der Kranken, er solle sie aus dem Krankenhaus zurückholen, da Therese gesagt habe, die Kranke habe nur Heimweh, „nach ihrer Heimschaffung werde sie gesundl“. Der Rat wurde gegen den Widerspruch des Sanitätsrates Dr. Seidl befolgt. Zwei Tage nach der Rückkehr wurde die Patientin mit schweren Brandwunden wieder ins Krankenhaus eingeliefert, wo sie starb. Pfarrer Naber befragte nunmehr auftragsgemäß Therese in ihrer Ekstase und antwortete dann am 21. November 1928 dem Bischof. Von der Frau heißt es, sie sei wirklich ungültig getauft gewesen, da bei der Taufe kein Wasser verwendet worden sei. Von der verstorbenen jungen Person wurde gesagt, sie sei menschenscheu und unbeholfen gewesen, und zwar auf Grund ihrer Kränklichkeit. Im Krankenhaus habe sie sich nicht wohlgefühlt und habe davon gesprochen, sie würde vom Fenster in die Tiefe springen. sie habe auch reden hören von einer Überführung in ein Irrenhaus. Therese habe im ekstatischen Zustand erklärt: „Es war besser, die Kranke, statt nach Karthaus, heimzubringen, da ihr wahrer Zustand vom Heimweh komme.“ Im Elternhaus habe sie nachts schwere Brandwunden davongetragen, da sie der angezündeten Kommunionskerze zu nahe gekommen sei. Daraufhin habe man die Kranke wieder ins Krankenhaus gebracht. Die tragische Folge des falschen Rates wusste Therese so zu beschönigen:

„Der Heiland habe es zugelassen, weil die Person, wenn sie in die Irrenanstalt gekommen wäre, wirklich irrsinnig geworden wäre und verdienstlos hätte leiden müssen, so aber könne sie aus ihrem Leben Nutzen ziehen für die Ewigkeit. Und tatsächlich hat sie so gelitten und ist sie so gestorben, dass von Krankenschwesterseite geäußert worden, so möchte man auch sterben.“18

In zwei Fällen hat Therese Neumann von jungen Verwandten vorausgesagt, sie würden einmal Priester werden. In keinem Fall bestätigte sich die Prophezeiung. Bevor sich Erzbischof Kaspar im März 1929 in Konnersreuth verabschiedete, hatte er noch eine Unterredung mit einer verheirateten Schwester der Therese, die vor kurzem eines ihrer Kinder durch Tod verloren hatte. Sie hatte ihr dreijähriges Söhnchen bei sich, „von dem Resl sagte, aus ihm werde ein Priester“17. - In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 1927, also während der Beobachtungstage, betete Therese für einen ihrer Brüder und einen kleinen Neffen so laut, dass die Schwestern mithören konnten. „Die beiden“, sagte sie, „werden Pfarrer“18. - Diese auch bei anderen Gelegenheiten wiederholt geäußerten Prophezeiungen haben sich als falsch erwiesen, denn keiner der Genannten ist Priester geworden.

Zweimal hat Therese die Zeit ihres Todes näher angedeutet19. Einmal hat sie erklärt, wenn zu den Wundmalen „auch die auf der Stirn dazukommen, sei ihre Auflösung nahe“. Aber Wundmale auf der Stirn trug Therese nie. - Das andere Mal lautete ihre Auskunft, „daß ihr die Mutter in die Ewigkeit vorausgehen und der Vater sie überleben werde“. - Aber auch der Vater ist vor ihr gestorben.

Eine Veröffentlichung vom Jahr 193220 weiß zu berichten, auch P. Gemelli habe eine Prophezeiung aus dem Munde der Stigmatisierten zu hören bekommen. Der Gelehrte bemerkte vor seinem Abschied von Konnersreuth, er wolle am kommenden Donnerstag dem Hl. Vater berichten. „Nein, Samstag“, unterbrach ihn Therese, und in der Tat, „die Umstände fügten es, daß der Besuch samstags stattfand.“ In Wirklichkeit war die Sachlage ganz anders. Ein Zeuge des Abschieds war der Regensburger Domkapitular Dr. Reichenberger. Es war am 30. März 1928, einem Freitag. Als P. Gemelli zugegen war, sagte Therese zu ihm, „daß er wahrscheinlich bis Mittwoch beim Hl. Vater in Rom sein werde, wenn nichts dazwischen komme“. Reichenberger ergänzt dazu: „Ich hörte nachher, daß der Rektor tatsächlich die Absicht hatte, bis Mittwoch zum Hl. Vater zu kommen.“21 Das geschah im Frühjahr 1928; das „Konnersreuther Sonntagsblatt“ bringt die Prophezeiung im Jahr 1932. Möglicherweise hatte man in Erfahrung gebracht, dass Gemelli tatsächlich erst drei Tage später als geplant nach Rom gekommen ist. Aber was Therese im Jahr 1928 ihm gesagt hat, das war keine Prophezeiung. Ein paar Jahre später wird die Aussage einfach um gedichtet.

Am Sonntag Sexagesima, dem 12. Februar 1928, teilte Therese in der Ekstase mit, man möge ihren Stuhl hinter dem Hochaltar wegnehmen, da sie bis zum Osterfest nicht mehr in die Kirche kommen werde22. Zu einem derartigen Vorauswissen gehört keine besondere Erleuchtung, weil die Erfüllung ganz im Wollen der Prophetin lag. Warum sie bis Ostern die Kirche nicht besuchen wollte, ist zudem nicht zu verstehen, da sie offenbar nicht dauernd krank war. Sie hat ja acht Tage nach ihrer Weissagung im Pfarrhof übernachtet, und wieder vierzehn Tage später hat sie Prof. Mager im Elternhaus empfangen, wo sie zum Gespräch aus der Küche gerufen wurde23. Die genannte Prophezeiung bedeutet zudem aus einem anderen Grunde nichts. Was für das Jahr 1928 angegeben wird, trifft für alle Jahre zu: Therese Neumann hat während der Fastenzeit nie, auch nicht am Sonntag, die hl. Messe besucht.

Die Seherin von Konnersreuth hat zuweilen angekündigt: Morgen kommt jemand mit dem und dem Anliegen und beschrieb auch dessen Aussehen. Die Voraussagung erfüllte sich, und die Anhänger der Stigmatisierten hatten einen Beweis mehr für deren außerordentliche Gaben. Aber diese „wunderbaren“ Kenntnisse sind durchaus nicht wunderbar zu nennen. Therese führte ein „dickes Notizbuch“24. Darin machte sie auch unter anderem Angaben über bestimmte Persönlichkeiten. Das erinnert sehr an die „Nachrichtenbücher“ der Medien, mit deren Hilfe sie den Leuten wunderbare Dinge aus ihrem Leben erzählen. Therese wusste sehr oft vorher, wer sie besuchen kommen wollte. Die Pilger meldeten sich zuvor an, brachten schriftlich ihr Anliegen vor, und mancher übersandte zusätzlich eine Photographie. Die ekstatische Ankündigung des Besuches findet so eine sehr einfache Erklärung. Enthielt das dicke Notizbuch keine entsprechende Eintragungen oder fehlten einschlägige Informationen, dann blieb Therese stumm. So vermochte sie dem Münchener Nuntiaturrat Dr. Brunelli „nichts Intimes“ zu sagen, und seine Aufforderung blieb ohne Antwort. War Therese jedoch informiert, dann redete sie, ohne gefragt zu sein.

An einem Donnerstag, als der Studienrat Dr. Günther in Konnersreuth weilte, erzählte ihm der Gastwirt, bei dem er abgestiegen war, er habe als Posthalter von einem ungarischen Grafen und Erzbischof ein Telegramm aufgenommen, in dem für den folgenden Freitag sein Besuch angekündigt wurde. Am Freitagmorgen hört man in den Straßen von Konnersreuth erzählen: Therese hat in der Ekstase prophezeit, heute noch werde ein hoher ausländischer Kirchenfürst erscheinen, Und sieh da! Gegen Mittag trifft der Herr ein und beweist damit, daß Therese Neumann in der Ekstase Zeit und Raum überwindet, also göttliches Wissen hat25. „Therese prophezeit nicht“, hat Pfarrer Naber versichert. Therese hat jedoch prophezeit, aber ihre prophetische Gabe kann nur auf Wundersüchtige einen Eindruck machen denn Therese hat oft prophezeit und sich ebenso oft geirrt.

Es kommt vor, daß Menschen künftige Ereignisse voraus ahnen. Ein Beweis für die Heiligkeit der betreffenden Person ist so etwas nicht. Um das Jahr 1950 hat sich der Verfasser dieser Schrift mit einem Mitschüler des eingangs erwähnten Bernhard Lehner unterhalten. Der Klassenkamerad versicherte unter anderem, einer seiner Mitschüler habe zu Lebzeiten Bernhards je bemerkt, daß er frömmer sei als die anderen. Auf die Frage: Wie kommen Sie nunmehr dazu, Bernhard als Heiligen zu bezeichnen?, kam die überraschende Antwort: „Weil er seinen Tod vorausgesagt hat.“ Es wurde bereits betont, daß Vorahnungen mit Heiligkeit nichts zu tun haben. In unserem Fall liegt zudem überhaupt keine Vorahnung oder Prophetie vor, P. Kunz schreibt in seinem Buch über Bernhard Lehner26, Bernhard habe vier Tage vor seinem Tod zu seiner Mutter gesagt: „Wenn wieder Alarm ist, und wenn wir in den Keller gehen müssen, an dem Tag muß ich sterben.“ Etwa im Jahr 1950 hat der Verfasser dieser Schrift eine Schwester der Kinderklinik, in der Bernhard Lehner gestorben ist, in der Angelegenheit befragt, Sie versicherte auf das entschiedenste: „So hat er nicht gesprochen.“ Er habe vielmehr, wie auch von anderer Seite bestätigt wurde, damals, als er, der auf Grund seiner schweren Erkrankung bereits an Lähmungserscheinungen litt, während eines Fliegeralarms in den Keller gebracht wurde, was ihm große Schmerzen bereitete und ihn sehr erschöpfte, ungefähr folgende Worte gebraucht: „Wenn's wieder Fliegeralarm gibt, dann sterbe ich.“ Damals hat diese Worte niemand anders verstanden als in dem Sinn: „Das halte ich nicht mehr aus.“ Erst geraume Zeit nach dem Tod des Bernhard Lehner wurde den Worten der oben genannte Sinn unterlegt. Daß keine Prophezeiung vorlag, zeigt ja auch die Tatsache, daß Bernhard Lehner trotz seines schlechten Gesundheitszustandes auch weiterhin auf Wiedergenesung gehofft hat. So sprach er einmal:

„Wenn ich gesund bin, bete ich täglich den Rosenkranz.“ Er versprach, nach überstandener Krankheit wolle er eine Wallfahrt nach Lourdes machen27. Das alles geschah nach der angeblichen Prophezeiung. Wenn P. Kunz glaubt, die von ihm gebrachten Worte seien wörtlich gefallen, dann müsste er auch um der Objektivität willen angeben, dass Schwestern und Ärzte der Kinderklinik den in Wirklichkeit anders lautenden Ausspruch nicht in seinem Sinn aufgefasst haben. Das gilt auch für den damaligen Kaplan der Dompfarrei, der die Kranken der Kinderklinik regelmäßig besucht hat. Merkwürdigerweise wurde er nie als Zeuge ein vernommen.

8. Der Heiland spricht

Man ist oft eigenartig berührt, wenn man liest, was alles der Auskunft des „Heilandes“l zugeschrieben wird. Therese selber behauptete es, Pfarrer Naber bestätigte es, und ein Großteil der Anhänger glaubte es bedingungslos und verkündete: Aus der Stigmatisierten von Konnersreuth spricht der Heiland! Diese Aussage ist nicht bloß etwa im übertragenen sinne aufzufassen, sondern im wirklichen Sinne des Wortes. Welche verwunderlichen Resultate das dann zeitigen musste, kann man sich unschwer vorstellen. so erklärte Pfarrer Naber, in der Ekstase habe Therese Auskunft erteilt, dass, wann und von wem im Dorf gerauft werde. Sie habe offenbart, wer im Domkapitel zu Regensburg für sie und wer gegen sie sei1. - Um die Stimmung im Domkapitel zu erkunden, dazu brauchte Therese Neumann fürwahr keine Ekstase und keine Offenbarung durch, Christus. Darüber wusste sie und ihr Pfarrer Bescheid. Durch ihre ekstatischen Äußerungen über das Domkapitel -in der Ekstase kam sie darauf wiederholt zu sprechen - zeigt sie lediglich, wie sehr sie unter dem Anliegen gelitten hat, dass sie an der für sie maßgeblichen Stelle nicht den gewünschten Glauben gefunden hat; die Raufbolde in ihrem Heimatort wird sie sehr wohl - auch ohne Ekstase – gekannt haben.

Vollkommen überzeugt, dass aus Therese Neumann Christus unmittelbar gesprochen hat, war Fritz Gerlich. Gegen seine Auffassung hat ein vorübergehender Anhänger von Konnersreuth energisch Stellung genommen, nämlich der Benediktinerpater Prof. Dr. Alois Mager aus Salzburg2. Gerlich hat in dem Streitgespräch mit Mager sich wiederholt darauf berufen, der Heiland spreche aus Therese. Anlass zu der Meinungsverschiedenheit gab eine Veröffentlichung Prof. Magers. Dieser war mit seinem Ordensbruder P. Staudinger zu Besuch in Konnersreuth und hat wiederholt mit Therese Neumann gesprochen. über seine Gespräche und Erfahrungen berichtete er in der Presse. Gerlich war mit den Ausführungen Magers nicht einverstanden, fuhr nach Konnersreuth und erkundigte sich, ob die Darstellung Magers zutreffe. Dabei befragte er die Stigmatisierte in ihrem Wachzustand wie in der Ekstase. Die Auskunft im „gehobenen Ruhezustand“ schrieb er, ganz bestimmt nicht auf Grund eigenen Urteils, unmittelbar dem Heiland zu. Darum gab es für ihn keinen Zweifel an der Wahrheit der Auskünfte. so erinnert er in seiner Erwiderung Prof. Mager an dessen Aufenthalt in Konnersreuth und an das Gespräch, das ihm vom „Heiland“ gewährt worden sei; dieser habe „die im erhobenen Zustand befindliche Therese Neumann als irdisches Werkzeug benutzt“3. Gerlich weist unter anderem darauf hin, dass der „Heiland“ jeden Besucher mit „Du“l anspreche. - Auch Therese drückt wiederholt ihre Genugtuung darüber aus, dass sie in der Ekstase jedermann, sogar einen Bischof, mit „Du“ anrede.

In einem Brief Gerlichs an Mager lesen wir:

„Es ist wohl richtig, dass Therese Neumann von dem, was der Heiland aus ihr im erhobenen Ruhestand spricht, nachher im gewöhnlichen Zustand nichts weiß. Aber der Heiland weiß es noch und wenn er, wie es der Fall mit der Erforschung der Wahrheit diesmal war, mir die Gnade einer Mitteilung über den Verlauf des Gesprächs mit Ihnen und über den Grad des Verständnisses, das sie dabei gewonnen haben, gewährt, so bekomme ich sehr genaue Auskünfte sogar über das, wieviel sie von dem verstanden haben, was der Heiland mit Ihnen sprach ...“

Gerlich glaubte, dass Christus sich der Sprechorgane der Stigmatisierten bedient habe, dass es also Christus selber war, der aus ihr sprach. Teodorowicz korrigierte die Ansicht Gerlichs, worauf dieser antwortete, er sei kein Theologe, sondern im Kalvinismus aufgewachsen und früher ungläubig gewesen; er definiere alles nach seinem Gutdünken. Auch habe er nur zum Ausdruck bringen wollen, dass Therese Neumann ihre innere Erleuchtung von Gott erhalte.

Gerlich wäre nie auf die Meinung gekommen, Christus spreche aus der Stigmatisierten, hätten nicht Therese und ihr ergebene Theologen ihm dies eingegeben. So war auch Kaplan Fahsel der gleichen Überzeugung, wie sie Gerlich ausspricht. Er gesteht: „Ich leitete meine Fragen in diesem ekstatischen Zustand mit den Worten ein: ,Liebster Heiland, laß mich wissen ...'“ Sein Vorgehen begründet er so: Die Intelligenz, die sich durch den Mund der Stigmatisierten bekunde, hätte, wäre seine Auffassung falsch gewesen, seinen Irrtum richtigstellen müssen. Das sei jedoch nicht geschehen; damit sei seine Überzeugung bestätigt worden. Fahsel sagt auch, die Seele der Ekstatikerin sei, während ihr Körper schlafe, „zum passiven Werkzeug einer höheren Intelligenz“ geworden. Er habe des öfteren an Therese „im erhobenen Ruhezustand“ Fragen gestellt und nie etwas bemerkt, „was einem göttlichen Charakter in den Antworten, die gegeben wurden, widersprach“4.

Pfarrer Naber war derselben Auffassung. Fahsel bestätigt dies, wenn er sagt: „Der Pfarrer meint, der Heiland spreche aus dem Mund der Therese im erhobenen Ruhezustand.“ Es kam vor, dass Pfarrer Naber bei Zweifelsfragen ankündigte: „Wollen wir den Heiland fragen!“ Der „Heiland“ war dann Therese. Des Pfarrers Oberzeugung verraten die Worte, mit denen er Prof. Killermann widersprochen hat, als er auf die Form des Mondes im Orient hinwies: „Die Resl, der Heiland wird das besser wissen.“ Inhaltlich gleichbedeutend drückte sich der Pfarrer am 28. Juli 1928 einem brasilianischen Bischof gegenüber aus. Als dieser Therese die Hostie gereicht hatte, sprach der Pfarrer: „Wenn sie sie fragen, wird der Heiland durch sie antworten.“5 Ähnlich äußerte er sich ein andermal: „Nach der heiligen Kommunion befindet sich Therese im Zustand der gehobenen Ruhe.

Dann spricht nicht sie selbst auf an sie gerichtete Fragen, sondern ein anderer, der Heiland, spricht durch sie."6

Als der Jesuitenpater Metzler der stigmatisierten eine Frage stellte, schwieg sie. Da sagte Pfarrer Naber: „Sie müssen fragen: ,Was sagt der Heiland?'“7 P. Metzler lehnte dieses Ansinnen ab. Sooft auch Therese Neumann offenkundig falsche Angaben gemacht hat, Pfarrer Naber nahm es einfach nicht zur Kenntnis. Das Ausmaß seiner totalen Kritiklosigkeit beweist sein Bericht vom 26. Februar 1929 an den Bischofs. Er spricht unter anderem über die Auskünfte der Seherin im „erhobenen Ruhezustand“. Es ist erwiesen, dass aus Therese angeblich der Heiland auch in der ersten Person gesprochen hat; aber Naber leugnet das und sagt: „Es wird in diesem Zustand nie in der ersten Person geredet, sondern nur in der dritten.“ Das stimmt zwar nicht, aber selbst wenn Therese nur in der dritten Person geredet hätte, bleibt dieselbe Schlussfolgerung: Der aus ihr Redende musste ein anderer sein, eben der „Heiland“. Weiter sagt Pfarrer Naber: „Darauf, daß das, was in diesem Zustand gesagt wird, wahr ist, und was ausgesagt wird, auch eintrifft, kann man sich unbedingt verlassen.“ „Bischöfliche Gnaden“, so beteuert er, „dürfen überzeugt sein, daß ich nichts von Bedeutung tue, ohne beim Heiland mir Rat erholt zu haben, dessen Reden durch Therese Neumann im erhobenen Ruhezustand mir durch so auffallende Tatsachen bestätigt ist, dass ich ganz blind und blöd sein müsste, wenn ich im geringsten daran zweifeln wollte.“ Mitglieder des Konnersreuther Kreises, die wie Pfarrer Naber blindlings an die Richtigkeit der Orakel glaubten, erhielten durch den Pfarrer ohne weiteres Erlaubnis, mit Therese während ihrer „gehobenen Ruhe“ zu sprechen; andere hingegen wurden nicht zugelassen. P. Alois Mager konnte nie eine entsprechende Erlaubnis erhalten. Einem Mitbruder des Paters gegenüber äußerte sich Pfarrer Naber, „dass er aus Ehrfurcht vor Christus niemanden zulassen könne, der nicht glaubt, dass Christus aus ihr spricht“9.

Nicht einverstanden war mit der Ansicht Gerlichs, Fahsels und Nabers Bischof Teodorowicz, der sie als falsch zurückwies10, Aber liegt ein wesentlicher Gegensatz zu seiner eigenen Überzeugung vor? Er setzt sich einmal mit dem Vorwurf gegen Pfarrer Naber auseinander, dieser sei Therese Neumann hörig. In diesem Zusammenhang schreibt er: „Der Pfarrer gehorcht den Stimmen Thereses, er weiß aus Erfahrung, dass diese Stimmen nicht irren.“11 Zwar besteht ein Unterschied in der Auffassung, aber im Kern bestätigt er. doch die Ansicht Gerlichs, Fahsels. und Nabers: Es gibt nur einen, der nicht irren kann, Gott. Wie oft jedoch waren die erteilten Auskünfte falsch! Sollte dann der Heiland geirrt haben? Es ist keine Frage, dass Therese Neumann selber diese unsinnige Auffassung zu ihrer eigenen gemacht hat. So offenbart sie Dr, Gerlich12: „Nicht ich spreche, der Heiland spricht aus mir.“ Und: „Der Heiland schaut durch mich, ich bin nur ein Schatten vor ihm.“

Als Prof. Wunderle nach einem Besuch bei Therese Neumann das Zimmer verlassen hatte und von Konnersreuth wegfuhr, führte Pfarrer Naber mit Therese, die eben ein Sühneleiden für den Professor ertrug, ein Zwiegesprächl13. Dabei soll Therese gesagt haben,. Wunderle werde noch am gleichen Tag „einen kleinen Schrecken“ erleben. Die offenbarende „Stimme“ erteilte den Auftrag, dem Prof. von ihrer Erklärung Mitteilung zu machen. „Nach einiger Überlegung schien es Wutz und Pfarrer Naber am zweckmäßigsten, wenn sie Wunderle herbeiriefen, damit er die Mitteilung der Therese Neumann von dieser selbst hören könne.“ Aber Wunderle war bereits abgefahren. Tatsächlich hatte er auf dem Weg nach Arzberg einen Autounfall. Es ist verwunderlich, dass die „Stimme“ wartete, bis Wunderle weggefahren war, aber trotzdem verlangte, man solle ihm die

„Offenbarung“ mitteilen.

Wie unzuverlässig die Auskünfte aus Konnersreuther Quellen sind, zeigt auch dieses von Gerlich überlieferte Ereignis, von dem Pfarrer Witt eine auffallend andere Darstellung der Begebenheit erhalten hat14. Eines Morgens, so schreibt er, hatte Therese „ein ungewöhnlich hartes Leiden um einer gewissen, ihr jedoch unbekannten Person willen durchzumachen“. Da offenbarte die „Stimme“: „Heute wird noch ein Prof. kommen, dem es auch nur darum zu tun ist, mit Hilfe von Konnersreuth sich selbst einen Namen zu machen. Er wird heute noch einen kleinen Schrecken erleben." Wer war nun der Angekündigte? Man erfuhr es bald. „Kurz vor Konnersreuth ist ein Auto verunglückt und vollständig demoliert worden, so dass es nur mehr zur Bahn geliefert werden kann. Den Insassen ist jedoch nichts zugestoßen. Wunderle war darin.“ Nun wusste man also, wer der missliebige Professor war.

Gerlich hatte man in Konnersreuth erzählt, Therese habe für Dr. Wunderle ein „Sühneleiden“ erduldet, nach Witt jedoch war ihr die betreffende Person völlig unbekannt, obgleich Wunderle in Konnersreuth kein Unbekannter mehr war. Nach Gerlich befand sich Wunderle nach seinem Besuch in Konnersreuth auf der Rückreise. Witt hingegen hatte man erzählt, der von der „Stimme“ angekündigte Professor habe sich auf dem Weg zu ihr befunden. Er müsste auch, falls der Bericht Witts richtig wäre, nach dem Unfall in Konnersreuth eingetroffen sein, da Witt weiter schreibt: „Wunderles Zeit in Konnersreuth, wo er lange genug das theologische Urteil vorgestellt hatte, war damit vorbei. Vater Neumann war sich über die zweideutige Rolle, welche Wunderle in seinem Hause spielte, schon längst klar gewesen und verabschiedete nun den Herrn Universitätsprofessor mit sehr klaren und bestimmten Worten.“ - Bemerkenswert ist überdies, wie gehässig die „Stimme“ über Wunderle geurteilt hat.

Prof. Wunderle hat übrigens selbst zu den kursierenden Gerüchten Stellung genommen: „Die Sache mit der Prophezeiung stimmt nicht; mir wurde vor dem Unfall von keiner Seite, auch nicht von Therese, etwas vorhergesagt."14a

Prof. Verweyen übernimmt die Auffassung der Theologen Naber und Fahsel, die er ein wenig erweitert. seiner Überzeugung nach hat Therese Neumann nicht bloß im Zustand der Ekstase, sondern auch sonst, „wenn sie ihre Sehergabe betätigt“, des Heilands Stimme vernommen. „Sie antwortet dann etwa wie in dem Falle, als ein amerikanischer Bischof bayerischer Abstammung um ein blutgetränktes Kopftuch bat: ,Ja, ja, das kannst Du haben. Der Heiland sagt, Du könntest es haben.' Nach der Schilderung des Augenzeugen, der diese Antwort erhielt, hat Therese einen Augenblick ihr Haupt gewendet, als ob sie einer Stimme lauschen wolle.“ Das geschah im Normalzustand, nicht während einer Ekstase15!

Zwei Thesen sind auseinander zu halten: Einmal wird versichert, Therese habe ihre Auskünfte abgegeben auf Grund einer Eingebung durch Christus, dessen fühlbare Gegenwart sie gespürt habe; die andere These lautet: Der Heiland hat unmittelbar aus der Stigmatisierten gesprochen. Beide Auffassungen stützen sich auf die Aussagen der Therese Neumann selber. Als Prof. Killermann zugegen war, fragte Pfarrer Naber die Stigmatisierte, ob sich am selben Tag noch ein Erstickungsanfall einstellen werde. Die Gefragte bejahte es; Killermann jedoch drückte Zweifel aus. Darauf erwiderte sie, das müsse sie doch wissen, „wenn der Heiland es ihr gesagt habe“. Etwas später fügte sie hinzu: „Der Heiland stärkt mich“, und dann: "Jetzt ist der Heiland fühlbar da."16 Nach Gerlich hat Therese „immer wieder“ betont: „Nicht ich sage das, sondern der Heiland. Nachher weiß ich von dem nichts, was ich Ihnen jetzt sage.“17 Prof. Dr. Mager hat sich während seines Besuches in Konnersreuth mit Therese Neumann in ihrem „erhobenen Ruhezustand“ unterhalten. Wiederholt versicherte ihm Therese, „dass nicht sie das und das sage, sondern Christus in ihr“ ; später könne sie über ihre Aussagen nicht befragt werden, „weil sie dann nichts davon wüßte“18. Am 30. März 1928 erklärte sie nach Beendigung der Freitagsvisionen mittags nach 12.20 Uhr: „Jetzt darf ich rasten und ruhen, der Heiland stärkt mich. Was ich rede, redet der Heiland aus mir, nachher weiß ich von nichts.“19 Trotz dieser offenkundigen Beweise behauptet Pfarrer Naber kaltblütig in seinem Bericht vom 12. Dezember 1934: „Ich habe aus dem Munde der Theres noch niemals gehört, dass sie Auskünfte durch den Heiland erhalten habe.“20.

Der „Heiland“ kümmerte sich zuweilen sogar darum, wer einen bestimmten Gottesdienst zu halten hatte und wer die Predigt übernehmen musste. Am 7. Dezember 1928 musste Prof. Dr. Mayr aus Eichstätt dem Benediktinerpater Augustin Graf von Galen mitteilen: „Hochwürdiger Herr Pater, ich habe einen Auftrag für sie vom Heiland. Therese hat mir soeben in der Ekstase gesagt: ,Geh und sage P. G., dass er es ist, der morgen das Hochamt und die Predigt halten soll'.“ Im Verlauf einer ekstatischen Unterhaltung sagte Therese zu P. von Galen: „Du wirst mir morgen die Kommunion bringen.“ Er konnte sich dann am anderen Tag überzeugen, dass die Hostie ohne Schluckbewegung verschwand21.

Erzbischof Teodorowicz berichtet: „Therese hat nie erklärt, dass der Heiland durch sie spreche; werde sie über dieses Thema befragt, dann antworte sie einfach: ,Ich weiß nichts davon.'“22 Aber auch diese Aussage steht im Widerspruch mit anderen Berichten. Ein paar Beispiele mögen es weiter belegen:

"bzw. ihr Mund" auf Fragen geantwortet: "Mit der Resl kannst

Auf Befragung entgegnete Therese: „Nicht ich, Resl, bin es, sondern der Heiland ist es, der zu dir spricht.“ Einmal äußerte sie: „Ich selbst habe es der Therese Neumann geoffenbart, was sie zum Bischof Schrembs gesagt hat.“ Gelegentlich hat Therese „bzw. ihr Mund“ auf Fragen genatwortet. Mit der Resl kannst du jetzt nicht reden, sie schläft jetzt.“23 So lautete einmal die Auskunft, als Pfarrer Naber Therese, während sie in „tiefem Schlafe“, das heißt in Ekstase war, angesprochen hatte. Zunächst bekam er keine Antwort. Er wiederholte den Anruf, worauf Therese die erwähnten Worte sprach. Aber obwohl die Auskunft gelautet hatte, der Pfarrer könne mit Therese nicht reden, sprach die „Stimme“ trotzdem weiter und gab dem Pfarrer gewisse Verhalltungsmaßregeln gegenüber bestimmten Besuchern. Er wunderte sich darüber, dass er plötzlich mit „Du“ angesprochen wurde.

„Auch kamen die Worte so bestimmt, wie wenn jemand redete, der der Herr ist.“24 Eines Morgens empfing Pfarrer Naber von Therese, die sich in Ekstase befand, die Mitteilung: „Heute nachmittag wirst du zur Resl gerufen werden.“25 -Pfarrer Naber erhielt von Therese in ihrem „Ruhezustand“ regelmäßig Ankündigungen und Anweisungen, sogar darüber, was er, beziehungsweise die Stigmatisierte lesen sollte. Eine Ankündigung beispielsweise lautete: „Morgen wird ein Herr kommen (und er wurde näher beschrieben), den sollst du zu ihr kommen lassen.“ Oder die „Stimme“ verkündete: „Heute abend wird sie um 8 Uhr schauen“ oder: „Heute nachmittags wird sie um 4 Uhr ins Leiden kommen.“ . Einmal wurde Therese durch Pfarrer Naber über irgendeine Person befragt. Zur Antwort erhielt er: „Seine Gebete und Leiden sollen in Dein Gebet und Leiden eingeschlossen sein.“27 Hier, so sagt Franz Huber, der das erwähnte Zitat überliefert hat, seien ganz deutlich drei Personen zu unterscheiden: einmal jene, über die Aufschluss verlangt wurde, dann die in der Ekstase Angesprochene, nämlich Therese Neumann, und eine dritte Person, „die da spricht und die Objekt, das heißt Träger und Quelle der Anrede war“. - Als einmal Therese eine Hostie „erbrochen“ hatte, erhob Pfarrer Naber das Taschentuch mit der darauf liegenden Hostie und alsbald war diese verschwunden. Therese fiel in ihr Kissen zurück und murmelte: „Der Heiland ist wieder in ihr.“28 - Weil Therese, wie sie versicherte, keine Erinnerung an das hatte, was sie während des erhobenen Ruhezustands gesprochen hatte, es aber doch gern gewusst hätte, darum gab sie zuweilen vorher dem Pfarrer den Auftrag, er möge ihr danach Bericht erstatten. Manchmal erteilte die „Stimme“ selber einen entsprechenden Befehl, der dann etwa lautete: „Sag der Resl, sie möge dem und dem schreiben, oder das und das tun.“29 Zuweilen hieß es auch: „Man braucht dies der Resl nicht zu sagen“, oder: „Sie braucht das nicht zu wissen.“30 -Im Zustand der gehobenen Ruhe, sagt Benefiziat Härtl31, spricht Therese „nie in der ersten Person, sondern nur ,Die Resl ...' es ergehen dabei auch Weisungen an sie selbst in der Form: ,Die Resl soll' oder: ,Sag der Resl ...'“. -Dass es zu solcherlei Dingen einer Aufforderung durch Christus bedurfte, klingt wenig überzeugend.

Im Auftrag des Regensburger Bischofs musste im Jahr 1929 Pfarrer Naber Therese in dem Falle der Schwester Canisia, von dem noch die Rede sein soll, befragen. In der Ekstase gab sie unter anderem folgende Auskunft:

„Paß auf! Damit Du überzeugt sein kannst, dass das, was in diesem Zustand gesagt wird, verlässig ist, höre: Heute ist der 22. Juli. Am 24. Juli wird der Mann, dem Du vor ungefähr einem Jahr 500 DM geliehen hast, zur Resl kommen und ihr die 500 DM zur Ubermittlung an Dich übergeben wollen; die Resl wird sie nicht annehmen wollen, der Mann wird drängen, aber die Resl wird sich weiter wei gern, der Mann wird dann fortgehen, aber wieder kommen und der Resl ein Kuvert geben und sagen, dieses möge sie dem Herrn Pfarrer geben.“

Therese brachte dann tatsächlich am 24. Juli dem Pfarrer den Brief. Den Schuldner bekam Naber nicht zu Gesicht. Therese selber soll von dem Inhalt des Briefumschlags nicht gewusst haben, weil sie ja angeblich über das in der Ekstase Vorgefallene nicht Bescheid wusste. Trotzdem überreichte sie dem Pfarrer den Brief mit dem überraschten Ausruf: „Herr Pfarrer, Herr Pfarrer, was mir passiert ist!“ - Eine Vorspiegelung falscher Tatsachen ist wohl auch hier nicht von der Hand zu weisen.

Ein ebenso bedenkliches Beispiel stammt aus dem Jahr 193232. Therese hielt sich in Eichstätt bei Prof. Wutz auf. Eines Tages saß sie im Arbeitszimmer des Professors an einem kleinen Tisch beim Fenster.

„Plötzlich ließ sie ein leichtes Heft fallen, das sie in der Hand hatte, streckte etwas die Arme nach vorne und zeigte genau die Stellung, die sie bei einer Vision einzunehmen pflegt. Prof. Wutz hatte gerade die Absicht, die hl. Messe in seiner Privatkapelle zu lesen. Man kam auf den Gedanken, Therese trotzdem teilnehmen zu lassen. Man schob sie auf ihrem Stuhl zur offenen Tür der Privatkapelle. sie wurde jedoch keineswegs durch die Darbringung des hl. Messopfers von ihrer Vision abgelenkt. Nur in dem Augenblick, als Professor Wutz sich umwandte, um ihr die hl. Kommunion zu reichen, kam eine Veränderung in ihre Haltung und Mimik. Ihr Kopf erhob sich zu dem Altar vor ihr, und sie nahm nun den Ausdruck der Haltung wie immer an, wenn sie in der Ekstase kommuniziert. Nach Empfang der hl. Hostie kam sie in den Zustand der erhobenen Ruhe, aus ihrem Munde kamen die Worte: ,Sie wohnte der hl. Messe in Konnersreuth bei und wird das auch fortsetzen.' In der Tat kam sie nach einiger Zeit wieder in Haltung und Mimik der vorhergehenden Vision."

Es heißt, Therese sei im ekstatisch-visionären Zustand für äußere Eindrücke unempfindlich und nicht ansprechbar gewesen. Trotzdem hat sie bemerkt, dass Wutz ihr die Hostie reichte, obwohl sie visionär beim Gottesdienst in Konnersreuth war. Ferner wird sonst als Begründung für die visionäre Teilnahme bei einem auswärtigen Gottesdienst die Unmöglichkeit angegeben, selber zur hl. Messe kommen zu können. Dieser Grund lag diesmal gar nicht vor. Ist es glaubhaft. dass Therese bei der einen Messfeier bloß körperlich, bei der anderen visionär zugegen war? Fragwürdig ist auch die Angabe hinsichtlich der Dauer der Messfeier in Eichstätt im Vergleich mit der in Konnersreuth.

Die angeführten Beispiele beweisen eindeutig, dass der Heiland angeblich unmittelbar aus der Seherin von Konnersreuth gesprochen hat. Aber Prof. Dr. Verweyen sagt, Christus habe nie in der Ichform aus ihr gesprochen. Therese rede in keinem ihrer Zustände so, als wäre sie - wenn auch nur vorübergehend - Christus selbst33.

Natürlich hat Christus nicht aus ihr gesprochen. Aber nehmen wir einmal an, es wäre tatsächlich so gewesen, dann müsste als klare Schlussfolgerung gelten: Wenn die Auskünfte, die Therese Neumann erteilt hat, Heilandsworte gewesen wären, dann hätten sie auch nicht die Spur eines Irrtums enthalten dürfen. „Diese Stimmen irren nie“, sagt Bischof Teodorowicz. Tatsächlich haben sich diese „Stimmen“ oft genug geirrt. Also müsste sich der Heiland getäuscht haben. Zudem fällt die Verantwortung für Irrtum und Täuschung auf ihn selbst zurück. Schließlich hat ja niemand anders als Therese selber dem Heiland die volle Verantwortung zugeschoben. Im August 1929 wellte Weihbischof Dr. Horvath aus Ungarn in Konnersreuth. Therese hatte gerade ausgesagt, die Seele einer bestimmten verstorbenen Person sei bereits im Himmel. Auf die Frage, ob man demnach für sie nicht mehr zu beten brauche, wich sie mit der Bemerkung aus: „Sie sollen nur beten für sie; das hilft ja anderen Seelen.“ Eine weitere Frage an Therese lautete, wer die Verantwortung trage für die erteilte Auskunft. Lachend erwiderte Therese: „Nicht ich sage es, sondern der Heiland. Ich bin nicht verantwortlich.“ Auf die Gegenfrage: „Dann ist also der Heiland verantwortlich?“, antwortete sie nicht; sie hat nur „bescheiden gelächelt“34.

Dr. Lechler hat bei seinen Versuchen mit dem Mädchen Elisabeth K. Ähnliches beobachtet. Auch Elisabeth sprach mehrmals in der dritten Person von sich, „So dass es schien, als rede ein anderer aus ihr“. Lechler folgert: „So entstammen auch die ,Heilandsworte' der Therese Neumann M. E. nur ihrem eigenen Gedankenleben.“35

Solche Dinge besitzen keinen übernatürlichen Charakter; es handelt sich vielmehr um einen klaren Fall von Persönlichkeitsspaltung. Darauf weisen auch die so genannten ekstatischen Zustände der „kindlichen Eingenommenheit“ und der „gehobenen Ruhe"“hin. Im erstgenannten Zustand verfügte Therese nicht einmal mehr über die Auffassungsfähigkeit eines vierjährigen Kindes. Dazu bemerkt Teodorowicz: „Ich habe einige Tage vorher mit Therese gesprochen, kenne also den ihrer Stimme eigenen Klang: Es scheint mir jetzt, als ob ich eine ganz andere Person sprechen höre.“38 Das trifft für Therese nochmals zu, wenn sie sich im Zustand der „gehobenen Ruhe“ befindet. Wiederum ist ihre Sprechweise wie umgewandelt. „Sie spricht in einer einzigen Tonart, deren sie sich sonst nie bedient, auch in einer anderen Form als in der kindlichen Eingenommenheit.“37 Hier tritt also eine neue Persönlichkeit mit einer anderen Stimme und einem anderen Wortschatz auf, eine Persönlichkeit, die sogar Hochdeutsch zu sprechen versteht, während sich Therese sonst in ihrer Mundart ausdrückt und das Hochdeutsche nicht versteht, wenn der Schutzengel in dieser Weise zu ihr spricht!

Es sei nochmals betont, dass es sich bei den genannten Erscheinungen keineswegs um übernatürliche Dinge handelt. Ähnliches war bereits im christlichen Altertum bekannt, zum Beispiel in der Zeit des Montanus. Aus dem bewusstlos daliegenden Montanus und seinen Prophetinnen sprach der „Hl. Geist“, „Gott Vater“ oder „Jesus Christus“ und gab seine „Offenbarungen“38. Es geht auch nicht speziell um Phänomene im christlichen Raum. Überall, wo Menschen sich befinden, und zu jeder Zeit kannte und kennt man ähnliche Phänomene.

Die Heilandsorakel von Konnersreuth sind auch vom Inhalt her seltsam. Wann und in welchen Anliegen erteilt Therese Neumann Auskunft und Rat? Teodorowicz meint: „Alles, was Therese von Auskünften über allgemeine Ereignisse nachgesagt wird, ist einfach erdichtet.“ Es kommt darauf an, was der Bischof unter „allgemeinen“ Ereignissen versteht. Jedenfalls steht fest, dass in allen möglichen Anliegen Auskunft eingeholt worden ist. Pfarrer Naber hat nach Hubers Angabe die Beobachtung gemacht, „dass in den ersten Jahren manche Fragen nach rein weltlichen Dingen beantwortet wurden, später nur (oder fast ausschließlich) rein seelsorgerliche Angelegenheiten beschieden wurden“39. Diese Einschränkung stimmt nicht; wir wissen, dass oft Auskunft in rein irdischen Anliegen gesucht wurde. Das bestätigt auch Aretin in seinem 1952 erschienenen Buch, wenn er über Pfarrer Naber bemerkt:

„Er reicht, seit Professor Wutz 1938 gestorben ist, der Resl jeden Morgen die Kommunion. Noch immer spricht danach eine Stimme aus ihr und gibt die Anweisungen für den Tag. Ob sie Besuche empfangen soll oder nicht, ob Visionen eintreten werden und welche und die unerklärlichen Ereignisse sind zur Gewohnheit geworden.“40

Es kam vor, dass „der Heiland“ Anordnungen traf, die bestimmte Personen als beleidigend empfinden mussten. Einmal wurde Therese in der Ekstase gefragt, wer zur Hochzeit ihrer Schwester geladen werden solle. Merkwürdigerweise wurden die nächsten Verwandten wunschgemäß nicht geladen, wohl aber Gerlich, Wutz und andere Gönner41.

In der Frage der Persönlichkeitsspaltung bietet eine Parallele der als „Teufelsbanner“ berühmt gewordene Pfarrer Johann Joseph Gaßner. Weil er des Glaubens war, die Krankheiten seien ein Werk des Teufels, den er sich jeweils im Patienten gegenwärtig vorstellte, wollte er sie durch Anwendung des Exorzismus vertreiben. Die Befehle erteilte er bei seinen „Heilkuren“ dem „Teufel" in der betreffenden Person, die es zu heilen galt. Der „böse Geist“ gab auch befehlsgemäß Antwort, ja er hielt gelegentlich förmliche Predigten. Man hatte dabei den Eindruck, dass sich die Versuchsperson als zwei voneinander verschiedene Persönlichkeiten vor kam. Ähnliches finden wir in der Praxis Mesmers, des Begründers des „tierischen Magnetismus „. Einen Fall zum Vergleich: Während der Behandlung einer Gärtnersfrau zeigte sich, dass aus der Frau verschiedene Personen redeten, darunter auch ihre Tochter, die zwei Jahre zuvor im Alter von 12 Jahren gestorben war. Die Tochter redete aber jetzt wie eine Erwachsene42. Gaßner hätte auch diese Stimmen dem Teufel zugeschrieben, bei Therese Neumann jedoch hieß es: Der Heiland spricht.

Vom Papst Benedikt XIV. Stammt das Wort: „Eine Person, aus der der Heiland spricht, täuscht entweder oder ist getäuscht.“43 Auch im Falle Therese Neumann behält dieses Urteil sein volle Gültigkeit.

*Die diakritischen Zeichen e mit Überstrich in te bzw. a mit Überstrich in ach können im hier verwendeten Zeichensatz leider nicht korrekt wiedergegeben werden.

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Letzte Änderung: 31. Dezember 2002