Konnersreuth als Testfall

VI. Im Dienste des Nächsten

1. Beratung

Wie man Therese Neumann nachrühmt, hat sie vielen Menschen durch Rat und Tat geholfen. Sie wusste viele durch ihr Zureden zu ermuntern und erteilte Ratschläge im Wachzustand wie in der Ekstase. Wenn es wahr wäre, dass Christus sie als Sprachrohr benutzt hat, dann dürfte kein Versager aufzuweisen sein, was jedoch nicht der Fall ist. Es ist verständlich, dass in den Veröffentlichungen aufgezeigt wird, was für die ungewöhnlichen Gaben der Therese Neumann spricht. Das Versagen ihrer Gaben wiederum wird verschwiegen. Und wo wirklich einmal ein Versagen aufgegriffen wurde, da wusste man sofort eine Ausflucht anzubringen. So geschah es in dem Fall, als sich eine Oberin, und zwar auf den Rat der Therese Neumann hin, in ein gewagtes Unternehmen eingelassen hatte, das schiefging. Die Erklärung lautete: Da waren eben die beteiligten Personen schuld, sie hätten nichts riskieren dürfen! Und im übrigen habe man die erteilte Anweisung der Therese subjektivausgedeutet.1 Auf diese Ausrede stößt man nicht bloß einmal. Steiner schreibt im Zusammenhang mit dem oben angedeuteten Konkursverfahren, das die Oberin verschuldet hatte, man habe nach dieser Angelegenheit „diesbezüglid1e Fragen im erhobenen Ruhezustand nicht mehr zugelassen.“ Das ist. an sich durchaus verständlich, dass man vorsichtiger wurde, wenn beispielsweise ein Totgesagter in die Heimat zurückkehrte. Das genannte Verbot galt allerdings offenbar nur für Personen, die nicht zum vertrauten Kreis gehörten. Die anderen haben weiterhin ihre Fragen gestellt.

Nach Auskunft des Weihbischofs Dr. Höcht wandte sich eines Tages jemand an das Bischöfliche Ordinariat in Regensburg und forderte Schadenersatz. Der Grund dafür war folgender: Therese Neumann war von einer jugendlichen Person gefragt worden, ob sie für das Ordensleben berufen sei. Therese bejahte die Frage und ermunterte zum Eintritt in ein Kloster. Aber nach zwei Jahren verließ der Kandidat wieder di e Ordensgemeinschaft. Nun verlangte die Familie Schadenersatz von der Familie Neumann. Als diese sich weigerte, sollte das Ordinariat den Lohnausfall ersetzen. - Therese hatte nicht richtig beraten.

Wenn, wie in dem erwähnten Fall, ein Irrtum oder ein Versagen nachgewiesen wurde, griff man zur bequemen Ausrede, die erteilte Auskunft sei subjektiv ausgedeutet worden, und es war vorgebeugt für den Fall, dass die Aufnahme eines Bittstellers von einem Klosteroberen abgelehnt wurde; ein Schadenersatz konnte nicht eingefordert werden. Eine Oberin beispielsweise hat nicht nur einmal Auskunft in Konnersreuth geholt, wenn sich eine junge Kandidatin gemeldet hatte. Die Aufnahme wurde verweigert, wenn Therese Neumann die Berufung zum Ordensleben verneint hatte. In einem anderen Kloster hatte man eine Schwester vor den ewigen Gelübden entlassen. Offenbar war damit die Entlassene nicht einverstanden, denn Pfarrer Nabel befragte Therese Neumann in der Angelegenheit während ihres ekstatischen Zustands. Die Seherin erklärte, die zeitlichen Gelübde der Schwester seien gültig gewesen und sie müsse zu den ewigen Gelübden zugelassen werden, „da kein Berufszweifel vorliege“. Falls die Oberen dagegen handelten, würden sie sich eine schwere Verantwortung aufladen2.

Ein Lehrer trug sich mit dem Gedanken, in den Prämonstratenserorden einzutreten. Am 5. Januar 1933 fragte er Therese Neumann um Rat. Sie meinte, der Prämonstratenserorden sei streng; es sei besser, wenn er sich einem anderen Orden zuwende. Er solle aber zum Pfarrer Naber gehen und ihm einen Zettel überreichen mit einer entsprechenden Anfrage. Am 19. Januar sandte ihm der Pfarrer den Zettel zurück mit dem Bemerken, Therese habe im ekstatischen Zustand gesagt: „In den Prämonstratenserorden eignet er sich nicht, obwohl er sich zum Priesterstand überhaupt eignen würde.“ Daraufhin gab der Lehrer seinen Plan auf3.

Ebensowenig kann eine Ekstase als übernatürlich gelten, in der Therese Neumann einen Rat gegeben hat, dessen Befolgung die Exkommunikation zur Frage gehabt hätte. Der Freisinger Subregens Westermayr legte Therese die Frage vor, ob er in einem bestimmten Falle seine Kenntnis aus dem Beichtstuhl gegen das ausdrückliche Verbot der beichtenden Person gebrauchen dürfe.

Therese erklärte, das dürfe er tun; er solle bloß verschweigen, dass er sein Wissen aus dem Beichtstuhl habe4. Natürlich hat Westermayr den Rat nicht befolgt. Jeder Katholik weiß aus dem Beichtunterricht, dass das Beichtsiegel unter keinen Umständen verletzt werden darf nur Therese wusste das offenbar nicht!

Besonders die Zeit unmittelbar nach dem Kommunionempfang wurde dazu benutzt, um von Therese Neumann in verschiedenen Fragen Auskunft zu erhalten. Dabei fand man nichts Ungebührliches darin, wenn sich nicht bloß Pfarrer Naber, sondern auch andere Vertraute hinter dem Altar der Pfarrkirche von Konnersreuth an Therese wie an ein Orakel wandten. Die Auskünfte galten ihnen soviel wie Gottes Wort. Den Ablauf von Rede und Gegenrede schildert Steiner so:

„Ihre Aussage oder Gegenrede bei Besprechungen und Fragen war lebhaft. Das Wissen, das hier geäußert wurde, überstieg weit das Wissensgut von Therese Neumann. Sie sprach hier annähernd hochdeutsch. Die Person des mit ihr Sprechenden war durchschaut, und manchmal wurden, gewissermaßen um Vertrauen zu schaffen, ohne Vorwurf persönliche Bemerkungen aus dem Vorleben des Betreffenden gegeben, ehe man die Frage formuliert oder gestellt hatte.“5

Eigenartige Dinge! Warum legte man so großen Wert auf die Befragung unmittelbar nach der Kommunion, da doch nach Konnersreuther Darstellung die Hostie bis zur nächsten Kommunion unaufgelöst in der Stigmatisierten blieb?

Nach Steiner konnte man Auskunft erhalten über Probleme, die dem eigenen oder dem Seelenheil anderer dienten, aber auch über Projekte, wenn man damit Christus dienen wollte gelegentlich wurden auch wertvolle persönliche Ratschläge erteilt. Man bekam aber ebenso Aufschluß über das Schicksal Verstorbener.

Merkwürdig ist, dass nach der Kommunion die Auskünfte in hochdeutscher Sprache erteilt wurden, während Therese nichts verstand, wenn ihr „Schutzengel“ in der Schriftsprache redete. Sonderbar auch, dass Gott durch Aufdecken von Ereignissen aus dem Vorleben des Fragestellers Vertrauen den „Offenbarungen“ gegenüber erwecken wollte noch sonderbarer, dass er das durch Offenbaren von Dingen tat, die für die betreffende Person peinlich gewesen sein dürften.

Dass ausschließlich Fragen beantwortet worden seien, die das Seelenheil betrafen, wie versichert wird, entspricht durchaus nicht der Wahrheit. Es wurde oft genug um Auskunft in rein weltlichen Anliegen nach gesucht. Freilich konnte man immer wieder irgendeine entfernte Beziehung zu religiösen Interessen finden, was ja nicht schwierig war.

Wenn Therese Neumann die Gabe der Herzenskenntnis und andere außergewöhnlichen Gnaden besaß, warum versagte sie ihrem eigenen Bruder gegenüber? Wie konnte sie zulassen, dass er sich in gewagte, nicht legale Unternehmen eingelassen hat? Warum versagte ihr seherisches Auge dem Teilhaber ihres Bruders bei den Allunit-Werken in Zwiesel gegenüber? Das Unternehmen ging in Konkurs trotz Beratung durch Therese und trotz ihres ekstatischen Rates.

Im Jahr 1957 wurde das Urteil im so genannten Traunsteiner Weinschiebeprozess gesprochen. Zu den Verurteilten gehörte neben anderen der Weinkaufmann Anton Eutermoser, Josef Plonner und Ferdinand Neumann, ein Bruder der Therese Neumann, Landrat von Kemnath. Plonner war mit Ferdinand Neumann Teilhaber der Allunit-Werke in Zwiesel.

Bei jenem Mammutprozess in Traunstein standen sieben Angeklagte vor Gericht wegen Devisenvergehen, Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung, falscher Aussagen und anderer Vergehen. Im wesentlichen ging es um illegale Einfuhr von 8550 Hektoliter ausländischen Weines, die zur Tarnung als „Schenkungen an kirchliche und karitative Organisationen“ deklariert worden waren. Ein beachtlicher Teil der erzielten Gewinne floß in die Allunit-Werke in Zwiesel.

Während des Prozesses fiel gelegentlich auch der Name Therese Neumann. Der Vorsitzende ließ aber nicht alles vorbringen, was die Zeugen auftischen wollten. Nebenbei wurde auch über die illegale Investition von 100.000 Mark zum Ausbau des Alpengasthofes Kreuz bei Serfaus in der Nähe von Landeck in Tirol gesprochen. Der Ort sollte eine Art Zufluchtsstätte für Eutermoser und den so genannten „Konnersreuther Kreis“ werden. Man rechnete damals mit politischen Unruhen von der Ostzone her, die die Amerikaner möglicherweise zum Rückzug veranlassen könnten. Als der Staatsanwalt wissen wollte, von wem die Serfaus-Idee stamme, sagte Plonner, diese sei zunächst von Dr. Rindt und Ferdinand Neumann ausgegangen. Wie Plonner versicherte, waren sowohl die Allunit-Werke als auch Serfaus „in der Ekstase empfohlen worden“. Der Kommentar des .Vorsitzenden zum Ankauf des Alpengasthofes lautete: „Vielleicht sollte beim Auftauchen der Russen der Landgendarm eine Tafel mit der Aufschrift ,Aufstieg für Russen verboten' aufstellen.“6 Einen Beweis für besondere Erleuchtung gab in diesem Fall die beratende Funktion der Therese Neumann nicht ab!

Worauf es uns jedoch hier ankommt, ist nicht der Prozess an sich, sondern die Frage: Welche Rolle hat in der Angelegenheit Therese Neumann gespielt? Es ist sehr aufschlußreich für die mystischen und außergewöhnlichen Gaben Therese Neumanns, dass sie um Auskunft im „erhobenen Ruhezustand“ angegangen wurde und dass ihre Weisungen befolgt wurden, die in Konflikt mit den Gesetzen führten, worüber kein Zweifel bestehen kann.

Die Schuld für die Vorgänge bei den Weinimporten, durch die unter anderem die Allunit-Werke in Zwiesel finanziert werden sollten, gab einer der Rechtsanwälte, Dr. Oehl, der „Wundergläubigkeit“ der angeklagten Ferdinand Neumann, Josef Plonner und August Eutermoser. Er sagte:

„Vielmehr müsse man dem so genannten Konnersreuther Kreis, der weitgehend mit den Allunit-Werken in Zwiesel identisch sei, als den eigentlichen Initiator bezeichnen. Und hier sei es wieder in erster Linie die stigmatisierte Therese, die Schwester des angeklagten Ferdinand Neumann, gewesen, die den Beteiligten entsprechende Weisungen erteilt habe. Die Stigmatisierte, führt Dr. Oehl weiter aus, habe auch dann noch zum Weitermachen aufgefordert, als die Angeklagten

selber Zweifel hatten, ob die Sache ein gutes Ende nehmen könnte.“

Auf sie gehe auch die Aufforderung zurück, sich mit dem damaligen Direktor der Jeia, Morris S. Verner, in Verbindung zu setzen. Verner habe mit Konnersreuth sympathisiert7. - Der Vorsitzende behauptete von Dr. Verner, er sei hinters Licht geführt worden.

Der Mitangeklagte wollte noch mehr vorbringen: „Wir haben noch gar nicht davon gesprochen, welche Rolle Fräulein Therese Neumann in der Sache gespielt hat.“ Aber der Vorsitzende winkte ab8. Plonner hat nach Ansicht des Sachverständigen zweifellos unter dem Einfluss der Therese Neumann gestanden und nach ihren Ratschlägen gehandelt, da er sie für die „Stimme“ Gottes hielt.

Mögen in dieser Angelegenheit auch einige Unklarheiten bestehen bleiben, fest steht auf jeden Fall, dass Therese Neumann nicht richtig beraten hat. Das gilt Vor allem für ihre Auskünfte im ekstatischen Zustand, bei dem der „Heiland“ aus ihr gesprochen haben soll. Freilich wird auch hier das Argument vorgebracht, Therese habe im Wachzustand nichts mehr von dem gewusst, was sie während der Ekstasen gesprochen hatte. Wieweit die Fragen mit ihr im normalen Wachzustand besprochen worden sind, kann man nicht mit letzter Sicherheit nachweisen; aber ohne Zweifel wusste sie von diesem Unternehmen. Es bleibt ein Geheimnis, warum sie nicht wenigstens ihren eigenen Bruder vor Unheil bewahrt hat. Wenn sie Fremden gegenüber die Gabe des Hellsehens besaß, hätte ihr die Erleuchtung in Belangen der eigenen Familienangehörigen nicht fehlen dürfen.

Doch es gibt noch weitere interessante Fragen im Traunsteiner Prozess. Die erste Frage ist wohl die: Hat Therese Neumann von der widerrechtlichen Lizenz für Weineinfuhr gewusst? Wie die „Chamer Nachrichten“ berichten, hat sie auf Befragen ausdrücklich erklärt, überhaupt nichts von einer Weinlizenz gewusst zu haben. Auch Pfarrer Naber hat ein Mitwissen verneint. Beide versichern, vor den Pressenachrichten von Geldveruntreuung nichts gewusst zu haben.

Josef Plonner jedoch hatte wiederholt mit Therese Neumann „im gehobenen Zustand“ gesprochen und sie „mit Rücksicht auf die Erfolgschancen seiner Manipulation befragt“ .Er hat sich immer wieder auf die Auskünfte, die er durch sie erhalten hatte, berufen. Und selbst Ferdinand Neumann bestätigte, dass seine Schwester und Plonner wiederholt beisammen waren11.

Zudem war für die Lösung der finanziellen Frage bei der Weineinfuhr auch die Vermittlerrolle des Mr. Verner notwendig. In der Ekstase gefragt, forderte Therese Neumann Josef Plonner auf, mit Verner zu reden. Wie Plonner aussagte, hatte er zwar Bedenken geäußert hinsichtlich des Geschäftsabschlusses, aber: „Alle Bedenken zerstreute sein Freund, der Landrat Neumann, mit dem Hinweis, die Resl habe in Ekstase nach der hl. Kommunion die Aktion mit Dr. Rindt gebilligt.“12

In dieser Zeit hat auch der Fürst von Waldburg zu Zeil auf die ekstatischen Auskünfte in rein wirtschaftlichen Fragen So vertraut, „dass er schließlich auf Grund der dem Gericht vorliegenden Ekstasenauskunft der Therese Neumann bereit war, sowohl Geld für die Allunitwerke als dann auch für das Kloster Fockenfeld zu geben“13.

Damit der Ankauf des Gutes Fockenfeld zustande kommen könnte, sollte Therese selber mit ihrem Bruder Ferdinand nach Frankfurt eben zu jenem Mr. Verner fahren. Man war noch am ÜberIegen, welche Wege zum Ziele führen könnten. „Pfarrer Naber überraschte die Unschlüssigen bald darauf mit der Nachricht, dass er selbst inzwischen mit Resl in Ekstase gesprochen habe“ mit dem Ergebnis: Wenn Therese bereit sei, die Strapazen der Fahrt nach Frankfurt auf sich zu nehmen, werde der Heiland das Leiden ausfallen lassen. Der Tag der geplanten Reise war nämlich ein Freitag. Therese erklärte sich bereit14.

Auch für die Allunit-Werke wurde der „Heiland in Anspruch genommen. „Pfarrer Naher hat an Therese im gehobenen Zustand die Frage gestellt, was von den Allunit-Werken und den Bestrebungen ihrer Teilhaber zu halten sei. Damals war gesagt worden, die Sache sei der Idee nach gut, aber es seien Leute dabei, die es nicht ehrlich meinten.“15 Diese Auskunft wird erst 1955, also viele Jahre nach den Ereignissen, bekannt gegeben. Was wird Therese vorher gesagt haben, als noch keiner der Beteiligten an eine Aufdeckung der Vergehen gedacht hat? Man müsste auch annehmen, dass sie die als unehrlich Bezeichneten entlarvt hätte. Warum hat sie es nicht getan? Die Auskunft vom Jahr 1955 ist ebenso wenig wert wie seinerzeit das später geänderte Urteil über Prof. Ewald.

Die als Geschenk getarnten Lizenzen für Weineinfuhr kamen tatsächlich zustande. Nach Plonners Aussagen hat er selber Therese wiederholt über die wirtschaftlichen Aussichten der Unternehmungen befragt. Die Auskünfte seien positiv gewesen, und zwar seien sie in der Ekstase erteilt worden. Bei der Verteidigung des Angeklagten Plonner wurde die Frage gestellt: „Wer ist schuldiger, derjenige, der nach einigem Ringen an die absolute Echtheit der Ekstase glaubte, oder die, die als besser Gebildete, seriöse Personen oder gar als Priester mich in diesem Glauben bestärkten, nein, erst zu diesem Glauben brachten?“16

Im Lichte dieser Aussage muß man Plonner guten Glauben zubilligen. Zudem betont Plonner in einem Schriftsatz an den Landgerichtdirektor Dr. Flierle in Traunstein, abgefasst anfangs

1957, welchen Einfluss auf seine persönlichen Entscheidungen und Handlungen „die Ekstasen nach der hl. Kommunion durch Therese Neumann“ gehabt hätten. „Schließlich habe ich“, so schreibt er unter anderem, „anfangs noch durchaus kritisch, wenn auch sehr aufgeschlossen, mit einer absoluten Gläubigkeit an die Echtheit der Ekstasen im ,gehobenen Ruhezustand' der Therese Neumann geglaubt und das nun wirklich nicht zum Schein, nicht nur theoretisch, nur oberflächlich, sondern ich habe daraufhin die unwahrscheinlichsten Risiken, Opfer und Schwierigkeiten auf mich genommen. Dieser mein Glaube hat sich wohl als ein folgenschwerer Irrtum erwiesen.“ Er konnte seinen Irrtum entschuldigen mit dem Hinweis auf Veröffentlichungen von Theologen, in denen die Behauptung zu lesen ist, aus Therese Neumann spreche Christus. Es war keine leere Ausrede, wenn er anführte, „durch bessere und längere Kenner des Phänomens, durch den Bruder der Therese, den Ortspfarrer etc.“ überhaupt erst erfahren zu haben, „dass sich Therese in diesem Zustand unter Umständen auch zu scheinbar profanen und wirtschaftlichen Fragen äußert, wenn die Dinge Gott gefällig sind.“ Von Thereses Bruder selber, so versichert Plonner, sei er nach Konnersreuth gewiesen worden und dorthin sei er immer wieder, um Rat bittend, gekommen, wenn er nicht weiter gewusst habe17.

Persönlich gefragt, hat Therese Neumann versichert, von den Weinlizenzen, die Mr. Verner Herrn Plonner erteilt hat, nichts gewusst zu haben.

„Ich bin deswegen nicht zu Mr. Verner gefahren. Es ist möglich, dass sich Mr. Verner über solche Dinge unterhalten hat, was mich auch gar nicht interessiert hätte. Ich wusste von einer Weinlizenz überhaupt nichts. Ich verstehe das heute noch nicht, wie das zugegangen ist und was diese gemacht haben. Ich kann mir auch heute noch nicht vorstellen, wie diese Dinge vor sich gegangen sind oder wie hier überhaupt Unrecht geschehen ist.“18

Ebenso wurde Pfarrer Nabel in der Angelegenheit gefragt, und auch er versicherte, nichts gewusst zu haben. Mr. Verner sei zwar in Konnersreuth gewesen, aber mit Therese Neumann habe er über dieses Geschäft nicht gesprochen. Weiter wurde Pfarrer Naber gefragt, ob Therese im „gehobenen Zustand“ von Plonner befragt worden sei. Die Antwort lautete: „Ich weiß nichts davon.“19 dass Mr. Verner nicht über die in Frage stehenden Dinge gesprochen hat, konnte Pfarrer Nabel nur dann mit Sicherheit aussagen, falls er immer bei den Gesprächen anwesend war. Oder stützt er sich auf die Aussage der Therese? Wenn sie im „gehobenen Zustand“ versichert, nicht zu wissen, ob sie von Plonner gefragt worden sei, hat dann der „Heiland“ nichts gewusst? Worüber soll denn Plonner mit Therese Neumann gesprochen haben, wenn nicht über die Dinge, derentwegen er nach Konnersreuth gekommen war?

Aufschlußreich hierzu ist Steiners Bericht:

„Im allgemeinen war der Kreis der zum erhobenen Ruhezustand Zugelassenen sehr beschränkt. Pfarrer Naber pflegte jedes mal, vor allem dann, wenn er den Betreffenden mit der Ekstatischen allein ließ, vor der ersten Begegnung zu fragen, ob er die Person zulassen dürfe.“20

Hat nun Pfarrer Naber Plonner zugelassen oder nicht? Ferdinand Neumann erklärt, Plonner habe des öfteren im „gehobenen Ruhezustand„ mit seiner Schwester gesprochen:

„Tatsache ist, dass Plonner und Therese (letztere im gehobenen Ruhezustand) des öfteren Aussprachen hatten. Der Inhalt dieser Aussprachen kann heute nicht mehr nach geprüft weiden. Plonner hat die Ausspracheergebnisse möglicherweise in ganz subjektivem Sinne ausgelegt. Er hat es im übrigen immer wieder verstanden, zu Therese ohne Pfarrer Naber zu gelangen und sich Aussagen der Therese Neumann sozusagen erschlichen. ... Ich habe wiederholt erlebt, dass Plonner bei Besprechungen mit anderen Geschäftspartnern Auskünfte, die er auf diese Weise erfahren bzw. sich erschlichen hatte, zur Bekräftigung seiner Verhandlungsführung mißbraucht, damit argumentiert, oder sich sonst wie darauf berufen hat.“ Gefragt, ob er etwas unternommen habe, um Plonner von Therese fern zuhalten, gab er zur Antwort: „Ich habe wiederholt bei Verhandlungen, die Plonner mit Geschäftspartnern geführt hat, festgestellt, dass, wenn Plonner sich mit seiner Meinung nicht durchsetzen konnte, er sich auf angebliche Weisungen aus Konnersreuth berufen hat. Daraufhin habe ich energisch veranlasst, dass dem Plonner keine Gelegenheit mehr zu Aussprachen mit Therese gegeben wird.“

Ganz so überzeugend klingen die Angaben nicht. Wie hätte Plonner ohne Wissen des Pfarrers oder der Eltern Zutritt zur Wohnung der Therese Neumann erhalten können? Wie vermochte er sich Aussprachen zu erschleichen? Zudem hat ja auch Ferdinand Neumann seine Schwester befragt. Plonner gab vor Gericht an, Bedenken gegen den Geschäftsabschluss gehabt zu haben; diese Bedenken habe jedoch sein Freund Ferdinand Neumann zerstreut unter Berufung auf die Auskünfte, die er von seiner Schwester erhalten habe.

Diese Aussagen bezeugen, dass Therese nicht nur falsch beraten hat, sondern dass ihre ekstatischen Auskünfte mit einer übernatürlichen Gabe nicht das mindeste zu tun haben. Ebenso wird durch dieses illegale Unternehmen wirtschaftlicher Art, bei dem Therese Neumann wiederholt als Beraterin tätig wurde, die Behauptung widerlegt, man habe von der Stigmatisierten während der Ekstase lediglich Auskunft erhalten über Probleme, die das Seelenheil betreffen, oder höchstens über solche Projekte, durch die man Christus dienen wollte. Keiner der Beteiligten, über die der Traunsteiner Prozess Auskunft gibt, wollte und konnte mit dem Unternehmen Christus dienen, weil es ungesetzliches Handeln voraussetzte.

Im Zusammenhang mit dem Traunsteiner Prozess gab Pfarrer Naber die Erklärung ab, er frage Therese im „gehobenen Ruhezustand“ grundsätzlich nicht um Auskunft in profanen Dingen22. Über diese Darstellung haben sich vor allem die Bewohner von Konnersreuth sehr gewundert, da sie wussten, „was schon alles gefragt und beantwortet wurde, darunter Dinge, die sehr profan sind“23.

Als Ergebnis muß festgehalten werden: Therese Neumann hat vielleicht nichts davon gewusst, dass die Geschäftspraktiken ungesetzlich waren. Von dem Geschäftsunternehmen selber hat sie ohne Zweifel gewusst, wobei ihr Wissen nicht bloß auf die „ekstatischen“ Auskünfte zurück geht, wie es im Traunsteiner Prozess unwiderleglich nachgewiesen wurde. Wenn sie das bestritten hat, so hat sie wissentlich die Unwahrheit gesagt. Bereits einige Jahre vor Beginn des Weinschiebeprozesses hat sie selber über die Weinimporte gesprochen. Sie wusste beispielsweise, wann die erste Sendung eingetroffen war. In Konnersreuth war bereits Jahre vor dem Traunsteiner Prozess bekannt, dass aus Italien billiger Wein importiert worden war. Ebenso war bekannt, dass mit dem Mehrerlös beim Verkauf in Deutschland die Fabrik in Zwiesel gebaut und finanziert werden sollte. Als jedoch die Sache schief gegangen war, hat Therese bestritten, von all dem eine Ahnung gehabt zu haben. Sie hat sich sogar angeboten, ihre Aussage eidlich zu bekräftigen24. Aber auch das ändert nichts an dem Tatbestand. Der Traunsteiner Prozess hat erwiesen, was von den ekstatischen Auskünften der Seherin von Konnersreuth zu halten ist. Er hat weiterhin gezeigt, wie wenig wahrheitsliebend sie gewesen ist, ein Umstand, der für die Glaubwürdigkeit der Konnersreuther Phänomene doch immerhin von einiger Bedeutung sein dürfte.

2. Briefwechsel

Bei Therese Neumann wurde nicht nur persönlich Rat eingeholt, sondern ebenso schriftlich, wovon die zahlreichen Zuschriften zeugen. So viele Briefe wie Therese Neumann werden nur ganz wenige erhalten haben, aber auch kaum jemand hat so wenige beantwortet wie sie; dabei wandte sich die Mehrzahl der Schreiber an Therese in persönlichen Anliegen. Die von Steiner veröffentlichten Briefe zum Beispiel sind an ihr nahe stehende Personen, Bekannte und Gönner gerichtet. Sie sind ebenso aufschlußreich wie ihr Briefwechsel mit dem zuständigen Bischof, vor allem in der Frage der Nahrungslosigkeit2.

Steiner meint:

„Das innere Leben der Therese Neumann. ..spiegelt sich am klarsten aus ihren eigenen Briefen wider. ... Es ist die innige Verbundenheit mit dem Jesuskind und mit der seligen kleinen Theresia, aber auch die dunkle Nacht des Geistes, die der Mystiker zu durchstehen hat, herauszuhören.“3

Wenn sich in den Briefen wirklich das innere Leben der Therese Neumann am klarsten widerspiegelt, dann ist außer ihnen kaum ein besserer Beweis für die Geisteshaltung einer hysterischen Person zu finden. Ob es um die Schilderung ihrer Krankheiten und die dabei ins rechte Licht gestellte Gottergebenheit und Tapferkeit geht, oder um ihre Gespräche mit dem Jesulein und seine Privatoffenbarungen, ob es sich um die Abwehr drohender Gefahr durch die kirchliche Obrigkeit oder durch Ärzte und Theologen handelt, die es gewagt hatten, ernste Bedenken anzumelden, immer steht die eigene Person im Mittelpunkt. Darüber kann ihre Scheindemut nicht hinwegtäuschen. Eine gesunde Frömmigkeit bedient sich einer anderen Sprache, als wir sie in den Briefen der Stigmatisierten Von Konnersreuth finden.

Nach Steiner liefen in Konnersreuth täglich 200 bis 500 Briefe ein. Wie hat Therese eine solche Flut an Zuschriften bewältigt? Wenn wir im Durchschnitt 400 Briefe für den Tag annehmen, so war an eine Beantwortung nicht zu denken, weil das Lesen allein nicht mehr möglich war. Nehmen wir an, in der Stunde habe Therese 30 Briefe überflogen, dann hätte sie für 400 Briefe mehr als 13 Stunden benötigt. Zwar beteuerte Maria .. Neumann, die Schwester der Stigmatisierten, im Jahr 1932 einem Besucher, Therese lese „alle an sie gerichteten Briefe“4, aber das ist an sich schon unmöglich, um so mehr, als sie oftmals für lange Zeit in Konnersreuth gar nicht anwesend war. Wie hätte sie den angesammelten Stapel von Briefen auf arbeiten können? Dass die Briefe von der Adressatin nur zum Teil gelesen wurden, bestätigt Therese selber. Auf eine entsprechende Frage des Kaplans Fahsel antwortete sie, sie könne „unmöglich“ alle Briefe lesen; meist bitte sie den Bruder oder eine Schwester, ihr die Briefe zu öffnen. Nachts lese sie dieselben, „so weit es möglich“ sei4a.

Gerlich hat sich gegen das Gerücht gewandt, dass Therese die an sie gerichteten Briefe nicht lese, sondern höchstens hin und wieder sich einen Brief vorlesen lasse. Auf Grund seiner eigenen Beobachtungen glaubt er versichern zu können, sie lese nach Möglichkeit die Briefe und schließe diejenigen Absender, die es wünschten, in ihr Gebet ein. Sie empfinde es allerdings als angenehm, wenn ihr jemand die Briefe aufschneide. Freilich, beantworten würde sie die Briefe nicht; denn die Stigmen an der Hand machten ihr das Schreiben schwer. Diese Aussage lässt um so mehr erstaunen, als wir wissen, dass Therese Garten- und Feldarbeit zu verrichten vermochte; um wie viel mehr konnte sie dann Briefe schreiben. Zudem ist bekannt, dass sie sehr langatmige Briefe geschrieben hat, aber nur an Freunde und zur Abwehr drohender Gefahren. Das für sie die Möglichkeit, ihre Post zu bewältigen, einfach aus Zeitmangel nicht bestand, ist einleuchtend, selbst wenn man Boniface glauben dürfte, dass Therese nach ihrer Anbetungsstunde nach Mitternacht in ihrem Zimmer bis gegen 4 Uhr Einblick in ihren umfangreichen Briefwechsel genommen hat6.

Wie zahlreich die täglich einlaufenden Postsachen gewesen sind, beweist auch eine Notiz in der Schrift des Boniface7, die berichtet, dass eines Tages die Gestapo „mehrere Säcke voll, Briefe“ mitgenommen habe.

Wir können uns vorstellen, wie viele Bitten an Therese herangetragen worden sind, von denen sie nichts erfahren hat, weil die Briefe nicht gelesen, wohl aber geöffnet wurden. Man kann sich ebenso vorstellen, dass vor allem amerikanische Sendungen materiell wertvoll gewesen sind. Anfragen der Absender, die den beigelegten Geldbetrag erwähnt haben, beweisen es. dass über diese Sache nicht viel in die Öffentlichkeit gedrungen ist, erscheint verständlich. Einen gewissen Aufschluß gibt jedoch folgende Pressenotiz im Wortlauts. Am 24. April 1930 schreibt der „Tiroler Anzeiger“:

„Therese von Konnersreuth bestohlen. Regensburg, den 22. April 1930. Bei der Regensburger Postdirektion sind in den letzten Monaten Reklamationen über abhanden gekommene Briefsendungen, insbesondere Einschreibesendungen eingegangen. Insbesondere verschwanden zahlreiche Amerikabriefe, die an Therese von Konnersreuth adressiert waren. Die Reklamationen gingen meist von Absendern aus, die an Therese fromme Spenden in Dollarnoten sandten. Der Postbeamte Steinbauer gab an, seit vielen Monaten speziell Überseebriefe, die an die fromme Dulderin gerichtet waren, erbrochen und den Inhalt für sich verwendet zu haben.

Die Höhe der Unterschlagung kann nicht genau festgestellt werden. Therese erhält täglich einige hundert Briefe, worunter sich auch viele Überseesendungen befinden, in welchen Geldnoten als fromme Spenden enthalten sind. Gewöhnlich enthalten diese Briefe 1 bis 10 Dollar. Es wird angenommen, dass Steinbauer mehrere hundert solcher Briefe ihres Inhaltes beraubte, so dass man von einem Schaden von zirka 5000 bis 6000 Dollar sprechen kann.

Therese konnte darüber keine Angaben machen, da sie solche Gaben nur zum geringen Teile für sich und ihre Angehörigen verwendet und den größten Teil solcher Spenden für soziale und religiöse Zwecke überweist.

Steinbauer, der aus dem Postzuge heraus verhaftet wurde, gelang es, in einem unbewachten Augenblick sich zu erhängen.“

Dass solche Geldsendungen an der Tagesordnung waren, darf wohl niemand zum Vorwurf gemacht werden. Aber man sollte auch die Armut der Familie Neumann nicht überbetonen, wie beispielsweise 1932 geschehen ist, als nach Luise Rinser die von den bayerischen Bischöfen verlangte Untersuchung deswegen abgelehnt worden sei, weil niemand die Kosten zu tragen bereit gewesen wäre und auch die Familie Neumann nicht über die nötigen Mittel verfügt habe.

3. Religiöser Gewinn

Im Gutachten von Prof. Martini aus dem Jahr 1928 lesen wir: „Es fällt mir außerordentlich schwer, Betruges hier zu ventilieren, wo ohne Zweifel viele Menschen religiösen Gewinn geerntet haben.“ Therese Neumann beruft sich in ihren Briefen an den Bischof von Regensburg wiederholt auf den Nutzen, den die Kirche durch sie erfahren habe.

Sicher stimmt es, dass nicht wenige Nutzen gezogen haben. Aber das beweist nicht die Übernatürlichkeit all der bekannten Phänomene. Schwärmer aller Art können Nutzen stiften. Auch ein Pfarrer Gaßner hat durch seine „Wunderkuren“ vielen wirklich geholfen. Was er selber in einem Brief ausgesprochen hat, das wurde ihm in einer wahren Flut von Schriften bestätigt: „Es bekehren sich viele Freidenker und Übelgesinnte, ja auch die größten Sünder; und es scheint, das Christentum habe einen außerordentlichen Vorteil erhalten, in dem lebendigen Glauben Wachstum zu machen.“  Und doch waren die Praktiken Gaßners und seine Thesen aus medizinischer und theologischer Sicht unhaltbar.

Der Karmelitenpater Bruno hielt im Jahre 1934 in Wien einen Vortrag. Da erzählt er von einem Mädchen, das im 16. Jahrhundert gelebt hat. Er bringt einen Bericht von Dr. Duval, einem der Oberen der ersten französischen Karmelitinnen. Duval war auch Beichtvater der Madame Acarie, der nachmaligen seligen Mutter Maria von der Menschwerdung. Er erzählt: „Ein junges Mädchen von Reims, namens Nicole Travernier, wurde auf geradezu unerhörte Weise irregeführt. Wohl wurde sie immer wieder auf das genaueste geprüft, sowohl von Geistlichen als von Laien, doch ihr Leben, ihre Worte, ihre Handlungen waren über jeden Zweifel erhaben, sie schien wahrhaft von Gottes Geist bewegt. Sie forderte das Volk zum Gebet und zur Buße auf und beteuerte, dass die Übel, die unter den Regierungen Heinrichs III. Und IV. über Frankreich gekommen waren, ... ihr Ende finden würden. Auf ihr Wort hin wurden in manchen Städten auf Befehl der Behörden Prozessionen veranstaltet, man beichtete und kommunizierte mit größter Andacht. Eine Woge religiösen Eifers ging über das Land. Wie hätte man auf den Gedanken kommen können, dass hier andere Mächte im Spiele seien? Das Mädchen zeigte sich wahrhaft erleuchtet, wie sollte dies nicht von Gott stammen? Sie hatte gewissen Personen auf deren Totenbett Sünden genannt, die sie niemals gebeichtet hatten; künftige Dinge, die Nicole vorhergesagt hatte, trafen pünktlich ein. Ihre Reden waren schön und mit Stellen aus der Heiligen Schrift geschmückt. Sie hatte häufig Ekstasen, Offenbarungen und Gesichte. Einmal legte sich die heilige Hostie von selbst auf ihre Lippen, während der Messe, die ihr Seelenführer las. Tatsache ist allerdings bloß, dass der gute Pater drei Hostien konsekriert hatte und, als er sie den anwesenden Kommunikanten reichen wollte, nur noch zwei vor fand. Kurz, auch große Herren ließen Nicole um ihr Gebet bitten und berieten sich mit ihr über ihre Angelegenheiten. ...Trotz all dieser wunderbaren Begebenheiten beharrte Madame Acarie aber immer auf einem ablehnenden Standpunkt und behauptete, der Geist, der Nicole beherrschte, sei nicht Gottes, sondern Satans; Ekstasen, Offenbarungen und Visionen seien keine sicheren Beweise, sagte sie; denn wenn sie auch Bekehrungen, ja Rettung einzelner Seelen bewirkten, so sei dies eben ein Schachzug des Bösen, der es zufrieden ist, ein wenig zu verlieren, um viel zu gewinnen. ... Die Selige wusste eben recht wohl, wie erfinderisch und trügerisch der menschliche Geist sei und wie groß die Macht des Bösen. Um ganz sicher zu gehen, griff auch sie zu einer List. Sie vertraute Nicole Travernier einen verschlossenen Brief, anscheinend zur Weitergabe an eine andere Person an, in welchem sie aber einige winzige Papierstückchen getan hatte. Als Madame Acarie den Brief zurückverlangte, - da ihn der angebliche Adressat nicht bei Nicole geholt hatte -, waren die Papierschnitzeln nicht mehr darin. Und doch hatte Nicole beteuert, ihn nicht geöffnet zu haben. Auf diese Art wurde die Seherin als neugierig und lügenhaft erkannt. Und als später der Böse sie verließ, wurde sie, wie Duval sagt, ,recht unvollkommen, derb und ungebärdig'.“

Religiöser Gewinn, den Menschen für sich gezogen haben, ist kein Beweis für die Übernatürlichkeit der Konnersreuther Phänomene wie die Geschichte es in ähnlichen Fällen bezeugt.

Wenn es wahr wäre, wie Boniface die religiösen Verhältnisse in Konnersreuth schildert, dann müsste dieses Pfarrdorf unter dem Einfluss der Stigmatisierten ein wahres Muster an Frömmigkeit gewesen sein. „Erzählte man sich doch im Dorf - und dies traf auch ganz genau zu -, dass die Kirche von Konnersreuth an den Wochentagen ihretwegen weitaus besser besucht war als die anderen Kirchen in der Umgebung an den Sonn- und Feiertagen.“3 Was Boniface mitteilt, mag zum Teil stimmen.

Während, der Überwachung im Juli 1927 war die Besucherzahl verhältnismäßig gering, weil die Nachricht verbreitet worden war, es würde in dieser Zeit niemand vorgelassen. Dennoch waren am ersten Beobachtungsfreitag 756 fremde Personen anwesend, unter ihnen 56 Geistliche; am zweiten Beobachtungsfreitag betrug die Besucherzahl 790; unter ihnen befanden sich 60 Priester. „Nach

der Beobachtungszeit hat sich der Besuch so enorm gesteigert, dass die Fremden in Konnersreuth, Waldsassen und Mitterteich nur notdürftig untergebracht werden konnten. ... Die Zahl der am Freitag, dem 5. August, anwesenden Fremden soll über 2500, die Zahl der am Freitag, dem 12. August, anwesenden Fremden nach Schätzung der Gendarmerie über 4000 betragen haben.“4 Ganz enorm war die Zahl der Besucher jeweils am Karfreitag. Im Jahr 1951 wurden ungefähr 8000 Personen gezählt; im Jahr zuvor sollen es gar 13.000 gewesen sein. Wenn schon an einem gewöhnlichen Freitag etwa 50 Priester in der Konnersreuther Pfarrkirche die hl. Messe gelesen haben, dann lässt sich denken, dass eine große Zahl von Fremden zur hl. Kommunion gegangen ist.

Das Urteil über die Nachbarpfarreien ist auf jeden Fall irreführend. Die religiösen Verhältnisse waren und sind dort nicht viel anders als in Konnersreuth. Es wäre auch schwerlich zu begreifen, dass der Einfluss der Stigmatisierten keine fünf Kilometer weit ausgestrahlt hätte.

Auch die Einwohner von Konnersreuth haben ihre guten und weniger guten Eigenschaften, und Pfarrer Naber hat damit rechnen müssen. Als um das Jahr 1955 ein Priester an einem Sonntag in Konnersreuth weilte, musste er während des Gottesdienstes junge Burschen tadeln, weil sie sich hinten am Kircheneingang herumtrieben und Unfug machten. Pfarrer Naber bemerkte das und erkundigte sich. Auf die Mitteilung des Geistlichen erklärte er: „So lange ich in Konnersreuth bin, kämpfe ich dagegen; ich kann ihnen das nicht austreiben.“

Man muß auch den folgenden Bericht des Boniface mit Vorsicht aufnehmen: Mit Rücksicht auf die Sühneleiden und die blutigen Ekstasen der Therese Neumann hätten alle früher stark besuchten Tanzsäle der Gemeinde ihre Tore geschlossen. Selbst die Fastnacht sei seit 1928 in Konnersreuth nicht mehr gefeiert worden, was man bis dahin noch nicht erlebt habe5. - Diese Behauptung ist insofern nicht stichhaltig, als in schweren Zeiten, wie während des Krieges, auch anderswo Lustbarkeiten unterbleiben mussten. Die jungen Leute von Konnersreuth unterschieden sich im übrigen in keiner Weise von ihren Altersgenossen an anderen Orten. Wenn sie nicht in Konnersreuth zum Tanz gingen, so fanden sie auswärts Gelegenheit genug, die Geschwister der Stigmatisierten nicht ausgenommen.

Wenn Boniface den Konnersreuthern nachrühmt, dass in der Pfarrei „beim Angelusläuten alles Leben stillesteht, was heute genau so wie gestern ein jeder mit eigenen Augen feststellen kann“, dann ist auch diese Feststellung eine Übertreibung. Hätte sich Boniface in Nachbarorten informiert, er hätte keinen wesentlichen Unterschied gefunden.

Es sei also nochmals gesagt: Ohne Zweifel ernteten nicht wenige religiösen Gewinn, aber ein Beweis für die Echtheit der Konnersreuther Phänomene ist das nicht, erst recht nicht, wenn Therese Neumann sich selbstgefällig ihrer Verdienste rühmt. Heilige haben das nie getan.

4. Stellvertretende Leiden

Zu den vielfältigen Schmerzen, die Therese Neumann durch die Unzahl ihrer Krankheiten zu ertragen hatte, kommen noch eine Menge von freiwillig übernommenen Leiden für andere hinzu: ihre stellvertretenden Leiden, Schmerzen von oftmals unerträglichem Ausmaß, wie beispielsweise Gerlich bezeugt:

„Im sah sie vor Angst und Schmerz geworfen im Bett .liegen und hörte, wie sie stöhnte: ,Ich kann nimmer, ich mag nimmer.' Als der Pfarrer helfend sagte: ,Aber, Resl, wenn's der Heiland so will!', dann kam die Antwort: , Wenn er es so will, dann will ich's auch. Dann werd's scho recht sei. Denn er ist gut. Aber weißt, es ist ja nimmer zum Aushalten.'“1

Ihre Leidensliebe kannte keine Grenzen.

„Therese Neumanns heroische Haltung drückte sich in der Hingabe aus: ,Heiland, nimm alles, was im zu leiden habe, für andere an, für meine eigenen Fehler will im schon selber im Fegfeuer büßen.' Zu leiden hatte Therese Neumann fast in unmenschlichem Maße. Zu ihren körperlichen Leiden der ständigen Schmerzempfindlichkeit der Stigmen (mit Ausnahme der Osterwoche), der mit empfundenen körperlichen Schmerzen bei den Freitagsleiden, den Schmerzen und Plagen, die ihr Sühneleiden verursachten, kamen die seelischen Leiden: Das Mit-Leiden mit dem Heiland und seiner Mutter, das Mit-Leiden mit den Kranken, mit den Leiden und Gebrechen der Besucher; Pein bereiteten ihr Spötter. ,Heiland, verzeih!', war ihr Wort, wenn sie einen Mann fluchen hörte.“2

Natürlich verschafften ihr auch zusätzliche Pein die Beleidigungen, die gelegentlich gegen sie in den Briefen, die an sie gerichtet waren, ausgesprochen wurden. Steiner weist wohl darauf hin;

aber sehr viele Beleidigungen dürfte sie dort nicht gefunden haben, weil sie ja die Briefe nur ausnahmsweise gelesen hat. Und nach dem, was Boniface über den religiösen Hochstand der Konnersreuther schreibt, wird auch kaum einer geflucht haben.

Über die stellvertretenden Leiden der Therese Neumann bemerkt Aretin:

„Die Sühneleiden der Therese sind zweierlei Art, beide aus überzeugender Nächstenliebe geboren. So übernimmt Therese die körperlichen Leiden irgendeiner Person, ohne dass man häufig die Zusammmenhänge erkennen kann. Da leidet sie die Lungenentzündung eines anderen, die Brandwunde eines dritten mit allen Erscheinungen der Krankheit und der Schmerzen, während der rechtmäßige Träger der Schmerzen augenblicklich geheilt ist. Diese Fälle sind ungemein

häufig.“3

Vom jüngeren Bruder, der an einer schweren Kopfgrippe erkrankt war, die ihn zu jeder weiteren wissenschaftlichen Arbeit unfähig machte, übernahm Therese die Krankheit:

„Er wird gesund, sie wird jedoch von der Grippe befallen, die sie dermaßen angreift, dass sie eine zeitweilige Lähmung der rechten Körperhälfte verursachte.“4

Am 9. Mai 1931 übernimmt Therese rheumatische Beschwerden vom Pfarrer Naber5. In der Nacht geht sie in die Kirche, um sich dem Heiland zur Übernahme des Leidens anzubieten. Am Morgen vermochte sie dann nicht mehr das Bett zu verlassen; erst gegen 9 Uhr konnte sie zur Kommunion kommen. Sie hatte den Rheumatismus gerade dort und mit den Behinderungen, wie sie Pfarrer Naber hatte, nur doppelt so schmerzhaft. Der Pfarrer aber war geheilt.

Um die Wende 1922/23 litt ihr Vater an schwerem Rheumatismus, vor allem in den Armen, so dass er das Schneiderhandwerk nicht mehr ausüben konnte. Da fragte Therese Neumann die hl. Theresia, ob sie das Leiden des Vaters auch noch auf sich nehmen dürfe. Und siehe da, vom nächsten Tag an zog es ihr die linke Hand und den linken Arm so stark nach der Brust herauf und die Hand blieb ein viertel Jahr dermaßen gegen die linke Brustseite gepresst, dass allmählich ein Druckgeschwür entstand. Die Krankheit war auch hier offenbar schwerer als die des Vaters. Dieser wurde nach wenigen Tagen gesund, was jedoch als eine plötzliche Heilung nicht zu bezeichnen ist6.

Ein andermal befreite Therese durch ein stellvertretendes Leiden ihren Vater von einer schweren Darmkrankheit. Teodorowicz überliefert den Hergang im Anschluss an die Erzählung aus dem Munde von Prof. Wutz7. Dieser wandte sich während einer Autofahrt an Therese: „Du könntest auch wirklich die Leiden Deines Vaters, die ihm so zusetzen, auf Dich nehmen.“ „Ist gut„, antwortete Therese, „und ich musste fast lachen„, sagte der Professor, „als sich fast im selben Augenblick darauf ein lautes Knurren in Theresens Därmen hören ließ. Dies war eben eines der Krankheitssymptome bei Vater Neumann.“

Ähnliche Dinge übrigens finden wir häufig bei den Gaßnerischen Heilkuren. Im so genannten Probeexorzismus, wie er das Verfahren bezeichnete, ließ er zum nicht geringen Staunen, aber auch zur kurzweiligen Unterhaltung die Patienten ihre Krankheitssymptome hervorbringen, bevor er dann durch ein Machtwort dem „Satan“ zu weichen gebot, was die Heilung bedeutete. Befeh1sgemäß härte man neben anderen Erscheinungen „Blähungen, die nicht ohne Geräusche abgingen“. - Nach Gaßners Auffassung war es der Teufel, der die Symptome verursachte.

Wie rasch sich Legenden bilden und wie kritiklos sie geglaubt werden, dafür ist ein Beispiel das längst widerlegte und immer wieder neu hervorgeholte Märchen von der Heilung eines Schülers, der Priester werden wollte. Gerlich8, Teodorowicz9, Boniface10 und andere berichten über den gleichen Fall; wenn auch in manchen Punkten voneinander abweichend. Wir folgen zunächst der Darstellung Gerlichs:

„Seit Weihnachten 1922 - der Zeit des Auftretens eines Halsleidens, das uns jetzt beschäftigen muß - hat sie überhaupt nichts Festes mehr gegessen. Ein Gymnasiast aus der Pfarrei, der Theologie studieren wollte, hatte ein Halsleiden bekommen, das ihn zur Aufgabe des Theologiestudiums zu zwingen drohte. Therese Neumann flehte darum, statt seiner das Leiden übernehmen zu dürfen. Denn ,ich taug eh nichts mehr in meinem Leben'. So geschah es auch. Der Student konnte sein Studium fortsetzen. Therese Neumann aber bekam ein Halsleiden, das noch heute besteht. Sie fühlt noch immer ihren Hals wund und hustet manchmal Blut aus. Zumeist ist dies, wie sie mir sagte, morgens der Fall, wo auch Blutbrocken mit Schleim vermischt auftreten. Beim Gurgeln erscheinen Blutfetzen.

Damals zu Weihnachten 1922 konnte sie zunächst zwölf Tage lang keinen Tropfen schlucken. Dr. Seidl erklärte als Ergebnis seiner Halsuntersuchung, die Schluckmuskeln seien gelähmt. Eine Schwellung des Halses bestreitet Therese Neumann und erklärt, sie habe nur nicht schlucken können. Der Hals sei wund gewesen. Am Dreikönigstag 1923 konnte sie das erstemal wieder kommunizieren.„

Vor Gerlich hatte jedoch Therese bereits den Pfarrer Leopold Witt über ihr Halsleiden ausführlich, wenn auch abweichend, informiert. Sie erklärt ihrem „Protokollführer“:

„Ende Dezember um Weihnachten hat sich mein Halsleiden das erste Mal eingestellt. 12 Tage lang habe ich auch nicht einen Tropfen schlucken können. Herr Sanitätsrat Dr. Seidl untersuchte meinen Hals und sagte, der Schluckmuskel sei gelähmt. Der Hals war arg verschwollen und ich konnte nicht schlucken.“11

Von einem stellvertretenden Leiden weiß sie hier noch nichts. Pfarrer Witt gegenüber sagt sie selber, ihr Hals sei arg verschwollen gewesen, im Gespräch mit Gerlich dagegen bestreitet sie eine Schwellung des Halses.

Wieder anders schildert Therese den Beginn ihres Leidens dem Bischof Sebastian von Speyer:

„Dieses Halsleiden erbat sie sich von Gott, um einem jungen Studenten, der sich an sie gewandt hatte, weil er gerne Priester werden wollte, aber von der bischöflichen Behörde zurückgewiesen wurde, weil seine Mutter an einem Halsleiden erkrankt war, auf diese Weise zur Würde des Priestertums zu verhelfen.“12

Dazu ist zu sagen: Wenn die Mutter des Studenten erkrankt war, dann hätte ja Therese ihr helfen müssen. Auf keinen Fall wäre der gesunde Student der kranken Mutter wegen von der kirchlichen Behörde abgewiesen worden.

Mit einer Reihe von Abweichungen schildert das gleiche stellvertretende Leiden Teodorowicz:

„Allgemein bekannt ist ihr stellvertretendes Leiden für einen Seminarkandidaten, dessen Mutter an einem Halsleiden starb. Aus dem, was mir Therese über die Sache sagte, wurde mir nicht ganz klar, ob der Kandidat bereits erkrankt war, oder aber, ob man die Erblichkeit des Falles befürchtete. Und Therese erzählte mir, dass sie selber nahe am Sterben gewesen sei. Sofort wurde sie so stark von der Halskrankheit befallen, dass sie nicht essen, ja nicht einmal Wasser zu schlucken vermochte. Ich konnte mich kaum des Lachens erwehren, als sie mir dabei den kindlichen Monolog wiederholte, den sie damals an den Heiland gerichtet hatte. Dieses fürchterliche Ausmaß an Halsleiden war zu stark für sie gewesen und sie wendet sich vorwurfsvoll an den Heiland, wie ich das schon früher erwähnte: ,Aber Heiland, so arg habe ich es ja auch nicht gemeint!'“

Luise Rinser weiß zu berichten, Therese Neumann habe gebeten, Gott möge das Halsleiden des Jungen auf sie selbst übertragen. Der Junge sei augenblicklich geheilt worden und sie selber habe seit dieser Zeit an Halsgeschwüren und Schluckmuskelähmung leiden müssen. Das sei ihr erster Versuch gewesen, für andere stellvertretend zu leiden.

Eine Woche vor ihrem Tode war Therese zum letzten mal in Eichstätt. Hier erzählte sie Anni Spiegl von ihrem stellvertretenden Leiden für den Theologiekandidaten. Dieser sei schwer krank geworden. Der Arzt habe ein tuberkulöses Halsleiden festgestellt. In seiner Not sei der Student zur Resl gekommen.

„Sie war voll Mitleid mit ihm. Sie bettelte den Heiland, doch ihr das Halsleiden für ihn zu schicken, damit der junge Mann Priester werden könne. Bald darauf erkrankte Resl an schwerem Halsleiden, das sie lange plagte. Der Theologiestudent wurde gesund.“13

Sooft auch Therese von ihrem Halsleiden erzählt, immer wieder schildert sie es anders. Wenn sie sich noch dazu auf Dr. Seidl beruft, von dem sie das eine Mal sagt, er habe Schluckmuskellähmung vorgefunden, das andere Mal, es habe sich um ein tuberkulöses Halsleiden gehandelt, so sagt sie die Unwahrheit. Nie hat Dr. Seidl eine ähnliche Diagnose abgegeben. Im Gegenteil „für die angebliche Schluckstörung ist eine organische neurologische Grundlage nicht aufzufinden„, ist in seinem Gutachten zu lesen14. Bei seinem Vortrag am 4. November 1928 in Amsterdam gab er als wahrscheinliche Ursache „Neurose, nervöse (hysterische) Spasmen im Schlund oder in der Speiseröhre“ an. Eine Klarheit konnte nicht erbracht werden, „weil die Erlaubnis zu einer Röntgenaufnahme nicht gegeben wurde“.

Man vergleiche nun mit den hier zitierten widersprüchlichen Berichten, wie Therese selbst Jahre vor der Mystifizierung des Leidens den Hergang der Krankheit erzählt hat. In einem Brief vom 27. Mai 1923 an die Lehrerin Simson in Pielenhofen lesen wir:

„Ungefähr drei Tage vor Nikolaus bekam ich im Hals eine kleine Lähmung, so dass ich nur Flüssigkeiten nehmen konnte. Ich konnte eben nicht recht schlucken. Sogar die hl. Kommunion musste ich im Wasser nehmen, aber nur ein ganz kleines Teilchen. Dieser Zustand verschlimmerte sich so stark, dass ich den ersten Weihnachtsfeiertag auch nicht ein Tröpflein zu mir nehmen konnte. Dieses dauerte dann 12 Tage. Ich wurde so elend und matt, dass Ich den Durst kaum mehr spürte. Ich glaubte, ich dürfte jetzt sterben; aber welch ein Schmerz sterben ohne den lb. Heiland im Herzen! Dies schien mir unmöglich Der lb. Heiland wollte es auch nicht haben, und so öffnete er mir am Tag vor dem Dreikönigsfest wieder meinen Hals soviel, dass ich wenigstens ein bißchen Wasser schlucken konnte. Dieser Zustand wurde allmählich wieder besser.“15

Therese Neumann wusste offensichtlich damals, als sie mehr als fünf Monate nach den Ereignissen diesen Brief schrieb, noch nicht, dass sie für einen anderen zu dulden hatte und für wen sie litt. Das wusste sie aber auch fünf Jahre später noch nicht, als sie Leopold Witt ihre Angaben machte. Dabei soll sie, wie sie zu späterer Zeit versicherte, freiwillig das Leiden des Schülers beziehungsweise Theologen, der sie aufgesucht und um Hilfe gebeten habe, auf sich genommen haben! Auch die angegebenen Daten stimmten nicht überein, am wenigsten bei Boniface, auf dessen Darstellung nicht weiter eingegangen zu werden braucht. Aus dem erwähnten Brief vom Jahr 1923 geht hervor, dass das schwere Halsleiden schon ungefähr drei Tage vor dem Nikolausfest begann. Auch daraus sieht man, wie wenig wahrheitsliebend Therese ist. Zu dieser Zeit konnte der „Bittsteller“ gar nicht zu ihr gekommen sein, da er beim Studium in Regensburg weilte.

Aber dieses Wunder lässt sich sehr gut widerlegen. Wann zum ersten mal von dem „Wunder“ die Rede ist, lässt sich zwar nicht mehr genau feststellen. Leopold Witt, der sein erstes Buch lange vor den genannten Berichterstattern veröffentlicht hat, erwähnt kein Wort davon. Da die Schrift von Witt im Jahr 1927 erschienen ist, kann die Geschichte nicht vorher erfunden worden sein. Die Stigmatisierte hat dem Pfarrer wohl von ihrem Halsleiden erzählt; von einer Mystifizierung des Leidens ist aber noch keine Rede.

Was aber sagt der „Geheilte“ selber zu dem Wunder? Zunächst heißt es, der eigentliche Wunderkandidat sei ein Priester des Weihekurses 1927 gewesen. Dieser - er levitierte am 12. Juni 1927 einem Konnersreuther Neupriester - wurde auf Grund einer Mitteilung durch Pfarrer Nabel Ende 1927 vom Vorsitzenden der Katholischen Priestervereine Bayerns brieflich gefragt, wie er sich zu dieser Mitteilung stelle. Daraufhin wies er schroff die Zumutung eines Wundergeschehens an seiner Person zurück. Sofort suchte man in Konnersreuth einen anderen

Wunderkandidaten, und man fand ihn. Im Zustand der „gehobenen Ruhe“ wurde Therese befragt, und sie nannte einen anderen Wunderkandidaten, der 1922 noch das Gymnasium besuchte. Im Juni 1931, gerade während der Weiheexerzitien, suchte Prof. Waldmann den nunmehrigen Primizianten auf, und es lässt sich denken, dass diesem die Anfrage peinlich war „aus Furcht und Scheu“ vor Pfarrer Nabel und der Konnersreuther Umwelt“. Obwohl der Primiziant aus der Pfarrei Konnersreuth stammte, hatte sich bisher niemand die kleine Mühe genommen und ihn selbst gefragt. Erst seit Erscheinen des Buches von Gerlich wusste er, dass nunmehr „das Wunder an ihm hängen blieb“. Ebenso entschieden wie der erste Kandidat lehnte auch er ein Wunder an seiner Person ab. - Es wurden also zwei Theologen wunderbar geheilt, ohne dass sie es wussten, und angeblich von einer Krankheit befreit, die so schwer war, dass der Bischof die Priesterweihe verweigern wollte, wie es in der französischen Ausgabe des Buches von Dorsaz heißt. Aber auch davon wusste keiner der beiden etwas, obgleich Therese den zweiten Kandidaten im Zustand der „gehobenen Ruhe“ benannt hatte, einem Zustand, in dem nach Teodorowicz die Auskünfte irrtumslos waren!

Aber auch bei der Befreiung der Stigmatisierten von der stellvertretenden Halskrankheit ging es genauso wunderbar zu wie seinerzeit bei der Heilung des Studenten. Teodorowicz16 erzählt: Am 1. Juli 1931 war er wieder in Konnersreuth. Jetzt erzählte ihm Pfarrer Nabel, dass gerade am Tag zuvor das Halsleiden bei Therese Neumann verschwunden sei; nun könne sie wieder eine ganze Hostie schlucken. Sie hatte „ während ihres Zustandes der gehobenen Ruhe“ ihrer Umgebung früher vorausgesagt, ihr Halsleiden werde so lange dauern, bis jener Student das erste hl. Messopfer feiern werde. Hören wir den Bericht von Teodorowicz:

„Er sollte seine erste hl. Messe am 30. Juni 1931 in Regensburg, um halb 7 Uhr lesen. Sollte sich die Voraussagung Theresens erfüllen, so musste sie an eben diesem Tage gegen 7 Uhr früh von ihrem Halsleiden befreit werden. Unterdessen gingen diese Erwartungen vollständig fehl. Das Leiden stellte sich nicht nur ein, ja es steigerte sich dermaßen, dass Therese kaum zu sprechen vermochte. Drei Stunden später hören die Schmerzen plötzlich und vollständig auf. Therese fühlt sich vollkommen gesund. Die Kehle war ausgeheilt. Was war geschehen? Eines unvorhergesehenen Hindernisses zufolge war die Primiz von halb 7 auf 9 Uhr verlegt worden. Ungefähr um halb 10 Uhr fand die Konsekration statt. Im selben Augenblick genas Therese. Ich sprach mit ihr über diesen Fall. Wie es sich aus dem Gespräch ergab, wusste Therese nichts über die äußeren Umstände ihrer Genesung, ebenso wusste sie nichts von ihrem im Zustande der gehobenen Ruhe gemachten Aussagen. Sie kannte jedoch das Primizdatum ihres Schutzbefohlenen, der ihr sicherlich eine Einladung zu der Feier zukommen ließ. Sie sagte mir, sie wäre darauf vorbereitet gewesen, dass von da ab die Schmerzen zunehmen würden. ,Ich dachte mir', sagte sie, ,dass, wenn ich so viel für ihn leiden musste, wo er erst Kleriker war, wie viel mehr werde ich für den Priester leiden müssen'.“

Dem Bischof von Lemberg erzählte Therese, sie sei am 30. Juni 1931 vollkommen gesund geworden; die Kehle war ausgeheilt“. Als sie im Jahr 1953 von der bischöflichen Kommission in Eichstätt unter Eid vernommen wurde, erwähnte sie von ihrem ehemaligen Sühneleiden jedoch kein Wort, im Gegenteil, sie wusste, zu berichten, dass sie von den Schluckbeschwerden niemals befreit worden sei. Wir hören mit Erstaunen: „Das Schlucken macht mir schon seit Weihnachten 1922 bis heute (bei der hl. Kommunion im gewöhnlichen Zustand) größte Beschwerden.“

Sowohl der Bericht über die Genesung der verhinderten Wunderkandidaten als auch die Schilderung ihrer eigenen Heilung sind also unglaubhaft und widersprüchlich. Der Primiziant feierte seinen ersten Gottesdienst nicht in seiner Heimatpfarrei Konnersreuth, sondern in Regensburg, um möglichen Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen. Aber auch der Gottesdienst fand weder um 6.30 Uhr noch um 9 Uhr statt, sondern um 8 Uhr, weil der Seminarchor auf Ansuchen Unterrichtsbefreiung für diese Stunde erhielt. Es handelt sich demnach nicht um ein „unvorhergesehenes Hindernis“, sondern um eine mindestens seit Tagen beschlossene Sache.

Therese Neumann hat also nachweislich dreimal falsch berichtet, sowohl über die Wunderkandidaten als auch über die Stunde ihrer eigenen Heilung. Dazu gesellen sich noch in einzelnen Angaben nicht wenige widersprüchliche Auskünfte17. Man hätte also erwarten müssen, dass zumindest von 1931 an die ganze Affäre totgeschwiegen würde. Aber das Gegenteil war der Fall. Am 2. September 1931 erklärte Pfarrer Naber in einem Brief an den Regensburger Bischof unter namentlicher Bezeichnung des zweiten Wunderkandidaten: „Das Halsleiden, das sie für den neu geweihten Priester. .., dass er sein Ziel erreichte, 8½ Jahre ertragen, ist unmittelbar, nachdem dieser sein erstes hl. Messopfer gefeiert, plötzlich verschwunden.„ Drei Jahre später wiederholte er dieselbe Behauptung, wobei er dem „Geheilten“ den Vorwurf machte, er habe sich „der Hilfe geschämt und nicht bedankt“. Dem fügt er noch hinzu: „Exzellenz wissen, wie es jetzt mit ihm steht.“18 Das kann nur heißen, der „Geheilte“ sei zur Strafe für die Undankbarkeit wieder am alten Übel erkrankt. Den Grad der Wahrheitsliebe und auch Demut der Therese Neumann beleuchtet die Tatsache, dass sie noch kurz vor ihrem Tod ihrer Freundin Anni Spiegl die alte Geschichte von ihrem stellvertretenden Leiden erzählt hat. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder hat Therese bewusst wiederholt gelogen, oder sie ist mit ihrer von Ärzten konstatierten hysterischen Veranlagung zu entschuldigen, das heißt mit dem Hinweis auf den gröbsten, den nosophilen Typ der Hysterie, der vor allem durch Unwahrhaftigkeit charakterisiert wird.

Schließlich sei noch verwiesen auf einen Bericht des Verfassers der „Konnersreuther Jahrbücher“. Auch er kommt auf einen wunderbar geheilten Theologiestudenten zu sprechen, aber in einer Art, dass man nur von einer Verwandtschaft mit den übrigen Berichten sprechen kann. Lama erzählt:

„Als ich am 27. Juli 1928 in Gesellschaft von Msgr. Malan in Konnersreuth war, erzählte mir Pfarrer Naber: Heute Nacht, während Therese in Ekstase war, fragte sie der Heiland, ob sie bereit sei, das Freitagsleiden für einen Theologiestudenten auf sich zu nehmen, der an Tuberkulose befallen ist und in diesem Fall von der schrecklichen Krankheit gerettet würde. Therese unterwarf sich willig dem Wunsch des Heilandes und nahm die Qualen auf sich, die den Leib des Priesterkandidaten peinigten. Ich war dann Zeuge, wie die Stigmatisierte wirklich die Symptome der Lungenschwindsucht aufwies.“19

Es sei hier lediglich darauf hingewiesen, dass der 27. Juli 1928 ein Freitag war. Therese machte ihre gewohnte Passion mit, ohne zusätzliche Beschwerden. Sollte Gott wirklich die wunderbare Heilung des Todkranken abhängig gemacht haben von der Bereitschaft der Pseudomystikerin, ihr Freitagsleiden aufzuopfern?

War Christus wirklich in seinem Walten von Therese Neumann von Konnersreuth derart abhängig

In einem Brief vom 13. März 1944 an den Bischof von Regensburg kommt Therese unter anderem auch darauf zu sprechen, dass sie ihm selbst und Kardinal Faulhaber geholfen habe. Sie erwähnt, dass sie für die Gesundheit des Bischofs bete und leide, natürlich nicht ohne Erfolg. Dann fährt sie fort:

„Sie wissen doch, wie ich damals in dem schönen Mallersdorf, wo es mir so gut gefallen hätte, erschrocken bin, als ich Sie So krank sah; ich versprach damals Ihrer treu besorgten Pflegeschwester, dass ich ganz besonders für Sie beten und wenn es der lb. Heiland will,

leiden werde, wie seinerzeit für den hochwürdigen Herrn Kardinal, der es spürte. Ich bat den guten Heiland auch so, er solle Ihnen helfen, dass sie es auch spüren. Ich denke, er ließ nicht umsonst bitten. Er half Ihnen doch so gut, die bevorstehenden Firmungsreisen zu halten.“

Lautere Demut spricht aus diesem Schreiben nicht, aber noch weniger Wahrheitsliebe. Was Therese über den Kardinal sagt, ist eine Erfindung, wie es der Brief beweist, den der Kardinal am 13. September 1941 an Regens Westermayr in Freising geschrieben hat:

„In Ihrem Schreiben vom 24. Januar 1941 haben Sie die mir vorher unbekannte Tatsache erwähnt, dass der Besuch der Theresia Neumann im Bischofshofe in München wieder für die Kontroverse ausgeschlachtet wurde. Sie schreiben von einem Brief des Herrn Grabinski an Herrn P. Brühl in Trier, worin mir folgende Worte in den Mund gelegt werden: ,Ich bin der lebendige Beweis für die Wirksamkeit Ihrer Gebete; denn seit Ihrem Besuch ist es von Tag zu Tag besser geworden', Wozu der Brief den folgenden Zusatz enthält: ,Er war so ziemlich aufgegeben; jetzt fungiert er wieder.' Unwahr ist die Behauptung, es sei zwischen dem vorletzten Besuch Theresia Neumanns und dem letzten im Juli 1940 von Tag zu Tag besser gegangen. Gerade in diese Zeit fällt die Verschlimmerung. Unwahr ist auch die Behauptung, ich hätte obige Äußerung getan. Es kann sein, dass ich bei dem kurzen Besuch für ihr Gebet gedankt habe. Ich habe aber, da auch viele andere gebetet haben, niemals im Sinn der obigen Bemerkung gesprochen. Ich verbiete mir, dass immer wieder mein Name öffentlich mit Konnersreuth in Verbindung gebracht wird. Ich ersuche Sie, Obiges Herrn Grabinski wie Herrn Brühl zur Kenntnis zu bringen. Ich muß erwarten, dass Herr Grabinski allen, denen er inzwischen die Tendenzmeldung gemacht hat, auch deren Widerlegung bekanntgebe.“

Sollte Therese nicht erfahren haben, dass der Kardinal keine Hilfe durch ihr Gebet verspürt hat?

Es trifft zu, dass Kardinal Faulhaber lange an die Echtheit der Konnersreuther Phänomene geglaubt hat. Aber das erwähnte Schreiben beweist, dass er mehr und mehr zum Zweifler geworden ist, eine Tatsache, die Therese mit großem Unwillen zur Kenntnis nahm, als sie den Kardinal Ende August 1949 aufsuchte. Zuvor war sie im Hinblick. auf den bevorstehenden Empfang voll „überaus lebhafter Begeisterung“. „Nach der sehr kurzen Audienz“ sagte sie „in mißvergnügtem Tone“, sie habe „ja gar nicht zu ihm gewollt.“21 Ihr Geltungsdrang hatte nicht das sicher erwartete Ziel erreicht. Es war daher nicht nur unklug, sondern auch unaufrichtig, wenn Boniface in seinem Buch über Konnersreuth ein Bild des Kardinals veröffentlichte mit dem Text: „Ein warmherziger Freund der Therese Neumann.“ Aber so ein Bild mit Hinweis auf einen hohen Gönner macht Eindruck. In diesem Sinne ist auch das immer wieder vorgebrachte angebliche Wort des Papstes Pius XII. zu werten: „Laßt doch das Kind in Ruhe!“ In dem Brief, den Dr. Mersmann am 23. April 1952 an den Bischof von Regensburg gesandt hat, wird dieser Ausspruch erwähnt. Am Rande des Briefes steht in Gabelsberger Kurzschrift aus der Hand des Bischofs: „Gerade das Gegenteil ist der Fall.“22

5. Sühneleiden für Lebende

Eine andere Form der Leiden im Dienste der Mitmenschen waren die so genannten Sühneleiden. Hier kann man zwei Arten unterscheiden: Sühneleiden für Lebende und solche für Verstorbene. Für Kranke und Sterbende sowie um Bekehrung von Sündern erduldete Therese Neumann häufig geradezu unmenschliche Schmerzen.

Den Begriff „Sühneleiden“ erklärte sie Dr. Gerlich, wie folgt: „Sich mal! Der Heiland ist gerecht. Deswegen muß er strafen. Er ist aber auch gütig und will helfen. Die Sünde, die geschehen ist, muß er bestrafen. Wenn aber ein anderer das leiden übernimmt, so geschieht der Gerechtigkeit Genüge, und der Heiland erhält Freiheit für seine Güte.“1

Ganz richtig informiert über Strafe und Sühne zeigt sich hier Therese Neumann nicht.

Zu den Sühneleiden, die die Stigmatisierte ertrug, gehört das Mitleiden zur Bekehrung anderer. So litt sie im November 1928 viel für Wien, wo gerade eine große Volksmission abgehalten wurde2. Meist aber wandte sie ihre so geartete Hilfe einzelnen Menschen zu. Auch für Prof. Wunderle, dem sie nicht gut gesinnt war, wollte sie sühnen. Über dieses Sühneleiden für einen Theologen, der nichts anderes angestellt hatte, als dass er kein „Gläubiger“ im Sinne der Therese war, hat Pater Plersch Aufzeichnungen gemacht, die Gerlich veröffentlicht hat:

„Die Aufzeichnungen von P. Plersch über die Unterhaltung zwischen Therese Neumann und dem Pfarrer Naber bei diesem Sühneleiden lauten: Therese Neumann: Die Stimm' hat g'sagt: Der ist drunten, a geistlicher Herr, für den soll i a biss'l leiden. Der hat was getan, dös freit den Heiland net. - Pfarrer: Was hat er getan? Ich frag' nicht, weil ich neugierig bin, sondern weil wir ihm helfen wollen. - Therese Neumann: Der schreibt: Ärchernis gibt es. Er erklärt alles nach seinem Verstand, er möchte einen großen Namen, hat die Stimm' g'sagt. Dös freit den Heiland net. Die Stimm' hat g'sagt: Das muß man ihm sagen, er soll seinem Beruf folgen und das, was ihn nichts angeht, sein lassen; aber er wird schwer von seiner Meinung abgehen. - Pfarrer: Reserl, weißt du dös g'wiß? Hat sie g'wiß so g'sagt? -Therese Neumann: Moanst i lüag die o? Nach einer kleinen Pause fährt sie fort: I soll geduldig aushalten. - Pfarrer: Warum, Reserl? -Therese Neumann: Ja, für dean. Die Stimm' hat g'sagt: Der Pfarrer hält ihn für besser, als er ist. Therese Neumann: Ja, der Herr Pfarrer ist a guater Mo. -Therese Neumann: Die Stimme hat weiter g'sagt: Er hat keine ernste Absicht. (Jetzt folgt im Text von P. Plersch die inhaltlich gleiche und ebenso scharfe Bemerkung über Prof. Wunderle, wie es jene ist, die ich, da ich niemand unnötig verletzen will, auch in dem Gespräch Therese Neumann mit ihm am 28. Juli 1927 auslasse.) Aber: Er erlebt heute - bald - noch einen kleinen Schrecken'“3

Die Stimme hat auch den Auftrag erteilt, man solle Prof. Wunderle von ihrer Erklärung Mitteilung machen, was dann jedoch nicht ausgeführt wurde. Erstaunlich ist, wie lieblos doch die Stimme, das heißt der „Heiland“, war! Die Bemerkung über Wunderle muß sehr verletzend gewesen sein, sonst hätte sie P. Plersch nicht übergangen. Es ist auffallend, wie Therese immerzu ihr großes Anliegen verfolgt: Man müsse an sie glauben! Wer dazu nicht bereit ist, der meint es nicht ernst, der gibt Ärgernis, der betrübt den Heiland. „Gläubige“, wie Teodorowicz und Gerlich, wurden von Therese Neumann ermuntert, schriftlich für sie Zeugnis abzulegen. Prof. Wunderle aber sollte sein lassen, was ihn nichts angehe. Warum wird ihm das Recht abgesprochen, sich mit den aufgeworfenen Problemen zu beschäftigen, ihm, der Theologieprofessor an der Universität in Würzburg war, während es anderen Theologen, wie z. B. Beispiel Prof. Wutz, zugebilligt wurde?

Ein weiteres Sühneleiden hatte Therese auch am Freitag, den 2. Juli 1927, also während der Überwachungszeit im Elternhaus, zu ertragen. Dieses Sühneleiden war in mehrfacher Hinsicht seltsamer Art. Bereits am Vorabend um 18.30 war Prof. Wutz angekommen. Er benahm sich den anwesenden Schwestern Epimachia und Richlinda gegenüber sehr ungehörig. Nicht besser wurden die beiden anderen Schwestern, Godulina und Britonia, am folgenden Tag behandelt. Bevor am Abend Epimachia und Richlinda ihren Wachdienst aufnehmen mussten, kamen sie kurz in das Zimmer der Therese. Die vier Schwestern äußerten sich unwillig über das Benehmen des Professors sowie des Pfarrers, ohne dass Therese ihrer Überzeugung nach etwas gehört haben konnte. Die abgelösten Schwestern entfernten sich. Kaum waren die zwei beobachtenden Schwestern allein, da fing Therese zu jammern an „über Schmerzen in Händen, Füßen, am Kopf und an der Zunge“. Alle Beschwichtigungsversuche halfen nichts, und die Schmerzen steigerten sich immer mehr. Plötzlich horchte Therese nach der rechten Seite hin und sagte, die Stimme habe ihr mitgeteilt: „Du mußt für die vier, die um dich sind, leiden, die sollen den Heiland trösten und urteilen lieblos gegen den H. Pfarrer und dich, die sind dem Heiland geweiht und erkennen die Gnade nicht, die tun dir schön, aber es ist ihnen nicht ernst.“ Sofort wurde Pfarrer Naber geholt, aber seine beschwichtigenden Worte halfen nichts. Während nun die abgelösten Schwestern Epimachia und Richlinda beim Abendessen waren, erschien bei ihnen Schwester Britonia und holte die beiden, indem sie sprach: „Kommt doch mit, ich gehe nicht mehr zu ihr hinein.„ Es war ihr unheimlich zumute. Als die vier Schwestern wieder im Zimmer waren, „tat Therese ganz jämmerlich und redete immer von dem, was ihr die Stimme gesagt habe“. Der Pfarrer hielt ihre Hände, der Vater die Füße; „sie wollte sich immer in ihre Hand beißen“. Unter anderem sagte sie, sie müsse für die vier Personen, die nahe bei ihr seien, leiden. Eine Stimme habe ihr gesagt: „Die vier urteilen lieblos gegen H. Pfarrer und mich. Diese sind innerlich anders gesinnt, als nach außen, sie tun dir schön und es ist ihnen aber anders.“ Immer wieder sagte sie: „Diese vier, welche dem Heiland geweiht sind und ihn trösten sollen, die wollen keine Opfer bringen, auch die Gnaden kennen sie nicht, die ihnen zuteil werden.„ Auch über Dr. Seidl wetterte sie: „Ein Mann“, sagte sie, „der mitten in der Sache steht und um den sich viel dreht, erkennt auch das Walten Gottes nicht. Er legt alles wörtlich aus und glaubt an keine höhere Macht. Er habe sehr viel Menschenfurcht; für diesen muß sie auch leiden, sagt die Stimme.“ Um dem unwürdigen Spiel ein Ende zu bereiten, erklärten die Schwestern, falls sie den Heiland durch Zweifel und Lieblosigkeit beleidigt hätten, möge Therese den Heiland bitten, dass er ihnen verzeihe. Nun blickte Therese wie horchend nach der Seite und sagte dann, die Stimme habe gesagt, der Herr verzeihe ihnen, weil sie bereut hätten; sie brauche nicht mehr zu leiden, und die Schmerzen hörten schlagartig auf. Im Lauf der Nacht, als die beobachtenden Schwestern allein zugegen waren, kam Therese „immer wieder“ auf den Pfarrer zu sprechen; die Stimme, so sagte sie, spreche immer wieder während ihrer Passion zu ihr, „sie solle ja dem Herrn Pfarrer folgen, auch wenn er verkannt würde“. Als merkwürdig bezeichnen die Schwestern, dass das Leiden der Therese erst angefangen hat, als die zwei abgelösten Schwestern bereits wieder auf ihrem Zimmer waren. Zu beachten ist weiter, dass Thereses Verhalten nicht die Folge der Unterhaltung der Schwestern war, sondern von Anfang an Ausdruck der Feindseligkeit gegenüber Dr. Seidl und den Schwestern.

Was war schuld an dem seltsamen Verhalten Thereses am Freitagabend? - Am 18. Juli hatte Therese in einem Brief von fünf Seiten Prof. Wutz zu Hilfe gerufen. Obwohl sie sich vorher den Schwestern gegenüber nicht beklagt hatte, jammerte sie dem Professor in einem „eindringlichen Klagebrief„ ihr Leid vor. Sie beschwerte sich über die „fast rohe Art“ der Schwestern und die „rücksichtslose, vom Mißtrauen diktierte Behandlung„ durch diese. Als Beleg dafür nannte sie: Am 17. Juli ging sie in Begleitung zweier Schwestern in die Kirche. Dort wurde sie ohnmächtig. „Als sie nach geraumer Zeit wieder zu sich kam, fuhr sie eine Schwester an, dass es doch eine unverschämte Zumutung sei, mit einer solchen Person in die Kirche zu müssen sie solle daheim bleiben; sie seien nicht dazu da, um ein solches Gscherr mit ihr zu haben.“ Weiter beklagte sich Therese darüber, des Nachts hätten die Schwestern alle fünf Minuten mit einer Taschenlampe über das zur Wand gekehrte Gesicht geleuchtet. - Ober die Ohnmacht der Therese am 17. Juli gibt das Gruppen-Tagebuch I der Schwestern Aufschluß : Therese überkam eine Herzschwäche, die 25 Minuten dauerte. Als sie wieder zu sich gekommen war, klagte sie über arges Stechen in der Herzgegend und Brechreiz. Sie erholte sich aber wieder und erzählte, dass sie solche Anfälle schon oft gehabt habe, die manchmal stundenlang gedauert hätten. Ihre Schwester Ottilie trug sie nach Hause. - Es lässt sich denken, dass Therese im Klagebrief an Prof. Wutz noch manches andere vorzubringen wusste. Unverzüglich eilte Wutz nach Konnersreuth. Seine Empörung wurde jetzt noch gesteigert durch „konkrete Klagen“ der Therese und des Pfarrers Naber. Man sieht, dass Therese am Freitag abend, dem 22. Juli, absichtlich in Anwesenheit des Professors ein hysterisches Spiel veranstaltet hat4.

Zu dieser Szene sagt Dr. Seidl:

„Betrachtet man inhaltlich den geschilderten Fall, so muß es doch sonderbar erscheinen, dass sie leiden müsse für Schwestern, die lieblos urteilen, nicht aber für den, der durch sein ungehöriges Benehmen den Anlaß zu der gewiß berechtigten Kritik der Schwestern gab. Es mutet außerdem sonderbar an, dass die Stimme wohl sagte, sie müsse dem Herrn Pfarrer folgen, auch wenn er verkannt würde, dass die Stimme aber meines Wissens nie sagte, dass sie dem Oberhirten in seinen zur Klärung der ganzen Angelegenheit getroffenen Anordnungen Folge leisten müsse.“5

Als am 23. März 1928 der Bischof von Regensburg mit seinen Begleitern Konnersreuth verlassen hatte, da musste Therese am Abend „rasende Schmerzen in der rechten Schulter für jemand, der an diesem Tage da gewesen war und, wie sie sagte, die Schulterwunde nicht anerkennen wollte“, ertragen. Die Schuldigen waren die Besucher, die von einer Schulterwunde nichts bemerken konnten, weil sie einfach nicht da war. Trotzdem musste Therese für die „Ungläubigen“ büßen, weil wohl das Nichtanerkennen der fehlenden Wunde sündhaft gewesen sein müsste. Aber wo liegt hier tatsächlich eine Schuld und die Verpflichtung zu sühnen? Hatte Therese tatsächlich rasende Schmerzen zu ertragen? Was sollten sie bezwecken? Sollte damit die „Sünde der Nichtgläubigen“ getilgt oder sollten sie zum Glauben an die nicht vorhandene Wunde geführt werden?

Zweifel an den Vorgängen in Konnersreuth war nach Thereses Darstellung Sünde, wofür sie büßen musste:

„Ein anderes Mal war ihr recht hart, weil sie fühlte, dass jemand Bekannter sich recht abfällig gegen das äußere Wirken des Heilandes hier äußere. Einige Wochen hernach erzählte ein Herr, er sei mit jemand, der Therese wohl bekannt sei, zusammen gewesen, und der habe sich recht abfällig über hier geäußert. Es wurde festgestellt, dass dies zu gleicher Zeit gewesen, in der Therese so hart gewesen war. Dergleichen gibt Therese Anlaß, für die Betreffenden besonders zu beten und zu leiden.“7

Das hat sie allerdings nicht getan für den von ihr als „scheinheiligen Menschen“ bezeichneten Arzt Dr. Deutsch, offenbar weil sie begriffen hatte, dass er nicht zu blenden war.

Laut Aussage des Tagebuches, das Pfarrer Nabel führte, ertrug Therese in den Fastnachtstagen 1931 hauptsächlich bei Nacht zur Sühne der Fastnachtssünden schwere Leiden, vor allem „Kopf-, Augen-, Füßeweh und Durst und Teufelsplagereien“. In diesen Tagen soll sich, so verkündete die „Stimme“ im erhobenen Ruhezustand, der Mann bekehrt haben, der zuvor an Therese Neumann eine Spottkarte geschrieben hatte8. - Die geschilderten Fastnachtsleiden entsprechen wohl den Fastnachtssünden.

Da in Konnersreuth jedoch den Angaben gemäß Fastnacht nicht mehr begangen wurde, müsste Therese nur für Auswärtige gelitten haben.

Die geschilderten Krankheiten, so meint man, hätten die Angehörigen in nicht geringen Schrecken versetzen müssen. Das war jedoch nicht der Fall, da man doch aus Erfahrung wusste, dass nichts schiefgehen konnte. Zudem forderte Therese, falls ihre Leiden besonders gefährlich schienen, die Angehörigen auf, nicht zu erschrecken. „Daher wird oft, wenn sie zu erkranken scheint, nicht der Arzt gerufen. Letzthin erkrankte sie an doppelseitiger Lungenentzündung, die sich rasch verschlimmerte, dass ihr Tod befürchtet werden mußte. Plötzlich war sie jedoch wieder gesund, nachdem die Person, für die sie litt, die erflehte Gnade erhalten hatte. Es war ein Sühneleiden.“9 - Das Auftreten und plötzliche Aufhören der Lungenentzündung müsste ein Wunder gewesen sein. Erstaunlich ist nur, wie die Diagnose gestellt werden konnte, da kein Arzt gerufen wurde.

Ein weiteres Beispiel sowohl für den Erfolg der Sühneleiden als auch für die vorgeblichen medizinischen Kenntnisse von Thereses Umgebung, entnommen dem Tagebuch von Pfarrer Naber10, sei hier angeführt: In der ersten Augustwoche 1928 duldete Therese schwer an einer durch Insektenstich verursachten Blutvergiftung für einen Priester, der kurze Zeit zuvor gebeten hatte, ihm aus der Leidenschaft der Trunksucht herauszuhelfen. Etwa zwei Wochen darauf, weil der Priester sich nicht besserte, setzte sich das Gift in zwei Geschwüren zusammen, davon eines in den Gedärmen, das andere außen an der linken Seite. Am 20. September erscheint jener Geistliche in Konnersreuth. Dass er von seiner Sucht geheilt war, wird nicht angegeben.

Dass eine durch einen Insektenstich verursachte Blutvergiftung sich in zwei Geschwüren an verschiedenen Stellen auswirkt, ist schwerlich anzunehmen, zumal da das eine Geschwür seinen Sitz in den Gedärmen gehabt haben soll. Wie hätte man auch wissen sollen, dass ein Darmgeschwür vorlag? Eine so schwierige Diagnose vermag nicht einmal ein Arzt auf Anhieb zu stellen.

Etwas ausführlicher als Pfarrer Naber schildert das gleiche Sühneleiden für einen dem Trunk ergebenen ausländischen Priester, der in einem Anfall von Verzweiflung Gift genommen hatte, Lama:

„In gleicher Weise wie dieser erlitt Therese während einer Woche sechsmal alle Stadien der Vergiftung am ganzen Körper. .. .Aus einem der beiden Geschwüre, in der sich der Giftstoff im Körper Thereses besonders zusammenzog, ergoß sich etwa ein Liter übelriechenden Eiters von einem zweiten Geschwür sagte sie, am 30. August, einem Donnerstag, es werde am Samstag um 10 Uhr im Rücken aufbrechen, was auch richtig eintraf. ... Zur angesagten Stunde brach das Geschwür auf, und es floß eine unglaubliche Menge Eiter aus.“11

Man stelle sich vor: Ein Geschwür, das einen Liter Eiter enthält! Dazu noch ein zweites Geschwür mit einer unglaublichen Menge Eiter! Für dieses medizinische Wunder werden leider keine Zeugen angeführt.

Den wohl unverständlichsten Fall von Sühneleiden hat Fahsel überliefert:

„Eines Morgens wurde dem Pfarrer aus dem ekstatischen Zustand der Ruhe heraus gesagt: ,Heute nachmittag wirst du zur Resl gerufen werden.' Am Nachmittag erschien ihr Vater im Pfarrhaus: ,Herr Pfarrer, kommens' nur mal rüber, i weiß net, die Resl liegt daheim auf dem Sofa und stöhnt und hat so großen Durst. Und merkwürdig, aus ihrem Mund riecht's wie nach Alkohol. Ja, das ganze Stüberl riecht danach. Was dös ist?' Der Pfarrer ging hinüber und roch dasselbe. Nach einiger Zeit kam Therese zu sich, und alles war wieder gut. Später stellte es sich heraus, dass zur selben Zeit eine bestimmte Person in einer anderen Stadt eine innere Erschütterung erlebte und sich seitdem vom Laster der Trunksucht befreit fühlte. Zugleich hatte die betreffende Person eine auffallende Stärkung im Glauben und in der Liebe Christi.“12

Eine merkwürdige Szene! Woher kommt der Alkoholgeruch Wenn man nicht annehmen will, dass Therese Alkohol getrunken oder solchen im Zimmer versprüht hat, dann müßte man an ein göttliches Einwirken denken. Aber wer kann glauben, dass jemand dadurch, dass er selber einen Rausch hat, einen anderen von der Trunksucht befreien kann, ja dass er ihn dadurch im Glauben und in der Liebe zu Christus zu stärken vermag Diese Alkoholszene war durchaus kein Einzelfall, wie Boniface erfahren hat:

„Sehr oft vergegenwärtigt Therese in ihren Sühneleiden die typischen Merkmale des Gewohnheitslasters, dem die Person frönte, für , die sie leidet. Oft wurde berichtet, dass, wenn sie für einen Säufer sühnt, sie den Anschein einer Betrunkenen erweckt und sogar eine Flüssigkeit erbricht, die einen bitteren Dunst von Fusel von sich gibt. Ihr Zimmer erfüllt sich dann mit den üblen muffigen Gerüchen von Trinkgelagen; ihre Hausgenossen werden dadurch belästigt und müssen die Fenster öffnen.“13

Auch diese Szene scheint sehr bedenklich und kann sicher nicht als mystisches Phänomen bezeichnet werden. Niemand.,erbricht alkoholischen Fusel, wenn er nicht vorher diesen getrunken hat. Im übrigen findet dieses Ereignis eine durchaus natürliche Erklärung in der Mitteilung eines Pfarrers an das Bischöfliche Ordinariat in Regensburg, in der es heißt: „Die Resl hat Schnaps gebrannt, angeblich für den Pfarrer von Konnersreuth.“14

Da immer wieder versichert wird, in Therese Neumann blieb die Hostie unaufgelöst gegenwärtig bis zum nächsten Kommunionempfang, erhebt sich weiterhin die Frage, wieso mit dem Fusel nicht auch die Hostie erbrochen wurde, was ja gelegentlich geschehen sein soll. - Boniface erklärt, die Stigmatisierte habe bei ihren Sühneleiden die typischen Merkmale des Gewohnheitslasters gezeigt, dem die betreffende Person, für die sie sühnte, gefrönt habe. Nun gibt es viele Laster. Welche Folgerungen da gezogen werden müssten, ist nicht auszudenken.

Kann man Dr. Deutsch widersprechen, wenn er im Blick auf das von Fahsel überlieferte Sühneleiden schreibt:

„Da muß man sich doch darüber klar sein, dass es sich bei dieser, man verzeihe mir das Wort, ,Schnapsmystik', nicht um ein Wunder Gottes zu seiner Verherrlichung handelt, sondern um die Ausgeburt eines hysterischen Weibergehirns.“15

Nicht einmal das Gotteshaus von Konnersreuth wurde von Äußerungen dieser „Schnapsmystik“ verschont. Am Fastnachtsdienstag 1927 musste sich Therese, die doch angeblich keinerlei Speise zu sich genommen hat, in der Kirche heftig erbrechen. Das Erbrochene verbreitete im Gotteshaus einen widerlichen Geruch nach Bier und Branntwein, der mehrere Tage hindurch noch festgestellt werden konnte. Die Mystikerin gab dazu die Erklärung ab: Falls die Leute merkten, dass sie ihrer Trunksucht wegen leiden müsse, würden sie das unmäßige Trinken aufgeben16. - Man darf wohl kaum annehmen, dass die Trunkenbolde von Konnersreuth so fromm waren, dass sie gleich nach ihren ausgiebigen Gelagen am Fastnachtsdienstag in den nächsten Tagen in die Pfarrkirche gegangen sind, um sich durch den Schnapsgeruch bekehren zu lassen. Eher wäre zu erwarten, sie hätten sich in ihrem Verhalten bestärkt gefühlt.


Nächstes Kapitel

Vorheriges Kapitel

Zum Inhaltsverzeichnis


Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Verfassers wieder.

Adresse für technische Anfragen

Letzte Änderung: 26. Dezember 2002