Konnersreuth als Testfall

IX. Stellung zur Eucharistie

1. Besuch der hl. Messe und Kommunionempfang

Seit urchristlicher Zeit ist in der Katholischen Kirche die hl. Eucharistie Mittelpunkt und Quelle des religiösen Lebens. Für die Stigmatisierte von Konnersreuth soll Christus in der hl. Hostie nicht bloß Quelle des religiösen Lebens gewesen sein, sondern auch Quelle des leiblichen Lebens. Da sie den Versicherungen gemäß nahrungslos gelebt hat, war ihre einzige Speise Christus unter der Gestalt des Brotes. Ohne täglichen Kommunionempfang, hieß es, wäre sie nicht am Leben geblieben.

Wie oft Pfarrer Naber Therese Neumann vor der Stigmatisation die hl. Kommunion gereicht hat, ist unbekannt. Ende 1924 kommunizierte sie bloß wöchentlich einmal, nämlich jeweils am Freitag (1). Seit dem Frühjahr 1926 hat sie offenbar täglich kommuniziert. Aber schlechthin unbegreiflich ist, daß sie die Feier der hl. Eucharistie, das hl. Meßopfer, durchaus nicht hoch eingeschätzt hat. Sie nahm nicht regelmäßig an der Meßfeier teil. Hier sei erinnert an ihren Brief vom 16. Juni 1925 an eine ehemalige Schulkameradin, in dem sie von vielen ausgedehnten Spaziergängen, von ihren häuslichen Arbeiten und vom nachmittäglichen Kirchenbesuch spricht. Aber die hl. Messe hat sie bloß am Sonntag besucht, und die hl. Kommunion mußte ihr Pfarrer Naber auch dann noch auf ihrem Zimmer reichen. Als Grund für dieses Verhalten gibt Therese an, sie gehe nicht gern unter die Leute und in der Kirche sei es ihr zu kalt. Diese Aussage machte Therese bemerkenswerterweise Mitte Juni, in der wärmsten Zeit des Jahres!

Nahezu unglaublich scheint es, wenn man hört, daß die Stigmatisierte von Konnersreuth nie während der Fastenzeit den Gottesdienst in der Kirche besucht hat. Der Konnersreuther Benefiziat Härtl schreibt in seinem Bericht vom Jahr 1930: In den Tagen der Fastenzeit kommuniziert sie "durchwegs" zu Hause. Daß sie nie die hl. Messe besucht hat, läßt sich tatsächlich nachweisen für die vorausgegangenen wie auch für die folgenden Jahre. Für alle fahre vor 1930 wird als Entschuldigungsgrund Krankheit angegeben. Im Jahr 1928 zudem wußte Therese bereits am 12. Februar während einer Ekstase zu verkünden, sie werde von jetzt ab bis zum Karsamstag einschließlich nicht mehr die Kirche besuchen (2). Im Jahr 1931 vermochte sie seit Beginn der Fastenzeit "das Haus nicht mehr zu verlassen". Im folgenden Jahr wird nach Beendigung der Fastenzeit rückschauend bemerkt:

"Schwer, wie noch in keiner Zeit, hatte in der heurigen Fastenzeit Therese Neumann zu leiden gehabt." (3)

Daß die Stigmatisierte von Konnersreuth nie während der Fastenzeit die hl. Messe in der Kirche besucht hat, beweisen die regelmäßig an den Bischof gerichteten Gesuche, in denen um die Zelebrationserlaubnis auf ihrem Zimmer gebeten wurde. Im Gesuch vom 14. März 1939 erbat Therese eine ein- oder zweimalige Erlaubnis zur Meßfeier auf ihrem "schönen Hausaltärchen". Daß bereits in den vorausgegangenen Jahren solches gestattet worden war, zeigt der Zusatz im Brief: "wie früher". Am 26. März 1941 schrieb sie dem Bischof, er möge gestatten, daß "wie in den Vorjahren" am Palmsonntag in ihrem Zimmer die hl. Messe ,gefeiert werden dürfe. Als Begründung für ihr Gesuch gibt Therese an, sie sei seit längerer Zeit krankheitshalber nicht mehr in der Kirche gewesen. Im folgenden Jahr wurde nach Ansuchen ein- bis zweimal die Meßfeier gestattet; für den Fall, daß ein Sonntag gewählt wurde, durfte auch biniert* werden. Im Bittgesuch am 13. März 1944 beruft sich Therese nicht einmal auf eine Krankheit als Entschuldigungsgrund. Sie schreibt lediglich:

"Möchte Sie demütigst bitten, heuer doch wieder wie früher zu erlauben, daß wenigstens einmal die hl. Messe in meinem Zimmer in der hl. Fastenzeit gefeiert werden dürfe."

Sie bittet für den Fall der Genehmigung zudem um Binationsvollmacht für den zelebrierenden Priester. Die Erlaubnis zur Feier der hl. Messe wurde gegeben. Binationsvollmacht wurde jedoch unter Berufung auf eine entsprechende kirchenrechtliche Bestimmung nicht erteilt. Trotzdem taucht die Bitte um Binationsvollmacht gleich im folgenden Jahr wieder auf. Diesmal reichte das Gesuch der Pfarrer von Konnersreuth ein, weil Therese in der Fastenzeit, "ihrer Hauptleidenszeit", das Haus nicht verlassen könne, da sie gerade an einer Lungenentzündung leide; falls der erwartete auswärtige Priester am Passionssonntag nicht erscheinen könne, möge dem Pfarrer die Binationserlaubnis gegeben werden. Die Feier einer hl. Messe wurde für den Passionssonntag gestattet, und zwar in einem dem Krankenzimmer "anstoßenden Raum"; die Binationsvollmacht wurde wiederum verweigert mit Berufung auf das Kirchenrecht, das eine solche Ausnahme nur für den Fall gestattet, daß ein beträchtlicher Teil der Gläubigen die Pflichtmesse nicht hören könne. Ferner wurde auf das Kirchenrecht (Can. 822 § 4e) hingewiesen, in dem es heißt:

"Niemals kann die Erlaubnis gegeben werden, die hl. Messe im Schlafzimmer zu lesen."

Im Jahr 1948 wurde die Feier der hl. Messe "im Zimmer der Therese Neumann" gestattet. Im Ansuchen des Pfarrers wird als Begründung angegeben:

"Seit Beginn der Fastenzeit ist Therese Neumann äußerst schwer leidend. Venenentzündung mit Embolie, Grippe, Lungenentzündung, Gelenkrheumatismus, Gallen- und Herzbeschwerden foltern sie. Sie kann zur Zeit nicht schreibend."

In den folgenden Jahren reichte wieder Therese selber die Gesuche ein, so im Jahre 1949; als Ort der Meßfeier wird ihr Zimmer angegeben, das zugleich Schlafzimmer war. Als Begründung trägt Therese vor:

"Ich kann nicht in der Kirche der hl. Messe beiwohnen. Das Freitagsleiden ist wieder wie alle Jahre, und zudem bin ich auch noch so leidend."

Am 28. März 1950 teilte der Generalvikar dem Pfarramt von Konnersreuth mit, die kirchlichen Vorschriften betreffs Zelebration der hl. Messe in Privaträumen seien neuerdings wesentlich eingeschränkt worden; im Schlafzimmer sei die Feier der hl. Messe verboten. Wörtlich heißt es weiter:

"Wenn Frl. Therese Neumann schwer leidend ist, so daß sie nicht zur nahen Kirche gehen kann, ist sie vom Anhören der hl. Messe dispensiert, wenn aber dazu fähig, soll sie anderen Gläubigen gegenüber kein Sonderrecht beanspruchen."

Im Jahr 1953 wurde das Gesuch vom Direktor des Erholungsheimes Spindlhof bei Regenstauf über die Schwester Florentiana an den Bischof weitergereist. Die Bittstellerin beruft sich auf das schwere Freitagsleiden und andere Krankheiten. Sie bemerkt auch, der Bischof selber habe früher den Passionssonntag empfohlen; er möge, "wie immer schon", die Meßfeier auf ihrem Zimmer "auf dem schönen Hausaltar" gestatten. Auf ihr schweres Leiden beruft sich Therese ebenfalls im Gesuch des folgenden Jahres. Im Gesuch des Jahres 1955 um Genehmigung der Meßfeier auf ihrem "Stübchen auf dem schönen Hausaltar" spricht sie von einer Erkrankung, die ihr bereits seit etlichen Wochen vor dem Aschermittwoch zusetze. Auch im Bittgesuch des folgenden Jahres ist die Rede von einer Erkrankung, die ihr bereits seit etlichen Wochen vor dem Aschermittwoch zu schaffen mache. Ebenso ist im Bittgesuch des folgenden Jahres die Rede von einer vor der Fastenzeit einsetzenden Krankheit. Das Bittgesuch, das am 3. Fastensonntag des Jahres 1957 abgefaßt wurde, beginnt mit den Worten:

"Da die Leidensfreitage wieder begonnen, wo ich die hl. Messe nicht besuchen kann, möchte ich Sie bitten, daß Sie gütigst, wie alle Jahre, wieder erlauben, daß am Passionssonntag die hl. Messe in meinem Zimmer auf dem schönen Hausaltar gelesen werden darf."

Therese gibt als Grund für die Unmöglichkeit, den Gottesdienst in der Kirche besuchen zu können, keine Krankheit an, sondern bloß die Leidensfreitage. Es ist unbegreiflich, warum sie an den übrigen Tagen nicht die hl. Messe besuchen konnte. Obwohl bereits wiederholt die Bittgesuche um Binationsvollmacht abgelehnt worden waren, erbittet Therese im Jahr 1959 für Pfarrer Naber diese Erlaubnis; diesmal wurde sie gegeben, und zwar mit dem Vermerk, "im Zimmer der Therese Neumann". Im Bittgesuch vom 2. März 1960 um die Zelebrationserlaubnis auf ihrem Zimmer "auf dem schönen, würdigen Hausaltar" ist nicht die Rede von einer Erkrankung; es heißt nur: "In der hl. Fastenzeit sind die Leidensfreitage wieder schwer, so daß ich nicht in die Kirche zur hl. Messe kann." Das Gesuch wurde wie früher genehmigt, jedoch mit dem Zusatz: "Nicht auf dem Schlafzimmer." (4)

Was sagen diese Gesuche aus Trotz der Hinweise seitens des bischöflichen Ordinariats auf die kirchenrechtliche Bestimmungen heißt es in den Gesuchen regelmäßige: "In meinem Zimmer" Offenbar hat sich der Pfarrer von Konnersreuth an die Anordnungen nicht gehalten. Ferner ist damit bewiesen, daß Therese, mit einer einzigen Ausnahme, in keinem Jahr während der Fastenzeit eine hl. Messe besucht hat. Vom Ostersonntag an aber war sie plötzlich vollkommen gesund und hat dann ihre gewohnte Frühjahrsreise angetreten. Gibt es Krankheiten, die sich regelmäßig nur in der Fastenzeit einstellen? Können das organische Krankheiten sein?

War Therese wirklich krank? Therese Neumann hat auch sonst die hl. Messe häufig versäumt, obgleich Boniface im Jahr !938 versichert, Therese habe seit dem 19. November 1926 nicht die geringste Erkrankung, ausgenommen einige Schnupfen und Grippen" zu erdulden gehabt (5). Wenn wir nicht annehmen wollen, Boniface habe seine Behauptung frei erfunden, dann muß er doch wohl in Konnersreuth entsprechend informiert worden sein. Aber nehmen wir einmal an, Therese sei jedes Jahr während der Fastenzeit so geschwächt gewesen, daß sie den Gottesdienst nicht besuchen konnte, wieso vermochte sie gelegentlich trotzdem zu verreisen? Anni Spiegl lernte Therese in Eichstätt kennen, und zwar an einem Freitag während der Fastenzeit. Spiegl gibt zwar das Jahr nicht an, aber aus dem Zusammenhang ergibt sich wohl das Jahr 1932. "An einem Freitag in der Fastenzeit" wurde Anni Spiegel durch Prof. Wutz aufgefordert, in seine Wohnung zu gehen, wo sie beobachten konnte, wie Therese die zwei letzten Stunden des Freitagsleidens ertrug" (6). Am 4. Fastensonntag des Jahres 1938, am 27. März, unternahm Therese Neumann eine längere Autofahrt. Auf dem Wege zwischen Eichstätt und Wasserzell begegneten ihr zwei Priester: Dr. Rudolf Graber, der heutige Bischof von Regensburg, und der damalige Primiziant Alois Ederer aus Regensburg. Therese ließ anhalten, stieg aus dem Auto und unterhielt sich mit ihnen. Der Primiziant überreichte ihr bei dieser Gelegenheit ein Primizbildchen. Therese Neumann hat sich ebenso während der Fastenzeit in anderen Jahren nach Eichstätt begeben und dort an Freitagen ihre gewohnten Ekstasen erlebt. Darauf weist schon eine Bemerkung hin, die Anni Spiegl in ihrem Buch bringt: "Die Karfreitagsjäckchen und Kopftücher wurden nicht gewaschen diese hat Ottilie aufgehoben." Die blutgetränkten Tücher sandte Anni Spiegl nach dem Tod der Haushälterin von Prof. Wutz, im Jahr 1959, nach Konnersreuth. Auf eine entsprechende Anfrage erhielt der Verfasser dieser Schrift am 30. Mai 1969 folgende Mitteilung:

"Fräulein Anni Spiegl erklärt, daß Therese Neumann sich wiederholt während der Fastenzeit in Eichstätt aufgehalten habe und sie Zeugin der Leidensvisionen gewesen sei. Dagegen sei Therese Neumann gegen Ende der Fastenzeit (also vor allem am Karfreitag) jeweils in Konnersreuth gewesen:"

Aus der Tatsache daß Therese Neumann in Konnersreuth während der Fastenzeit so krank war daß sie die heilige Messe nicht besuchen konnte, gleichzeitig aber nachgewiesene Autofahrten unternommen hat, ist zu schließen, daß ihre Wertschätzung des Altarsakraments keinesfalls der einer echten Katholikin, geschweige denn einer Heiligen entspricht.

Wie erschreckend gering Therese Neumann das hl. Meßopfer eingeschätzt hat, läßt ein Artikel im "Altöttinger Liebfrauenboten" vom 13. Januar 1929 erkennen. Dort wird bemerkt:

"In den beiden letzten Jahresmonaten konnte Therese Neumann an den Werktagen nur äußerst selten zur hl. Messe in die Kirche kommen. Schuld daran waren die schweren Sühneleiden, die sie für andere zu bestehen und freiwillig auf sich genommen hatte. Nur an einem Tage der Woche setzte dasselbe gewöhnlich aus. Sie kommunizierte in dieser Zeit immer erst zwischen Wie fragwürdig diese "Sühneleiden" als Ersatz für den Besuch der hl. Messe sind, wurde bereits erwähnt. Als weiterer Grund für ihr Verhalten dürfte gelten, daß Therese in der kälteren Jahreszeit offenbar nicht gern die Kirche aufsuchte, obwohl sie dort einen gepolsterten und geheizten Stuhl hatte. Als Entschuldigungsgrund führte sie neben Sühneleiden eine Krankheit an. So ging sie nach ihren eigenen Worten um die Wende 1938/39 "in der hl Weihnachtszeit sehr wenig in die hl. Messe" und klagte über "Herzschwäche und Gelenkrheumatismus" (8)

Auch sonst blieb Therese oftmals wegen Unpäßlichkeit oder Müdigkeit am Vormittag im Bett oder auf ihrem Zimmer, vor allem, wenn ein "Sühneleiden" vorausgegangen war. Falls sie den ganzen Tag nicht aufstand, brachte Pfarrer Naber die Kommunion. Sonst vereinbarte er mit Therese die Zeit, wann er in die Kirche kommen und ihr die Kommunion reichen sollte.

Die Müdigkeit, die Therese vom Besuch der hl. Messe abhielt, war oftmals verursacht durch die Erledigung von Postsachen. Nach ihren eigenen Angaben ist sie zu diesem Zwei bis nachts ein, zwei oder gar vier Uhr aufgeblieben, um Briefe zu lesen oder zu schreiben. Im Vergleich hierzu ist von Heiligen oft zu lesen, daß sie sich trotz schwerster Erschöpfungszustände in die Kirche geschleppt haben, um dem Gottesdienst beiwohnen zu können. Die Stigmatisierte von Konnersreuth dispensierte sich sehr weitherzig von dieser Pflicht eines Christen, weil ihr die Teilnahme an der hl. Messe offenbar Nebensache war. Darauf weist unter anderem der Bericht von Ackermann hin:

"Auf die Frage von Pfarrer Naber, ob ich Gelegenheit habe, Resl die hl. Kommunion zu geben, sagte er, das käme sehr selten vor, daß dies ein fremder Priester tue, zudem da man meist nicht wisse, zu weiter Zeit Resl kommuniziere Resl fühle nach der hl. Kommunion die eucharistische Gegenwart des Heilandes bis zum folgenden Tage des Vormittags. Dann höre sie auf. Resl fühle sich dann matt und komme dann wieder zur hl. Kommunion, die sie dann wieder stärke." (9)

Als der Ingenieur Ludwig Dietz aus Diesburg in der ersten Augustwoche 1937 in Konnersreuth weilte, hat Therese Neumann "an zwei verschiedenen Tagen etwa um 12.30 mittags die hl. Kommunion hinter dem Altare der Kirche empfangen" (10). Aus den Angaben des Pfarrers und des Ingenieurs Dietz geht hervor, daß Therese Neumann wenig Interesse am Besuch der hl. Messe hatte.

Bei der eidlichen Vernehmung im Jahre 1953 versicherte Therese, ihre Eltern hätten ihre Kinder vor allem zur Erfüllung der religiösen Pflichten angehalten; als erstes nennt sie den "täglichen Besuch der hl. Messe". Wenn Therese später als "Gottbegnadete" die hl. Messe geradezu mißachtet hat, dann muß man von einem in der Geschichte der Mystik einmaligem Fall sprechen, denn die Gnadengaben einer Stigmatisierten haben weder zur Vertiefung der Frömmigkeit noch zu einer lebendigen Verbindung mit Christus in der Eucharistie geführt, sondern zum Gegenteil.

Der Platz, an dem Therese Neumann der hl. Messe beiwohnte, befand sich nicht im Kirchenschiff, sondern, wie bekannt, hinter dem Hochaltar, wo sie allein, auf ihrem Polsterstuhl sitzende mit dem Blick zur nahen Rückwand des Altars am Gottesdienst teilnahm, Das war bereits der Fall im Jahr vor der Stigmatisation, Anfangs benutzte sie einen einfachen Stuhl, bis ein bequemerer zur Verfügung stand. Auch wenn sie außerhalb des Meßopfers kommunizierte, saß sie in ihrem Stuhl.

Es mutet ein wenig theatralisch an, wie Therese Neumann bei besonderen Anlässen ihre große Sehnsucht nach dem Heiland zum Ausdruck bringt. Als Bischof Waitz im Jahr 1928 in Konnersreuth weilte, braute er zur Stigmatisierten die hl. Kommunion ins Elternhaus. "Und da hört der Bischof sie rufen: ,Heiland, Heiland!' Therese lehnte sich zurück, faßte den Bischof am Chorrock als wollte sie ihn heranziehen, und noch einmal hörte er die Worte: ,Heiland, Heiland!'." (11)

Nicht jeder Priester wurde für würdig erachtet, Therese die hl. Kommunion zu reichen. Der Redemptoristenpater Hummel, der wiederholt in Konnersreuth weilte, bat einmal Pfarrer Naber, er möge ihm gestatten, Therese die Kommunion zu bringen. Dieser erwiderte: "Ich werde die Therese fragen; nicht jeder darf ihr die hl. Kommunion geben." (12) Bei höhergestellten Geistlichen bestanden diese Bedenken gewöhnlich nicht.

Die Stigmatisierte sah es nicht ungern, wenn ihr gebührend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Im Jahr 1939 hielt sie sich eine Zeitlang in Westfalen auf. Dort ließ sie eines Tages dem Ortspfarrer melden, sie wolle um elf Uhr Kommunizieren; er möge zu diesem Zweck die Kirche schmücken. "Tatsächlich kommunizierte sie unter großem Zulauf des Volkes." (13) Im Jahr 1928 reichte der Stigmatisierten der Dekan von Waldsassen, Höfner um 8.30 Uhr die hl. Kommunion. Anschließend unterhielt er sich mit ihr. Therese fragte ihn: "Hast du es gemerkt, daß ich auf dich gewartet habe?" Dann erklärte Sie: "Das ist fein eine Gnade; hast du es gesehen, wie der Heiland in mich eingegangen ist?" Diese Worte sollen in der Ekstase gefallen sein. Später, als Therese wieder in ihrem Normalzustand zurückgekehrt war, gab sie an, überhaupt nicht zu wissen, wer ihr die Hostie gereicht hatte (14). Hat sie das wirklich nicht gewußt, obgleich sie absichtlich den Kommunionempfang auf spätere Zeit als ursprünglich geplant, angesetzt hatte?

2. Außergewöhnliche Phänomene

a) Kommunion ohne Schluckbewegung

Seit Ende des Jahres 1922, so heißt es, konnte Therese Neumann eines Halsleidens wegen über Jahre hinweg, nämlich bis zum 30. Juni 1931 nicht mehr schlucken. Wie Aretin glaubt bezeugen zu können konnte die Kommunion nur erfolgen indem Therese ihren Kopf so hielt, "daß ein winziges, angefeuchtetes Stück der hl. Hostie gleichsam infolge der eigenen Schwere in den Schlund fiel". Wenige Monate später, also nach Beginn des Halsleidens, so schildert Aretin weiter, begann eine andere Form des Kommunionempfangs, die von da an alltäglich geworden sei: Die konsekrierte Hostie wurde dem Priester gewissermaßen aus den Fingern gerissen und verschwand ohne jede Schluckbewegung. Für die erste Behauptung, daß dem Priester die Hostie aus den Fingern gerissen wurden, gibt es in der ganzen Konnersreuther Literatur keinen einzigen Beleg. Lediglich im Brief einer begeisterten Ordensschwester über den Besuch der Therese Neumann in Landstuhl ist davon die Rede. Dort berichtete Schwester Urbana ihren Verwandten, wie Therese kommuniziert hat: Der Priester "brachte die hl. Hostie bis ungefähr an den Mund, und sie war verschwunden, ohne den Mund aufzumachen". Etwas anders schaut die Sache aus in der Schilderung des Priesters, der Therese die Hostie gereicht hat. Der Konviktsdirektor A. Stamer von Speyer (1) schreibt: Therese habe den Mund "fast nicht geöffnet". Er sei mit der Hostie "ihren Lippen ganz nahe" gekommen, "so daß die hl Gestalt wohl schon zwischen Ober- und Unterlippe sich befand". Da habe er plötzlich nichts mehr in seinen Fingern gehabt. "Ich darf wohl auch behaupten", heißt es im Bericht des Direktors weiter, "daß ich im Augenblick, wo ich ihr unmittelbar die hl. Hostie reichen wollte, ein Ziehen der hl. Gestalt nach ihr in meinen Fingern (Daumen und Zeigefinger) empfand." Was Stamer erlebt hat, kennen andere Priester gleichfalls aus ihrer Erfahrung, nur denken sie dabei nicht an Wunderdinge. Wie Wunderberichte entstehen, ist aus dem Brief der Schwester Urbana ersichtlich.

Auch die zweite These, daß Therese nicht zu schlucken vermochte, erweist sich als wenig glaubwürdig. Leopold Witt, der ebenfalls von dem eigenartigen Halsleiden zu berichten weiß, wurde in Konnersreuth anders informiert als Aretin. Er spricht von Halsgeschwüren, die sich in den Jahren 1923 bis 1925 gebildet hätten. Seit Mai 1925 jedoch sei Therese von der Halsmuskellähmung befreit gewesen, Trotzdem konnte sie, wie sie versicherte nicht eine ganze Hostie schlucken. "Jetzt könnte ich", beteuerte sie, "Milch, Fleischsuppe, Eier genießen, wenn es nur auf das Schlucken allein ankäme. Doch kann ich auch die hl. Kommunion (ein Teilchen der hl. Hostie mit Wasser) nur mit Anstrengung empfangen" (2) Dies soll bis 1928 gedauert haben. Von da an erklärt Witt war Therese fähig, eine ganze hl. Hostie zu konsumieren. Dabei können man jedoch keine Schluckbewegung feststellen.

"Der Priester legt ihr jetzt wie allen anderen die ganze hl. Hostie auf die Zunge und bei noch nicht geschlossenem Munde ist sie plötzlich weg. Fragt man sie hernach, wo denn nun die hl. Hostie sei, dann legt sie die Hand aufs Herz und sagt einfach und ruhige. ,Hier.' Auch tagsüber verspürt sie noch, wie sie sagt, die Kraft der Gegenwart der himmlischen Speise, welche sie genossen hat." (3)

Witt gesteht allerdings, aus persönlicher Erfahrung könne er nicht sprechen. Im Oktober 1927 wiederum versicherte Therese, "daß sie wohl imstande sei, die Schluckbewegungen zu machen"; sie verspüre bloß kein Bedürfnis nach Speise und Trank (4). Damit widerlegt sie selber die immer wieder vorgebrachte Behauptung, sie habe seit 1923 nicht mehr schlucken können; sie hat ja auch regelmäßig während der Freitagsekstasen den Speichel, der sich im Mund von Zeit zu Zeit angesammelt hat, hinuntergeschluckt.

Welchem Berichterstatter soll man da noch Glauben schenken? Die Quelle der Berichte ist Therese Neumann. War sie wahrheitsliebend? Aretin nennt die Kommunion ohne Schluckbewegung eine alltägliche Erscheinung. Radlo behauptet wiederum das glatte Gegenteil: "Es läßt sich nicht vorausbestimmen, wann eine derartige Kommunion stattfindet. Es ist ein reiner Zufall, wenn es jemandem gelingt, Zeuge dafür zu sein!" Der eine spricht von einer alltäglichen, der andere von einer zufälligen Erscheinung. Der eine dazu gehört auch Teodorowicz dehnt die Unfähigkeit, eine ganze Hostie zu empfangen, bis 1931 aus, der andere beendet sie mit Anfang des Jahres 1928.

Bemerkenswert ist die Beobachtung, die wir Witt verdanken. Dieser gibt an, er habe während der Unterbrechungen der Visionen am Freitag "wiederholt ganz normale Schluckbewegungen an Therese" wahrgenommen (5). Auch die Hostie vermochte Therese in normaler Weise zu schlucken, wie das "Konnersreuther Wochenblatt 1927" berichtet. Die Ausnahme sei lediglich dann eingetreten, wenn Therese in Ekstase geriet. "An den anderen Tagen tritt nun keinerlei Ekstase bei Empfang der hl. Kommunion ein und dann kann man wohl die Schluckbewegungen bemerkend."

Im Gegensatz zu Witt sprechen die übrigen Berichterstatter davon, daß Therese vom Ende 1922 bis Mitte 1931 normalerweise nur ein winziges Teilchen der Hostie konsumieren konnte. Nur ausnahmsweise habe sie eine ganze Hostie empfangen können. Kam Therese gelegentlich vor dem Kommunionempfang in visionäre Ekstase und sah sie dann "anstelle des Priesters in der Hostie den Heiland selbst als Kind (Weihnachtszeit) oder den Auferstandenen (Osterzeit) auf sich zukommen", dann ging "die hl. Hostie sofort beim Auflegen auf die Zunge ohne Schluckbewegung in sie ein" (6). In diesem Fall an Festtagen und an Tagen nach hartem Leiden, wie Benefiziat Härtl angibt, konnte auch eine ganze Hostie gereicht werden.

Man brauchte also nur zu warten, ob sich vorher eine Ekstase einstellte. Es ging aber noch einfacher: Therese kündigte rechtzeitig vor dem Kommunionempfang an, ob sie in Ekstase geraten werde. Während eines vorausgehenden ekstatischen Zustandes nämlich wußte sie von künftigen Ereignissen; sie vermochte also auch anzugeben, wann der. nächste "Zustand der gehobenen Ruhe" eintreten werde. "Der Pfarrer", schreibt Teodorowicz (7), "..ist nämlich wohl unterrichtet, denn Therese macht solche Ankündigungen immer nach ihrer Kommunion, ohne jedoch nach der Ekstase etwas davon zu wissen."

Leider durften nach Auskunft von Dr. Seidl nur Personen aus dem Konnersreuther Kreise oder solche, die unter dessen Patronat standen, Zeugen bei den mystischen Erscheinungen sein:

"Sie haben jedenfalls unbehindert Zutritt zu jeder Stunde. ... Nur wer widerspruchslos alles annimmt, kann im Hause Neumann verkehren. Sie nehmen rücksichtslos Stellung gegen jeden, der nur die leiseste Kritik übt. Sie dürfen an allem teilnehmen, z. B. an der mystischen Kommunion. Ich wurde trotz wiederholten Versuches nie dazu zugelassen, angeblich, weil sie das vorher nie wisse. Als ich P. R. Bergmann das erzählte, sagte er nur, daß er für den kommenden Morgen dazu eingeladen sei." (8)

Gerlich berichtet, daß er das Verschwinden der Hostie beobachten konnte. Therese selber hat es ihm "bewiesen":

"Als der Pfarrer mit dem Ziborium um die Ecke des Altars kam, geriet Therese Neumann beim Anblick der Hostie in Ekstase und zeigte höchstes Verlangen, dem Heiland entgegenzusehen, woran sie der Stuhl durch seine vorn schließenden Armlehnen hinderte. Ihr Gesicht strahlt, ihre Augen leuchten, die Hände sind etwas vorgestreckt, die Füße sind in Bewegung. Der ganze Körper ist etwas ,gehoben, als ob sie aufstehen möchte. Der Pfarrer gab mir Anweisung, direkt so vor ihr niederzuknien, daß ich ihr genau in den Mund sehen könnte. Das geschah. Bei der Annäherung der Hostie öffnete sie weit den Mund und streckte etwas die Zunge heraus. Die Hände hielt sie vor die Brust. Der Pfarrer legte vorn auf ihre Zunge eine ganze Hostie und trat sofort von ihr zurück. Sie nahm die Zunge, auf der die Hostie sichtbar lag, ein wenig zurück, aber nur so weit, daß die Spitze noch die Unterlippe berührte und nur die Zähne des Unterkiefers verdeckte, so daß ich weiter die hintere Zungenpartie und den Gaumen sehen konnte. Plötzlich war die Hostie verschwunden. Therese Neumann streckte sofort einige Zeit hindurch die Zunge weit heraus. Der Mund war weit geöffnet, sie schloß ihn von dem ersten Öffnen in nicht, ebenso machte sie keine Schluckbewegungen von der ersten Öffnung des Mundes an. Die Hostie war in der Mundhöhle und am Gaumen, die ständig offen vor mir lagen, nicht zu sehen. Nach einiger Zeit innerster Konzentration begann sie ekstatisch zu sprechend" (9)

Bei diesem tags zuvor "in der Ekstase" angekündigten Ereignis, dessen unwürdige Theatralik befremdet, entstehen vielerlei Fragen: Fällt nicht auf, daß Therese zuerst die Zunge zurücknimmt und sie dann wieder weit herausstreckt? Ist das Verschwinden der Hostie so unerklärlich? Konnte Therese mit Schluckbewegungen nicht beliebig warten?

Im übrigen hat in Konnersreuth, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur Pfarrer Naber der Stigmatisierten die hl. Kommunion gereicht und nur einige Auserwählte wurden gewürdigt, bei der Kommunionspendung außerordentliche Phänomene zu beobachten. Nicht einmal die neben Pfarrer Naber in Konnersreuth wirkenden Seelsorger haben, abgesehen von Benefiziat Härtl, in einem Zeitraum von mehr als dreißig Jahren irgend etwas Wunderbares erlebt.

Von einem Geistlichen stammt folgender mündliche Bericht. Vor dem Gottesdienst, den er in Konnersreuth feierte, wurde er vom Pfarrer aufmerksam gemacht, er werde, wenn er Therese die Hostie reiche, staunen. Aber es geschah nichts Auffallendes. Nach der hl. Messe fragte der Pfarrer den Zelebranten, was er nun sage. Zu seiner Enttäuschung mußte er hören, daß nichts zu berichten war. Während des Mittagessens, an dem neben dem auswärtigen Priester auch ein Arzt teilnahm, sprach Pfarrer Naber zu Therese Neumann: "Die Sache läßt mir keine Ruhe. Resl, warum geschah heute nichts?" Die Gefragte erwiderte: "Ich wollte nicht; der Herr wäre zu sehr erschrocken." Hier muß man die Frage stellen: Wer wollte also nicht? Wer war der Urheber der "mystischen Phänomene"?

Den beiden Bischöfen Waitz (10) und Teodorowicz (11) erklärte Pfarrer Naher, Therese bekunde ihr heftiges Verlangen nach der hl. Kommunion dadurch, daß sie den Priester an der Stola und am Chorrock zerre. So geschah es dann auch. Teodorowicz berichtet (12): Therese fühle sich äußerst unglücklich und verlassen, wenn sie vor dem Empfang der hl. Kommunion merke, daß der Heiland nicht mehr in ihr gegenwärtig sei. Dann werde die Vereinsamung so schmerzlich, daß sie sich nicht mehr beherrschen könne und ausrufe: "Warum hast du mich, Herr, verlassen? Komm doch zu mir!" Als ihr der Erzbischof an einem Freitag die hl. Kommunion reichen wollte, wurde er zuvor durch den Pfarrer gewarnt, Therese werde in ihrer Begierde nach dem Heiland nach seiner Stola greifen und daran zerren, um ihn zu zwingen, ihr doch schneller die Hostie zu reichen. Von einem Priester wegen dieses Verhaltens zur Rede gestellt, habe Therese geantwortet, dies alles hänge nicht von ihr ab, es sei vielmehr das Einwirken der Gnade. Während der Adventszeit zeige sie nicht diese gewaltsame Erschütterung, sagt Teodorowicz, der eine Begründung für diese Ausnahme jedoch nicht nennt.

Ein andermal forderte Pfarrer Naher Kardinal Kaspar von Prag auf, er solle mit der Hostie eine Weile vor Therese stehen bleiben, "damit sie sich den von den Toten auferstandenen Heiland erst ansehe". Den gleichen Rat gab der Pfarrer dem Sekretär des Kardinals, van Rossum; er mache das auch selber und betrachte dann das Verhalten der Stigmatisierten (13). Der Kardinal konnte nicht den geringsten Versuch bei Therese bemerken, die Hostie zu schlucken. Auf Wunsch des Pfarrers zeigte sie danach "in aller Ehrfurcht die Zunge, und die hl. Hostie lag nicht mehr auf ihr". Daß die Hostie am Gaumen kleben konnte, daran haben die Zeugen nicht gedacht. Das eine Mal greift also Therese in ihrer Begierde nach dem Heiland nach der Stola und zerrt daran, das andere Mal muß zugewartet werden, damit sie den Heiland ansehen kann. Warum hat in solchen Fällen, da man absichtlich zögerte, die Sehnsucht nach dem Heiland nicht bewirkt, daß die Hostie den Fingern des Priesters entschwand und in die Stigmatisierte einging, wie ja die Hostie zuweilen sogar aus dem verschlossenen Tabernakel zu ihr entschwand?

Mit Recht bezeichnet Dr. Deutsch es als abstoßend, wenn Therese Neumann beim Kommunionempfang offensichtlich Wert darauf legte, daß andere zuschauten und dann auch glaubten, die Hostie sei auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Dem Nichtkatholiken Dr. Gerlich zeigt sie die Zunge, um ihn davon zu überzeugen. Als jedoch einmal jemand leise den Priester fragte, ob die Hostie verschwunden sei, sägte sie unmittelbar nach dem Kommunionempfang vorwurfsvoll. "Auch Du zweifelst noch?" Deutsch stellt die Frage: "Ist das heiligmäßige Andacht beim Empfang der hl. Eucharistie oder hysterisches Theater, bei dem der Eindruck auf das verehrliche Publikum der Zweck der Übung ist?" (14)

Hier erhebt sich noch eine weitere Schwierigkeit: Wie allgemein versichert wird, stellte sich nach dem Kommunionempfang der Zustand der gehobenen Ruhe ein. Was sich währenddessen ereignete und was Therese sprach, davon wußte sie angeblich danach nicht das mindeste. Aber offenbar wußte sie genau, was sie tat, solange sie in Ekstase war. Sie öffnete ja, um das Verschwinden der Hostie zu beweisen, nach dem Kommunionempfang wieder den Mund weit; man konnte sich dann vergewissern, daß die Hostie nicht mehr zu sehen war. Sie hörte auch, was von den Umstehenden gesprochen wurde, selbst wenn das nur im Flüsterton geschah. Sie redete zum Zweifler und machte ihm Vorwürfe. Therese verfolgte die Ereignisse vor, während und nach der Kommunion mit klarem Bewußtsein; sie trat selbst als frei Handelnde auf. Soll sie wirklich nach der Kommunionekstase gar nichts mehr von dem im Gedächtnis behalten haben, was sie beispielsweise verkündet hatte? Der einzige Beweis ist, wie in anderen Fällen auch, nur ihre eigene Aussage.

b) Vision beim Kommunionempfang

Wie Therese wiederholt versicherte, sah sie beim Empfang der Hostie den Heiland selber, und zwar in verschiedener Gestalt, je nach der Zeit des Kirchenjahres. Der Angabe des Pfarrers Naber gemäß schaute sie freilich den Heiland nur dann, wenn sie in der Nacht zuvor ein Sühneleiden durchgemacht hatte. Dann vermochte sie auch die ganze Hostie zu empfangen, während sie sonst bis Mitte 1931 angeblich nur mit Mühe ein kleines Teilchen der Hostie zu sich nehmen konnte (1). Diese Begründung des Pfarrers widerlegt allerdings Gerlich (2). Therese hatte in der vorausgegangenen Nacht kein Sühneleiden ertragen; trotzdem hat sie die ganze Hostie empfangen können. Das ist wohl so zu erklären, daß in diesem Fall Gerlich einen Beweis für das wundersame Geschehen erhalten sollte, da der "Heiland" ihn ja als Zeugen gewünscht hatte.

Pfarrer Naber gab das eine Mal für den Empfang einer ganzen Hostie ein vorausgegangenes Sühneleiden an, das andere Mal versicherte er, dies sei nur dann der Fall, "wenn vor der hl. Kommunion der Heiland in seiner ganzen Gestalt der Stigmatisierten erscheine"; rechtzeitig vorher, und zwar "immer", habe Therese den Pfarrer darüber informierte (3). Im Konnersreuther Sonntagsblatt 1930 wiederum wird behauptet, Therese habe "fast immer eine Erscheinung des Jesuskindes während der hl. Messe und insbesondere beim Empfang der Kommunion" (4) gehabt. Im Gespräch mit Bischof Teodorowicz kennt Pfarrer Naber nur die eine Voraussetzung für eine ekstatische Kommunion, nämlich ein vorausgegangenes Sühneleiden; ja er schränkt die möglichen Fälle sogar erheblich ein: die ekstatische Kommunion sei nur zu beobachten "nach außerordentlich schwerem Sühneleiden". Als der Bischof eines Morgens wissen wollte, ob Therese ekstatisch ,kommunizieren werde, erwiderte der Pfarrer:

"Ich weiß dies zwar nicht, aber ich glaube, daß sie heute wie gewöhnlich kommunizieren wird, da nur auf ganz außergewöhnliche Sühneleiden die ekstatische Kommunion folgt. Das heutige Leiden war stark, aber nicht außergewöhnlich." (5)

Als im Januar 1929 der Freisinger Subregens Dr. Johann Westermayr in Konnersreuth weilte, hatte Therese Neumann sowohl am 5. als auch am 6. Januar ihre gewohnten Visionen; auch die ganze Hostie konnte sie empfangen, obwohl sie vorher kein Sühneleiden zu erdulden hatte, denn sowohl sie selber als auch Pfarrer Naber wußten, daß der Freisinger Subregens als vom Regensburger Bischof gewünschter Beobachter erschienen war.

Während einer Unterredung mit Dr. Westermayr stellte Pfarrer Naber die ekstatische Kommunion, also die Schauung vor dem Kommunionempfang und die Kommunion ohne Schluckbewegung, als ganz alltägliche Angelegenheit hin:

"Wenn die Resl, in ihrem Stuhl einer Messe beiwohnend, von der Wandlung an den ekstatischen Zustand habe, sehe sie unmittelbar vor der Wandlung zunächst die Engel, dann von der Wandlung an Jesus selber, in der Weihnachtszeit als ein immer größer werdendes Kind (von Ostern an als Mann im verklärten Zustand)." (6)

Die Schilderung eines Kommunionempfangs, wobei Therese Neumann den Heiland schaute, bringt Teodorowicz (7). Der Bericht geht zurück auf den Franziskanerpater Herrmann Joseph, der an einem Freitag nach Pfingsten in Konnersreuth war. Wie der Pfarrer versicherte, hatte Therese in der Nacht zuvor kein Sühneleiden durchzumachen; es fand auch an diesem Freitag keine Freitagsekstase statt. Demgemäß hätte sie auch nicht beim Kommunionempfang den Heiland sehen dürfen. Sie sah ihn dennoch, weil ein vermutlich brauchbarer Zeuge anwesend war.

Hier die Schilderung des Paters:

Die Pfarrmesse ging gerade dem Ende zu; der Pater ist beim Ankleiden zur Meßfeier. "Da ging auf einmal die Tür von draußen her energisch auf. Unwillkürlich wandte ich den Kopf da schaute ich in ein Antlitz, so voll Schmerz und innerem Weh, wie ich noch keines gesehen hatte, nicht einmal bei einem Sterbenden. Die Augen erinnerten an einen Verschmachtenden, der die letzten Anstrengungen macht, den rauschenden Quell noch zu erreichen, ehe er entkräftet niedersinkt: Therese Neumann, sie kam, um die hl. Kommunion zu empfangen. Vermutlich war sie in Ekstase, denn sie sah weder mich noch sonst etwas. Es war die Ekstase der namenlosen Sehnsucht und inneren Gottverlassenheit, von der sie stets ergriffen wird, wenn die heiligen Gestalten der vorigen Kommunion in ihr verschwinden. ... Ehrfurchtsvoll macht sie die Kniebeugung hinter dem Altar." Die Ekstase verliert sich offenbar sehr rasch. "Sie winkt den Ministrantenbuben, die Türe hinter ihr zu schließen, da sie bei der hl. Kommunion von anderen nicht gesehen sein will." Dann, nach der Pfarrmesse entläßt der Pfarrer die Kinder, ordnet noch etwas in der Kirche; jetzt erst zieht er Chorrock und Stola an. "Er winkt mir, ganz nahe zu treten, unmittelbar neben Theresens Stuhl. Ich konnte das leicht tun, denn sie sah und hörte nichts mehr, was um sie vorging. Sobald sie des hl. Sakramentes ansichtig wurde, war die Ekstase über sie gekommen. Hatte sie vorher todmüde in dem Sessel gelehnt, so saß sie jetzt hochaufgerichtet mit ehrfurchtsvoll gefalteten Händen, in Anbetung des heiligsten Augenblicks harrend. Ich kniete neben Therese, einen Schritt von ihr entfernt nieder, so daß ich auch das Geringste sehen und alles überschauen konnte. Der Priester trat einen Schritt näher. Therese öffnet in der Verzückung beide Arme und streckt sie der hl. Hostie entgegen. Aber ihre Augen sind nicht auf den einen Punkt der hl. Hostie gerichtet, sondern auf eine Gestalt, die ich nicht sehe. Sie darf den Heiland selbst sehen, den Auferstandenen, den ich nur in Brotgestalt gehüllt vor mir habe. Wohl eine Minute, wenn nicht länger, bleibt der Pfarrer so stehen, und ich benütze die Zeit, mir mit kühlem Verstand und scharfem Auge jede Einzelheit zu betrachten und einzuprägen. ... Ich sehe genau zu, ob ich das Verschwinden der Hostie bemerke, von dem schon so viele geschrieben haben, aber ich sehe nichts; sie schließt den Mund schnell. Allerdings ist auch nicht die geringste Schluckbewegung zu sehen."

Der Bericht des Paters sagt weder etwas Beweiskräftiges aus über die Kommunion ohne Schluckbewegung noch über die Tatsache einer Vision.

Die Vision beim Kommunionempfang beschreibt Fahsel folgendermaßen:

"Ihre Arme sind erhoben, und sie schaut in die Richtung, wo sich die hl. Hostie in den Händen des Pfarrers befindet. Während derselbe die übrigen Gebete spricht, schaut sie mit seligem Lächeln wie verklärt hinauf und dann wieder hinunter. Ich frage sie danach, weshalb sie dies tue, und sie antwortete: ,I schau den Heiland in glänzender Gestalt. Dann wird der Glanz der Gestalt zu einer Feuerflamme, die auf mich zukommt und in meinen Mund eingeht. Dann weiß i nix mehr, dann bin i ganz beim Heiland.' Es ist aufgefallen, daß sie mit besonderer Aufmerksamkeit nach unten schaut. Sie erklärt die Wundmale an den Füßen des Heilandes in ganz besonderem Glanze zu sehen."

Im Zusammenhang mit mystischen Kommunionen deutete zuweilen der Heiland, wie Therese versicherte, auffallende künftige Ereignisse an. Als ihr einmal Prof. Wutz die Hostie reichte, geschah es, "daß bei einer solchen Vision der Heiland sich umdreht und Herrn Professor ... gut anschaute" (8) Später will Therese diese "Gutanschauen" so verstanden wissen, als habe ihr Christus den nahen Tod des Professors, der für sie völlig unerwartet eintrat, andeuten wollen.

c) Kommunion ohne Priester

Als weiteres außerordentliches Zeichen göttlicher Auserwählung wird der Kommunionempfang ohne Priester genannt. Das soll sich einmal zugetragen haben, als Therese mit einer ihrer Schwestern zu Besuch bei Prof. Wutz in Eichstätt weilte. Der Professor hatte in seiner Privatkapelle zelebriert und im Tabernakel ausnahmsweise eine konsekrierte Hostie aufbewahrt für den Fall, daß er seiner kranken Mutter die Wegzehrung bringen müßte:

"Nachmittags, als Therese Neumann sich auf einem Sessel ausruhte, gab sie plötzlich alle äußeren Kennzeichen der ekstatischen Kommunion, auf die, wie üblich, der Zustand der Verzückung folgte. Beunruhigt begab sich Prof. Wutz nach einem Augenblick der Bestürzung in sein Oratorium und stellte fest, daß der Speisekelch leer war. Im Zustand der gehobenen Ruhe bestätigte Therese, daß sie die verschwundene Hostie konsumiert hatte, daß diese also von selbst zu ihr gekommen war." (1)

Von da ab, berichtet Boniface weiter, seien Pfarrer Naber und die Priester, die Therese betreuten, auf der Hut gewesen und sie hätten wiederholt Gelegenheit gehabt festzustellen, daß dann, wenn die Sehnsucht nach dem Heiland in ihr übermächtig wurde, die Hostie den Weg von selbst zu ihr nahm.

Hat Therese Neumann in Eichstätt nicht am Morgen kommuniziert? Hat sie da die hl. Messe überhaupt versäumt? Wie viele Gläubige würden herzlich gern den Gottesdienst besuchen und kommunizieren, wenn ein Priester zu erreichen wäre. Aber sie müssen verzichten der Heiland kommt nicht zu ihnen in der Eucharistie. Therese Neumann jedoch wohnt unter einem Dach mit dem Allerheiligsten, kann während der hl. Messe zur Kommunion gehen, und ein Priester befindet sich im Hause. Dennoch kommt zu ihr die Hostie aus verschlossenem Tabernakel!

Einen Bericht, der sehr viel Ähnlichkeit mit dem vorausgehenden aufweist, bringt Steiner (2). Hier heißt es: Therese Neumann weilt in Eichstätt bei Prof. Wutz. Vom 29. Auf den 30. April 1929 ertrug sie ein schweres geistiges Leiden, das ihr auch körperlich so sehr zusetzte, daß man um ihr Leben fürchtete.

"Man hatte in der Hauskapelle ihres Gesundheitszustandes wegen eine konsekrierte Hostie aufbewahrt. Plötzlich kommt Therese in Ekstase und macht die Gesten wie bei einem Kommunionempfang. Dann tritt der erhobene Ruhezustand ein. Es kommen nach einiger Zeit die Worte: ,Die Resl hat den Heiland empfangen.' Als daraufhin Prof. Wutz den Tabernakel öffnete, war keine Hostie mehr vorhanden (Mitteilung Prof. Wutz, bestätigt durch Bruder Ferdinand Neumann)."

Boniface und Steiner berichten über den gleichen Fall. Wo liegt der Grund für den nicht unerheblichen Irrtum in der Berichterstattung? Boniface war wiederholt in Konnersreuth, und dort muß er seine Information bezogen haben.

Nach der Darstellung Fahsels (3) ergibt sich eine weitere Variante: Es war in der Nacht zum 30. April 1929. Die anwesenden Priester fürchteten um das Leben der Therese Neumann. Eine Hostie war in der Privatkapelle des Prof. Wutz aufbewahrt worden, um Therese am nächsten Morgen die Kommunion spenden zu können. Nach der ekstatischen Kommunion soll sie ausgerufen haben: "Sie hat den Heiland empfangen. Gehet und sehet nach. Er ist aus dem Tabernakel verschwunden." - Hier redet der "Heiland" unmittelbar aus Therese, denn ihm war es offenbar ein Anliegen, daß man von dem "wundersamen" Geschehen sich überzeuge. Ergänzend fügt Fahsel (4) dem Bericht hinzu, Therese habe bereits am Nachmittag des 29. April 1929 Prof. Wutz gegenüber vorausgesagt: "Heut abend müssens' net erschrecken, i werd stark leiden." Die Angabe Fahsels, Prof. Wutz habe zu dem Zweck eine Hostie im Tabernakel aufbewahrt, um Therese Neumann am folgenden Tag die Kommunion spenden zu können, ist nicht einleuchtend; Wutz brauchte ja zu diesem Zweck keine Hostie aufzubewahren, da er am kommenden Morgen wieder zelebrieren konnte.

Diese drei widersprüchlichen Berichte werfen noch andere Zweifel auf. Aus den Berichten geht hervor, daß Therese Neumann am 29. April in der zweiten Tageshälfte nicht vorhatte zu kommunizieren. Boniface erklärt ja, die einzige im Tabernakel aufbewahrte Hostie sei für die kranke Mutter des Professors Wutz bestimmt gewesen. Nach Fahsel sollte diese Hostie der Stigmatisierten erst am nächsten Morgen gereicht werden. Somit müssen zwei Bedenken geäußert werden: Entweder war Therese am Morgen des 29. April am Tisch des Herrn, dann hätte sie am ,gleichen Tag zweimal kommuniziert; oder sie war nicht bei der Kommunion - ein vernünftiger Grund ist allerdings nicht ersichtlich, weil sich das "schwere geistige Leiden" erst am Abend eingestellt hat , dann hätte sie bewiesen, daß sie sehr wohl ohne täglichen Kommunionempfang am Leben zu bleiben vermochte; denn die Fernkommunion in der Nacht zum 30. April war nicht vorauszusehen. Nimmt man das eine oder das andere an, so bleiben dennoch große Bedenken bestehen. Wie die Berichterstatter des Konnersreuther Kreises versichern, hat Therese regelmäßig gemerkt, wann sich in ihr die Hostie aufgelöst hatte; dann mußte ihr rasch die Kommunion gereicht werden. Von einer Auflösung der Hostie ist jedoch in diesen Berichten nicht die Rede, zudem hätte es sich um eine ganz ungewöhnliche Stunde gehandelt. Die "Auflösung der Hostie" konnte offensichtlich willkürlich gesteuert werden.

Nach Fahsel und Steiner war die aufbewahrte Hostie für Therese Neumann bestimmt. Steiner beruft sich ausdrücklich auf eine durch Prof. Wutz erhaltene Mitteilung. Demnach muß Wutz erklärt haben, die Hostie sei für Therese vorgesehen gewesen. Aber Wutz sagte auch anders aus: Er behauptete, die Hostie habe er seiner Mutter wegen aufbewahrt. Gegen den Vorwurf, er habe dies ohne Erlaubnis getan, verteidigte er sich so: Der Heiland habe sich an seinem Vorgehen nicht gestoßen, "denn er beschoß seine Gegenwart mit einem Wunder". Dies teilte der Bischof von Eichstätt am 20. Juni 1930 dem Bischof von Regensburg mit auf Grund einer Information, die er von Wutz erhalten hatte. Demnach müßte Wutz einmal so und einmal anders ausgesagt haben. Im übrigen ist die Aufbewahrung der Hostie nur dann verständlich, wenn man berücksichtigt, daß Therese Neumann oftmals außerhalb der hl. Messe zu beliebiger Tageszeit kommuniziert hat. Man findet auch keinen vernünftigen Grund für die zweite Version; die Mutter des Professors hatte sicher bereits am Morgen kommuniziert und eine zweite Kommunion am selben Tage konnte nicht in Frage kommen.

Noch von einem anderen Punkt muß gesprochen werden: Prof. Wutz hatte die Hostie unerlaubterweise in seinem Privathaus aufbewahrt, und zwar nur auf einem Korporale. Die Hostie kam zu Therese, "die im anstoßenden Zimmer lag"; von diesem führte eine Tür zur "Hauskapelle" (5). Also bleibt die Frage: Kam die Hostie zu Therese, oder kam Therese zur Hostie?

Zeuge einer weiteren Fernkommunion will Fahsel am Freitag, dem 26. Juni 1931, gewesen sein:

Um 10.30 Uhr kam Therese Neumann ins Pfarrhaus. "Sie sah auffallend elend aus und fühlte sich sichtlich schwach, Wir erfuhren, daß sie kurz zuvor für einen Sterbenden gelitten hatte. Sie bat den Pfarrer, ihr die hl. Kommunion zu spenden, die sie am Tag zuvor zuletzt empfangen hatte." Therese, der Pfarrer und Fahsel gehen in die Kirche, wo sie Therese auf ihren Sessel begibt. Fahsel darf die Kommunion spenden; doch er kommt nicht dazu. "Als ich ungefähr einen Meter vor ihr stand und die heilige Hostie erhob, gewahrte ich zu meinem Erstaunen, daß sie sich mir nicht zuwandte, sondern ruhig im Stuhl sag mit der Richtung auf die Hinterwand es Tabernakels. Ihre Arme lagen kreuzweise auf der Brust, Mund und Augen waren geschlossen. Es war dieselbe Stellung, die sie jedesmal nach Empfang der Kommunion im erhobenen Zustand der Ruhe einzunehmen pflegte. ... In diesem Augenblick kam Bewegung in ihre Gestalt. Sie drehte sich mit geschlossenen Augen zu mir hin, hob etwas den Kopf und öffnete den Mund. Da sah ich auf ihrer Zunge hell und weiß eine Hostie liegen. Nun begriff ich, sie hatte bereits das Sakrament empfangen." (6)

Diesen Bericht bringt Huber zwar wortgetreu (7), aber mit nachstehender Ergänzung: Nach einer Weile hört Kaplan Fahsel aus ihrem Mund: "Komm her, es soll dir erklärt werden, was es war, damit du dich nicht ängstigst: Die Resl war sehr schwach und hat sehr nach dem Heiland verlangt." Nach Poray-Madeyski (8) lautete die Auskunft der "Stimme" weiter: "Draußen waren zwei Spötter, die den Heiland verspotteten. Resl wußte das und nun wurde ihr Verlangen noch heftiger. Und aus diesem Grunde ist er früher zu ihr gekommen." Auch hier scheint wiederum ein klarer Fall der Persönlichkeitsspaltung, von der bereits die Rede war, vorzuliegen.

Man fragt sich: Wenn der Heiland in Gestalt der Hostie unmittelbar zu Therese kam, warum geschah das nicht auf dem kürzesten Weg? Warum erscheint die Hostie zuerst auf der Zunge? Warum bleibt sie längere Zeit im Munde, da doch die Sehnsucht der Therese so unerträglich war? Es gibt nur eine Begründung: Die Umgebung mußte einen "Beweis" erhalten. Denken wir daran, daß Pfarrer Naber wiederholt für längere Zeit vor Therese Neumann stehenblieb und mit dem Darreichen der Hostie wartete, entweder um zu experimentieren, wie sich Therese verhalten würde, oder um Zuschauern das Verlangen der Kommunizierenden nach dem Heiland zu demonstrieren! Erinnern wir uns ferner, daß auch der Erzbischof von Prag auf Anregung des Pfarrers so handeln mußte! Man versteht einfach nicht mehr, warum jetzt auf einmal die Sehnsucht keine Minute mehr zuwarten ließ. Und doch gestattete die gleiche Sehnsucht daß Therese die Hostie eine geraume Weile im Mund behielt; sie öffnete ja erst den Mund nach längerer Pause des andachtsvollen Verharrens. Wie konnte sie auf einmal die Sehnsucht dämpfen, was vorher nicht möglich war? Ist das Heilandsliebe oder ein unwürdiges Theater? Kann man es Dr. Deutsch verübeln, wenn er zur Erklärung der "Fernkommunion" annimmt, Therese Neumann habe sich aus der Sakristei, zu deren Tür sie einen Schlüssel besaß Hostien besorgt?

Laut Eintrag im Tagebuch des Pfarrers Naber (9) vom 30. Januar 1931 hatte Therese die vorausgegangene Nacht hindurch bis 5.30 Uhr früh Briefe gelesen. "Dazwischen hatte sie der Heiland durch den erhobenen Ruhezustand gestärkt." Sonst nennt man den nächtlichen Ruhezustand Schlaf. Falls Therese auf diesen verzichten konnte, dann brauchte sie auch keine göttliche Stärkung, um Briefe lesen zu können. Die hl. Messe am Morgen versäumte sie. Aber mittags gegen 11 Uhr kam sie in den Pfarrhof und bat den Pfarrer, er möge ihr die hl. Kommunion reichen. Sie ging voraus in die Kirche an ihren Platz.

"Als ich hinkam, fand ich sie im erhobenen Ruhezustand. Ich fragte, ob etwa der H. Benefiziat inzwischen die hl. Kommunion gereicht habe, und erhielt zur Antwort: ,Nein, sondern, da Therese mit einer solchen Sehnsucht nach dem Heiland verlangte, daß sie dem Ohnmächtigwerden nahestand (die Herzwunde habe sich geöffnet, hieß es, und das Blut fließe bis zum Knie herab), so sei der Heiland wunderbarer Weise zu ihr gekommen: eine hl. Hostie sei vom Tabernakel her durch den Altar ihr zugeschwebt, in die Nähe gekommen, verschwunden und das verklärte Jesuskind in der Größe des Alters von annähernd 40 Tagen vor ihr erschienen und in sie eingegangen. Dies alles erzählt Therese nachher im gewöhnlichen Zustand genau so und bemerkte noch, daß die hl. Hostie am Rande von einem lichten Schein umgeben gewesen sei."

Hierzu schreibt Boniface:

"An Festtagen oder zur Belohnung nach schweren Sühneleiden konnte man bei ihr eine ekstatische Kommunion beobachten. Sobald sich ihr der Priester mit der Hostie näherte, sah sie nicht die Hostie und den Priester, sondern nur den verklärten Heiland, der auf sie zukam." (10)

Das Briefelesen kann doch nicht den Wert eines Sühneleidens gehabt haben, so daß Therese ekstatisch kommunizieren durfte. Als Ersatz für das unbegründete Versäumen der hl. Messe kann man die ekstatische Kommunion sicherlich nicht werten. Therese vermochte ganz genau das Alter des Jesuskindes anzugeben, nämlich: noch nicht ganz 40 Tage. Woher diese exakte Angabe? Das läßt sich sehr einfach erklären: Die ekstatische Kommunion fand statt am 30. Januar; das Jesuskind wäre am 2. Februar 40 Tage alt geworden - deswegen: "annähernd 40 Tage"!

Mehrmals war diese Kommunion ohne Priester, wie es heißt, die letzte Rettung; sonst wäre Therese gestorben. So geschah es am 8. November 1932, als Pfarrer Naber nach Waldsassen gefahren war und erst nach 11 Uhr zurückkehrte. Als er nun Therese die Kommunion reichen wollte, merkte er, daß sie sich bereits im erhobenen Ruhezustand befand, wie gewöhnlich nach der Kommunion. Darüber berichtet der Pfarrer:

"Auf meine Frage, was geschehen, erfuhr ich, daß die Sehnsucht nach dem Heiland Therese so stark ergriffen hatte, daß das Herz zu schlagen aufhörte und nur mehr fibrierte und in etlichen Minuten ganz stille gestanden wäre. Dies zu verhüten, sei der Heiland vom Tabernakel herab ohne des Priesters Mitwirken zu Therese gekommen." (11)

Wiederum geht es nur um etwa eine Minute, die zu warten unmöglich war. Therese hätte gar nicht so lange zu warten brauchen, hätte sie am Morgen die hl. Messe besucht. Zu anderer Zeit führte das Warten nicht in eine so unmittelbare Gefahr. So kam sie eines Tages, als ein auswärtiger Priester anwesend war, in die Sakristei und erklärte, sie wolle kommunizieren. Daraufhin begab sie sich an ihren Platz. Nach einiger Zeit erschien sie wieder und fragte vorwurfsvoll, warum man so lange zögere. Der Besucher meinte: "Ja, Resl, bist Du denn schon vorbereitet?" Barsch kam die Antwort: "Ich bin immer vorbereitet."

Ein andermal sogar kommunizierte Therese Neumann in Konnersreuth ohne Priester, wobei die Hostie aus Eichstätt kam. Darüber berichtet Steiner, der sich auf den Bericht von Ferdinand Neumann stützt. Prof. Wutz zelebrierte in Eichstätt und konsekrierte dabei drei kleine Hostien, aber bei der Kommunionspendung war eine unauffindbar.

"Nach einiger Zeit rief Resl aus Konnersreuth an, es seien heute der Herr Pfarrer und der Herr Benefiziat am Morgen nicht dagewesen; sie habe aber große Sehnsucht nach dem Heiland gehabt und habe deshalb der hl. Messe in Eichstätt beiwohnen dürfen. Dabei sei auch in sie unmittelbar nach dem ,Domine, non sum dignus' eine hl. Hostie eingegangen."

Beachtung verdient, daß der Zeuge für diese Fernkommunion der Bruder der Therese ist, Ferdinand, der in der fraglichen Zeit bei Prof. Wutz wohnte, da er in Eichstätt das Gymnasium besuchte. Anwesend war auch der jüngere Bruder Hans, der ebenfalls in Eichstätt die Schule besuchte. Zur Ergänzung sei auch die Einleitung zu dem Bericht über die Fernkommunion zitiert:

"In der Zeit, da ich als Gymnasiast bei Prof. Wutz wohnte, ministrierte ich bei ihm bei der hl. Messe in der Hauskapelle und versah auch die Dienste des Sakristans. So richtete ich eines Tages wie gewöhnlich neben der großen Hostie für den Priester drei kleine für meine Schwester Ottilie, für meinen Bruder Hans und für mich her. Während der hl. Messe, die etwas verspätet begonnen hatte, mußte Hans vor der Kommunion zur Schule weg. Als der Professor die hl. Kommunion austeilte, waren nur noch zwei kleine Hostien vorhanden. Er und ich suchten, in der Meinung, die dritte müsse herabgefallen sein, aber es war vergeblich. Nach der hl. Messe sprachen wir darüber. Ich beteuerte, drei Hostien hergerichtet zu haben und der Professor sagte, er habe bei der Wandlung auch auf die kleinen Hostien geschaut und bestimmt drei gesehen. Wir suchten also nochmals gründlich, aber ergebnislos, und waren deshalb recht beunruhigt."

Von den vielen Fragen, die dieser Wunderbericht aufwirft, sei nur die eine herausgegriffen: Warum mußte Hans zur Schule, nicht aber der Gymnasiast Ferdinand?

Mit bemerkenswerten Abweichungen berichtet über dasselbe Erlebnis Anni Spiegl. Wutz habe bei der hl. Messe zwei kleine Hostien für Ottilie und Ferdinand Neumann mitkonsekriert.

"Als er beiden die heilige Kommunion reichen wollte, war nur mehr eine Hostie da. Herr Professor wurde sehr unruhig, suchte und fand nichts. Er teilte die eine Hostie zur Kommunion und las die heilige Messe zu Ende. ... So gegen 11 Uhr kam ein Anruf von der Resl. Herr Professor möge sich doch beruhigen. Das mit der heiligen Hostie heute früh habe sich wie folgt zugetragen: Es war ihr nachts nicht gut, so konnte sie die Frühmesse nicht besuchen. Als sie vor 8 Uhr in Konnersreuth zur Kirche ging, um zu kommunizieren, war Herr Pfarrer schon weg zur Schule. Es überkam sie eine starke Sehnsucht zum Heiland. Plötzlich befand sie sich in der Hauskapelle des Wutz-Hauses und nahm dort an der heiligen Messe teil, wo sie auch kommunizierte. Zum Beweis schilderte sie auch den Blumenschmuck der Kapelle und mahnte Ottilie, Wasser nachzugießen, weil die Blumen welk seien." (13)

Was soll man von den widersprüchlichen Berichten halten? In dem einen Fall brauchte Wutz keine dritte Hostie, weil Hans Neumann vorzeitig den Gottesdienst verlassen mußte; das andere Mal mußte er die einzige kleine Hostie brechen. Das eine Mal waren die beiden Seelsorger von Konnersreuth überhaupt nicht anwesend; das andere Mal heißt es, Therese habe die heilige Messe versäumt. Obgleich die Schulmesse gewöhnlich um 7.45 Uhr endet, konnte Therese Neumann daran in Konnersreuth nicht teilnehmen. Aber sie konnte vor 8 Uhr in die Kirche gehen, um zu kommunizieren. Warum war Therese, wenn schon ein Wunder geschehen mußte, nicht visionär beim Gottesdienst in Konnersreuth anwesend? Aufgrund der widersprüchlichen Berichte mußte einem der Berichterstatter ein Irrtum unterlaufen sein. Aber welchem, wenn als Beteiligte nur Therese, ihre Geschwister und Prof. Wutz in Frage kommen?

Ein weiterer Nachweis für die offensichtliche Unwahrhaftigkeit der Berichte stammt von Anni Spiegl, die berichtet, Therese ging "vor acht Uhr" in Konnersreuth zur Kirche. Erst als sie feststellen mußte, daß sich der Pfarrer bereits zur Schule begeben hatte, nahm sie visionär bei der hl. Messe im Hause Wutz teil. Es liegt auf der Hand, daß dies gar nicht möglich war, da zu dieser Zeit Prof. Wutz den Gottesdienst bereits beendet hatte.

Erst gegen 11 Uhr rief Therese in Eichstätt an und bewies ihre mystische Kommunion mit dem Hinweis auf die Blumen in der Kapelle. Warum soll sie erst um 11 Uhr angerufen haben? Konnte in der Zwischenzeit nicht auch eine Verständigung zwischen Konnersreuth und Eichstätt erfolgt sein?

Schließlich möge eine weitere bemerkenswerte Variante, die für sich selber spricht, die Überzeugungskraft der genannten Berichte beleuchten:

"Therese war in Konnersreuth und gestand dem Pfarrer, als er ihr die Kommunion bringen wollte, sie habe den Heiland bereits empfangen. In derselben Stunde habe der obige Priester (Wutz - D.V.), entfernt von Konnersreuth, bemerkt, daß eine für eine bestimmte Person vorgesehene, schon konsekrierte Hostie verschwunden war, während diese Person verhindert worden war zu erscheinen." (14) Dann fährt Huber, dem wir diese Variante verdanken, fort: "Da die Zeugen höchst ernsthafte und gewissenhafte, selbst kritische und an der Wahrheit jeder Behauptung tief interessierte Menschen sind, die unter Eid auszusagen bereit sind, ist es nicht zulässig, an der Tatsächlichkeit dieser noch so ungewöhnlichen Vorkommnisse zu deuteln und zu drehen."

d) Wissen um das Vorhandensein einer konsekrierten Hostie

Therese Neumann soll, wenn sie an einem auswärtigen Gotteshaus vorbeikam, mit Sicherheit gefühlt haben, ob es sich um eine katholische oder protestantische Kirche gehandelt hat. Ein Beispiel bringt Benefiziat Härtl (1). Als er zusammen mit Therese in Marktredwitz an einer Kirche vorbeifuhr, fragte er, ob es eine katholische oder protestantische Kirche sei. Sie antwortete, "sie wisse das nicht, aber sie fühle nicht, daß der Heiland drinnen" sei. Beweiskräftig ist jedenfalls dieses Beispiel nicht, denn Marktredwitz ist eine Nachbarpfarrei von Konnersreuth. Warum sollte Therese die katholische Pfarrkirche in der Stadt nicht gekannt haben?

Wie Boniface auf Grund der Schilderung durch Pfarrer Naber vom Jahr 1955 mitteilt (2), hatte dieser eines Tages eben die umfangreiche Post empfangen. Therese Neumann war bei ihm.

"Plötzlich veränderten sich die Züge der Resl; sie zeigte auf einen noch nicht geöffneten Umschlag und sagte: Der Heiland ist da!' Sie war erregt und wie außer sich. Höchst beunruhigt nahm der gute Pfarrherr den Umschlag, öffnete ihn und fand eine Hostie darin. Aus dem Begleitbrief, der von einem ausländischen Geistlichen herrührte, war zu entnehmen, daß in seiner Kirche eine Gottesschändung vorgekommen war; man hatte auf dem Boden einige Hostien gefunden, von denen man nun nicht wußte, ob sie konsekriert waren oder nicht.

Er habe eine davon entnommen und sende sie nun dem Pfarrer Naber mit der Bitte, sie dem untrüglichen Sinn der Seherin vorzulegen. Der Versuch war überzeugend!"

Wer war der Absender? Den Priester muß man erst finden, der in einem derartigen Fall so hilflos handelt und nicht weiß, was er mit den "einigen Hostien" zu tun hat. So töricht dürfte wohl kaum ein Priester sein, daß er zuerst eine "Briefprobe" unternimmt, um sich davon zu überzeugen, ob die vor dem erbrochenen Tabernakel herumliegenden Hostien als konsekrierte Hostien zu bezeichnen sind. Schließlich ist noch zu bezweifeln, ob es reiner Zufall war, daß Therese Neumann bei der Ankunft der Postsendung zugegen war.

Eine interessante Ergänzung zu diesem bedenklichen Bericht bringt Steiner:

"Den folgenden Fall hatte mir Pfarrer Naber vor Jahren erzählt. Da ich ihn jedoch nicht selbst erlebt habe und Pfarrer Naber sich heute wohl noch an die Tatsache selbst, aber nicht mehr an Einzelheiten erinnerte, habe ich Therese Neumanns Bruder Ferdinand, der Augenzeuge war, um einen Bericht gebeten." (3) Dieser Bericht lautet: "Das Jahr kann ich auch nicht mehr ganz genau angeben. Es dürfte etwa 1932, gewesen sein. Aber genau weiß ich, daß es ein Sonntag war. ich bin bei meiner Schwester Marie in der Küche des Pfarrhofes gewesen, da kam die Resl mit Herrn Pfarrer herein; ich glaube, es war nach der Nachmittagsandacht. Resl wurde sofort erregt und sagte: ,Da ist ja der Heiland herinnen.' Pfarrer Naber lachte und sagte: ,Resl, da täuschst Du Dich aber gewiß. Der Heiland ist bestimmt nicht im Pfarrhof.' Sie sagte: ,Doch, ich spür es doch; er ist ganz in der Nähe hier.' Und sie ging dabei auf einen Stoß Briefe zu, die noch ungeöffnet dalagen. Sie hat eigentlich gar nicht lange herumgesucht, sondern ein blaues Geschäftskuvert herausgezogen und es Pfarrer Naber gegeben. Man machte es auf, und da lag in einem Stück weißen Papiers eine Hostie. Keine Zeile dazu, keine Absenderangabe. Nur die Anschrift: An Fräulein Therese Neumann, Konnersreuth. Poststempel Waldsassen." Der Übeltäter wurde bald darauf entdeckt. Es war ein Porzellanmaler aus Waldsassen, ein großer Skrupulant, der, ursprünglich Protestant, mehrmals konvertiert hatte. Als Zweifler wollte er einen Beweis für die Gegenwart Christi im Altarssakrament. Sein Vorgehen soll er selbst später eingestanden haben. Er will die Hostie nach dem Kommunionempfang in einem der engen Durchgänge zwischen den Seitennischen der Waldsassener Stiftskirche aus dem Mund in ein Tüchlein genommen haben, um sie dann abzusenden.

Soweit der Zeuge Ferdinand Neumann. Es dreht sich wohl in den beiden Versionen um ein und denselben Fall. Wieweit allerdings die beiden Berichte sachlich auseinandergehen, ist nicht zu übersehen. Nach der Darstellung von Ferdinand Neumann soll der Brief die Anschrift seiner Schwester getragen haben. Merkwürdigerweise lag er im Pfarrhof bei der Post des Pfarrers. Wie kam ausgerechnet dieser eine Brief dahin, da doch Therese täglich einige hundert Briefe erhielt? Eigenartig ist auch die Angabe, daß der Porzellanmaler mehrmals konvertiert habe.

Ein ähnliches Erlebnis schilderte Pfarrer Naber dem Benefiziat Peter Zimmermann. Dieser kam darauf bei einem Vortrag über Konnersreuth zu sprechen und berichtete darüber dann auch am 18. Dezember 1931 dem Bischof von Regensburg:

Eines Tages kam zum Pfarrer Naher ein Mann aus Konnersreuth und übergab ihm einige Hostien, die er auf dem Weg gefunden hatte. Naher vermutete, die Person, die kurz zuvor in Waldsassen Hostien abgeholt hatte, habe ein paar davon auf dem Wege verloren. Er tat die Hostien in einen Briefumschlag und legte . diesen auf den Tisch. Bald darauf kam Therese Neumann in den Pfarrhof, wo der Pfarrer ihr von dem Vorfall erzählte. "Er nahm während der Erzählung den Briefumschlag in die Hand und näherte sich Therese. Wie groß war sein Erstaunen, als sich Therese sofort in der gleichen Weise verhielt, wie wenn sie beim Empfang der hl. Kommunion den Heiland sieht. Naber ging dann einige Schritte zurück und Therese schien wieder in den normalen Zustand zurückkehren zu wollen. Er näherte sich ihr neuerdings und wieder zeigte sie das auffallende Verhalten." Aus dem Verhalten der Stigmatisierten schloß Naber, daß es sich um konsekrierte Hostien handelte. Naber unternahm eine zweite Probe; er fragte Therese im Zustand der "gehobenen Ruhe" aus und erhielt folgende Auskunft: "Unter den Besuchern in Konnersreuth habe sich ein geistesgestörter Priester befunden, der es auf irgendeine Weise verstanden habe, zur Austeilung der hl. Kommunion zugelassen zu werden. Dabei entnahm er in seinem Wahn dem Speisekelch mehrere Hostien, die er dann in sein Brevier legte. Als er sich dann zu Fuß nach Waldsassen zur Bahn begab, öffnete er dasselbe, wobei ihm die Hostien von ihm unbeachtet entfielen." (4)

Trotz der auffallenden Unterschiede ist vielleicht auch diese Darstellung nur eine Variante zu dem vorher geschilderten Fall. Es zeigen sich auf jeden Fall verwandte Züge, und auch hier wurde, wie es im Bericht heißt, die Probe an einem Sonntag gemacht. Der Bericht Zimmermanns läßt erkennen, daß Thereses "Sehergabe" um das Jahr 1930 noch nicht so gut ausgeprägt war wie zwei Jahre später. In dieser Zeit war ein Näherbringen der Hostie nicht mehr notwendig; sofort beim Betreten des Zimmers wußte sie um das Vorhandensein einer konsekrierten Hostie. Dennoch vermochte Therese im gleichen Jahr 1930 schon beim Vorbeifahren an einer Kirche in Marktredwitz anzugeben, daß darin das Allerheiligste aufbewahrt werde.

Unverständlich erscheint auch das Verhalten des Pfarrers. Welchen Grund hatte er, auf der Straße liegende, also verunreinigte Hostien, von denen er gar nichts anderes annehmen konnte, als daß sie nicht konsekriert waren, in einem Briefumschlag aufzubewahren? Wer war der geheimnisvolle Finder der Hostien? Wie war es möglich, daß der "geistesgestörte" Priester zur Kommunionausteilung zugelassen wurde? Genausogut muß man annehmen, daß er die hl. Messe gefeiert hat; er hatte es gar nicht nötig, erst bei der Kommunionausteilung konsekrierte Hostien zu stehlen. Wer war der "geistesgestörte" Priester, von dem offensichtlich Pfarrer Naher bis zur ekstatischen Belehrung durch Therese Neumann nichts, gewußt hat? Was von den ekstatischen Auskünften der Seherin von Konnersreuth zu halten ist, wurde bereits gesagt; aber im Licht dieser Ereignisse zeigt sich auch, unter welch bedenklichem Einfluß von Therese Neumann Pfarrer Naber stand.

e) Bis zur nächsten Kommunion unaufgelöste Hostie

Wie versichert wird, blieb die Hostie bis zum nächsten Kommunionempfang unaufgelöst in Therese Neumann. Wann dieses "Konnersreuther Phänomen" erfunden wurde, läßt sich nicht genau nachprüfen. Vielleicht darf man das Ende 1929 annehmen, auf das die meisten Berichte hinweisen (1). Als Begründung für die angeblich unversehrte Gegenwart der Hostie wird angegeben, Therese habe auf diese Weise Ersatz für die Verweigerung von Nahrungsaufnahme gefunden; die eucharistische Gegenwart habe sie am Leben erhalten. Da sie freilich bereits seit Dezember 1922, wie es heißt, so gut wie nichts mehr gegessen hat, müßte die Hostie bereits seit dieser Zeit von einer Kommunion zur anderen unaufgelöst geblieben sein. Offenbar hat Therese erst nach der Stigmatisation täglich kommuniziert. Noch am 7. November 1924 schreibt sie in einem Brief (2), "jeden Freitag" reiche ihr der Pfarrer die Hostie. Für diese Zeit galt demnach noch keineswegs, was Teodorowicz später angibt:

"Eine kleine Verzögerung der heiligen Kommunion genügt, und Körper verfällt sogleich dem harten Gesetze völliger Erschöpfung." (3)

Auch über dieses "Konnersreuther Phänomen" gehen, wie zu erwarten, die Berichte auseinander. Die einen behaupten, etwa von 1929 an habe sich die Hostie erst kurz vor dem nächsten Kommunionempfang aufgelöst; sie wissen von keiner Ausnahme. Die anderen sprechen von Zeiten, in denen die Regel durchbrochen wurde; die sakramentale Gegenwart Christi hat dann nur Stunden gedauert.

In einem Bericht an den Bischof von Regensburg schreibt Pfarrer Naber, die Hostie bleibe in Therese Neumann normalerweise unaufgelöst bis zur nächsten Kommunion, führt jedoch eine Ausnahme an:

"Manchmal hört die sakramentale Gegenwart früher auf, was dann für Therese Gelegenheit zu einem schweren Sühneleiden sein soll."

Erzbischof Kaspar war am 22. und 23. März 1929 in Konnersreuth und hat dann im gleichen Jahr seine Schrift über Therese Neumann veröffentlicht. Darin schreibt er:

"Bei Resl währt diese Gegenwart von einer Kommunion bis kurze Zeit vor der nächsten. Nur in der Advents- und in der Fastenzeit ist die Dauer verkürzt."

Es bleibt ein Rätsel, warum in der angegebenen Zeit die sakramentale Gegenwart vorzeitig aufgehört haben soll. Zudem konnte angeblich die Stigmatisierte ohne die sakramentale Gegenwart nicht leben, schreibt doch Bischof Teodorowicz, wie bereits erwähnt wurde, schon eine kleine Verzögerung der Kommunionspendung habe einen Verfall des Körpers und völlige Erschöpfung herbeigeführt.

Helmut Fahsel, der sein Buch über Therese Neumann im Jahr 1931 veröffentlicht hat, bringt zwei bemerkenswerte Angaben, einmal über die Dauer der sakramentalen Gegenwart Christi, zum anderen über den Grund der vorzeitigen Auflösung der Hostie. Er schreibt: "Die Gegenwart der eucharistischen Gestalten in ihr ist verschieden lang. Die Dauer variiert von 3 Stunden bis zu 24 Stunden. Hört sie vor 24 Stunden auf, so ist die Ursache stets ein mystisches Leiden für einen anderen." (3a)

Am Samstag, dem 23. März 1929, begab sich Bischof Kaspar ungefähr gegen 9 Uhr in das Neumann-Haus und brachte Therese die hl. Kommunion. In Gegenwart des Bischofs fragte sie der Pfarrer, wie lange an diesem Tage der Heiland bei ihr bleiben werde. Die Antwort lautete: "Vormittags."

In den ersten vier Jahren nach Empfang der Wundmale vermochte demnach Therese Neumann auch am Leben zu bleiben, wenn die sakramentale Gegenwart Christi in ihr aufgehört hatte. Am 10. Oktober 1927 schrieb Pfarrer Naber einen Brief an den Bischof von Regensburg (4), wo es unter anderem heißt:

"Manchmal sieht sie bei der hl. Kommunion nicht den Priester, sondern den Heiland selbst in verklärter Gestalt auf sich zukommen, in höchster Begeisterung richtet sie sich dann auf, streckt ihm die Hände entgegen, strampelt vor Freude mit den Füßen, empfängt dann eine ganze hl. Hostie, die alsbald von der Zunge verschwindet, ohne daß Neumann die geringste Schluckbewegung macht. ... Der Heiland bleibt oft längere Zeit, manchmal ganze Tage in ihr sakramental gegenwärtig. Oftmals fühlt sie seine Nähe, in welchem Zustand für sie von der Vergangenheit, von der Zukunft und der entfernten Gegenwart der Schleier weggenommen zu sein scheint."

Merkwürdigerweise ist dem Benefiziaten Härtl überhaupt nichts bekannt von einer dauernden sakramentalen Gegenwart von einem bis zum anderen Kommunionempfang, noch dazu mehr als ein Jahr nach dem Besuch Kaspars. Härtl sagt in seinem Bericht vom 25. Juli 1930:

"Weil sie den Heiland so liebt, ist es ihr auch ein bitteres Leid, wenn seine sakramentale Gegenwart in ihr aufhört, was besonders im Advent oft sehr frühzeitig vorkommt." (5)

Einen Monat später spricht Pfarrer Naber in einem Brief an den Bischof von Regensburg von "andauernder sakramentaler Gegenwart des Heilandes in Therese" (6). Man kann hier wie in anderen Fällen den Fortschritt in der Konnersreuther Legendenbildung beobachten. Daß es in den späteren Jahren auch in der Fastenzeit keine vorzeitige Auflösung der Hostie gegeben hat, darauf läßt ein Bericht des Eichstätter Professors Dr. Mayr schließen. Diesem zufolge dauerte im Jahr 1942 die unversehrte Gegenwart der Hostie seit dem Kommunionempfang am Gründonnerstag bis zum Ostersonntag.

Therese selber versicherte am 15. Januar 1953 unter Eid:

"Nach meiner Überzeugung und meinem Wissen lebe ich vom sakramentalen Heiland, der in mir nach Aussagen von Augenzeugen (Dr. Fr. X. Mayr, Pfr. Naher, Domkap. Kraus, Bruder August und Ferdinand, Pfr. Härtl, meiner Mutter t) und meiner Erfahrung bis kurz vor der nächsten Kommunion verbleibt. Nach Auflösung der sakramentalen Gestalten befällt mich Schwächegefühl und stärkeres leib-seelisches Verlangen nach der hl. Kommunion." (7)

Der Bericht Kaspars ist insofern noch interessant, weil er eine recht sonderbare Szene enthält:

Am Freitag, dein 22. März, um 6 Uhr hatte Therese kommuniziert. Es war fünf Minuten vor halb sechs Uhr abends; da begann Therese Plötzlich ganz innig zu bitten: "Nur noch eine kleine Weile bleib'; nur noch eine kleine Weile!" Dann fuhr sie fort: "Oh, er kommt bald wieder! Wie es jetzt leer ist! - Der Heiland ist so gut! - Wie du willst! Wärst du bei mir geblieben, ich hätte dich so lieb gehabt (d. h. ich hätte dir meine Liebe so gern gezeigt). Aber du weißt es besser! Mußt aber bald wieder kommen, sonst halte ich es nicht aus." Dann begann sie zu weinen und zu jammern: "Ohne dich kann ich nicht sein; jetzt bin ich tot." Sie rief den Pfarrer; zu diesem sprach sie: "Mir ist etwas sehr Arges passiert ... Der Heiland ist weggegangen, ich habe es gefühlt. Bring mir den Heiland wieder! Ich bin ganz brav, ich will nicht mehr gach sein." Der Pfarrer mahnt sie: "Mußt noch etwas warten." Doch Therese protestiert: "Warten? Auf den Heiland? Ja, was fällt dir denn ein!" Der Pfarrer wendet ein: "Zweimal täglich kommt er nicht." Resl meint: "Der Heiland ist doch so gut." Wiederum muß sie hören: "Zweimal täglich will es der Heiland nicht," Darauf Therese: "Heiland, du verlangst viel von mir!" Auf die Erklärung Nabers hin, sie dürfe am nächsten Tag wieder kommunizieren, erklärt sie sich einverstanden. Doch nach geraumer Zeit ruft sie wieder: "Heiland, komm zu mir! Ich hab' dich so gerne! Ich halte es nicht aus! Du gibst denen, die es brauchen. Aber komm auch zu mir! Ich kann ohne dich nicht sein. Weißt du, Heiland, du hast mich verwöhnt! Ich bring das Opfer, aber es ist hart. Ich gebe dir einfach keine Ruhe. O guter Heiland, komm! Mir ist die Zeit so lange." Kaspar meint: "Welch herrliche geistige Kommunion!" (8)

Eine andere Bezeichnung wäre wohl zutreffender gewesen. Solche Szenen wurden von Therese Neumann gewöhnlich gerade. dann geboten, wenn prominente Zeugen zugegen waren.

Es bleibt also die Frage: Hat sich in Therese Neumann die Hostie wirklich einen Tag lang unaufgelöst gehalten? Wer kann das bezeugen? Den "Beweis' erbrachte die Mystikerin in eigener Person, und das nicht bloß einmal.

Anni Spiegl erzählt:

"Eines Abends war Äbtissin Benedikta im Wutzhaus. Es ging um eine ernste Angelegenheit. Frau Äbtissin war eine sehr kluge, eigenwillige Persönlichkeit. Sie ließ sich von der Meinung der Resl nicht überzeugen. Da beide an Temperament nicht zu kurz gekommen sind, ging es recht lebhaft her. Frau Äbtissin wollte einen Beweis. Da erbrach Resl die Hostie, so unversehrt, wie sie dieselbe am Morgen empfangen hatte. Sie war recht erschrocken hierüber. Die Hostie lag vor ihr auf ihrem weißen Taschentuch. Resl betete und beugte sich darüber. Da ging die Hostie in sie ein ohne jede Schluckbewegung. Resl kam in den Zustand der erhobenen Ruhe' und sagte nun der Frau Äbtissin ganz genau, was sie in ihrer schwierigen Angelegenheit tun sollte." (9)

Bedarf Gott solcher Szenen für die Glaubhaftigkeit seiner Auserwählten?

Einen anderen "Beweis" hat Fahsel überliefert (10). Er schildert die Ereignisse so:

"Am Freitag, dem 25. Juli 1930, wurde dem Ortsgeistlichen von Konnersreuth, Benefiziat Härtl, folgendes gesagt, als er bei Therese stand, die sich im Zustand der erhobenen Ruhe befand: ,Morgen wird's einen kleinen Schrecken geben; es braucht aber nichts verbrannt zu werden." Als der Benefiziat am Samstag Abend das Schulhaus verließ, kam ihm der Pfarrer eilig und sehr aufgeregt entgegen und forderte ihn auf, mit ihm zur Resl zu gehen. Diese habe den Heiland brechen müssen. jetzt wisse er nicht, was denn anfangen. Der Benefiziat erinnerte sich sofort an die gestern gehörten Worte: ,Es braucht nichts verbrannt zu werden.' Der Therese war am Nachmittag, wie in der letzten Zeit oft, sehr schlecht geworden. Sie brach Blut und Schleim. Recht matt begab sie sich dann zu Bett, nachdem sie sich noch ein sauberes Taschentuch beigelegt hatte. Bald darauf mußte sie nochmals brechen. Und diesmal fühlte sie zu ihrem großen Schrecken, daß auch die hl. Hostie, die sie am Morgen desselben Tages empfangen hatte, mit heraufkam, zuerst sehr rasch, dann blieb sie im Hals etwas hängen. Therese bemühte sich von Anfang an, wieder zu schlucken und sie nicht herauszulassen. Aber umsonst. Sie konnte es nicht verhindern. Zu ihrem großen Leid mußte sie die hl. Hostie mit etwas Schleim in ihr Taschentuch erbrechen. Daß dieses sauber war, war ihr einziger, wenn auch nur ganz schwacher Trost." Sie schickte zu Pfarrer Naher; dieser holte auf Drängen von Therese Neumann den Benefiziaten. Beide sahen die unversehrte Hostie auf dem Taschentuch. "Nur an einer Stelle war sie etwas von Blut gerötet. Therese lag, das Taschentuch vor sich haltend, im Bette und zitterte am ganzen Körper. Unter einem Strom von Tränen begann sie: ,Ach, Herr Benefiziat, mir ist etwas passiert.' Dann begann sie zu beten: ,O Heilanderl, da liegst jetzt, warum bist denn von mir fortgegangen? Wenn i nur wüßt, was i Dir getan hätt. I kann nix dafür. Ach, was sollen wir denn jetzt tun? Sagt doch etwas!' Der Pfarrer meinte, zum Benefiziaten gewendet Resl wäre sogar bereit, den Heiland wieder zu sich zu nehmen, aber sie könne ihn nicht schlucken. Der Benefiziat sagte: ,So viel wissen wir, es braucht nichts verbrannt zu werden.' Therese betete wieder. Nach längerer Zeit wurde sie plötzlich emporgerissen wie beim Beginn einer Vision. Sie schaute vor sich hinauf und hinunter wie in der Ekstase vor dem Kommunionempfang. Nach einer kleinen Weile öffnete sie den Mund, wie wenn sie kommunizieren wollte. Kurz darauf wiederholte sich das gleiche. jetzt hob der Pfarrer das Taschentuch empor gegen den Mund. Plötzlich war die hl. Hostie verschwunden, und man merkte wie stets bei der Kommunionekstase keinerlei Schluckbewegungen. Sie sank sanft in ihr Kissen zurück, und es trat der Zustand der erhobenen Ruhe ein. Es wurde sofort gesagt: ,Der Heiland ist jetzt wieder in der Resl. Es war ein Sühneleiden für ein krankes Mädchen. Dieses hatte öfters nach dem Zurückgehen von der hl. Kommunion die hl. Hostie aus dem Munde genommen, in ihr Taschentuch gelegt und sie nachher den Offizieren gezeigt und mit ihnen darüber gespottet.' Als Therese wieder zu sich kam, waren ihre ersten Worte: ,Ach, jetzt ist der Heiland wieder in mir. I spür' es.' Sie war übervoll vor Freude und forderte die Anwesenden auf, dem Heiland für seine Güte zu danken."

Vom selben Ereignis berichtet auch das "Konnersreuther Sonntagsblatt". Hier ist die Rede davon, daß ein schweres Sühneleiden im Laufe des Tages der Stigmatisierten Beschwerden verursacht habe; wiederholt sei es zu Lungenblutungen gekommen. Die Hostie sei bei einem Blutsturz "unversehrt" zum Vorschein Gekommen, "lediglich auf zwei Seiten etwas eingebogen". Von einer Blutspur auf der Hostie ist trotz des "Blutsturzes" nicht die Rede.

Aber dieses Wunder hat viele Fragezeichen. Warum legte Therese ein sauberes Taschentuch bereit? Wußte sie, daß sie dieses brauchen werde? Es hieß ja, von dem, was sie im Zustand der erhobenen Ruhe sagte, habe sie nichts gewußt. Dann, wie kam es, daß beim ersten Erbrechen Blut und Schleim zum Vorschein kamen, die Hostie aber nicht? Wie merkte Therese, daß beim zweiten Erbrechen die Hostie "mit heraufkam"? Zudem spielt das Ereignis im Jahr 1930; bis zum Sommer 1931 vermochte Therese normalerweise nur ein kleines Teilchen einer Hostie zu schlucken. Wie kommt nun eine ganze Hostie zum Vorschein? Es zeigt sich auch, daß Therese ein sehr großes Interesse daran hatte, nach Möglichkeit Zeugen dieses Ereignisses zu haben. Darum läßt sie den Benefiziaten herbeiholen. Ebenso ist es recht merkwürdig, daß nicht sie selbst erklärt, der Heiland sei wieder zu ihr gekommen, sondern der "Heiland" selbst spricht aus ihr. Und schließlich handelt es sich um eine durchaus unverständliche Sühne. Soll etwa dadurch, daß die Hostie erbrochen wurde, der Frevel jenes Mädchens gesühnt worden sein?

Aus der Aufzeichnung in Nabers Tagebuch vom 1. Juni 1932 stammt der folgende Bericht:

"Vorgestern früh schon hatte es nach der hl. Kommunion im erhobenen Ruhezustand geheißen, ich solle am nächsten Tag abends ja zu Hause sein, die Therese werde ganz bestürzt kommen mit bitterer Klage." Am Abend während der Maiandacht: "Ich fand sie in größter Angst in der Sakristei, wo sie mir gleich erzählte, sie habe Galle gebrochen. Die feuchte Hostie hatte sie zwischen den Fingern..." Sie erzählt: "Ich jammerte: Ach, Heiland, ach Heiland, was fange ich denn an mit Dir? Da sagt etwas ganz deutlich: Der ist es doch gar nicht; ist ja bloß Brot, siehst es doch, wirf es weg!" Nun begibt sich Therese also zum Pfarrer in die Sakristei und jammert weiter: "Ach, was hab ich denn dem Heiland angetan, daß er aus mir fort ist! Ich bin verloren. Wenn der Bischof erfährt, wie ich da den Heiland herumtrage, schließt er mich aus der Kirche aus." Nach einiger Zeit ruft sie: "Herr Pfarrer, der Heiland ist fort, er ist wieder in mir." Als Erklärung wird angegeben: "Diese ehrfurchtsvolle Angst um den sakramentalen Heiland hatte Therese für einen Priester zu leiden zur Sühne der schlampigen Behandlung des Allerheiligsten durch denselben."

Es ist unfaßbar, wie durch Erbrechen der Hostie gesühnt werden soll, was jener Priester gefehlt hatte. Hier kann man doch weder von einer Gott wohlgefälligen Leistung noch von einem guten Werk, das sühnende Wirkung hat, sprechen!

Den folgenden Bericht verdanken wir Prof. Mayr in Eichstätt. Er überliefert, was Prof. Mayr gleichzeitig mit anderen Zeugen am Karsamstag, dem 4. April 1942 erlebt hat (12).

"Es war um 8 Uhr abends. Therese lag im Bett; sie hatte Brechreiz. Plötzlich, ohne den Mund zu schließen, lallte sie: ,Der Heiland, der Heiland.' Dann streckte sie die Zunge etwas vor, um uns zu zeigen, was geschehen war. Auf der Zunge lag ein rein weißer Körper von der Form und Größe einer kleinen Hostie, doch gequollen und biegsam."

Verwunderlich ist, daß die Hostie trotz Magensaft ("Galle erbrochen"!) nicht aufgelöst wird. Das eine Mal erscheint sie völlig unversehrt, das andere Mal ist sie aufgequollen. Wenn sich die Hostie sonst über einen Zeitraum von etwa 24 Stunden hin nicht aufgelöst hat, warum hat sie sich dann überhaupt aufgelöst oder warum ist sie verschwunden Warum war das Verlangen nach der Kommunion, zeitlich gesehen, so verschieden? Bald kommuniziert Therese, wie an Ostern, am frühen Morgen in ihrem Zimmer, nimmt aber dann beim Hauptgottesdienst in der Kirche teil, bald kommuniziert sie während der hl. Messe am Morgen, bald außerhalb des Gottesdienstes je nach Laune, bald morgens, bald gegen Mittag, bald am Nachmittag. Wenn Therese an einem Tag um 11 Uhr zur Kommunion ging und am anderen Tag früh, waren dann in ihr zwei Hostien? Warum hatte sie nach dem Kommunionempfang Visionen, ihre sogenannten Ruhezustände, wenn der Heiland immer in ihr gegenwärtig war?

Kann man bei einem so abnormen Verhalten zur Eucharistie einen Mann wie Dr. Deutsch verurteilen, wie es beispielsweise im Buche Steiners geschieht (13), wenn er von einem Theater mit der erbrochenen Hostie spricht (14). Dr. Deutsch sagt: "Es sieht einem hysterischen Theater so ähnlich wie ein Ei dem anderen."

  1. Das Ereignis wird vorher angekündigt.

  2. Den gewünschten Zeugen wird bereits einen Tag vorher angesagt, man werde sie herbeiholen.

  3. Therese schickt Boten aus, die Geladenen herbeizuholen. Ihre Schwester muß Pfarrer Naher holen; auf Drängen der Therese muß auch der Benefiziat Härtl gerufen werden.

  4. Zum Schluß wird die Vorstellung durch die Stimme des "Heilandes" erläutert und alles löst sich wie immer in Wohlgefallen auf.

Wer bei einem solchen Verlauf des Kommunionempfangs nicht nachdenklich wird und blindlings zustimmt, der muß an eine Kette von Wundern glauben, die unerhört sind:

  1. Therese weiß die künftigen Ereignisse im Zusammenhang mit der empfangenen Hostie genau voraus.

  2. Die Hostie gelangt völlig unversehrt vom Mund durch die Speiseröhre in den Magen.

  3. Sie bleibt viele Stunden hindurch im Magen, ohne vom Magensaft auch nur im geringsten angegriffen zu werden.

  4. Es wird "Blut" aus dem Magen erbrochen, aber die Hostie wird dadurch nicht gefärbt.

  5. Erinnern wir uns an das Sühneleiden der Therese für einen Trinker! Sie erbricht einen übelriechenden alkoholischen Fusel, aber die Hostie kommt nicht zum Vorschein.

  6. Ein andermal verläßt die Hostie durch die Speiseröhre den Magen, wird dabei aber in keiner Weise deformiert.

  7. Endlich folgt zum Schluß ein geheimnisvolles Orakel, das alles erklärt. So werden Sünden, ja Verbrechen anderer Menschen gesühnt! Und der Heiland, der aus der Resl spricht, drückt dem Ganzen den Stempel der Wahrheit auf ...

Der Grund, warum Therese bisweilen ohne Priester kommunizierte, war nach ihrer eigenen Angabe der, daß sich mittlerweile in ihr die Hostie aufgelöst hatte und daß dann die Sehnsucht nach dem Heiland sie überwältigte. Sie hat demnach die Auflösung der Hostie beobachten können. So berichtet Staudinger:

"Köstlich, sagt der Pfarrer, ist ihr kindliches Gespräch mit dem Heiland, wenn sie sieht, daß die Gestalt der hl. Eucharistie sich auflöst und der Heiland mit seiner sakramentalen Anwesenheit sie verläßt. ,Wart nur, Heiland', sagte sie, ,krieg' dich schon wieder.'" (15)

Es bleibt unbegreiflich, wie man eine solche Weise des Gesprächs mit Gott köstlich oder gar kindliche Frömmigkeit nennen kann. Vielmehr muß man auch hier Symptome der Hysterie sehen.

f) Mystische Kommunion bereits in der Kindheit

Wenn jemand derart im Ruf einer Begnadeten steht wie Therese Neumann, dann schaut man selbstverständlich auch zurück in die Tage der Kindheit und sucht, ob sich nicht auch schon da außerordentliche Dinge zugetragen haben. Und in der Tat, man sucht nicht vergebens. Bereits am Tag ihrer Erstkommunion wurde sie mit einem einzigartigen Erlebnis ausgezeichnet, von dem sie allerdings damals, in ihrer Demut und Bescheidenheit, keinem Menschen etwas verraten hat. Es war dies das erste mystische Phänomen, das sich bei ihr äußerte (1).

Pfarrer Ebel, der während der Kommunionmesse "die Mädchengruppe beaufsichtigte", hielt ihre "in sich versunkene Haltung" für Zerstreuung und machte ihr bittere Vorwürfe. Therese, heißt es, habe sich nicht verteidigen können; sie mußte innerlich verarbeiten, was sie geschaut hatte. Ebel wußte nicht, daß ihr Verhalten durch eine äußere, Erscheinung verursacht worden war. Nach Steiner (2) hat Therese bei ihrer Erstkommunion den Heiland selbst auf sich zukommen sehen und habe sich deshalb, ihrer selbst nicht mächtig, nicht, wie vorgeschrieben, verhalten. Am Tag darauf habe der Pfarrer Therese vor allen Kindern gestraft. Therese ließ sich bereitwillig strafen und vor ihren Mitschülern bloßstellen; mit keinem Wort verteidigte sie sich, und keinem Menschen, weder Eltern noch dem Priester, verriet sie ihr Geheimnis. Das klingt wenig glaubhaft, wenn man weiß, daß niemand anders als sie selbst dem Erzbischof Teodorowicz verraten hat, daß sie als Kind in der Kirche viel herumgeschaut hat und daß sie sehr schwatzhaft war (3).

Wann hat Therese Neumann ihr Erlebnis zum erstenmal erzählt? Von den Biographen sprechen darüber erst Boniface und Steiner. Dieser sagt, Therese habe Pfarrer Naber erstmals im Zusammenhang mit der Schilderung ihres Fürbittgebets für den verstorbenen Pfarrer Ebel informiert, der ihr hilfesuchend erschienen sei. Wann das war, wird nicht mitgeteilt. im Zwiegespräch, das Subregens Westermayr um die Wende des Jahres 1928/29 mit Therese geführt hat, kam die Rede auf etwaige Höhere Begnadigungen in der Kindheit. Damals machte Therese "Andeutungen über besondere Gnaden, die sie bei der Erstkommunion und öfter im nüchternen Zustand während der Schulzeit bei zu vorgerückter Stunde empfangenen geistlichen Kommunionen erhalten habe". Therese bemerkte dabei: "Der Pfarrer weiß es." (4) Aber was wußte der Pfarrer damals wirklich? Jedenfalls hat Therese nicht einmal dem Bischof Teodorowicz, dem sie doch ihr Herz ausgeschüttet hat, etwas von Kindheitserlebnissen in der angedeuteten Art erzählt. Erst am 13. Januar 1953, als sie im Auftrag des Eichstätter Bischofs durch die beiden Professoren Dr. Lechler und Dr. Mayr eidlich vernommen wurde, ist sie deutlicher geworden. Über das angefertigte Protokoll muß bemerkt werden, daß ein sehr großer Teil der Fragen, die Therese zur Beantwortung vorgelegt wurde, ausgesprochen suggestiver Art ist. Erfahrene Juristen und Ärzte würden solche Aussagen nur mit den größten Vorbehalten bewerten. Die Frage in unserem Fall lautete:

"Traten bei Ihnen außergewöhnliche Erscheinungen schon in Ihrer Jugend auf? Wann? Welche?" Therese antwortete: "Bei meiner ersten hl. Kommunion sah ich, als mir der Priester (Pfarrer Ebel) die hl. Hostie reichte, nicht die Hostie, nicht den Priester, sondern das verklärte Jesuskind; ich sah dies aber damals nicht als etwas Außergewöhnliches an, sondern meinte, das sei bei allen Leuten bei diesem Anlaß so. Pfarrer Ebel, dem mein Verhalten bei der hl. Kommunion aufgefallen war, deutete es als Zerstreuung, machte mir anderntags Vorhält und strafte mich vor allen Kindern."

In diesem Zusammenhang stellt sich die berechtigte Frage: Darf man von einer Person, die einwandfrei hysterisch veranlagt ist, in einem Abstand von mehr als vierzig Jahren nach den angeblichen Kindheitsereignissen einen Eid verlangen? Therese hatte zudem wie die übrigen Kinder den Kommunionunterricht besucht. Wie hätte sie auf den Gedanken kommen können, daß Erlebnisse der geschilderten Art etwas Selbstverständliches seien?

Die Biographen betonen sonst einmütig, daß Therese Neumann sich in ihrer Kindheit in keiner Weise von den übrigen Kindern unterschieden habe. Nach Jahrzehnten erst taucht die Legende

auf, sie habe damals bereits einzigartige Auszeichnungen durch den Herrgott erfahren und alle anderen Kinder ihres Alters an tiefer Frömmigkeit übertroffen, ja, Boniface weiß sogar an. zugeben', daß sie in den Jahren nach dem Erlebnis am Erstkommuniontag des öfteren die Gnade erhalten habe, aus der Ferne die hl. Kommunion zu empfangen.

"Damals waren die päpstlichen Weisungen über die häufige Kommunion noch nicht veröffentlicht, und die Kinder selbst in urkatholischen Gegenden, wie in Bayern, durften nur an hohen Feiertagen an die Kommunionbank treten. Dagegen wurde die geistliche Kommunion sehr empfohlen, und Therese, die dieser frommen Übung täglich huldigte, begab sich hierzu in die Kirche, so oft sie sich nur freimachen konnte. In ihrem Eifer kniete sie so nahe als möglich vor dem Tabernakel nieder, d.h. an die Kommunionbank, die die Schranke zum Chore bildete. Und dort trug es sich mindestens 12mal zu, daß ihre sehnlichste Begierde durch das geheimnisvolle Kommen einer Hostie belohnt und so die Begierdekommunion in die sakramentale Kommunion verwandelt wurde."

Bei dem Verhör in Eichstätt gab Therese über dieses zweite mystische Kindheitserlebnis zu Protokoll:

"Seit der Erstkommunion (Frühjahr 1909) erwachte in mir die Liebe zum Heiland im Sakrament und das Verlangen nach öfterer Kommunion. Da dieses Verlangen gemäß der strengeren Praxis der damaligen Zeit nicht gestillt wurde Pfarrer Ebel ließ uns Kinder nur vierteljährlich kommunizieren , so haben wir Kinder den Heiland im Sakrament nur besucht und die geistliche Kommunion erweckt. Bei solchen Besuchen kam es, als ich an der Kommunionbank kniete, zwei- bis dreimal, vielleicht sogar öfter, vor, daß die hl. Hostie aus dem Tabernakel auf mich zuschwebte, sich nach Öffnung meines Mundes fühl- und schmeckbar auf die Zunge legte und ich die hl. Gestalt unter Schlucken genoß. Einmal war dabei eine schon verstorbene Jugendfreundin, Theres Döhle, Zeugin des ganzen Vorgangs; mit ihr besprach ich die Sache, da sie mich deswegen beredete und sich wunderte, daß es ihr nicht auch so erging. Als September 1909 H. H. Naber Pfarrer wurde, durften auch wir Kinder öfter kommunizieren. Ich bemerke, daß ich die oben erwähnten Vorgänge mit völlig klaren, nüchternen Sinnen beobachtete"

Steiner ergänzt:

"Sie hat darüber Jahrzehnte lang geschwiegen und hätte wohl auch nie davon gesprochen, wenn nicht eine geistliche Kommission sie über ihr Innenleben vernommen hätte." (6)

Damit ist doch zum Ausdruck gebracht, daß Therese früher niemandem etwas von ihren Erlebnissen verraten hat, auch nicht Pfarrer Naber, Sie selber behauptet aber unter Eid, sich mit ihrer Jugendfreundin, der Zeugin des mystischen Vorgangs, ausgesprochen zu haben! Beide hätten geschwiegen wie ein Grab?! Boniface erfährt wohl bei seinem Besuch im Jahr 1955, das außerordentliche Ereignis sei "mindestens zwölfmal" eingetreten. Kann ein Mensch bei so einzigartigen Auszeichnungen derart unsicher sein?

Therese Neumann hatte am 18. April 1909 Erstkommunion; im Jahre 1912 kam sie als Magd zu einem Großbauern. Boniface meint, damals seien die päpstlichen Weisungen über den oftmaligen Empfang der hl. Kommunion noch nicht veröffentlicht gewesen. Er täuscht sich. Das Dekret über den öfteren und täglichen Empfang der hl. Kommunion durch die Gläubigen erschien bereits am 20. Oktober 1905. Freilich dauerte es geraume Zeit, bis die Anregung verwirklicht wurde. Dorsaz gibt im Widerspruch zu Boniface für die Zeit, da Therese Neumann beim Bauern Dienst tat, an:

"Sie pflegte die religiösen Übungen, zu denen sie als Kind angehalten worden war, beichtete alle vierzehn Tage und kommunizierte jeden Sonntag." (7)

Das ist eine der üblichen Übertreibungen; aber so schlimm, wie Boniface meint, war es auch wieder nicht. jedenfalls haben die Kinder nicht bloß an den hohen Feiertagen zu den Sakramenten gehen dürfen.

Am 15. September 1909 wurde Josef Naber zum Pfarrer von Konnersreuth ernannt. Im Nachruf nach seinem Tod heißt es:

"Als einer der ersten Seelsorger machte er sich die Kommuniondekrete des Hl. Vaters Pius X. zu eigen und durch nimmermüdes Belehren, Bitten und Mahnen vermochte er in jahrelanger Arbeit zuerst die Frauen und Kinder für den öfteren Empfang der hl. Kommunion zu gewinnen, bis deren Beispiel in wachsender Zahl auch Männer und Jungmänner folgten." (8)

Es läßt sich denken, daß mit dem Auftreten Nabers Therese Neumann nicht gleich jeden Sonntag kommuniziert hat. Therese will mit ihrer eidlichen Aussage dem ihr völlig ergebenen Seelsorger offensichtlich ein Loblied singen.

Therese Neumanns Aussagen sind hier im besten Falle als gutgläubige Selbsttäuschung zu bezeichnen. Lhermitte spricht in seinem Werk über echte und falsche Mystiker von den allgemeinen Voraussetzungen der Stigmatisation (9). Er erwähnt dort die rätselhaften Krankheiten, die plötzlichen und unerwarteten Heilungen, die eine ahnungslose Umgebung in Staunen setzen, Schmerzen, die offenbar in einem absichtlich gewählten Augenblick auftreten, und fährt dann fort:

"So selten die typischen Merkmale aus, die die Kandidaten für die leibliche Stigmatisation auszeichnen. Wir wollen noch erwähnen, daß die ,Dämmerzustände', die phantastischen Märchengeschichten, die krisenhaften Angstzustände, die sehr lebhaften und furchterfüllten Vorstellungen, eine gewisse Neigung, im Schmerz die Wollust zu suchen, ebenfalls bei mehreren Stigmatisierten festgestellt wurden (Schleyer). Überdies kommt es nur selten vor, daß sie nicht von Visionen, Ansprachen oder Ekstasen heimgesucht wurden; und wenn der Betreffende mitunter diese seltsamen Erscheinungen bis in seine früheste Kindheit zurück verfolgt, darf man sich durch solche Berichte nicht zum Narren halten lassen. Es ist möglich, daß er durchaus gutgläubig einer Selbsttäuschung unterliegt und auf Grund einer ungenauen Erinnerung ein weit neueres Phänomen in eine ferne Vergangenheit verlegt."

Die Erzählungen der Therese Neumann über ihre mystischen Kommunionen in der Kindheit dürften wohl diesen Phänomenen zuzurechnen sein, die Lhermitte geschildert hat. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang daran, daß sie im Gespräch mit Bischof Teodorowicz ausdrücklich versichert hat, sie habe früher nichts von inneren mystischen Erlebnissen in sich verspürt. Im Jahr 1953 jedoch erklärt sie unter Eid, sie habe bereits als Erstkommunikantin eine Vision gehabt und wiederholt sei die Hostie aus dem verschlossenen Tabernakel auf sie zugeschwebt und in sie eingegangen.

"Eucharistische Phänomene", meint Boniface (10), "sind bei weitem die bedeutendsten und bezeichnendsten aller Tatsachen, die in Konnersreuth zu beobachten sind. Sie sind auch diejenigen, vor denen die rationalistische Wissenschaft vollständig verstummt und die keine Hypothese zu geben vermag, so phantasievoll und ,großsprecherisch sie sich sonst auch benimmt." - Doch um diese Ansicht zu widerlegen, bedarf es gar nicht vieler Wissenschaft sind auch keiner phantasievollen Hypothese, sondern ein Normalmaß an gesundem Menschenverstand reicht aus, um zu erkennen, daß hier Gott nicht am Werke war und auch nicht am Werke sein konnte, da einer solchen "Mystik" eine falsche, ja oft skurrile Gottesauffassung zugrunde liegt.

Boniface bezeichnet zwar Therese Neumann als "eucharistische Mystikerin", aber die hier vorgebrachten Bedenken und Einwände bezeugen eher das Gegenteil: Das ist Pseudomystik von Psychopathen. Es ist eine Erfahrungstatsache, die Ärzten und Seelsorgern bekannt ist, daß hysterische Personen leicht dazu neigen, gerade das Geheimnis der Eucharistie zu einem Theater zu mißbrauchen, weil sie hier eine günstige Gelegenheit haben, aufzufallen und das Interesse der Menschen auf sich zu lenken.

* Unter Bination versteht das Kirchenrecht eine mit Erlaubnis des zuständigen Oberen zweimalige Feier der heiligen Messe am selben Tage durch einen Priester.

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Letzte Änderung: 26. Dezember 2002