Konnersreuth als Testfall

Einleitung

Seit 1926 sind im In- und Ausland so viele Bücher und Abhandlungen über Therese Neumann von Konnersreuth erschienen, daß es unmöglich geworden ist, sie alle einzusehen. Das scheint auch insofern entbehrlich, als der größte Teil der Konnersreuther Schriften bereits veröffentlichte Berichte übernimmt und daran Betrachtungen knüpft, die auf den eigentlichen Kern der Problematik wenig oder überhaupt nicht eingehen. Das Erstaunliche dabei ist, daß Ärzte und Theologen, die sich kritisch mit den Konnersreuther Phänomenen befaßt haben, im Vergleich zu den Verteidigern der Stigmatisierten von Konnersreuth eine verhältnismäßig geringe Beachtung gefunden haben. Menschen lassen sich nun einmal von außergewöhnlichen Dingen, wie sie Konnersreuth reichlich geboten hat, leicht täuschen; auch wenn es sich bei diesen Phänomenen durchaus nicht um etwas Einmaliges handelt. Wer immer sich mit der einschlägigen Literatur beschäftigt, der wird bald feststellen müssen, daß Dinge, wie sie von Konnersreuth berichtet werden, keinesfalls so selten sind. Staunen erregt nur, daß aus den Erfahrungen in Geschichte und Gegenwart so wenig gelernt wird. Wenn auch noch so oft bei Stigmatisierten, Visionären und Nahrungslosen eine eingehende Überprüfung nachgewiesen hat, daß durchaus nicht von übernatürlichen, sehr oft aber von menschlichen, allzu menschlichen Vorgängen gesprochen werden muß, so lassen sich immer wieder die Menschen von den ihnen unbegreiflichen Wunderdingen" blenden.

Dieses Buch kreist um zwei Fragen: Handelt es sich bei den sogenannten Konnersreuther Phänomenen tatsächlich um Erscheinungen, für die es keine andere Erklärung gibt als die Annahme göttlicher Einwirkung? Und die zweite Frage: Geben Leben und Verhalten der Therese Neumann keinerlei Anlaß zu Bedenken? Beide Fragen lassen sich nicht voneinander trennen; denn es scheint unglaubhaft, daß Gott an und mit einem Menschen außerordentliche Dinge wirkt, wenn sein Leben nicht einzigartig oder heilig zu nennen ist.

Deshalb sind vor allem jene Berichte eingehender zu studieren, die aus erster Quelle schöpfen. Es sind jene Erzählungen, die unmittelbar von Therese Neumann oder von anderen gewichtigen Zeugen stammen, die genau Bescheid wußten. Konnersreuth ist ein medizinisches und ein theologisches Problem. Es muß demnach vor allem auf die Urteile der Ärzte zurückgegriffen werden, die auf Grund von persönlichen Beobachtungen oder auf Grund reicher Erfahrung in ihrem Fachgebiet berichten konnten. Der Theologe dagegen hat zu ergründen, ob die sogenannten mystischen Phänomene von solcher Art sind, daß kein vernünftiger Zweifel an einem göttlichen Einwirken bestehen bleibt. Dabei ist äußerst wichtig und aufschlußreich, wie dieselbe Person, nämlich Therese Neumann, die Ereignisse wiederholt anders schildert. In wesentlichen Fragen müßte jeder auffallende Widerspruch in der Schilderung ausgeschlossen sein. Zum Vergleich müssen demnach jene Biographen herangezogen werden, die sich auf Berichte aus erster Quelle berufen können; eine zutreffende Würdigung ermöglichen außerdem jene Briefe, in denen Therese Neumann selber von sich erzählt oder zu verschiedenen Fragen Stellung nimmt, insbesondere zur Frage der angeblichen Nahrungslosigkeit.

In diesem Zusammenhang scheint ein kritischer Hinweis auf die wichtigsten Biographen unentbehrlich. Zu ihnen gehören Leopold Witt, Dr. Fritz Gerlich, Erzbischof Teodorowicz von Lemberg, Ennemond Boniface und Dr. Johannes Steiner. Der Pfarrer Leopold Witt von Münchenreuth bezeichnet sich geradezu als "Protokollführer" und bekennt, er habe kein Wort ohne Zustimmung der Therese oder ihrer Eltern niedergeschrieben. "Auch noch das druckfertige Manuskript wurde zum größten Teil Therese selbst wieder ein anderer Teil ihren Eltern vorgelesen, damit jede Änderung vorgenommen werden könne."(1)

Gerlich war oft und längere Zeit in Konnersreuth; das Ergebnis seiner Nachforschungen bringt er in zwei Bänden. Erzbischof Joseph Teodorowicz hat sich wiederholt in Begleitung des Bischofs Lisowski nach Konnersreuth begeben und dort Therese Neumann eingehend ausgefragt. Die Stigmatisierte hegte zu ihm, wie er sich ausdrückt, "ein besonderes Vertrauen"(2) . Sie hat ihm "vieles aus ihrem Innenleben anvertraut" und ihm "ihr Herz ausgeschüttet.

Das Buch von Ennemond Boniface wurde, wie es auf dem Umschlag heißt, von der Familie Neumann und von Pfarrer Naber anerkannt. Auch Boniface verdankt sein Wissen weithin unmittelbaren Schilderungen der Beteiligten, war er doch vor der Veröffentlichung seines Buches viermal in Konnersreuth, das letzte Mal im Jahr 1955. Bei einem späteren Besuch wurde er zu seiner großen Enttäuschung von Therese Neumann nicht mehr empfangen.

Dr. Johannes Steiner erklärt, sein Buch gehe zurück "auf die unmittelbaren und ersten Quellen"(3) . Schließlich muß noch verwiesen werden auf das "Konnersreuther Sonntagsblatt", in dem besondere Beachtung jene Berichte verdienen, die offensichtlich auf die Mitteilungen des Konnersreuther Pfarrers zurückgehen.

Von den Schriften, die kritisch zu den "charismatischen Erscheinungen" Stellung genommen haben, seien nur einige erwähnt. Ein ausgezeichnetes Werk ist im Jahr 1940 in französischer Sprache erschienen; sein Verfasser, Dr. Boleslas de Poray- Madeyski, ist ein Fachmann, der im Auftrag der Ritenkongregation bei Selig- und Heiligsprechungsprozessen wiederholt ex officio um sein Urteil über angeblich wunderbare Heilungen gebeten wurde. Wie er bemerkt4 , ist leider eine Aufzeichnung aus der Hand der Therese Neumann vernichtet worden; es handelt sich um die Notizen, die Therese zu Hause über den in der "Sonntagsschule" durchgenommenen Stoff in Religionslehre gemacht hatte. Als das Elternhaus in Konnersreuth im Jahr I927 erweitert wurde, hat man diese Notizen "als nutzloses altes Papier" verbrannt. Ebenfalls in französischer Sprache erschien im Jahr 195o das Buch von P. Paul Siwek, der sich ausführlich mit den behaupteten wunderbaren Heilungen und den charismatischen Gaben der Therese Neumann auseinandersetzt. Hilda Graef hat ihre Schrift über Konnersreuth zuerst in englischer Sprache herausgegeben; im Jahr I953 erschien ihr Buch auch in deutscher Sprache. Einen tieferen Einblick in jene Fragen, die Konnersreuth aufgeworfen hat, bieten zwei Werke von französischen Verfassern, die auf Therese Neumann nur im Zusammenhang mit ihrer ProblemsteIlung zu sprechen kommen. Der hervorragende Neurologe und Psychiater Jean Lhermitte behandelt in der 1953 erschienenen Untersuchung Echte und falsche Mystiker ein überaus heikles Thema mit kritischer Sorgfalt. René Biot, der eine Reihe von medizinischen Werken herausgegeben hat, beschäftigt sich in seinem Buch Das Rätsel der Stigmatisierten mit der Tatsache der Stigmatisation und sucht auf die Frage Antwort zu geben, wie die Entstehung von Wundmalen zu erklären ist.

Keiner von denen, die in Schriften zu den Konnersreuther Phänomenen Stellung genommen haben, wurde vom engsten Konnersreuther Kreis so heftig angegriffen wie der Chefarzt am Dreifaltikeits-Krankenhaus in Lippstadt, Dr. Deutsdi. Wie schwierig es war, für seine Schriften einen Verleger zu finden, zeigt sein Brief vom 1. Dezember 1937 an Prof. Martini(5) . Er schreibt unter anderem:

"Ich weiß, daß kath. Verlage und kath. Blätter direkt von den fanatischen Konnersreuthern bedroht und boykottiert wurden, wenn sie gegen die Neumann in irgendeiner Weise Stellung nahmen. Ich weiß das besonders auch von der Bonifatius-Druckerei Paderborn, die es gewagt hatte, 1932 mein Buch gegen Gerlich zu verlegen."

Ja, nicht einmal der Theologieprofessor Dr. Engelbert Krebs vermochte eine einfache Besprechung einer von Dr. Deutsch verfaßten Schrift durchzusetzen.

"Ich habe mir", so heißt es weiter im erwähnten Brief, "das vorige Mal dadurch geholfen, daß ich den Offenen Brief gegen Teodorowicz durch eine indifferente Druckerei ... drucken ließ und dann die ganze Auflage verschenkt habe. Auch meine geplante Broschüre werde ich voraussichtlich durch diese Druckerei drucken lassen und dann im Eigenverlag erscheinen lassen. Anders kann ich mir nicht helfen.'

Das wichtigste und aufschlußreichste Quellenmaterial lagert im Ordinariatsarchiv Regensburg. Die Berichte von Biographen, die als Augen- und Ohrenzeugen sprechen, lassen sich hier hinsichtlich Zuverlässigkeit und Unvoreingenommenheit überprüfen. Was vor allem Therese Neumann und ihre Angehörigen anderen erzählt haben, erscheint nunmehr weithin in einem anderen Licht; das gilt sowohl für die sogenannten Konnersreuther Phänomene als auch im Blick auf das viel gerühmte heiligmäßige Leben der Stigmatisierten von Konnersreuth. Leider konnte das Tagebuch, das Pfarrer Naher von Konnersreuth geführt hat, weder als Originalschrift noch als Duplikat eingesehen werden; alle Bemühungen blieben erfolglos.

Verschiedentlich wurde mir der Vorwurf gemacht, ich sei nie zu Lebzeiten der Therese Neumann in Konnersreuth gewesen; es stünde mir demnach nicht zu, über die Konnersreuther Ereignisse ein Urteil abzugeben. Hierzu ist zu sagen: Was hätte schon ein flüchtiger Besuch in Konnersreuth geboten im Vergleich zu den schriftlichen Quellen, die zur Verfügung standen? Außerdem wurden nur "Gläubige' bereitwillig in Audienz empfangen. Auch Hilda Graef hat man den Vorwurf gemacht, sie sei nicht in Konnersreuth gewesen; zu Unrecht; sie war dort, hat zweimal, wenn auch kurz, mit Therese Neumann und eine halbe Stunde mit Pfarrer Naher gesprochen. Aber dieser gestattete keine längere Unterredung mit der Stigmatisierten, obwohl H. Graef einen bischöflichen Erlaubnisschein vorweisen konnte(6) . Prof. Wunderle von Würzburg wurde ein Besuch in Konnersreuth in dem Augenblick untersagt, als man merkte, daß er sich nicht blenden ließ. Andere, von denen man wußte, daß ihr Zeugnis günstig lauten würde, erhielten Audienz, sooft sie es wünschten.

Man mag einwenden, Therese Neumann habe doch auch viel Gutes gewirkt Das ist nicht zu bezweifeln, wenn auch die berechtigte Frage aufgeworfen werden muß, ob der Eindruck auf Leichtgläubige und Wundersüchtige wirklich als ein echter religiöser Gewinn aufgefaßt werden darf. Es geht in dieser Schrift nicht darum, eine Biographie zu schreiben, sondern vielmehr um den Nachweis, daß es sich bei den sogenannten Konnersreuther Phänomenen um durchaus natürlich zu erklärende Dinge handelt und daß das persönliche Leben der Stigmatisierten Mängel aufweist, die eine Verehrung ihrer Person, wie sie nur Heiligen zusteht, nicht rechtfertigen.

Ich darf noch hinzufügen, daß ich nicht nur auf Grund der Lektüre weiß, mit welchen Methoden zuweilen gegen Kritiker der Konnersreuther Phänomene vorgegangen wurde. Als Beispiel dafür mag dienen, was P. Richtstätter an den Erzbischof Teodorowicz geschrieben hat(7):

"Statt gegen ... die Lehre der großen Mystiker sich zu wenden, die ich bestrebt war vorzulegen, wurde ich von einem gewissen Kreise in einer Weise persönlich angegriffen und beschimpft, wie man es gegen katholische Priester in solcher Verdrehung, Entstellung und Unwahrhaftigkeit, in solcher Gehässigkeit und Leidenschaftlichkeit nur in kommunistischen Skandalblättern oder im Kreise pseudomystischer Visionäre, niemals aber in der näheren Umgebung begnadeter Heiliger beobachtet hat."

Was P. Richstätter widerfahren ist, das haben auch andere, Laien wie Theologen, die in Konnersreuth gewirkt haben, zur Genüge kennengelernt. Ich habe zwar wiederholt solche Augenzeugen aufgefordert, ihre Erfahrungen niederzuschreiben, aber sie haben aus persönlichen peinlichen Erfahrungen heraus abgelehnt, wie man sie, um mit P. Richstätter zu sprechen, "in der näheren Umgebung mystisch begnadeter Heiliger" niemals beobachtet.

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Letzte Änderung: 26. Dezember 2002