Konnersreuth als Testfall

Schlußbemerkung

Ein alter, weiser Grundsatz lautet: Über die Toten nichts, es sei denn Gutes! Aber man darf nicht einfach schweigen, wenn der Konnersreuther Kreis nicht aufhört, die alten, zum Teil längst widerlegten Märchen neu aufzuwärmen. Auch wenn allmählich die Wallfahrten nach Konnersreuth zurückgehen, Bücher und „erbauliche“ Schriften sorgen schon für die Wacherhaltung des Interesses. Man darf nicht übersehen, daß die mit kirchlicher Druckerlaubnis erscheinenden Schriften leicht zur irrigen Auffassung führen, das kirchliche Lehramt bürge für die Wahrheit der behaupteten Dinge. Der „Altöttinger Liebfrauenbote“ wirbt seit Jahren für die Schrift Dr. Steiners über Konnersreuth. In der Nr. 40 vom Jahre 1970 wird seine Schrift bezeichnet als „exakt erarbeitete ... Biographie, bei der man auf jeder Seite die Echtheit spürt und die ein erdrückendes Tatsachenmaterial zu Tage fördert, das auch den größten Zweifler nachdenklich stimmen muß“. Ja, es stimmt, man wird nachdenklich gestimmt, erst recht, wenn man das Quellenmaterial in Händen gehabt hat. Wenn das Tatsachenmaterial so erdrückend ist, dann hätte man dem Verfasser dieser Schrift die Tagebücher von Pfarrer Naber zur Verfügung stellen können. Der Altöttinger Liebfrauenbote beklagt sich in seiner Werbeanzeige für Steiners Buch darüber, daß Wunder, welche Gott im Verborgenen wirke, totgeschwiegen würden. Aber wenn keine Wunder vorliegen, dann kann man sie auch nicht totschweigen. Mit Kritiklosigkeit und Wundersucht kann man der Religion nicht dienen. Frömmelnde Gefühlsduselei, wie sie häufig eine „erbauliche“ Literatur fördert, schadet nur. Wir kennen das Schlagwort von der „Entmythologisierung der Hl. Schrift“, die so weit geht, daß schließlich jegliche Überlieferung zur Dichtung abgestempelt wird. Wer aber glaubt, er könne mit dem Hinweis auf „Offenbarungen“, wie sie etwa in Heroldsbach, Garabandal und Konnersreuth ergangen sein sollen, das Evangelium Christi verteidigen, der geht einen grundfalschen Weg. Umgekehrt ist es: Er erreicht nur, daß die Gegner des Christentums die Berichte des Evangeliums auf die gleiche Stufe stellen wie die Erzählungen aus dem Bereich einer falschen Mystik. Es sei nur auf einen Punkt hingewiesen: Glaubt denn einer, daß man mit den „Offenbarungen“ der Therese Neumann über Engel und Teufel, daß man mit ihrer Einstellung zum Meßopfer, daß man mit dem massiven Unsinn, Christus habe aus der Stigmatisierten gesprochen, die Glaubenslehre der Kirche stützen kann? Nein, mit solchen Dingen macht man sie lächerlich. Es muß verwundern, daß die Theologen, welche jeweils die kirchliche Druckerlaubnis gegeben haben, das nicht gesehen haben.

Die Krankheiten und „Heilungen“ bei Therese Neumann sind keine Wunder, sondern erweisen sich nach ärztlichem Urteil einwandfrei als Dinge, die in den Bereich der Neuropathologie gehören. Von der Stigmatisation sagt Biot:

„Wir glauben nicht, daß man in diesen Wunden ein unzweifelhaftes Kennzeichen übernatürlicher Kräfte sehen muß, selbst wenn die Person, bei der sie auftreten, ... einen hohen Grad der Vereinigung mit Gott erreicht. ... Wir glauben in der Tat nicht, daß der Beweis erbracht ist, daß diese Stigmen außermenschlichen Ursprungs sind und so den Wert eines göttlichen Zeichens haben."1

Was Biot hier allgemein ausspricht, gilt in besonderem Maße von Therese Neumann.

In den Berichten über die ekstatischen Zustände der Stigmatisierten von Konnersreuth finden sich so viele Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten, daß eine göttliche Einwirkung nicht anerkannt werden kann. Statt dessen erweist sich bei näherem Zusehen vieles als Menschen-Machwerk, nicht Gottes-Werk. Es bleibt also die Frage: Wo sind die Wurzeln für die einzelnen Erscheinungen in der „Ekstase“ zu finden? Man kann Dr. Deutsch nicht widerlegen, wenn er sich auf das Urteil eines Kollegen beruft, das er zu seinem eigenen macht:

„Wer mit Psydioasthenischen und Hysterischen lange verkehrt hat, kann sich nicht dem Eindruck entziehen, als spreche Therese Neumann unter dem Eindruck des Pfarrers Naber, ja sie sei nur dessen leises Echo“2

Dr. Deutsch erwähnt fernes ein Gutachten in den römischen Akten, in dem es heißt: „Der Pfarrer übt zweifellos einen bedeutenden Einfluß auf Therese Neumann aus.“

Er selbst fügt dem hinzu:

„Mein Eindruck ist, daß er die Heiligkeit der Therese Neumann ,pflegt'.“3

Pfarrer Naber war so blindgläubig, daß er einfach die Geister nicht mehr zu unterscheiden vermochte. Er hat Therese Neumann nicht nur als Heilige bezeichnet, er hat sie als solche verehrt und sie sogar als „Heilandskind“ angeredet. Er brachte es fertig, vor ihr niederzuknien und so ihre "Offenbarungen" entgegenzunehmen5. Im Brief vom 21. Oktober 1937 versichert er seinem Bischof, er habe von Anfang an hinsichtlich der „außerordentlichen Vorkommnisse“ bei Therese Neumann den Standpunkt eingenommen, ."ob nicht etwas gegen kirchliche Lehren und Sitte Verstoßendes sich zeigt. Wenn ja, dann unerbittlich dagegen einschreiten; wenn nein, den Dingen einfach ihren Lauf lassen, damit man nicht mit vermeintlicher Klugheit schließlich störend in die Pläne Gottes eingreift". Der Pfarrer hat aber nicht den Dingen ihren Lauf gelassen; von Anfang an hat er den Lauf wesentlich mitbestimmt. Er ist es gewesen, der ein Phänomen" nach dem anderen geweckt hat. Der Weg, den er beschritten hat, war falsch. Bereits im April 1926 hat er das Auftreten der ersten Wundmale in der „Waldsassener Grenzzeitung“ bekannt gemacht. Er hat das „Konnersreuther Sonntagsblatt“ mit Berichten versorgt; am 22. Juni 1929 schreibt der Verleger Albert Angerer von Waldsassen an den Bischof von Regensburg, Naber mache wöchentlich seine Mitteilungen. Später scheint allerdings für das „Konnersreuther Sonntagsblatt“ diese Quelle versiegt zu sein. Am 5. November 1936 versicherte der Pfarrer dem Bischof von Regensburg: „Das Konnersreuther Sonntagsblatt wird von mir in keiner Weise bedient.“

Der Pfarrer hat auch die Massenbesuche wesentlich gefördert. Er hat Therese Neumann auf den pseudomystischen Weg gewiesen, und zwar von ihrer Erkrankung an. Nur er, nicht sein Benefiziat, durfte sie betreuen. Man kann ahnen, daß sein Trost viele Hinweise auf Vorbilder für Thereses Leidensweg enthalten hat. Hier liegt neben der hysterischen Veranlagung der Patientin der tiefere Grund für die „wunderbaren Heilungen“, für die „Visionen“, für die „stellvertretenden Leiden“ und für den Beginn der „Stigmatisation“. Pfarrer Naber hat Therese Neumann mehr und mehr in die Rolle einer Mystikerin hineingeschaukelt.

Der Nachbarpfarrer in Münchenreuth, Leopold Witt, spricht bereits im Jahr 1926 von einer völligen Abhängigkeit der Therese Neumann von ihrem Pfarrer.

„Therese ist vollständig in der Hand des Pfarrers. Was ihre Eltern sagen, um Ordnung in ihrem Haus zu haben, ist ihr nichts. Hier ist nur allein der Ortspfarrer. Die himmlische Stimme aber bestärkt die Resl in ihrer Torheit. Allerdings fühlt der Ortspfarrer immer mehr meinen geheimen Widerstand und um so mehr ist sein Zorn. Er hat mich schon zweimal zum Zimmer hinausgeworfen. ... Die Eltern haben über den geistlichen blinden Gehorsam eine vernünftigere Auffassung als die himmlische Stimme im Munde Theresens und des H. H. Pfarrers." So berichtet Witt am 14. Oktober 1926 an den Bischof von Regensburg".

Man muß bedenken, daß Witt selber zu den Konnersreuthgläubigen zählte und am I7. November 1926 sein erstes Buch über die Stigmatisierte veröffentlichte. Auch später nahm er sie immer wieder in Schutz, obwohl er selber Theologen gegenüber Therese als "eine Betschwester hin und her" bezeichnete.(7)

Mit Therese Neumann wurde ein Kult getrieben, wie er in der Hagiographie ohne Parallele ist und wie man ihn nur bei pseudomystischen Vorgängen in der Geschichte der Mystik findet. Daß Konnersreuth zur Sensation geworden ist, dafür ist in erster Linie der zuständige Pfarrer verantwortlich. Ohne Zweifel hat er geglaubt, richtig zu handeln. Er war, wie ihn Dr. Seidl kennzeichnet(8),

"ein sehr frommer, seeleneifriger, aber mehr mystisch als kritisch veranlagter Priester, der von vornherein von dem übernatürlichen Charakter der bei seinem Beichtkind auftretenden Erscheinungen überzeugt gewesen sein mag".

Dr. Seidl hatte bereits bei seinem ersten Besuch nach dem Auftreten der Blutungen und später immer wieder der Patientin, den Eltern und dem Pfarrer seine Mißbilligung darüber ausgedrückt, daß man allen Leuten Zutritt gewährte, gerade auch an den Freitagen. Dr. Seidl sagt über den Massenbesuch:

"Der Zustand ist ein unwürdiger. Aber meine Bemühungen, das Haus oder wenigstens das Zimmer der Patientin zu versperren und die Patientin den neugierigen Blicken zu entziehen, waren vollkommen fruchtlos."

Ganz schuldlos an dem unwürdigen Zustand sei Therese selber nicht gewesen; denn sie sei seinen vorgebrachten Wünschen gegenüber taub geblieben.

Pfarrer Naber ist auf Grund von Erfahrungen, die für die Konnersreuther Sache unangenehm waren, im Laufe der Zeit vorsichtiger geworden. Darum wehrte er Besucher, die ein persönliches Gespräch mit Therese Neumann wünschten, ab, wenn er den Eindruck hatte, daß der bedingungslose Glaube an die Konnersreuther "Wunder" fehlte; dabei nahm er es nicht sehr genau mit der Wahrheit. Im Jahr 1952 machte Dr. Hans Stubbemann mit zwei Begleitern einen Besuch in Konnersreuth(9). Der Pfarrer unterhielt sich am Spätnachmittag des 21. August mehr ,als eine Stunde lang mit den Besuchern. Zum Schluß der Unterredung baten diese um Vermittlung zu einem Gespräch mit Therese Neumann.

"Der Pfarrer erklärte, Therese sei krank und werde in den nächsten 14 Tagen niemanden empfangen können."

Unaufgefordert erklärte der Pfarrer weiter, wenn die Besucher von Therese im Pfarrhaus empfangen würden, so sei das gegen seinen ausdrücklichen Willen, er könne es nicht verhindern, auch nicht, daß die Termine für die Empfänge außen am Pfarrhaus angeschlagen würden. Beide Versicherungen des Pfarrers waren Ausreden. Die Behauptung des Pfarrers, Therese könne keine Besuche empfangen, erwies sich bald als falsch. Zufällig konnten Stubbemann und seine Begleiter am Abend feststellen, daß Therese im Pfarrhof Besucher empfing. Sie klingelten die Haushälterin des Pfarrers, die leibliche Schwester der Therese, heraus. Diese erklärte auf Befragen, "nur bestimmte Besucher" würden vorgelassen. Trotz der Abweisung blieben die drei Männer im Flur des Pfarrhofes, bis ein Besucher das Audienzzimmer verließ. Stubbemann ging nun sofort ins Zimmer und sah Therese am Tische sitzen. Zu einem Gespräch kam es allerdings nicht, weil bei Therese ein etwa 25jähriges Mädchen aus der Umgegend weilte. Stubbemann zog sich wieder zurück und versuchte später, zu der Stigmatisierten zu gelangen. Aber sie war nicht zu erreichen. Die letzte Besucherin erklärte den Abgewiesenen auf deren Frage, "daß Pfarrer Naber im Nebenraum sitze und die Besucher einschleusen". Am anderen Morgen versuchte der eine der Begleiter, Abbé Adolphe Stickens, ein Priester aus Brüssel, die Pfarrhaushälterin zu veranlassen, daß ihre Schwester einen bestimmten religiösen Text unterschreibe, aber die Angesprochene weigerte sich. Sie lehnte auch ab, dem Pfarrer den Abschiedsbesuch des Abbé zu melden, und erklärte "mit fühlbarem Affront gegen den Priester, ihre Schwester sei so schwach, daß sie ihre Unterschrift nicht vollziehen könne". Dabei hatte Abbé Stickens noch am gleichen Morgen vor den Frühmessen mit eigenen Augen gesehen, "wie die korpulente Therese zur Ausschmückung der Kirche persönlich schwere Blumenvasen und dergleichen gehoben und getragen hat". Schließlich versuchten die drei Besucher, Therese in ihrem Wohnhaus zu erreichen. Die Vordertür war nicht geöffnet, aber zufällig war die Hintertür offen und die Eintretenden fanden in der Küche den Bruder und Vater der Stigmatisierten.

"Der Bruder erklärte auf die Bitte, Therese zu sprechen, mit der selbstgefälligen Aufsässigkeit des kleinen Mannes, auch wenn ein Bischof seine Schwester zu sprechen wünsche, werde er, wenn sie es nicht wolle, unvermittelter Dinge wieder weggehen müssen."

Stubbemann spricht den Verdacht aus, "daß es offensichtlich einen ausgezeichneten, von einer ,Clique' organisierten Nachrichtendienst gibt, der den Pfarrer und Therese Neumann über alle Bemerkungen und Besonderheiten der interessierten Besucher informiert". Die Zusammenarbeit in Konnersreuth zwischen den Beteiligten des "engsten" Kreises scheine "bestens" organisiert zu sein.

Neben Pfarrer Naber hatte einen ausnehmend negativ zu beurteilenden Einfluß auf Therese Neumann der Eichstätter Hochschulprofessor Dr. Wutz. Wie unwürdig er sich zuweilen benommen hat, offenbaren die Gruppen-Tagebücher der beobachtenden Schwestern im Jahr 1927. Am 21. Juli kam der von Therese brieflich zu Hilfe Gerufene mit Prof. Pabstmann in Konnersreuth an. Schon vorher äußerte Therese ihre Freude über seinen bevorstehenden Besuch, von dem sie "oft und oft" erzählte. Als Prof. Wutz erschien, würdigte er die Schwestern keines Blickes. Therese wurde von den Herren "gleich in Beschlag genommen". Prof. Wutz sagte unter anderem zu ihr:

"Heute können wir nicht miteinander reden, da die da sind, nächsten Donnerstag dann."

Therese machte den Professor darauf aufmerksam, daß die Schwestern am kommenden Donnerstag auch noch da sein könnten. Da unterbrach sie Wutz mit der Bemerkung, das Ordinariat habe vierzehn Tage bestimmt und Dr. Seidl habe gar nichts zu reden; "da bin ich auch noch da". Am folgenden Tag jammerte Therese über Äthergeruch. Prof. Wutz und Prof. Pabstmann "regten sich furchtbar auf". Vor allem Prof. Wutz war "sehr grob" gegen die Schwestern und sagte: "Wäre ich der Vater oder Bruder, ich würde euch hinauswerfen." Er schmähte auch den Sanitätsrat Dr. Seidl. Im Laufe des Tages unternahm er mehrmals den Versuch, sich in die Untersuchung einzumischen und verlangte sogar, in die Aufzeichnungen der Schwestern Einblick zu bekommen, wurde aber von diesen auftragsgemäß zurückgewiesen.

Prof. Wutz war gerngesehener Gast in Konnersreuth. Er holte auch Therese immer wieder zu sich nach Eichstätt und hat sie oftmals mit seinem Auto umhergefahren; bereits im Jahr 1927 holte er sie zu sich nach Eichstätt. Das Verhalten des Professors veranlaßte den Regensburger Generalvikar Dr. Scheglmann gemäß Beschluß des Bischöflichen Ordinariats, den Bischof von Eichstätt zu ersuchen, er möge Dr. Wutz "jegliche Betätigung in der Konnersreuther Angelegenheit, namentlich jeder Art des Verkehrs mit der Therese Neumann und mit dem Pfarrer Naber von Konnersreuth verbieten". Im Schreiben des Generalvikars heißt es:

"Dr. Wutz hat von Anfang an dem Pfarrer von Konnersreuth sowohl wie der Therese Neumann die Anschauung beizubringen gesucht, daß das Bischöfliche Ordinariat Regensburg ihnen nichts zu sagen habe; er hat den von uns zur Untersuchung der Neumann von Konnersreuth entsandten vier Klosterfrauen mit Hinauswerfen gedroht; er hat die Neumann wiederholt im Auto an verschiedene auswärtige Orte verbracht und verbringen wollen; er hat die Neumann in eine Abhängigkeit von sich gebracht, daß sie nach dem Eindruck einer der abgesandten Klosterfrauen für ihn schwärmt; er hat ohne unser Wissen photographische und sogar Filmaufnahmen der Therese in ihren Zuständen herbeigeführt; er hat sich ins Gerede gebracht durch seinen ununterbrochenen Umgang mit ihr; gerade er ist es, der durch seine unzeitigen Fragestellungen den Verdacht der Suggestion bestärkt und so unsrer Aufgabe der kanonischen Untersuchung erschwert.

Man bedenke, wie sich das einfache Mädchen vom Lande gefühlt haben muß, als Männer von Rang und Namen ihr uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkten. Wie sicher fühlte sie sich, da Theologen, Professoren, Ärzte und Schriftsteller im In- und Ausland für sie Zeugnis ablegten! Sie konnte es wagen, einer Aufforderung zur Überwachung von seiten der Bischöfe und von seiten Roms zu widerstehen, da sie Bischöfe und Kardinäle auf ihrer Seite wußte. Wenn Bischöfe und Kardinäle ihr die Ehre ihres Besuches schenkten, wenn sie in ihrem Zimmer die hl. Messe feierten, wenn sie Bücher über sie veröffentlichten, mußte das nicht als Bestätigung und Zustimmung verstanden werden?

Ohne Zweifel hat Pfarrer Naber in gutem, aber verblendetem Glauben gehandelt; über seine Kritiklosigkeit freilich kann man nicht genug staunen. Ohne seine Unterstützung hätten Therese und ihre Angehörigen das Gaukelspiel nicht treiben können. Aber auch die Haltung des zuständigen Bischofs Dr. Michael Buchberger in der Konnersreuther Angelegenheit - er war immerhin der Herausgeber des Lexikons für "Theologie und Kirche" war viel zu schwach und schwankend. Zwar hat er wiederholt Bedenken vorgebracht, aber ebenso fest geglaubt, zumal an die Nahrungslosigkeit, an die Echtheit der Stigmen und an die Frömmigkeit der Therese Neumann. Er hat geglaubt trotz der vielen warnenden Stimmen von Fachleuten auf theologischem und medizinischem Gebiet. Das läßt sich immer wieder aus den Briefen des Bischofs nachweisen.

"Ich habe Ihnen wiederholt geschrieben", so erklärt er am 15. März I937 in seinem Brief an Dr. Deutsch, "daß ich nie Grund gehabt habe, einen so raffinierten und jahrelang dauernden Betrug anzunehmen."(11)

Bei einer Ansprache in Konnersreuth im Jahr 1953 verwies er auf den religiösen Gewinn der Besucher:

"Sie haben hier entweder Erhörung gefunden oder sind getröstet wieder weggegangen. Andere haben den Glauben gefunden und wieder andere sind in ihrem Glauben gestärkt worden."(12)

Das mag wohl zum Teil stimmen; aber es stimmt ebenso, daß viele, sehr viele Konnersreuth enttäuscht, ja angewidert verlassen haben. Nahrungslosigkeit kann man weder mit dem einen wie mit dem andern beweisen. Die schwache und schwankende Haltung des Bischofs zeigt sich beispielsweise in der mangelhaften Durchführung der angeordneten Besuchssperren; immer wieder wurden von Regensburg aus Ausnahmen gewährt. Daß Therese Neumann nicht der Gunst des Bischofs verlustig ging, beweist die an sich unwichtige Tatsache, daß er sie in den fünfziger Jahren "für länger"' ins Erholungsheim Regenstauf-Sindelhof eingeladen hat(13). Was den Bischof am meisten gestört hat, das war die Verweigerung ihrer Zustimmung zu einer Untersuchung in einer Klinik. Aber auch in dieser entscheidenden Frage hat er sowohl Therese selber wie auch ihren Vater in Schutz genommen. Er selber schrieb am 25. November 1937 an Therese, er wolle nicht raten, daß sie gegen den Willen des Vaters handle. Den Vater der Stigmatisierten verteidigte er wider die gegnerischen Stimmen mit der Bemerkung:

"Sie haben sich nicht gefragt, was ein Vater in hoher Stellung tun würde, wenn ein solcher Wunsch in seine Familienverhältnisse eingreifen würde; man muß auch einem kleinen Mann gegenüber gerecht sein."(14)

An das Hl. Offizium in Rom schreibt der Bischof:

"Theresia kann gehen und reisen, daher braucht sie keine Ausnahme in der seelsorglichen Betreuung.'

Aber er hat diese Ausnahme nicht abgestellt; im Gegenteil, Jahr für Jahr hat er gestattet, daß in der Fastenzeit in ihrem Zimmer die hl. Messe gefeiert werden durfte. Da hat im Parallelfall von Bickendorf Bischof Bornewasser von Trier viel mannhafter und klüger gehandelt. Bischof und Ordinariat von Trier waren auf Grund der Vorkommnisse um Anna Maria Göbel Konnersreuth gegenüber vollkommene ablehnend. Der Benediktinerabt Laurentius Zeller von Trier, der als geistlicher Begutachter in der Bickendorfer Angelegenheit zugezogen worden war,

„Ich glaube nicht an Konnersreuth; ich habe zu viel gesehen.“

Die Anregung des Regensburger Bischofs, den Fall von Konnersreuth zu untersuchen, lehnte er ab 15.

Therese Neumann war ohne Zweifel hochgradig hysterisch. Aber die von der Welt Bestaunte wußte sehr wohl, was sie tat. Nach 2 Uhr am Freitag, dem 23. März 1928, unterhielten sich die Anwesenden, Pfarrer Naber und die beiden Professoren Martini und Killermann, über "die Tatsächlichkeit der sich an ihr vollziehenden wunderbaren Vorgänge". Da unterbricht die Stigmatisierte die Unterhaltung mit der Bemerkung:

"Das bringt ihr nicht heraus. Nach meinem Tode wird es bald herauskommen."

War zu diesem Zeitpunkt Therese wach oder im Zustand der Ekstase? Killermann und Martini empfanden den Zustand nicht als Schlaf, im Gegensatz zu Pfarrer Naber, der sogar versicherte, "in diesem Zustand wisse sie alles" (16). Für welchen Zustand min sich auch immer entscheiden mag, der erwähnte Ausspruch muß auf jeden Fall zu denken geben.

Religiöse Schwärmerei und Überspanntheit wirken auf nicht wenige faszinierend, Eine wirkliche Bedeutung für das Wachstum im Glauben kommt solchen Dingen nicht zu. Der Anstoß zu einer Lebensänderung mag auch zuweilen von einer Täuschung ausgehen aber der Irrtum wird nie zur Wahrheit, auch wenn er heilsam war. Echte Frömmigkeit braucht nicht Sensation.

Therese Neumann war nichts weniger als eine Heilige. Man mag einwenden, Eigenheiten habe jeder Mensch, oder: "Auch wenn wir die kanonisierten Heiligen betrachten, da ist auch nicht immer alles so genau, wie wir es gerne haben möchten." Wie weit darf jedoch dieses "so genau" gehen? Das ist die entscheidende Frage. Bei einem Heiligen wird ein Tugendleben in heroischem Maße verlangt; da muß man es sehr genau nehmen. Prof. Mayr ist der Meinung, Theres Neumann habe die Tugenden in heroischem Maße geübt; das müsse man "absolut" bejahen (17). Aufgrund der vorliegenden Schilderung dürften jedoch diese Behauptungen als widerlegt gelten.

Therese Neumann ist tot. Sie ist gestorben völlig überraschend und ohne außerordentliche Zeichen, wie man sie nach dem vorausgegangenen Leben hätte erwarten müssen. Ihre Umgebung und sie selber ahnten nicht die unerwartete Abberufung aus diesem Leben. "Noch wenige Tage vor ihrem Tode" hatte sie die weite Reise zu einem Gönner am Bodensee unternommen. Am Morgen des 18. September 1962 hatte sie noch kommuniziert.

"Es vergingen aber nicht ganz 2 Stunden, da klingelte sie ein letztes Mal in ihrem Leben; es war gegen 13.30 Uhr nachmittags. Als Marie in ihr Zimmer trat, war Therese von Schmerz erfüllt. Sie versuchte noch etwas zu sagen, es waren aber undeutliche Laute, die Marie nicht mehr verstehen konnte. Therese muß sich hierbei in großer Angst befunden haben, denn sie hielt Marie so fest an den Händen, daß sie sich nicht mehr losmachen konnte. Darauf setzte sich Marie zu ihr und nahm sie in ihre Arme, denn Therese litt offenbar furchtbar. Da merkte auf einmal Marie, wie sich ihre Augen schlossen." Als der inzwischen herbeigerufenen Pfarrer, der im Neumannhaus wohnte, das Zimmer betrat, war Therese bereits verschieden (19).

Was mag in diesen letzten Augenblicken vorgegangen sein? Was hat Therese Neumann noch sagen wollen? Wir wissen es nicht. Rein außergewöhnlicher Tag, keine außergewöhnliche Stunde war es. Keine hl. Theresia kein Schutzengel, keine Gabe des Hellsehens hatte Therese und ihre Umgebung auf das Unfaßbare vorbereitet. Der "Heiland" hat geschwiegen, hat nicht gesprochen nach der letzten Kommunion!

Weder vom Geburts noch vom Todestag der Therese Neumann kann gesagt werden, daß es sich um einen außergewöhnlichen und beziehungsreichen Tag gehandelt hat. Dennoch brachte man es fertig, etwas Providentielles dabei zu finden. Zu diesem Zwei mußte man allerdings den Eintrag im Taufregister fälschen, und über den Sterbetag sagt die Inschrift auf dem Grabstein in Konnersreuth: Therese sei gestorben "im Anschluß an die Feste der Kreuzerhöhung, der Sieben Schmerzen Mariens und der Stigmatisation des hl. Franziskus". Wenn man so vorgeht, kann jeder Tag des Jahres als außergewöhnlich und beziehungsreich bezeichnet werden.

Wir haben uns immer die Frage stellen müssen: Ist das, was behauptet worden ist, wahr oder nicht wahr? Es gibt nur ein "Ja" oder "Nein". Wenn wir an die angebliche Nahrungslosigkeit denken, so ist klar, daß ein "sowohl als auch" ausgeschlossen ist. Will man nicht die Augen den Tatsachen gegenüber einfach verschließen, dann bleibt nichts anderes übrig, als klar auszusprechen: Therese Neumann und ihr engster Kreis haben die Unwahrheit gesagt. Wenn nicht viele Leute in Konnersreuth diese Tatsache laut ausgesprochen haben, so ist das nur verständlich.

Frau M. Hartmann traf bei ihrem Besuch in Konnersreuth im Jahr 1938 eine alte Frau. Diese erklärte: "Was tun mir die Leute leid, die von so weit herkommen und ihr Geld ausgeben." Frau Hartmann darauf, wenn die Sache ihre Richtigkeit habe, dann sei das Geld nicht hinausgeworfen. Darauf die Frau "Ach! Das ist doch Schwindel." Verwundert meinte Frau Hartmann: "Warum machen denn die Konnersreuther den Schwindel mit?" Die Antwort lautete: "Sie haben hier so wenig Geld, sind so arm und die Fremden bringen Geld ins Dorf."

Frau Hartmann hatte noch ein anderes Gespräch. Eine Dame versicherte ihr, ein Bruder der Therese habe ihr gesagt, "Das sei alles nicht wahr, sondern Schwindel". Sie sei gelegentlich mit einem Bruder der Stigmatisierten zusammengekommen, der damals beim Militär war. Im Gespräch habe die Dame glatt erklärt, sie halte die Konnersreuther Geschehnisse für Schwindel. Das habe der Soldat bestätigt: „Freilich ist es Schwindel ich bin der Bruder der Therese Neumann aus Konnersreuth“10. Selbst wenn solche Worte nicht gefallen wären, durften allein aufgrund der hier gewonnenen Erkenntnisse die Konnersreuther Ereignisse nicht als Gotteswerk gelten. Was dort gestehen ist, war Menschenwerk und das in allzu peinlicher Form.

Der Stein der einmal ins Rollen gekommen war, war nun nicht mehr aufzuhalten und die große Schuld, wenn auch guten Glaubens lag am Anfang mehr bei Pfarrer Naber als bei Therese Neumann und ihren Angehörigen. Sicher hatte Therese am Beginn der Ereignisse keine Ahnung von den weittragenden Folgen. War die Angelegenheit aber erst einmal im Laufen, dann war es für die Umkehr zu spät. Von nun an stand nicht nur die eigene Ehre und die Ehre des Elternhauses auf dem Spiel, sondern aus, wie die Betroffenen glauben mochten die Ehre ihrer Kirche und nicht zuletzt das Heil so vieler Menschen. Niemand vermag zu beantworten, inwieweit Therese sich der Tragweite ihres Tuns bewußt war; ihre hysterische Grundeinstellung darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben. Jene "nahrungslos" lebende Schwester, von der die Rede war (S. 351), hat auf dem Sterbebett ein Geständnis abgelegt. Dazu hatte Therese keine Zeit mehr. Auch Pfarrer Naber war ohne Zweifel derart verblendet, daß er nicht mehr klar zu sehen vermochte. Doch kann man dasselbe auch von Thereses Angehörigen sagen? Wenn ihre Eltern zu Beginn der Ereignisse auch nur die Hand zu einer kleinen Unredlichkeit gegeben haben, sie konnten dann nicht mehr zurück. Es wäre ja auch nicht der erste Fall eines "frommen Betrugs". Der Nutzen eines frommen Betrugs aber steht in keinem Verhältnis zu dem Schaden, der angerichtet wird. Bedauerlich bleibt nur, daß man nicht aus der Fülle der Fälle im Lauf der Geschichte und auch heute noch nicht gelernt hat!

Einer von den Gründen dafür liegt in der Tatsache, daß die warnenden Stimmen nicht die Lautstärke und Resonanz der Wundersüchtigen erreichen. Ebenso ist festzustellen, daß vor der Klärung eines Falles Berichte und Bücher wie Pilze aus dem Boden schießen, für die ein Verleger leicht zu finden ist. Wer sich aber dagegenstellt, dem geht es wie Dr. Deutsch oder Dr. Heermann der über die Stoffwechselfrage einen kritisch gehaltenen Artikel geschrieben hat, der für Therese Neumann nicht günstig lautete. Sechs katholischen Verlagen hatte er sein Manuskript angeboten, wurde aber überall abgewiesen", Als er seine Arbeit über Konnersreuth in der Zeitschrift "Theologie und Glaube" unterbringen wollte, hat der Schriftleiter sich ein halbes Jahr bedacht und dann erklärte man müßte mit einer Abnahme der Abonnentenzahl rechnen wenn die Arbeit angenommen würde (22). Bezeichnend ist auch, was Prof. Dr. Ewald an Dr. Heermann geschrieben hat:

"Wenn ich Ihnen persönlich einen Rat geben kann, so ist es der daß Sie sich nicht ohne Not mit dieser Sache befassen möchten; ich wünschte, ich hätte es nie gewußt. Niemand kann Fanatiker überzeugen." (23)

Aus vielen Beispielen wissen wir: Wird einmal ein Betrug wie in ähnlich gelagerten Fällen aufgedeckt, dann folgt, abgesehen von gehässigen persönliche Angriffen und Verdächtigungen, Schweigen im katholischen Blätterwald, zumal dann, wenn sich Leute von Rang und Namen zu weit vorgewagt hatten. Bald wird der Hereinfall wieder vergessen, und nach einiger Zeit des Vergessens ist die Welt wieder reif, den gleichen Zauber von vorne beginnen zu lassen.

Im Nachruf auf den verstorbenen Pfarrer von Konnersreuth Josef Naber, heißt es:

"Das Urteil über den Charakter und die Echtheit der Erscheinungen Therese Neumanns ist und bleibt der Kirche vorbehalten; die Ehrfurcht vor dem ihr anvertrauten Lehramt wie vor dem Bezirk des religiösen Lebens verwehrt strikt den Versuch, hier vorgreifen zu wollen." (24)

Hier wird ein enger Standpunkt vertreten. Über die Aufgabe des kirchlichen Lehramtes dürften wohl keine Zweifel bestehen. Ob beispielsweise ein Mensch lügt oder die Wahrheit sagt, das nachzuweisen braucht man kein kirchliches Lehramt zu bemühen. Wenn sich einwandfrei nachweisen läßt, daß behauptete Wunder alles andere sind als Wunder, wozu das kirchliche Lehramt belasten? Wenn ein Mensch behauptet, er lebe nahrungslos, dann muß er bereit sein, die Behauptungen unter Beweis zu stellen. Wenn er den Nachweis ablehnt, hat er sich selbst das Urteil gesprochen. Wie würde einer dem kirchlichen Lehramt vorgreifen, wenn er an diesen Fall von Nahrungslosigkeit nicht glaubt? Oder gilt der Vorwurf der Ehrfurchtslosigkeit dem Lehramt der Kirche gegenüber nur denen, die zweifeln, nicht aber denen, die glauben, was da behauptet wird? Es ist doch eine Flut von Schriften über Therese Neumann mit kirchlicher Druckerlaubnis erschienen. Das „Theresianum“ in Konnersreuth verschickt regelmäßig Bettelbriefe und macht dabei Propaganda für Therese Neumann. Der "Altöttinger Liebfrauenbote" bietet seit Jahren für jeden neuen Bezieher Dr. Steiners "authentisches Buch über Konnersreuth" kostenlos an. Das "Theresianum" hat für das gleiche Buch einen Bestellzettel versandt. In den "Konnersreuther Nachrichten" Nr. 7 wird mit Freuden vermerkt, daß "ein Bus Mit 28 Missionsbischöfen, Oberhirten aus Südamerika, Afrika und Asien" das Grab der Therese Neumann und das "Theresianum" besucht haben. Bald nach dem Tod von Pfarrer Naber waren wieder 13 katholische Würdenträger, unter ihnen 7 Bischöfe, Gäste in Konnersreuth. Die "Konnersreuther Nachrichten" Nr. 10 vermelden den Besuch des Päpstlichen Nuntius. All das kommt doch einem positiven Urteil "über den Charakter und die Echtheit der Erscheinungen Therese Neumanns" gleich. Nach dem Tode der Stigmatisierten von Konnersreuth wurde unverzüglich das "Theresianum" gebaut. Zur Einweihung der Gebäude weilten sieben Bischöfe(!) in Konnersreuth; etwa 40000 bis 50000 Gläubige waren erschienen. Bei der Festansprache fielen die Worte, "es grenze an ein Wunder, daß nun heute, genau am Jahrestag der Beerdigung der Therese Neumann, Kirche und Kloster fertig dastünden und ihrer Bestimmung übergeben werden könnten"(24a). Ist mit alledem nicht dem kirchlichen Lehramt vorgegriffen worden? Es steht doch jedem frei, über Therese von Konnersreuth zu denken, wie er will; es steht ihm auch frei, seine Überzeugung auszusprechen. Das haben bereits sehr viele, Laien, Priester und Bischöfe, getan, und zwar in Wort und Schrift. Wenn es erlaubt ist, die Meinung zu vertreten, daß die Phänomene von Konnersreuth echt waren und daß Therese Neumann eine Heilige war, dann ist es auch kein Mangel an Ehrfurcht vor dem kirchlichen Lehramt, nicht bloß zu behaupten, sondern zu beweisen, daß es sich bei den bekannten Phänomenen um ganz natürliche Dinge handelt und daß Therese Neumann alles andere als ein Vorbild heiligmäßigen Lebens war. Ob das, was in Konnersreuth betrieben wurde, ein Segen oder ein Schaden für die Kirche war und ist, darüber mag sich jeder gemäß seiner Einsicht selbst ein Urteil bilden. Die Ehrfurcht "vor dem Bezirk des religiösen Lebens" verlangt jedenfalls nicht, daß man zu einem Unfug schweigt. Als Ausdruck wahrer Ehrfurcht vor dem "Bezirk des religiösen Lebens" kann man das wirklich nicht bezeichnen, was in Konnersreuth gespielt worden ist.

Im "Regensburger Bistumsblatt'" (1969 Nr. 7) wird in einem Artikel über den "Teufelaustreiber-Prozeß" in Zürich ein Urteil abgegeben. Als eigentlicher Motor, als "Hauptattraktion" wird eine Nonne mit dem Namen Stella bezeichnet, die sich als "Offenbarungsträgerin" betrachtete. Auf 18000 Seiten legte sie "Heilandsbotschaften" nieder, die in "Erbauungsschriften" weiterverbreitet wurden. Der bekannte Religionshistoriker Prof Dr. Walter Nigg bezeichnet die Mitteilungen der Nonne als "Pseudooffenbarungen schlimmster Sorte", die auf "einer Art von Teddybär-Theologie" beruhten. Die ganze Sache würde uns hier nicht weiter berühren, wären die "Botschaften" der Nonne nicht "mit Billigung der kirchlichen Oberen" gedruckt worden und hätte nicht gar Papst Pius XII., dem die Schriften im Jahr 1954 vorgelegt wurden, seinen Segen übermittelt! Schließlich hatte auch ein kirchliches Gutachten aus dem Jahr 1950 Stella als "außerordentlichen Charakter und mystisches Phänomen" bezeichnet! Was Schwester Stella später selbst als "Schmarren" bezeichnete, was von Prof. Dr. Nigg, "Pseudooffenbarungen schlimmster Sorte" genannt wird, wurde in "Erbauungsschriften" mit kirchlicher Druckerlaubnis unter das Volk verbreitet.

Der Vorwurf einer "Teddybär-Theologie" trifft die Gutachter weit mehr als die Pseudomystikerin. Das ist das eine, was nachdenklich stimmen muß. Wie viele Schriften wurden veröffentlicht, die von Verehrung der Stigmatisierten von Konnersreuth geradezu triefen! Was steht in den mit kirchlicher Druckerlaubnis herausgegebenen Schriften nicht alles, das nichts anderes ist als "Schmarren" und Pseudo-Offenbarung schlimmster Sorte! Was nützt es, wenn vielleicht auch hier wie über die Offenbarungen" jener Schwester Stella gesagt wird, die Schriften seien "allzu oberflächlich untersucht" worden? Aber nicht darin liegt der tiefere Grund für die unausbleibliche Blamage, sondern in einer falschen Grundeinstellung.

Mit dem unerschütterlichen Glauben an "wunderbare Heilungen" geht es an; was der behandelnde Arzt Dr. Seidl darüber gesagt hat, wird unter den Tisch gefegt. Der Pfarrer von Konnersreuth beginnt mit der Veröffentlichung der Berichte über die angeblich von Gott verliehenen Wundmale; vom Problem der Stigmatisation hat er keine Ahnung und die Warnungen und Mahnungen des Arztes gelten ihm nichts. Visionen, Prophezeiungen und ähnliche Dinge werden von wundersüchtigen Leuten in Büchern und Artikeln verbreitet; die Mühe der Nachprüfung macht sich keiner von diesen Autoren. Therese Neumann hat behauptet, nahrungslos zu leben; aber ein exakter Nachweis wird strikte abgelehnt. Die "Stigmatisierte" wird als Heilige verehrt; über das Wesen der Heiligkeit scheinen sich die Konnersreuth-Anhänger aber nicht im klaren zu sein. Werden auch noch so begründete Bedenken, ja unwiderlegliche Beweise vorgebracht, man begegnet ihnen mit dem törichten Hinweis, wir lebten "im Zeitalter selbstgerechter Überschätzung des Intellekts", das passe "so Recht in unsere Zeit des Zweifels im kirchlichen Bereich"(25). Wie weit diese "Überschätzung des Intellekts" und die "Zweifel im kirchlichen Bereich geführt haben, sieht man im Falle der "Pseudo-Offenbarungen schlimmster Sorte" jener Schwester Stella.

Auf Veranlassung der bischöflichen Behörde in Regensburg ist man, während das vorliegende Buch erscheint, dabei, die für die Einleitung eines kirchlichen Informativprozesses erforderlichen Unterlagen bereitstellen zu lassen. Ziel dieses Prozesses ist die Seligsprechung der "Seherin von Konnersreuth". In diesen Unterlagen werden gewisse, von ihren Anhängern als natürlich nicht erklärbar anerkannte Phänomene sicher einen wichtigen Platz einnehmen. Diese Leute haben ebenso sicher von folgenden Tatsachen keine Ahnung: In den auf der Basis eines nackten philosophischen Materialismus agierenden Ostblockstaaten ist - die DDR bezeichnenderweise ausgenommen - die wissenschaftliche Erforschung und Deutung paranormaler Phänomene in den letzten Jahren ungleich weiter vorangetrieben worden als in der westlichen Welt. Ja, sie wird dort sogar staatlicherseits gefördert, weil man überzeugt ist, sie für praktische Zwecke dienstbar machen zu können: Verbesserung der menschlichen Leistungen, Heilung von Krankheiten, Nachrichtenübermittlung, Finden von Bodenschätzen usw. Die dort registrierten Phänomene sind zum Teil so verblüffend, daß einschlägige, an Therese Neumann bewunderte Eigenschaften und Vorgänge daneben verblassen(26). Als Stoff für den angestrebten Informativprozeß sollten letztere deshalb von vornherein außer Ansatz bleiben; auf diese Weise könnten sich die damit befaßten kirchlichen Stellen eine Blamage ersparen.

Abschließend wäre an Folgendem festzuhalten: Wenn all das, was jahrzehntelang in Konnersreuth zum besten gegeben wurde, mit unserem Glauben im Einklang stehen soll, dann müssen wir unsere ganze Theologie umkrempeln. Merkt man denn immer noch nicht, wie leichtfertig durch einen derart verrannten und verblendeten Glauben an eine Pseudomystikerin dem, was Glaube wirklich, das heißt im eigentlichen theologischen Sinn bedeutet, schwerster Schaden zugefügt wird?


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Letzte Änderung: 26. Dezember 2002