Gottes-Werk oder Menschen-Machwerk?

III. Stigmatisation

Zum erstenmal sicher nachgewiesen ist die Stigmatisation in der röm.-kath. Kirche im Jahre 1224, nämlich an Franziskus von Assisi. In der orthodoxen Kirche hat sich bis heute kein einziger derartiger Fall ereignet.Seit Franziskus bis in unsere Zeit können ein paar hundert Falle von Stigmatisierten nachgewiesen werden.

Der Heilige von Assisi scheidet bei unserer Betrachtung aus.Bei vielen der Träger der Wundmale sind besonders ausgeprägt die Stigmen auf dem Handrücken, obwohl man annehmen müßte, daß diese kleiner waren als in der Handfläche.Auch bei Therese Neumann waren die Stigmen auf dem Handrücken wesentlich größer.Es fällt auf, daß die Wundmale bei Frauen fast nur im Alter zwischen 15 und 50 Jahren auftreten.Im allgemeinen stammen diese Menschen aus dem einfachen Volk; sehr oft sind sie bäuerlicher Herkunft.Man spricht sogar von einer gewissen Veranlagung für die Stigmatisation.Bei so Veranlagten, so schreibt Lhermitte, begegnet man häufig körperlichen Erscheinungen, die einen psychischen Ursprung haben."in zahlreichen Fallen liegt beispielsweise Taubheit, Blindheit oder Stimmlosigkeit vor; in anderen zeigen sich Veränderungen der Geschmacks-, Geruchs- oder Tastempfindungen, oder man findet auch Krämpfe und Phänomene einer Muskelstarre, die an Katalepsie erinnern. Schließlich erweisen sich, wie F. L. Schleyer hervorhebt, die für Wundmale Prädestinierten als 'Spezialisten für plötzliche Heilungen' (R. Dalbiez), die wie Wunder anmuten und sich jedenfalls durch die Physiologie nicht erklären lassen. Es gibt kaum einen Autor, der nicht überdies auf die Fieberphantasien, das 'Thermometerfieber', die Schmerzen hingewiesen hatte, von denen die künftigen Mystiker angeblich geplagt. plagt sind, aber bei denen man niemals einen organischen Ursprung entdeckt. Es ist begreiflich, daß sich der Arzt, der wegen derartiger Erscheinungen konsultiert wird, häufig ratlos zeigt; daß er unschlüssig oder allzu leichtgläubig ist, und dadurch den Patienten und seine Umgebung auf eine recht gefährliche Bahn bringt" (1).

Dies und vor allem das folgende, was Lhermitte über auffallende körperliche Erscheinungen bei Stigmatisierten feststellt, laßt an Therese Neumann denken, obwohl der gelehrte Arzt nur allgemein über Stigmatisation spricht. "Rätselhafte Krankheiten, anormale Erscheinungen ohne organische Ursache, plötzliche und unerwartete Heilungen, die durchaus dazu angetan sind, eine ahnungslose Umgebung in Erstaunen zu setzen, Schmerzen, die gerade in einem Augenblick auftreten, der besonders geeignet erscheint, um der Umgebung etwas abzunötigen - so sehen die typischen Merkmale aus, die die Kandidaten für die leibliche Stigmatisation auszeichnen" (2).

Über Falle von Stigmatisation und die damit zusammenhängenden Fragen gibt es eine reichhaltige Literatur. Hier sei verwiesen vor allem auf drei Schriften, die näheren Aufschluß bieten, nämlich auf das Buch von Jean Lhermitte, die Abhandlung von Georg Wunderle und die Schrift von Dr. Jacobi (Vgl.Lit.).

Bei Therese Neumann stellten sich die Wundmale nicht auf einmal ein. Die zeitlichen Angaben in den einzelnen Schriften über Konnersreuth weichen zum Teil voneinander ab. Worauf das zurückzuführen ist, scheint nicht ganz klar; alle Autoren berufen sich auf Auskunft aus erster Quelle. Ich nehme die wahrscheinlichen Termine.Den Anfang machte die Seitenwunde in der Nacht vom 4. auf den 5. März 1926; es war die Nacht vom 3. Donnerstag auf Freitag in der Fastenzeit. Während einer Ekstase spürte Therese Neumann auf der linken Seite plötzlich einen so durchdringenden Schmerz, daß sie glaubte, daran sterben zu müssen." "Es war, als hatte ein Messer ihre Seite durchbohrt und sich ins Herz gestoßen." Blut fing an, reichlich zu fließen. Aus der Ekstase erwacht, hatte Theres keine Ahnung von dem Wundmal; sie glaubte vielmehr an eine neue Erkrankung. Darum suchte sie die Wunde vor ihren Eltern zu verbergen; nur ihre Schwester Kreszentia wurde eingeweiht.

Am 26. März zeigte sich eine Wunde auf dem linken Handrücken und am Karfreitag, den 15. April, gesellten sich dazu die Stigmen an den Oberseiten der rechten Hand und der Füße. Am Karfreitag 1927 erst waren die Wundmale an den Innenflächen der Hände und an den Fußsohlen zu sehen. Im Laufe des Jahres erschienen, auf mehrere Male verteilt, acht Wundmale der Dornenkrone.

Die Stigmen auf dem Handrücken waren wesentlich größer als die an den Innenflächen der Hände; diese waren etwa linsengroß. Wie Boniface schreibt (3), konnte man sie nur schwer beobachten, da sie genau im Schnittpunkt der beiden Hauptlinien der Hände lagen. Die ständigen Wundmale sollen sehr schmerzhaft gewesen sein; Therese Neumann habe sehr lange gebraucht, bis sie es fertigbrachte, trotz der durchdringenden Schmerzen ihrer Hände sich zu bedienen.

Zu diesen Stigmen erhielt Therese Neumann noch während der Fastenzeit 1928 auf der rechten Schulter das breite Wundmal der Kreuztragung und am Karfreitag 1929, am 29. März, zum erstenmal die Stigmen der Geißelung, die seither jedesmal am gleichen Termin sich wieder einstellten. An diesem Tag blutete sie am ganzen Leib. "Ihr ganzer Körper", schreibt Boniface (4), "ist an diesem Tag von roten, erhabenen und blutenden Striemen gestreift, und am Abend müssen diejenigen, die sie pflegen, ihr mit unendlicher Vorsicht das am Körper klebende Hemd abnehmen."

Zuerst waren die Wunden offen und klaffend. Dr. Seidl verordnete zur Ausheilung Salben und legte Verbände an. Aber je eifriger er sich bemühte, um so mehr vermehrten sich die Schmerzen. Hände und Füße schwollen an. Die Pein wurde so unerträglich, daß Therese wiederholt aufschrie und in Ohnmacht fiel. Nahm man aber den Verband ab, dann hörten die Schmerzen auf. Da der Arzt nicht helfen konnte, ja die Marter nur noch verschlimmerte, betete Therese zur hl. Theresia von Lisieux um Hilfe. Und siehe, nach Abnahme des Verbandes verschwanden die Schmerzen; es hatte sich auch inzwischen zum erstenmal über den Wunden ein durchsichtiges Häutchen gebildet.

Als Zeugen für die Echtheit der Stigmen führt man gerne Prof. P. Gemelli von Mailand an. Er war im Frühjahr 1928 zweimal in Konnersreuth (5) und soll das Urteil abgegeben haben: Von Hysterie ist keine Spur, und natürlich sind solche Zustande wissenschaftlich nicht zu erklären (6).René Biot kommt in seinem Buch "Das Rätsel der Stigmatisierten", das er 1955 veröffentlichte, ebenfalls auf P. Gemelli zu sprechen, stellt aber etwas anderes fest, nämlich Gemelli habe persönlich 30 Falle von Stigmatisation beobachtet und bei keinem einzigen derselben in absoluter und entscheidender Weise jede menschliche Einwirkung ausschließen können.

Therese Neumann soll bei den Freitagsleiden bis zu zwei Liter Blut verloren haben. Aber, waren kritische Beobachter anwesend, dann hat die Sache nicht so recht geklappt; die Wunden wollten einfach nicht bluten. Lehrreich hierfür ist das Gutachten von Prof. Martini in Bonn (7).Er war am 22. und 23. März 1928 in Konnersreuth, und zwar zusammen mit Bischof Buchberger, Weihbischof Hierl, Prof. Killermann, Prof. Stöckl und Prof. Hilgenreiner. Im Gutachten heißt es: "Ich konnte nie sehen, daß eine Wunde der Therese Neumann wirklich blutete. Dazu war es durchaus unmöglich, fortwährend zu beobachten. Therese stellte mehrmals ihr Federbett hoch vor sich auf, und das eine Mal, als ich und Prof. Killermann, während einer solchen Zeit uns an das Kopfende des Bettes begaben, mußten wir uns infolge des zornigen Protestes des Vaters sofort wieder von dort entfernen. Während dieser Zeiten, die von den Eltern damit erklärt wurden, Therese müsse sich etwas Luft machen, fielen mir von Anfang an merkwürdige, intensive Bewegungen der Therese auf, die sowohl mit den Armen wie mit den Beinen ausgeführt wurden, Bewegungen, die zum alleinigen Zweck, sich zu lüften, über die Maßen ausgiebig waren und mir ein peinliches Gefühl einflößten. Da ich immer nur 'stehendes' Blut sah, nie aber das Auftreten von Blut aus den Augen oder Handwunden, so machte ich es mir von nachts gegen 2 Uhr ab zur Aufgabe, besonders auf das Auftreten von Blut zu achten; verstärkt wurde meine Ansicht von der Notwendigkeit einer solchen Achtsamkeit, als Therese, von 2.50 Uhr an mehrfach darauf drang, wir könnten jetzt ruhig nach Hause gehen, da 'jetzt doch nichts mehr käme bis 5 Uhr', und als dann Prof. Slöckl und ich für mehrere Minuten aus dem Zimmer gewiesen worden waren (3.05), inzwischen 3.10 Uhr eine sehr erhebliche Menge des Blutes zustande gekommen war. Aus meinem Bericht geht hervor, daß meine im Verein mit anderen Herren der Kommission angestellten Bemühungen erfolglos blieben, weil zweimal (zwischen 8.10 und 5.25 Uhr) und ca. 11.30 Uhr alle Beobachter gerade zu der Zeit das Zimmer hatten verlassen müssen, zu der, wie sich herausstellte, neues frisches Blut (wenigstens 11.30 Uhr) eingetrocknete Blutkrusten bedeckte.

Die Brustwunde bekam ich nicht zu sehen, ebensowenig die Kopfhaut. Es ist keine Frage, daß unter den geschilderten Verhältnissen von der Möglichkeit einer genügenden Beobachtung der 'Blutungen' keine Rede sein konnte; im Gegenteil erweckte das zwei- bis dreimalige Entfernen der Beobachter gerade zu der Zeit, wo offenbar neues Blut die Wunden bedeckte, den Verdacht, daß zu diesen Zeiten etwas vorgeht, was die Beobachtung zu scheuen hat. In der gleichen Richtung gefiel mir das häufige Manipulieren hinter dem aufgestellten Federbett nicht ..." Im weiteren Bericht Martinis lesen wir: Die Eltern der Therese reagierten leidenschaftlich" als Prof. Killermann und Martini nachts an das Bett während der Lüftung traten, obwohl Therese keineswegs besonders entblößt im Bett lag. Der Vater verlangte, alle müßten das Zimmer verlassen, da die Luft zu schlecht sei, wo von einer schlechten Luft nicht die Rede sein konnte. "Ganz besonders geeignet, Mißtrauen zu erwecken, ist aber die Tatsache, daß bei diesen Gelegenheiten dann alte Besucher samt und sonders den Raum verlassen mußten, und zwar trotz des gegenteiligen Wunsches des Herrn Bischofs, der Frau Neumann bekannt war, als sie morgens gegen 11 Uhr auch Prof. Hilgenreiner und Prof. Killermann aus dem Zimmer entfernte." - Es klingt wie ein Witz, wenn Steiner (8) schreibt, daß die Kommission "den Beginn der Passion unddas aktive Bluten versäumte.

Genauso hat man auch sonst Besucher nach " Heiland" selber gefordert. Wenn jemand im Zimmer sich befand, der "in irgendeiner Weise unwürdig" war, geschah es, daß sie aus der Leidensvision erwachte und durch Pfarrer oder Eltern bat, daß alle Besucher das Zimmer verlassen mögen. Nach dem Grund gefragt, äußerte die Stigmatisierte bei solcher Gelegenheit: Der Heiland leidet nix im Stüberl. Er treibt aus, was irgendwie hindern kann" (9). - In solchem Fall "hinderte".

Eine andere Begründung für die Entfernung der Besucher aus dem Zimmer nennt Teodorowicz (10).Er erwähnt, daß Therese Neumann während der Freitagsekstasen neben anderen Beschwerden vor allem an "Herzbeklemmung" leide. "Oft werden die Anwesenden aus dem Zimmer gebeten, denn in Augenblicken der Atembeschwerung wirft sie im Ringen nach Luft die Bettdecke ab." - Solch ein Verhalten erinnert sehr an hysterische Anfalle. Teodorowicz knüpft übrigens noch an die oben angegebene Bemerkung die bange Frage: "Was würde geschehen, wenn jetzt die enge bayerische Landestracht sie einschnürte?" - Nun, hier drohte wohl keine Gefahr; niemand trägt im Bett die bayerische Landestracht.

Es fällt an sich schon schwer, überhaupt zu glauben, Gott habe an derartigem Blutverlust Wohlgefallen. Erst recht gilt dies, wenn von so großer Blutmenge die Rede ist. Gerade an solchen Tagen hatte das vergossene Blut laufend untersucht werden müssen. Das ist nicht geschehen.

Wie bekannt, sind die Stigmen in Schüben aufgetreten, vom Frühjahr 1926 an. Ober die Entstehung, sagt Prof. Ewald, besteht einiges Dunkel. Er meint, daß wenigstens anfangs eine künstliche Nachhilfe mit im Spiele gewesen sei. Ich verweise auf einen Brief, den Therese Neumann am 7. November 1924 an eine Freundin geschrieben hat, die sie mit Schwester" anredet (11).Unter anderem ist hier viel die Rede von ihren Leiden, die oft unerträglich gewesen seien. "Heute noch sieht man auf beiden Händen die Masen, wo ich vor lauter Qual auf kratzte. Auch raufte ich mir ganz die Haare aus."

Auch Ewald berichtet, daß die Wundmale in zeitlichen Abstanden aufgetreten sind. Sie bluteten auch nicht gleichmäßig. "Anfangs soll das Blut aus den Stigmen langsam abgesickert sein, später traten Blutungen nur noch an den Freitagen während der Ekstase auf. In der Passionszeit 1927 bluteten sämtliche Stigmen, wahrend jetzt nur noch blutige Tränen fließen und Kopf- und Herzwunde bluten, Hände und Füße dagegen nicht mehr. Die Schorfe über den Stigmen an Händen und Füßen heilen aber nicht ab." Bei der Beobachtung im Sommer 1927 erfuhr Ewald, daß die Stigmen an Händen und Füßen seit drei Monaten nicht mehr geblutet hatten. Ein Röntgenbild wurde von den Eltern der Therese hartnäckig verweigert. Die Herzwunde lag Ober dem 4. Rippenknorpel dicht neben dem Brustbein; sie war etwa fingerbreit.

Als Dr. Ewald die Lage der Herzwunde erwähnte, widersprach Therese und versicherte, sie läge bereits zwischen zwei Rippen, was nach Augenschein Ewalds nicht zutraf.

Das Blut wurde ein einziges Mal untersucht, nämlich anläßlich der Beobachtung 1927 im Elternhaus. Es handelte sich nicht um reines Blut, sondern um eine seriösblutige Flüssigkeit, wie die relativ gelblichrote Farbe der frischen, feuchten Stellen bewies, die durch eine künstliche Verletzung nicht hervorgerufen werden könnten. Die Stigmatisation bezeichnete Ewald als einwandfrei hysterischen Ursprungs.

In der Frage, ob Stigmen echt, d.h. seelisch hervorgebracht und nicht künstlich erzeugt sind, oder doch künstlich unterhalten werden, ist natürlich auch und nicht an letzter Stelle die Medizin zuständig. Dr. Deutsch schreibt (12): "Für die Echtheit der Stigmen beruft man sich darauf, daß sie sich durch ihr Aussehen von gewöhnlichen Wunden unterscheiden. Diese Behauptung ist unrichtig und durchaus laienhaft. Jeder erfahrene Chirurg hat Wunden ähnlicher Art, wie sie von den verschiedenen Beobachtungen bei Therese Neumann beschrieben werden, 100fach gesehen,; dabei handelte es sich in allen Fällen um gewöhnliche chronische Wunden, die auf durchaus natürliche Weise entstanden waren."

Einen Beweis für die Echtheit hält Dr. Deutsch nicht für erbracht. Er spricht vielmehr von starken Zweifeln in dieser Hinsicht. Sein Rat war, man solle zum Schutze einer der Wunden einen Gipsverband anlegen, so daß von außen her kein Einfluß genommen werden könne. Dieser Rat wurde nie befolgt. Deutsch hat später seinen Vorschlag wiederholt, vor allem mit dem Hinweis darauf, daß seinerzeit Therese Neumann die vom Arzt angelegten Verbände beseitigt hat oder abnehmen ließ, mit der Begründung, die Wunden hatten unter dem Verband unerträgliche Schmerzen zur Folge gehabt. Dazu stellt Dr. Deutsch fest: "Ein von einem geübten Arzt angelegter Verband kann keine wesentlichen Schmerzen verursachen. Wenn Therese Neumann nicht aushalten kann, was Hunderttausende aushalten, so höre man wenigstens auf mit der Redensart 'Leidensbraut' und ähnlichem Unsinn. Kann sie das nicht aushalten, so beweist sie eben neben anderem, daß sie eine empfindliche Person ist, der auch unbedeutende Unannehmlichkeiten untragbar sind."

Einerseits wird andauernd gerühmt, mit welcher Tapferkeit Therese ihre Krankheiten trug, ja wie gerne sie freiwillig äußerste Peinen auf sich nahm, um anderen zu helfen, andererseits erfährt man, daß sie über die geringsten Schmerzen in bitterste Klage ausbricht. Den Vorwurf macht sie z. B. Dr. Seidl (13), daß er sie arg gequält habe. Er soll mit einer Pinzette in die Wunde der linken Hand "hineingestochen" haben. Zeugen waren nicht zugegen. Schleierhaft bleibt, warum der Arzt das getan haben soll; eine erklärende Angabe bringt Therese nicht. Dieses Vorgehen Seidls soll ihr sofort aufs Herz gegangen sein. Sie erklärte hernach den anwesenden Herren, die vorher nicht im Zimmer waren, als Dr. Seidl ihre Wunde mit der Pinzette berührt haben soll: "Ich halte es unbedingt nicht mehr aus." Darauf soll Prof. Fischer den Arzt einen Schinder genannt haben, obwohl er nicht wissen konnte, was geschehen war. Seidl soll daraufhin festgestellt haben: "Da ist doch gar nichts zu machen mit ihr." - Selbst wenn Dr. Seidl getan hatte, was ihm Therese nachsagt, unverständlich bliebe trotzdem die Überempfindlichkeit einer "Leidensbraut", wie sie P. Staudinger nennt.

Man kann die Betrachtung der Wunden, wie es im Jahre 1927 geschehen ist, nicht als einwandfreie Prüfung im medizinischen Sinne bezeichnen. Später ist überhaupt keine Untersuchung erfolgt bzw. es wurde keine gestattet. "Meine Versuche einer exakten Nachprüfung scheiterten an dem Widerspruche des Ortspfarrers." So schreibt Dr. Aigner in der Münchener Post vom 27. 9. 1927. Daß mit dem Verlangen nach einer exakten Nachprüfung nichts Ungebührliches zugemutet wurde, dafür zeugt sogar, ohne " Wenn man daher über Falle, wo die Hypnose so augenfällig wirkt und bei denen die hysterische Person stundenlang auf sich selbst angewiesen ist, unbedingte wissenschaftliche Gewähr haben will, muß man der zu beobachtenden Person einen Verband an den Händen anlegen."

Dr. Lechler (15) hat in einer langen Reihe von Versuchen nachgewiesen, daß Stigmen auf dem Wege von Suggestion erzeugt werden können. Er bringt in seinem Buch eine Reihe von Aufnahmen einer Versuchsperson, die an Händen und Füßen Wundmale bekam, so wie er sie suggeriert hatte.

Es ist verständlich, daß der Konnersreuther Kreis die Möglichkeit von Suggestion ausschließt. Teodorowicz gibt folgende Begründung an (16): "Sogar wenn die Annahme des natürlichen Auftretens der Stigmata als Folge immerwährender Betrachtungen über das Leiden Christi haltbar wäre, so fände sie keine Anwendung auf Therese Neumann, die ja während ihrer langjährigen Krankheit keine Betrachtungen Ober das Leiden Christi anstellte, wie allgemein bekannt ist." Er habe sie selber ausgeforscht und dabei habe sich herausgestellt, "daß sie keine besondere Andacht zum Leiden Christi vor der Stigmatisation besaß und Oberhaupt keine Betrachtung über das Leiden Christi anstellte. Desto weniger konnte man Therese Neumann zumuten, daß sie sich nach den Stigmen sehnte. Sie wußte vor allem nichts über Stigmen und Stigmatisierte ..." Sie haben sich weder vor, noch nach der Stigmatisation mit der Betrachtung des Leidens des Herrn" befaßt.

Gegen solcherlei Argumente muß man sehr starke Zweifel anmelden. Therese Neumann ist von früher Jugend auf in den christlichen Wahrheiten unterrichtet worden. Sie sah tagtäglich in der elterlichen Wohnung ein Bild des Gekreuzigten. Sie hörte immer wieder vom Grundthema unseres Glaubens, dem Erlösungswerk Jesu Christi. Wie konnte sie behaupten und wie konnte das Teodorowicz glauben, daß sie Oberhaupt keine Betrachtung über das Leiden Christi angestellt hat? Auch Therese Neumann hat sicherlich, wie es katholischer Brauch ist, den Rosenkranz gebetet, in der Fastenzeit vor allem den schmerzhaften Rosenkranz. Den Rosenkranz richtig beten, heißt, seine Geheimnisse betrachten. In der katholischen Kirche wird während der Fastenzeit gerne der Kreuzweg gebetet. Das war in Konnersreuth genauso wie an anderen Orten. Die Kreuzwegandacht ist nichts anderes als eine Betrachtung Ober das Leiden und Sterben unseres Heilands. Therese Neumann hat auch sicher die Fastenpredigten angehört, sie hat teilgenommen an den Andachten zum leidenden Heiland; sie hat erlebt die ergreifenden Zeremonien der Karwoche. Wer hier mitmacht, vor dessen geistigem Auge steht das Bild Christi, der für uns Leiden und Tod auf sich genommen hat.

Teodorowicz erzählt in seiner Schrift auch über die Kindheit der Stigmatisierten. Hier beruft er sich auf die Versicherung des Ortspfarrers: "Sie betet gerne den Kreuzweg" (17).Da kann man nicht mehr behaupten, sie habe überhaupt keine Betrachtung über das Leiden Christi angestellt. Wenn Teodorowicz sagt, sie habe sich ."weder vor noch nach der Stigmatisation mit der Betrachtung des Leidens des Herrn" befaßt, so stimmt das in keiner Weise, erst recht nicht für die Zeit nach der Stigmatisation. Wir wüßten ja gar nicht Ober den Inhalt ihrer Freitagsvisionen, wenn sie nicht darüber berichtet hätte. Ebenso unglaubwürdig ist die Angabe, sie habe wahrend ihrer langjährigen Krankheit keine Betrachtungen über das Leiden Christi angestellt. Dem widerspricht auch Anni Spiegl, die in der Einleitung zu ihrer Schrift über Therese Neumann erklärt, sie schreibe ihre "Erlebnisse mit ihr wahrheitsgetreu" nieder. Sie gibt an: "Sie liebte es, in langen schlaflosen Nächten, das Leiden Christi zu betrachten" (18). - Jemand muß von Therese falsch informiert worden sein, entweder Spiegl oder der Bischof von Lemberg.

Das genaue Gegenteil wie Teodorowicz stellt auch ein anderer Anhänger von Konnersreuth, nämlich Boniface, fest, wenn er von der Kindheit der Therese erzählt (19): "hre starke Frömmigkeit fiel allgemein auf. Besonders beobachtete man, daß sie die Leidensgeschichte trotz aller Bemühungen sich zu beherrschen, nicht anhören konnte, ohne zu weinen. Oft verbarg sie sich in der Kirche, um nicht bemerkt zu werden." Mag sein, daß diese Angabe eine Übertreibung darstellt, aber Boniface verdankt sie den Berichten, wie er sie in Konnersreuth erhalten hat.

Teodorowicz meint zum anderen: ""Sie wußte vor allem nichts über Stigmen und Stigmatisation." Ähnlich drückt sich Boniface aus (20): "Noch nie hatte sie von Stigmen erzählen hören." - Auch diese Angabe klingt wenig glaubwürdig. Wer vom Kreuzestod Christi weiß, der spricht auch von seinen Wunden und weiß um die Wundmale des Auferstandenen. Einer der großen Heiligen unserer Kirche ist der hl. Franz von Assisi, der die Wundmale des Herrn trug. Seine Regel bildet die Grundlage der Ordensgemeinschaften der Kapuziner und Franziskaner. Es ist nicht denkbar, daß darüber beim Religionsunterricht oder in der Kirche nie gesprochen würde. Außerdem befinden sich an vielen Orten Mitglieder des sog. 3. Ordens des hl. Franziskus. Man kann einfach nicht annehmen, daß Therese Neumann bis zum 28. Lebensjahr nie etwas über Stigmen und Stigmatisation gehört hat. Teodorowicz und Boniface verdanken ihr Wissen den Mitteilungen aus erster Quelle. Sie können, da sie überdies nicht übereinstimmen, nicht der Wahrheit entsprechen.

Eher glaubhaft wäre noch, daß Therese Neumann die Schriften Ober Katharina Emmerich nicht gelesen hat, wie Teodorowicz versichert (21)- "Sie liest keine Bücher Ober Visionen, wie beispielsweise die Werke der Katharina Emmerich; sogar später, als man ihr, der schon Stigmatisierten, dieses Buch zum Lesen anbietet, bezeugt sie keine Teilnahme dafür. Sie gibt es ihrem Pfarrer, der ihr das Buch überreicht, mit den Worten zurück. 'Wenn Sie mir befehlen, das Buch zu lesen, gehorche ich, aber wenn ich meinen Willen durchzusetzen hätte, so würde ich es nicht lesen', und sie hat keine Seite von den Offenbarungen der Katharina Emmerich gelesen." Trotz solcher Beteuerung muß die Richtigkeit der Angaben bezweifelt werden. Warum betont Therese so nachdrücklich, daß sie nichts über das Leben und die Visionen der Katharina Emmerich gelesen habe? Wenn sie das angebotene Buch so energisch ablehnt, muß sie zum mindesten um seinen Inhalt gewußt haben, selbst wenn sie keine Zeile daraus gelesen hatte. Der Pfarrer besaß das Schrifttum über Katharina Emmerich. Auch der Vater der Therese kannte es, wie aus den Worten von Teodorowicz hervorgeht: Er stellt sich den klinischen Eingriffen an seiner Tochter noch aus anderen Gründen entgegen; er ist nämlich wohlunterrichtet davon, was für schrecklich schwere, aber erfolglose Versuche mit Katharina Emmerich angestellt wurden.' Die Darstellung, wie sie Teodorowicz bringt, will offenbar den Verdacht ausschließen, daß die Wundmale bei Therese Neumann auf suggestivem Wege entstanden seien.

Prof. Wunderle kommt in seiner Schrift "Zur Psychologie Stigmatisation" auf die sog. "vikariierende Menstruation" zu sprechen (22).Er verweist auf einige ihm selbst bekannt gewordene Tatsachen. Von Gynäkologen ist verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht worden, daß bei der Beurteilung von Stigmatisationen auch Störungen der Menstruation besonders beachtet werden müssen. Dann spricht Wunderle von frommen weiblichen Personen, die ihm gelegentlich gestanden, daß sie beim Ausbleiben der Regel eine starke Blutfüllung der Hautgefäße namentlich an den betreffenden Hand- und Fußstellen gespürt hatten, wenn sie sich der Kreuzesbetrachtung hingegeben hätten" Eine dieser Personen machte mir an den Händen ein solches 'Stigma' vor, das sich einige Stunden hielt. Von irgendwelchen Täuschung oder auch nur von irgendwelchen Absicht zu tauschen, konnte dabei nicht die Rede sein."

Ob ein Zusammenhang zwischen Menstruation und Wundmalen bei Therese Neumann zu finden ist, läßt sich nicht entscheiden. Zu beachten ist jedenfalls die Tatsache, daß Therese vom 23. April bis 10. Juni 1918 keine Menstruation hatte. Nach dem Fall von einer Leiter um die Wende Juli/August 1918 blieb die Menstruation für immer aus (23).

Ein lehrreiches Beispiel für unkritische Wundersucht findet man im Buch von Steiner, nämlich in dem Photo Nr. 160. Es wurde am 17. Mai 1927 aufgenommen. Hörer, wir den Bericht von Gerlich (24): "Der Gottesdienst in der Kirche war bereits zu Ende, als Therese Neumann eine Schauung erhielt. Einige Einwohner von Konnersreuth hatten das Presbyterium betreten und betrachteten aus respektvoller Entfernung Therese Neumann, die sich im Zustand der Beschauung befand. Plötzlich riefen einige der Betrachter: Das Stigma an der linken Hand leuchtet, es gehen von ihm Strahlen aus. Andere bestritten diesen Vorgang. Pfarrer Naber, der das Leuchten nicht wahr nahm, rief dem Hauptlehrer, der den Gesangchor geleitet hatte und noch anwesend war, zu, er möchte doch seinen Photographierapparat holen und eine Aufnahme machen. Dieser eine in seine Wohnung im benachbarten Schulhaus, brachte seinen Apparat und machte eine Aufnahme. In der Erregung hat er die Platte nicht voll belichtet."

Nun, was sieht man Therese hat die Hände erhoben, parallel zueinander. Bis zu den Fingern sind sie mit Handschuhen bedeckt. Die lnnenfläche der linken Hand zeigt einen hellen Fleck, der einen Durchmesser von etwa 5 cm aufweist. Das Stigma an der rechten Hand - der Handrücken dem Beschauer zugewendet - leuchtet nicht. Dabei ist das Stigma an der lnnenfläche nur erbsengroß, wie wir gesehen haben, wahrend das auf dem Handrücken wesentlich größer ist. - Die Angabe von Gerlich und Steiner stimmt nicht; denn das Stigma leuchtet gar nicht: es kann auch gar nicht leuchten, weil vom Handschuh bedeckt. Der Fleck an der Innenfläche der linken Hand unterscheidet sich nicht viel von der Helligkeit der Innenseite des Türpfostens im Hintergrund. Das Tuch, oder wie mir scheint, die Watte auf dem Schoß der Stigmatisierten, zeigt sogar ein helleres Weiß als der Fleck an der Hand. Von einem Leuchten des Wundmales findet man keine Spur. Es ist auch eigenartig, daß nur "einige" das Leuchten gesehen haben wollen, während andere nichts bemerkten. Nicht einmal Pfarrer Naber sah das Leuchten.

Zusammenfassend laßt sich über die Stigmen sagen: Die Entstehung der Wundmale liegt im Dunkel. Eine künstliche Nachhilfe ist zum mindesten wahrscheinlich. Außerdem muß an suggestiven Einfluß gedacht werden. Das gilt vor allem für die Aussonderung von seriös-blutiger Flüssigkeit. Wie weit die Stigmen in die Tiefen gingen, wurde niemals naher untersucht. Dafür hatte, nachdem das zu Lebzeiten nicht gestattet worden war, nach dem Tod der Therese Neumann genügend Zeit zur Verfügung gestanden; leider ist nichts unternommen worden.

Prof. Killermann und die übrigen Beobachter haben nie den Beginn der Blutungen beobachten können. Killermann hatte lediglich nach Wiederbetreten des Zimmers den Eindruck, daß die Wunde an der einen Hand etwas feucht war. Er meint bemerkt zu haben, daß künstlich nachgeholfen worden war. Ebenso sprach er von seinem Eindruck, daß die Blutkruste an den Augen ein wenig angefeuchet worden war.

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Letzte Änderung: 1. September 1999