Gottes-Werk oder Menschen-Machwerk?

IV. Ekstatische Zustände

In der Fastenzeit 1926 erhielt Therese Neumann die Wundmale. Gleichzeitig stellten sich Ekstasen ein, die im Lauf der Jahre manchen Wandel erfuhren. Im Schrifttum Ober Konnersreuth, vor allem bei Teodorowicz, wird ausführlich darüber abgehandelt.

Zunächst muß in aller Kürze etwas gesagt werden über die wichtigsten ekstatischen Zustände, die unterschieden wurden, weil das zum Verständnis dessen, was an Thesen aufgestellt wurde, notwendig erscheint.

Zur Normalform der mystischen Zustände gehörte, den Angaben gemäß, der Zustand des "visionären Schauens". Darauf folgte der Zustand der "kindlichen Eingenommenheit" und schließlich die "gehobene Ruhe". Es wurden noch andere mystische Zustände unterschieden, die aber nicht so wesentlich erscheinen, daß man auf sie eingehen müßte.

Also zunächst erlebte Therese Neumann vergangene Ereignisse aus dem Leben Jesu oder Heiliger, so wie sie sich damals abgespielt haben sollen. Im Zustand der kindlichen Eingenommenheit unmittelbar darauf besprach und beurteilte sie das Geschaute. Man konnte sie befragen und sie gab Auskunft. Dabei verfügte sie nur über die Ausdrucksfähigkeit eines etwa fünfjährigen Kindes, aber die Denkfähigkeit eines Erwachsenen". Hier hatte sie auch die Gabe des Hellsehens, wie sie sich beispielsweise in dem Erkennen von Reliquien kundgab.

Vom Zustand der "gehobenen Ruhe", der regelmäßig nach jeder ekstatischen Schauung auftrat, sagt Teodorowicz: Er stellt sich ohne Rücksicht auf die Ekstase ein, inmitten der Ekstase, untersteht jedoch, was Zeit und Umstände anlangt, keiner Regel."

Wahrend Therese Neumann im Zustand der "kindlichen Eingenommenheit" in ihrer Mundart redete, war bei der gehobenen Ruhe" die Sprache das Hochdeutsch. - Im Zustand der kindlichen Eingenommenheit sinnt sie nach über das Geschaute, fragt auch, was sie tun soll, z. B., wem sie ihre Leiden und Schmerzen zuwenden soll.

Im Zustand der gehobenen Ruhe gibt es kein Besinnen, kein Fragen. "Mit ruhigem Ansehen gibt sie auf ihr vorgelegte Fragen unwiderrufliche Antworten." In diesem Zustand durchschaute sie die mit ihr Sprechenden, zeigte Kenntnis von Ereignissen aus dem Leben dieser Leute und erteilte Anweisungen verschiedener Art.

Die kindliche Eingenommenheit war von höchster Erschöpfung begleitet; Therese hatte oftmals schwerste Herzbeschwerden bis zur Todesgefahr und litt an beängstigenden Erstickungsanfällen. - Im Zustand der gehobenen Ruhe empfand sie keinerlei Schmerzen, ja sie war schmerzunempfindlich. Nach Aretin soll sie dann sogar völlig blind gewesen sein.

Bemerkenswert ist, daß sie, in das normale Bewußtsein zurückkehrt, keinerlei Erinnerung in das hatte, was gesprochen worden war. "Nicht selten kam es deshalb vor, daß ein Auftrag lautete: Sag der Resel, sie möge dem und dem schreiben, oder das und das tun" (1). Hier gab also die Stimme" oder der Heiland" Anweisung, man solle ihr vom Gesprochenen berichten, weil sie ja sonst, mangels Erinnerungsvermögens, nicht gewußt hatte, was ihr zu tun aufgetragen worden war.

1. Visionen

Zu den gewohnten Visionen am Freitag durfte Therese Neumann auch andere Bilder schauen aus dem Leben Christi oder der Heiligen, je nach der Zeit des Kirchenjahres. Es kam oft vor daß sie urplötzlich von den Schauungen gleichsam überfallen wurde. Von solchen Ekstasen schreibt Rinser: "Sie kommen ungerufen. Es kommt vor, daß Therese bei der Gartenarbeit davon betroffen wird; dann entfällt ihr Rechen oder Gießkanne. Oder sie spielt mit Kindern und hält eines auf dem Schoß; plötzlich breitet sie die Arme aus und das Kind entgleitet ihr. Oder sie hustet, mitten im Husten fällt sie in Ekstase und sie hustet erst zu Ende, wenn sie zurückkommt."

Offenbar stellten sich Visionen mit Vorliebe dann ein, wenn Beobachter zugegen waren, denen etwas bewiesen werden sollte. Therese war bei Prof. Wutz in Eichstätt zu Besuch. Da kommt sie spät in der Nacht in die Schlafkammer der Anni Spiegl und berichtet ihr über die Tagesereignisse. Plötzlich hatte sie eine Vision über die Heilung des Blindgeborenen. - Die Stigmatisierte und Anni Spiegl machten eines Abends im Krankenhaus in Eichstätt Besuch bei der Oberin und einer Mitschwester. Während des Gesprächs gegen 23 Uhr wurde Therese von einer Vision überfallen; sie schaute die wunderbare Brotvermehrung. - Beide suchten den Dompfarrer Kraus auf. Sie verabschiedeten sich gerade an der Haustüre. Da schaute sie plötzlich den Engelsturz (1).

Etwas Merkwürdiges ist Aretin aufgefallen bei solchen Visionen, "die Therese ganz unregelmäßig plötzlich überfallen". Sie sei hier nicht die Mitleidende, sondern nur Zuschauerin und Zuhörerin". Da sie körperlich nicht sonderlich groß ist, so kommt es vor, daß ein Teilnehmer der geschauten Szene ihr den Ausblick auf das Geschaute verstellt. Dann biegt sie sich aus ihrer Lage heraus, um an der störenden Gestalt vorbei freie Sicht zu bekommen. So war ich z. B. am Peters - und Pauls-Tag 1929 Zeuge der Vision der Berufung Petri, bei der irgendein Jünger des Herrn der auf einem Kanapee Liegenden den Ausblick auf die beiden Hauptpersonen versperrte. Therese beugte daher den Oberkörper, damit ihr nichts entgehe, so weit heraus, daß der Oberkörper schließlich vom Kanapee weg frei in die Luft ragte. Ich eilte hinzu, um den unvermeidlichen Sturz auf den Boden aufzuhalten, und ergriff sie, um sie zu stützen an der rechten Schulter. Es war unnötig. Sie stürzte nicht, aber ich erlebte das Unerklärliche, daß dieser ganze schwere Körper nicht mehr wog als eine Briefmarke (2)."

Offenbar beugte sich Therese Neumann nicht so weit über den Rand des Sofas hinaus, daß die Verlagerung des körperlichen Schwerpunktes einen Sturz hätte zur Folge haben müssen.

Die Dauer der einzelnen Visionen war nicht gleich. Gewöhnlich nahmen sie bloß 5 Minuten in Anspruch. Die Ekstasen am Freitag zogen sich zwar Ober längere Zeit hin, wurden aber wiederholt unterbrochen.

Den Berichten zufolge hatte Therese Neumann im Laufe eines Jahres gegen hundert Visionen. Wie sie versicherte, vermochte sie die dabei geschauten Einzelheiten genauso im Gedächtnis zu behalten wie jedes andere Geschehnis im Leben. Es konnte leicht geschehen, daß sie von dem Geschauten zweimal Mitteilung machte, das eine Mal während der "einfachen Ekstase", das andere Mal im natürlichen Wachzustand. Therese bezeichnete ihr Gedächtnis über das Geschaute als treu. Eine Ausnahme bildeten "ihre Äußerungen in der einfachen Ekstase oder im Zustand der gehobenen Ruhe, und zwar diejenigen, die sich vor allem auf die Gewissens- und Seelenfragen beziehen (3)".

Während der Visionen war Therese Neumann zuweilen nicht bloß Zuschauende, sondern sie wirkte selber als Beteiligte mit. "Bei der Darstellung im Tempel legte Simeon auch Resl das Kind in die Arme. Diese Seligkeit konnte sie kaum ertragen. Ebenso erging es ihr, als das zweijährige Kind die Weisen aus dem Morgenland begrüßte. Auch Resl durfte dem Kind die Hand geben. Hierüber ist sie vor Freude ohnmächtig geworden." Bei der Grablegung am Karfreitag durfte sie beim Einwickeln mithelfen. "Mit ihren Händen machte sie die Bewegungen mit" (4).

Der Inhalt der Visionen", schreibt Fahsel, "weicht niemals von den Grundlagen des Evangeliums und der christlichen Sittenlehre ab." Die Frage, die uns beschäftigt, lautet: Stimmen die geschauten Erlebnisse mit den Berichten der Evangelien oder sonstiger bezeugter Oberlieferungen überein? Von Konnersreuth-Anhängern wird dies zwar als ziemlich bedeutungslos bezeichnet; aber meiner Meinung noch kann man Gott nur dann als Urheber der Visionen bezeichnen, wenn der Inhalt des Geschauten mit dem tatsächlichen Geschehen übereinstimmt. Es läßt sich aber nachweisen, daß nicht wenig von dem, was Therese visionär erlebte, nicht im Einklang mit den Erzählungen der HI. Schrift oder sonstiger verbürgter Berichte steht. Manches entspricht einfach gängigen Anschauungen, die zum Teil aus Bildern oder Schriften übernommen werden; anderes stammt aus Legenden.

So soll Maria nicht ärmlichen Verhältnissen entstammen. "Das Haus ihrer Eltern Joachim und Anna schaute Therese als ein schönes Steinhaus, wie es begüterte Leute hatten, auch sah Resl Maria in der Tempelschule zu Jerusalem. Es konnten sich nicht alle Eltern leisten, ihre Kinder in die Tempelschule zu schicken. Die Armut begann mit der Geburt ihres Kindes im Stall, aber nur, weil in der Herberge kein Platz war." - Unseren Krippendarstellungen entsprechend schaute Therese an Weihnachten den Stall von Bethlehem aus Holz gebaut, an einen Berg angelehnt; der Stall hatte ein schräges Dach. - Die Weisen aus dem Morgenland hielten sich Sternkundige und Gelehrte und bauten sich zur Beobachtung der Sterne Türme, die mit Strickleitern zu erklettern waren. Sie wanderten nur bei Nacht, weil der wunderbare Stern bei Tag unsichtbar war. Über dem Haus, in dem die Hl. Familie wohnte, schien der Stern herabzustürzen. (5)

Einen phantastisch blutrünstigen Eindruck macht die Ecce-Homo-Szene, die Boniface schildert (6): Die Geißelung, die aus vollen Leibeskräften und mit unverhohlener Freude durch drei völlig betrunkene römische Soldaten ausgeführt wurde, wird nach kurzer Zeit auf Befehl des Pilatus unterbrochen, der ihnen befiehlt, das Antlitz des Gegeißelten zu bearbeiten, um ihn dem Pöbel in einem erbärmlichen Zustand vorführen zu können und sein Mitleid zu erregen ... Aus voller Herzenslust stürzen sich die drei Kriegsknechte auf das neue scheußliche Geschäft. Das Blut schießt bald aus dem Mund, der Nase, den Augen, aus dem ganzen Antlitz des Nazareners, das rasch mit Wunden und blutunterlaufenen Flecken bedeckt ist. Sobald Pilatus seinen Zustand für erbärmlich genug halt, zeigt er den Gepeinigten der ungeduldigen Menge, die draußen lästert und tobt: Ecce-Homo - welch ein Mensch!" Die blutgierige Menge laßt sich jedoch nicht beschwichtigen.. . Die Geißelung geht weiter. Als sie beendet ist und man ihm gestattet, wieder seine auf der Erde liegenden Kleider zu nehmen, bückt sich Jesus, um sie aufzunehmen. Da versetzt ihnen einer der Mordbuben einen Fußtritt, daß sie weit fortfliegen." . . . Man setzt ihn auf einen Thron; er wird mit Lumpen bedeckt und verspottet. Therese schaut einem der Unmenschen genau zu, ,wie er mehrmals den Augenblick erwartet, in dem Jesus seufzt, um ihm dann in den geöffneten Mund zu spucken." Das grausige Spiel wird beendet, indem die Peiniger dem Heiland auf die possierlichste Weise" eine Krone aufs Haupt setzen. "Die von ihnen benutzte Krone ist jedoch nicht aus regelmäßig geschlungenen Dornen oder Wildrosenzweigen gebildet, wie es überliefert wird, sondern sie war wie ein unförmiger Hut aus orientalischem Akanthus mit langen, spitzigen, gedrängten Dornen angefertigt. Sie wurde mit Knüppeln eingeschlagen, damit die Söldner sich bei der Berührung nicht selbst verletzten." - Zum mindesten klingt manches, was Therese Neumann gesehen haben will, reichlich unwahrscheinlich.

Dafür, daß die Ekstatikerin beeinflußt war von dem, was sie sonst wußte, ist ein lehrreiches Beispiel die Vision der Ölbergszene (7). Therese wird wahrend der Ekstase gefragt, wie der Mond ausgesehen habe. Sie beschreibt eine aufrecht stehende Sichel mit der Hand. Jetzt bemerkt Prof. Killermann zu Pfarrer Naber: "Im Orient hat der Neumond im Frühjahr die Form eines Kahnes oder Schiffchens." Der Pfarrer erwidert erregt: "Die Resl, der Heiland wird das besser wissen" Der Protest ändert nichts an der Tatsache, die Auskunft war nicht richtig; denn nach den Berichten der Hl. Schrift war damals, zur Zeit des Osterfestes, Vollmond. - Warum sah Therese den Mond in Sichel- oder Kahnform? Das hing ohne Zweifel mit dem Ölbergbild zusammen, das im Stiegenhaus der Familie Neumann hing. Killermann wurde hernach darauf aufmerksam, als er wegging . Dort war der Mond so dargestellt, wie Therese ihn in der Ekstase geschaut hatte.

Eine sonderbare Ergänzung erfährt durch Therese Neumann der evangelische Bericht über die Gefangennahme Jesu auf dem Ölberg. Therese verkündete an einem Freitag, an dem Prof. Killermann anwesend war: Einer hat ihm das Auge ausgeschlagen; dann hat der Heiland es wieder hinpickt." - Der Pfarrer fragte: "Was haben's dann ihm angetan?" - Therese gab die Auskunft: "Zusammenbunden haben's ihn ... in den Bach gestoßen." - Als der Pfarrer nach Mitternacht feststellte, Therese schlafe jetzt, widersprach Killermann. Da lächelte Therese und sprach zu ihm: Du glaubst es auch noch einmal." Killermann erwiderte: Das bildest du dir nur ein." Sie lächelte bloß dazu. (8) - Der Professor ist kein Gläubiger" geworden.

Noch landläufiger Vorstellung wird Judas gerne mit roten Haaren dargestellt. Auch für Therese war der Verräter, der nach ihrer Aussage erst noch der Einsetzung der Eucharistie unter der Gestalt des Brotes davoneilt, der Mann mit den roten Haaren. Einige Beispiele für die inhaltliche Unglaubwürdigkeit der Konnersreuther Visionen nach den Veröffentlichungen von Steiner, Spiegl und Weitz (9):

"Therese sah, mit Erschrecken, wie man den Heiland über den Felsen in den Abgrund hinausstößt, und dann mit Triumph, wie er sich in der Luft umwendet und wieder hereinkommt, so daß die Menge bestürzt auseinanderweicht." Hernach wird Therese gefragt, ob der Heiland in der Luft gegangen oder geschwebt sei. Sie antwortete lachend: Natürlich geschwebt. Er geht ja auch auf dem See nicht etwa schrittweise. ..."

Die Mutter Jesu soll am Ostersonntag zusammen mit den anderen Frauen am Ort der Kreuzigung gewesen sein, wo ihr Jesus kurz erschien, ohne ein Wort zu sagen. Im Gegensatz dazu schreibt Anni Spiegl, als erstem Menschen noch der Auferstehung sei der Heiland seiner Mutter erschienen, "und zwar auf dem Ölberg".

Der Hauptmann und ein Soldat Longinus waren bei der Taufe am Pfingstfest zugegen, auch die Frau des Pilatus. Diese war auch Zeugin bei der Himmelfahrt Jesu. - Maria blieb nur einige Jahre in Jerusalem; dann nahm sie Johannes mit nach Ephesus, wo die Urkirche sich ausbreitete. Dort wurde ihnen ein Haus geschenkt und sie blieben eine Reihe von Jahren.

Am 19. Januar 1931 hatte Therese folgendes Gesicht: Der Heiland war zusammen mit den Aposteln in Bethanien. Auf dem Rückweg nach Jerusalem gehen die Apostel voraus, Jesus mit Lazarus folgt. Johannes leidet sehr darunter, daß er nicht neben seinem Meister gehen darf. Dann trennt sich Jesus von Lazarus, der wieder zurückkehrt. Jesus begibt sich auf den Ölberg, um zu beten. Johannes kann in der Herberge aus Sehnsucht nach dem Meister keine Ruhe finden und sucht den Herrn auf dem Ölberg. Er eilt auf Jesus hinzu, umarmt ihn und küßt ihn auf Stirne, rechte Wange und Mund. Jesus erwidert die Küsse in gleicher Weise. Dann hilft Johannes dem Heiland in der Herberge das Gewand ablegen und schickt sich an, ihm die Füße zu waschen. "Der Heiland war barfuß gegangen und hatte sich die Füße verletzt. Voll Liebe suchte Johannes das Blut wegzuküssen. Der Heiland aber zog Johannes liebkosend an seine Brust und Tränen flossen aus den Augen des geliebten Meisters auf das Haupt des liebenden Jüngers. Nach der Fußwaschung machte Johannes dem Heiland das Nachtlager zurecht, bedeckte ihn sorgsam und ging dann selbst zur Ruhe."

Während der Ekstase schilderte Therese, was sie schaute. Da sie sich im folgenden Wachzustand daran nicht erinnern konnte, erzählte man ihr den Verlauf der ganzen Vision. Daraufhin wurde sie so sehr von Freude und Begeisterung erfüllt, daß sie ohnmächtig wurde. "Der Eintritt des erhobenen Ruhezustandes richtete sie wieder auf." - Das ist ein Märchen mit sentimentalem Inhalt. Jesus und Johannes waren nicht von solch unmännlicher Art.

An Epiphanie schaut Therese die Magier mit ihrem Gefolge. Es sind an die "300 Personen, viel Volk und ein großer Aufzug, viele Kamele." Joseph soll schon früher gewarnt worden sein; dem Kind drohe Gefahr. "Zunächst seien die drei Könige von Jerusalem aus zu einem falschen Ort gewiesen worden. Sie hätten nach Jerusalem zurückkehren müssen und dann seien sie von dort in der Nacht aufgebrochen. Da habe dann der Stern geleuchtet. Der sei immer größer geworden, je näher sie Bethlehem kamen, und dort habe er sich auf die Stätte herabgesenkt, wo die Hl. Familie war."

Nach Teodorowicz (10) hatte Therese gar keinen Gefallen am prunkhaften, reichen Aufzug der drei Könige. Das war ihrer Demut und ihrem schlichten Gemüt zuwider. "Ach - ruft sie aus -, diese prächtigen Kleider! Diese vielen Leute! Aber die kümmern mich gar nicht! Muß ich denn das alles schauen? Warum laßt mich der Heiland das alles sehen? Ich möchte mir s' Buzerl betrachten (d. h. das Jesuskindlein)!" Maria Magdalena ist nach Angabe der Therese die Schwester von Martha und Lazarus, die in Bethanien wohnten. Sie habe sich ihr Erbteil ausbezahlen lassen und dann "auf ihrem Gut Magdala" Wohnung genommen, wo sie ein leichtes Leben geführt. - Diese Angabe ist unrichtig. Maria von Magdala, am See Genezareth gelegen, ist weder identisch mit Maria von Bethanien noch mit der Sünderin, von der die Hl. Schrift berichtet.

Alle Soldaten, welche am Ölberg zu Boden gefallen, sollen sich später bekehrt haben. Bei der Kreuzabnahme und Grablegung waren "die beiden römischen Soldaten, der Hauptmann, der die Seite Christi durchstoßen hat, und der andere, der sagte: "Das ist wahrhaft der Gerechte!" auch dabei." Einer von den Soldaten hat die Fackel getragen, als man mit dem Leichnam Jesu zu Grabe ging. Diese Szene schilderte Therese eingehend.

Pilatus, so verkündete Therese, sei nicht verdammt worden; er habe ja Jesus befreien wollen. Daß er Selbstmord begangen habe, sei unrichtig; Soldaten hatten ihn auf Befehl des Kaisers erwürgt und ins Wasser geworfen. - Das ist eine Korrektur von dem, was Eusebius berichtet, nämlich daß Pilatus Selbstmord verübt habe.

Bemerkenswert ist das Urteil der Stigmatisierten über das Turiner Leichentuch. Aus dem Inhalt des Geschauten am Karfreitag ergibt sich, daß der Leichnam Jesu in Tücher gewickelt wurde; das Haupt wurde in ein gesondertes Tuch gebunden". "Das Turiner Grobtuch kann das Leichentuch gewesen sein, mit dem der Heiland vom Kreuze abgenommen wurde. Auch das schilderte Resl." - Das ist eine neue Theorie über das Turiner Leichentuch, dessen Herkunft Prof. Dr. Blinzler historisch einwandfrei nachgewiesen hat (11).

Am 1. November 1928 darf Therese auch in den Himmel schauen. Zwei Personen sieht sie dort mit verklärtem Leib ausgezeichnet, nämlich Maria und Elias. - Sie ist also der Auffassung, daß Elias bereits vor der Erlösung durch Jesus Christus mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde.

Auf Unstimmigkeiten der Visionen mit der Hl. Schrift aufmerksam gemacht, antwortete Therese dem Kaplan Fahsel: "Das ist so, damit ihr etwas zu kritisieren habt." - Das ist eine zu billige Begründung.

Ein klares Beispiel, wie Bild und Wirklichkeit auseinanderfallen, ist die Vision Ober den Tod des hl. Franz von Sales (12). Therese Neumann beschreibt in der Ekstase das Sterbezimmer (13) des Heiligen als prächtig ausgestattetes, mit allen möglichen Kunstgegenständen und Bequemlichkeiten versehenes Gemach, wie man es wohl in einer bischöflichen Pfalz finden könnte. Nun ist aber der Heilige gar nicht an seinem Bischofssitz in Genf gestorben, sondern in der ganz ärmlich ausgestatteten Gärtnerwohnung eines Klosters in Lyon. Eine Marmorplatte am Sterbeort gibt heute noch Kunde davon. "Diese Vision", folgert Dr. Deutsch, "zeigt ganz eindeutig, daß es sich hierbei und bei ähnlichen Visionen lediglich um sogenannte ,Wach- und Wahrträume" einer krankhaften Person handelt, die sich in nichts unterscheiden von imaginären Visionen" und religiösen Ekstasen psychopathischer Persönlichkeiten", die wir nicht so selten in der psychiatrischen Klinik zu sehen bekommen."

Die geschauten Bilder und Szenen kommen bei Therese Neumann aus ihrer eigenen Vorstellungswelt, aus Bildern und Büchern. Sie können auch auf dem Wege der S u g g e s t i o n entstanden sein. Hierzu ein Bericht von Prof. Waldmann: Er begab sich nach Konnersreuth und wollte Zeuge der Freitagsekstasen sein. Am gleichen Tag war das Fest der Verklärung Christi. Therese Neumann hatte bis dahin noch nie eine Vision von der Verklärung des Herrn. Waldmann hatte sich auf der Hinreise vorgenommen und den Vorsatz seinem Kollegen Prof. Killermann kundgetan: Tags darauf, an einem Freitag, solle Therese die Szene der Verklärung schauen, und zwar auf dem Wege von Gedankenübertragung. Als die gewohnte Leidensschau zu Ende war, versicherte Pfarrer Naber: Für heute gäbe es keine Vision mehr; die Leute möchten sich entfernen. Da trat Waldmann, vor dem noch zwei oder drei Personen auf den Zutritt gewartet hatten, ins Zimmer und widersprach energisch. "Nein, die Vision geht weiter!" Und tatsächlich, Therese sank wieder in Ekstase. Nachdem sich noch zweimal dieses Spiel wiederholt hatte, erklärte Waldmann: "So, jetzt ist es aus!" So war es auch. Erst tags darauf fragte Waldmann den Pfarrer: Nun, was hat denn gestern Therese gesehen?" Die Antwort: Die Verklärung Christi auf dem Berge Tabor, in drei Szenen."

Stigmatisierte waren in der Regel - Jacobi behauptet dies sogar von allen - zugleich Ekstatiker. Ekstasen sagen nichts aus über die Heiligkeit der betreffenden Person. Aber das eine müssen wir feststellen: Wenn der Herrgott einen Menschen durch mystische Schauungen auszeichnet, dann informiert er nicht falsch.

2. Sprachengabe

Den Berichten zufolge geschah es, daß Therese Neumann in der Ekstase Fremdsprachen vernommen hat, aramäisch, französisch, griechisch, portugiesisch. Sie hat fremde Sprachen weder gesprochen noch verstanden; sie soll lediglich während der Ekstase die ihr ungewohnten Laute gehört haben.

Eigenartiges berichtet Steiner (1). Er spricht davon, wie zuweilen der Schutzengel zu Therese geredet habe. im eingenommenen Zustand versteht Therese Neumann hochdeutsch nicht und gibt deshalb die Worte des Engels nur mechanisch weiter wie fremdsprachliche Worte." Sie beklagt sich, daß der Engel so sonderbar daherrede, er könne doch auch so sprechen, daß man ihn verstehe. - Wie hätte der Engel sprechen sollen? Wozu redete er, wenn er doch nicht verstanden wurde?

Steiner erzählt aber auch (2), Therese habe im erhobenen Ruhezustand, der fast nach jeder hl. Kommunion, ebenso auch zur Stärkung zwischen den Leidensvisionen aufgetreten sei, auf Befragung die Auskunft in hochdeutschen Sprache gegeben. Das klingt recht eigenartig. Sie redet hochdeutsch, versteht die Worte, wenn der Engel in der Umgangssprache zu ihr redet, aber sie versteht ihn nicht, wenn er hochdeutsch spricht!

Daß Therese Neumann suggestiv ansprechbar war, beweist ihre erstmalige Vision über die Verklärung Christi. Die Tatsache, daß sie fremde Worte oder Wortfetzen hervorbrachte, ist nicht schwer zu erklären.

So sagt Prof. Wunderle (3): "Man kann auch Dinge durch Fragen in einen Menschen hineinsuggerieren. Merkwürdig, daß Prof. Wutz angefangen hat, nach diesen Dingen zu fragen, ebenso Karl Naber. Man ging folgendermaßen vor und fragte: Hat der Heiland so gesagt? oder hat er so gesagt?" - Auf einen Aufsatz von Prof. Hasenfuß über Prof. Wunderle (4) erwiderte Prof. Mayr von Eichstätt (5): Als Prof. Wutz Therese Neumann nach aramäischen Worten fragte, beteuerte diese immer wieder, "daß sie nicht verstehen könne, was gesagt wurde, und es kostete sehr viel Geduld und Mühe, bis er einige Silben und Worte herausgebracht hatte." Nach und nach hätten sich die Worte dem Gedächtnis der Therese Neumann besser eingeprägt, und für Wutz wurde es weit leichter. Nach einigen Jahren konnte sie die Worte am Kreuze und andere Worte und Sätze selbständig wiederholen". - Ist das zu verwundern? Außerdem, wird damit nicht Prof. Wunderle eindeutig bestätigt?

Die ersten aramäischen Worte, die man von Therese Neumann zu hören bekam, gehen nicht über die Zahl der in der Leidensgeschichte überlieferten hinaus. So urteilt Prof. Wunderle (6): "Die allermeisten Andeutungen, die Pfarrer Naber mir gegenüber diesbezüglich machte, kann ich nur als Wiedergabe der wenigen aramäischen Worte verstehen, die Therese Neumann aus der häuslichen Lesung der Passionsgeschichte kannte."

Wenn Prof. Wutz schildert, welche Mühe er hätte aufwenden müssen, um Worte aus Therese Neumann herauszubringen, so ist das sicher kein Beweis gegen Hineinsuggerieren von Worten. Was Prof. Wutz Erzbischof Teodorowicz anvertraute (7), spricht ebenso für suggestives Hineinfragen: Mit den Fragen ging es aber nicht so leicht; grundsätzlich hat Therese Neumann nicht gern, daß man sie zu viel mit Fragen belästigt, besonders da sie sich nicht auf alles besinnen kann. "Ja, denken Sie" - sagte mir Prof. Wutz - "ich brauchte ein volles Vierteljahr dazu, um schließlich ein Wort aus ihr herauszubekommen, das sie mir obendrein nur silbenweise wiedergab." - Man sieht, da ist nicht viel drin.

Über die Möglichkeit von Suggestion im Falle Therese Neumann sagt Prof. Ewald (8).- "Daß das ständige Ausfragen über Erlebnisse, auch während der Ekstase, zwar keine Quälerei ist. ... , daß es aber nur zu oft in das Vorlegen von Suggestivfragen und in ein Hineinfragen ausartet, 'war das nicht so, oder so, oder so', bis eine Zustimmung erfolgt, das weiß jeder, der sich überhaupt einmal in verständiger Weise mit der Exploration eines Menschen befaßt hat. Wesentlich ungünstiger, von der Seite des Wissenschaftlers gesehen, scheint mir in dieser Beziehung noch der Einfluß eines anderen Geistlichen ..., der sehr häufig zu Besuch kommt und in seiner temperamentvollen Art ganz zweifellos ungemein viel in die Kranke hineinkatechisiert hat. So und nur so ist es zu erklären, daß Therese nun mit einem Male angefangen hat, aramäisch zu halluzinieren, während früher des Heilands Worte auf gut oberpfälzisch von ihr vernommen wurden. Dieses Aramäisch sollte auch mir vorgeführt werden - eigentlich ein naives Unterfangen -, man fragte während einer Ekstasepause, was der Heiland gesagt habe, sie antwortete etwas von Jeruschalem" und fügte dann noch etwas Unverständliches hinzu. Das war wohl nichts recht Positives, denn der betreffende Herr sagte nur lächelnd: "Eine tolle Aussprache", und gab weitere Versuche auf. Ebenso wurde berichtet, daß man gelegentlich aramäische Worte aus ihr herausfragen wollte, indem man ihr anbot, hat es nicht so geheißen?", und nun einige aramäische Worte sagte, und als Therese verneinte, ihr von neuem andere aramäische Worte anbot. Es kann nicht wundernehmen, daß das Mädchen bei ihrem guten Gedächtnis auf diese Weise nun einige aramäische Worte gelernt hat, die sie gelegentlich dann zum Staunen der Umwelt wiedergeben mag."

Lhermitte schreibt nebenbei auch über die Sprachengabe der Therese Neumann (9): "Soll man noch hinzufügen, daß Resl, wenn sie in Bedrängnis gerät, Worte erfindet, die überhaupt sinnlos sind? So bringt Therese vor sechs hervorragenden Experten, die sie am 22. März 1938 untersuchten, um 12.45 Uhr nachts die Worte hervor: 'magera' 'grallaba', und später noch: 'Mahad'. Derartige Glossolalien und Xenoglossien wurden zu einer Zeit beobachtet, in der unter dem Einfluß Charcots die schwere Neurose in Blüte stand." Dann fährt Lhermitte fort: "Wir brauchen nicht alle Beweise für eine Hysterie Thereses anzuführen; sie sind überwältigend, und wie Dr. Madeyski in lichtvollen Ausführungen dargetan hat, genügt die Neurose bei weitem, um alle Phänomene zu erklären, die Therese Neumann zu einer der beachtetsten Persönlichkeiten des Jahrhundertbeginns gemacht haben."

Der kath. Religionsphilosoph Friedrich von Hügel hat sich eingehend mit der Mystik beschäftigt. Er sieht die Ekstasen, Visionen, das Stimmenhören als etwas durchaus Nebensächliches an. Von Hügel sagt klar und deutlich: "Wenn diese Erscheinungen als etwas Heiliges, Übernatürliches gelten sollen, dann sind nirgendwo mehr Heilige zu finden, als in den Irrenhäusern." (10)

3. Hierognosie

Im Zustand der gehobenen Ruhe besaß Therese Neumann, wie ihre Anhänger behaupten, die Gabe der Hierognosie, d. h. die Fähigkeit, Reliquien oder geweihte Dinge zu erkennen. Über diesen Punkt", schreibt Boniface (1), liegen so viele Erfahrungen vor, ohne daß ihr je ein Irrtum nachgewiesen werden konnte." Die genannte Fähigkeit erstreckte sich insbesondere auf Kreuzpartikeln und andere Christusreliquien. Boniface nennt namentlich "Fäden des Schweißtuches und des Hl. Rockes". Steiner (2) weiß zu berichten, wie man eines Tages Therese eine Reliquie reichte, die sie sofort als ein Stück von einem "Schleier der Muttergottes" erkannte.

Sie gab sogar anschließend bekannt, auf welchem Wege die Reliquie in die Hände der derzeitigen Besitzer gekommen sei. Sie soll ohne Zögern reagiert haben, sobald echte Kreuzpartikeln einem ihrer Wundmale, besonders der Seitenwunde, nahegebracht wurden. "Ganz eigentümlich" nennt es Boniface, "daß sie auch auf ähnliche Weise reagierte bei Berührung der mit ihrem eigenen Blute getränkten Wäschestücke. Wiederholt hatte sie im Verlaufe solcher Versuche ausdrücklich betont: 'Das ist nicht mein Blut.'"

Diese Auskunft klingt seltsam. Entweder hat sich Therese Neumann tatsächlich getäuscht oder die Wäschestücke waren nicht mit ihrem Blut getränkt. In diesem Falle müßte man an Äußerungen denken, wie sie in Konnersreuth laut wurden: ,Bei uns müssen viele Hühner sterben.'"

Boniface meint, nie sei ein Irrtum hinsichtlich der Angaben über die Echtheit der Reliquien nachgewiesen worden. Das ist die große Frage. Hier hätte man experimentell vorgehen müssen unter Verwendung von Reliquien, die nachweislich echt waren. Anders lassen sich höchstens Vermutungen anstellen. Wir haben keine sicheren Beweise für die Echtheit von Kreuzpartikeln. Noch fragwürdiger ist die Sache hinsichtlich Schweißtuch Jesu oder Schleier der Mutter Gottes. Aber ganz bestimmt sind die Fäden vom Hl. Rock nicht echt, weil der ganze Rock nicht echt ist. Wie gesagt, man hätte experimentell vorgehen müssen. Andernfalls kann man nicht von Beweisen für die Gabe der Hierognosie sprechen. Anders dagegen, wenn Therese Neumann über dieselbe Reliquie widersprechende Aussagen macht oder eine zweifellos echte Reliquie für unecht erklärt. Beides ist geschehen." So. Dr. Heermann in seiner Schrift: Um Konnersreuth (3). Heermann hat den Vorschlag gemacht, man solle die Fähigkeit von Therese Neumann auf die Probe stellen, indem man aus geweihten und ungeweihten Gegenständen die geweihten aussuchen ließe. Tatsächlich", so versichert er, hat ein mir bekannter Konnersreuthpilger mit Begleiter dem Pfarrer Naber diesen Vorschlag gemacht in Gegenwart der Therese Neumann. Naber lehnte aber ab mit der Begründung. "Das haben wir bisher noch nicht gemacht; einen Mißerfolg würde man uns übel auslegen."

Man kann nicht Glauben fordern und dabei jedwedem Nachweis für die Wahrheit der Thesen aus dem Wege gehen, wie es im Fall Konnersreuth nicht bloß hinsichtlich der in Anspruch genommenen Gabe der Hierognosie der Fall war. Dort aber, wo man den Spuren nachgehen kann, zerrinnen die Beweise" wie Schnee in der Sonne, und man stößt ins Leere.

4. Kardiognosie

Ein anderes Argument, das die göttliche Erwählung der Therese Neumann beweisen soll, ist die Herzenserkenntnis, die man ihr zuschrieb, eine Gabe, die sie namentlich in der Ekstase, aber auch im gewöhnlichen Wachzustand offenbart haben soll. Ein Pfarrer von Ars und andere Heilige hatten die Gabe der Kardiognosie, eine Gabe, die freilich nicht eine alltägliche Sache ist, wie sie Therese Neumann zugesprochen wurde. Verfügte sie wirklich über eine solche Fähigkeit? Und wenn sie zuweilen mit ihren Auskünften etwas überraschte, kann man auf übernatürliche Erleuchtung schließen?

Es kam vor, daß sie beispielsweise einem Priester, der als Zweifler gekommen war, den Vorwurf machte, er bete sein Brevier nicht andächtig oder er sei bei der Feier der hl. Messe sehr zerstreut. Zu solchen Aussagen braucht es offensichtlich keine besondere Erleuchtung; jedermann weiß, wie leicht beim Beten unsere Gedanken abschweifen.

Aber, so sagt man, Therese wußte viel genauere Auskünfte zu geben, vor allem im Zustand der Eingenommenheit"! Sie offenbarte, ob jemand im Gnadenstand war, ob er aufrichtig oder stolz und lieblos war. Ja sie sagte sogar lebenden Menschen ihr jenseitiges Schicksal voraus. So versicherte sie einer Frau, sie werde noch ihrem Tod ohne Fegfeuer sofort in den Himmel kommen. Diese Frau wurde als Besucherin bevorzugt empfangen. - Eine Beweiskraft kommt solchen Aussagen nicht zu.

Ein Besuch in Konnersreuth mußte zuweilen etwas riskant gewesen sein, wie Waitz zu erkennen gibt (1): "Es ist übrigens für die, die ganz ungläubig nach Konnersreuth kommen nicht ohne Gefahr, bloßgestellt zu werden; denn Therese redet zu solchen, und über solche mit einer Einsicht, die überrascht."

Ein Mann, den Fahsel, von Therese Neumann auf ihn aufmerksam gemacht, nach Konnersreuth gebracht und der dort konvertiert hatte, wurde unmittelbar nach seiner Erstbeichte und Kommunion zu Therese gerufen - sie hatte das verlangt. Im Zustand der erhobenen Ruhe hielt sie ihm zu seinem größten Erstaunen zwei Sünden aus seinem früheren Leben vor, an die der Mann überhaupt nicht mehr gedacht hatte. Sie tat es mit dem Bemerken: "Es ist dir alles vergeben. Aber du sollst wissen, daß man alles weiß (2)." - Das geht entschieden zu weit. Wenn es der Haltung eines Christen zuwider ist, dem Menschen gesühnte Schuld neu aufgewärmt vorzuwerfen, sollte Gott eine so geartete "Erleuchtung" gewähren, um einen Menschen zu blamieren?

Luise Rinser glaubt, bei ihrem Besuch in Konnersreuth selber einen Beweis für die Herzenskenntnis der Therese Neumann erhalten zu haben. Zwei Personen waren in ihrer Begleitung, die Therese bereits bekannt waren. Sie wußte, daß eine davon Redaktor bei einer katholischen Zeitschrift war. Während des Gesprächs geschah es - "Plötzlich wandte sie sich zu mir und sagte: 'Gell, es ist schwer, so zu schreiben, daß alle es verstehen, die ganz Anspruchsvollen und die Einfachen'" (3)." Mit dieser Äußerung, glaubt Rinser, hatte Therese ihr Wissen um ihren eigenen Beruf zum Ausdruck bringen wollen.

Im Zustand der gehobenen Ruhe, schreibt Boniface (4)" habe Therese Neumann wiederholt ihre Sehergabe unter Beweis gestellt. Mehr als einmal hat sie falsche oder schlechte Priester, und sogar falsche Bischöfe, die als Ungläubige, aus reiner Neugierde oder auch zum Vergnügen sie besuchten, demaskiert. So sagte sie dem einen: Du bist gar kein Bischof, du bist ein falscher Prälat, trotz deiner prächtigen Kleidung. Aber du bist immer noch Priester; du bleibst es in alle Ewigkeit. Sieh dich vor, daß dir unterwegs nichts zustößt." Der Mann soll später verurteilt worden sein, weil er eine ihm nicht zustehende Amtstracht getragen habe. - Wie viele falsche Bischöfe mögen es gewesen sein? Man kann mit derartigen Beispielen nichts anfangen. Wie soll man sie auf ihre Richtigkeit nachprüfen?

Über eine außergewöhnliche Herzenskenntnis soll Therese Neumann bereits im normalen Zustand verfügt haben. In einem Zwiegespräch versicherte sie Ende Juli 1927 Dr. Ewald, sie habe ihn gleich durchschaut gehabt, schneller als er sie durchschauen konnte (5).

Einen Monat später noch spendete Therese Dr. Ewald ihr uneingeschränktes Lob, als Prof. Wunderle auf ihn zu sprechen kam (6). "Therese war geradezu begeistert von der Persönlichkeit und Untersuchungsweise, und lobte ihn, den Protestanten, in meiner Gegenwart mit voller Überzeugung."

Aber schon Ende Oktober des gleichen Jahres urteilt sie anders über Dr. Ewald, als sie merkte, daß er nicht an ihre Nahrungslosigkeit glaubte. Jetzt sagt sie - "Herrn Professor schätzte ich anfänglich höher, sonst hätte ich ihm kein Vertrauen geschenkt (7)."

Als dann Gerlich 1931 Therese Neumann über die Besuche Wunderles ausforschte, wollte diese ihr früheres Urteil über Dr. Ewald, wie sie es Wunderle gegenüber im Jahre 1927 abgegeben hatte, nicht mehr wahr haben. Jetzt will sie ihm auf die Frage, was sie von Ewald halte, geantwortet haben -. "Wenn er es aufrichtig meint, ist er schon recht (8)." - Von Herzenskenntnis kann man da nicht sprechen. Außerdem fällt ein zweifelhaftes Licht auf die Wahrheitsliebe der Stigmatisierten.

5. Hellsehen

Es ist auch bekannt, daß man Therese Neumann - in hohem Maße die Gabe des räumlichen Hellsehens zuschrieb, "doch merkwürdigerweise nur bei kirchlichen Ereignissen". So konnte sie Papstfeierlichkeiten in Rom, Eucharistische Kongresse (z.B. München 1960) und Katholikentage, Feste in Lourdes, Fatima oder Lisieux usw. in der Schau miterleben, wie wenn sie körperlich daran teilgenommen hätte (1)." "Jedes Jahr am Ostersonntag befand sie sich visionär unter den Anwesenden auf dem Petersplatz in Rom, denen der Heilige Vater den päpstlichen Segen urbi et orbi erteilte. In dieser Schauung erlebte sie drei Päpste: Pius XI., Pius XII. und Johannes XXIII. Zum letztenmal hatte sie diese Vision in ihrem Todesjahr, am Ostersonntag 1962 (2)."

An weniger bedeutenden Festlichkeiten hat Therese Neumann nicht visionär teilgenommen. Auch waren Persönlichkeiten mit Rang und Namen bevorzugt. Eine Ausnahme bildeten nur die Männer, deren Gunst sie vieles zu danken hatte. Man versteht, daß sie teilgenommen hat an Gottesdiensten, die ihr ergebene Priester auswärts gefeiert haben, am Meßopfer in Eichstätt und namentlich am Gottesdienst, den Pfarrer Naber feierte, z. B. einmal in Berlin. War sie in Eichstätt, so hat sie den Pfarrgottesdienst in Konnersreuth mitgefeiert (3). Zum Beweis erzählte sie von Vorkommnissen, die sie gesehen, oder von Worten aus der Predigt, die sie gehört. Freilich vermag das nicht zu überraschen. Wer Sonntag für Sonntag den gleichen Pfarrer predigen hört, kann unschwer Gedanken und Worte aus seiner Predigt anführen.

Eines Tages nahm Gerlich Prof. Wutz und Therese Neumann in seinem Auto mit. Da streikte der Wagen; Hilfe war nicht zu erwarten. Sofort gerät Therese in Ekstase und verrät, daß bestimmte Schrauben im Auto anzuziehen seien. Der Schaden konnte so behoben werden (4).

Ein anderer Fall: Schwestern kauften ein Anwesen, fanden aber auf dem Grundstück kein Wasser. Man begab sich zu Therese Neumann. Diese sagte dann den Schwestern in der Ekstase, wo gegraben werden müsse, um Wasser zu finden (5). Braucht es zu so irdischen Dingen eine Ekstase? Dabei soll der Stigmatisierten die Gabe des Hellsehens nur bei kirchlichen Ereignissen zu eigen gewesen sein.

Eines Tages war aus einer Klosterkirche in England eine große Kreuzpartikel entwendet worden. Auf Anfrage gab Therese Bescheid: "Das Nachforschen würde zu keinem Ergebnis führen, Sie werden aber den Kreuzpartikel nach Jahren unversehrt zurückbekommen." Das soll auch eingetreten sein. "Der Kreuzpartikel wurde unversehrt in einem Versteck zufällig gefunden (6)." - Hätte Therese das Versteck gekannt, sie hätte es verraten.

Bei einem ähnlichen Ereignis schreibt Anni Spiegl Therese Neumann ein förmliches Wunder zu. Diese war in einem Mietauto unterwegs. Plötzlich blieb das Auto stehen. .Das Benzin war aus. Es war nachts und nirgends welches zu bekommen. ... Da bettelte Therese den Heiland und sagte dann zum Fahrer: Probieren Sie es doch noch einmal." Der Motor sprang an, sie kamen wohlbehalten nach Hause (7)." - Ähnliche Erlebnisse, daß der Motor vorübergehend streikt, kennt jeder Kraftfahrer.

Um das Jahr 1930 war Bischof Schrembs von Cleveland in Konnersreuth. Damals soll ihm Therese Neumann in der Ekstase die Verhältnisse in seinem amerikanischen Bistum so umständlich beschrieben haben, wie der erfahrenste amerikanische Priester es schwerlich vermocht hätte (8).

Es trifft zu, daß Bischof Schrembs Therese Neumann aufgesucht hat; es stimmt auch, daß diese ihm solche geheime" Dinge geoffenbart hat. Aber die Sache hat doch einen Haken. Die Auskünfte erwiesen sich nämlich als falsch. Darüber gibt ein Brief vom 29. 3. 1935 Aufschluß, den Dr. Deutsch (9) abgedruckt hat. Hier teilt der Schreiber mit, daß Bischof Schrembs ihm früher selbst bekannt habe, er sei "von den Ereignissen um Therese Neurnann überzeugt" gewesen. Inzwischen habe er jedoch seine Meinung grundlegend geändert. Bei Gelegenheit des Emmerik-Jubiläums war der Bischof wieder bei dem Briefschreiber. Auf Anfrage erklärte nunmehr Schrembs, daß er nicht mehr Konnersreuth aufgesucht habe und auch nicht mehr aufsuchen werde. "Denn was Therese Neumann mir damals über Geistliche meiner Diözese gesagt hat, stimmt nicht ... Ich bin wohl beim Hochwürdigsten Herrn von Regensburg gewesen und habe ihm erklärt: Pfarrer Naber von Konnersreuth muß versetzt werden und die Therese Neumann in ein Kloster. Wenn der Fall in meiner Diözese vorläge, würde ich das sofort anordnen und dafür sorgen, daß meine Anordnungen durchgeführt würden. Ich halte von Konnersreuth nichts mehr."

Es ist verständlich, daß von Konnersreuth-Anhängern über solche Dinge geschwiegen wird oder daß sie entschuldigt werden. Man erzählt davon, daß Therese Neumann von einem vermißten Soldaten behauptet hat, er sei gefallen; er ist in die Heimat zurückgekehrt. Ich weiß von Zeugen für ihre Äußerung sie werde die Primiz ihres Bruders erleben; sie hat diese nicht erlebt. - Verlangt man freilich eine schriftliche Bestätigung von Zeugen, so wird sie - in der Regel aus irgendwelchen Gründen verweigert.

6. Der "Heiland" spricht

Man ist oft eigenartig berührt, wenn man liest, was alles der Auskunft des Heilandes" zugeschrieben wurde. Therese selber behauptete es; Pfarrer Naber bestätigte es; der Großteil der Anhänger glaubte es bedingungslos und verkündete. Aus der Stigmatisierten von Konnersreuth spricht der Heiland! Nicht bloß im übertragenen Sinn ist das gemeint, sondern im wirklichen Sinn des Wortes. Was für verwunderliche Resultate das dann zeitigen mußte, kann man sich unschwer vorstellen. So erzählte Pfarrer Naber, in der Ekstase habe Therese Auskunft erteilt, daß, wann und von wem im Dorf gerauft werde. Sie habe offenbart, wer im Domkapitel zu Regensburg für sie und wer gegen sie sei (1). - Ich meine, um die Stimmung im Domkapitel zu erkunden, dazu brauchte Therese Neumann keine Ekstase und keine Offenbarung durch Christus. Darüber wußte sie Bescheid. Sie zeigt dabei nur, wie sehr sie unter dem Anliegen litt, daß sie an maßgeblichen Stellen nicht den gewünschten Glauben gefunden hat. Die Raufbolde an ihrem Heimatort wird sie sehr wohl gekannt haben.

Vollkommen überzeugt, daß aus Therese Neumann Christus unmittelbar gesprochen hat, war Fritz Gerlich. Dagegen nahm sogar ein Anhänger von Konnersreuth energisch Stellung, nämlich der Benediktinerpater Prof. Dr. Alois Mager von Salzburg (2). Gerlich hat in dem Streitgespräch mit dem Pater wiederholt betont, der Heiland spreche aus Therese Neumann. Anlaß zu der Meinungsverschiedenheit gab eine Veröffentlichung Prof. Magers Dieser war mit seinem Ordensbruder P. Staudinger zu Besuch in Konnersreuth und hat wiederholt mit Therese Neumann gesprochen. Darüber berichtete Prof. Mager in der Presse. Gerlich war damit nicht einverstanden, fuhr nach Konnersreuth und erkundigte sich, ob die Darstellung des Professors zutreffe. Dabei befragte er die Stigmatisierte im Wachzustand, aber auch in der Ekstase. Die Auskunft im gehobenen Ruhezustand schrieb er, ganz bestimmt nicht auf Grund eigenen Urteils, unmittelbar dem Heiland zu. Sie durfte demnach nicht im geringsten angezweifelt werden. So erinnert Gerlich in seiner Erwiderung Prof. Mager an dessen Aufenthalt in Konnersreuth und an das Gespräch, das ihm vom Heiland gewährt worden sei; dieser habe die im erhobenen Zustand befindliche Therese Neumann als irdisches Werkzeug benutzt" (3). Gerlich weist unter anderem darauf hin, daß der Heiland ,durch die erhobene Therese Neumann "ausnahmslos jeden mit Du" anspreche. Übrigens drückt darüber Therese selber wiederholt ihre Genugtuung aus, daß sie in der Ekstase jedermann, auch einen Bischof, mit Du" anrede; sie freut sich darüber nicht wenig.

Im Brief Gerlichs an Mager lesen wir weiter: Es ist wohl richtig, daß Therese Neumann von dem, was der Heiland aus ihr im erhobenen Ruhezustand spricht, nachher im gewöhnlichen Zustand nichts weiß. Aber der Heiland weiß es noch, und wenn er, wie es der Fall mit der Erforschung der Wahrheit diesmal war, mir die Gnade einer Mitteilung im erhobenen Ruhezustand der Therese Neumann über den Verlauf des Gesprächs mit Ihnen und über den Grad des Verständnisses, das Sie dabei gewonnen haben, gewahrt, so bekomme ich sehr genaue Auskünfte sogar über das, was meinem Verstande unzugänglich ist, nämlich darüber, wieviel Sie von dem verstanden haben, was der Heiland mit Ihnen sprach . .

Gerlich glaubte sogar, daß Christus sich der Sprechorgane der Stigmatisierten bedient habe, daß es also Christus selber war, der aus ihr gesprochen. Teodorowicz korrigierte diese Ansicht Gerlichs, worauf dieser antwortete, er sei kein Theologe, sei im Kalvinismus aufgewachsen und früher ungläubig gewesen; er definiere alles nach seinem Gutdünken. Er habe nur zum Ausdruck bringen wollen, daß Therese Neumann ihre innere Erleuchtung von Gott erholte.

Teodorowicz wandte sich Gerlich gegenüber auch gegen die Ansicht Fahsels, daß Christus durch Therese Neumann spreche (4). Fahsel ist aber katholischer Theologe; er spürte keinen Argwohn gegenüber solchen Offenbarungen Christi durch die Stigmatisierte.

Wenn auch Teodorowicz die Auffassung, der Heiland spreche zu Therese Neumann, als falsch zurückweist, so glaubt er offenbar doch selber daran. So setzt er sich mit dem Vorwurf gegen Naber auseinander, dieser sei Therese Neumann gehorsam. In diesem Zusammenhang schreibt er: "Der Pfarrer gehorcht den Stimmen Theresens, er weiß aus Erfahrung, daß diese Stimmen nie irren (5)." Ist das wirklich etwas anderes, als das, was Gerlich und Fahsel gesagt haben? Damit hat der Erzbischof doch das gleiche, was er verwirft, als richtig bezeichnet. - Nur Gott kann nie irren!

Daß Pfarrer Naber in den Worten von Therese Neumann die des Herrn hörte, nimmt nicht wunder. Das verraten neben dem, was Teodorowicz von ihm sagt, die Worte, mit denen er Prof. Killermann widersprochen hat: "Die Resl, der Heiland, wird das besser wissen."

Wer an Therese Neumann "glaubt", der muß freilich auch hier glauben, daß Christus aus ihr spricht. Niemand anders hat das mehr betont als sie selber. So offenbart sie Dr. Gerlich (6): "Nicht ich spreche, der Heiland spricht aus mir"; und: "Der Heiland schaut durch mich, ich bin nur ein Schatten vor ihm."

Als Professor Wunderle nach einem Besuch bei Therese Neumann das Zimmer wieder verlassen hatte und von Konnersreuth wegfuhr, da führte der Pfarrer mit Therese, die eben ein Sühneleiden für den Professor ertrug, ein Zwiegespräch (7). Schließlich soll Therese gesagt haben, Wunderle würde noch am gleichen Tag "einen kleinen Schrecken" erleben. Die offenbarende "Stimme" erteilte auch den Auftrag, dem Professor von ihrer Erklärung Mitteilung zu machen. Nach einiger Überlegung schien es Wutz und Pfarrer Naber am zweckmäßigsten, wenn sie Wunderle herbeiriefen, damit er die Mitteilung der Therese Neumann von dieser selbst hören könne." Aber Wunderle war bereits abgefahren. Tatsächlich erlebte er auf dem Weg nach Arzberg einen Unfall.

Aber so überzeugend ist das keineswegs. Ein kleiner Schrecken ist alltägliche Erscheinung. Eine Prophezeiung muß schon deutlicher kennzeichnen. Es ist auch verwunderlich, daß die Stimme" wartete, bis Wunderle weggefahren war, aber trotzdem verlangte, man solle ihm die Offenbarung" mitteilen. Prophezeiungen, die erst nach dem Ereignis bekannt werden, überzeugen nicht.

Prof. Verweyen geht noch weiter als die genannten Anhänger der Stigmatisierten. Er spricht seine Oberzeugung aus, daß Therese Neumann nicht bloß im Zustand der Ekstase, sondern auch sonst, "wenn sie ihre Sehergabe betätigt", des Heilands Stimme zu vernehmen glaube. "Sie antwortet dann etwa wie in dem Falle, als ein amerikanischer Bischof bayerischer Abstammung um ein blutgetränktes Kopftuch bat: Ja, ja, das kannst Du haben. Der Heiland sagt, Du könntest es haben." Nach der Schilderung des Augenzeugen, der diese Antwort erhielt, hat Therese einen Augenblick ihr Haupt gewendet, als ob sie einer Stimme lauschen wolle." Wohlgemerkt, das geschah im Normalzustand, nicht während einer Ekstase (8)! So unmittelbar hatte noch kein Lebender mit Christus nach dessen Erdenwandel Verbindung.

Was Gerlich betrifft, so konnte man sein Verhalten einigermaßen verstehen. Er hat einfach geglaubt, was ihm Therese Neumann erzählt hat. Das sind ihre Worte an Gerlich, die sie "immer wieder" betont hat: "Nicht ich sage das, sondern der Heiland. Nachher weiß ich von dem nichts, was ich Ihnen jetzt sage (9)."

Auffallend erscheint, daß Therese Neumann verschiedentlich während der Ekstase von sich selbst sprach, aber in der 3. Person. Das hielt man natürlich für einen zusätzlichen Beweis für die Überzeugung, daß Christus aus ihre rede. So geschah es, um ein Beispiel zu nennen, als Therese eine Hostie "erbrochen" hatte. Der Pfarrer erhob nach länger andauerndem Theater schließlich das Taschentuch mit der daraufliegenden Hostie und alsbald war diese verschwunden. Therese fiel in ihr Kissen zurück und murmelte: "Der Heiland ist wieder in ihr (10)."

Therese, wie sie versicherte, nach dem erhobenen Ruhezustand keine Erinnerung an das hatte, was sie während desselben gesprochen hatte, weil sie aber das doch gerne gewußt hätte, darum gab sie zuweilen vorher dem Pfarrer den Auftrag, er möge ihr hernach Bericht erstatten. Manches Mal erteilte die "Stimme" selber einen entsprechenden Befehl, der dann lautete: "Sag der Resl, sie möge dem und dem schreiben, oder das und das tun (11)." - Daß es zu solchen Handlungen einer Aufforderung durch Christus bedurfte, ist nur für einen "Gläubigen" zu verstehen.

Es ist bemerkenswert, daß Dr. Lechler bei seinen Versuchen mit dem Mädchen Elisabeth K. Ähnliches beobachtet hat. Auch Elisabeth sprach mehrmals in der 3. Person von sich, "so daß es schien, als rede ein anderer aus ihr". Lechler folgert: "So entstammen auch die 'Heilandsworte' der Therese Neumann m. E. nur ihrem eigenen Gedankenleben (12)."

Eine Parallele bietet hier auch der als "Teufelsbanner" berühmt gewordene Pfarrer Joh. Jos. Gaßner (13). Weil er glaubte, die Krankheiten seien ein Werk des Teufels, den er sich jeweils gegenwärtig vorstellte, wollte er sie durch Anwendung des Exorzismus vertreiben. Die Befehle erteilte er bei seinen "Heilkuren" dem Teufel" in der betreffenden Person, die es zu heilen galt. Der böse Geist" gab auch befehlsgemäß Antwort, ja er hielt gelegentlich förmliche Predigten. Man hatte dabei den Eindruck, daß sich die Versuchsperson als zwei voneinander verschiedene Persönlichkeiten vorkam. Ähnliches finden wir in der Praxis Mesmers, des Begründers des "tierischen Magnetismus". Einen Fall zum Vergleich: Während der Behandlung einer einfachen Gärtnersfrau zeigte sich, daß aus der Frau verschiedene Personen redeten, darunter auch ihre Tochter, die zwei Jahre zuvor im Alter von zwölf Jahren gestorben war. Die Tochter redete aber jetzt wie eine Erwachsene (14). Gaßner hatte auch diese Stimme dem Teufel zugeschrieben. - Bei Therese Neumann hieß es. Der Heiland sprach.

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Letzte Änderung: 1. September 1999