Gottes-Werk oder Menschen-Machwerk?

VII Beziehung zu Verstorbenen

1. Auskunft über ihr Schicksal

Wenn man liest und hört, welch große Zahl von außerordentlichen Gnadengaben Therese Neumann eigen gewesen sein soll, verliert man das Staunen. Was sonst einmal als Ausnahme zu betrachten ist, ist bei ihr Alltagserscheinung. Sie durchschaute Lebende, sie wußte Bescheid über das Schicksal Verstorbener, ja über verborgene Ereignisse aus deren irdischem Leben. Ihr war es gestattet mitzuerleben, wie ein Mitmensch in der Ferne mit dem Tode rang; sie schaute, wie seine Seele vor Gottes Gericht stand, namentlich dann, wenn es sich um Prominente handelte.

Beim Tod des Papstes Pius XII. war sie in der Ekstase zugegen (1): "Sie sah dabei, wie sich im Augenblick des Todes die Seele vom Leib trennte, wie diese dem Heiland gegenübertrat und wie sie mit ihm, begleitet vom Schutzengel, nach oben entschwebte." Nicht ganz so gut kam Bischof Antonius von Regensburg weg. Auch hier will Therese geschaut haben, wie seine Seele den Leib verließ. Dann erschien diese zunächst vor dem Herrgott im Himmel zum Gericht. Sie durfte etwa eine Viertelstunde dort weilen; darnach mußte sie allerdings zu einer nicht allzu langen Sühne ins Fegfeuer. Man kann verstehen, daß Therese Bischof Antonius in das Fegfeuer geschickt hat; er ist es ja gewesen, der die Überwachung im Jahre 1927 angeordnet hat.

Zur Erläuterung dafür, welch ein Humbug Glauben findet, möchte ich nur am Rande hinweisen auf die immer noch andauernden "Offenbarungen der Mutter Gottes von Heroldsbach". Diese läßt immer wieder, wie die zugesandten Blätter faseln, verkünden, wie schwer der verstorbene Erzbischof Buchberger von Regensburg und die verstorbenen Bischöfe von Bamberg, ja auch Papst Pius XII. und selbst Therese Neumann, leiden müssen, weil sie nicht an die Erscheinungen von Heroldsbach geglaubt haben.

Wir wissen, daß ein jeder Mensch einst vor Gott Rechenschaft ablegen muß. Über das Wie freilich können wir nur Vermutungen anstellen, außer wir verlassen uns auf die Offenbarungen der Stigmatisierten von Konnersreuth. Sie wußte Bescheid, durfte sie doch wiederholt miterleben, was kein Irdischer zu schauen vermag. Therese Neumann sah, wenn sie an ein Sterbelager gerufen wurde, in manchen Fällen auch ohne Anwesenheit, einige Zeit nach dem Tode die Seele in einer der Gestalt des Verstorbenen ähnlichen Lichtgestalt dem Leibe entsteigen, dann sah sie Christus kommen und die Seele richten. Als Begleitung Christi erschienen lichte Seelen, die dem Verstorbenen, so lange sie lebten, besonders nahe gestanden hatten und inzwischen in die Seligkeit hatten eingehen dürfen. Im allgemeinen hatte diese Gerichtsvision ungefähr folgenden Verlauf: Der Heiland erscheint mit verklärtem Leib, strahlend, begleitet von unkörperlichen Lichtgestalten, und blickt die Seele des Verstorbenen liebreich an. Diese wird mehr oder weniger hell und hat in einem Augenblick erkannt, daß dieser ihr Zustand absoluter Gerechtigkeit entspricht. Der Richter und die Begleitung entschwinden, wahrend die Seele einsam zurückbleibt. In wenigen Fallen sah Therese den Heiland im Augenblick des Todes überirdisch lächelnd kommen; die Seele des Verstorbenen wurde sofort ganz licht und durfte mitkommen. Sie selbst rief dann in der Ekstase: Mit, mit' und streckte lebhaft die Hände aus (2).' Zu diesen Wenigen zählt ihre Schwester Ottilie, welche bei Prof. Wutz Haushälterin war. "Resl, die die letzten Tage bei der Schwester zubrachte, sah im Augenblick des Todes den Heiland lächelnd in hellstem Glanze kommen und die sofort ganz rein aufstrahlende Seele der Schwester mitnehmen. Therese, die während der Vision ,Mit, mit' rief, war hernach trotz des schweren Verlustes hochbeglückt (3)."

Das Fegfeuer für ihren eigenen Vater war ihrer Angabe gemäß nur kurz. Auch Professor Wutz brauchte nicht lange zu büßen; für ihn war der Läuterungsort seine eigene Hauskapelle (4).

Am 20. Januar 1931 wurde Pfarrer Naber zu einem Sterbenden gerufen (5). In der Ekstase erfuhr Therese, daß der Verstorbene ins Fegfeuer verwiesen worden war. Sie erzählte, "daß sie diesen vor dem Heiland gesehen, bei ihm den Schutzengel, zwei junge Männer, einen älteren Mann und eine alte Frau und etwa drei Kinder, die ganze Begleitung in verklärtem Zustand (offenbar waren es Vater und Mutter des Verstorbenen, seine zwei gefallenen Söhne und seine klein gestorbenen Kinder). Da die Seele des Verstorbenen noch nicht ganz rein ist, muß sie, als der Heiland mit den anderen in den Himmel zurückkehrt, zurückbleiben und schaut äußerst wehmütig nach."

Es verwundert nicht mehr, daß Therese Neumann einen gar engen Kontakt mit den Seelen im Läuterungsort gepflegt hat. Fleißig brachte sie ihnen Hilfe durch ihr Fürbittgebet, ungleich mehr noch durch ihre freiwillig übernommenen Sühneleiden. Denn leiden dürfen, das war für sie das tägliche Brot. Als sie mit Bischof Waitz nach Empfang der hl. Kommunion einige Zeit geplaudert hatte, sprach sie unvermittelt: "Jetzt darf ich wieder leiden (6)." Und wieder ertrug sie heldenmütig irgendein Gebrechen.

Oft geschah es, daß Verstorbene sich bei Therese Neumann anmeldeten und um Hilfe baten. Seelen waren darunter, die seit Jahrhunderten im Läuterungsort verbannt waren; natürlich erst recht solche, die ihr im Leben begegnet waren. Auf Anfrage vermochte sie zudem über das Schicksal Verstorbener Auskunft zu erteilen. Allerdings hat sie nie von einem erklärt, er sei von Gott verdammt worden (7).

Die "Bettelkatzln", wie Therese die Armen Seelen nannte, kamen regelmäßig Hilfe suchend zu ihr. In vielen Fällen waren es ihr bekannte Verstorbene. So sah sie einmal ihren Jugendpfarrer Ebel (8), der sie bat - "Bete doch für mich, ich habe dich doch getauft und dir die erste heilige Kommunion gereicht. Ich habe dich hernach bestraft, ohne dich zu fragen, weil ich dich für zerfahren hielt; ich wußte ja nicht, daß dein Verhalten auf eine außerordentliche Erscheinung zurückging." - Der Arme mußte so lange büßen, weil er nicht gefragt hatte! - Zu dem angedeuteten Ereignis gab Therese im Jahre 1953 "vor einer vereidigten kirchlichen Kommission" unter Eid die Erklärung ab: Während der Erstkommunionfeier sei der Heiland selbst auf sie zugekommen. Sie habe sich, ihrer selbst nicht mächtig, nicht, wie vorgeschrieben, verhalten. Der Geistliche habe dies als Zerstreuung gedeutet und Therese anderntags vor allen Kindern gestraft.

Die Aufzeichnung von Pfarrer Naber vom 23. 11. 1928 lautet. "Heute darf Therese den letzten katholischen Pfarrer von Arzberg vor der endgültigen Einführung des Protestantismus aus dem Fegfeuer erlösen. Wegen Unmäßigkeit im Trinken und Nachlässigkeit bei der Feier der hl. Messe habe er, sagte sie, so lange im Fegfeuer leiden müssen; seiner Kindlichkeit wegen dürfe sie ihn jetzt erlösen (9)."

Einige Beispiele aus Staudingers Schrift: Den Vater eines Priesters durfte Therese noch 48 Jahren Fegfeuer aus dem Läuterungsort befreien; ohne ihre Hilfe hatte er noch zwei Jahre darin verbringen müssen. - Einem Priester hilft sie zur Erlösung, der seit 1895 zu sühnen hatte. - Ein amerikanischer Geistlicher war in Konnersreuth. Ihm offenbart die Stigmatisierte, sein vor Jahren verstorbener Vater sei noch nicht erlöst, trotz der vielen heiligen Messen, die inzwischen sein Sohn aufgeopfert hatte. Als Grund gibt Therese an, er habe die hl. Messe zu wenig geschätzt. Obwohl er ganz nahe bei der Kirche wohnte, ging er nicht an Werktagen regelmäßig zum Gottesdienst; für gewöhnlich besuchte er nur die Sonntagsmesse. Aus diesem Grunde nützten ihm auch die zugewendeten hl. Messen nicht viel. - Ein Pfarrer, dessen Mutter von Therese im Läuterungsorte gesehen wurde, wollte der Auskunft nicht recht glauben. Er meinte: "Meine Mutter ist doch vor dem Sterben lange, lange krank gewesen. Da wird sie doch schon das meiste abgebüßt haben." Die Auskunft lautete: "Sie hat die Krankheit zu wenig benützt, um in Leid und Geduld zu sühnen."

Auf einen Fall müssen wir naher eingehen, weil er zum ersten Gottes gerechtes Urteil sehr fragwürdig erscheinen laßt, und fürs zweite dann auch zeigt, was von der ekstatischen Auskunft durch Therese Neumann zu halten ist. Es ist die bekannte Affäre um Schwester Canisia. Wir folgen zwei Berichterstattern, nämlich Teodorowicz und Boniface.

Teodorowicz schildert den Fall also (10): "Der zweite Fall betrifft eine Schwester, die die Klostergemeinschaft verlassen hatte und die dann in der Welt ein Leben führte, welches zwar moralisch untadelhaft war, das aber dennoch wegen mancher äußerer Umstände Anstoß erregte; der Tod überraschte die ehemalige Schwester, die ohne Sterbesakramente dahinschied. Auf die Anfrage der Familie der Verstorbenen erklärte Therese während ihres ekstatischen Zustandes, daß die Verstorbene beim Heiland sei. Der Pfarrer war über diese Worte Theresens sehr betroffen; er stellte sie zur Rede, wie sie überhaupt so etwas hätte sagen können. Und jetzt faßte Therese das ganze innere Leben der Verstorbenen und die Fügung Gottes in ein so klares Bild, daß alle zersplitterten mißverstandenen Einzelheiten dieses Lebens in der Gesamtidee, die Therese entwarf, in ihrem Geschick, ja selbst in ihrem Tode begründet zu sein schien. Therese erklärte nämlich, diese Person sei immer von dem besten Willen beseelt gewesen, Gott zu dienen. Der schwache Punkt in ihrer Seele aber sei der gewesen, daß sie bei Ausübung der Tugenden immer so viel Vertrauen zu sich selber gesetzt hätte; zur Strafe dafür und zu ihrer Demütigung, aber auch zu ihrem Seelenheile sei zugelassen worden, daß sie vom dämonischen Einflusse erfaßt wurde. In der Sterbestunde hätte man einen Exorzismus an ihr vornehmen sollen, aber man gab sich nicht genug Rechenschaft darüber ab, in welchem Zustande sie sich befinde, und die dämonische Besessenheit schrieb man ihrer eigenen Gesinnung zu. Im Sterben jedoch habe sie die Gnade vollkommener Reue bekommen."

So schildert Teodorowicz den Fall; so wird man ihn in Konnersreuth erzählt haben. Es wäre für den Bischof von Lemberg ein Leichtes gewesen, beim zuständigen Ordinariat Information einzuholen; dann hätte er seinen Bericht nicht so abgefaßt.

An die wiedergegebene Erzählung knüpft Teodorowicz eine längere Betrachtung: "ohne über Echtheit oder Unechtheit dieser Aussage entscheiden zu wollen, hebe ich nur das Schöne und Tiefe in der Auffassung der Seelenprozesse hervor, welches mit den äußeren Ereignissen in Einklang gebracht wurde." - Hätte der Bischof Erkundigungen eingezogen, dann hätte er gemerkt, daß in der Berichterstattung kein Einklang zu finden ist.

Teodorowicz war überzeugt, "daß diese Stimmen nie irren". Allerdings meint er hinsichtlich Schwester Canisia selber, ein "äußerer Beleg" müsse "dieser Erkennung und Deutung" das "übernatürliche Siegel" aufdrücken. Dies soll auch geschehen sein. "Niemand anders als Therese Neumann selbst war die erste, die die Notwendigkeit eines derartigen Beweises zur vollständigen Lösung dieses Vorganges als unentbehrlich erachtete." Sie verkündete nämlich dem Pfarrer: "Damit du aber weißt, daß das alles wahr ist, was ich sage, so kommt hier nach Konnersreuth ein Mann - dabei bestimmte sie ganz genau den Tag seiner Ankunft -, der bringt mehrere hundert Mark in einem Briefumschlag; ich werde dieses Geld nicht annehmen, du aber wirst es annehmen und du sollst daran erkennen, daß du dazu berechtigt bist." So geschah es dann auch. "Nebenbei sei bemerkt, daß Therese selbst nichts mehr davon wußte, was sie in dem Zustand der Ekstase vorausgesagt hatte."

Das ist fürwahr eine ganz merkwürdige Sache! Aber hören wir hierzu die Variante, wie sie Boniface bietet (11): "Es ereignete sich z. B., daß Therese eine bestimmte Person im Himmel sah, ohne daß diese das Fegefeuer durchlaufen hatte und die dazu noch exkommuniziert und in diesem Zustand verstorben war. Der hochwürdige Pater Lavaud zitiert in dieser Hinsicht einen ganz sonderbaren Fall. Nachdem jedoch anschließend eine kirchenrechtliche Untersuchung eingeleitet worden war, ergab sich, daß die exkommunizierte Ordensfrau, über deren ewiges Los Therese befragt worden war, unter einer Gehirnerkrankung gelitten hatte, die bereits vor den Ereignissen, die eine Exkommunikation rechtfertigten, vorhanden war."

Man sieht, daß Teodorowicz einen wichtigen Umstand ausgelassen hat nämlich die Exkommunikation. Schade, daß Boniface nicht verraten hat, wie man nach Tod und Begräbnis der ehemaligen Schwester ohne Untersuchung eine Gehirnerkrankung hat feststellen können. Wie das eine kirchenrechtliche Untersuchung vermag, ist schleierhaft. Wenn solch eine Krankheit vorgelegen hatte, dann. muß man doch wohl erstaunt fragen: Kam nie jemand auf den Gedanken, eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen? Vergleichen wir den Bericht von Boniface mit dem von Teodorowicz, so fällt auf, daß nach seiner Darstellung Therese Neumann von allem anderen spricht, nur nicht von einer Gehirnerkrankung. Daß ihr diesen wesentlichen Umstand der "Heiland" nicht verraten hat, ist doch ganz eigenartig!

Der geschilderte Fall ist mir noch aus einer anderen Quelle bekannt. Weihbischof Höcht hat ihn in meinem Beisein im Jahre 1947 erzählt. Er hatte die Akten, die Schwester Canisia betreffend, vom zuständigen Ordinariat erhalten und er mußte auch jeweils die gewünschten Auskünfte in Konnersreuth einholen. Was war geschehen?

Die laisierte Schwester bildete zusammen mit anderen Personen, darunter war auch ein Priester, einen "mystischen Kreis". Der Priester versandte an die Mitglieder konsekrierte Hostien mit der Post. Die einzelnen kommunizierten dann nach Gutdünken. Die Sache kam schließlich auf. Alle Beteiligten sahen ihre schwere Verirrung ein und bedauerten ihr Handeln, nur zwei nicht, eben diese Canisia und der Priester. Beide wurden daraufhin exkommuniziert. Unversöhnt starb nicht lange darauf der Geistliche eines plötzlichen Todes. Als der zuständige Bischof in die Gegend kam, wo Canisia lebte, ließ er ihr mitteilen, die Kirche sei jederzeit bereit zu verzeihen, wenn Vergebung gewünscht werde. Canisia lehnte schroff ab. Bald darauf verstarb sie plötzlich. Als namentlich Exkommunizierte konnte sie nicht kirchlich beerdigt werden. Hatte ein ärztliches Zeugnis vorgelegen, daß Canisia an einer Erkrankung des Gehirns gelitten, wäre die kirchliche Einsegnung nicht verweigert worden.

Nunmehr fragten die Angehörigen in Konnersreuth an, wie es um das Schicksal der Verstorbenen im Jenseits bestellt sei, ob sie von Gott verdammt worden sei. Die Auskunft, weiche Therese Neumann erteilte, lautete: "Sie ist vom Mund auf in den Himmel gekommen." Die Angehörigen beschwerten sich nunmehr beim zuständigen bischöflichen Ordinariat wegen Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses. Über das Regensburger Ordinariat ließ jetzt die bischöfliche Kurie anfragen, ob die erwähnte Auskunft erteilt worden sei und ob man sie, falls mit "Ja" geantwortet werde, aufrecht erhalte. Therese Neumann antwortete in der Ekstase diesmal: Ja, die erste Auskunft hat gelautet: "Vom Mund auf in den Himmel gekommen." Als Begründung wurde angegeben: Die Frau habe vor dem Tod eine vollkommene Reue erweckt.

Man sieht wieder, wie Fabeln entstehen. Abgesehen von den wahrheitswidrigen Darstellungen des Falles muß noch etwas anderes schwerste Bedenken auslösen, die Weihbischof Höcht so zum Ausdruck gebracht hat: "Meine Herren, wenn es so leicht geht, ohne jede Buße in den Himmel zu kommen, auch wenn man exkommuniziert ist und Aussöhnung mit der Kirche ablehnt, dann können wir alle völlig unbesorgt sein." Eine weitere Frage drängt sich auf. Was ist es denn mit den anderen, für die Therese Neumann so viel gelitten hat, die ohne ihre Hilfe noch lange hatten büßen müssen? Warum haben diese einer Kleinigkeit wegen Jahre im Fegfeuer verweilen müssen? Warum mußte Benifiziat Ebel so lange büßen für eine "Schuld", von der er gar nichts gewußt hat, ja von der er nichts wissen konnte, weil Therese ihn nicht aufgeklärt hat? Ebel war katholischer Theologe und hat versäumt, eine vollkommene Reue zu erwecken, obwohl er so viel Zeit gehabt hatte! Ja, er mußte im Läuterungsort sühnen trotz seiner "Kindlichkeit" - deswegen wird es ihm ja auch gestattet, um Hilfe zu bitten -, die jener Canisia offenbar nicht eigen war. Ich frage: Genügt da noch eine Gläubigkeit, die Gebirge versetzt?

2. Sühneleiden

Therese Neumann wird gerühmt als Opferseele für die Verstorbenen. Sie betete und litt für sie. Die schwerste Art des Sühneleidens war die Übernahme der Strafen, die die Seelen im Läuterungsort zu tragen gehabt hatten. Darüber meint Teodorowicz (1): "Das Geheimnis des Dogmas von der Gemeinschaft der Heiligen scheint hier seinen Schleier lüften zu wollen. Es nähert uns in einer sinnlich faßbaren Art, es laßt uns seinen lebendigen Pulsschlag fühlen. Überall können wir eine harmonische Verbindung der Freiheit des menschlichen Willens und der göttlichen Wirkung bewundern: Wir erleben die Umwandlung des Leidens, die Vergeistigung des Kreuzes durch die Liebe, die Liebe der Seelen und die Liebe Christi."

Ein außerordentlicher Tag der Hilfe für die Verstorbenen war für Therese Neumann vor allem Allerseelen. "An diesem Tag durften sie Resl anbetteln ... Sie durfte viele vom Fegfeuer erlösen. Sie kamen dann zu ihr, sich zu bedanken. Manche bettelten sie Jahrzehnte lang Jahr für Jahr an. Sie merkte gar keine Veränderung an ihnen. Bei anderen merkte sie, wie sie von Jahr zu Jahr Lichter und heller wurden. So betete sie für manche Seele 20 und 30 Jahre lang. Dieselben bedankten sich dann besonders herzlich, wenn sie erlöst waren" (2).

Doch die Armen Seelen durften nicht bloß zu Therese kommen und sie anbetteln. Sie selber durfte an Allerseelen im Fegfeuer weilen. Am 2. November 1928 soll sie längere Zeit am Läuterungsort verbracht haben. Das Tagebuch von Pfarrer Naber gibt hierüber Aufschluß (3): "Heute liegt Therese den ganzen Tag da in ruhigem Schmerz, sich ganz verlassen fühlend, selbst eine arme Seele. Zweimal, morgens und abends, darf sie Besuch im Fegfeuer machen. Mit unbeschreiblicher Trauer schaut sie die Seelen dort als Lichtgestalten, die noch nicht ganz rein sind. Sie sieht auch hier wieder manche Bekannte, einige gehen sie um Hilfe an."

Viele Beispiele in den Konnersreuthschriften wollen dartun, daß Therese Neumann Seelen aus dem Läuterungsort erlöst habe. Sie brauchte nur, wenn's hoch kam, etliche Stunden "Sehnsuchtsleiden" zu ertragen, und der Himmel stand offen. In der Schrift Staudingers lesen wir: "Pfarrer Naber sagte mir, wenn sie für eine Seele sühnen muß, dann kommt dieses Sehnsuchtsleiden ganz ergreifend an ihr zum Ausdruck. Sie ringt die Hände nach oben, ruft immer wieder: Hilf mir, hilf mir! Ich kann nicht mehr! Nach vielen Stunden solcher Qualen scheint sie plötzlich nach oben zu schweben, ihr schmerzdurchwühltes Antlitz nimmt freudige Züge an, die Seele, für die sie gesühnt sieht sie in den Himmel einziehen und sie selber kann nun auch ruhen." - Solch ein Sehnsuchtsleiden war demnach Gott wohlgefälliger als Gebet und Opfer!

Am 30. Dezember 1930 wurde Therese um 9 Uhr früh "von einem ungeheuerlichen Leiden, körperlichem Schmerz und seelischer Angst überfallen." Es war so arg, daß "der erhobene Ruhezustand ein Erliegen verhindern" mußte. "Um dieselbe Zeit war ihre Tante und Patin Forster, wie nachher mitgeteilt wurde, in Waldsassen gestorben" (4). Aber in diesem Falle hatte das Sühneleiden keinen Erfolg. In der Nacht nämlich nach Fronleichnam, am 5. Juni 1931, erschien der Stigmatisierten im gewöhnlichen, wachen Zustand ihre vor 5 Monaten verstorbene Patin und bat um Hilfe. "Der Heiland hat ihr die Gnade gewährt, kommen zu dürfen, da sie ganz verlassen sei. Wenigstens sie, die Therese, solle ihr Versprechen halten und ihr zu helfen suchen. Therese fiel es auf, daß die Erschienene nicht mehr dreinschaute, wie hier auf Erden, sondern recht ruhig, sanft und milde. Sie erschien ihr in noch trüber Lichtgestalt."

Daß in diesem Fall, wo es um eine Verwandte ging, die wohl in ihrem Leben keine große Sünderin war, das Sühneleiden so wenig Frucht brachte, ist undurchsichtig. Außerdem hatte Therese bisher ihr Versprechen nicht eingelöst Hilfe zu bringen.

Die Befreiung des eigenen Großvaters kündete Therese am Tag zuvor an. In der Ekstase sagte sie voraus, daß sie am nächsten Tag bis spät abends leiden werde, um die Seele ihres Großvaters zu erlösen. Er hatte sich bei ihr meiden dürfen, weil er einmal einem armen Handwerksburschen 4 Mark gegeben hatte, die Hälfte seines Barvermögens.

Die Beispiele mögen genügen. Wenn man bedenkt, wie gnädig jene exkommunizierte Schwester Canisia von Gott behandelt worden sein soll, müßte man die Strafe für kleinere Sünder als ungerecht empfinden. Daß der Herrgott in Konnersreuth gleichsam eine Auskunftsstelle über das Schicksal Verstorbener eingerichtet hat, daß Therese Neumann wirklich durch eine einmalige Art von "Leiden" ungesühnte Schuld anderer austilgen konnte, kann man das fassen?

Eine Frage sei noch aufgeworfen.- Therese Neumann hat den Berichten entsprechend unendlich viel gelitten. Sie hat eine Unzahl von Krankheiten durchgemacht, sie hat Gebrechen von Mitmenschen übernommen; sie hat für Lebende durch Leiden gesühnt; sie hat Verstorbenen Hilfe gebracht durch körperliche und seelische Schmerzen. Waren es Schmerzen? Weiß man in jedem Fall, wenn jemand Schmerzen vorgibt, wie und ob er wirklich leidet? Bei Therese Neumann waren die Krankheiten vor der Stigmatisation hysterischen Charakters. Um hysterische Erscheinungsformen handelt es sich auch bei den sogenannten Sühne- und stellvertretenden Leiden in ihrem späteren Leben.

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Letzte Änderung: 1. September 1999