Hanauer, Josef
Wunder oder Wundersucht?
Erscheinungen, Visionen, Prophezeiungen, Besessenheit
Karin Fischer Verlag, Aachen, 1991 ISBN 3-927854-70-0,234
S., DM 28,-
Der katholische Theologe Dr. Josef Hanauer, bekannt
durch fundierte kritische Veröffentlichungen über den
Teufelsbanner und Wunderheiler Johann Josef Gaßner, über
Therese Neumann von Konnersreuth sowie stigmatisierte und nichtstigmatisierte
»Seherinnen« und »Seher«, gibt in seinem neuen
Buch einen umfassenden Überblick über Erscheinungen,
Visionen, Prophezeiungen und Besessenheit. Es handelt sich um
Phänomene, die nicht nur von vielen Laien, sondern auch von
der katholischen Amtskirche größtenteils als göttliche
Offenbarungen oder Mitteilungen der Mutter Gottes aufgefaßt
werden. Hanauer hat seit Jahrzehnten gründlich recherchiert
und belegt in diesem Buch, daß es für fast alle sogenannten
Wunder natürliche Erklärungen gibt. Hierfür legt
er in 425 Anmerkungen genaue Quellenangaben vor. Vieles konnte
er außer eigenen Recherchen einem Buch des spanischen Jesuiten
Carlos Maria Staehlin entnehmen, das zunächst mit Beifall
aufgenommen, dessen Verbreitung dann jedoch vom »Heiligen
Offizium« in Rom verboten wurde. Pater Staehlin schildert
außer wunderbaren Ereignissen auch seine Untersuchungen
an freiwilligen Versuchspersonen zum Thema Sinnestäuschungen.
Der Anteil Hanauers an diesem Buch betrifft Analysen der Gruppen
von Wunderphänomenen, Grundgestalten und Typen der Wundererscheinungen,
den Marianismus, »Weinende Madonnen«, angebliche Prophezeiungen
Marias und neuere religiöse Bewegungen wie das »Engelwerk«
und die »Charismatische Bewegung«, in der weltfremde
Krankheitstheorien vertreten werden, ferner »wunderbare Phänomene«
wie das Turiner Grabtuch, aber auch widersprüchliche Angaben
und nachgewiesene Täuschungen sowie Änderungen und Fälschungen
der Berichte über diese Vorkommnisse. Hanauer bezieht auch
ganz neue Ereignisse ein wie die »Wende« in der früheren
DDR und die veränderten Zustände in der UdSSR, die von
»Gläubigen« als Erfolge des in Fatima empfohlenen
»Rosenkranzsühnekreuzzugs« gedeutet werden. Der
Autor sieht seine Verantwortung als Theologe in der Aufklärung
der Irrtümer und zum Teil bewußt falscher Darstellungen
angeblicher Wunder und Offenbarungen durch ideologische Zirkel,
die bedauerlicherweise Gehör und Unterstützung von höchsten
kirchlichen Institutionen erhalten. Hanauer hält Glaubensnot
und Glaubensschwäche für die Ursache der um sich greifenden
Wundersucht, die zum Teil der Drogensucht ähnele. Das sei
nicht die Basis für ein Leben nach christlichem Glauben.
Der Autor hat Sorge, daß sich die Einstellung der Verantwortlichen
in der Kirche nicht ändern wird, da sie sich bei ihrer Einschätzung
der Visionen und Prophezeiungen von dem Motto leiten ließen:
»Nicht die Echtheit oder Unechtheit eines Phänomens
sind interessant, wohl aber die Früchte«, womit auch
der Zustrom zu den Orten der angeblichen Marienerscheinungen gemeint
ist. Man kann dem verdienstvollen Buch, für das der Rechtsmediziner
Professor Schleyer fachkundige Hinweise und Ratschläge beigesteuert
hat, nur eine weite Verbreitung wünschen.
Irmgard Oepen
mit freundlicher Genehmigung der Autorin, Erstpublikation in Skeptiker 3/91 S. 81
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Letzte Änderung: 1. Januar 1997