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Rezensionen April 2005

CDs

Charles Lloyd: "Jumping The Creek"

ECM 1911 982 4130, Vertrieb: Lotus Records
Rec. Jänner 2004

Charles Lloyd (ts, as, taragato), Geri Allen (p), Robert Hurst (b), Eric Harland (dr)

Mit den Musikern dieses Quartetts war Altmeister Lloyd seit Jahren auf Tourneen zu hören, dies ist jedoch der erste Tonträger dieser Gruppe. Es fällt die starke Präsenz des Altsaxophons auf, eines Instrumentes, das Lloyd nach 40-jähriger Pause erst vor Kurzem "wiederentdeckt" hat. So ist sein Sound dünner geworden, aber auch generell scheinen sich die Strukturen aufzulösen. Dies ist eine der freiesten, befreitesten Platten von Lloyd bisher, das musikalische Gewebe ist lose, die Gruppe formiert sich ständig in verschiedenen Duo- und Triokombinationen um, es gibt überraschende Rhythmuswechsel und längere Phasen der Kollektivimprovisation. Alles ist im Fluss. Kaum hört man die eindringlichen, singbaren Themen, die man sonst von Lloyd gewohnt ist. Ausnahme ist lediglich die "Georgia Bright Suite" - eines der bekanntesten und ältesten Themen Lloyds entsteigt einer freien Einleitung und entfaltet sich zu großer Intensität. Ansonsten herrscht oft durchaus ruhige Gelassenheit vor, in der aber öfters vor allem Harlands energischer Spielwitz aufblitzt. Geri Allen tastet sich - ob als Begleiterin oder im Solo - immer sensibel an die Essenz des Moments heran und gebietet dabei über eine beeindruckend große Bandbreite von Spielweisen. Schließlich endet die CD mit "Song of the Inuit", das in einer geradezu halsbrecherischen Trio-Sequenz eine unglaubliche, rasante Interaktion zwischen Allen und Harland offenbart.

Neben Eigenkompositionen Lloyds wird auch Ellingtons "Come Sunday" interpretiert, und das melancholische "Ne me quite pas" des Chansonier Jacques Brel. Jazztradition, Songs und östliche Mystik verbinden sich in der Klangwelt des Charles Lloyd. Eine CD, die sich in der ganzen Tiefe erst bei wiederholtem Hören preisgibt.
(Stubenrauch)


Der Rote Bereich: "Live in Montreux"

ACT 9434-2
Rec. 9.7.2001, Montreux Jazz Festival

Frank Möbus (g), Rudi Mahall (bcl), John Schröder (dr)

Frank Möbus' Berliner Trio bietet ein nervös-feinfühliges, heftig-dichtes Rhythmusgewebe als Grundlage. Darauf aufbauend entfalten eckige Themensplitter - oft unisono von Bassklarinette und Gitarre vorgetragen, Begleitakkorde an der Gitarre - mal lieblich, mal brachial heavy-metallisch - und ein feines Pulsieren ihre Wirkung. Die einzelnen Stücke sind kompakt und kurz, man lässt sich auch durch die Liveatmosphäre nicht zu unnötiger Abschweifungen verleiten. Es gibt durchaus Momente von leichter Flockigkeit, aber die generell hohe Konzentration bei einem ebenso hohen Energielevel führt dazu, dass beim Hören keine Sekunde Langeweile aufkommt. Je sperriger die Themen, und je rockiger der Rhythmus, desto mehr ist man an den "No-Wave" der 80er-Jahre erinnert, z.B., als James Blood Ulmer auf David Murray oder George Adams traf. Dennoch ist der Angelegenheit eine gewisse Frische nicht abzusprechen.
(Stubenrauch)


Drechsler / Steger / Tanschek feat. Lorenz Raab: "The Monk in all of us"

Crack 112004003
Rec. 24.8. & 3.9.04, live im Porgy and Bess, Wien

Ulrich Drechsler (bcl, contra-bcl), Oliver Steger (b), Harald Tanschek (dr) + Lorenz Raab (tp)

Hommagen an Thelonious Monk sind ja nicht gerade selten, im Trio mit einer Bassklarinette als führender Stimme erweckt die Sache aber doch Neugierde. Auf sechs der zehn Tracks ist außerdem die klare Trompete von Lorenz Raab zu hören. Monks Musik wird respektvoll nahe am Original in beboppiger Weise - die Ballade in "angemessener" Weise recht getragen - ohne Überraschungen interpretiert. Auffällig ist zeitweise lediglich eine besonders starke groovende Grundierung durch den Bass Stegers, der dann eine lässige Funkyness generiert, die an eine Café-Drechsler-Session erinnert. Hervorstechend auch Stegers solo-Interpretation von "Ruby, My Dear". Lorenz Raab trägt mit Ideenreichtum und Tonvarianz viel dazu bei, das Interesse des Hörers wach zu halten. Insgesamt eine schöne Produktion, der etwas weniger ehrfurchtsvolle "Originaltreue" und dafür etwas mehr Mut zum Experiment durchaus gut getan hätte.
(Stubenrauch)


Buch

 

Ashley Kahn: "A Love Supreme - John Coltranes legendäres Album"

Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins
342 Seiten, geb., 85 Abbildungen, ISBN 3-8077-0030-7
Vorwort von Elvin Jones

Kahn, der schon mit "Kind of Blue - Die Entstehung eines Meisterwerkes" der Jazzliteratur eine neue Gattung gegeben hat, macht hier mit seinem Erfolgsrezept weiter. Nach Miles Davis' Klassiker ist fast zwangsläufig Coltranes hymnisch-spirituelle Offenbarung an der Reihe, in allen Aspekten bis aufs Feinste durchleuchtet zu werden. Der Leser wird durch Coltranes persönliche und musikalische Vorgeschichte bis zu dem Punkt geführt, an dem er - nach mehrtägiger Isolation in seinem Arbeitszimmer - verkündet, er habe zum ersten Mal ein gesamtes Werk auf einmal empfangen. "Es war, als stiege Moses vom Berge Sinai herab", erinnert sich Alice Coltrane, und damit ist auch schon die starke, geradezu übermächtige religiös-spirituelle Konnotation ausgedrückt, die diesem Album von Anbeginn anhaftet, und der sich auch Kahn nicht entziehen kann. In einem lebendig-schillernden Kaleidoskop wird uns dann von der Aufnahme-Session erzählt, inkl. der legendären, erst kürzlich veröffentlichten Sextett-Version vom Folgetag mit Archie Shepp und Art Davis. Es folgen die packende Schilderung der einzigen Live-Aufführung der Suite, Hintergrundinformation zum beständigen kommerziellen Erfolg der Platte, Interviews mit vielen Zeitzeugen und Mitmusikern, und Analysen des nach- und anhaltenden Einflusses dieser Platte, insbesondere auch auf die Rockmusik. Mit den sorgfältig erstellten Anhängen, den vielen Bildern, dem ansprechenden Layout, und der bei Rogner & Bernhard üblichen hochwertigen Aufmachung ist das Buch unverzichtbare Informationsquelle über einen der wesentlichsten Jazzmusiker und über eine ganze Musikepoche. Und zugleich fesselnder Lesegenuss.
(Stubenrauch)

 


DVDs

Rhapsody Films (Vetrieb: EFOR Films) bringt laufend eine lange Serie historisch wertvoller Jazz-Dokumentationen, Portraits und Konzertmitschnitte auf DVD heraus; oft werden dabei zwei Filme auf einer Scheibe gekoppelt. Das Material hat schwankende Qualität - vieles wurde den für den "Underground" typischen low-Budget Bedingungen produziert - aber der historische Wert ist durchwegs hoch. Mancher Film, in dem auch Gesprochenes wichtig ist, erfordert mangels deutscher Untertitel gute Englisch-Kenntnisse, so etwa "The Universal Mind of Bill Evans", ein Streifen, in dem der Piano-Meister ausgiebig über Kreativität und Improvisation referiert. Wir stellen hier zwei besonders interessante Arbeiten DVDs der Serie vor:

Ornette Coleman Trio
1966, von Dick Fontaine, ca. 26 min
Sound?? - feat. Roland Kirk & John Cage
1966, von Dick Fontaine, ca. 27 min

EFOR Films 2869045 (Rhapsody Films)
Double-sided PAL/NTSC (schwarz-weiß)

Diese DVD verbindet zwei Arbeiten von Dick Fontaine. Leider gibt es keine deutschen Untertitel. Die amateurhafte wirkende Ornette-Coleman-Doku in zittrigen Bildern eist in eindrucksvoller Beleg ungebremster Kreativität auf mehreren Ebenen und unter einfachsten Gegebenheiten: Coleman nahm 1966 in Paris den Soundtrack zum Avantgarde-Film "Who's crazy?" auf. Die Doku zeigt das Trio mit David Izenzon am Bass und Charles Moffett im Studio, wie sie live zu den (w)irren Bildern auf der Leinwand improvisieren. Ausschnitte aus dem Film wechseln mit Einblicken ins Geschehen im Studio. Berührend, mit welch simplen Mitteln hier bleibende Qualität produziert wurde - zumindest was die Musik betrifft, der Film "Who's is crazy?" bleibt weiter in Obskurität versunken. Kurze Statements aller Musiker runden die Sache ab, bevor das Trio zum Pariser Flughafen begleitet wird: die Trommeln am Autodach, die Formalitäten werden erledigt - und weg war Ornette Coleman.

Der zweite Teil bringt eine faszinierende Gegenüberstellung der ekstatischen Musik Roland Kirks und der Gedanken John Cages. Der Film hat ein ausgereiftes Konzept und wirkt schon wesentlich abgerundeter als die Coleman-Doku. Man sieht Kirk am Höhepunkt seiner berstenden Kreativität: in Konzertauschnitten, Pfeifchen ans Publikum austeilend; im Park, wie der Rattenfänger von Hameln voranflötend, gefolgt von einer Schar pfeifenspielender Kinder; im Zoo mit den Tieren im Käfig kommunizierend usw. Diese vor Leben vibrierenden Szenen werden abgewechselt von ruhigen Sequenzen, in denen John Cage - der Pionier der Stille - seine poetisch-philosophischen Gedanken und Fragen zum Thema Musik and Sound "vom Blatt" liest ("Is sound music? Is music music?" ...). Kirk und Cage sind nie gemeinsam im Bild, sie repräsentieren Gegenpole von musikalischen Zugangsweisen, die jedoch am Schluss konvergieren, wenn Cage - schließlich im Studio angekommen - Kommentare zur damals aktuellen Avantgarde-Geräusch-Musik gibt, und elektronisch verfremdete Töne im Mittelpunkt stehen. Kurz danach sieht man auch Kirk, wie er interessiert an Knöpfchen dreht und damit allerlei Elektronik-Sound hervorbringt. Ein einfühlsamer, anregender Film mit hohem historischen Wert, der aber auch heute noch jeden Musikinteressenten fesseln sollte.
(Stubenrauch)


"Sonny Rollins: "Live at Laren"
1973, ca. 30 min, Farbe
Ben Webster: "Big Ben in Europe"
1967, von Johan van der Keuken, ca. 30 min, S/W

EFOR Films 2869043 (Rhapsody Films)
Double-sided PAL/NTSC

Diese DVD koppelt zwei sehr unterschiedliche Filme, in deren Zentrum jeweils ein legendärer Tenor-Saxophonist steht. Leider muss man wieder ohne deutsche Untertitel auskommen.

Der erste Film hält in matter Farbe und matschigem Ton ein Konzert des Sonny Rollins Quintetts im niederländischen Laren im Jahre 1973 fest (Walter Davis Jr.: p, Yoshiaki Masuo: g, Bob Cranshaw: b; David Lee: dr). Rollins hatte bereits den Höhepunkt seiner kreativen Phase überschritten und war längst dazu übergegangen, von mittelmäßigen Begleitmusikern umgeben, seine ungebrochen brillanten Improvisationen über das gut eingeführte Repertoire zu bieten. Dementsprechend ist auch dieses Konzert zu werten. Der Film hat keinerlei Aufwertung, etwa in Form eines Interviews zu bieten.

Ein wahres Juwel bringt jedoch der zweite Teil dieser DVD: Ein einfühlsames Portrait des großen Ben Webster. In einprägsamen, ruhigen Schwarzweiß-Bildern wird er durch den Tag begleitet: Beim Üben auf seinem Zimmer (er begleitet eine Fats-Waller-Platte), beim Schwatz über die vergangene Zeiten mit Duke Ellington, beim Klavierspielen, Spaziergang durch den Zoo, und schließlich beim Üben mit seiner Band und kurzen Ausschnitten aus den Abenden der Clubzonzerte (inkl. Ein Duo mit Don Byas). Lebendige und authentische Jazzgeschichte mit einem der ganz Großen - berührend menschlich.
(Stubenrauch)


Charles Lloyd-Live Montreal

Charles Lloyd: "Live in Montreal"
Universal 0602498240113

NTSC, 125 min Konzert + 35 min Interview
Charles Lloyd (ts, fl), John Abercrombie (g), Geri Allen (p), Marc Johnson (b), Billy Hart (dr)
Rec. Live at Montreal 2001 (ca. 125 min), Interview: 1994 (ca. 35 min)

Das - vermutlich - vollständige Konzert des Charles Lloyd Quintetts aufgenommen beim Montreal Jazz Festival 2001 bringt uns diese hervorragende Produktion ins Haus. Die über zwei Stunden erfordern etwas Geduld beim Hörer/Seher, denn es braucht einige Zeit, bis es dieser Spitzentruppe gelingt, die professionelle Routine hinter sich zu lassen und zu Höherem aufzubrechen. So steigert sich die Intensität (was nicht notwendigerweise heißt: Lautstärke oder Rasanz) bis zum Ende kontinuierlich. Besonders Allen bringt mit überraschenden Einfällen immer wieder neue Impulse ein, und Hart brilliert am Schlagzeug mit gut strukturierten, gewohnt unaufdringlichen Soli.

Lloyds wirren Ansagen kann man kaum folgen, sie sind aber ein kleiner Vorgeschmack auf den "Bonus": Das amateurhaft aufgenommene Interview - eigentlich mangels Fragen eher ein Monolog - aus dem Jahre 1994. In einem streckenweise etwas konfus wirkenden Wortschwall erzählt er von seinem künstlerischen Leben, von seiner Mission: Anfangs, in den wilden 60er-Jahren dachte er noch, er könne mit Musik die Welt verändern. Er musste jedoch erkennen, dass er sich zunächst selbst verändern muss - und das tut er immer noch. In verklärt-verklärender Weise schwärmt er von den musikalischen Wurzeln, die seine Verankerung darstellten, und lässt sich dabei auf ein beeindrucken wollendes Namedropping ein: Hawkins, Monk, Dolphy, Ornette samt Quartett, Hendrix .... zu allen steht er irgendwie in Beziehung. Die eine Säule seines Wirkens ist also die Tradition, die andere die Spiritualität, vor allem diejenige östlicher Prägung. Was uns Lloyd wahrscheinlich im Prinzip sagen will, ist, dass jeder ehrlich hervorgebrachten, zumal kollektiv produzierten Musik etwas innewohnt, was unsere alltägliche Banalität übersteigt. Das haben wir schon länger vermutet. Die DVD bietet ein lebendiges Bild von Charles Lloyd, dem Musiker und Menschen.
(Stubenrauch)


Miles Davis: "miles electric - a different kind of blue"
Eagle Vision EREDV263

PAL, 123 min, deutsche Untertitel verfügbar
Miles Davis (tp), Gary Bartz (as, ss), Chick Corea (el-p), Keith Jarrett (org), Dave Holland (el-b), Jack DeJohnette (dr), Airto Moreira (perc)

So nahezu perfekt die verschiedenen musikalischen Phasen des Miles Davis bislang auf diversen CD-Box-Editionen aufbereitet wurden, so dünn gesät ist das verfügbare visuelle Material über den Meister. Diese DVD stellt darin bislang den Höhepunkt dar. Im Zentrum steht das vollständige und ununterbrochene 38-minütige Konzert von Miles' Gruppe beim letzten und größten aller klassischen Rockfestivals, dem auf der Isle of White von 1970.

Zur Vorbereitung darauf gibt es Szenen rund um das Festival (im Helikopter über die 600.000 Besucher!), ein wenig musikalische Vorgeschichte und kurze Konzertausschnitte aus früheren Zeiten, und vor allem Interviews mit "Zeitzeugen" wie Carlos Santana (seines Zeichens glühender Miles-Verehrer) und praktisch allen musikalischen Mitstreitern aus der Ära rund um die Zeit des Konzertes (Keith Jarrett, Chick Corea, Gary Bartz, Airto Moreira, Dave Holand, Jack DeJohnette ...), davor (Herbie Hancock) und danach (Dave Liebman, Pete Cosey, Marcus Miller), sowie kurze Statements von Miles selbst, aus Interviews nach seinem Comeback in 80-er Jahren. Die allgemeine Lobpreisung von Miles Davis wird - beinahe grotesk - nur vom ultrakonservativen Kritiker Stanley Crouch nicht geteilt. Er verweigert sich in amüsant-lächerlicher Weise immer noch der Realität und bleibt stur bei seinem 34 Jahre alten Fehlurteil: Miles "verkaufte" sich an die Rockwelt und "Bitches Brew" ist - nimmer noch - nicht anzuhören!

Höhepunkt der DVD ist natürlich der Konzertmitschnitt selbst, der uns in klaren Bildern und brillantem Sound in sehr direkter Weise an einem typischen Miles-Konzert der Zeit teilhaben lässt. In der kurzen Show wird wie gewohnt eine ununterbrochene Sequenz von bekannten Themen gegeben. Interaktion auf hohem Niveau, auf diffizile Weise von Davis gesteuert. Als Bonusmaterial finden sich erweiterte Interviewbeiträge sowie spontane musikalische Hommagen an Miles von einigen, die ihm musikalisch besonders nahe standen. Hancock scheint die Aufgabe fast zu groß, Airtos spontane Performance gerät zu einem lebhaften Spektakel.

Als DVD-ROM in den PC eingeschoben enthüllt die Scheibe außerdem einen umfassende, interaktive "Sessionography" der elektrischen Periode, erstellt vom geschätzten Experten Enrico Merlin. Alles in allem: unverzichtbar.
(Stubenrauch)

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