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Jazzland / Universal 060249866 1 239
Bugge Wesseltoft (p, key, Hammond B3),
Ingebrigt Flaten (b), Anders Engen (dr), Paolo Vinaccia (mixing), Jonas Lönna
(vinyl, electronic rhythm, sounds) + Joshua Redman (ts, ss); Dhafer Yousef
(voc, oud), Bvidar Johansen (bs), Øyonn Groven Myhren (voc), u.a.
Rec. Juni – Dezember 2003
Gut, lassen wir die Bemerkung, dass an diesem "New Concept of Jazz" nicht mehr
viel Neues dran ist, denn auch diese Feststellung würde nichts Neues mehr bringen. Solange Wessetofts Musik so spannend und gleichzeitig
leicht genießbar bleibt, stellt sich die Frage nach "Neuschöpfung" doch nicht,
oder? Geschmackvoll und stilsicher (egal, wo man in diese CD hineinhört, die Musik ist sofort als
"Bugge" erkennbar) geht es wieder durch verschiedene Sphären von trancigem Jazz,
stimmungsvollem Drum'n'bass und Worldmusic, gespickt mit interessanten Sample-Effekten.
Die Besetzungen variieren dabei stark, von Solo bis Septett. Nach einem lebhaften Beginn, bei dem das Tanzbein
unweigerlich zuckt, kehrt ein wenig Ruhe ein; es wird "chillig", wie man in
Fachkreisen sagt.
Die Gastmusiker sorgen für Abwechslung in der sowieso schon sehr vielfältigen Musiklandschaft, allen voran ein
jazziger Joshua Redman und ein
Dhafer Yousef mit gewohnt betörender Stimme, die eine pastoral anmutende Atmosphäre heraufbeschwört.
Demgegenüber wirken Wesseltofts Solostücke mit gespenstischem Synthihauch und
mechanischen Maschinerhythmen recht unterkühlt. Wobei in der Kälte immer etwas
Melancholie durchschimmert. Insgesamt ist diese Hörreise also ein kalt-warmes Wechselbad der Gefühle.
Wenn man dran bleibt, wird man mit einigen prickelnden Höhepunkten belohnt, deren Wirkung noch einige Zeit anhält.
(Stubenrauch)
ECM 1878/79 (2 CDs), Vertrieb: Lotus Records
Rec. Jänner 2001
Der Buddhist Lloyd
harmoniert mit dem Moslem Higgins auf dem spirituellen Weg gen Osten. Die
zweieinhalb Stunden Duos und Solos, die auf dieser Doppel-CD zu hören sind,
wurden von Dorothy Darr, Charles Lloyds Lebenspartnerin, im Wohnzimmer der
Lloyds aufgenommen und waren ursprünglich nicht für die Veröffentlichung gedacht.
Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass die Aufnahmen tontechnisch nicht so ganz
dem Standard entsprechen, insbesondere nicht dem von ECM selbst gesetzten. Umso
mehr ist ECM dafür zu danken, diese Aufnahmen zugänglich gemacht zu haben, denn
es handelt sich in mehrfacher Hinsicht um bemerkenswertes Material. Die
Tatsache, dass Billy Higgins drei Monate nach diesen Sessions verstarb,
verleiht dieser Produktion natürlich besonderes Gewicht, aber die Qualität der
Musik besteht unabhängig davon. Stilistisch, atmosphärisch und klanglich wird
eine ungeheure Vielfalt geboten, die durchdrungen ist vom Geist spontaner
Kreativität, der Freude am Zuhören und am Miteinander. Beide Musiker lassen
durch den Einsatz von Instrumenten aufhorchen, die man üblicherweise nicht mit
ihnen assoziiert. Higgins spielt neben Schlagzeug diverse arabische
Saiteninstrumente und Handtrommeln, sowie Gitarre, und er singt in mehreren
Sprachen. Lloyd spielt neben seinen Stamminstrumenten Tenorsaxophon und Flöte
viel am Altsaxophon (das er ca. 40 Jahre nicht mehr gespielt hatte!) und
überrascht mit sensiblen Piano-Solostücken von Satie-hafter Zartheit. Die
freien Duette von Saxophon und Schlagzeug sind eingebettet in die lange
Tradition, in deren Zentrum die Begegnung zwischen John Coltrane und Rashied
Ali steht. Lloyd, dem Kritiker ja immer wieder vorgeworfen
haben, eine Art Coltrane-Klon und -verwässerer zu sein, lässt am Altsaxophon
hier aber öfter an
Ornette Coleman denken, als an Trane. Die
musikalische Universalität der beiden Musiker lässt immer wieder erstaunliche, ungeahnte Facetten aufblitzen.
Wahrhaft grandiose Musiker machen grandiose Musik, weil sie tief empfunden ist,
und dabei ist er unerheblich, dass manche Ausführung auf einem
"Nebeninstrumenten" vielleicht technisch nicht ganz so perfekt gerät.
Die intime musikalische Reise geht kreuz und quer durch die verschiedensten
Kulturen: Zu hören sind brasilianische Bossa, Sufi-Meditation, Tibetische
Klänge, afrikanische Rhythmen und ... Blues! Higgins singt "Lord have
mercy" und begleitet sich dabei an der Gitarre. Angesichts des nahen
Todes, der ihm wohl bewusst war, bereitet diese Darbietung nicht nur
musikalischen Genuss; sie verweist uns eindringlich auf das transzendentale
Potenzial von Musik. In hoffnungsvoller Introspektion und mit Heiterkeit hilft Musik,
die Realität anzunehmen. Diese CD ist World-Music und Freejazz höchster Güte,
aber für den offenen Hörer hat sie mehr parat: Kraft, Trost, Befreiung.
(Stubenrauch)