Catherine Parr |
Nach der Hinrichtung der
fünften Frau Heinrichs VIII., Katharina Howard, am 13.2.1542, schien es eine
Zeitlang so, als ob der englische König nicht wieder heiraten wollte. Sein
Interesse an Frauen hatte merklich nachgelassen, da er andere schwerwiegendere
Probleme hatte. Seit ungefähr 1528 litt er an einem schmerzhaften Geschwür am
Oberschenkel, das nun beide Beine ergriffen hatte. Die Ursache war vermutlich
eine Venenentzündung, die er sich durch seine vielen Turnierunfälle zugezogen
hatte. Außerdem war er mittlerweile ein fettleibiger, durch Wassereinlagerungen
aufgeschwemmter, bewegungsunfähiger Koloß geworden, der häufig in tiefe
Depressionen fiel.
Trotzdem heiratete er am 12.7.1543 zum sechstenmal. Seine Auserwählte war die
29-jährige Witwe Catherine Parr, die Tochter von Sir Thomas Parr.
Catherines Vorfahren, die Parrs, waren ursprünglich im Norden Englands heimisch
und verließen ihre Stammsitze dort erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Sir
William Parr, Catherines Großvater, wurde zur Belohnung für seine guten
Dienste gegenüber der englischen Krone von Eduard IV. (+ 1483) mit Ländereien
in Yorkshire und Northumberland ausgestattet. Seine Frau Elizabeth FitzHugh
sorgte dafür, daß auch die Parrs in Zukunft stolz auf königliche Vorfahren, nämlich
Eduard III. (+ 1377), verweisen konnten.
Sir Thomas Parr, Catherines Vater, einer von Williams und Elizabeths Söhnen,
heiratete im Jahre 1508 die 13-jährige Maud Greene, die reiche Erbin und
einzige Tochter von Sir Thomas Greene of Boughton und Green´s Norton. Vor ihrer
und auch nach ihrer Eheschließung war Maud Hofdame bei der Königin Katharina
von Aragón gewesen, zu der sie sich bis zuletzt auch loyal verhielt. Aus ihrer
Ehe gingen drei Kinder hervor: Catherine, geboren 1514, und ihre beiden
Geschwister Anne, geboren 1515, und William (+ 1571), geboren 1516, die
vermutlich wie ihre ältere Schwester in London zur Welt kamen.
1509 wurde Catherines Vater anläßlich der Krönung Heinrichs VIII. zum Ritter
geschlagen. Bevor er jedoch groß Karriere am königlichen Hofe machen konnte,
starb er bereits am 11.11.1517. Catherines Mutter ging keine zweite Ehe ein und
lebte fortan als eine der führenden Hofdamen der englischen Königin mit ihren
Kindern direkt am königlichen Hof. Ihr Hauptaugenmerk legte sie nun in die
sorgfältige Erziehung und vorteilhafte Verheiratung ihrer Kinder. So soll
Catherine dank der Beziehungen ihrer Mutter zu Katharina von Aragón zusammen
mit Maria Tudor, der ersten Tochter des englischen Königs Heinrich VIII., unter
der Leitung von Juan Luis Vives in Latein, in Griechisch, in Französisch und
Italienisch und in den theologischen Schriften unterrichtet worden sein.
Aber Catherines Ausbildungszeit währte nicht lange, da ihre Mutter bereits im
Jahr 1523/24 plante, ihre älteste Tochter mit dem Enkel von Lord Dacre zu
verheiraten. Eigentlich hätte es bei diesem Heiratsprojekt keine
Schwierigkeiten geben dürfen, denn Lord Dacre, ein Cousin ihres verstorbenen
Mannes, hatte diese Verbindung zwischen beiden Häusern selbst vorgeschlagen.
Nur dessen Schwiegersohn, Lord Scrope von Bolton, der Vater des Bräutigams
Henry, stellte, was die Mitgift der zukünftigen Braut betraf, zu hohe
Anforderungen. Außerdem war er nicht bereit, diese hohe Mitgiftsumme zurückzuerstatten,
falls z.B. sein Sohn schon kurz nach der Eheschließung sterben sollte. In
letzterem Fall wäre es für Catherines Mutter unmöglich gewesen, noch einmal
solch eine hohe Summe für ihre älteste Tochter aufzubringen. Catherine hätte
dann ihr Leben als Nonne in einem Kloster verbringen müssen. Aber Lord Scrope
ließ sich zu keinen Kompromissen überreden, so daß Catherines Mutter zu
Beginn des Jahres 1525 die Verhandlungen abbrach. Der junge Bräutigam Henry
Scrope starb schon kurz darauf am 25.3.1525.
Ein Jahr später schließlich fand Catherines Mutter einen neuen geeigneten
Ehegatten für ihre älteste Tochter. So wurde Catherine im Alter von 12 Jahren
1526 mit dem 63-jährigen Witwer Lord Eduard Borough von Gainsborough
verheiratet, der aus seiner ersten Ehe mit einer gewissen Anne Cobham (+ 1526)
bereits drei erwachsene, verheiratete Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, besaß.
Auch Catherines Bruder William wurde in diesem Jahr im Februar vorteilhaft
verheiratet. Seine Gattin war Anne Bourchier, eine Nachkommin der Plantagenets,
einer der bedeutendsten englischen Dynastien, und die einzige Tochter und Erbin
des letzten Grafen von Essex.
Im Jahre 1529 verlor die 15-jährige Catherine am 20.5. zuerst ihre Mutter und
im September oder Oktober ihren ersten Gatten, von dem sie testamentarisch mit
Grundbesitz in Kent versehen wurde. Über ihren Aufenthalt nach dem Tode ihres
Gatten bis zum Jahre 1532 wissen wir leider nichts. Sie könnte bei Verwandten
in Northamptonshire oder bei ihrer Schwester Anne, die im Februar 1528 einen
gewissen William Herbert, der Mitglied der Leibwache Heinrichs VIII. war,
geheiratet hatte, am königlichen Schloß gelebt haben. 1533 ging sie schließlich
ihre zweite Ehe mit dem schwerreichen John Neville, Lord Latimer, ein. Für
diesen, der 23 Jahre älter als Catherine war, war es bereits die dritte Ehe.
Aus seiner ersten Ehe mit Elizabeth Musgrave (+ 1521/22) gingen keine Kinder
hervor, aus seiner zweiten mit Dorothy de Vere (+ 1527) sein Sohn John und seine
Tochter Margaret, mit der sich Catherine sehr gut verstand.
Catherine, die sich selbst 'Kateryn' schrieb, lebte nun mit ihrem
hochgebildeten, zweiten Gatten in seinem prächtigen Herrenhaus Snape Castle in
Yorkshire. 1536 wurde es in Catherines bisher ruhigem Leben jedoch sehr
turbulent, denn im Norden Englands, in dem sie lebte, war eine Rebellion
ausgebrochen, die unter dem Namen "Pilgrimage of Grace"
(Gnadenwallfahrt) in die Geschichte eingehen sollte. Die Hocharistokratie und
der Landadel empörten sich nämlich über die zunehmende Einmischung der
Zentralregierung in ihre Machtbefugnisse. Zudem waren sie gegen die seit 1534
von Thomas Cromwell, Heinrichs VIII. Lordkanzler, massiv betriebene Säkularisation
und das seit 1536 verabschiedete "Statute of Uses" (Gesetz über die
Nutznießung), mit dem die Lehnsrechte der Krone zum Nachteil des Adels
wiederhergestellt werden sollten. Catherines Ehemann John Neville war bei dieser
Rebellion als führende Persönlichkeit aktiv beteiligt. Als Sprecher des
Rebellenführers Robert Aske begab er sich im Jahre 1536 mit anderen Delegierten
sogar zum König, um Heinrich VIII. die Beschwerden und Forderungen seiner Leute
selbst vortragen zu können. Die Verhandlungen liefen positiv ab. Die Rebellen
legten die Waffen nieder und hofften, daß ihre Sorgen und Probleme im Parlament
diskutiert werden würden. Als jedoch im Januar und Februar 1537 in Doncaster
erneut Tumulte und Krawalle auftraten und die Rebellion von neuem entflammte,
beteiligte sich John Neville nicht mehr an ihr.
Die kommenden Jahre verbrachte Catherine häufig allein in ihrer Londoner
Wohnung im Charterhouse Yard, während ihr mittlerweile schwerkranker Mann im
Norden Englands blieb. Die Ehe schien nicht besonders glücklich gewesen zu
sein. Vielleicht gerieten die Gatten wegen ihrer unterschiedlichen Auffassung
bezüglich der Religion des öfteren aneinander. Catherine zeigte nämlich großes
Interesse für die Reformation, während John Neville weiterhin streng
katholisch blieb. Am 2.3.1543 erlag Catherines Gatte schließlich seinem langen
Leiden. In seinem Testament vermachte er seiner Frau die Herrenhäuser von
Nunmonkton und Hamerton.
In der Zwischenzeit hatte es wieder viel Aufregung in ihrer Familie gegeben. Ihr
Bruder William, der im Jahre 1537 an den königlichen Hof gelangt war und im März
1539 sogar zum Baron Parr von Kendal ernannt wurde, war die Ehefrau
davongelaufen. Anne Bourchier, die in ihrer Ehe mit William keinen Nachwuchs
hatte, brachte dafür mehrere Kinder in außerehelichen Beziehungen zur Welt.
1542 reichte William Parr schließlich die Scheidung ein. Am liebsten hätte er
gesehen, daß seine ehemalige Gattin wegen ihrer Ehebrüche wie die königliche
Ehefrau Katharina Howard zum Tode verurteilt worden wäre. Catherine setzte sich
jedoch für ihre Schwägerin ein.
Kurz vor dem Tod ihres zweiten Gatten hatte Catherine sich auch zum erstenmal in
ihrem Leben richtig verliebt. Und zwar in den Schwarm aller englischen Frauen,
Sir Thomas Seymour, den Bruder der dritten Gattin Heinrichs VIII., Jane Seymour,
und Onkel des Thronfolgers Eduard VI.. Im Februar 1543 war er zum erstenmal nach
zweieinhalb Jahren Aufenthalt im Ausland wieder am königlichen Hof erschienen,
da er als "Beobachter" im Krieg gegen die Türken und als Anwerber von
Söldnern für den englischen Militärdienst nach Ungarn entsandt worden war.
Die Zeitgenossen wurden nicht müde, Thomas Seymours schöne stattliche
Erscheinung, seine Charme, seine Intelligenz, seine Eleganz und seine
sportlichen Fähigkeiten zu loben. Die Frauenherzen des gesamten englischen Königreiches
lagen ihm zu Füßen. Er galt zudem als fröhlich, mutig, großherzig, impulsiv
und als sehr ehrgeizig. Für den englischen König war er einige Jahre als
Botschafter in Frankreich, in Ungarn und in den Niederlanden tätig.
Catherine wurde von ihren Zeitgenossen dagegen als nicht besonders schön, aber
anmutig, hochintelligent, scharfsinnig, äußerst redegewandt, sehr
wissensdurstig, ehrgeizig, heiter, arbeitsam, sehr zuvorkommend und liebenswürdig
beschrieben. Ihr Lieblingsautor war Plutarch. Und sie soll sehr bibelkundig
gewesen sein. Bei Bedarf konnte sie jederzeit ganze Passagen aus dem Buch Gottes
zitieren. Außerdem galt sie als Expertin in der Reitkunst und in der Jagd.
"She had her own pack of greyhounds and became a skilled shot with the
cross-bow…" (in: Martienssen, Anthony: Queen Katherine Parr. London 1973,
S.27)
Zudem war sie überdurchschnittlich groß (die größte von Heinrichs VIII.
sechs Ehefrauen) und schlank. Sie hatte kastanienbraunes Haar, ein ovales,
leicht zugespitztes Gesicht, eine hohe Stirn, eine wohlgeformte Nase, einen
kleinen Mund und haselnußbraune, etwas schief liegende Augen. Sie besaß Humor
und Witz und war bei jedem, ob beim Adel oder Dienstpersonal, sehr beliebt, da
sie für jeden die passenden Worte fand. Ihre Leidenschaften lagen beim Tanz,
bei der Musik und bei der Malerei. Außerdem besaß sie eine Kaufsucht, was
Schuhe betraf. In einem Jahr hatte sie 47 Paar bestellt, in Hochrot, Weiß, Blau
und Schwarz, die entweder mit Gold geschmückt oder mit schwarzem Samt versehen
waren. Ferner galt ihre ganze Liebe ihren Windhunden, die sie mit Milch fütterte,
ihren Papageien, die mit Hanfsamen versorgt wurden, ihren Blumen und Kräutern
und ihren zwergenhaften Spaßmachern. Ihr besonderer Liebling unter diesen war
ein weiblicher Narr mit dem Namen Jane Fool(e).
Catherines Liebe zu dem sechs Jahre älteren Thomas Seymour, dem
unwiderstehlichsten Mann im Königreich Heinrichs, fiel auf fruchtbaren Boden.
Thomas begann sich ebenfalls für sie zu interessieren. Bevor jedoch aus den
beiden ein Paar werden konnte, trat Heinrich VIII. dazwischen. Am 16.2.1543
hatte er Catherine Parr zum erstenmal nach vielen Jahren wieder gesehen und nach
dem Tod von ihrem zweiten Gatten beschlossen, sie zu ehelichen. Bereits am
12.7.1543 fand - wie schon erwähnt - die Hochzeit statt. Die Trauungszeremonie
wurde von Gardiner, dem Bischof von Winchester, in der Kammer der neuen Königin
in Hampton Court vollzogen. Heinrichs Töchter Maria und Elisabeth und Heinrichs
Nichte Margarete Douglas, die zukünftige Gräfin von Lennox, durften ebenso wie
Catherines liebste Freundin, Katherine Willoughby, die fünfte Gattin des
Herzogs von Suffolk, Charles Brandon, an diesem Fest teilnehmen. Thomas Seymour
gab in Anbetracht des Kontrahenten, der mit den Köpfen seiner Frauen,
Verwandten und Freunde wie mit Tennisbällen umging, seine Ambitionen betreffs
Catherine auf und begab sich außer Landes. Zum Dank dafür ernannte ihn
Heinrich VIII. im Jahre 1544 zum Großadmiral des Königreiches England.
Wie üblich war diese Heirat für die Familie der Braut karrieremäßig sehr von
Vorteil. So nahm ihr Bruder William, der über eine hervorragende militärische
Begabung verfügte, schon bald eine bedeutende Stellung an Heinrichs Hof ein. Er
war nacheinander zum Mitglied des Geheimen Rates, Baron, Ritter des
Hosenbandordens (April 1543), Graf von Essex (1543), Marquis von Northampton und
zum Haushofmeister ernannt worden. Auch Catherines Onkel, Sir William Parr von
Horton, ging nicht leer aus. Er erhielt das Amt des Haushofmeisters, das nach
seinem Tode erst auf seinen Neffen überging. Catherines Schwester Anne und ihre
Cousine Maud, Lady Lane, wurden ihre Kammerdienerinnen. Ihre Stieftochter
Margaret Neville ernannte sie zu einer ihrer Hofdamen. Ihr Schwager, William
Herbert, wurde zum Ritter geschlagen und zum Geheimen Kammerherrn des Königs
erhoben. Zudem erhielt er Landbesitz um die ehemalige Abtei von Witton und
andere Grundstücke in Wales übertragen. Auch einige Cousins aus dem Haus von
Throckmorton wurden mit Ämtern am Hofe versehen.
Catherine selbst erwies sich Heinrich gegenüber als vorbildliche Ehefrau. Ihr
Versprechen, daß sie ihm am Hochzeitstag gegeben hatte, hielt sie getreulich: "Ich,
Catherine, nehme dich, Heinrich, zu meinem angetrauten Ehemann... und ich will
heiter und gehorsam sein im Bett und am Tisch, und dazu gelobe ich dir
Treue." (in: Uwe Baumann, ebenda, S. 125). Sie pflegte ihren dritten
Gatten, der durch seine Krankheit mittlerweile noch launischer und
unberechenbarer geworden war, mit aller Hingabe und sorgte für ein
harmonisches, glückliches und friedliches Familienleben. Ihren Stiefkindern,
der 27-jährigen Maria, der 9-jährigen Elisabeth und dem 6-jährigen Eduard
gegenüber, war sie eine gute Mutter. Ja, der englische Thronfolger Eduard
nannte sie sogar liebevoll 'Mutter'. 1543 waren Elisabeth und Maria außerdem
durch einen Parlamentsbeschluß wieder in die Thronfolge eingereiht worden.
Selbst Maria, die selten mit den Frauen ihres Vaters zufrieden war, stand in
freundschaftlichem Verhältnis zu ihrer fast gleichaltrigen neuen Stiefmutter,
mit der sie in der Kindheit schon einige Jahre gemeinsam verbracht hatte, und
korrespondierte mit ihr häufig in lateinischer Sprache. Von Catherine wurde sie
obendrein ermutigt, die lateinische Auslegung des Johannes-Evangeliums von
Erasmus von Rotterdam in die englische Sprache zu übersetzen. Zudem besaß
Catherine einen großen Einfluß auf die Erziehung des Prinzen Eduard, der sich
über ihr Lob besonders freute, und der Prinzessin Elisabeth, die sie wie ihre
eigene Tochter behandelte und die sie an ihren Hof holte, und deren
ausgezeichneten und vielen Begabungen sie intensiv förderte. Eduard und
Elisabeth übernahmen von ihrer Stiefmutter deren Interesse für die lutherische
Bewegung. Auch die Großnichten Heinrichs VIII. bzw. Enkelinnen seiner
Lieblingsschwester Maria, Lady Jane und Lady Katharina Grey, die zeitweise in
ihrem Haushalt lebten, wurden von ihr, was ihre zukünftige Liebe zur
klassischen Literatur und zur lutherischen Lehre betraf, nachhaltig beeinflußt.
Während Heinrichs Familienleben nun in ruhigen Bahnen verlief, wurde es außenpolitisch
heiß! Von 1543-1545 befand sich England im Krieg gegen Schottland. Außerdem
hatte sich Heinrich 1543 in den erneuten Krieg zwischen Karl V. und Franz I. auf
seiten des Kaisers eingemischt. Da der englische König am französischen Krieg
selbst teilnehmen wollte, hatte er Catherine Parr während seiner Abwesenheit
von Mitte Juli bis Ende September 1544 zur Regentin ernannt. Und diese erwies
sich wie Katharina von Aragón als eine außerordentlich fähige
Stellvertreterin des Königs!
Heinrich hatte mit der Wahl seiner sechsten Gattin sehr viel Glück. Sie pflegte
ihren Mann liebevoll, der seit 1546 die Hilfe mehrerer Diener und eine Art
Fahrkorb an Seilen benötigte, um von den Empfangsräumen im Parterre zu seinem
Schlafzimmer im Obergeschoß zu gelangen. Die Zeit an seinem Krankenbett nutzte
Catherine zudem oft, um lange, theologische Streitgespräche mit ihm zu führen.
Obendrein hatte sie zwei religiöse Werke in der englischen Muttersprache verfaßt
und unter ihrem Namen in den Jahren 1545 und 1547 veröffentlichen lassen:
"Prayers or Medytacions"(Gebete oder Meditationen) und "The
Lamentacion of a synner" (Das Wehklagen eines Sünders). Aber sie wurde
auch nicht müde, hoffnungsvolle junge Gelehrte wie z.B. Nicholas Udall tatkräftig
zu unterstützen. So ließ sie dessen Übersetzung von Erasmus´ Werk "Erläuterungen
zum Evangelium" auf ihre Kosten veröffentlichen.
Da ihre Gegner aus dem konservativ-katholischen Lager von ihrer Sympathie für
die Reformierten wußten, versuchten Stephen Gardiner und der Lordkanzler Sir
Thomas Wriothesley, der als Streber ohne Gewissensbisse bekannt war und der sich
immer auf die Seite des Stärkeren stellte, Catherine als Ketzerin bei Heinrich
zu brandmarken. Anlaß gab den beiden dazu der Fall der Anne Askew.
Anne Askew, eine mutige und intelligente Frau im Alter von 25 Jahren, hatte sich
von ihrem Mann, einem Landedelmann aus Lincolnshire, getrennt und war 1544/45
nach London gekommen, wo sie verbotene protestantische Bücher verteilte. Sie
soll gute Kontakte zu wichtigen Damen bei Hofe gehabt haben. Gerüchte
behaupteten, sie hätte auch mit Catherine Parr in Verbindung gestanden. Nach
einer Verhaftung im Jahre 1545 hatte Anne Askew ihre protestantischen Überzeugungen
widerrufen, wurde jedoch schon bald erneut inhaftiert und unter der Folter nach
ihren Kontaktpersonen am Hofe gefragt. Der Lordkanzler Sir Thomas Wriothesley
und Richard Rich, der mit seinem Meineid schon im Jahre 1535 das Todesurteil
gegen Sir Thomas More erwirkt hatte, sollen sie deswegen höchstpersönlich im
Tower gefoltert haben. Vergebens, denn Anne Askew behielt die Namen für sich!
Auf einem Stuhl wurde sie wenig später, am 18.6.1546 - da sie nach den
Folterungen weder gehen noch stehen konnte - zu ihrem Prozeß in die Guildhall
getragen. Am 16.7.1546 wurde sie gemeinsam mit drei anderen ebenfalls
verurteilten Ketzern in Smithfield verbrannt.
Der König hörte sich die Verdächtigungen Gardiners und Wriothesleys gegenüber
seiner Frau an und tat dann tatsächlich so, als wäre er einverstanden, und
unterzeichnete den Haftbefehl wegen Ketzerei. Zufällig erfuhr sein Arzt Dr.
Wendy von diesem Haftbefehl und informierte umgehend Catherine, die ihren
Hofdamen sofort befahl, die verbotenen protestantischen Bücher verschwinden zu
lassen. Dann suchte sie ihren Gatten auf und erklärte ihm, daß sie die
theologischen Streitgespräche nur geführt hätte, um ihn von seinen Schmerzen
in den Beinen abzulenken und um eine Gelegenheit zu erhalten, seinen gelehrten
Erwiderungen lauschen zu können.
Als Catherine, Heinrich und ihre Hofdamen am nächsten Tag im Park von Hampton
Court spazierengingen, traf Wriothesley mit einer Eskorte und 40 Männern der königlichen
Garde ein, um die Königin zu verhaften und in den Tower bringen zu lassen.
Jedoch mit den Beschimpfungen "Lump, Bestie, Dummkopf" schickte ihn
Heinrich wieder weg. Diesmal hatten die Katholiken zu früh triumphiert!
Im Gegenteil, bald traf es ihre Häupter selbst! Im Dezember 1546 wurden der
ehrgeizige dritte Herzog von Norfolk, Thomas Howard, und dessen ältester, 29-jähriger
Sohn, Henry Howard, Graf von Surrey, die das weltliche Rückgrat der
konservativ-katholischen Partei bildeten, wegen Hochverrats verhaftet. Angeblich
hatten Thomas Howard und sein Sohn geplant, nach Heinrichs Tod Thomas Howard zum
Vormund von Prinz Eduard zu bestimmen und dann den kleinen Prinzen zu ermorden
und sich selbst zum König von England zu krönen.
Nachdem Mary, die ehemalige Schwiegertochter Heinrichs VIII., die zudem Thomas
Howards Tochter und Henrys Schwester war, gegen beide belastend ausgesagt hatte,
wurde Henry am 19.1.1547 enthauptet. Sein Vater, der am 12.1.1547 im Gegensatz
zu seinem Sohn ein Geständnis unterschrieb, sollte am 28.1.1547 das gleiche
Schicksal erleiden. Doch zufällig starb Heinrich VIII. an diesem Tag. Eduard
VI. wandelte die Todesstrafe in Gefängnisstrafe um, so daß der Herzog von
Norfolk 1553 den Tower lebend verlassen konnte. Unter Maria Tudor sollte er noch
als greiser Mann den Auftrag erhalten, einen protestantischen Aufstand
niederzuschlagen.
Auch das zweite Oberhaupt des konservativ-katholischen Lagers, Stephen Gardiner,
der Bischof von Winchester, der als arroganter und raffinierter Ränkeschmied
bekannt war, fiel bei Heinrich völlig in Ungnade, nachdem er sich geweigert
hatte, einige Ländereien mit dem König zu tauschen. Großes Vertrauen schenkte
Heinrich VIII. nun nur noch Thomas Cranmer (+ 1556), der seit 1532 dem Luthertum
wohlwollend gegenüberstand.
Mit dem englischen König selbst ging es körperlich immer mehr bergab. 1546
konnte er ohne fremde Hilfe nicht mehr gehen noch stehen. Sein Bein schmerzte höllisch,
und Fieberanfälle warfen ihn immer öfter aufs Krankenlager. Trotzdem hielt er
die Zügel der Macht noch bis zu seinem Tode fest in der Hand und blieb bei
klarem Verstand. In seinen letzten Monaten konzentrierte er sich jedoch nur auf
eine Sache - die sichere und friedliche Nachfolge seines Sohnes. 1543 wurde im
Act of Succession die Reihenfolge der Thronanwärter - erst Eduard, dann Maria
und schließlich Elisabeth - festgelegt. In seinem Testament bestätigte
Heinrich dieses Gesetz und schloß zudem, falls seine Kinder keine Erben haben
sollten, die Erben seiner 1541 verstorbenen älteren Schwester Margarete, also
die Stuart-Linie, von der Thronfolge aus. Die Nachkommen seiner Schwester Maria,
also seine Nichte Frances und deren drei Töchter Jane, Katharina und Maria und
seine Nichte Eleonore und deren Tochter Margarete, sollten dagegen erbberechtigt
sein. Und um nach seinem Tod Streitigkeiten zwischen den religiösen Parteien zu
verhindern, die nur auf Lasten der Regierungsfähigkeit des Thronfolgers gehen
konnten, wandte er sich Ende 1546 eindeutig dem reformatorischen Lager zu.
Vielleicht hatte Catherine Parr doch einen größeren Einfluß auf ihren königlichen
Gatten ausüben können, als es selbst die heutigen Historiker wahrhaben wollen.
Während ihr Mann in seinem Palast in London im Sterben lag, lebte Catherine in
Greenwich. So war sie auch nicht zugegen, als Heinrich VIII. am 28.1.1547 um
zwei Uhr morgens vermutlich an einer Lungenembolie, hervorgerufen durch eine
Venenthrombose, starb.
Catherine Parr, mit 33 Jahren zum drittenmal Witwe geworden, residierte mit
ihrer Lieblingsstieftochter Elisabeth in ihrer kurzen Witwenzeit in Chelsea, das
ihr von Heinrich neben dem Herrenhaus Hanworth und reichlichem Schmuck
testamentarisch überlassen worden war. Und es war wirklich eine kurze
Witwenzeit, denn schon bald nach Heinrichs VIII. Tod erschien Thomas Seymour
wieder in England und warb erneut um Catherine. Laut Leti, Stricklands Gewährsmann,
soll der Heiratsvertrag schon 34 Tage nach des Königs Tod abgeschlossen worden
sein. Auch die Verlobungsringe hatten die beiden Verliebten in der Zwischenzeit
bereits ausgetauscht. Und schon im Mai fand die Hochzeit statt, die jedoch erst
Ende Juni öffentlich bekanntgegeben wurde. Die Hochzeitsvorbereitungen waren in
großer Heimlichkeit geschehen. Denn Thomas´ Bruder Eduard war gegen diese
Eheschließung, die seinen jüngeren Bruder zu mächtig hätte werden lassen.
Der Konkurrenzkampf zwischen diesen beiden ehrgeizigen Seymour-Brüdern währte
schon seit Jahren und mußte früher oder später bitter enden.
Ende Juni verließen Thomas, Catherine, Elisabeth, Lady Jane Grey, die ebenfalls
ständiger Hausgast bei Catherine war, und ihre von ihrem Bruder William verstoßene
Schwägerin Anne, die bei ihr Unterschlupf gefunden hatte, Chelsea, da hier die
Pest ausgebrochen war, und begaben sich nach Hanworth. Wenige Tage später
verließen sie jedoch auch diesen Herrensitz und suchten das Sudeley Schloß in
Gloucestershire auf. Hier trennten sich jedoch bald die Wege von Elisabeth und
ihrer Stiefmutter, da die junge Prinzessin sich nach Cheshunt unter die Aufsicht
von Sir Anthony Denny begab. Es wurde erzählt, der Grund dieser Trennung hätte
in der Eifersucht Catherines gelegen, da Thomas Seymour sich in ihre
Stieftochter verliebt haben sollte und diese, wie Elisabeths derzeitige
Gouvernante, eine gewisse Mrs. Ashley, schriftlich in ihrem Tagebuch festhielt,
sogar zu küssen gewagt hätte. Da Catherine und Elisabeth jedoch weiterhin
freundschaftlich und herzlich korrespondierten, und das Verhältnis zwischen
diesen beiden immer noch sehr von ihrer gegenseitigen Liebe zueinander bestimmt
war - Elisabeth versah ihre Briefe immer noch mit dem Zusatz "Your humble
daughter Elizabeth"- , scheint dies nicht der wahre Grund gewesen zu sein.
In einer zeitgenössischen
Unterlage findet man zumindest den Hinweis, daß Thomas´ Schwägerin Anne
Stanhope, die Gattin seines Bruders Eduard, für den Auszug Elisabeths
verantwortlich gewesen sei, da sie überall verbreiten ließ, daß Catherine,
die sie nicht ausstehen konnte und auf deren höheren Rang sie sehr eifersüchtig
war, als Hüterin über Elisabeths Unschuld nicht geeignet wäre, da sie
zulassen würde, daß die junge Prinzessin (14 Jahre alt) unter anderem bis spät
in die Nacht hinein an der Themse bleiben dürfte. Auch die Auszüge aus dem
Tagebuch von Mrs. Ashley wurden völlig überinterpretiert. Im Gegenteil, sie
geben den Eindruck eines sehr harmonischen Familienlebens wieder. So erfahren
wir aus den Aufzeichnungen folgendes: "At Hanworth, for two mornings, the
Queen was with him (Thomas Seymour), and they both tickled my Lady Elizabeth in
bed. Another time at Hanworth, he romped with her in the garden, and cut her
gown, being black cloth, into hundred pieces, and when this deponent (Mrs.
Ashley herself) came up and chid Lady Elizabeth, she ensured that she could not
strive withal, for the Queen held her while the Lord Admiral cut the
dress." (in: Martienssen, Anthony: Queen Katherine Parr, ebenda, S. 235)
Am 30.8.1548 gebar Catherine schließlich im Alter von 34 Jahren im Sudeley
Schloß nach einer sehr schwierigen Geburt ihr erstes und einziges Kind. Obwohl
Thomas und sie auf einen Sohn gehofft hatten, freuten sie sich trotzdem sehr über
ihre Tochter, die sie nach Catherines ältesten Stieftochter Mary nannten. Lady
Jane Grey wurde zu ihrer Taufpatin bestimmt. Thomas Seymour schrieb seinem
Bruder Eduard kurz nach der Geburt einen Brief, in dem er voller Stolz auf die
Schönheit seiner kleinen Tochter wies. Das Glück währte jedoch nicht lange.
Drei Tage nach der Geburt wurde Catherine krank. Auch sie war, wie so viele
Frauen ihres Zeitalters, am Kindbettfieber erkrankt. Thomas Seymour konnte nur
an ihrem Bett sitzen, ihre Hand halten und auf den Tod warten, der am 5.9.,
einem Mittwoch, zwischen 2 und 3 Uhr morgens eintrat. Kurz bevor sie starb, als
das Fieberdelirium nachließ, schrieb sie ihren letzten Willen. Alles, was sie
besaß, vermachte sie ihrer großen Liebe, Thomas Seymour. In der St. Marias
Kirche, die sich in der Nähe des Sudeley Schlosses befand, wurde sie, wie es
damals Sitte war, in Abwesenheit ihres Gatten beigesetzt. Es war eine sehr
schlichte Beerdigung, so wie sie es sich gewünscht hatte. Denn ihrer Meinung
nach sollte das Geld, das man für kostbare Grabmäler und Beerdigungen ausgab,
lieber zur Erleichterung der Not der Armen verwendet werden.
Für Thomas Seymour war der Schock groß. Er wollte seinen Haushalt auflösen
und schien jede Lebensfreude verloren zu haben. Einen Monat später bat er
jedoch seine betagte Mutter, Margery Wentworth of Nettlestead, zu ihm zu kommen
und die Aufsicht über seinen Haushalt im Sudeley Schloß zu übernehmen. Ein
halbes Jahr später wurde er am 20.3.1549 wegen Hochverrates enthauptet. Er
hatte es gewagt, seinen älteren Bruder Eduard, den er über alles haßte, aus
seiner Stellung als Lordprotektor zu verdrängen, um nach seinem Neffen Eduard
VI. selbst den zweiten Platz im Staat einzunehmen. Zu dem Gerücht, daß er
obendrein geplant hätte, Elisabeth zu heiraten, lautete sein eigener Kommentar:
"…ther was no woman lyving that he went about to maryne (es gab keine
Frau, die er beabsichtigte zu heiraten)." (in: Amy Audrey Locke: The
Seymour Family - History and Romance. London 1911, S.60).
Das Schicksal seiner und Catherines Tochter ist nicht geklärt. Nach dem Tod
ihrer Mutter hatte die kleine Mary eine kurze Zeit lang bei ihrem Onkel Eduard,
dem ältesten Bruder ihres Vaters, im Somersethaus in Sion gelebt. Nach dem Tode
ihres Vaters nahm die beste Freundin ihrer Mutter, Katherine Willoughby, die
Herzogin von Suffolk, die Vollwaise bei sich auf. Da der Vater der kleinen Mary
als Hochverräter gestorben war und daher sein gesamter Besitz und sein Vermögen
konfisziert worden waren, war die kleine Mary ohne Kapital und daher nirgends,
weder bei ihrem Onkel Eduard, noch bei ihrem Onkel William oder ihrer Tante Anne
(+ 1551), Catherines jüngeren Schwester, willkommen.
Am 21.1.1550 wurde der
kleinen Mary zwar durch Parlamentsbeschluß wieder das Vermögen ihres Vaters
zugestanden, aber kurz nach dieser Zeit verlieren sich die Spuren von Catherines
Kind. Einige Historiker meinen, daß sie schon als kleines oder als 13-jähriges
Mädchen gestorben sei. Es gibt aber auch die Vermutung, daß sie einen gewissen
Sir Eduard Bushel, den Kammerdiener der Königin Anne von Dänemark, der
Ehegattin von Jakob I., geheiratet hätte. Die Bushels stellten eine sehr alte
und ehrenwerte Familie dar. Mary soll mit ihrem Gatten eine Tochter gleichen
Namens gehabt haben, die einen gewissen Silas Johnson ehelichte.
Wahrscheinlich starb die kleine Mary jedoch schon im frühen Kindesalter. Denn wäre
sie am Leben geblieben, hätten wir sie bestimmt in der Nähe von Elisabeth I.
gefunden, die sehr an Catherine Parr und deren Familie gehangen hatte. William
Parr, der von seinem Stiefneffen Eduard VI. noch das erbliche Amt des Großkämmerers
erhalten hatte, war zur Zeit Maria Tudors wegen Hochverrates angeklagt worden.
Dabei verlor er sein gesamtes Vermögen. Unter Elisabeth I. stieg er jedoch
wieder zum Marquis von Northampton auf.
copyright: Maike Vogt-Lüerssen