Die Linke & der Antisemitismus

Was hat die Wehrmachtsausstellung mit dem bevorstehenden Krieg gegen den Irak zu tun?

Lieber T.,

ich möchte Dir ein paar Gedanken nochmals näher bringen und neue Gedanken hinzufügen. Ein Mitautor des jüdischen Gedankenforums www.hagalil.com,  Gabriel Strenger, aus Jerusalem schrieb ein so genau gezeichnetes Bild von der israelischen Wirklichkeit, dass ich es Dir nicht vorenthalten kann und will. Vielleicht überdenkst Du noch mal meinen Vorwurf an die Linke, nämlich das es deutschen „Linken“ nicht ansteht, eben wegen der historischer Mitverantwortung an der Shoa, parteilich zu sein und sich gegen das Existenzrecht Israels auszusprechen; was für mich immer schon einen verbrämten Antisemitismus bedeutete.

                                                      

PLO-Plakat, aufgenommen am 14.Dezember 2001 in Jerusalem                                                                     Plakat „linker“  Solidaritätsgruppen

Dieses Essay von Gabriel Strenger ist ein wichtiger Baustein im Verständnis zu dem Themenkomplex unter dem Arbeitstitel: „Die Linke & der Antisemitismus“.

Gerade jetzt, am Vorabend eines wahrscheinlich sehr großen, wie auch heftigen Krieges und lange andauernden Krieges, der nach Einschätzung vieler Militärexperten sich ausweiten wird, sollte sich die Linke endlich einmal die Mühe machen den Nahost-Konflikt in seiner Tiefe, in seinen Ursprüngen wirklich zu begreifen. Und, damit Du verstehst, warum der Streit um die „Wehrmachtsausstellung“, just im Windschatten des bevorstehenden Irak-Krieges, mich sosehr in Bestürzung geraten ließ. Denn die beharrliche Verweigerung mit der deutschen Vergangenheit ist eine aktive Blockade für einen Frieden im Nahen Osten.

                             

                                                               Das Verbrennen einer Fahne ist immer der angedachte Genozid

Schon vor zwei Jahren appellierte ich in der linken Gazette "Linksruck" (Nr.105, März 2001), die so genannte "Linke" möge doch endlich ihre Positionierung zum Nahost-Konflikt überdenken, denn die Gründung des Staates Israel, zumindest in dieser Form, war eine direkte Folge des von den Germanen (Deutsche & Österreicher) begangenen Holocaust. Ohne dieses geschichtsmächtige Ereignis, hätte es möglicherweise gar kein Israel gegeben; jedenfalls nicht in dieser Form. Damit tragen die "Germanen" eine direkte Verantwortung, daß es den Nahost-Konflikt überhaupt gibt, wie er sich uns heute präsentiert. Die Erblast von uns Juden in der 2. und 3. Generation nach dem Holocaust, besteht nicht nur darin die weitervererbten Traumata der Shoa aufzuarbeiten, sondern auch den Nahost-Konflikt dem Frieden zuzuführen. Es ist ein Unterschied, sich zum Nahost-Konflikt eine Meinung zu bilden, diese auch kundzutun, oder parteilich zu sein. Ich empfinde es als dreist, daß die Erben der Täter, deren Erblast an Schuld noch immer nicht abgetragen ist, sich schon wieder - Deutsche! - anmaßen, Juden zu geißeln, für einen historischen Vorgang den sie selbst mitverursacht haben und bis heute keine Mitverantwortung für den Nahost-Konflikt, die Nachwirkungen des Holocausts, übernehmen wollen. Allen voran die so genannte "antifaschistische" Linke!

Es ist ein Irrtum, wenn die Medien berichten, daß die Intifada ein Aufstand ist. Die Auseinandersetzung hat bereits militärischen Charakter, ja man kann eigentlich von einem nicht erklärten Krieg sprechen. Wir alle kennen die Bilder der getöteten palästinensischen Kinder. Wir kennen aber auch die Bilder der 12, 14, 16-jährigen palästinensischen Kinder, bewaffnet nicht nur mit der Steinschleuder (die sehr wohl töten kann), mit der Kalaschnikow in der Hand, die Handgranate am Hosenbund baumelnd, die israelische Fahne verbrennend und "Tod Israel" in die Kameras von ARD, ZDF, CNN zu brüllen. Es ist perfide, diese Kinder mit der Handgranate oder mit dem Molotow-Cocktail auf israelische Soldaten zu hetzen, um sie zu töten und sie damit zu Kindersoldaten zu machen. Es ist ein gemeiner Marketingtrick, diese Kinder zum Sterben zu schicken, um den durchschnittlichen TV-Konsumenten die message, via Bildersprache, von den Kinder mordenden Juden zu vermitteln.

                                                  

                                                                                            Intifada-Kinder, aufgenommen am 13. Februar 2003

"Ich glaube nicht, daß eine palästinensische Mutter ihr Kind mit Sprengstoff vollbepackt zum Sterben irgendwohin schickt - man vergisst immer die superpatriarchale Struktur des Islam, innerhalb derer die Frauen für den inneren, den familiären Bereich zwar zuständig sind, ihnen aber hinsichtlich des öffentlichen Raumes nur wenig Einflussmöglichkeiten übriggelassen werden. Gerade in einer jahrzehntelangen Extremsituation wäre - die wenigen Ausnahmen bestätigen leider die Regel - das Veto einer einzelnen Frau für ihre direkte Umgebung ein "Verrat" nicht nur am eigenen Volk, sondern - und das ist die eigentliche Fessel! - auch einer an der "heiligen" Sache des Islam. Wie soll außerdem ein Mädchen, daß innerhalb solcher Umstände heranwächst und ihr Weltbild in Lagern, in besetzten, von kriegerischen Tätigkeiten misshandelten Gebieten "erwirbt", Frau und Mutter werden und sich so nebenbei auch noch ihren eigenen Standpunkt aneignen?! Der Knackpunkt liegt, mit Einschränkungen, in der Erziehung der Mädchen. Jedes Projekt, das hier ansetzt und in die Aneignung von zivilen Fähigkeiten durch palästinensische Mädchen "investiert", trägt mehr zum kommenden Frieden bei, als irgend ein anderes. Wieder einmal sind die Frauen aufgerufen, strukturell zu denken, und nicht simple Schuldzuweisungen vorzunehmen, bevor sie sich entscheiden, wem da wie zu helfen sei. Es sind immer die Mädchen, die vernachlässigt werden - den Jungs gebührt dann im Extremfall die Ehre der Märtyrer. Fatal? Nein - tödlich." (Isthar, www.hagalil.com) Eine brillante Analyse, der ich mir nur anschließen kann!

Kindersoldaten sonst wo auf der Welt, werden als Verletzung des Kriegsrechts geahndet. (Es würde keiner israelischen Mutter einfallen, ihr Kind vollbepackt mit Sprengstoff in eine Pizzeria zu schicken, um sich und zahlreiche andere hinterhältigst umzubringen.)

Und es ist alles schon einmal da gewesen, als sich die Germanen die Mär von den Kinder schlachtenden Juden beim Pessach-Fest erzählten, um ihre Pogrome zu legitimieren. Wie auch das Verbrennen einer Fahne immer die symbolische Vorwegnahme der Vernichtung des gegnerischen Volkes ist. Das Verbrennen einer Fahne ist immer der angedachte Genozid. Das Verbrennen einer israelischen Fahne wirkt da doppelt, da steigt in jedem Juden die Assoziation zur Shoa hoch.

          

                                   2003: Pogromstimmung in Gaza                                                   1941: Brief Himmlers an  den Palästinenser & Mufti von Jerusalem El Husseini

Sich des Antisemitismus zu bedienen, um eine durchaus gerechte Sache durchzusetzen, das macht es auch der jüdischen Friedensbewegung unmöglich, den Palästinensern in ihren durchaus berechtigten Forderungen beizustehen. Und, die Rolle der Palästinenser, während des Dritten Reichs, ihre Kollaboration mit den Nazis, als es galt gemeinsam gegen die Engländer zu Felde zu ziehen, auch ein Element der Problematik des Nahost-Konflikts, wird total unterschlagen.

Es wäre nun höchst an der Zeit, daß die "germanischen" Medien und vor allem die so genannte antifaschistische Linke, sich neu positionieren, endlich die historische Mitverantwortung übernehmen und aufhören, parteilich zu sein. Die Parteinahme für den Frieden ist allerdings legitim.

Das deutsche Problem im Nahost-Konflikt hat seine Wurzeln im Mangel an Konfrontationswillen. Es fehlen so viele Vorarbeiten zur politischen Psychologie, zur Erkundung der "Deutschen Krankheit", zur politischen Pathologie der Gesellschaft und "geschichtsmächtiger" Personen in ihr. Angstschranken, "wissenschaftliche", mentale, religiöse, parteipolitische Tabuisierungen, Berührungsängste und strikte Verwehrung, bestimmen die Lage, auch heute noch, obwohl nicht mehr ganz so verklemmt. Doch ich erinnere an die Äußerungen unseres Bundeskanzlers Schröder, der auch mal meinte, zwar im Zusammenhang mit den Entschädigungszahlungen, "es müsse endlich einmal Schluss sein", was Wasser auf die Mühlen all derjenigen war, die schon längst sich aus der bedrückenden Verantwortung davonmachen wollten.

Kann man aus der Geschichte lernen? Man könnte. Wenn man die Geschichte kennt. Was aber nach wie vor nur partiell der Fall ist. Und warum ist das so? Die Gründe sind einfach: weil Geschichte weh tut.

                                            

                            El Husseinis "Gastgeschenk" an Hitler  am 30. November 1941 : 6000 nach Auschwitz deportierte jüdische Kinder aus Palästina

- Elemente wie etwa die Kollaboration der Palästinenser und Araber mit den Nazis während des Dritten Reichs werden nach wie vor aus dem Geschichtsunterricht ausgeklammert (Siehe obenstehendes Foto: Hitler im Gespräch mit dem Großmufti von Jerusalem El Husseini ;einem Verwandten Yasser Arafats).

- Die Rolle der christlichen Kirchen, die länger als eineinhalb Jahrtausende den Antisemitismus predigten, dessen Saat von den Nazis "nur" geerntet wurde, fällt vollkommen unter den Tisch. (Ich habe mich immer gewundert, warum in Nürnberg keine christlichen Kirchenfürsten auf der Anklagebank saßen).

Welchen Beitrag die Deutschen leisten könnten, fragst Du? Es ist komisch, daß es den Deutschen nicht von selbst einfällt. Ein paar praktische Vorschläge hätte ich da schon. Alsdann da wären:

- Als erstes ein Einbekenntnis der Deutschen, eine öffentliche Mitverantwortung, für den Nahost-Konflikt.

- Eine aktive Vermittlungspolitik, Pendeldiplomatie zwischen Israel und der PLO.

- Die Einbeziehung der israelisch-palästinensischen Friedensbewegung, die ja bekanntlich 1995 miteinander verschmolzen ist, in den Dialog.

Eine aktive Friedenspolitik im Nahen-Osten wäre ein tatsächliches Abtragen der historischen Schuld und leistete mehr Versöhnungsarbeit, als sämtliche Mahn -und Gedenkmäler zusammen.

Bilder von – in dem Fall in der Tat „verhetzten“ jugendlichen Linken, gestalteten, in den letzten Wochen und Monaten, das Bild auf deutschen Straßen und Plätzen. Es sind Bilder des linken verbrämten Antisemitismus, von Jugendlichen, denen man bewusst die historische Mitverantwortung für den Nahost-Konflikt vorenthält:

                                           

                                                                                                                      www.google.de dpa, Berlin, 2001

Die Ereignisse rund um die „Wehrmachtsausstellung“, das Verhalten der so genannten „antifaschistischen & antirassistischen Linken“ in der Gestalt der PDS im Landkreis Rügen, passen da wunderbar ins Bild. Euch ist nicht aufgefallen, was da in der Broschüre an den gesamten Lehrkörper und andere Mitarbeiter in der Jugendbetreuung von Mecklenburg-Vorpommern, wie etwa das E-Werk oder der Verein „Demokratie & Toleranz“, die ja in den meisten Fällen sich aus ehrenamtlichen und idealistischen Menschen zusammensetzen, vom Privatverein „Prora03“ verschickt wurde. Oder, es ist Euch aufgefallen und ihr habt geschwiegen, dann wäre es noch schlimmer. Denn ein lautes Geschrei über soviel revisionistische Dreistigkeit im Programmheft dieses Privatvereins „Prora03“ vermisse ich. Immerhin wurde dieser Programmkatalog an sämtliche Schulen und Jugendeinrichtungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern verteilt; damit auch an alle Leiter von meist finanziell ausgehungerten Institutionen, seien es nun staatliche oder private Einrichtungen. Die Angst vor Verlust der ihnen bisher zugedachten Förderungen ließ sie schweigen.

Anders kann ich mir das nicht erklären, daß erst durch die Medien das Verhalten der PDS rundum transparent gemacht wurde.  Da sitzt ein und dieselbe Landrätin und PDS-Politikerin einmal im Vorstand des am vehementesten und am heftigsten agierenden Gegners der „Wehrmachtsausstellung“, im Privatverein „Prora03“, andererseits erklärt sie als Landrätin sie sei sehr wohl für die „Wehrmachtsausstellung“. Wie sehr sie als Landrätin dafür war, lese ich an ihrer Ablehnung letzten Jahres ab, wo sie die „Wehrmachtsausstellung“ als imageschädigend für ihre Wahl zur Landrätin empfand und um ein Jahr verschieben ließ. Noch dazu mit der, aus heutiger Sicht, wohl niemals ernsthaft gemeinten Zusatzbegründung, dass dies doch viel besser sei so, denn dann könnten sie 15.000 jugendliche Gäste im Rahmen des Jugendevents sehen….

Wo sonst noch die Frau Landrätin im Vorstand sitzt, erspare ich mir jetzt zu erläutern.

Das Ausblenden von Teilen der Wirklichkeit scheint bei der PDS zum Repertoire gehören; eine Geschmacksache die mir nicht schmeckt. Noch heftig ist mir in Erinnerung, wie ein Beigeordneter der Frau Landrätin, Herr F., vor versammelter politischer Runde im Landratsamt –„… das müssen wir noch, bevor die Touristen die Insel überfremden, durchführen…“, als politisches Statement zum Besten gab. Ich bekam ein übles Gefühl in der Magengrube; schossen bei mir jene Bilder in den Kopf, als Österreich, von Vorarlberg bis Wien, mit einem FPÖ-Wahlkampfplakat mit dem Slogan: "Stop der Überfremdung! Österreich zuerst!“ zugeklebt war. Wo blieb da Dein Aufschrei der Empörung?! Ganz ähnlich brachte auch, noch immer CDU-Mitglied, Heinrich Lummer seine rassistische Gesinnung, im Jahr 1997, zum Ausdruck: „Deutschland soll den Deutschen genommen werden. Ob man das Landnahme, Überfremdung oder Unterwanderung nennt, tut nichts zur Sache“. Ob F. da von Lummer gelernt hat?

                                                   

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Doch es passt zum derzeit vorherrschenden Zeitgeist in den teutschen Landen:

*** Stoiber faselt, ausgerechnet in Nürnberg (!), am Parteitag der CSU was vom „wehrhaften Christentum“; hat sich da der bayrische Landesfürst von den Kinderkreuzzügen des Mittelalters inspirieren lassen?

*** Schill denkt laut nach, ob man in Deutschland Nervengas, so wie bei der zweifelhaften Geiselbefreiung in Moskau eingesetzt, auch zulassen soll und fliegt eventuell auch zu Iraks Diktator Saddam Hussein, wie schon sein geistiger Wahlverwandter Jörg Haider zuvor, denn verbindet ja die Drei der Antisemitismus und hat ja Freund Saddam bereits Erfahrungen mit dem tödlichen Zeug gesammelt….

*** Angela Merkel wünscht sich einmal mehr in der Geschichte Deutschlands, dass auch die Armee zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit eingesetzt werden möge (a la SA?) und regt dafür eine Verfassungsänderung(!) an.

*** Exverteidigungsminister Rüttgers will lieber Kinder statt Inder; vielleicht gräbt er noch das Mutterverdienstkreuz erster Klasse wieder aus…

*** Ein deutscher Amtsrichter fordert die Zulassung der Folter, um verstockten Verdächtigten ein Geständnisse zu entlocken; fehlt nur noch die Drohung mit dem Verbrennen am Scheiterhaufen a la „heilige“ Inquisition.

                                       

                                                                               Österreichs Wirklichkeit 2000: KuKluxKlan Austria

Und unsere „harmlosen“ eingeborenen Neonazis? Denen geht’s prima in der Bundesrepublik; sie bekommen bereits Anti-Wehrmachtsdemonstrationen genehmigt, bevor überhaupt klar ist, ob die „Wehrmachtsausstellung“ in Peenemünde gezeigt wird oder nicht. Dürfen frisch-fröhlich durchs Brandenburger Tor marschieren und freuen sich, daß ihre Politik des „Angst & Schreckens“ bereits Wirkung zeigt.

Als mir Peter L., PDS-Mitglied sowie Mitglied des Kinder & Jugendvereins (!) „Die Nordlichter“,  ins Gesicht sagte: „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein!“, jene so weit verbreitete Losung der Rechten Szene, verschlug es mir abermals die Sprache. Peter L. wiederholt damit jenen Spruch, den schon Laurenz Meyer in der Zeitschrift „Focus“ im Zusammenhang mit der Zuwanderung und seinen Thesen von der „deutschen Leitkultur (für mich Leidkultur)“ darbot, und reiht sich damit in die Gilde der rechtskonservativen Geschichtsrevisionisten ein.

Ich neige immer mehr dazu, zu glauben, daß der Mantel des Schweigens innerhalb der PDS Tradition hat. Ich vermisse diesen so wichtigen, wie demokratischen Grundsatz der  sozialistischen Idee, ganz nach dem Motto: "Kritik und Selbstkritik", sich mit der historischen Selbstreflexion auseinanderzusetzen. Die Arbeit gegen Rassismen jeglichen Couleurs ist erste Pflicht eines jeden „Germanen“ (Deutsche wie Österreicher). Da ist das Beispiel „NVA-Museum“ mit seinen Hakenkreuzfähnchen zur Verzierung von Modellbauschiffchen wohl ein unumstrittenes Beispiel – wenn man es sehr milde ausdrücken möchte - für politische Schlamperei und eine Gefahr für die Demokratie. Dieses „NVA-Museum“ ist ein Skandal ersten Ranges; denn es stellt völlig unkommentiert die Insignien des „Dritten Reichs“, das Symbol für die Ausrottung von sechs Millionen Juden aus. Am 1.März soll im NVA-Museum der Gründung der „Nationalen Volksarmee“ gedacht werden; das KdF-Bad in Prora ist also auch Gedenkort der NVA. Wenn aber auf demselben historischen Niveau dieses Gedenken abgehalten wird, wie sich das NVA- Museum in der Öffentlichkeit präsentiert, dann begibt man sich gefährlich nahe in die Gegend der Geschichstrevisionisten.

Das „NVA-Museum“ in Prora versucht, durch das Ausblenden der unrühmlichen militärischen Geschichte des KdF-Bads in Prora, den NS-Gedanken „Kraft durch Freude“ und die NVA durch seine Kritiklosigkeit zu verherrlichen. Die dort ausgebildete kasernierte Volkspolizei innerhalb der NVA, war ein Instrument der Unterdrückung der Bevölkerung Ostdeutschlands, wie sich ja eindeutig historisch und prominent nachvollziehen lässt: die Niederschlagung des Aufstandes vom „17. Juni“, an der die kasernierte Volkspolizei erheblichen Anteil hatte. Genauso wenig historisch umfassend und  richtig, wird die Rolle der palästinensischen „Gäste“ auf Rügen im ehemaligen KdF-Bad erläutert. Das NVA-Museum ist zwar eine ansehnliche Militariasammlung; das ja. Aber den Titel Museum verdient es absolut nicht; leider dürfen sie sich so nennen, ohne die minimalsten Ansprüche international anerkannter Standards erfüllen zu müssen, die da sind: wissenschaftliche Erforschung, wissenschaftliche Analyse, historische Deutung und vor allem die Einladung zu einem öffentlichen Diskurs an die gesamte deutsche, österreichische und europäische Gesellschaft.

Die PDS mit ihrer Losung „Für Frieden und Abrüstung“ ist solange für mich unglaubwürdig, solange sie sich nicht ordentlich zum Problem Rassismus positioniert. Es geht nicht an, daß man sich von antisemitischen Ausfällen von Rechts nicht öffentlich distanziert. Ich kenne das schon aus meiner Heimat Österreich, wo ein Herr Jörg Haider, bis heute unsanktioniert, 1995 im Parlament sagen durfte: „Die Konzentrationslager waren eh nur Straflager.“ Bestraft für Was? , ist da die einzig richtige Antwort darauf. Ich vermisse in diesem Zusammenhang den empörten Aufschrei der so genannten „Linken“ quer durch Europa, einschließlich der PDS. Der Einzige der, vor allem als Mensch und weniger als Funktionär der PDS,  aus einer sehr persönlichen Betroffenheit heraus, mich bestürzt anrief und sagte: „Es tut mir entsetzlich leid für Dich. Da muss was gemacht werden“, war Manfred E., als er von dem antisemitischen Pamphlet, des Störtebeker-Netzes gegen meine Person, Kenntnis erlangte.

Mein Thematisieren des Rassismusproblems Österreichs, an Hand „Haiders Kampf“ und anderer rassistischer Ausfälle von hochrangigen Politikern der Alpenrepublik, brachte mir Stigmatisierung ein. Stigmatisiert als Verrückter, Querulant,  Linksextremer, Nestbeschmutzer (=Staatsfeind) und mir wurde gar ein Komplott zur Vernichtung des „braun-blauen“ freiheitlichen Lagers unterstellt; also die Bildung einer kriminellen Vereinigung und der Privatanwalt sowie jetzige Justizminister Österreichs, brachte eine Strafanzeige gegen mich ein.  Im Zuge der Briefbombenaffäre kam ich wohl der Wahrheit zu nahe, sodaß eine beispiellose Medienkampagne gegen mich losbrach, getragen von den konservativen Medien. Vielleicht war der Briefbombenattentäter Franz Fuchs ja wirklich ein Einzeltäter, ein wirrer Psychopath. Vielleicht ist es ein noch ungeklärtes Phänomen, eine Spezialität des Landes, daß das „Altreich-Österreich“ so furchtbare „Einzeltäter“ wie Hitler und eben auch Franz Fuchs hervorbringt. Die Österreicher hätten es ja auch liebend gerne, wenn sie ihren Landsmann Adolf Hitler zu einem Psychopathen und wirren Einzeltäter erklären könnten, wie jenen Franz Fuchs. Und, die Deutschen sind demnach so dämlich gewesen, einem österreichischen Einzeltäter „einzelgängerisch“ nachzufolgen.

                                                          

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Ich habe mir durch meine Arbeit, mit meiner historischen Auseinandersetzung, nicht nur mit der politischen, sondern auch der gesellschaftlichen rassistischen so alltäglichen Alltagskultur, sehr viele Gegner gemacht. Ich habe mich von den Ereignissen von damals bis  heute nicht vollkommen erholt, meine Karriere ging  kaputt, meine ökonomische Basis war ruiniert (ich dürfte/könnte nicht mal in einem österreichischen Supermarkt Dosen in die Regale schlichten) und ging ins Exil, in die Emigration. Ich weiß, was undemokratisch eingesetzte staatliche Gewalt bedeutet. Die FPÖ brachte ja eine Strafanzeige gegen mich ein und vertraut darauf, dass man mich hart bestrafen möge, denn der österreichische Justizminister, Dr.Böhmdorfer, ist ja zugleich der Privatanwalt von Jörg Haider. Nur ein Schelm denkt da an ein möglicherweise unfaires Verfahren der österreichischen Gerichtsbarkeit….

Mein größter politischer „Fehler“ war, daß ich im Nachrichtenmagazin „profil“, im Dezember 1995, Jörg Haiders Eltern publizistisch outete. Jörg Haiders Vater, Robert Haider, war am Juli-Putsch (Dollfuss-Putsch) 1934 beteiligt und wurde anschließend wegen Meuchelmordes und Hochverrat von den damaligen Behörden per Haftbefehl gesucht. Während der NS-Zeit war Jörg Haiders Vater Gaujugendwart von Oberdonau (Oberösterreich) und zu seinen Aufgaben gehörte es, sämtliche Jugendeinrichtungen der Alpenrepublik „judenrein“ zu machen, wie auch von sonstigem „Gesindel“ fern zu halten. Nachdem Mord auch in der Alpenrepublik niemals verjährt, wurde Haiders Vater am Landesgericht Linz neuerlich wegen Mordes angeklagt und das Verfahren sehr rasch wieder eingestellt, nachdem das Geschworenengericht zur Auffassung kam, dass Herr Robert Haider so stark vergreist ist, dass er der Verhandlung nicht mehr folgen würde können. Allerdings so ein Greis war er ein halbes Jahr dann doch nicht, um der Ehrung durch den  Bundespräsidenten Klestil, samt dem goldenen Verdienstkreuz der Republik Österreich, für seine Präsidentschaft des braun-blauen Seniorenringes, entgegen zu nehmen. Haiders Mutter, Dorothea, war Bannmädelführerin in Graz (Steiermark) und ist eine bis heute überzeugte Verfechterin der Lebensborn-Idee.

Jörg Haider war von meinem Artikel im „profil“ so sehr persönlich und tief getroffen, daß ich es wagte herzuzeigen aus welchem „Stall“ er kommt. Diese publizistische Arbeit war kein outing im Sinne der Sippenhaftung; es war eine forensische Spurensuche nach jener krankhaften und damit auch kriminellen Innerlichkeit Jörg Haiders. Ich wollte mit dieser Publikation nur verständlich machen -  psychologisch nachvollziehbar -, warum der Ministerpräsident (Landeshauptmann) von Kärnten auf den Ulrichsberg marschiert und dort vor der „älteren Generation“ sprach. 1989 sagte Jörg Haider auf dem Ulrichsberg: „die Angehörigen der Wehrmacht und der Waffen-SS waren keine Mörder, sondern Helden, denn sie haben für jene Freiheit gekämpft, in der wir heute leben dürfen“, nachlesbar in der Wiener Zeitschrift FORVM meines Freundes und Kollegen Gerhart Oberschlick. Auch dieser braune Maulfurz Haiders blieb bis heute ohne Sanktionen, wie auch sein brauner Rülpser „… die Beschäftigungspolitik im Dritten Reich war eine ordentliche…“, die ihn zwar kurzfristig das Amt des Ministerpräsidenten kostete, aber bis heute ohne strafrechtliche Konsequenz blieb. Möllemann dürfte diese Auffassungen fliegend übernommen haben und erklärte gleich pauschal, dass die Juden selber am Antisemitismus schuld sind!

Das kommt davon, wenn die Losung „Wehret den Anfängen!“ ein Lippenbekenntnis der so genannten Linken bleibt. Und es macht Angst, wenn man erlebt, wie schon wieder am Souverän vorbei regiert wird, wie die Vorgänge rund um die „Wehrmachtsausstellung“ auch klar erkennen ließen.

Genauso wie da geschwiegen wird - ja fast devot dies innerhalb der PDS hingenommen wird -, wenn die höchste Funktionärin der Insel, Frau Landrat K., einmal für die Gleichzeitigkeit des mit 15.000 jugendlichen Gästen angepeilten Jugendevents - zusammen mit der „Wehrmachtsausstellung“ - ist und andererseits genau die gleiche Landrätin in einem Privatverein „Prora03, dem heftigsten Gegner der „Wehrmachtsausstellung“ mit im Vorstand sitzt und dessen Eventprogramm akzeptiert, ja sogar verteidigt. Vielleicht kann man ja demnächst im Sommer 2003 die Frau Landrätin, gemeinsam mit den 15.000 Jugendlichen, beim feierlich-hymnischen Absingen eines Lobgesangs im ehemaligen KdF-Bad in Prora erleben, nachdem sie ja aus wahltaktischen Gründen schon einmal erfolgreich die „Wehrmachtsausstellung“ verhinderte, um Landrätin zu werden.

Ich kann nun endlich in aller Tiefe begreifen, warum sich Gregor Gysi aus allen politischen Funktionen zurückzog.

Die „Wehrmachtsausstellung“ sich „aufzuhalsen“, wie es die Stiftung „Neue Kultur“ tat, bedeutet den Mut zu haben, sich mit der neueren deutschen Zeitgeschichte auseinanderzusetzen, um aktiv an der historischen Aufarbeitung und auch an der persönlichen Vergangenheitsbewältigung teilzunehmen. Glaube mir, es macht niemandem Spaß, sich mit der Durchführung der „Wehrmachtsausstellung“ gleichzeitig sich auch all jenen Anfeindungen  freiwillig auszusetzen, diesen standzuhalten und voll im Sinne der Demokratie - „die besseren Argumente mögen gewinnen“ -, diesen Geschichtsrevisionisten eine kluge und mutige Haltung entgegen zu stellen.

Denn nicht nur auf der Seite der Opfer gibt es die weitervererbten Traumata, sondern auch bei den Enkeln der Täter. Das von der Stiftung „Neue Kultur“ bereits in Vorbereitung befindliche Begleitprogramm, war mit besonderer Rücksichtnahme auf die 15.000 Jugendlichen ausgerichtet gewesen: durch die Begegnungsmöglichkeit mit Zeitzeugen, durch multikulturelle Jugendbegegnungen, abgerundet mit einem anspruchsvolles Musik-Konzertprogramm und sollte mithelfen Rassismen jeglichen Couleurs in den Köpfen der jungen Menschen abzubauen. Neben dem materiellen Schaden der durch die Absage der „Wehrmachtsausstellung“ der Stiftung „Neue Kultur“, entstand damit auch ein immaterieller; wurde die Stiftung „Neue Kultur“  ja an der Verwirklichung ihrer Satzungen behindert und blockiert.

Es wäre vielleicht eine positive politische wie auch sehr menschliche Geste, wenn Frau Landrat sich entscheiden möge, für wen sie denn nun Politik machen will und sich entschließen könnte, sich auch für die Stiftung „Neue Kultur“ zu engagieren.

Vielleicht kannst Du nun, durch meinen Brief und den nachfolgenden Essay besser verstehen, warum es  Juden und auch Sinti & Roma so schwer fällt, in der „Linken“ eine politische Heimat zu finden.

Schönste Grüße

Klaus

Gedanken aus Jerusalem

Essay von Gabriel Strenger

Dienstagmorgen in Jerusalem. Ich verlasse mein Haus und trete in den strömenden Regen hinaus. "Ah, richtiges Schweizerwetter", sage ich mir. Nach 18 Jahren in Israel macht mir das Klima noch immer zu schaffen, und ich sehne mich nach Schweizer Wasser und Wald. Drei kleine Nachbarskinder, die vor kurzem im Haus nebenan eingezogen sind, laufen an mir vorbei. Sie sprechen reines "Züridütsch" miteinander. "Guete Morge mitenand", sage ich in meinem Baseldeutsch. Vergnügt gehe ich weiter. An diesem Tag werde ich nur noch Hebräisch sprechen. Nachts träume ich aber weiterhin vor allem auf Schweizerdeutsch.

Basel, 1979, Gymnasium am Kohlenberg. Ich komme zu spät in den Geografie-Unterricht, der uns vom Konrektor erteilt wird. Ich öffne die Tür und schleiche schuldbewusst zu meiner Bank. Der Konrektor blickt auf und sagt mit lauter Stimme: "Also, ich wär’ ja auch gern ein Jud. Sowohl am Samstag die Schule schwänzen, als auch während der Woche zu spät kommen." Ich erwidere nichts. Es hat mir die Sprache verschlagen. Kein einziger in der Klasse sagt etwas, auch meine besten Freunde nicht, die wohl ebenfalls sprachlos sind. Die meisten Lehrer des Gymnasiums waren übrigens anständig und freundlich zu mir. Doch glaube ich, dass in Folge von Erfahrungen wie dieser schon damals der Entscheid in mir zu reifen begann, nach Israel auszuwandern, "wenn ich einmal groß bin". In Israel kann ich was falsch machen und bin nicht "der Jud". Obwohl ich als Kind in der Schweiz auch viel Glück erfahren durfte, wog "die jüdische Galut", das Exil, damals schwer auf meinen Schultern, und das wollte ich meinen Kindern ersparen.

Israel ist die Lebensversicherung aller Juden auf der Welt, orthodoxer und liberaler, von Aschkenasim und Sephardim, Zionisten und Antizionisten. Nie wieder ganz von Nichtjuden abhängig sein, den Launen von Menschen ausgesetzt sein, die "ihren" Juden alles Unbequeme aufprojizieren und sie dann quälen, umbringen oder davonjagen. Inquisition, Kreuzritter, Kosaken, Nazis - und ja, auch die links-liberalen "Antizionisten". Ich weiß nicht, ob Antizionismus immer Antisemitismus ist. Aber ich weiß, dass der Antizionismus, der den Juden das Recht auf ihren eigenen Staat in Israel abstreitet, für mich eine existentielle Bedrohung darstellt, und das reicht.

In den letzten Monaten stelle ich an mir eine beunruhigende Tendenz fest. Ich kapsle mich innerlich immer mehr von der europäischen Gemeinschaft ab. Das schmerzt, denn damit werde ich mir eigentlich selber fremd. Aufgrund meiner Sozialisierung und Ausbildung in der Schweiz fühle ich mich zutiefst mit der europäischen Geschichte und Kultur verbunden. Renaissance, Aufklärung, französische Revolution; die großen Philosophen von Plato und Aristoteles, über Descartes und Kant, bis zu Nietzsche, Heidegger und Karl Jaspers; Literatur und Kunst. Die Musik des Antisemiten Wagner wird in Israel offiziell zwar gemieden, doch kann ich es mir nicht verwehren, in gewissen Gemütszuständen den "Tristan" zu hören, weil er mir manchmal einfach aus der Seele spricht. Das Judentum ohne den positiven Einfluss der westlichen Kultur wäre nicht die Religion, die wir heute kennen. Der Talmud ist Produkt des Exils, so auch die philosophischen Werke des bedeutendsten jüdischen Denkers des Mittelalters, Maimonides. Wie viele meiner Bekannten in Israel fühle ich mich grundsätzlich als Bürger Europas, Erbe der großen europäischen Kultur. Wie sehr schmerzt es deshalb, wenn Europa uns immer wieder in den Rücken fällt. Die einseitige Berichterstattung in den Medien, die Boykottaufrufe in der Wirtschaft und den Universitäten, der Hass auf Israel. Werden wir Juden wieder ins Getto zurückgetrieben? In ein Riesengetto namens Israel? Ich spüre, wie in mir paranoide Gedanken und Selbstzweifel aufkommen, wie ich es nach der Emanzipation der Juden in Europa nicht für möglich gehalten hätte.

Die "internationale Gemeinschaft", die uns dazu aufruft, uns auf ihre Garantien zu verlassen, statt uns gegen unsere arabischen Feinden zu wehren - wo war sie vor fünfzig Jahren, als Juden in den Strassen Deutschlands öffentlich verprügelt und gedemütigt wurden, als Hunderte von Synagogen verbrannt wurden, als unser Volk zuerst entrechtet und dann systematisch ausgerottet wurde? Die internationale Gemeinschaft schaute zu und tat nichts. Ich bin ein Kind der "zweiten Generation". Meine Mutter wuchs unter der Gewaltherrschaft der Nazis in Belgien auf. Sie musste als Kind zusehen, wie ihr Onkel vor ihren Augen von den Nazis in einen Lastwagen verfrachtet und verschleppt wurde. Ein anderer Onkel konnte sich bis in die Schweiz durchschlagen und wurde von der Schweizer Grenzpolizei, die sich nicht um sein Flehen und Bitten scherte, den Deutschen ausgeliefert und von ihnen ermordet. Mein Großvater wurde von den Nazis verschleppt, die Eltern und meisten Geschwister meiner Grosseltern wurden ermordet. Wo war das Rote Kreuz, wo waren die linken Schöngeister, wo war der Papst, wo waren die "Internationalen"? Und das ist nicht mittelalterliche Geschichte. Die Männer und Frauen mit den Nummern auf dem Arm treffe ich noch heute tagtäglich im Supermarkt, am Strand an. Der Gasgeruch der Konzentrationslager ist in Israel noch sehr gut zu riechen, vor allem, wenn er sich mit dem Plastikgeruch der Gasmasken vermischt, die wir für den Fall eines Chemieangriffs des Irak bereithalten. Was wohl meine Grosseltern fühlen würden, wenn sie wüssten, dass meine Kinder in der Schule die Unterschiede zwischen den Symptomen eines Nervengas- und eines Senfgasangriffs lernen müssen?

Die Kombination von Alltag und Terror hat etwas Verrücktes, Unverdaubares. Ein Klient sitzt in meiner psychologischen Praxis in Jerusalem und spricht von seinen Träumen, von seinem Wunsch zu lieben, zu heiraten. Plötzlich ein Riesenknall draußen. Wir schauen einander verstört an. "Sicher ein Kampfflugzeug, das die Schallmauer durchbrochen hat", murmelt er - und redet weiter von seinen persönlichen Angelegenheiten. Danach stellt sich heraus, dass der Knall ein Terroranschlag in der Nähe meiner Praxis war. Tote und Verletzte, Männer, Frauen und Kinder wurden weggeräumt, als wir von Träumen, Liebe und Heirat sprachen.

Bekannte von uns im Jerusalemer Stadtteil Gilo, das von Arabern monatelang beschossen wurde, erzählten mir vom folgenden Gespräch zwischen ihrer kleinen Tochter und einer Freundin, die bei ihr zu Gast war: "Was ist das für ein Geräusch?", fragt die eine. "Das sind Schüsse", sagt die andere. "Ah so", erwidert die erste, "ich hatte schon Angst, das sei ein Frosch …"

Vor ein paar Monaten musste ich auf dem Heimweg einen Besuch im Trauerhaus einer guten Bekannten von uns machen, die auch die Ärztin meiner Frau ist. Ein palästinensischer Terrorist war in ein Internat eingedrungen und hatte ihren Sohn, der in seinem Bett schlief, kaltblütig umgebracht. Ich kniete mich neben der trauernden Mutter hin und halte ihre Hände. Mir fällt der Blickkontakt schwer. Sie hatte bei der Geburt unseres jüngsten Sohns großartige Arbeit geleistet. Ihr Sohn ist jetzt tot. Was soll ich ihr sagen? Sie lächelt schwach und erinnert mich daran, dass wir bei unserem letzten Treffen an einer Party zusammen sangen und ich Gitarre spielte. "Wir sollten noch viel miteinander singen", sage ich, dankbar dafür, dass sie mir hilft, Worte des Trostes für sie zu finden. Auf dem Heimweg frage ich mich, wie ich das Geschehene jetzt den Kindern zu Hause erklären soll. Ich kann es mir ja selbst nicht erklären.

Ende März möchte ich mir einen Traum erfüllen. Nach Jahren der Stimmausbildung singe ich die Tenorrolle in einer Opernaufführung, in Gilbert und Sullivans Meisterwerk "The Mikado". Die Proben sind in vollem Gange. Doch ich mache mir Sorgen, sage dem Dirigenten: "Was, wenn der Krieg vor März ausbricht und Irak Israel angreift? Dann bin ich im Militärdienst, und die ganze Anstrengung war umsonst." Ja, das wäre ein schöner Mist.

Die arabischen Staaten griffen Israel 1948 an, bevor Israel irgendwelche Gebiete besetzt hatte. Sie wollten den jüdischen Staat vernichten und die Juden ins Meer werfen. Ausnahmsweise aber kam es nicht zum Genozid an den Juden. Wie sagte doch Ephraim Kishon: "Pardon, wir haben gewonnen." Ob das damals in der fernen Schweiz auch meinem lieben Konrektor im Gymnasium die gute Laune verdorben hat …?

Ich bin kein Historiker und kein Experte für internationales Recht. Aber meine ungeschulte ethische Intuition sagt mir: Wenn die Araber versuchen, uns zu vernichten und in dem von ihnen entfachten Krieg Territorium an uns verloren haben, dann haben sie ihr moralisches Anrecht auf diese Gebiete verloren. Nachdem die Syrier von den Golanhöhen aus israelische Ortschaften grundlos und ohne israelische Provokation jahrelang beschossen haben, sollen sie doch jetzt nicht jammern, die Golanhöhen seien ihnen widerrechtlich gestohlen worden.

Und trotzdem bin ich persönlich, aus pragmatischen Gründen, zu einem territorialen Kompromiss bereit. Ich war ein enthusiastischer Unterstützer des Oslo-Abkommens. Während der Staat Israel dem wichtigsten Teil seiner Verpflichtungen nachkam und einen Teil der Gebiete räumte, stoppten die Palästinenser den Terror keinen Tag lang. Entgegen ihrer Verpflichtung, ein friedliches Klima zu schaffen, erziehen sie ihre Kinder in den Schulen weiterhin dazu, Juden zu hassen und umzubringen. In den Kindergärten werden unter Gejohle israelische Busse aus Pappkarton verbrannt. Unter diesen Umständen kann Israel keine weiteren Kompromisse eingehen. Die Forderung "Frieden jetzt" ist meines Erachtens blinder Fundamentalismus, eine Art Messianismus, der die Erlösung selbst unter unmöglichen Umständen erzwingen will. Eines der bewundernswerten Merkmale der jüdischen Religion ist der Glaube an den zukünftigen Messias. "Obwohl er zögert, warte ich täglich auf ihn", sagen wir in unseren Gebeten. Laut meinem Verständnis soll uns dieser Glaube zur rationalen, wirklichkeitsbezogenen Tätigkeit anspornen. Die göttliche, übernatürliche Erlösung kann und darf nicht forciert werden, trotz unserer Sehnsucht nach Frieden.

"Palästinenser sind Tiere", soll gemäß des "Weltwoche"-Artikels (Ausgabe 03/03) von Margrit Sprecher ein israelischer Soldat an einem Checkpoint gesagt haben. Frau Sprecher, da haben Sie wirklich einen der wenigen Idioten unter den israelischen Soldaten gesucht und gefunden. Palästinenser sind keine Tiere. Tiere bringen nicht wahllos Frauen und Kinder um. Das tun nur Menschen, fanatisierte Menschen, die von ihrer eigenen korrupten Führerschaft ausgenutzt, irregeführt und manipuliert werden, die äußere Feindbilder bilden, um von ihren inneren Problemen abzulenken. Aber auch wir Juden sind keine Tiere, wir lassen uns nicht mehr widerspruchslos zur Schlachtbank führen. Das haben wir unter anderem unserer Emanzipation in Europa zu verdanken. Sie aber prangern die Israeli an, weil sie die Palästinenser an den Checkpoints stundenlang im Regen stehen lassen. Ja warum, zum Teufel, fällt uns Israeli nur ein, diese dummen Checkpoints aufzustellen, haben wir denn nichts Besseres zu tun? Sie hingegen, Frau Sprecher, hätten den Palästinensern wohl ein Schild hingestellt: "Checkpoint wegen Regen geschlossen" und auf die freundliche Kooperation der Terroristen gezählt. Dann könnte ich ja ganz beruhigt sein, wenn bei diesem wunderbaren Schweizer Regenwetter meine Frau mit einer Freundin ins Café geht, meine Kinder mit dem Bus zu einem Geburtstagsfest fahren. Wenn sie dann von einem palästinensischen Sprengkörper in Fetzen gerissen werden. Zum Glück haben wir in Israel so wenig Regen.

Für die verzweifelten Versuche Israels, das nächste palästinensische Attentat so human wie möglich zu verhindern, haben Margrit Sprecher und die "Weltwoche" kein Verständnis. Nein, wir Israeli sind keine Mörder und Folterer. Lassen Sie sich nicht solchen Unsinn einreden. Ich weiß, wie es jeder Israeli in seinem Herzen weiß: Wir haben noch nie einen Krieg geführt, um neues Territorium zu erobern, wir wollen die Araber nicht vernichten, ins Meer werfen. Wir möchten lieben und heiraten, unsere Kinder verwöhnen und in die Oper gehen. Wir sind keine Barbaren, sondern befinden uns in einer unmöglichen Situation, die in der relativ heilen Schweiz vielleicht schwer nachzuvollziehen ist. Wir kämpfen um unser Leben.

Hier möchte ich unseren lieben nicht jüdischen Freunden ein Geheimnis bekannt geben, mit dessen Hilfe man Israel sehr leicht zum Einlenken bringen könnte: Tief in seinem Herzen will ein Jude nichts mehr, als endlich einmal von den Nichtjuden geliebt zu werden. Das ist unsere große Schwäche. Die kommt wahrscheinlich davon, dass es gar keinen Spaß macht, der Welt 2000 Jahre lang als Prügelknabe zu dienen und ständig gedemütigt und verachtet zu werden. Daher geben wir für ein bisschen Liebe unser letztes Hemd weg. Nehmen wir Anwar Sadat als Beispiel. Sadat war ein großer Antisemit. Ich erinnere mich noch gut an seinen offenen Brief an Hitler in der ägyptischen "Al-Haram"-Zeitung, als in den sechziger Jahren das Gerücht aufkam, Hitler sei noch am Leben. Sadat sicherte dem Mörder von sechs Millionen Juden seine Bewunderung und Unterstützung zu. Doch als Sadat nach Jerusalem kam und uns umarmte, bekam er von uns alles, was er wollte: den Sinai bis zum letzten Zentimeter. Sollten die Araber eines Tages wirklich bereit sein, unseren Miniaturstaat gnädigst existieren zu lassen und uns ein bisschen gern zu haben, werden sie von uns den Grossteil der Gebiete und unsere Liebe und Hochachtung bekommen.

Wir geben die Hoffnung nicht auf. Wie sagte einst Ephraim Kishon: "Ich bin ein rationaler Mensch, ich glaube an Wunder." Kishon, der ja selbst ein Wunder ist. Überlebender der Schoah, mittelloser Einwanderer nach Israel und danach Humorist und meistgelesener Schriftsteller in Deutschland. Wir Juden glauben ja an den Messias. Daher würden wir ihn auch ganz sicher nicht umbringen. Wir warten immer noch auf ihn. "Wenn der Ewige zurückführt die Weggeführten Zions, waren wir gleich Träumenden" (Psalm 126). Dank der Fähigkeit zu träumen hat das jüdische Volk die schlimmsten Strapazen überlebt. Israel lebt, als einzige Demokratie im Nahen Osten. Unter anderem kann bei uns jeder Moslem frei seine Meinungen äußern, die ihn in jedem arabischen Land sofort ins Gefängnis bringen würden. Israel ist und bleibt ein Wunder. Und wir werden nicht aufhören, dieses Wunder zu beschützen.

Entnommen: http://www.tachles.ch/artikel.php?id_art=577

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