Die stigmatisierte Seherin Anna Katharina Emmerick

I. Lebensüberblick

Anna Katharina Emmerick wurde am 18. September 1774 in Flamschen bei Coesfeld geboren. Damals gab es noch keinen geregelten Schulunterricht. Für die Landbevölkerung erteilten während der Wintermonate Tageslöhner gegen ein geringes Entgelt Unterweisung im Lesen; Schreiben und Rechnen wurde kaum erlernt. Anna Katharina besuchte die „Bauernschaftsschule“ in Flamschen, und zwar, wie sie selbst berichtet, nur vier Monate lang. Ihr „Magister“, ein alter Bauer, soll in der damaligen Zeit „oft“ gesagt haben, „er könne ihr keine Frage tun, die sie ihm nicht beantworte“. „Gar bald“ habe der „Schulmeister“ festgestellt, „sie sei fertig, er habe sie nichts mehr zu lehren, was sie nicht wisse“2. Diese Äußerung offenbart, wie wenig umfangreich das Wissen des Lehrers gewesen sein muß; mehr als Lesen wird seine Schülerin nicht gelernt haben.

Ebensowenig tiefgründig war der Religionsunterricht, den Anna Katharina genoß. Im siebten Lebensjahr legte sie die erste Beichte ab. Aus Reue über ihre vermeintlichen schweren Verfehlungen brach sie im Beichtstuhl „in lautes Weinen aus und mußte als ohnmächtig aus dem Beichtstuhl getragen werden“3. Die Erstkommunionfeier machte sie nach damaliger Gepflogenheit im Alter von zwölf Jahren mit; gefirmt wurde sie erst, als sie bereits achtzehn Jahre alt war4.

Ihre Eltern waren Pachtleute und lebten in der Nähe ihres Vetters, des begüterten Bauern Gerhard Emmerick, dem sie zu regelmäßigen Dienstleistungen verpflichtet waren. Im Alter von zwölf Jahren kam Anna Katharina zu diesem Vetter, wo sie in der Landwirtschaft mitarbeitete.

Von 1789 bis 1794 erlernte sie bei Elisabeth Krabbe das Nähen. Auch in dieser Zeit half sie sowohl in ihrem Elternhaus wie auch bei Verwandten bei der Erntearbeit mit. Anschließend kam sie zur weiteren Ausbildung als Näherin nach Coesfeld. In den Jahren 1794 bis 1799 arbeitete sie als selbständige Näherin zu Hause und auch als Wandernäherin. Von 1799 bis 1802 wohnte sie bei dem Organisten Söntgen in Coesfeld, wo sie das Orgelspiel erlernen sollte, aber hierzu fehlte ihr das nötige Geschick.

Im Jahr 1802 fand sie, nach mehreren vergeblichen Versuchen in anderen Klöstern, Aufnahme im Augustinerinnenkloster Agnetenberg zu Dülmen. Vorher hatte sie kurze Zeit bei den Trappistinnen in Darfeld als Postulatin verbracht; „jedoch wurde sie von der Oberin bald wieder heimgeschickt, weil diese in den außerordentlichen Seelenzuständen Anna Katharinas eine Gefahr für die Gemeinschaft sah“5. Bald nach ihrem Eintritt ins Kloster zu Dülmen begann ihre Kränklichkeit, die sie zeitlebens nicht mehr verließ.

Nach zehnjährigem Aufenthalt mußte sie das Kloster wieder verlassen; denn Napoleon hatte am 14. November 1811 die Aufhebung aller geistlichen Korporationen verfügt. Im April 1812 bezog sie gemeinsam mit dem leidenden, greisen französischen Emigranten Abbé Lambert eine kleine Wohnung im Hause der Witwe Roters in Dülmen. Gleichzeitig fand ihre Schwester Gertud in dem Haus Aufnahme. Diese blieb bis ins Jahr 1821.

Im Jahr 1812 empfing Anna Katharina in größeren Zeitabständen die sichtbaren Wundmale, die sich bereits seit einer Reihe von Jahren durch die Schmerzen „unsichtbarer Wunden“ angekündigt hatten. Vom September 1818 weilte Clemens Brentano oftmals in Dülmen, wo er in vielen Gesprächen die Visionen der Stigmatisierten aufzeichnete. Am 9. Februar 1824 verstarb sie6. Ihre Umgebung hatte bereits in früheren Jahren mit ihrem Ableben gerechnet; Anna Katharina behauptete 1814, „daß ihr innerer Zustand auf ein nicht sehr weit entferntes Ende hindeute“7. Ihre Befürchtung erwies sich jedoch damals als falsch.


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Letzte Änderung: 21. Januar 1998