Die stigmatisierte Seherin Anna Katharina Emmerick

V. Sühneleiden

Eine andere Form von freiwillig übernommenen Opfern waren für Katharina Emmerick ihre „Sühneleiden“. Diese bewegten sich in zwei Richtungen; sie galten Menschen, denen sie ihre Fehler und Leidenschaften überwinden half; besonders oft wendete die Leidende ihre Hilfe sterbenden Menschen zu.

Eine „schreckliche Leidenszeit“ waren für sie fast alljährlich die Fastnachtstage. „Sie lag dann in steten Peinigungen wegen der in diesen Tagen geschehenen Sünden, namentlich auf dem Tanzböden. ... Sie sah überall den Teufel dazwischen, und zugleich offenbarte sich ihr der Heiland in seinem Leiden, wie jene Unsinnigen seinen Leib ganz blutig zergeißelten und ihn schmachvoll mit Anspeien beschimpften“. An einem Aschermittwoch erschien Anna Katharina „ganz zerschlagen und zermartert; sie krümmte sich zusammen und zitterte schmerzlich an den Füßen“. Sie erläuterte ihr Leiden: „Ich habe heute Nacht alle Schmerzen und Martern gehabt, deren ein menschlicher Körper fähig ist, zuletzt noch ein verzweifeltes Ohrenweh. Ich sah und sehe die Tanzenden an diesem Bußtage“. Einmal büßte sie sieben Tage hindurch „Zungensünden“; diese Sühne geschah durch „brennende Gesichtsschmerzen und durch Anschwellung der Lippen, bedeckt mit weißen Blattern, wobei sie nicht reden noch trinken konnte. Dabei mußte sie auf Anweisung ihres Engels während der Nacht mehrere Litaneien und hundert Vaterunser beten“ 132. Ähnlich wie Katharina Emmerick hatte auch Therese Neumann gerade an den Fastnachtstagen große Schmerzen zu ertragen. Sie büßte Unmäßigkeitssünden sogar durch Erbrechen von Schnaps 133.

Einmal betete Anna Katharina für einen ihr offenbar bekannten Mann, der „lange nicht mehr Ostern gehalten hatte“; sie „flehte den Kampf gegen seine Hauptleidenschaft auf sich herab“. Daraufhin hatte sie „eine Zeitlang gegen so heftige Anfälle von Zorn zu kämpfen, daß ihr Angesicht davon entstellt war“. Den Mann aber „überfiel innerliche Angst“, so daß er sich alsbald zu P. Limberg begab und eine reumütige Beichte ablegte 134. Dieses Beispiel hat Therese Neumann auf Grund ihrer Lektüre ganz genau nachgeahmt; am 2. Juli 1929 will sie eine Seele erlöst haben, die wegen Ungeduld im Fegfeuer zu büßen hatte. Das „Sühneleiden“ bestand in Äußerungen von Ungeduld. „Nichts war ihr recht, sie sträubte sich; und immer wieder betete sie laut, schrie sogar“, bis das Leiden in Sehnsucht nach dem Heiland überging 135.

P. Wegener schildert ein einzelnes Leiden, welches Katharina Emmerick „für kranke Zustände am Leibe der Kirche und zugleich für eine Anzahl von Kranken und Sterbenden, welche Gott ihr nah und fern über die ganze Erde hin gezeigt hatte“, erduldete. „Sie kam in einen schrecklichen Zustand. Es wurden ihr um Arme und Beine Stricke gelegt, wodurch jene so auseinandergerissen wurden, als wenn alle Sehnen und Nerven zerreißen müßten. Der Hals wurde gewürgt und das Brustbein stieg in die Höhe, die Zunge zog sich starr in den Mund zurück. Sie war wie im Sterben, sah aber zu ihrer Stärkung, daß vielen geholfen wurde. Es wiederholte sich nochmals dieses Leiden, als werde sie völlig gekreuzigt. Der Beichtvater wurde bei diesem Anblick sehr bewegt und erbot sich, die schreckliche Lage durch den Namen Jesu aufzuheben. Sie aber wollte sie durchleiden, da sie dieselben im Namen Jesu übernommen habe. Am folgenden Tag wurden die Schmerzen so übergroß, daß jener ihr geweihtes Öl eingab und, über sie betend, dem Übel im Namen Jesu zu weichen befahl. In demselben Augenblick war sie vollkommen geheilt. Bei diesen Leidensarbeiten bereitete ihr Gott, wie bei anderen, auch wieder in vielen Fällen die Genugtuung, die Wirkung an den Sterbenden zu sehen. Sie sah einmal eine solche an zwanzig Sterbenden zugleich. Sie litt ein anderes Mal die Leiden der Kreuzigung für fünfzig Sterbende, meist junge Leute und Priester“ 136. — Der Anfall, den Anna Katharina durchmachte, weist deutlich hysteroide Züge auf.

In den letzten Lebensjahren häuften sich die gewohnten Leiden. „Sie fiel nun noch häufiger und plötzlicher als bisher in todbringende Krankheiten, in die Lage von Sterbenden, wobei sie mit den unsinnigsten Versuchungen, z.B. gegen Weltliebe, gegen Eßlust, gegen Habsucht usw. zu kämpfen hatte, so daß selbst ihr Beichtvater verwundert über solches ausrief: 'Was ist das mit dir?' Es waren aber die Zustände und sündhaften Neigungen der Sterbenden, an deren Stelle sie litt und deren schweren Streit sie ausfocht, damit sie zu einem christlichen Tod gelangten. Es überfiel sie Gicht, Wunden und Gliedschmerzen, Wassersucht, Milz-, Lungen-, Nieren-, Leberkrankheiten, ferner Ungeduld, Ermattung bis zum Tode. Sie wußte sich oft nicht zu helfen gegen die vielen Angst- und Schreckbilder. Am schwersten und beschämendsten für sie war die Buße für Sterbende, welche während ihres Lebens der Eßlust, Trunksucht, sowie der Unkeuschheit ergeben gewesen waren 137.

Die äußeren Erscheinungsformen der geschilderten „Leiden“ zeigen deutlich, daß es sich um Krankheiten einer psychisch gestörten Person handelte. In ähnlichen „Leiden“ hat später Therese Neumann von Konnersreuth ihr Vorbild nachgeahmt. Dabei können bei beiden Symptome einer krankhaften Wesensveränderung nicht übersehen werden.


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Letzte Änderung: 26. Januar 1998