Buchbesprechung: Muttergotteserscheinungen

besprochen von Irmgard Oepen

Der katholische Theologe und promovierte Kirchenhistoriker Josef Hanauer hat sich seit Jahrzehnten mit einer dunklen Seite der katholischen Amtskirche befaßt: Mit der unkritischen Einschätzung angeblicher Wunder, zu denen auch die behaupteten MuttergottesErscheinungen gehören. Zur Begründung dieser Haltung erklärt Kardinal Ratzinger, Präfekt der Glaubenskongregation und somit Repräsentant der katholischen Kirche, daß es "allein auf die Früchte" ankomme (S. 62). Wie diese Früchte aussehen, schildert der Autor am Beispiel von Marienerscheinungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Von den zehn besprochenen Fällen sind sieben allgemeinkirchlich, also nicht nur auf diözesaner Ebene, anerkannt worden. Hanauer kommt zu dem Schluß, daß die Kirche nach dem Prinzip "Der Zweck heiligt die Mittel" vorgegangen sei.

Denn keine der Erscheinungen erfülle die Kriterien, die von der Kirche offiziell zur Anerkennung als übernatürliches Geschehen gefordert werden. Dabei garantiere die Kirche nicht die Echtheit, sondern beschränke sich darauf, "den rein menschlichen Glauben, wie man ihn irgendeinem anderen Ereignis der profanen Geschichte entgegenbringt, solange nicht zu verbieten, als Gründe zum Für-. Wahr-Halten vorhanden sind. Sie macht darauf aufmerksam, daß ein solcher Glaube sich einzig -und allein auf das Ansehen stützen kann, das man der Persönlichkeit einräumt, die sich selbst als Seherin uns vorstellt" (S. 196). Diese Formulierung hat Hanauer dem Buch "Aparaciones (Erscheinungen) Ensayo critico" des Jesuiten Carlos Staehlin entnommen, das 1975, 21 Jahre nach seiner Veröffentlichung, neu aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt werden sollte. Diese Pläne wurden jedoch vom "Heiligen Offizium" durchkreuzt und das Buch wurde aus dem Handel genommen, ohne daß Gründe hierfür angegeben wurden. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, die Hanauer dokumentiert hat, in denen die Amtskirche die Chance einer Klarstellung vereitelt und Pseudomystikern das Feld überlassen hat. Es war sogar so, daß diejenigen, die Zweifel an Wunderorten vorzubringen wagten, mit Verdächtigungen und Verleumdungen überschüttet wurden (S. 195). Dies ist auch dem Autor widerfahren, weil er bereits mehrere Bücher zur Aufklärung veröffentlicht hat (s. Skeptiker 4/90, S. 26, 3/91, S. 81 und 1/95, S. 34).

Die angeblichen Muttergottes-Erscheinungen haben einiges gemeinsam:

1. Sie werden meistens von Kindern oder Jugendlichen erlebt und berichtet, die aus einfachen, zum Teil sozial dürftigen Verhältnissen kommen. Sie finden oft Nachahmer ("Nebenseher"), die Aufsehen erregen und Verwirrung stiften (S. 28).

2. Zusätzlich zu den Erscheinungen werden in einigen Fällen "Sonnenwunder" beschrieben, bei denen sich die Sonne wie ein Rad gedreht haben soll, oder bei denen andere Lichtphänomene am Himmel beobachtet worden seien (S. 117). Diese Ereignisse wurden jedoch nicht von allen Anwesenden wahrgenommen und auch nicht einheitlich beschrieben (S. 123). Daß die Phänomene als Reizzustand der Netzhaut des Auges erklärbar sind, wird auf S. 129 erläutert.

3. Die angeblichen Erscheinungen werden angekündigt, so daß sich viele Gläubige erwartungsvoll versammeln, zum Teil 50 000 bis 70 000 Personen (S. 68 und 116).

4. Schon nach kurzer Zeit wird über unerwartete Heilungen von Kranken berichtet, die jedoch in der Regel mangelhaft dokumentiert sind, und bei denen spontan e Heilungen nicht ausgeschlossen werden können. Daher sei "weitgehende Skepsis ... angebracht und begründet" (S. 33, Zitat des Rechtsmediziners Franz Schleyer in bezug auf Heilungen in Lourdes).

5. Die Seher erklären, daß ihnen die Mutter Gottes "Geheimnisse" anvertraut habe. Diese erweisen sich jedoch im günstigen Teil als bemerkenswert banal: Zum Beispiel solle eine Kapelle gebaut sowie alle Tage der Rosenkranz für den Frieden in der Welt gebetet werden; ferner fordere Jesus die Verehrung des Unbefleckten Herzens seiner Mutter. Im ungünstigen Teil der "Geheimnisse" handelt es sich um Drohbotschaften, in denen Visionen der Hölle in fantastischen Einzelheiten sowie düstere Prophezeiungen zum Schicksal mehrerer Länder zu Protokoll gegeben werden.

Als "klassisches Beispiel" für die Rolle, die Vertreter der Kirche bei der Entwicklung von Prozessen spielen, in denen durch "anhaltendes Befragen' und eindringliche Beschäftigung mit einer Visionärin ... immer wieder neue geheimnisvolle Dinge produziert werden" (S. 134), werden im zweiten Teil des Buchs ausführlich Vorgänge in Fatima (Portugal) geschildert. Hier hat von drei Seherkindern vor allem Lucia seit 1917 über angebliche Erscheinungen und Botschaften der Gottesmutter das Wort geführt.

Im Mittelpunkt ihrer Drohbotschaften steht Rußland, das damals allgemein als Gefahr für Europa eingeschätzt wurde. Das Unheil werde "als Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen" (S. 156) über die Menschen kommen. Dieses "Geheimnis" wurde jedoch nicht 1917 nach den behaupteten Erscheinungen und auch nicht 1924, als die Seherin Lucia von einer kirchlichen Kommission unter Eid vernommen wurde (S. 136 und 148) gelüftet, sondern erst 1939 und 1941, als sich der zweite Weltkrieg für jedermann erkennbar ankündigte bzw. längst begonnen hatte.

Hanauer beschreibt ausführlich viele Widersprüche, in die sich die Seher verwickelt haben, die ganz eindeutig belegen, daß die Botschaften nicht übernatürlicher Herkunft sein können. Auf Vorhaltungen habe die Seherin Lucia mehrfach recht respektlos geantwortet, z. B.: "Ich kann doch nicht der Mutter Gottes vorschreiben, wie sie sich ausdrücken muß" (S. 160). Auf Hinweise zur theologischen Unsinnigkeit angeblicher Engelsbotschaften, z. B. "Heiligste Dreifaltigkeit, ich opfere dir auf die Gottheit Christi", habe Lucia "mit ein wenig Bosheit" geantwortet: "Vielleicht hatte der Engel nicht Theologie studiert" (S. 101).

Viel wichtiger als die Aufdeckung des Unsinns sind aber die Bedenken Hanauers zum entstellten und unwürdigen Bild, das außer Lucia auch andere Seher, so die von Medjugorje (Herzegowina), von Christus und seiner Mutter Maria zeichnen: Sie werden als primitive, rachsüchtige Wesen dargestellt. So hat Lucia am 6. Februar 1939 geschrieben, Christus habe ihr "in einer vertrauten Mitteilung" zu verstehen gegeben, daß "der Krieg mit allen seinen Schrecknissen" bald ausbrechen werde. Gott habe beschlossen, "alle Nationen, die sein Reich in den Seelen zu vernichten trachten, in ihrem Blute zu reinigen" (S. 151). Der Krieg werde zu Ende gehen, "wenn die Zahl und das Blut der Gemarterten meine Gerechtigkeit besänftigt haben" (S. 152). Hanauer meint hierzu, es müsse "doch wenigstens einem Theologen das Schaudern kommen, wenn er solche Worte hört" (S. 153). Ebenso grotesk ist die Darstellung, Lucia habe ihre Botschaften durch den "Beistand des Heiligen Geistes" erhalten, der ihr, wie sie fühle, eingebe, was sie schreiben -oder sagen solle (S. 133). Sie gibt sich selbst als einzige Vermittlerin zwischen Gott und der Welt aus, die auch behilflich sein soll, die Gottesmutter von ihren Leiden (im Himmel!) zu befreien. Denn ihr Herz sei "mit Dornen überzogen, womit die undankbaren Menschen es dauernd durchbohren, ohne daß es jemand gäbe, der einen Sühneakt machen würde, um sie herauszuziehen" (S. 158) eine weitere theologisch abwegige Vorstellung. Bei dieser Sachlage ist verständlich, daß der letzte Teil des "Großen Geheimnisses" von Fatima, der eigentlich 1960 bekannt gegeben werden sollte (S. 180), bis heute nicht veröffentlicht wurde. "Offenbar", so Hanauer, "hatte die Seherin Lucia bis zum Jahre 1960 Ereignisse vorausgesagt, die nicht eingetreten sind" (S. 186). In offiziellen Stellungnahmen der katholischen Kirche wird das jedoch nicht zugegeben.

Im "Rückblick und Rundblick" zitiert Hanauer erneut den von der Amtskirche übergangenen Experten Staehlin. Dieser führt Beispiele früherer, heute erkennbarer, Irrtümer der Kirche an und schließt daraus, daß nur ein Unverständiger "die gute Lektion" mißachten könne, die uns die Geschichte lehrt. Er fährt fort: "In zwei bis drei Jahrhunderten wird man eine natürliche Erklärung für nicht wenige Fälle gefunden haben, die sich heute unserer Kenntnis noch völlig verschließen" (S. 196). Der versöhnliche Tenor dieses Appells konnte die kirchliche Obrigkeit jedoch nicht umstimmen.

"Was dem Jesuiten Staehlin widerfahren ist", kommentiert Hanauer, "ist ein Beweis dafür, daß der Kampf für die Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit in der Kirche vielen Hindernissen begegnet. Einen eingefleischten Pseudomystiker zu bekehren, erscheint nahezu unmöglich" (S. 198). Die Schuld daran trügen jedoch diese nicht allein. Abschließend zitiert Hanauer Joe Nickell (Looking for a Miracle, Prometheus Books, Buffalo 1993): "Das war immer so, aber wir dürfen hoffen, daß sich - vielleicht - die Situation ändern wird."

Irmgard Oepen

mit freundlicher Genehmigung der Autorin, Erstpublikation in Skeptiker 1/97 S. 34-35


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Letzte Änderung: 21. Januar 1998