II. Therese Neumann und Pfarrer Josef Naber

Der Name Therese Neumann ist in der ganzen Welt bekannt geworden. Ohne Zweifel hätten sich die Dinge ganz anders entwickelt, wenn nicht in der entscheidenden Zeit ein Josef Naber Pfarrer in Konnersreuth gewesen wäre. Ohne Naber wäre es zu keinem ,,Fall Konnersreuth" gekommen. Daß er in gutem, wenn auch naivem, Glauben gehandelt hat ist nicht zu bezweifeln. Er hat vor allem, wie viele andere Theologen auch, nicht begriffen,, daß es sich bei den Ereignissen in Konnersreuth in erster Linie um ein medizinisches Problem handelte, für das der Theologe nicht zuständig ist. Aber, völlig in seine pseudomystische Denkweise verrannt, war er blind gegenüber der Wirklichkeit und als unkritischer Fanatiker unbelehrbar und unbekehrbar.

Wir stellen uns die Frage: Wie und warum kam es zu den ,,Konnersreuther Phänomenen"? Die Sache begann an sich ganz harmlos; sie fing mit der Kränklichkeit der Therese Neumann im Jahre 1918 an. Der Pfarrer wollte der Kranken, die er oft besucht hat, als Seelsorger beistehen. Das war sein Recht, ja seine Pflicht. Aber er hätte auf die zuständigen Ärzte hören und mit ihnen in seinem Rahmen zusammenarbeiten müssen; die Diagnose der Ärzte war ja eindeutig. Aber das tat der Pfarrer nicht, erst recht nicht von der Zeit an, da ihm die Kranke versicherte, die von ihr verehrte Theresia von Lisieux habe zu ihr gesagt: ,,Kein Arzt kann dir helfen." Was immer nun Therese an Märchen auftischte, er glaubte alles, er glaubte blindlings, auch dann noch, wenn das Neue im Widerspruch zu dem stand, was sie früher gesagt hatte.

Der Pfarrer wollte als Seelsorger helfen. Er tat es, indem er versuchte, die Kranke mit Hinweisen auf Vorbilder aufzurichten, vor allem auf Christus, sein Leben, seine Lehre und sein Leiden. Hier erscheint dann das Problem des stellvertretenden Leidens, das Naber der Patientin beigebracht hat, nicht zuletzt mit Hinweisen auf Vorbilder wie Anna Katharina Emmerick, die Stigmatisierte von Dülmen. Die Phantasie der Kranken wird angeregt, wird erregt und immer mehr erregt; der brennende Wunsch taucht auf, eine Rolle als ,,Leidensbraut" zu spielen. Sie sucht die erträumte Rolle zu realisieren; Pfarrer Naber erkennt die Zusammenhänge nicht und ist erstaunt, ja bestürzt ob der ,,Phänomene", die er dann plötzlich und zu wiederholten Malen bei der Kranken vorfindet beziehungsweise vorzufinden glaubt. Dabei wird ihm nicht bewußt, daß das von ihm Suggerierte nichts anderes ist als seine eigene Suggestion. Er hält vielmehr das Echo seiner Suggestion aus Therese Neumann für eine Offenbarung Gottes. So geht die Sache weiter und weiter; was am Anfang bloß hysterische Spielerei war, entwickelt sich fort, von Phänomen zu Phänomen; die Akteurin kann nicht mehr zurück; die Geister, die sie unter Anleitung des Pfarrers gerufen hat, kann sie nicht mehr zurückschicken, nicht mehr bändigen.

Den entscheidenden Fehler begeht Naber, als er sich an die Öffentlichkeit wendet. Nunmehr wird aus der Quelle ein Strom; von allen Seiten kommt der Zulauf einer wundersüchtigen Menge. Wer soll den Strom bändigen, wenn sich Kleriker aller Ränge bis hinauf zu Prälaten, Bischöfen und Kardinälen in Konnersreuth einfinden und schon durch ihr bloßes Erscheinen den Eindruck erwecken, der wunderbare Charakter der behaupteten außerordentlichen Phänomene könne nicht geleugnet werden. Dazu kommt, wie üblich, der geschäftstüchtige Journalismus, der die Sache in großer Aufmachung in die Hand nimmt. Im Mittelpunkt steht Therese Neumann. Sie weiß das und genießt ihre Rolle, und sie glaubt schließlich an ihre Rolle so sehr, daß sie diese als gottgewollt ansieht. Dazu wird ihr oft genug gesagt, wie vielen sie durch ihr Leiden helfe, sie erfährt von ,,Bekehrungen" sie glaubt schließlich alles selber. "In Konnersreuth vollzieht sich derselbe Vorgang, der sich bei bestimmten Versammlungen von Sektierern oder an Orten ,,wunderbarer Erscheinungen" einstellt: Bekehrungs- und Heilungswunder werden zur alltäglichen Erfahrung. Die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt sich in der Phantasie des Mädchens, das nunmehr zum Weltwunder geworden ist, immer mehr. Es erfindet immer neue Züge des ,,mystischen Lebens" bis hin zu den ekelerregenden Szenen mit der Hostie, den Szenen der unaufgelösten und der erbrochenen Hostie, der Kotz- und Schnapsmystik. ,,Die Wundersüchtigen, meist selber Psychopathen", sagt Dr. Deutsch, ,, stoßen in ihrer Verblendung sich nicht einmal hieran, während die Vernünftigen sich mit Ekel abwenden 11.«

Nochmals: Ohne Pfarrer Naber wäre es zu keinem ,,Fall Konnersreuth" gekommen, Am 4. Juli 1942 notierte der Konnersreuther Benfiziat Heinrich Muth: "Pfarrer Naber und Resl sind wie eine Person". Die beiden sind immer beisammen anzutreffen, im Pfarrhof, bei Neumanns, im Garten der Resl, auf der Straße, in der Kirche. Dieses Verhalten zeigt die enge Verbundenheit der beiden, aber auch die gegenseitige Abhängigkeit" 12.

Unter den fünf Hilfspriestern, die vom Jahre 1924 an in Konnersreuth angestellt waren, befand sich nur einer, der des Pfarrers Einstellung unwidersprochen geteilt hat; die anderen haben es entweder vorgezogen, um des lieben Friedens willen zu schweigen, oder sie sind in Konflikt geraten und mußten das Feld räumen. Als Alois Weber am 8. März 1924 seinen Dienst in Konnersreuth antrat, hatte sich erst, und zwar ein Jahr zuvor, ein einziges ,,Wunder" ereignet; Therese konnte nach angeblicher vierjähriger Blindheit wieder sehen. Weber wurde am 1. Mai 1929 als Pfarrer nach Kirchenpingarten versetzt, also drei Jahre nach der Stigmatisation der Therese Neumann. Als am 30. März 1928 der Domkapitular Dr. Reichenberger in Konnersreuth weilte, hat er kurze Zeit mit dem Benefiziaten gesprochen. Reichenberger hat nur ein paar Bemerkungen Webers über Therese Neumann notiert. ,,Unvollkommenheiten", so hat Weber gesagt, ,,kommen vor, da sie zum Beispiel ihren Geschwistern Schimpfnamen gibt." Sein Verhalten in der Angelegenheit hat er so charakterisiert: Er habe seit 1925 nur mehr wenig Berührung mit Therese Neumann gehabt; das habe sich so herausgebildet aufgrund seines Verhältnisses zu Pfarrer Naber. ,,Wenn ich", so begründete er dies, ,,über Therese eine andere Meinung gehabt hätte als der Pfarrer, würde ich vielleicht in Konflikt gekommen sein; deshalb habe ich mich zurückgehalten 13".

Webers Nachfolger Liborius Härtl, vom 26. August 1929 bis zum 1. Januar 1937 Benefiziat in Konnersreuth, war ein überzeugter Anhänger der Stigmatisierten. Trotzdem spielte er nur eine Nebenrolle; der eigentliche Betreuer blieb Pfarrer Naber. Es ist bezeichnend, daß Härtl den Posten in Konnersreuth erhalten hat, weil Therese Neumann es gewünscht hatte. Vom 16. August 1925 an lebte er in unmittelbarer Nachbarschaft als Kaplan in Waldsassen. Therese kannte seine Einstellung zu ihr; darum verlangte sie seine Versetzung nach Konnersreuth; die Forderung wurde sogar ,,in der Ekstase" ausgesprochen. Der damalige Generalvikar Dr. Höcht war strikt dagegen, aber Bischof Buchberger hörte nicht auf ihn 14.

Mit den beiden folgenden Benefiziaten, Josef Plecher und Heinrich Muth, kam es zu ernsten Schwierigkeiten, die schließlich beide zwangen, das Feld zu räumen.


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Letzte Änderung: 22. August 1997