Konnersreuth als Testfall

I. Hilfe nachdem Tod?

1. Wunder

Kaum war Therese Neumann von Konnersreuth im September 1962 gestorben, da brachte das „Passauer Bistumsblatt"1 den Bericht über ein Wunder. Auf ihre Fürbitte hin, so hieß es, wurde eine schwerkranke Frau auf wunderbare Weise geheilt; die Ärzte stünden vor einem Rätsel. Im Anschluß an den Bericht wurde aufgefordert: ,Es wäre uns eine Freude, wenn viele Leser auf Grund der Veröffentlichung sich in ihren Sorgen und Anliegen an Therese Neumann um ihre Fürbitte wenden würden.' Eine solche Anregung ist bei Nichtkanonisierten sehr ungewöhnlich, erst recht aber dann, wenn gewisse unabdingbare Voraussetzungen nicht gegeben sind. Was war geschehen? - Nun, kein Arzt hat je behauptet, daß die betreffende Person geheilt worden sei. Das Ergebnis meiner Nachforschungen:

„Die Frau erkrankte nach vier Wochen aufs neue und mußte nach München gebracht werden. Zu Weihnachten 1962 durfte sie wieder heim. Man mußte sie aber bald wieder dorthin bringen, bis man sie Ende Februar 1963 nur noch zum Sterben heimgefahren hat."

Das erwähnte Wochenblatt hätte den Wunderbericht nicht veröffentlichen dürfen, ohne vorher Erkundigungen einzuziehen, ob die Angaben zutreffen. Im übrigen handelt es sich nicht um eine erneute Erkrankung, die eine Überführung ins Krankenhaus notwendig machte, sondern um eine Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustands.

Ein weiteres Wunder soll sich auf die Fürbitte der Therese Neumann hin im Herbst 1965 ereignet haben2. Eine kleine Pilgergruppe aus Holland war in Begleitung eines Paters nach Konnersreuth gekommen, um für die wunderbare Heilung einer Frau zu danken. Von Konnersreuth aus rief der Pater die Redaktion der berichtenden Zeitung an: „Bitte, kommen Sie so bald wie möglich; denn es ist etwas Außerordentliches passiert!“ Daraufhin begab sich ein Reporter an den gewünschten Ort. Er bezeichnet die Pilger als „biedere, einfache unproblematische und unkomplizierte Leute“. Aus dem Bericht der „Geheilten“ ergab sich folgendes: Sie litt über vier Jahre lang an schwerem chronischem Gelenkrheumatismus, konnte sich kaum bewegen, litt unter ständigen Schmerzen und mußte meist das Bett hüten:

Knie und Handgelenke waren dick angeschwollen, die Hände unbrauchbar. Die kleine, schmale Stiege zum Schlafzimmer im oberen Stockwerk konnte sie nur kriechend, auf ihre Ellbogen gestützt, bewältigen ... Die Schmerzen an den Händen seien oft derart gewesen, daß sie um sie zu kompensieren, die beiden Handrücken mit heißem Wasser übergoß.“

In ihrer Not hielt die Frau eine Novene zu Therese Neumann. Am 4. Tag will sie ein viermaliges Klopfen gehört haben: „Die Kranke brachte das Geräusch spontan in Verbindung mit Therese Neumann.“ Von da an war sie überzeugt, daß sie am 9. Tag geheilt werde. „Therese, was soll ich tun, wenn ich geheilt werde?“, sprach sie. Da hörte sie eine Stimme sagen: Du sollst zu meinem Grabe kommen.“ Am 5. Tag wollte die Frau der „Stimme“ erzählen, wieviel sie schon im Leben habe durchmachen und wieviel Undank und Undankbarkeit sie habe erfahren müssen. Darauf antwortete die Stimme: „Für all diese Leiden erhältst du deine Gesundheit wieder.“ Auch gab die Stimme der Frau den Auftrag in der Nähe ihres Hauses eine Kapelle zu bauen. Am 8. Tag während der Novene verschlimmerte sich der Zustand der Kranken derart, daß ihr Ehemann den Tod befürchtete; er wollte unverzüglich einen Arzt und einen Priester rufen. Aber die Frau ließ das nicht zu. Sie wollte ihrem Mann nichts davon verraten haben, daß ihr die Gesundung verheilen worden war. Nur dies verkündete sie ihm: „Am Freitag werden dir die Augen aufgehen. Sorge auf alle Fälle dafür, daß bis dahin die Wohnzimmertüren gestrichen werden und daß auch sonst alles in Ordnung ist; denn am Freitag werden viele Leute zu uns kommen, auch der Passionist wird kommen.“ Am 9. Tag rechneten die Angehörigen mit dem Tod der Frau. Doch am Nachmittag etwa um 17 Uhr fühlte sie sich plötzlich gesund.

Das Ergebnis meiner Erkundigungen: Von Wunder kann keine Rede sein. Keiner von den zuständigen Seelsorgern weiß, daß die Frau schwerkrank war. Sie befand sich nicht in ärztlicher Behandlung, und nur einmal war sie in der Sprechstunde eines Arztes.

Nun gehört zur Feststellung eines Wunders wesentlich mehr als die Aussage der betreffenden Person. Die Fragwürdigkeit dieser Geschichte ist nicht zu leugnen.

2. Gebetserhörungen

Ähnlich wie die fragwürdigen Wunder durch das Verdienst der Therese Neumann sind auch die Gebetserhörungen aufgrund ihrer Fürbitte sehr problematisch. Presseberichten zufolge werden solche in Konnersreuth laufend gesammelt. Von welcher Art sie sind, das bezeugen jene Berichte, die in den "Konnersreuther Nachrichten' regelmäßig veröffentlicht werden. Sie besitzen, ähnlich wie die beispielsweise Bernhard Lehner von Herrngiersdorf* zugeschriebenen Gebetserhörungen, keinerlei Beweiskraft.

Sehen wir uns diese einmal näher an! Viele Gebetserhörungen auf die Fürbitte des Bernhard Lehner beziehen sich auf Hilfe in Krankheitsfällen. Zumeist ist nur ganz allgemein die Rede von erhaltener Hilfe. Auch jene Fälle, die mehr über die Leiden erkennen lassen, bestätigen ausnahmslos, daß es sich um alltägliche Vorkommnisse handelt. Eine Frau, die sich einen Oberschenkelbruch zugezogen hatte, konnte „schon nach zehn Wochen“ aus dem Krankenhaus entlassen werden. Bei einem achtzehnjährigen Mädchen, das seit seinem dritten Lebensjahr an Krampfanfällen zu leiden hatte, wird festgestellt, das Leiden trete nunmehr „ganz schwach und selten“ auf. In einem Dankbrief heißt es: „Es ist einfach auffallend, wie Bernhard mir eine oft aufkommende Angst nimmt, sobald ich ihn anrufe.“ Ein Mädchen erhält nach zweimal fehlgeschlagener Kur vom Hausarzt Tabletten, die „eine Totalwirkung versprechend, die „wunderbare Wirkung“ besteht in der Befreiung von einem Bandwurm. Ein Mann, der einen Herzinfarkt erlitten hatte, war fast drei Monate bettlägerig; nunmehr kann er wieder in der Wirtschaft mitarbeiten.

Außer Hilfen bei Krankheiten werden alle möglichen Anliegen genannt: Geldsorgen, Mietangelegenheiten, Erbschaftsfragen, Berufs- und Ehesorgen, Erreichung des Klassenziels, Prüfungen und ähnliche Dinge. Ein Siebzigjähriger meint, er könne seinen Berufsaufgaben nur auf Grund der Fürbitte des Bernhard Lehner nachkommen. Ein anderer glaubt, sein Mieter sei auf Bernhards Fürsprache hin ausgezogen. Ein Briefschreiber aus Zentralafrika ist der Auffassung, nach vielen heißen und wolkenlosen Tagen habe Bernhard Lehner einen ergiebigen Regen geschickt. Mehrmals sogar wird ausdrücklich gedankt für die Erlangung eines Führerscheins.

Diese Auswahl möge genügen. Was soll denn die Veröffentlichung solcher Dinge? Der Wert eines vertrauensvollen Gebetes auch in rein irdischen Anliegen steht nicht in Frage. Aber daß man mit dem Hinweis auf Gebetserhörungen nicht im angegebenen Sinne argumentieren kann, das ist doch offenkundig. Da könnte schließlich, um nur auf ein Beispiel hinzuweisen, ein heidnischer Zauberer in Zentralafrika mit gleichem Recht behaupten, der ergiebige Regen sei eine Folge seiner Beschwörungsformeln.

In einem der vom Pfarramt Semerskirchen regelmäßig veröffentlichten Schriftchen werden die mitgeteilten Gebetserhörungen bezeichnet als „ein starkes Zeugnis für die gütige Vaterhand Gottes, der durch die Gebetserhörungen auf seinen Diener hinweist.“ Das gleiche gilt dann dementsprechend auch von den Konnersreuther Gebetserhörungen. Kann man also auf Grund der einlaufenden Angaben folgern, daß Therese Neurnann wirklich geholfen hat? Daß sie eine Heilige war, für die Gott selber eintritt? Daß sie nahrungslos gelebt hat? Wenn nun aber Therese Neumann nicht nahrungslos gelebt hat, wenn all die sogenannten Konnersreuther Phänomene ausnahrnslos natürlich zu erklären sind, wenn sich bei der Stigmatisierten von Konnersreuth Fehler nachweisen lassen, die unvereinbar sind mit einem heiligmäßigen Leben? Was folgt dann aus den veröffentlichten „Gebetserhörungen“?

Pfarrer Vianney von Ars war ein Heiliger. Er war ein großer Verehrer der hl. Philomena und schrieb ihr viele Gebetserhörungen zu. Aber er hat eine falsche Philomena als Heilige verehrt. Bei den sterblichen Überresten der in Mugnano bei Neapel Beigesetzten handelt es sich gar nicht um die Gebeine der Philomena; denn die drei Ziegelplatten mit der Inschrift „Filumena“ stammten von einem anderen Grab, und von beiden, jener Filumena und diesem Mädchen, deren Grab mit den drei Ziegelplatten verschlossen ist, wissen wir nicht das Geringste. Wer hat demnach die Gebete des Pfarrers von Ars erhört?

Ein weiterer Gesichtspunkt ist zu bedenken: jemand betet überhaupt nicht. Derartige „Hilfen“, wie sie in Konnersreuth gemeldet werden, kann man auch bei solchen Menschen ohne jeden Unterschied nachweisen. Wer hat ihnen geholfen?

Gebetserhörungen sind keine Zeugnisse für die Heiligkeit eines Menschen; sie sind es ebensowenig wie mit Berufung auf Gebetserhörungen die Existenz eines nicht existierenden Menschen bewiesen werden kann. Gab es nicht in der Geschichte genügend Betrüger, denen man nach ihrem Tod Hilfe durch ihre Fürbitte zugeschrieben hat? Vielleicht wäre es an der Zeit, endlich auf das Argumentieren mit solchen Gebetserhörungen zu verzichten.

*Bernhard Lehner, geb. 4. 1. 1930, gest. 24. 1. 1944

Nächstes Kapitel

Zurück zur Einleitung

Zum Inhaltsverzeichnis


Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Verfassers wieder.

Adresse für technische Anfragen

Letzte Änderung: 26. Dezember 2002