Konnersreuth als Testfall

XII. Eine Heilige?

1. Allgemeines

Seitdem Therese Neumann verstorben ist, wird immer wieder der Wunsch nach Einleitung des Seligsprechungsprozesses erhoben. So wie sich Konnersreuth-Gläubige das vorstellen, würde die Seligsprechung der Frage nach Übernatürlichkeit der bekannten Phänomene die Grundlage entziehen. Es handelt sich jedoch, angefangen von den "wunderbaren Heilungen" bis zur angeblichen Nahrungslosigkeit, in keinem einzigen Fall um natürlich unerklärliche Dinge. Beschäftigt man sich mit den "Phänomenen", so erscheint das Bild der so Ausgezeichneten in einem recht zweifelhaften Licht.

Am 27. November 1929 kam Bischof Michael Buchberger bei einer Ansprache im Erhardi-Haus zu Regensburg auch auf Konnersreuth zu sprechen. Dabei gebrauchte er unter anderem folgende Worte:

"Welcher Schaden würde erwachsen für die Kirche, wenn man zuvor mit Trompeten von den Wundern von Konnersreuth reden und ausposaunen würde und hernach zurückrufen müßte! ... Im Falle Konnersreuth interessiert uns zunächst das heilige Leben der Therese Neumann und, wenn dieses fehlen würde, interessiert uns das andere gar nicht."

Daß Therese auch ihre Schwächen hatte, wurde bisher immer wieder klar. Wir stellen daher zusammenfassend die Frage: Kann man ihr Leben als beispielhaft fromm und als heiligmäßig bezeichnen, oder stößt man auf Fehler, die unvereinbar sind mit dem, was man von einer von Gott begnadeten Person erwarten muß?

Wenn man die Berichte der verschiedenen Autoren vergleicht, die sich auf persönliche Aussprachen mit Therese Neumann berufen, so stößt man auf nicht wenige Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten. Das beginnt bereits mit ihrem Geburtsdatum. Steiner schreibt, sie sei in der Nacht vom Karfreitag zum Karsamstag 1898 kurz vor Mitternacht zur Welt gekommen. Nach Luise Rinser wird im Geburtsregister des Standesamtes in Konnersreuth der Karsamstag, 9. April, 1 Uhr angegeben. Im Taufbuch war ursprünglich der 9. April, Karsamstag, 0,15 Uhr, verzeichnet. Die Mutter aber behauptete später, ihre Tochter sei bereits am 8. April kurz vor Mitternacht geboren worden. Auch Therese selbst, in der Ekstase befragt, erklärte, am Karfreitag geboren zu sein. Dazu meint Luise Rinser:

"Aber ich fürchte, hier korrigiert der Wunsch, das Geburtsdatum gerade noch auf einen Karfreitag fallen zu lassen, die Wirklichkeit."

Man findet auch hier wie in anderen Fällen einen interessanten Aufschluß über die Frage, welchen Wahrheitsgehalt die Auskünfte im gehobenen Ruhezustand beanspruchen können. Ist ein Geburtsdatum so wichtig, daß man darüber den Herrgott bemühen muß? Von Bedeutung wäre auch die Frage, wann die Mutter darauf gekommen ist, daß ihre Tochter bereits am Karfreitag zur Welt gekommen sei. Die Angaben für das Standesamt und für das Pfarramt können doch nicht gemacht worden sein, ohne daß die Eltern etwas davon gewußt haben. Wann hat die Mutter den "falschen" Eintrag beanstandet? Offensichtlich erst nach der Stigmatisation ihrer Tochter; denn noch das "Konnersreuther Wochenblatt" vom Jahr 1927 und 1928 gibt als Geburtstag den Karsamstag an.

Ein großer Teil dessen, was über Therese Neumann berichtet wird, stützt sich auf deren eigene Aussagen. Steiner bezeichnet in der Einleitung zu seinem Buch als Hauptinformationsquelle Therese Neumann. Er sagt:

"Ihre Worte sind in hohem Maße Unterlage für Pfarrer Nabers Tagebücher, aus ihren Aussagen hat auch der Verfasser geschöpft."

Viele Angaben übernehmen weiterhin Steiner, auch andere Verfasser wie Teodorowicz und Boniface, unmittelbaren Berichten der Eltern und Geschwister der Stigmatisierten. Wie Wolfgang Bauer meint, kann man keine zuverlässigeren Zeugen für die Wahrheit finden:

"Die Familie Neumann genoß seit jeher den Ruf der Ehrlichkeit, der Rechtschaffenheit, der Wahrhaftigkeit und des äußersten Pflichtgefühls. Einen seit so vielen Jahren angesammelten Schatz an Tugenden vergeudet man nicht im Handumdrehen." (1)

Fernerhin benützt Steiner die Veröffentlichung von Fritz Gerlich. Von ihm sagt er:

"In einigen Punkten allerdings ist Gerlich nicht vollständig. Therese Neumann hat später geäußert, sie habe Gerlich als einem Laien und Protestanten damals noch nicht alles erzählen können."

Zwei mystische Phänomene führt Steiner an, über die Gerlich schweigt, nämlich Thereses Vision am Erstkommuniontag und das wiederholte "Erlebnis sakramentaler Kommunion ohne Priester in der Kindheit". Um diese Dinge handelt es sich wohl, die Therese Gerlich nicht anvertrauen konnte. Das ist insofern verständlich, als zu der Zeit, als Gerlich seine Bücher veröffentlichte, noch kein Fall von Fernkommunion bekannt war. Was die Vision am Erstkommuniontag und die Fälle von Fernkommunion in der Kindheit betrifft, darüber hat Therese nicht einmal dem Bischof von Lemberg und ihrem Pfarrer etwas erzählt, eben weil sie erst im Jahr 1953 die Kindheitserlebnisse erfunden hat.

Voll des Lobes ist Teodorowicz, wenn er über Therese Neumann urteilt.

"Das Ungewöhnliche in diesem geistigen und sittlichen Gepräge liegt ... in der Mannigfaltigkeit und in dem seltenen Ebenmaß der guten Eigenschaften, die nach allen Seiten hin ihre Strahlen senden." (2) Therese selber sagte von sich im »erhobenen Ruhezustand« , von Jugend auf habe sie der Herr »bewahrt und an sich gezogen« ".

Zwar lobt Rößler (3) an Therese Neumann ihre gemütstiefe Frömmigkeit, die schon in ihrer Jugend zutage getreten sei; andererseits habe man aber auch schon früh bemerkt "jene Ungeduld, jene zum Zorn neigende Eigenwilligkeit, die ihr zeitlebens zu schaffen machte und die sie bereitwillig eingestand". Dies bestätigt auch ihr eigener Bruder Ferdinand (4); er spricht von Ungeduld, zeitweiliger Heftigkeit und Eigenwillen. "Unvollkommenheiten kommen vor, da sie z. B. ihren Geschwistern Schimpfnamen gibt", wie sich am 30. März 1928 der damalige Benefiziat von Konnersreuth, Alois Weber, im Gespräch mit dem Regensburger Domkapitular Dr. Reichenberger äußerte (5).

Lobend hebt Rößler hervor:

"Sie hat eine unendliche Selbstbeherrschung und Disziplin, auch hat sie eine ziemliche Gleichgültigkeit dem Urteil anderer gegenüber. Was man ihr sagt, das hebt sie weder noch verletzt es sie, ... Sie ist völlig unbeeinflußbar." (4)

Aber diese Aussage Rößlers steht im Widerspruch mit jener, die bereits oben zitiert wurde; unendliche Selbstbeherrschung verträgt sich nicht mit Ungeduld, zeitweiliger Heftigkeit und Eigenwillen. Inwieweit ihr das Urteil anderer über ihre Person gleichgültig gewesen ist, mit dieser Frage werden wir uns noch eingehender beschäftigen. Daß sie über negative Urteile sehr erbost werden konnte, ist bereits genügsam klar geworden.

In ihrer Jugend, sagt Boniface (7), war Therese ein Mädchen, das sich Respekt zu verschaffen wußte.

"Einmal war ihr ein junger Mann bis auf den Dachboden der Scheune nachgeschlichen und schritt siegesbewußt auf sie zu. Da sie nichts griffbereit bei der Hand hatte, um sich zu wehren, zögerte Therese nicht und sprang vom Heuboden auf die Tenne, unter der Gefahr, sich Hals und Bein zu brechen."

Im Gespräch mit Subregens Westermayr machte Therese noch genauere Angaben:

"Sie berichtete mir auch von einem Verführungsversuch eines Burschen, vor dem sie sich mit dem Gedanken »Lieber das Leben als die Unschuld« durch einen kühnen Sprung in die Tiefe aus einer Höhe von 7 Meter gerettet habe." (8) Bei der eidlichen Vernehmung in Eichstätt im Januar 1953 verminderte Therese die Höhe auf "4 bis 5 m"; sie gab allerdings an, unten bewußtlos liegen geblieben zu sein. Pfarrer Naher gibt die Höhe mit "etwa 4 m an". (9)

Ein geradezu wunderbares Ereignis schilderte Therese vor der Eichstätter Kommission. Als sie im siebten Schuljahr war, hütete sie auf dem Gut Fockenfeld Vieh. Während sie den freudenreichen Rosenkranz betete, überfiel sie ein Taglöhner, knebelte und fesselte sie. Als er sie vergewaltigen wollte, ward ihr wunderbare Hilfe:

"In diesem Augenblick kam der Stier der Herde herbeigestürzt und verjagte den Taglöhner mit seinen Hörnern. Der Stier kam dann auf mich zu, tat mir aber, wie ich befürchtete, nichts, wartete, bis ich mich selbst mühsam von Knebel und Handfesselung befreit hatte, neigte dann seinen Kopf bis zum Boden und zog mich, am ganzen Körper Zitternde, nachdem ich die Hörner erfaßt hatte, langsam in die Höhe; dann ließ er mich nach dem Schrecken an sich ausruhen, indem ich mich an ihn lehnte." Sie habe den Übeltäter weder bei ihren Eltern noch beim Arbeitgeber angezeigt, weil sie der Taglöhner eingeschüchtert habe: »Hin bist du, wenn ich etwas höre! Ich hab´ noch andere Mittel."

"Ein anderes Mal", berichtet Boniface, "hatte sie, um sich der Aufdringlichkeit eines anderen Besuchers zu entziehen, mit ihm für die folgende Nacht in einem Obstgarten ein Stelldichein vereinbart. Sie nahm jedoch einen kräftigen Peitschenstiel mit sich und konnte mit demselben besser als durch Worte den Burschen überzeugen, daß es vorteilhafter sei, sich mit Mädchen ihrer Art nicht weiter einzulassen. Der Unvorsichtige erklärte am anderen Morgen, er sei vom Fahrrad gestürzt." (10) Teodorowicz gegenüber hat sich Therese bei der Abwehr des bestellten und doch abgelehnten Verehrers noch tapferer gefühlt; denn er schreibt: "Stark wie sie ist, hat sie einen aufdringlichen Verehrer regelrecht durchgeprügelt und ihm gehörig heimgeleuchtet." (11)

Was ist Dichtung und was ist Wahrheit? Diese Frage taucht immer wieder auf, wenn man die Lobeshymnen auf Therese Neumann vernimmt. Insbesondere während der Nazizeit machten angebliche Prophezeiungen aus ihrem Munde über kommende Ereignisse die Runde. In Wirklichkeit wußte sie. nicht mehr als andere Leute. Es wird ihr ein seltenes Maß an Weitsicht und persönlichem Mut nachgerühmt. Ein "höherer Geistlicher" soll eines Tages versucht haben, sie zu belehren, indem er ihr erklärte, die Religion habe von den Nazis nichts zu befürchten, sondern nur von den Sozialisten und Kommunisten. "Eure Bischöfliche Gnaden", so soll ihm kurzerhand Therese Neumann erklärt haben, "sind vollkommen im Irrtum. Sie werden eines Tages noch an mich denken."

Boniface, dem wir die erwähnte Äußerung verdanken (12), weiß von einem Brief, den Therese nach dem Anschluß von Österreich in Kardinal Innitzer von Wien geschrieben haben soll. Der Kardinal habe geglaubt, man könne mit den Nationalsozialisten zusammenarbeiten. Therese soll ihn brieflich eines Besseren belehrt und ihm vorgeworfen haben, "er habe damit der Religion und Kirche keinen guten Dienst erwiesen". Dieses Wissen kann Boniface nur einer Person verdanken, nämlich der angeblichen Briefschreiberin; wahrscheinlich hat er bei seinem Besuch in Konnersreuth im Jahr 1955 davon erfahren. Wäre der Brief geschrieben worden, so müßte man das Unterfangen als Unverfrorenheit bezeichnen. Aber auch hier handelt es sich um eine unbeweisbare Behauptung.

Ähnlich ist auch die folgende Versicherung des gleichen Verfassers zu qualifizieren: Bei allen Abstimmungen des Nazireichs habe Therese "ganz offen" ihre Ablehnung bekundet.

Eines Tages habe sie beschlossen, nicht zur Abstimmung zu gehen "mit Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand". Aber die SS habe sie im Kraftwagen holen lassen. Therese habe dann vor deren Augen ihren Stimmzettel ausgefüllt, ihnen diesen vor die Nase gehalten und zum Erstaunen aller Anwesenden gerufen: "Bitte, meine Herren von der SS, überzeugen sie sich, daß hier ,Nein' steht!" - Daß die SS in Konnersreuth Zubringerdienste geleistet hat, das wäre möglich. Sicher aber ist unrichtig, daß Therese so tapfer gewesen ist. Den Zeugen für so viel gefährlichen Mut müßte man erst suchen.

Aber ganz so groß dürfte ihre Tapferkeit nicht gewesen sein, sonst wäre sie nicht so sehr erschrocken, als sie, aus der Ekstase erwacht, an ihrem Bette "zwei Gendarmen" stehen sah (14). Durch ihren Anblick soll sie einen derartigen Schock erlitten haben, daß sie längere Zeit von nervösen Störungen geplagt wurde, die sie bereits aufschreien ließen, wenn nur die Tür zufiel. Auch in der Kirche kam das vor. Darum bat Therese den Heiland um Befreiung von dem peinlichen Übel, und die Bitte wurde erhört.

Ebenso unglaubhaft klingt der Bericht, daß der Gauleiter durch einen Offizier über "das körperliche Wohl von Therese Neumann" gewacht und daß Hitler selber ihr einen "indirekten Schutz" gewährt habe, ihr, der "offen auftretenden Gegnerin". Boniface bezeichnet es als "Wahrheit, daß Hitler eine geheimnisvolle Angst vor Therese Neumann hatte, über deren Leben er sich genauestens unterrichten ließ" (15). Wie soll der Gauleiter über das körperliche Wohl der Stigmatisierten gewacht haben, da sie keine Nahrungsmittel benötigt und jede ärztliche Hilfe abgelehnt hat?

Es berührt seltsam, wenn Gerlich und Boniface schreiben, Gott habe Gegner der Stigmatisierten offensichtlich gestraft. Im Wirtshaus von Konnersreuth habe ein Bauernknecht sich geäußert, er müsse erst verrückt werden, ehe er an die Visionen der Therese glaube. Vier Tage später habe man dem Spötter eine Zwangsjacke anlegen müssen, da er tobsüchtig geworden sei (16). Eine Lehrerin, die sich in Konnersreuth als Denunziantin betätigt habe, sei bald nach Kriegsende mit völliger Blindheit geschlagen worden". Wer sich solche Urteile anmaßt, handelt unchristlich.

Umgekehrt, so meint Pfarrer Naber, werde jeder von Gott mit besonderem Segen bedacht, der sich gläubig zeige.

"Der Heiland, das weiß ich aus vielfältiger Erfahrung, zeigt sich auffallend dankbar gegenüber denen, die aus reiner Absicht für sein Wirken hier eintreten. Solchen Heilandsdank wünschte ich vor allem aus aufrichtigem Herzen in höchstem Maß meinem hochverehrten Oberhirten", schreibt er am 21. Oktober 1937 an den Bischof von Regensburg (18).

Teodorowicz versicherte: (19)

"Wie ich mich öfters überzeugen konnte, ist Therese frei von jeder Überhebung, ja selbst von der Überzeugung, sie sei ein Werkzeug des Heilandes, durch welches er spricht." Er habe ihr einmal vorgehalten, sie sei nunmehr so berühmt, daß die ganze Welt von ihr spreche. Da habe sie lächelnd geantwortet: "Eh! Was! Die einen loben mich und die anderen nennen mich eine Schwindlerin; ich achte aber weder auf das eine noch auf das andere; denn es führt ja nicht zu Gott." (20) Therese selbst beurteilt sich so:

"Man muß unterscheiden zwischen kindlich und kindisch; ich bin nicht kindisch, sondern kindlich." (21)

Aus den veröffentlichten Äußerungen der Therese Neumann, vor allem aus ihren Briefen, läßt sich leicht beweisen, wie sehr sie überzeugt war, ein auserlesenes Werkzeug des Heilands zu sein. Mit bestem Willen findet man keinen heroischen Grad von Demut. Aber oft stößt man auf eine krankhafte Geltungssucht, die sich freilich in das Gewand der Demut kleidet.

Im Brief vom 22. Februar 1937 an Prof. Wutz beruft sich Therese darauf, daß sie in den vergangenen zehn Jahren für den Heiland und die Kirche gelitten, gearbeitet und geblutet habe. Dafür werde ihr nunmehr der Ausschluß aus der Kirche angedroht. Im selben Brief beschwert sie sich über das "immerwährende Quälen" die zehn Jahre hindurch. Aber wer hat sie denn gequält? Therese war auch sonst so unglaublich leidensfreudig, daß sie zu ihren vielgesichtigen Krankheiten hinzu noch eine Unmenge anderer Leiden freiwillig bis in "Todesgefahr" auf sich nahm? Die Qual, über die sie sich beschwert, bestand darin, daß man von ihr Bereitschaft zu einer klinischen Beobachtung verlangt hat. Sie hätte lieber die Exkommunikation auf sich genommen als einer Überwachung zugestimmt. Die Qual, von der sie spricht, bestand darin, daß man es gewagt hat, nicht an sie zu "glauben". Dabei sah sie selber ihre Lebensaufgabe im Kreuztragen, wie sie dem Erzbischof Teodorowicz versichert: "Meine Mission ist das Leiden." (22)

Für Menschen, die ihr nicht zu Gesicht standen, fand sie keine guten Worte. So bezeichnete sie den Freiburger Nervenarzt Dr. Eduard Aigner, der dreimal bei ihr in Konnersreuth war und bei dem man gehofft hatte, man werde ähnlich wie bei Fritz Gerlich aus einem Saulus einen Paulus machen, als einen Monisten. Sie meint von ihm:

"Er glaubt an keinen persönlichen Gott! Er betet die Natur an; die Natur ist ihm Gott." (23)

Ein andermal urteilt sie über ihn:

"Er will ja die Wahrheit gar nicht. Und wenn einer nicht will, kann man nichts machen. Der glaubt nicht an den Heiland und jetzt glaubt er nicht einmal mehr an Gottvater. Als kleines Kind war er schon katholisch aber das ist lang her." (24)

Wenig schmeichelhaft bezeichnet sie den Arzt als scheinheilig (25). All diese Äußerungen zu verschiedenen Zeiten machen ihre Enttäuschungen kund, daß aus Saulus kein Paulus wurde. Darum wurde er auch in Konnersreuth nicht mehr vorgelassen. Freilich wäre es Aigner auch dann nicht anders ergangen, wenn er als überzeugter Christ gewagt hätte, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Andere Männer, gläubige Ärzte und Theologen, wurden genauso abgewiesen wie der Freiburger Neurologe.

Therese nennt Dr. Aigner scheinheilig. Den gleichen Ausdruck "scheinheiliger Mensch" gebraucht sie für Dr. Deutsch (26). Das war sie selber eher als die so Bezeichneten. Bekanntlich hat sie sich zuweilen nachts längere Zeit in der Kirche aufgehalten. Boniface überliefert in gewohnter Übertreibung (27), sie habe sich um Mitternacht "immer" in die Kirche begeben, um eine Anbetungsstunde zu halten. Hierzu verfügte sie über einen Sakristeischlüssel, so daß sie jederzeit Zutritt finden konnte. Natürlich war dies dem Pfarrer wohlbekannt. Nun berichtet Rößler von einem Erlebnis während einer Mahlzeit bei Pfarrer Naher, wobei Therese die Bedienung übernommen hatte. Beim Gespräch erwähnte Rößler so nebenbei, er sei des Nachts an der Sakristeitür vorbeigekommen und habe dort einen Schlüssel stecken sehen, obwohl Sakristei und Kirche im Dunkel lagen.

"Sofort blickte der Pfarrer fragend die Resl an. Wie auf Abwegen erwischt, spielte diese den armen Sünder: »Muß ich's sagen?« - »Ja, nur raus mit der Sprache!« - »Also das war halt i« - Der Pfarrer bohrte mit den Fragen weiter, und so stellte sich heraus, daß sie nachts von 11 Uhr ab mehrere Stunden in der Kirche gewesen war, vorne am Hochaltar gesessen und zum Tabernakel hinübergeschaut hatte." (28)

Man muß sich wundem, daß Therese Neumann zur Nachtzeit den Sakristeischlüssel steckenließ. Sodann stört auch das theaterhafte Gebaren sowohl beim Pfarrer wie bei der Therese. Um so mehr müßte man sich über die geschilderte Szene wundern wenn Therese wirklich regelmäßig mitten in der Nacht die Kirche aufgesucht hätte. Dies ist jedoch völlig unglaubwürdig. Therese hat ja bekanntlich nicht regelmäßig die hl. Messe besucht, nicht einmal in der wärmeren Jahreszeit. Wie sollte man da glauben, daß sie ausgerechnet während der Nacht Stunden in der Kirche verbracht hat, um den Tabernakel vor Augen zu haben, noch dazu, wenn man bedenkt, daß sie angeblich selber ein lebendiger Tabernakel war, in der die Hostie unversehrt gegenwärtig blieb?

2. Nächstenliebe

In heroischer Weise hat Therese Neumann die Tugend der Nächstenliebe nicht geübt, und von Feindesliebe findet man keine verläßlichen Spuren. "Manches ist da", sagt Prof. Wunderle, "was nicht gut ist, insbesondere die Duldung der ungeheuren Lieblosigkeit, mit der alle Zweifler und alle gutwilligen Gegner - zu letzteren rechne auch ich mich - überschüttet werden." (1)

Ähnlich wie Dr. Wunderle erging es Dr. Deutsch, der immer wieder darauf gedrängt hatte, daß die angeblichen Wunder, insbesondere die Wundmale sowie die Nahrungs- und Ausscheidungslosigkeit so geprüft würden, wie es die Regeln der Naturwissenschaft immer und unter allen Umständen forderten. Dafür wurde er in der übelsten Weise angegriffen. Auf die Anfeindungen, so äußerte er sich, könne er nicht im gleichen Tone antworten. "So roh kann ein gebildeter Mann gar nicht werden, um gegen solche Schimpftiraden angehen zu können." (1a) Mehr als einer, der diese Lieblosigkeit zu spüren bekam, hat es vorgezogen zu schweigen

Eine auffallende Abneigung äußerte Theres Neumann gegen die Vertreter der Wissenschaft, sobald sie auch nur den geringsten Zweifel ihrer Person gegenüber spürte; sie bezeichnete die Wissenschaftler geringschätzig als "G'scheitseinwöllerer". Bei ihrer Ablehnung machte sie keinen Unterschied, ob einer Arzt oder Theologe war oder sonst einen Beruf ausübte. Dies verschweigt nicht einmal ein begeisterter Anhänger wie Teodorowicz (2), der offenbar als Theologe den Widerspruch zu echt christlicher Haltung nicht merkt.

"Wenn aber ihrer Überzeugung nach keine ehrliche Absicht in bezug auf die Konnersreuther Vorgänge vorliegt, wird sie streng und hart gegen Zweifler, wie auch gegen solche, die an diese Vorgänge nicht glauben. Sie behandelt solche Leute mit Widerwillen." (3)

Was versteht wohl Teodorowicz unter ehrlicher Absicht? Darf ein Christ - er braucht gar nicht gottbegnadet zu sein aufrechte und aufrichtige Männer wie Prof. Wunderle, Dr. Deutsch, Dr. Ewald und andere mit Widerwillen behandeln? So etwas sagt Teodorowicz, der an Therese das "seltene Ebenmaß der guten Eigenschaften" preist, die "nach allen Seiten hin ihre Strahlen senden!"

Eine Art der "Wissenschaft" freilich hat auch Therese Neumann gelobt, wie wiederum Teodorowicz (4) weiß:

"Aus den Gesprächen, die wir, Bischof Lisowski und ich, mit Therese Neumann führten, läßt sich zur Genüge schließen, wie sie die Wissenschaft hochschätzt und die Bedeutung der Wissenschaft für Kirche und Glauben anerkennt." Bei einer Unterredung meinte Teodorowicz "wie von ungefähr": "Denken Sie, daß ich ihretwegen Gewissensbisse erleide!" "Wieso?", fragte Therese erstaunt. Teodorowicz meinte: "Ja, ich habe meiner Lebensaufgabe beinahe 3 Jahre geraubt, wozu ich nicht das Recht hätte, und zwar, um diese Zeit Konnersreuth und Therese Neumann zu opfern." Aber da verbesserte Therese "allsogleich lächelnd": "Aber nicht Konnersreuth und Therese Neumann, sondern dem Heiland und den Seelen." (5)

Anders, als Teodorowicz beteuert, hat Therese zu Prof. Killermann gesprochen:

"Auf die Wissenschaft kommt es nicht an; da wird nicht eine Seele bekehrt; großenteils ist die Wissenschaft ungläubig der Heiland hat's gesagt."

Gegen die Wissenschaftler wetterte sie sogar während ihrer Freitagsekstasen. Ähnlich wie zu Prof. Killermann sprach sie, wie erwähnt, auch zum Regensburger Domkapitular Dr. Reichenberger. Sie beklagte sich über Domherren, die es "mit der Wissenschaft arg" hätten, sogar dem verstorbenen Bischof Antonius machte sie Vorwürfe, wenn sie auch einräumt, der Heiland habe ihm verziehen. Sein Verbrechen bestand in der Forderung einer Überprüfung der behaupteten Nahrungslosiglreit.

Prof. Mayr glaubt, Therese habe die Tugenden "in heroischem Maße geübt (6)". Sollen die Worte, die er zu einem Reporter gesprochen hat, eine Bestätigung dafür sein?:

"Und. wie hat sie darunter gelitten, daß ihr die Leute so nachliefen! Wie hat sie alle gehaßt, die über sie schreiben wollten." (7) Später hat Mayr auf einen Einwand hin diesen Ausspruch gemildert: "Sie haßte niemanden, sie mochte sie nur nicht." (8)

Hat der Reporter ursprünglich so schlecht gehört? Im übrigen bestätigt Prof. Mayr nur, was bereits Teodorowicz bezeugt hat; er spricht von Widerwillen und "unerbittlicher Härte" Zweiflern gegenüber. Von einem Heiligen hat man derartiges nie gehört.

Therese hat keineswegs alle gehaßt, die über sie schreiben wollten. Da kam 1930 der Italiener Berra nach Konnersreuth. Er erklärte der Stigmatisierten, er wolle über sie ein Buch schreiben, und zwar vollkommen objektiv. Sofort unterbrach sie ihn:

"Das gefällt mir. In Deutschland sind die Ärzte nicht christlich inspiriert." Auf die Frage, ob sie mit seinem Vorhaben einverstanden sei, erwiderte sie, sie habe gewiß kein Gefallen daran, wenn man über sie spreche; aber wenn es für die Wahrheit geschehe, dann möge man es tun (9).

Zweiflern und Gegnern wurde übel mitgespielt. Man mag einwenden, Therese Neumann treffe keine Schuld an der Kampfmethode, von der beispielsweise Wunderle und Deutsch sprechen. Aber keiner von denen, auch nicht einer, der seine Bedenken und Zweifel vorzubringen wagte, hat es je erlebt, daß er von Therese gegen ungerechte persönliche Angriffe in Schutz genommen worden wäre. Sie hat nicht bloß gewähren lassen; sie hat "Nichtgläubigen" deutlich genug ihre Abneigung erkennen lassen und hat mitgemischt, oft nicht nur im Hintergrund. Die mildeste Form ihrer Ablehnung von Gegnern war die Bemerkung, sie wolle mit diesem oder jenem nichts zu tun haben, der glaube nicht an sie. Erst recht vermißt man eine ernste Bereitwilligkeit, wirkliches Unrecht zu ertragen; sie ertrug ja nicht einmal gut gemeinte und berechtigte Kritik, es sei denn vielleicht von der Seite, die ihr ergeben war.

Prof. Wunderle wurde vor allem von Gerlich dem erklärten Freund der Familie Neumann, der Zutritt hatte, wann immer er wollte, in unverantwortlicher Weise persönlich angefeindet. In einer Stellungnahme dazu vom 17. Mai 1931 fragt Wunderle am Schluß:

"Kennt und billigt Therese Neumann ein derartiges Verfahren in ihrer Verteidigung? Wie weit ist sie mit der Polemik Gerlichs und des Konnersreuther Kreises einverstanden?" (10)

In ähnlichem Sinn drückt sich Prof. Mager aus:

"Wenn Therese Neumann die Art des Dr. Gerlich billigt und ihn als Anwalt ihrer Angelegenheit betrachtet dann spricht Christus bestimmt nicht aus ihr." (11)

Sie hat die persönliche Polemik nicht verurteilt, sie hat sie gebilligt.

Wie Therese Neumann und der Kreis um sie Gegnern gegenüber verfahren sind, die nicht einfach blindlings glaubten, dafür ist ein sprechendes Beispiel Prof. Wunderle. Er war dreimal in Konnersreuth: am 11. Juli 1926, am 29./30. Juli desselben Jahres und am 28./29. Juli 1927. Ein weiterer Besuch wurde ihm unmöglich gemacht. Er hatte es gewagt, in Wort und Schrift seine Zweifel, in einwandfreier Form, anzumelden. Das hat man ihm nie verziehen. Therese selber und ihre Eltern haben ihm das sehr verübelt, und vor allem ihr Verteidiger Fritz Gerlich hat Prof. Wunderle in liebloser Weise angegriffen. Daß Pfarrer Naber Privatbriefe, die ihm Wunderle geschrieben hatte, zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat, rundet das Bild nur ab.

Beim ersten Besuch Wunderles bewegte sich die Aussprache mit Therese Neumann in normalen Bahnen. Kurz darauf, am 21. Juli 1926, verfaßte der Professor einen Bericht über seine Eindrücke in Konnersreuth. Er betont dabei, daß er einen halben Nachmittag mit dem Ortspfarrer und der Stigmatisierten "in offenster Aussprache alles Wichtige an seelischen und körperlichen Vorgängen bereden durfte".

Auf Einladung des Pfarrers kam kurz nach dem ersten Besuch Wunderle wieder nach Konnersreuth, am 29. Juli 1926. Er hatte Gelegenheit, unter vier Augen mit Therese Neumann zu sprechen. Am Tag darauf war er auch Zeuge des Freitagsleidens. Über die Unterredung mit Therese veröffentlichte er dann am 1. September 1926 einen Aufsatz. Als seine Stellungnahme zu den Ereignissen bekannt wurde, griff ihn vor allem Pfarrer Witt in scharfer Form an.

Im Frühjahr 1927 veröffentlichte Wunderle einen Aufsatz über Konnersreuth, mit dessen Inhalt der Konnersreuther Kreis durchaus nicht einverstanden war. Insbesondere bezeichnete man seine Darstellung über den Unglücksfall vom 10. März 1918 und die anschließenden Ereignisse als unrichtig, obwohl Wunderle sich auf die Aussagen berufen konnte, die ihm Therese selber gemacht hatte. Den Unwillen der Familie Neumann hatte auch erregt, daß der Professor beim zweiten Besuch die Seitenwunde der Therese angesehen hatte. Die künstliche Aufregung darüber erscheint allerdings erst sehr spät nach den Ereignissen, als man eben Gründe gegen Wunderle brauchte. Wir erinnern uns an ein ähnliches Vorgehen, als es galt, Gründe gegen die Einweisung in eine Klinik zu finden. Die Verbitterung erreichte ihren Höhepunkt, als Wunderle am 27. Juni 1930 auf dem internationalen religionspsychologischen Kongreß in Erfurt einen Vortrag hielt mit dem Thema: "Die Stigmatisierte von Konnersreuth."

Bereits in der Diskussion nach der Rede hat Gerlich den Professor in so übler Weise persönlich angegriffen, daß sogar ein Mann, der Konnersreuth nach seinen eigenen Worten nahestand, für ihn entschieden eingetreten ist, nämlich Prof. Mager von Salzburg. Mit beiden Professoren hat sich dann Gerlich in einer Kampfschrift auseinandergesetzte. (12) Gerlich hat den Versuch unternommen, Wunderles Berichterstattung als völlig falsch hinzustellen. Hauptzeuge und Berichterstatterin dafür war Therese Neumann. Zur Information hielt sich Gerlich wiederholt in Konnersreuth auf. Therese, die er in normalem Wachzustand und in der Ekstase befragte, gab ihm den gewünschten Aufschluß sind zeichnete jetzt, aus der Sicht der Abwehr des Feindes, ein Bild von den verschiedenen Besuchen Wunderles, wie es dem tatsächlichen Geschehen nicht entspricht. In ihrer Berichterstattung weicht sie offensichtlich und im Widerspruch zu den Versicherungen Wunderles vom wahren Sachverhalt ab. Man gewinnt dabei einen bedenklichen Eindruck sowohl über die Wahrheitsliebe, als auch über ihre Liebe zum Nächsten.

Im Gegensatz zu den Darstellungen Wunderles schildert nun Therese den Verlauf des ersten Besuches (13). Die Unterhaltung im Beisein des Pfarrers sei eine gemütliche Plauderei gewesen. Sie habe jedoch kein rechtes Vertrauen zu Prof. Wunderle gehabt; er habe sie so merkwürdig angeschaut, sie wisse nicht, wie, und er habe sie ausgeforscht. Von ihrer Krankheit habe sie damals nichts erzählt; möglicherweise seien vom Pfarrer "ganz allgemeine Bemerkungen" gemacht worden. Das Gespräch habe "nicht sehr lange" gedauert. Im Pfarrhof sei vom Professor die Handwunde angeschaut worden, wahrscheinlich auch die Fußwunde. Sie könne sich nicht erinnern, ob über die Entstehung der Wunden gesprochen worden sei; jedenfalls sei kein Wort über ihre Stellung zum Heiland gefallen. Im Elternhaus habe man sich nicht weiter über ihre Angelegenheiten unterhalten; Wunderle habe es eilig gehabt und sei wieder fortgefahren. Dem, was Wunderle niedergeschrieben hatte, wird also in nahezu allen Punkten widersprochen.

Nun folgt Gerlichs Bericht über den zweiten Besuch des Professors am 29./30. Juli 1926, gemäß der Schilderung durch Therese Neumann: Diesmal sei außer Pfarrer Naber auch Prof. Fischer vom Bamberg anwesend gewesen; später sei Dr. Seidl hinzugekommen. Am Freitag war auch Prälat Geiger von Bamberg zugegen. Bei der Unterredung sei ihr "unheimlich zumute" gewesen.

"Es war mir so, wie wenn die nichts Aufrichtiges mit mir vorhatten. Wie wenn sie glaubten, ich wäre nicht, wie ich sein soll. Ich kam mir so hilflos vor. ... Ich habe ganz wenig damit geplaudert. Prof. Wunderle war mir nicht sympathisch. Er hat ungefähr so dreingeschaut: ,Ich versteh' etwas, da komm' ich jetzt.' Am liebsten hätte ich gesagt: ,Ich möcht'raus. Ja, noch mehr."

Als Dr. Seidl angekommen sei, hätten die übrigen das Zimmer verlassen müssen. Dr. Seidl habe dann eine Pinzette genommen. Diese sei ihm zu Boden gefallen, weshalb er geflucht habe, was ihm von ihr verwiesen worden sei. Die Pinzette sei ihm ein zweitesmal heruntergefallen.

"Er hat in die Wunde der linken Hand hineingestochen. Da sei ihr übel geworden und sie habe Herzbeschwerden bekommen. Dann seien die übrigen wieder hereingekommen. Sie habe erklärt: Ich halte es unbedingt nicht mehr aus!"

Sie habe daraufhin gebeten, sich entfernen zu dürfen. Prof. Fischer habe Seidl einen Schinder genannt. Mit Wunderle habe sie in Gegenwart der Herren "etwas über ihre Krankheit", gesprochen. Die Krankheitsgeschichte, wie sie Wunderle dargestellt habe, sei nicht richtig.

Erst durch die Lektüre der Schrift Gerlichs erfuhr Dr. Seidl, daß Therese ihm vorwarf, er habe in ihrem Beisein geflucht. Er stellte sie deswegen zur Rede und verlangte, "näher darüber nachzudenken". Aber weder jetzt noch später gab sie ihm eine Erklärung ab. So ist es durchaus verständlich, wenn Seidl urteilt: "Ihr Gewissen scheint nicht besonders empfindlich zu sein" (14).

Über die Ereignisse am Freitag, dem 30. Juli, so berichtet Gerlich weiter, könne Therese selber keinen Bericht geben, da sie an diesem Tag in Ekstase gewesen sei. Dafür stütze er sich hier auf die Aussage ihrer Angehörigen. Wunderle habe gewünscht, die Seitenwunde zu sehen. Aus diesem Grunde verließen alle das Zimmer, nur der Arzt blieb. Dieser entblößte die Seitenwunde, bedeckte aber die Umgebung derselben so, daß nur die Wunde selber frei lag. Daraufhin wurden die übrigen wieder hereingelassen. "Es sei alles geziemend zugegangen."

Auch die folgende Schilderung verdankt Gerlich wieder unmittelbar Therese, die sich darauf berief, sie habe ihr Wissen von den Eltern erhalten: Die Eltern hätten die Herzwunde noch nie gesehen und hätten diese zu sehen auch nie verlangt. Über die Besichtigung ihrer Seitenwunde habe sich Therese sehr geärgert.

"Das hat mich sehr gekränkt, und kränkt mich heute noch. Das wäre doch strafbar, wenn der Mensch machtlos ist, einfach da hergehen und die Wunde anschauen!" Der Pfarrer habe gemeint: "Wir müssen das zulassen; sonst werden wir beim Bischof verklagt, daß wir etwas verhindern." Die Eltern seien "furchtbar zornig" geworden über dieses Vorgehen (15)

Gegen diese Art der Berichterstattung ist manches einzuwenden. Zweifellos hätte sich niemand künstlich aufgeregt, falls Wunderle zu den "Gläubigen" sich bekannt hätte. Zudem kam die Empörung reichlich spät. Wozu auch eine Aufregung, wenn zugegeben werden mußte, daß alles geziemend zugegangen ist? Die Wunde befand sich unmittelbar neben dem Brustbein. Sollten die Anwesenden Pfarrer Naber, Dr. Seidl, Prof. Fischer, Dompfarrer Geiger aus Bamberg und Prof. Wunderle polizeiwidrig gehandelt haben?

Die Eltern sollen furchtbar zornig geworden sein; sie sollen die Seitenwunde noch nie gesehen haben! Diese Behauptung scheint mehr denn zweifelhaft. Und selbst wenn beispielsweise die Mutter die Herzwunde nie hätte sehen wollen, sie hätte es gar nicht fertiggebracht; schreibt doch Franz Huber, daß sie jeweils nach Beendigung der Schauungen und der Passion am Freitag ihre Tochter mit lauwarmem Wasser abgewaschen hat. Gleichzeitig wechselte sie die Verbände, Umschläge, Tücher und Linnen. Zumindest bei dieser Gelegenheit müßte sie die Herzwunde gesehen haben.

Auch der Vater der Stigmatisierten dürfte ihre Herzwunde gesehen haben, denn sein Schamgefühl war keineswegs so ausgeprägt. Therese Neumann kam am 9. April 1898 zur Welt. Die Eltern wurden am 14. Februar 1898 kirchlich getraut, also kaum acht Wochen vor der Geburt ihrer Tochter Therese. Diese wird von allen Biographen als das älteste Kind ihrer Eltern bezeichnet, was jedoch nicht zutrifft. Boniface schreibt:

"Vor ihr hatten die Eltern einen kleinen Jungen, der nur einige Stunden lebte; sie haben Therese nie von ihm erzählt, bis sie ihn eines Tages in einem Gesicht erblickte und dann mit Fragen über ihn zu ihnen kam." (16)

Die Geschichte mit dem Gesicht kann man ruhig zu den üblichen Märchen rechnen. Das verstorbene uneheliche Kind könnte im Jahr 1897 zur Welt gekommen sein. Im November des gleichen Jahres erblickte ein anderes Kind das Licht der Welt, dessen Vater Ferdinand Neumann war. Überdies weiß man in Konnersreuth, daß Ferdinand Neumann noch ein weiteres Kind gezeugt hat, dessen Mutter offenbar bereits verstorben war, als Therese berühmt wurde; davon steht allerdings nichts im Taufbuch, da ein Abgang erfolgt sein soll (17). Bei einer solchen Sachlage klingt es unglaubhaft, daß die Eltern, insbesondere der Vater, derart prüde gewesen seien.

Über den dritten Besuch am 28./29. Juli 1927 äußert sich Prof. Wunderle in einem Brief vom 24. Juli 1930 (18). In einem Privatgespräch habe er sich mindestens 3/4 Stunden lang mit Therese Neumann unterhalten. Diese sei "durchaus freundlich und lieb" gewesen. Sie habe ihm freilich mitgeteilt, daß ihre Eltern, vor allem der Vater, ungehalten über ihn seien. Es sei auch richtig, daß der Vater unhöflich war, aber die Tür habe er ihm entgegen anderslautenden Berichten nicht gewiesen. Der zweite Punkt der Unterhaltung sei eine Beurteilung von Dr. Ewald gewesen. Im Zwiegespräch kam Wunderle auch auf die überraschende Beurteilung des Judaskusses zu reden. Therese hielt nämlich den Verräter während ihrer Ekstasen für einen Freund Jesu. So schaute sie am Fronleichnamsfest, dem 4. Juni 1931, die Fußwaschung und Einsetzung des Altarsakraments. Dabei betonte sie nachdrücklich, "wie der Heiland zu Judas bei der Fußwaschung so liebevoll gesprochene habe" (19).

Hören wir, was Therese dazu zu sagen hat: Wunderle habe "etwas eigenartig" geredet. "Ich habe ihn mit Fleiß ziemlich kühl behandelt, weil ich ihn nicht recht mochte. Vielleicht war es beim Heiland ein Fehler, aber ich habe ihn halt nicht mögen." Sie habe ihm Vorwürfe gemacht: "Überhaupt, schauen Sie, wie verdreht sie die erste Auflage gemacht! Damit ist dem Heiland nicht gedient. überhaupt jetzt, scheint es, jetzt soll wieder etwas Neues gemacht werden, eine neue Auflage." Das Gespräch habe für kurze Zeit eine sehr scharfe Wendung gegen Wunderle genommen. Vom Gebetsleben und ähnlichen Dingen sei bei dieser Besprechung, keine Rede gewesen. "Die Unterhaltung hat höchstens 10 Minuten gedauert. Über den Judaskuß habe ich ihm nichts gesagt."

Damit wendet sich Therese gegen Wunderle, der unter Hinweis auf eine mindestens dreiviertelstündige Unterredung über ihr intimes seelisches Leben gesprochen haben will. Weiter leugnet Therese, über den Judaskuß gesprochen zu haben. Wer sagt hier die Wahrheit?

Der Besuch vom 28./29. Juli 1927 war der letzte für Prof. Wunderle. Er durfte bei Therese in Konnersreuth nicht mehr erscheinen.

Steiner, der sich in der Einleitung seines Buches über Konnersreuth darauf beruft, daß er "Authentisches" berichte und daß er sich "auf die unmittelbaren und ersten Quellen" stütze, erzählt, ein Theologieprofessor habe bei Therese, während sie in Ekstase war, die Herzwunde aufgedeckt und darum sei ihm nie mehr ein Besuch gestattet worden. Nur Professor Wunderle kann gemeint sein. Was Steiner behauptet, entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Nicht Wunderle, sondern Dr. Seidl hat mit Zustimmung des anwesenden Pfarrers die Wunde aufgedeckt. Ebenso unrichtig ist die Begründung für das Besuchsverbot. Wunderle wurde ja noch ein Jahr nach dem angeblichen Verbot in Konnersreuth vorgelassen. Der Grund für die endgültige Abweisung war einzig und allein der, daß er die Konnersreuther Phänomene nicht vorbehaltlos für übernatürlich erklärt hat.

Nicht besser als Prof. Wunderle erging es Prof. Mager (20). Er war am 1. und 2. März 1928 in Begleitung seines Ordensbruders P. Staudinger in Konnersreuth. Seine Erfahrungen veröffentlichte er in der "Benediktischen Monatsschrift". Später hat er Prof. Wunderle gegen ungerechte persönliche Angriffe mannhaft verteidigt. Sein Eintreten für Prof. Wunderle ärgerte Gerlich nicht wenig. Darum richtet sich sein Angriff in einer Streitschrift auch gegen ihn. Wie im Falle Wunderle, so begab sich Gerlich auch jetzt zur Information nach Konnersreuth und befragte Therese. Was sie ihm über den Besuch Magers sagte, war für ihn Wahrheit; was Mager schrieb, war also Lüge. Im einzelnen warf Gerlich Prof. Mager vor:

  1. Die Darstellung seines Buches entspreche nicht dem wirklichen Geschehen;

  2. Er habe nur eine Unterredung mit Therese Neumann gehabt;

  3. Er habe mit ihr "fast nichts" gesprochen;

  4. Von dem für die Beurteilung des Falles so hoch bedeutsamen erhobenen Ruhezustand habe er keine Kenntnis genommen;

  5. Den erhobenen Ruhezustand, wie nunmehr, habe es damals noch nicht gegeben.

In einem Brief vom 15. Mai 1931 an Gerlich widerlegt Mager die Vorwürfe Punkt für Punkt. Unter Berufung auf seinen Mitbruder P. Staudinger, der sich bereit erklärt hatte, alles unter Eid auszusagen, behauptete er mit aller Bestimmtheit und Entschiedenheit:

  1. Der von ihm veröffentlichte Bericht entspreche vollkommen dem wirklichen Geschehen;

  2. Er habe nicht bloß eine Unterredung mit Therese Neumann gehabt, sondern außer am 1. März auch am Freitag, dem 2. März, und zwar allein während ihres Zustandes der Freitagsekstasen. Er und sein Mitbruder hätten auch während der Freitagsekstasen miterlebt, was Pfarrer Naber mit Therese Neumann an Zwiegesprächen geführt habe;

  3. Er und sein Mitbruder hätten mit Therese wenigstens eine Stunde lang gesprochen, als sie in jenem Zustand gewesen sei, den Pfarrer Naber als erhobenen Ruhezustand bezeichne. Er habe später wiederholt Versuche unternommen, gerade jenes Zustandes wegen wieder nach Konnersreuth zu kommen. Er und sein Mitbruder hätten auch wiederholt an Pfarrer Naber geschrieben, jedoch ohne je eine Antwort zu erhalten. F. Staudinger sei noch zweimal in Konnersreuth gewesen; aber beide Male sei seine Bitte, Therese Neumann im Zustand der erhobenen Ruhe zu sprechen, abgeschlagen worden. Dem Laien und Nichtkatholiken Gerlich habe man nie die geringsten Schwierigkeiten gemacht.

Zum Schluß fragt Mager: "Können Sie ... nach diesen Feststellungen erwarten, daß mein Vertrauen auf Ihre und Ihrer Gewährsleute Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit gestärkt wurde?" Dieser Vorwurf trifft niemand mehr als Therese Neumann selbst, die Gerlich wahrheitswidrig informiert hatte. Was ist von der Auskunft des "Heilandes" während der Ekstase zu halten?

Was tat nun Gerlich? Er legte Magers Brief Therese Neumann vor und teilte dann dem Professor am 23. Mai 1931 mit, was sie zu seinen Angaben zu sagen wußte:

  1. Therese habe im wesentlichen nur mit P. Staudinger gesprochen, weil Mager der Dialekt der Therese große Schwierigkeiten bereitet habe. Sie habe Gerlich wiederholt und vor Zeugen zu dem Brief vom 15. Mai versichert, sie habe "fast nichts" mit Prof. Mager gesprochen. Dieser habe die mit dem Ohr aufgenommenen Worte der Therese dem Sinn nach nicht vollständig verstanden. "Das ausgezeichnete Gedächtnis der Therese Neumann und ihre außergewöhnliche Gewissenhaftigkeit in ihren Angaben über ein Geschehnis haben sich also auch hier wieder herausgestellt", meint Gerlich.

  2. Mager habe von den Reden der Therese nur verstanden, was Pfarrer Naber hochdeutsch ihm verdolmetscht habe. Der Professor habe nur unmittelbar jenes Gespräch verstanden, das ihm "vom Heiland" gewährt worden sei, "in welchem er die im erhobenen Zustand befindliche Therese Neumann als irdisches Werkzeug benützt".

Gerlich betont, daß die Auskunft der Therese Neumann absolut richtig sei, denn er habe ihr seine Fragen im erhobenen Ruhezustand vorgelegt. Hier habe sie ihm genau den Verlauf des Gesprächs geschildert und habe auch darüber Aufschluß gegeben, was der Professor von dem verstanden habe, was der "Heiland" mit ihm gesprochen habe. Das heißt also: Der Heiland hat die Darstellung, wie sie Prof. Mager gegeben hat, widerlegt!

Wenn die. Schilderungen im Fall Wunderle und Mager so einander widersprechen, bleibt aus hier die Frage: Wer hat gelogen? Daß Pfarrer Naber selbst auch wiederholt die Unwahrheit gesagt hat, ist leider Tatsache. Aber anderen hat er zu Unrecht Lüge vorgeworfen, so zum Beispiel Prof. Mager, wenn er am 12. Dezember 1934 an den Bischof von Regensburg schreibt, Prof. Mager habe einmal geschrieben: "Ich glaube umso objektiver über Konnersreuth urteilen zu können, weil ich nie dort war." (21) Naber wußte jedoch genau, daß Prof. Mager, der übrigens hinsichtlich okkultistischer Phänomene außerordentlich leichtgläubig war, Konnersreuth besucht hat.

Auf der Rückreise nach Breslau im Jahr 1939 kam Frau . Hartmann ins Gespräch mit einer Frau aus Konnersreuth, die ihr erzählte sie sei NSV-Schwester in Konnersreuth. Sie sei gläubige Katholikin und schäme sich für Therese, die mit niedrigen Mitteln gegen sie arbeite und die Leute gegen sie aufhetze. in Konnersreuth seien keine Ordensschwestern und sie sei dort Helferin der Konnersreuther. Wörtlich sagte sie:

"Daß Therese das tut, ist das Kennzeichen einer Intrigantin. Das ganze Betragen der Therese ist nicht das einer Heiligen, sondern einer Intrigantin und Hochmütigen." (22)

Es ist bezeichnend, daß Therese mit einer Reihe von ihren Biographen sich später überworfen hat. Über Prof. Wunderle entrüstet sie sich, weil er die Vorkommnisse in Konnersreuth nicht als übernatürlich erklärt hat. Über Dr. Witry zeigt sie sich empört, weil er ohne ihr Einverständnis eine Broschüre veröffentlicht hat und darin die Papstschwätzereien Lamas erwähnt. Über Ritter v. Lama, dessen Schriften sie genauso gelesen hat wie die anderen über ihre Person, war sie erbost, weil er unter anderem geschrieben hatte, der Heiland sei gegen eine Untersuchung in einer Klinik; über Lama beschwerte sie sich auch beim Bischof von Regensburg und verlangte, Lama müsse unbedingt erklären, daß seine Angabe nicht wahr sei. Sie drohte sogar, falls er sich nicht ihrem Wunsch füge, werde sie die Sache selber in der "Schildwacht" richtigstellen. Der Vielschreiber Lama wurde erst beanstandet, als er unbequem zu werden begann.

Dr. Westermayr war anfangs von der Echtheit der Konnersreuther Phänomene überzeugt, änderte aber sehr bald seine Auffassung vollständig. Solange er für Therese Neumann war, galt er etwas bei ihr; sobald er aber Bedenken vorzubringen wagte, warnte sie einen Seminaristen vor ihm (35).

Im Dezember 1930 reiste Pfarrer Naber nach Berlin. Im Tagebuch erwähnt er, er sei dorthin "in dringender Angelegenheit" gefahren, Zuvor prophezeite ihm Therese im ekstatischen Zustand er werde befriedigt zurückkehren, was auch in ganz auffälligem Maß eingetreten sei (24). Um welche dringende Angelegenheit hat es sich gehandelt! Das erzählte der Gastwirt in Konnersreuth Frau M. Hartmann aus Breslau: Kaplan Fahsel habe Krach mit Therese und dem Pfarrer bekommen. "Aber der Pfarrer ist gleich am nächsten Tag dem Kaplan nach Berlin nachgefahren." (25) Der Bruch wurde wieder gekittet.

Mit den Benefiziaten von Konnersreuth überwarf sie sich sobald sie merkte, daß sie tiefer blickten, Benefiziat Alois Weber kam im Jahr 1924 nach Konnersreuth. Bei einer Unterredung mit dem Domkapitular Dr. Reichenberger erklärte er, er habe seit 1925 nur mehr wenig Berührung mit Therese Neumann gehabt. Das habe sich so herausgebildet auf Grund seines Verhältnisses zu Pfarrer Naber. Er sagt:

"Wenn ich über Therese eine andere Ansicht gehabt hätte als der Pfarrer, würde ich vielleicht in Konflikt gekommen sein, deshalb habe ich mich zurückgehalten."

Sehr gut hat sich Therese mit dem Nachfolger, Benefiziat Härtl, vertragen. Man muß aber dabei bedenken, daß dieser sich um den Posten beworben und daß Theres selber "in der Ekstase" seien Versetzung nach Konnersreuth vorgeschlagen hat. Entgegen dem Rat des Generalvikars Dr. Höcht wurde ihrem Verlangen stattgegeben (26).

Ausnehmend schlecht war es bestellt um die Beziehung der Therese zu zwei anderen Benefiziaten von Konnersreuth. Sobald sie merkte, daß sich die Seelsorger nicht täuschen ließen, wurde ihnen das Leben sauer gemacht. Dem einen hat sie eines Tages mit dem "Heiland" gedroht, indem sie sprach: "Der Heiland hat uns am letzten Freitag schon mehr über Sie wissen lassen." (27) Es waren seltsame Methoden, womit die beiden Benefiziaten gezwungen wurden, das Feld zu räumen. Wie groß Thereses Nächstenliebe war, verdeutlicht ein Hinweis in ihrem Brief vom 13. März 1944 an den Bischof von Regensburg:

"Sag Ihnen recht herzlichst Vergelts Gott, daß Sie uns wieder einen guten Herrn geschickt. Ganz anders als sein Vorgänger. Recht eifrig und brav. Geht nicht in den Häusern müßig zum Schwätzen rum."

Am 20. Juli 1931 schrieb Baronin Erika Augusta von Gleich nach vorausgegangenen schweren Zerwürfnissen einen Brief an Therese Neumann (28). Der Brief beginnt mit den Worten:

"Damals, als die grenzenlose Enttäuschung, die Du mir bereitetest, mithin mir auch die heilige Kirche ins Wanken brachte, die Bilder meiner lieben Heiligen mit schwarzen Tüchern umhing und ich die Worte jener verstehen lernte: Wenn alle kanonisierten Heiligen sich so benommen haben, dann danken wir für Kirche und Heilige damals schrieb ich mehrere Briefe, auch einen an Dich."

Diesen sandte die Baronin allerdings nicht ab, weil sie wußte, daß Therese ihn doch nicht lesen würde. Sie wirft der Stigmatisierten vor, daß sie immer zu Ausreden greife, daß sie sich immer im Recht dünke und nur ihren eigenen Willen durchzusetzen verlange, daß sie sich "wie ein ungezogenes Kind" benehme. Wörtlich heißt es:

"Du verlierst Dich in Kleinigkeiten einesteils, in Sünden des Argwohnes, des Jähzornes (= gach), der Nachtragerei andernteils.... Und da Du offenbar weit eher den Splitter in das Andern Auge siehst, als den Balken in Deinem Auge, so muß ich an Dich schreiben, daß Du nicht allein Dich selbst, sondern auch die Kirche schädigst, und sehr viele arme Schäflein, die nicht meinen felsenfesten Glauben an Christus haben, verstört davon rennen. Du tadelst, wenn der Rock nicht bis zum Knöchel, der Halsausschnitt nicht bis zur Kehlgrube geht, drohtest mit der Hölle, vergißt aber das Wort Christi: ,Wenn Du zum Altar gehest ... ' Nachdem Du fremden, guten Menschen mit Peitschenhieben der Zunge Wunden geschlagen, gehest Du seelenruhig zur Kommunion und vergißt das Wort: ,Der ißt und trinkt sich selber das Gericht.' Da muß man doch an Dir und der Kirche irre werden wenn Presse, Pfarrer und Einige Dich als Heilige ansehen. ... Damit, daß Du bloß zum Herrn Pfarrer sagst: ,Ich bin halt gach, nachher ist's mir leid', ist es nicht getan. ... Es wäre kein Mangel an Liebe, wenn der Deine (=Beichtvater - D. V.) einmal Deine seelische und leibliche Nahrung entziehen würde, bis Du es lernst, die von Dir Getroffenen und Vergifteten zu bitten und mit dem Balsam eines liebevollen Wortes die Wunden zu schließen."

3. Wahrheitsliebe

Hätte Boniface recht, dann wäre eine Grundtugend der Therese Neumann unbedingte Wahrheitsliebe gewesen. In der Schule schon sei sie ihrem Lehrer, ihrem Pfarrer und auch ihren Eltern besonders aufgefallen "durch eine unüberwindliche Abneigung vor der Lüge, eine Abneigung, die zum Teil als überspannt empfunden wurde". Schon allein das, was wir bisher gehört haben, zeigt, daß diese Mitteilung nicht glaubwürdig ist.

Wären Thereses Beteuerungen wahr, dann müßte sie tatsächlich anders veranlagt gewesen sein als die übrigen Kinder; ein Märchenalter wäre ihr fremd geblieben. Märchen habe sie nämlich, schreibt Gerlich (1), nie hören mögen. Bereits im ersten Schuljahr sei es ihr fremd vorgekommen, wenn die Lehrerin Märchen erzählte; sie habe sich dabei gedacht: "Was wird denn dies für eine Lüg' gewesen sein?" Ihm selber habe sie lebhaft versichert, sie habe nie "etwas Zusammengedichtetes gelesen, wie Romane oder Kalendergeschichten". Die bedingungslose Wahrheitsliebe der Therese Neumann bestätigte auch ihre ehemalige Lehrerin. Sie erinnerte sich, einmal die Fabel vom Fuchs und von den Trauben erzählt zu haben. Da sei die kleine Therese "ganz entrüstet" aufgestanden und habe gerufen: "Aber Fräulein Lehrerin, das ist doch gelogen! Ein Tier kann doch nicht reden!" - Die anderen Kinder haben das natürlich auch gewußt.

Wenn Gerlich schreibt: "Wir müssen bei Hysterischen an eine seelische Veranlagung denken, die aus krankhaftem Geltungsdrang erfahrungsgemäß auch zu Lüge und Betrug greift", so urteilt er richtig. Es trifft genau auf Therese Neumann zu. Es ist ein großes Wort, das die Stigmatisierte von Konnersreuth dem Erzbischof von Lemberg gegenüber ausgesprochen hat: "Man hat uns zu Hause so streng zur Wahrheit angehalten, daß ich nie in meinem Leben gelogen habe." Ähnlich versicherte sie Herrn v. Aretin: "Ich habe nie in meinem Leben eine Lüge über die Lippen gebracht; so sind wir erzogen worden." (3) Der Pfarrer bezeugt: "Eher läßt sich die Resl in Stücke hauen, als daß sie wissentlich die Unwahrheit sagt."(4) Dem Benefiziaten Joseph Plecher, der ihr eine offenkundige Lüge zum Vorwurf machte, erklärt sie: "Glauben Sie, ich getraute mich täglich zur hl. Kommunion zu gehen?" Um im Jahr 1953 erklärt sie unter Eid:

"Ich darf anfügen in aller Demut, daß ich mit Gottes Hilfe niemals veranlaßt war, über Fehler des sechsten, siebenten und achten Gebotes (bewußtes Lügen und dgl.) mich in der Beicht anzuklagen."

Die Reihe der Beteuerungen könnte fortgesetzt werden. Sie, die in ihrem ganzen Leben nie gelogen haben will, war jedoch rasch zur Hand mit dem Vorwurf anderen gegenüber. Sogar Regensburger Domherren, ja selbst dem Bischof machte sie zu Unrecht den Vorwurf der Lüge.

Wie steht es mit ihrer unbedingten Wahrheitsliebe? Gerlich berichtet aus ihrer Kinderzeit, ihr Vater sei sehr streng gewesen. Wenn er von seinem Platz aus, auf der Empore in der Kirche, bemerkt habe, daß eines seiner Kinder beim Gottesdienst schwätzte, so mußte der Ruhestörer zu Hause "auf Holzscheiten knien und den Rosenkranz beten".

"Therese erzählt, daß ihre jüngeren Schwestern Anna und Ottilie öfters dieser Strafe verfielen, Marie und sie selbst aber nicht."

Was hier Therese sagt, klingt anders als ein späteres Bekenntnis, von dem Teodorowicz (6) zu berichten weiß:

"Der Ortspfarrer erzählte mir, ... daß sie sich in der Kirche umsieht und so schwatzhaft ist, daß die Eltern sie zur Strafe auf kantigem Holz knien lassen, wie mir Therese selbst lächelnd erzählte."

Es ist nicht das einzige Mal, daß sie ihre Schwatzhaftigkeit in der Kirche eingestanden hat. Im "Konnersreuther Wochenblatt" 1927 ist zu lesen:

"Irgendwelche Besonderheit an dem Kind fiel nicht auf. Therese war ein Kind wie alle anderen auch. Und wenn Therese heute von ihrer Kindheit erzählt, daß sie z. B. auf Holzscheiten knien mußten, wenn sie in der Kirche schwätzten, so überkommt sie eine fröhliche Stimmung der Erinnerung an ihre Jugendjahre."

Dem einen gesteht sie, ihrer Schwatzhaftigkeit wegen wiederholt bestraft worden zu sein; dem anderen versichert sie, das sei nie der Fall gewesen, und dieselbe Therese rühmt sich, nie in ihrem Leben gelogen zu haben!

Boniface lobt in seinem Bericht über Thereses Kindheit:

"Ihre starke Frömmigkeit fiel allgemein auf. Besonders beobachtete man, daß sie die Leidensgeschichte, trotz aller Bemühungen sich zu beherrschen, nicht anhören konnte, ohne zu weinen."

Ähnlich drückt sich Franz Huber aus; er beruft sich auf die Aussage des Pfarrers von Konnersreuth. Demnach soll Therese schon als Schulkind "auffallend tief religiös veranlagt" gewesen sein. ja sie sei "ganz anders als die anderen Kinder" gewesen. Ein anderes Bild zeichnet Gerlich (8):

"Therese Neumann zeigte nach übereinstimmenden Angaben - auch denen ihres Seelenführers Pfarrer Naber - niemals ein über die gewohnte Frömmigkeit der überzeugten Katholiken hinausgehendes religiöses Verhalten."

Im gleichen Sinne schreibt Lama:

"Nach dem Urteile des Herrn Pfarrers Naher, der Therese Neumann seit 18 Jahren kennt, war diese schon in der Schule durch nichts hervorragend, auch nicht in den Äußerungen ihrer Frömmigkeit." (9)

Wer hat hier recht? Daß weder Pfarrer Naber noch Therese Neumann bei der Wahrheit geblieben sein können ist geradezu handgreiflich.

Gerlich (10) und andere berichten von Blasen- und Mastdarmstörungen, die sich bei Therese Neumann nach einem Fall von der Kellerstiege eingestellt hätten. Sie konnte von da ab die Ausscheidungen nicht mehr zurückhalten und verunreinigte die Leib- und Bettwäsche.

"Weil sie sich nach der üblichen Art junger Mädchen dessen außerordentlich schämte, ließ Therese Neumann ihre Mutter auf dem Glauben, die jüngere Schwester, bei der freilich auch früher nie Derartiges beobachtet worden war, sei die Kranke, während in Wirklichkeit der Sturz von der Kellerstiege ihr zu den übrigen Störungen auch dieses gebracht hatte."

Offensichtlich hat Therese hier ihre Mutter angelogen, und es klingt unglaubhaft, daß die Mutter den Schwindel geglaubt und ihn nie entdeckt haben soll. Wie hätte auch Therese die jüngere Schwester verdächtigen können, die gesund war und nie früher das Bett verunreinigt hatte? Hätte denn nicht ihre Schwester Ottilie, die damals im 16. Lebensjahr stand, einen viel größeren Heroismus gezeigt als Therese, wenn sie sich eine glatte Lüge hätte tatsächlich gefallen lassen?

Die Zeit vom 23. April bis zum 10. Juni 1918 verbrachte Therese Neumann im Krankenhaus von Waldsassen. Ihre Blasen und Mastdarmstörungen besserten sich jedoch nicht, obwohl sie

das Bett hüten mußte. Aber sie brachte es fertig, daß niemand von ihrem Gebrechen etwas gemerkt hat.

"Die Schwestern des Krankenhauses hatten ihr eine Menstruationsunterlage gegeben, die sie untertags im Bett behielt, nachts aber zum Trocknen im Gang aufhing, wo die Putzlumpen und mehrere derartige Decken aufgehängt werden, während sie statt deren sich einen Unterrock unterlegte." (11)

So kann es nicht gewesen sein, auch wenn Therese sich Gerlich gegenüber dafür verbürgt hat. Daß die Schwestern in einem Zeitraum von sieben Wochen nicht ein einziges Mal diese List gemerkt haben sollen, ist einfach undenkbar. Zudem, wenn ein Patient sein Leiden verheimlicht, wie soll dann der Arzt helfen können? Unglaubwürdig ist auch, daß die Schwestern für die ganze Zeit eine Menstruationsunterlage gegeben hätten. Ferner war bei Therese seit dem Sturz von der Kellerstiege die Menstruation ausgeblieben; sie hatte während ihres Aufenthalts in Waldsassen keine Menstruation (12). Also hat sie auch keine Unterlage gebraucht. Das wußten sowohl Ärzte als auch Schwestern, und im übrigen war eine Blasen- und Mastdarmlähmung, wie Dr. Seidl ausdrücklich versichert, nie vorhanden.

Als Therese Neumann ins Krankenhaus von Waldsassen kam, kann es mit ihrer Heiligkeit nicht weit her gewesen sein. Von Anfang an will sie gegen den behandelnden Arzt eine starke Abneigung gehabt haben. Sie habe ihm nicht alle ihre Leiden geoffenbart. Ein merkwürdiger Patient, der ins Krankenhaus geht, um vom Arzt geheilt zu werden, der aber den Arzt hinters Licht führt! Dann aber verkündet die "hl. Theresia": "Kein Arzt kann dir helfen."

Schon damals im Krankenhaus will Therese so schreckliche Krampfanfälle gehabt haben, daß die Krankenschwestern meinten, es gehe mit ihr zu Ende. Trotzdem soll der Arzt allein auf Magensenkung behandelt haben. Wie Therese behauptet, durfte sie "nichts als nur Milch" trinken. Sie hielt sich allerdings nicht an die Vorschriften des Arztes, sondern aß Butterbrot und alles, was ihr Familienmitglieder brachten (13).

Es ist schon äußerst unglaubwürdig, daß der Arzt als Leiden eine Magensenkung , konstatiert hat. Nirgends ist die Rede von einer eingehenden Untersuchung, die zu dieser Diagnose geführt hat. Aber selbst wenn der Arzt darin das Grundübel gesehen hätte, ist die Angabe der Patientin einfachhin ausgeschlossen, sie hätte nach der "Lendenwirbelverrenkung"! sieben Wochen hindurch nichts anderes bekommen als Milch. Magensenkung wird nicht durch Fasten kuriert, sondern dadurch nur bestärkt, ja geradezu hervorgerufen. Eine solche Fehlbehandlung konnte dem Arzt gar nicht unterlaufen und auf keinen Fall hätte er eine ausgesprochene Roßkur verordnet.

Nach Boniface (14) war Therese früher mit einem gesunden, starken Appetit gesegnet. Weil sie nicht satt wurde, hat sie ihren ersten Aufenthalt im Krankenhaus im März und April 1918 unter dem Vorwand abgebrochen, die ihr von Dr. Göbel auferlegte Diät sei unerträglich, "trotz der vielen Zugaben, die Schwestern und Freunde ihr ins Krankenhaus brachten". "Sie behauptete glatt, man wolle sie verhungern lassen." Trotz der vielen Zugaben von Verhungernlassen sprechen, das ist wider die Wahrheit.

Kann ein vernünftiger Mensch glauben, was Therese über ihre Erstkommunion berichtet hat? Das einemal bekennt sie, auch beim Gottesdienst in der Kirche sehr schwatzhaft gewesen zu sein, später versichert sie, bei der Erstkommunionfeier eine Vision gehabt zu haben (15). Kann der Wahrheit entsprechen, was sie am 21. November 1937 an den Bischof von Regensburg geschrieben hat? Sie wirft zwei Domherrn Anstiftung zum Lügen vor:

"Die beiden Domherren... sagten mir, ich solle den Meinigen sagen, daß ich bloß eine Reise mache in die Schweiz oder irgendwohin." (16)

Nie und nimmer haben diese solch einen plumpdummen Rat gegeben. Dr. Radlo veröffentlichte im Jahr 1938 den genannten Brief; das gleiche geschah im darauffolgenden Jahr im "Benediktusboten". Daraufhin erging vom Regensburger Bischöflichen Ordinariat die Aufforderung zur Richtigstellung. Die beiden Domherren Doeberl und Wührl versicherten, sie hätten seinerzeit Therese davon in Kenntnis gesetzt, die geforderte Beobachtung solle in Regensburg erfolgen. Schon aus diesem Grunde hätten sie gar keinen Anlaß gehabt, ihr eine Notlüge oder ein Hintergehen der Eltern zuzumuten. Zum Schluß heißt es: "Diese Darstellung Dr. Radlos und ihre Grundlage, die briefliche Äußerung der Therese Neumann, ist objektiv falsch und für uns kränkend." Eine entsprechende Erklärung wurde vom Bischöflichen Ordinariat auch an Therese Neumann selber geschickt, "ohne daß sie sich gerechtfertigt oder entschuldigt hätte". Am 1. Januar 1942 teilte Ludwig Dietz dem Bischof von Regensburg mit, auf Anfrage in Konnersreuth im Jahr 1939 sei ihm mitgeteilt worden, "daß Therese Neumann ihre Behauptung nach wie vor aufrecht erhält" (17).

Teodorowicz sprach eines Tages mit Therese Neumann über die geforderte klinische Untersuchung (18). Auf ihre Ausrede, der Vater gestatte diese nicht, meinte der Bischof, sie sei doch volljährig und könne selber entscheiden. Darauf erwiderte sie:

"Das ist wohl richtig, ich bin großjährig; ich bin aber auf andere angewiesen und ich bin eigentlich mehr minderjährig als ein zehnjähriges Kind. Nicht einmal mein Zimmer kann ich allein aufräumen."

Wie kann man das in Einklang bringen mit der Wirklichkeit? Therese vermochte Reisen, sogar lange und beschwerliche Reisen, zu unternehmen. Schon im Jahr 1927 gestattete es ihre gesundheitliche Verfassung, mit Prof. Wutz ausgedehnte Autoreisen durch ganz Bayern zu machen (19). Es verging kein Jahr, in dem sie nicht wiederholt wochen, ja monatelang von Konnersreuth abwesend war. Es ist bezeichnend, daß sie sich bereits im Frühjahr 1928 mit dem Gedanken trug, nach Rom zum Papst zu fahren. Natürlich gab sie an, eingeladen worden zu sein. So schreibt sie am 19. Mai 1928 an den Bischof von Regensburg, sie wisse "ganz bestimmt", daß der Papst ihren Besuch wünsche (vgl. Anhang, S. 450). Im Jahr 1936 sprach sie wieder von ihrem Entschluß, zum Papst zu fahren. Dieser soll sie durch eine Bologneser Dame zu einem Besuch eingeladen haben. Im Brief vom 21. November 1937 erzählt sie davon auch dem Bischof von Regensburg. Zunächst fordert sie "ihn um Antwort und Rat" auf, andernfalls werde sie selber dem Hl. Vater schreiben. Dann fährt sie fort:

"Wollte ihn heuer gern besuchen, da wir vom vorigen Jahr eine Karte haben, wo er mir schreiben ließ, ich möge nur kommen, aber bald. Und bald darauf wurde der gute Herr so krank, wo ich dann viel für ihn betete und litt."

Es ist durchaus unglaubwürdig, daß der Papst in einer derart merkwürdigen Form eine Einladung ausgesprochen hat. Jedenfalls war die ausgesprochen Reiselustige in keiner Weise hilflos wie ein minderjähriges Kind.

Therese berief sich gern auf hohe Gönner. Im Gespräch mit Dr. jur. Herm. Mersmann (20) betonte sie nachdrücklich "ihr Einvernehmen mit der Kirche". Dabei verwies sie auf den Besuch des Regensburger Bischofs in Konnersreuth und die dort von ihm gehaltene Ansprache, in der vom Segen die Rede war, der von Konnersreuth ausgegangen sei. Weiter behauptete sie, der Hl. Vater habe ihr 150 Rosenkränze zum Verteilen übersandt. Der Papst soll erklärt haben: "Da werde die Resl eine Freude haben, sie zu verteilen; sie solle brav sein." Die Kreuze sollen Erde aus den Katakomben enthalten haben. Gewiß bekam Therese Rosenkränze zugeschickt, aber nicht vom Papst. Der Lieferant ist bald bekannt geworden, nämlich der Amerikaner Rudolf Hodik, Seelsorger in einer kleinen Pfarrei bei Detroit, der Therese Neumann oft besucht hat. Von 1932 an hat er Jahrzehnte hindurch Amerika bereist und gegen klingenden Lohn Vorträge gehalten über Therese Neumann und Pater Pio. Dabei standen ihm Bilder und photographische Aufnahmen, auch Farbaufnahmen, zur Verfügung, die er sich in Konnersreuth besorgt hatte. Er versicherte zwar, das durch seine Vorträge erhaltene Geld an P. Pio und Therese Neumann zu schicken, aber in erster Linie verwandte er es für persönliche Zwecke. Am 30. März 1958 berichtete eine Familie Koch aus Detroit dem Bischof von Regensburg über den Pfarrer. In dem Schreiben heißt es unter anderem:

"Unter anderen Dingen behauptete Fr. Hodik, daß er Therese für 100 Dollar Rosenkränze geschickt habe, die unter den amerikanischen Besatzungstruppen ausgeteilt wurden und Therese schrieb für mehr, nachdem ihr die so gut gefallen haben. Er ließ den Brief niemand sehen oder lesen. ... Es ist nicht wegen den Rosenkränzen schicken; die kauft er so billig in Italien und läßt sie schicken; wer weiß denn, ob es wahr ist, daß dieselben vom Heiligen Vater geweiht sind, sondern um die Unwahrheiten, die er angibt, damit die Leute große Beträge für Therese abgeben." (21)

Im Jahr 1955 erschien im Münsterer Bistumsblatt "Kirche und Leben" unter dem Titel "Vom Niederrhein nach Konnersreuth" ein Artikel, in dem über das neue Friedhofskreuz in Konnersreuth berichtet wurde. Da hieß es unter anderem: Im Kreuz sei eine Partikel vom Kreuze Christi verborgen worden, die der Hl. Vater in einer silbernen, mit dem päpstlichen Siegel versehenen Kapsel eigens zu diesem Zweck an Therese Neumann geschickt habe. Auf Wunsch der Stigmatisierten sei das Kreuz aus schwarzem, schwedischem Granit angefertigt worden; Therese bezeichne das Kreuz als "mein Kreuz". Im November 1952 habe Therese dem Künstler ihren Herzenswunsch anvertraut: "Nach meinem Tode" sagte sie, "wird Konnersreuth noch mehr besucht werden als heute; dann soll das, was ich während meiner Leidenszeit sehe, für jedermann sichtbar sein." Der Künstler solle "das Kalvaria ihrer Visionen" festhalten. Auf eine entsprechende Anfrage vom 15. April 1955 forderte das Bischöfliche Ordinariat den Pfarrer von Konnersreuth auf, Aufschluß über die Sache zu geben. Therese Neumann versprach zwar, am 28. April selber nach Regensburg zu fahren, tat es aber nicht. Sie gab auch keine Stellungnahme ab, obwohl sie es versprochen hatte. Der Pfarrer entschuldigte sie, Therese sei "bisher durch Anderweitiges so sehr in Anspruch genommen", daß sie nicht dazu komme. Was tat der Pfarrer selbst? Er gab zunächst lange keine Antwort, und auf eine Mahnung erklärte er einfach: "Das eilt nicht." Erst am 7. Juni gab er Antwort. Er bezeichnete die Angaben im Münsterer Bistumsblatt insgesamt als falsch. Aber wer hat dann die ganze Darstellung des Münsterer Bistumsblattes frei erfunden? Pfarrer Naher verdächtigte den Künstler selbst. Er sprach die Vermutung aus, "daß der Steinfachmann SchmitzWickermann, der den Entwurf für das Friedhofkreuz anfertigte, die fraglichen Angaben gemacht habe, um möglichst berühmt zu werden" (22). Es scheint zuzutreffen, daß die Angaben von dem Künstler stammten; aber unglaubwürdig ist, daß er alles zusammengelogen hat. In Wirklichkeit stützte er sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf tatsächlich gemachte Äußerungen der Therese Neumann. Wer war dieser Künstler? Wie Anni Spiegl schreibt, hatte der Steinmetzmeister Karl SchmitzWickermann das Friedhofkreuz gestiftet. Der Künstler, der an einem "unheilbaren Rückenmark-Leiden" erkrankt war, war am 7. Dezember 1933 mit seiner Gattin nach Konnersreuth gekommen. Am vierten Tag seines Aufenthalts soll er plötzlich geheilt worden sein. Von da ab war er wiederholt Gast in Konnersreuth. Er fühlte sich so mit Therese verbunden, daß er auf eigenen Wunsch nach seinem Tod im Jahr 1961 neben dem Friedhofkreuz beigesetzt wurde, ebenso auch seine Gattin im Jahr 1963. Ohne Zweifel geht der erwähnte Artikel im Münsterer Bistumsblatt auf die Angaben des Steinmetzmeisters zurück, denn er wohnte in Süchteln, an der niederrheinischen Grenze des Bistums Münster. Der Artikel "Vom Niederrhein nach Konnersreuth" wurde entweder unmittelbar von Schmitz-Wickermann oder von einem anderen auf seine Angaben hin geschrieben. Welchen Grund sollte er gehabt haben, Lügen zu verbreiten, "um möglichst berühmt zu werden", da er sich durch die Hilfe der Stigmatisierten von Konnersreuth wunderbar geheilt glaubte? Pfarrer Naher hat Ende April 1955 eine Abschrift seiner Antwort auf den Artikel im Münsterer Bistumsblatt an das Regensburger Ordinariat gesandt. Die "Richtigstellung" erfolgte jedenfalls bis zum 7. Juni nicht. Hat Naher überhaupt seine "Antwort" nach Münster geschickt? Eine entsprechende, wiederholte Anfrage durch den Verfasser dieser Schrift wurde leider vom Münsterer Bistumsblatt nicht beantwortet.

Aus dem Gesagten ergibt sich bereits ein Urteil über die Mitteilung, die Boniface bringt (23a). Er schreibt, Therese habe von Papst Pius XI. eine echte Beinreliquie des hl. Franziskus zum Geschenk erhalten.

Die Stigmatisierte hatte große Freude, wenn sich Bischöfe in Konnersreuth einfanden, und sie selbst hat oftmals Bischöfe besucht, z. B. in Eichstätt, Regensburg, München, Salzburg, Speyer und Chur. Teodorowicz hat Therese auch in diesem Fall gegen Vorwürfe in Schutz genommen. Sie lade sich doch nicht selbst ein und sie dränge sich niemandem auf. "Sie muß also von einem der Bischöfe ausdrücklich eingeladen worden sein, und ein solcher Wunsch ist ihr Befehl." (24) Leider war ihr die Aufforderung des zuständigen Bischofs, der Bischöfe Bayerns, der römischen Kurie zu einer klinischen Beobachtung weder Wunsch noch Befehl; sie bedeutete Therese gar nichts.

Boniface weiß, wie gern und hart Therese gearbeitet hat: "Sie kennt und liebt die Feld- und Gartenarbeit, und trotz ihres Alters und trotz der schmerzhaften Stigmata gehört sie fast zu ihrer täglichen Beschäftigung. In diesem ärmlichen Ort, wo jeder durch harte Arbeit sein Brot verdient, erzählt man, daß die nunmehr 60jährige ... es mit jedem Bauernknecht aufnimmt, der dort mehr als anderswo durch viel Schweiß und Mühe verdienen muß. Sie fürchtet sich vor keiner Arbeit und beim Reinigen des elterlichen Kuhstalls greift sie fest zu." (25)

Dieselbe Person soll hilflos gewesen sein wie ein zehnjähriges Kind? Sie soll nicht einmal fähig gewesen sein, ihr Zimmer aufzuräumen? Eine ausgesprochene Kraftnatur, wie Teodorowicz sie schilderte (26), kann doch nicht zugleich ein hilfloses Kind sein.

"Der Wille", so schreibt der Erzbischof, hat bei Therese Neumann die Oberhand über ihre Gefühle und Launen. Therese Neumann ist in jeder Beziehung ein starker Typ; sie ist versessen auf alles, was der Ausdruck strotzender Kraft ist, daher hat sie auch nie weibliche Handarbeiten gerne. Doch fühlt sie sich an der rechten Stelle, wenn es gilt, die Ochsen und Pferde anzuspannen und zu lenken. Ich hörte sie einmal mit freudigem Aufleuchten ihrer Augen erzählen, als der Sturm die Mauern erbeben machte und Regenschauer an die hohen Kirchenfenster rüttelte. Das Toben der entfesselten Naturkräfte war für ihr Ohr die schönste Musik."

Teodorowicz findet ebenso rühmende Worte für die Wahrheitsliebe der Eltern der Stigmatisierten:

"Diese Leute sind so wahrheitsliebend", sagte mir der Pfarrer, "daß, wenn Therese in irgendeiner Weise die Wahrheit verletzt hätte, sie von ihren Eltern öffentlich würde angeklagt werden." (27)

Aber wie wenig der Vater die Wahrheit geliebt hat, zeigen seine Briefe an den Bischof von Regensburg zur Genüge.

Dem Pfarrer von Münchenreuth, Leopold Wirt, versicherte Therese:

"So oft der Freitag überstanden ist, beseitige ich alle Blutspuren, so viel ich kann. Was sich nicht waschen läßt, verbrenne ich. Von den blutgetränkten Tüchern soll niemandem etwas in die Hände fallen." (28)

Das waren zwar schöne Worte, aber danach gehandelt hat Therese nicht. August Ackermann wurde im Jahr 1932 in Konnersreuth versichert, "alle Tücher würden aufbewahrt" (29). Therese brüstete sich einmal damit, daß sie "einen Kasten voll Herzflecken", das heißt Mullbausche, besitze. Solche "Reliquien" wurden nicht bloß aufbewahrt; Therese selber hat zuweilen Besuchern blutgetränkte Mulltücher ausgehändigt und gelegentlich dabei erklärt, der Heiland erlaube die Mitnahme. Sie hatte nichts dagegen, wenn während ihrer Ekstasen Farbaufnahmen gemacht und später die Bilder vorgezeigt wurden; sie selber lud zu den Darbietungen ein und nahm am Vorführen der Bilder teil. Ein Bruder der Stigmatisierten machte auch Tonaufnahmen von Äußerungen, die Therese während ihrer ekstatischen Zustände abgab. (30)

In Briefen, die das Generalsekretariat der Katholischen Filmliga in Deutschland 1955 an den Bischof von Regensburg sandte, wird gesagt, es hätten bereits Verhandlungen mit dem Bruder der Stigmatisierten hinsichtlich der Vorbereitung von Dokumentaraufnahmen, etwa 300 Meter, stattgefundene (31). Filmaufnahmen wurden bereits am Karfreitag 1927 auf Veranlassung des Konnersreuther Pfarrers gemacht. Die Besucher in Konnersreuth, unter ihnen der Münchner Arzt Dr. Müller, wurden an diesem Tag nicht vorgelassen, und zwar unter dem Vorwand, "daß Therese angeblich sehr schwer leidend und außerordentlich schwach sei". Aber später erfuhren sie, "daß nicht die schwere Erkrankung der Therese Neumann die eigentliche Ursache des Besuchsverbots war, sondern eine Filmaufnahme, welche von drei Herren während des ganzen Vormittags vorgenommen wurde". Die Herren waren Dr. Wutz, Prof. Dr. Pabstmann von Bamberg und Privatdozent Dr. Schneller von Erlangen (32). Wie schwer Therese krank war, läßt die Tatsache erkennen, daß sie bereits am Ostersonntag den Gottesdienst in der Kirche besuchen konnte.

In einem Schreiben vom 15. Oktober 1949 an Therese Neumann faßte die Schriftstellerin Maria Barbara Kolb ihre bittere Enttäuschung in einer Reihe von Punkten zusammen, die ihren bisherigen Glauben an die Echtheit der Konnersreuther Phänomene zerstört hatten. Frl. Kolb hatte Abschriften des Briefes an einige deutsche Bischöfe versandt, unter ihnen an den Bischof von Regensburg. Unter anderem kam sie auf die Stellung der Stigmatisierten von Konnersreuth zu dem Arzt Dr. Mittendorfer zu sprechen. Therese verteidigte sich am 21. März 1950 in einem Schreiben an den Bischof gegen die im Brief vorgebrachten Bedenken und Anklagen und sagt z. B., sie habe bisher keine Gelegenheit gehabt, Dr. Mittendorfer den an sie Mitte Oktober des vergangenen Jahres adressierten Brief lesen zu lassen. Schon dies kann nicht der Wahrheit entsprechen. Es ist einfachhin undenkbar, daß Therese in diesem langen Zeitraum dem Mann, der im Brief der spanischen Schriftstellerin eine wesentliche Rolle spielte, dem "Leibarzt" der Therese, wie Frl. Kolb ihn bezeichnet, den Brief vorenthalten hätte. Vielmehr läßt sich das Gegenteil beweisen. Am 31. März 1950 behauptet Therese, sie habe noch keine Gelegenheit gehabt, Dr. Mittendorfer den Brief lesen zu lassen. Aber dieser geht bereits am 6. März in einem Schreiben an Frl. Kolb auf ihren Brief ein. Wie kann er das, ohne den Brief gekannt zu haben? Weiter: Es war bereits früher von Spritzen die Rede, die Dr. Mittendorfer Therese auf ihr eigenes Verlangen hin verabreicht hat. Im Brief an den Bischof sagt darüber Therese:

"Wegen der Spritzen, die ich bekommen soll, wissen wir hier alle gar nichts. Ich bekomme auch bestimmt keine. Daß ich einen eigenen Leibarzt haben soll, Dr. Mittendorfer, ist auch neu."

Nun, über den Begriff "Leibarzt" kann man streiten. Sicher ist, daß Dr. Mittendorfer Therese wiederholt sowohl in Konnersreuth als auch in Eichstätt betreut hat; der Arzt bezeichnete sich selber als "Resls Chauffeur", und Therese übernachtete in seinem Hause, wenn sie in München war. Ferner leugnet Therese ab, jemals Spritzen erhalten zu haben, was aber Dr. Mittendorfer selber eingesteht, und zwar im Brief vom 19. April 1950 an Frl. Kolb:

"Dabei möchte ich als Nächstes die Spritzen herausgreifen, die bei Frl. Therese Neumann in einer schweren, aussichtslosen, mit absoluter Sicherheit zum Tod führenden Erkrankung probiert wurden, deren therapeutische Erfolglosigkeit aber die Richtigkeit dessen bestätigte, was die kleine heilige Theresia ihren Schützling wissen ließ: nämlich, daß ihr ,kein Arzt helfen könne'. Die Spritzen nutzten nämlich nichts, aber sie führten zu der Erkenntnis, daß die Stigmatisierte arzneiresistent, ja giftfest sein müsse."

Damit ist Thereses Unaufrichtigkeit bestätigt. Es bleibt aber auch ferner zu fragen: Was war das für eine Krankheit, die mit absoluter Sicherheit zum Tod führen mußte? Wie hat Dr. Mittendorfer herausgefunden, daß Therese arzneiresistent, ja sogar giftfest war? Hat er ihr etwa ein todbringendes Gift verabreicht? Therese hat also Spritzen bekommen und ist nicht gestorben. Ist das der Beweis, daß die Spritzen nichts genutzt haben? Was besonders hervorgehoben werden muß, das ist die Tatsache, daß Therese den Bischof angelogen hat.

Bekannt ist, daß Therese in ihrem Zimmer eine Menge der schönsten Vögel gepflegt hat. Im Jahre 1931 besaß sie "gegen vierzig ausländisch e Vögel mit wunderbarem Gefieder, männlichen Geschlechts, in einem in die Wand eingebauten Käfig mit Beleuchtung durch einen vom Dach heruntergehenden Lichtschacht (33). Auch in Eichstätt wurde im Wutz-Haus ihretwegen eine Reihe von Vögeln gehalten. Im Jahr 1939 war die erwähnte Schriftstellerin Barbara Kolb in Konnersreuth. "Ihre vielen wunderschönen exotischen Vögel in jenem engen Käfig" befremdeten sie sehr, und die spätere Erinnerung an sie weckte in ihr immer "ein Gefühl der Beklemmung". Thereses "Leibarzt" schlug der Schriftstellerin vor, sie möge doch Therese fragen, ob sie einen Exoten wünsche. Bei ihrem nächsten Besuch im Jahr 1949 hatte Frl. Kolb vor, "die Sammlung der Exoten", die ihr "trotz der seltenen Schönheit dieser Vögel schon vor zehn Jahren einen beklemmenden Eindruck" gemacht hatte, wieder zu besichtigen. Die Umstände brachten es mit sich, daß sie Thereses Zimmer nicht betreten und die inzwischen offenbar "bedeutend vergrößerte Sammlung" nicht betrachten konnte (34). In der Rechtfertigung dem Bischof gegenüber hat Therese dies einfach abgeleugnet. Sie schreibt ihm am 21. März 1950: "Da hab ich einen einzigen Exoten nur und 7 Stück einheimische." Im Jahr 1958 will Therese überhaupt keinen Exoten besessen haben. Ein Münchner Berichterstatter hatte von "piepsenden Wellensittichen" berichtet, die er im Zimmer der Therese vorgefunden hatte. Therese meinte dazu dem Reporter Albert Panzer gegenüber:

"Der gute Mann hat auch von Zoologie keine Ahnung, denn es waren keine Sittiche, sondern nur einige einheimische Waldvögel." (35)

Ob Therese die Wahrheit gesagt hat? Der Reporter Panzer bringt noch andere Äußerungen der Therese zu dem Artikel des Münchner Berichterstatters:

"Man holt mich in unserem Ort zu allen Kranken, daß ich sie tröste und für sie bete."

In einer Stellungnahme zu dem Artikel Panzers wird zu den Angaben von berufener Seite bemerkt:

"Die Angaben sind nicht in allen Punkten ganz zutreffend. Therese Neumann besucht manche Kranke, aber nicht alle." (36)

Therese Neumann besaß bereits im Jahr 1932 neben einer Menge anderer exotischer Vögel auch Wellensittiche. Sie erhielt von verschiedener Seiten wiederholt Vögel zum Geschenk. Dem Schriftsteller der "Welt am Sonnabend" antwortete Pfarrer Naber auf die Frage: "Was macht die Resl so den lieben ganzen Tag?":

"Sie pflegt ihre 30 Singvögel oder spielt mit dem Rehkalb, das man ihr zu Weihnachten geschenkt hat." Sie hatte aus Padua einen Vogel erhalten, der einging. "Therese grämte sich sehr darüber. Eine Lehrerin, die die Therese oft besucht, reiste nach Padua, um einen neuen Vogel zu holen." (37)

Dies geschah um das Jahr 1935. Therese hatte bis zu ihrem Tod auf ihrem Zimmer viele exotische Vögel.

Prof. Mayr schreibt nach ihrem Tode:

"Therese hielt sich bis zuletzt noch eine ganze Anzahl verschiedener Vögel. Für diese haben ihre Brüder in der dem Bett gegenüberliegenden Wand des Stübchens einen ziemlich großen, durch Glasfenster abgeschlossenen Raum geschaffen, in dem die Vögel frei fliegen und auf kleinen Bäumchen ruhen können" (37a)

In der Abwehr der Gegner schreckte Therese auch vor Verleumdungen nicht zurück. Wir wissen, was sie Dr. Ewald vorgeworfen hat. Am Freitagnachmittag, dem 22. Juli 1927, also während der Beobachtungstage im Elternhaus, beklagte sie sich sogar Dr. Wutz gegenüber, "Daß man ihr etwas in den Hals geschüttet hätte; sie wolle fort, sie halte das nicht mehr aus" (38). Das war eine ungeheuerliche Verdächtigung gegenüber den beobachtenden Schwestern. Auch dies beweist, daß Theres Neumann eine hochgradig hysterische Person war, Hysterische "lügen immer und lügen konsequent und raffiniert" (39)

Im Lichte all dieser Ungereimtheiten. Glatten Lügen und Verleumdungen, erscheint das Urteil von Prof. Dr. Franz Mayer unverständlich:

"Das ist ein Mensch, der gar nicht lügen kann. Sie war durch und durch wahrhaftig und konnte nichts weniger verstehen als Verstellung oder Verdrehung der Wahrheit." (40)

Wie wenig wahrheitsliebend Therese Neumann war, das wurde in jedem Kapitel dieses Buches offenkundig. Selbst was sie unter Eid ausgesagt hat, steht in vielen Punkten im Widerspruch zu den Tatbeständen, und so scheint es, daß das ganze Konnersreuther Gebäude von Anfang bis zum Ende ein "frommer Betrug" ist.

4. Demut

Von einem Heiligen fordert man und vor allem anderen mit Recht heroische Übung der Nächstenliebe, aber ebenso die Tugend der Demut. Bei Therese Neumann ist auffallend wenig von dieser Tugend zu sehen. Natürlich war es nicht ihre Schuld allein, wenn sie Formen voll Verehrung duldete, die unerhört sind. Sie zeigte nicht bloß den Besuchern bereitwillig die Stigmata an den Händen; "von vielen werden die Hände geküßt" (1) Therese nahm diese Handlung ohne Widerspruch hin. Während der Beobachtungszeit im Juli 1927 ließ sich Therese nicht nur die Hände küssen, sie weigerte sich auch nicht, "Andachtsgegenstände durch Berühren mit der Hand gleichsam zu weihen (2).

Im Herbst 1928 weilte der Religionslehrer und Studienrat Johannes Mollen in Konnersreuth. Anschließend sandte er einen Bericht an das Generalvikariat in Regensburg. Darin ist zu lesen:

"Mit mir traten einige Priester mindestens drei in das Zimmer ein. Alle außer mir warfen sich unmittelbar vor Therese auf die Knie, wobei wenigstens einer ihre Hand ergriff und sie küßte. So blieben alle während der ganzen, einige Minuten dauernden Audienz liegen. Therese ließ dieses geschehen, sagte allerdings zum Schluß zu einem: ,Stehen Sie nur auf!'"

Zu dem Dulden einer ungehörigen Verehrung wußte Pfarrer Naber zu sagen, wer Therese einigermaßen kenne, wisse auch, "Daß ihr nichts peinlicher ist, als Beweise persönlicher Verehrung und daß sie dieselben auf das kräftigste abwehrt" (3) Daß Therese auch späterhin nicht "auf das kräftigste abgewehrt" hat, sieht man in ihrem Verhalten bei einem kurzen Besuch im Kinderheim von Kallmünz um das Jahr 1950. Amerikaner hatten sie dorthin gefahren. Schwestern des Heimes küßten Therese die Hand, ohne daß Therese sich dagegen gesträubt hätte. Frau M. Hartmann hatte in Konnersreuth die Stigmatisierte noch nicht zu Gesicht bekommen, da sah sie eine Frau "leichtfüßig wie eine Katze" zum Pfarrhof laufen. Darauf rief Frau Hartmann den Gastwirt und fragte, ob diese Person Therese sei. Er antwortete:

"Ja! Sie ist für jeden am weißen Kopftuch erkenntlich. Alle Frauen tragen schwarze Kopftücher, nur Therese ein weißes, damit die Fremden sie leicht herauskennen."

Auch Dr. Seidl kommt in seinem Bericht vom 10. Oktober 1931 auf das weiße Kopftuch der Therese Neumann zu sprechen, das sonst niemand in der Gegend trage. Er erwähnt das im Zusammenhang mit einigen Angaben, die von ihrem Geltungsbedürfnis zeugen.

"Bei Erzählungen", sagt er, "hatte ich immer das Gefühl, daß sie besondere Dinge besonders unterstreicht, um das Übernatürliche zu betonen; es fehlt dabei die Harmlosigkeit... Es steht zu vieles im Widerspruch mit dem Beispiel der Heiligen; man hat das Gefühl, daß der mystischen Entwicklung mehr Wert beigelegt wird als der Verborgenheit, der Demut und des Gehorsams."

Als ihr Dr. Seidl Bilder zeigte, die von ihr gemacht worden waren, sagte Therese, "der Heiland habe es gewollt", daß die Aufnahmen gemacht wurden, "sonst wären sie nicht so schön geworden".

Benefiziat Härtl rühmt an Therese:

"Mit großer innerlicher Freude erträgt sie es, wenn sie irrtümlicherweise für irgendeinen Schaden usw. verantwortlich gemacht und darob zur Rede gestellt oder ausgezankt wird." (4)

Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Ein demütiger Mensch wettert nicht gegen andere, die ihm nicht zu Gesicht stehen, wie Therese es reichlich getan hat. Im "Konnersreuther Sonntagsblatt" findet man in immer wiederkehrenden Notizen Hinweise auf Beleidigungs- und Verleumdungsprozesse, in die sie verwickelt war; es handelt sich um etwa 20 Prozesse. Ja sogar dem eigenen Bischof hat sie indirekt mit gerichtlicher Klage gedroht. Prof. Dr. Engert hatte einen Artikel veröffentlicht, über den sich Therese aufregte. Im März 1939 schrieb sie einen Brief an den Bischof, worin sie erklärte, sie wisse aus ihrem Bekanntenkreis, daß der Bischof den Aufsatz vor der Drucklegung gelesen und gebilligt habe; er sei also dafür mitverantwortlich. Sie forderte den Bischof auf, Dr. Engert zu veranlassen, eine Reihe von angeblich unwahren Behauptungen zurückzunehmen; andernfalls sähe sie sich gezwungen, das Gericht zu Hilfe zu nehmen. Diese Drohung einem Bischof gegenüber befremdet, zumal da feststeht, das die Ausführungen Dr. Engerts auf Tatsachen beruhten. Prof. Engert wollte darauf überhaupt nicht antworten, aber auf Ersuchen des Bischofs schrieb er dann doch einen Brief an Therese Neumann, in dem er erklärte, für seinen Artikel sei nur er allein, nicht der Bischof verantwortlich. Zugleich ermahnte er Therese, sie möge sich doch endlich den Weisungen Roms und ihres Bischofs fügen. Eine Antwort auf den Brief erfolgte nicht, wohl aber erhielt Engert anonyme Briefe, in denen unter anderem zu lesen war, daß Dr. Deutsch nach seinem Tode vom Teufel geholt worden sei. Engert wurde ein ähnliches Schicksal angedroht (5). Thereses Brief an den Bischof ist auch sonst äußerst lehrreich. Besser kann gar nicht bewiesen werden, wie überaus empfindlich Therese gegen jede Art von Kritik war, obgleich ihre Biographien so nachdrücklich versichern, daß Therese das Urteil der Menschen völlig gleichgültig gewesen sei.

Es ist medizinisch bewiesen, daß bei einer hysterischen Person alles um das eigene Ich kreist. So sind auch Thereses demütige Beteuerungen in verschiedenen Varianten nur Ausdruck von Eigenlob und Geltungsdrang. Die veröffentlichten Berichte über Therese Neumann, vor allem ihre Briefe, sprechen eine zu deutliche Sprache. Es muß bei aufmerksamer Lektüre auffallen, wie Therese darauf aus war, daß man von ihr gehörig Notiz nahm.

Oft macht sie im voraus darauf aufmerksam, daß sich etwas Besonderes zu einer bestimmten Zeit ereignen werde. Hier sei nur an die Szenen mit der "unaufgelösten Hostie" erinnert. Therese ruft Angehörige zu sich, um ihnen sofort zu erzählen, daß eben der Schutzengel sie entkleidet und sie ins Bett gebracht habe. Sie erzählt von ihren Sühneleiden und läßt den "Heiland" selber darüber Aufschluß geben. Sie berichtet von ihren Visionen "mit einer unverhohlenen Freude, nicht ohne einen Zug von Selbstgefälligkeit", wie Prof. Ewald schreibt (6). So handelt kein heroisch demütiger Mensch.

Auf ihrem Krankenlager, so berichtet Steiner (7), sprach wiederholt eine Stimme zu ihr, die ihr unter anderem Heilung versprach. Es steckt ein gutes Stück Lob für Therese in dem, was die "Stimme" zu verkünden wußte. Unter anderem erklärt diese:

"Kein Arzt kann dir helfen. Nur durch Leiden kannst du deine Opfergesinnung und deinen Opferberuf am besten auswirken und dadurch die Priester unterstützen. Durch Leiden werden weit mehr Seelen gerettet, als durch die glänzendsten Predigten Ich habe es früher schon geschrieben."

Ein Beispiel aus Nabers Tagebuch vom Pfingstsonntag, dem 14. Mai 1931, sei hier zitiert:

"In der vergangenen Nacht um ungefähr 1 Uhr hat sich Therese in die Kirche geschlichen und dort auf einen Vespersessel gesetzt. Dort erschien ihr der Heiland und kam sie dann ins Gebet der Ruhe. Erst als jemand zum Engel-des-Herrn-Läuten kam, schlich sie sich davon." (8)

Welchen Grund sollte Therese gehabt haben, sich in die Kirche zu schleichen, da doch jedermann wußte, daß sie einen Sakristeischlüssel besaß, damit sie jederzeit, auch des Nachts, die Kirche besuchen konnte? Wer hat das Hinein und Hinausschleichen beobachtet? Wer hat sie auf dem Vesperstuhl gesehen oder gar von ihrer Vision eine Ahnung gehabt?

Therese Neumann weiß auch zu schildern, wie fromm sie bereits in ihrer Kindheit war:

"Als ich noch klein war, den Heiland noch gar nicht empfangen hatte, da bin ich schon von weitem auf den früheren Herrn Pfarrer zugelaufen und hab ihm die Hand leicht und zart gegeben aus Freude an seinen Händen, in dem Gedanken: Diese Hände haben heute früh den lieben Jesus gehalten und die darf ich jetzt berühren. Dies hat mich gefreut und froh bin ich dann wieder gegangen voll Freude am lieben Jesus. Oft habe ich gedacht: Wenn ich ein Bub wäre, würde ich auch ein Herr Pfarrer, dann dürfte ich auch den lieben Jesus halten. Wenn ich ein Herr Pfarrer geworden wäre, ginge es dem Heiland schlecht, so fest drückte ich ihn zusammen mit den Händen, allweil tät ich ihn streicheln, da würde ich nicht fertig, da würden die Leute sagen: Der wird gar nicht fertig der Langsamerer. ,Für den Heiland' ihr könnt sagen, was ihr möchtet Wenn ich einmal in den Himmel komme, dann wird nicht mehr weggegangen vom Heiland, dann komme ich nimmer zu kurz, dann laß ich den Heiland nimmer aus, dann habe ich ihn immer gern." (9)

Auch dieses Dokument ist ein sehr aufschlußreiches Zeugnis über Thereses Frömmigkeit.

Am 16. Juni 1925 schreibt Therese einer Freundin und schildert ihre Erlebnisse mit der hl. Theresia vom 17. Mai 1925. Diese habe ihr vieles gesagt, was ihr Inneres betreffe. "Dies", sagt sie, "offenbare ich ja nicht, bloß meinem Beichtvater sage ich alles aus Gehorsam." Im gleichen Brief erwähnt sie, der Pfarrer habe sie aufgefordert, das Zwiegespräch zu schildern. Sie antwortete: "Ihnen einmal allein." Daraufhin wies der Pfarrer alle Anwesenden aus dem Zimmer und hörte sich den Bericht an, mit dem Bemerken zum Schluß: "Das war ein Wunder."

Doch Therese hat ihre Version nicht bloß ihrem Pfarrer anvertraut. In dem eben erwähnten Brief schildert sie der Freundin ihre Erlebnisse und Gespräche und erwähnt auch Worte des Lobes, die ihr die heilige Theresia gespendet haben soll: "Weil du so ergeben bist, dies freut den lb. Heiland ..." Pfarrer Naber erzählte dieselbe Geschichte einige Wochen später ausführlicher.

"Die Stimme sprach noch mehreres, was recht ehrenvoll für Neumann ist, was sie aber nur mir als ihrem Seelsorger und Beichtvater auf meinen Wunsch hin sagte, mit der Bitte, es nicht weiter zu sagen. Es ist ihr kaum etwas peinlicher, als gelobt zu werden, und sie fürchtet ängstlich, bei der ganzen Sache könnte ein Lob für sie abfallen und dadurch dem Heiland und der hl. Theresia Ehre entzogen werden." (10)

Heiligen war kaum etwas mehr zuwider als von den Menschen gelobt oder gar verehrt zu werden; Selbstbespiegelung und Selbstgefälligkeit war ihnen fremd. Wie sehr haben sie unter ihren eigenen Unzulänglichkeiten gelitten! Vom Gefühl der Sündhaftigkeit findet man bei Therese Neumann nichts; wagte jemand, auch nur Zweifel vorzubringen, sofort war sie in Abwehrstellung, entschuldigte sich und beschönigte alles. Und oftmals hieß Abwehr soviel wie Angriff. Sie beschuldigte andere, warf ihnen Unehrlichkeit, Scheinheiligkeit, Hochmut vor, sich selber aber verteidigte sie.

Der Selbstverteidigung entspricht auch ihre Selbstbeweihräucherung, die man auch in ihren Trancezuständen findet. Therese selber freilich schreibt das Lob, das sie sich spendet, der hl. Theresia zu. Am 17. Mai 1925 soll die Heilige zu ihr gesagt haben:

"Weil du so bescheiden bist, sollst du wieder aufstehen und gesund werden. Aber du wirst noch viel zu leiden haben."

Vier Monate später, am 30. September, lauten die sie auszeichnenden Worte der hl. Theresia' so:

"Folge in blindem Gehorsam dem Beichtvater und vertraue ihm alles an. Du sollst dem eigenen Willen absterben. Bleib immer so kindlich und einfältig!"

Am 13. November des gleichen Jahres wird Therese von einer "Blinddarmentzündung" geheilt. Ihre Lieblingsheilige verheißt ihr die Gesundung mit den Worten:

"Deine gänzliche Hingabe und Leidensfreudigkeit freut mich. Damit die Welt erkenne, daß es ein höheres Eingreifen gibt, brauchst du jetzt nicht geschnitten zu werden, aber gleich - gleich den Herrn loben und ihm danken. ... Bleib immer so kindlich und einfältig." (11)

Ein Jahr später sie litt an einer "Lungenentzündung", die sie an den Rand des Todes brachte - erscheint wieder die hl. Theresia und lobt die Patientin:

"Daß du so ergeben bist, macht dem lieben Heiland Freude. Du darfst jetzt nicht sterben."

Während der Christmette desselben Jahres 1926 tröstet die Heilige:

"Du darfst nicht bloß leiden mit dem lieben Heiland, du darfst dich auch freuen mit ihm. Aber bleib immer ergeben und kindlich!"

Jahr für Jahr empfing die Stigmatisierte von Konnersreuth durch die hl. Theresia Trost und Anerkennung. Am 30. September 1928 erschien ihr die Heilige in "himmlischer Verklärung" und ermunterte sie "zum geduldigen Ausharren im Leidensberufe, zum Gehorsam gegen den Beichtvater, zum Weiterbeten in der gewohnten Weise und zum Verkehr mit dem Heiland wie bisher; es sei alles recht" (12). Die Aufforderung zum Gehorsam gegenüber dem Beichtvater ist bemerkenswert; eine entsprechende Aufforderung zum Gehorsam gegenüber dem Bischof und dem Papst erfolgte nie. Viel eher findet man in den aufmunternden Worten der "hl. Theresia" eine Aufforderung zur Verweigerung des Gehorsams. Am 29. April 1930 sprach die Heilige zu der Stigmatisierten:

"Liebes Kind! Deine Heilandsliebe, Deine Hingabe an ihn, Deine Energie und Furchtlosigkeit sowie Dein stets tapferes Eintreten für unseren Heiland sind recht und gut und freuen uns sehr. Werde in dieser Gesinnung nie wankend, wenn Du auch noch so viel hierin verkannt wirst! Harre aus in Deinem Opfer- und Leidensberuf, der, wenn auch schwer, doch recht wertvoll und edel ist. Wir verlassen Euch nie." (13)

Der Zuspruch der hl. Theresia am 29. April 1937 lautete so:

"Liebes Kind! Geh', nimm doch jedes Leid und jede Prüfung willig und freudig hin! Die Seelen warten drauf. Werd' doch nicht mutlos! Vertrau blindlings! Erhältst so viele Beweise der Liebe. Durfte Dir doch schon öfter die Zusicherung unserer Hilfe geben. Wir verlassen Dich auch weiter nicht. Mußt Deinen Beruf ganz erfüllen, mußt auch dem verkannten, verachteten und verfolgten Heiland immer ähnlicher zu werden trachten!" (114)

Wie sieht die Erfüllung des "Berufes" in Wirklichkeit aus? Sie offenbart sich in steter Abwehrbereitschaft und in direktem Angriff gegen jeden, der nicht blindlings glaubte. Hierin entwickelte Therese tatsächlich "Energie und Furchtlosigkeit"; "in dieser Gesinnung" wurde sie "nie wankend". Es ist ein einmaliger Fall, daß ein Mensch bereits während seines irdischen Lebens heilig gesprochen worden ist, und zwar von einer Heiligen selbst.

Auch bei der Schilderung ihrer Visionen hat man den Eindruck, nicht das heilige Geschehen, nicht Christus selbst oder eine Heilswahrheit ist das Wichtigste, sondern die Schauende selbst steht im Mittelpunkt des Interesses. Das zeigt sich schon darin, daß sie, beispielsweise selber das Christkind auf die Arme nehmen darf und daß sie mitwirkt bei der Kreuzabnahme und Grablegung Christi; sie hilft beim Einwickeln des Leichnams in die Grabtücher und ihre Hände machen sogar die entsprechenden Bewegungen mit. Um die Visionärin selber dreht sich alles bei den Schauungen: An Epiphanie schaut sie, wie Maria ihrem Kind das großartige Gefolge der Magier zeigt. Da wendet sich plötzlich das Christkind zur Resl und streckt ihr einen Arm entgegen (14a). Wiederholt empfängt sie während der Visionen einen lieben Blick von Christus. ja sogar vom Kreuze herab ist sein Blick liebevoll auf sie gerichtet. So berichtet Teodorowicz:

"Der Heiland schaut in diesem Augenblick mit todesmüden, aber Dank und Anerkennung verheißenden Augen auf sie; und vor überschwänglicher Seelenfreude lächelt sie." (15)

Ja noch mehr: Einmal versicherte sie ihrem Pfarrer, Christus habe sie vom Kreuze herab angeschaut und ihr zugelächelt (16). Am 3. Mai 1928 litt Therese "ungeheuere Schmerzen in den Wunden am Kopf, an den Händen, den Füßen und an der Seite sowie auf der rechten Seite." Um 12 Uhr starb Therese, wie sich Pfarrer Naber ausdrückt. Am Abend übernahm sie ein Sühneleiden, worauf der erhobene Ruhezustand folgte, "währenddessen sie den Heiland vom Kreuz zu sich herabsteigen sieht" (17). Wenn schon Therese eine echte Vision gehabt hätte, dann hätte sie doch dem Heiland danken müssen für sein Erlösungsopfer. Wofür soll den Christus ihr Dank und Anerkennung bekundet haben? Werden hier nicht die Rollen vollkommen vertauscht?

Nicht Therese Neumann ist es, die in betrachtendem Gebet Vereinigung mit Gott sucht, sondern Gott selbst drängt sich ihr auf. Wie anders konnte sie den Heiland abweisen mit der Begründung, daß sie schlafen wolle?

Den ganzen Karsamstag 1927 verbrachte sie in tiefem Schlaf, ohne zu erkennen, wer mit ihr gerade sprach. Plötzlich spricht sie:

"Heiland, i hab kei Zeit für di, daß i red mit dir; i muß ausschlafen." (18)

Zu solch einem Verhalten meint Teodorowicz:

"Mitunter benimmt sie sich dem Heiland gegenüber wie ein verwöhntes Kind. Sie schreckt nicht einmal davor zurück, ihm kleine kindliche Vorwürfe zu machen." Das stört Teodorowicz keineswegs; er nennt das vertrauliche Seelenzärtlichkeit" (19).

Aber nicht nur von einer Heiligen wird die Stigmatisierte von Konnersreuth gelobt, sondern Christus selber gibt für sie Zeugnis, indem er aus ihr nach einer Vision spricht:

"Ich ließ diese demütige Person, meine liebe Tochter Theresia, die Meine Leiden und Wunden trägt, und die Mir sehr lieb und wohlgefällig ist, weil auch durch sie so unzählig viel Gutes bewirkt wurde zur Ehre Gottes, zum Wohl der Kirche und zum Heil unzähliger Seelen, im Geiste die Kämpfe zwischen den Engeln im Himmel und den Teufeln schauen, damit sie davon Zeugnis gebe." (20)

Eine solche Sprache ist uns nicht unbekannt; aber es handelt sich nicht um Worte Christi, sondern es sind ausgeklügelte Aussagen der Stigmatisierten von Konnersreuth.

In einem ihrer Briefe an den Regensburger Bischof heißt es unter anderem:

"Was habe ich der Kirche, zu der ich treu stehe, getan, daß sie mich heimsucht, verfolgt und ausliefern will. Ich habe nur geopfert, gelitten und geblutet für ihre Interessen. Immer suchte ich ihr Seelen zuzuführen, Abtrünnige näherzubringen, Gute zu stärken, in dem schweren Kampf." (21)

Wie sich die Stimmen gleichen!

Es war bereits früher davon die Rede, daß angeblich der Heiland aus Therese Neumann gesprochen hat; aber auch sie selber hat für ihre Worte göttliche Autorität beansprucht, wenn sie beispielsweise sagt: "Der Heiland ist es, der durch mich spricht." Sogar in der Ichform hat der "Heiland", wie erwähnt, Auskünfte erteilt. Pfarrer Naber jedoch leugnet dies; er schreibt am 27. November 1934 an den Bischof von Regensburg und versichert, im "erhobenen Ruhezustand" werde "niemals in der ersten Person, mit Ich" gesprochen.

in Gegenwart des amerikanischen Bischofs Schrembs versicherte Therese, der Heiland stehe sichtbar an ihrer Seite:

"Oh, er ist jetzt hier. Er steht gerade hier an meiner Seite. Er lächelt auch Dich an. Er hilft mir."

Nicht bloß während der Freitagspassion lächelt ihr der "Heiland" zu; auch sonst kam das vor. Die Nacht vom Fastnachtssamstag auf den Sonntag 1928 verbrachte Therese im Pfarrhof. Über ihrem Bett hing ein Kreuz.

"Plötzlich sah sie, wie Christus seine rechte Hand vom Kreuze loslöste und über sie ausbreitete, während er sie mitleidig und wehmutsvoll anblickte." (22)

5. Armut

Wie steht es bei Therese Neumann mit der Liebe zur Armut und zum freiwilligen Verzicht auf Geld und Gut? Wieder singt Teodorowicz ein Loblied. Er ließ sich erzählen:

"Es wären Millionen bezahlt worden, wenn Therese in dem Leidenszustand hätte gefilmt und in Kinopalästen Europas vorgeführt werden dürfen. Doch der biedere Neumann schlug das Angebot aus. Auch sonst läßt sich die Familie nicht dazu verleiten, auf ihren Vorteil bedacht zu sein und irgendwelchen Gewinn aus der Stigmatisation ihrer Tochter zu ziehen." (1)

Die Familie Neumann wäre von allen guten Geistern verlassen gewesen, hätte sie ein Filmangebot angenommen. Auf solch eine Geldquelle war man durchaus nicht angewiesen. Der Dollarstrom floß reichlich genug, so daß sogar vorübergehend ein ungetreuer Postbeamter daraus Nutzen schöpfen konnte. Man muß das feststellen, gerade weil Teodorowicz hervorhebt, daß "weder Belohnung noch die geringste Geldspende entgegengenommen wurde" (2).

Daß bereits am Anfang der Ereignisse im Neumann-Haus der Versuch unternommen worden ist, aus der Sache materiellen Gewinn zu schöpfen, hat der evangelisch-lutherische Pfarrer Matthias Simon im Frühjahr 1926 beobachten können. Da verkaufte die rührige Mutter im Zimmer ihrer Tochter Weihwasserkesselchen und Kerzen um eine und zwei Mark. "Dabei erzählte sie immer, wie schlecht die Sachen verpackt würden; beinah die Hälfte sei immer zerbrochen, und sie hätte dann den Schaden davon." (3) Therese war offenbar diese Geschäftigkeit der Mutter nicht ganz angenehm, wie ihr "gequälter Ausdruck" verriet.

Wenn in Briefen an die Stigmatisierte Geldspenden gesandt wurden, so kann ihr deswegen keinerlei Vorwurf gemacht werden. Wenn aber, wie es anfänglich geschehen ist, vor dem Zimmer der Therese ein Körbchen für Spenden bereitgelegt wurde, so kann man dann nicht mehr sagen, es sei nicht die geringste Geldspende entgegengenommen worden. Freilich ist auch wahr, daß jenes Körbchen nicht sehr lange verwendet worden ist und daß die Mutter nicht allzu lange Weihwasserkessel und Kerzen verkauft hat. Das war auch bald überflüssig geworden.

Nachdem Konnersreuth in aller Welt bekannt geworden war, sind dort reiche Spenden eingetroffen. Das beweist das "Konnersreuther Wochenblatt" vom Jahr 1927:

"Von überall her erhielt sie Weihnachtssendungen, Stiftungen an die Kirche wurden gemacht, und es prangte Altar und Kirche an den Festtagen in besonderem Glanze. Auch Kisten waren an ihre Adresse gerichtet, deren Inhalt in wohltätiger Weise Verwendung fand."

Diese Notiz im ersten Jahrgang des Konnersreuther Blattes ist die einzige geblieben. Das ist nur zu verständlich, denn über solche Dinge haben die Betroffenen nicht gern Auskunft erteilt. Daß Therese Neumann sehr wohl in der Lage war, mit den Spenden ihr nahestehenden Personen beizuspringen, verrät zum Beispiel Prälat Geiger von Bamberg. Er nennt ein paar Fälle für die Verwendung der in Konnersreuth eingelaufenen Gelder: Der heimat- und mittellose Konvertit Bruno Rothschildt, ein Patenkind der Stigmatisierten, bekam die Kosten für das Theologiestudium bezahlt; eine junge Jüdin, die vor der Konversion stand, erhielt die Mittel für einen zweijährigen Kurs in Speyer als Arbeitslehrerin, damit sie ihre Mutter und ihren Bruder ernähren konnte; Therese verschaffte einem talentierten Jungen in Waldsassen die Mittel zum Studium durch Gaben ihrer Besucher; die Kirche in Konnersreuth wurde renoviert; ein neuer Seitenaltar wurde in der Kirche aufgestellt; das Pfarrhaus bekam einen neuen Fußboden. (4)

In einem Schreiben an Schwester Florentiana vom 15. März 1953 heißt es, Therese sei "schon einige Male" im Priestererholungsheim Regenstauf-Spindlhof gewesen, sie habe für das Heim "schon viel Gutes getan" (5). Die Wohltaten bestanden sicherlich in Geldspenden. Mit solchen wurde Therese Neumann reichlich bedacht. Sie waren zum Teil zweckgebunden, beispielsweise als Meßstipendien deklariert. Wie das Geld wirklich verwendet wurde, ist nicht nachprüfbar. Nicht bloß in Briefen wurde Geld überwiesen, sondern auch häufig durch Postanweisungen, eine Tatsache, die den Postangestellten in Waldsassen und Konnersreuth nur zu bekannt war. Über die Höhe mancher überwiesener Beträge geben gelegentlich Rückfragen Auskunft. So hat im Jahr 1930 der amerikanische Pater Jakob Wilhelm, der auch schon vorher Geld überwiesen hatte, an Therese Neumann 33 Dollar für Meßstipendien übersandt. Als der Pater jedoch keine Empfangsbestätigung erhielt, fragte er beim Bischöflichen Ordinariat in Regensburg nach. Dennoch behauptete Therese Neumann wiederholt, auch in Briefen an den Bischof, kein Geld erhalten zu haben. Die im Jahr 1930 überwiesene Summe ist jedoch über eine Bank in Wien nach Konnersreuth überwiesen worden, was zwei in den einschlägigen Schreiben erwähnte Schriftstücke bestätigen; das eine wurde von Therese Neumann selber unterfertigt, das andere trägt die Unterschrift "Neumann". Diese Unterschrift stammt nicht von Therese, wie ein Vergleich der Schriftzüge offenbart. Wahrscheinlich hat Therese das Geld nicht selbst in Empfang genommene. (6)

Der ehemalige Zuchthausdirektor von Lippstadt, Dr. Rath, weilte im Jahr 1933 über ein halbes Jahr in Nordamerika. Dort erzählte ihm eine Dame, sie habe anläßlich ihres Besuchs in Konnersreuth der Mutter der Stigmatisierten zehn Dollar gegeben, die diese dankend angenommen habe, allerdings mit dem Bemerken, ihre Tochter dürfe davon nichts wissen. Dr. Rath erfuhr von einer noch größeren Geldspende. Jesuiten in Nordamerika bemühten sich, das Grab eines Märtyrers ausfindig zu machen. Sie sandten Aufzeichnungen über die bisher erfolgten Schritte zusammen mit 50 Dollar nach Konnersreuth mit der Bitte um Mitteilung, wo das Grab zu finden sei. Weder die Aufzeichnungen noch das Geld wurden je zurückgeschickt (7).

Auch Pfarrer Naher kam der Geldsegen zugute. Im Jahr 1927 betreute der Domkapitular Geiger aus Bamberg die Pfarrei, damit der Ortspfarrer Exerzitien machen konnte. Er bemerkte auf der Speichertreppe "zwei Holzkörbe voll ungeöffneter Briefe, auch viele eingeschriebene". Bezeichnend ist, daß sich an den Dompfarrer von Bamberg in den Tagen seines Aufenthalts in Konnersreuth mehrere Leute wandten "mit der Klage, sie hätten in eingeschriebenen Briefen 5 Mark oder dergleichen geschickt für eine hl. Messe und bekämen nicht einmal Antwort" (8). Man kann daraus schließen, wie viele in und ausländische Briefe Geld enthalten haben und wie viele derartige Sendungen unmittelbar an Therese Neumann adressiert waren. Trotzdem beteuert Geiger: "Durch die Hand der Resl ist gewiß kein noch so kleiner Betrag geflossen.!"

Therese Neumann ist in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Seit ihrer Erkrankung mußten ihre Eltern große Opfer bringen, obgleich ihr eine Vollrente von monatlich über 100 Mark gewährt wurde. Diese Rente erhielt sie bis 1932, also noch zu einer Zeit, als die ursprünglichen Krankheitsfolgen längst verschwunden waren. Die Entgegennahme der Rente bis zu ihrem Entzug verrät kein Übermaß an zartem Gewissen. Therese hatte die Rente erhalten wegen "schwerster Hysterie mit Blindheit und teilweiser Lähmung". Vom Jahr 1925 an bestanden diese Leiden nicht mehr. Also hatte Therese auch keinen Anspruch mehr auf die Gewährung einer Rente. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat lange auf eine an sich vorgeschriebene Nachuntersuchung verzichtet, "um Krach zu vermeiden". Als Therese dann aufgefordert wurde, sich in der Universitätsklinik Erlangen untersuchen zu lassen, antwortete sie nicht. Sie erhielt eine weitere Aufforderung mit dem Anerbieten, man wolle ihr ein Auto zur Verfügung stellen und ihr die Wahl der Klinik überlassen. Therese gab auch darauf keine Antwort. Nunmehr wurde die Rente gekürzt und später ganz gestrichen. Therese hat diese Rente auf Grund der Diagnose "traumatische Hysterie" erhalten, dennoch hat sie sich furchtbar aufgeregt, wenn sie als hysterisch bezeichnet wurde. Sie hatte keine Bedenken, nach dem Verschwinden der Blindheit und Lähmung weiterhin die Vollrente in Empfang zu nehmen, obwohl dieses Geld durch die Mitgliedsbeiträge anderer Leute aufgebracht wird. Noch in einer Zeit nahm Therese die Rente an, da wohl kaum jemand in Konnersreuth war, dem soviel Geld zugeflossen ist wie ihr. Prälat Geiger verteidigte Thereses Verhalten mit den Worten: "Mit durchbohrten Händen und Füßen kann man keiner Arbeit nachgehen." Daran hat Geiger jedoch nicht gedacht, daß Stigmen nicht als Unfallfolgen zu bezeichnen sind. Im übrigen hat ja

Therese angeblich sonst gearbeitet wie die tüchtigste Bauernmagd (9).

Über Geldsorgen brauchte sich Therese, seitdem ihr Name überall genannt wurde, nicht zu beklagen.

"Sie bekommt Geld, so viel sie will, jeder Wunsch wurde ihr erfüllt; man ist froh, wenn sie würdigt."

So heißt es im Bericht des Chefarztes von Waldsassen (10).

"Am bedenklichsten stimmt mich", sagt Dr. Seidl weiter, "daß ihre Eltern jedenfalls keinen finanziellen Nachteil hatten. Eine Tochter im Pfarrhof, eine Tochter bei Wutz, zwei Söhne bei Wutz. Dazu kommt ein gewisser Wohlstand in der Familie, der die Neidgefühle der Verwandten selbst erregt. Das Haus tadellos im Stand wie wohl kein zweites in Konnersreuth - Kauf eines Grundstückes bei der Einfahrt in die Gemeinde - Anlegung eines großen Gartens mit einem eigenen Brunnen, wie mir mitgeteilt wurde, mit elektr. betriebener Pumpe. - Bau einer Autogarage für zwei Autos (ob sie dem Schwiegersohn gehört oder dem Vater, weiß ich nicht). Selbst wenn die Familie Neumann das Geld für den Kauf nicht gehabt hätte, wird ihr jedenfalls der Kredit dafür eingeräumt, was früher nie der Fall gewesen wäre."

Am 9. April 1958 brachte der "Münchener Merkur" einen Artikel mit dem Titel "Gebet und Lästerung in Konnersreuth". Unter anderem spricht der Verfasser über Rätsel, vor denen man stehe. In diesem Zusammenhang ist zu lesen:

"Es ist ihr neues, großes Haus, das sie sich kürzlich mit 110000 Mark bauen ließ, sich selbst körperlich an den Bauarbeiten eifrig beteiligend."

Noch von anderen "Rätseln", ist die Rede. Für Therese Neumann war das ein unangenehmer Artikel. Der Reporter der in Weiden erscheinenden Zeitung "Der Neue Tag", Albert Panzer, interviewte Therese, die die Angaben über den Hausbau als "schlechterdings unverschämt" bezeichnete und erklärte: Es wurde kein Haus gebaut, vielmehr handelt es sich um den Ausbau der mit dem kleinen Neumannschen Anwesen verbunden gewesenen Scheune, deren Mauern und Dach sogar unverändert mitverwendet werden konnten. Die durch den Umbau gewonnenen Räume werden künftig dem 87jährigen Pfarrer Naber, der in nächster Zeit resignieren will, für Wohnzwecke zur Verfügung stehen. Die Bausumme sei zu hoch angegeben.

Sagt Therese die Wahrheit? - Das Bischöfliche Ordinariat zog Erkundigungen ein und erhielt am 23. April 1958 Auskunft. Im Blick auf den Hausbau ist die Rede davon, daß Therese "in den letzten Jahren zuerst ein neues Anwesen für den Besitzer des elterlichen Betriebes, ihren Bruder August, errichtet" hat. Weiter heißt es, sie habe 1956/57 den Ökonomieteil des elterlichen Hauses zu einer Ruhestandswohnung für H. H. Pfarrer Naber modern ausgebaut" (11)

Wer arm ist, kann ebensowenig zu Weihnachten in einem Geschäft für etwa 1000 DM Geschenke einkaufen, wie Therese es getan hat. Wer keine Dollars bekommt, kann sie auch nicht verschenken. Am 6. Dezember 1960 weilte der indische Erzbischof Josef Parecattil zum zweitenmal in Konnersreuth. Als er sich von Therese verabschiedete, beschenkte sie ihn "mit einigen Gegenständen und Dollarscheinen für die Mission" (12), ein Zeichen, daß der Dollarstrom nicht versiegt war. Schließlich sei verwiesen auf die vielen und ausgedehnten Reisen, die Therese unternehmen konnte, weil genug Gönner, bis in die höchsten Kreise hinauf, zur Verfügung standen. Offenbar fühlte der engere Konnersreuther Kreis selbst, daß des Guten zuviel geschah; darum die Geheimnistuerei, wenn Therese verreiste. Auf Befragen wurde einfach erklärt, man wisse nicht, wohin sie gefahren sei, wo sie sich befinde und wann sie zurückkomme. "Auch Pfarrer Naber und Benefiziat Härtl winden sich um die Frage nach ihrem Aufenthalt", sagt Dr. Seidl (13).

Therese Neumann hat über viel Geld verfügen können. Warum ist sie nicht jeglichem Verdacht von Eigennutz aus dem Weg gegangen, indem sie das Geld dem Bischof für gute Zwecke zur Verfügung gestellt hat? Sie hätte es nie und nimmer für Angehörige und solche, die ihr nahestanden, verwenden dürfen.

6. Gehorsam

Es sind gewiß schöne Worte, die Therese Neumann während einer Ekstase gesprochen hat:

"Die geistlichen Obern könnten wohl irren und eine Sache ungerechtfertigterweise beurteilen, dennoch aber gebührte ihnen Gehorsam und Ergebenheit, und zu diesem Opfer müsse man sich entschließen." (1)

Sie selber aber hat sich dazu nicht entschließen können und hätte die Aufforderung des hl. Offiziums auch dann mißachtet, wenn sie als "ungehorsame" erklärt worden wäre. In diesem Fall hätte sie sich bestimmt so entschuldigt, wie sie jenen Abbé Vachère in Schutz genommen hat; von ihm, der als Exkommunizierter unbußfertig gestorben war, behauptete sie: "Der Heiland war mit seinem Vorgehen zufrieden."

Die nötige Rückenstärkung für ihren Ungehorsam erfuhr sie durch ihre Verehrer. Das mußte der zuständige Bischof sehr bald erfahren. Am 19. November 1929 schrieb er an Kardinal Faulhaber:

"In Konnersreuth hat man es ja nicht verdient, daß ich mir so viel Mühe gebe, denn nicht bloß der Vater der Therese, sondern Pfarrer Naber nimmt immer mehr eine ablehnende Haltung gegenüber den Wünschen des Diözesanbischofs und des Episkopates überhaupt ein. Professor Wutz hat gelegentlich geäußert, er würde sich, wenn er Pfarrer von Konnersreuth wäre, um bischöfliche Anordnungen überhaupt nicht kümmern." (2)

Vom ausgehenden Jahr 1927 an wurden wiederholt auf Anordnung des Bischöflichen Ordinariats Besuche in Konnersreuth untersagt. Nur in Ausnahmefällen wurde auf Ansuchen ein Erlaubnisschein ausgestellt, und wer einen solchen vorweisen konnte, durfte vorgelassen werden. In der Konnersreuther Literatur wird rühmend hervorgehoben, daß man sich im NeumannHaus streng an die bischöfliche Anordnung gehalten habe. Pfarrer Naber versicherte im Herbst 1927, er werde "strikte" den Befehl befolgen. Im Auftrag des Pfarrers teilte das "Konnersreuther Wochenblatt" vom 4. November 1927 mit: "Konnersreuth wird gehorchend" Doch das Besuchsverbot wurde nicht selten mißachtet. Am 3. August 1929 besuchte ein holländischer Priester den Dom von Regensburg. Dort erzählte er Dr. Höcht, er sei am vorausgegangenen Freitag in Konnersreuth gewesen: "Therese habe entschieden, daß alle Priester auch ohne Erlaubnisschein vorgelassen werden." (3)

Von der Familie Neumann wurde die bischöfliche Anordnung jederzeit mißachtet, falls es ihr gut schien. Ein Entschuldigungsgrund war ja leicht zu finden, auf jeden Fall der Hinweis auf den göttlichen Willen. So versicherte Pfarrer Naher:

"Die Resl hat die Offenbarung erhalten, daß durch ihr Leid viele wieder auf das jenseits hingewiesen würden und so müsse sie das Beschauen geduldig hinnehmen." (4)

Eine zusammenfassende Entschuldigung für die Mißachtung der Besuchssperre bringt Lama im Jahrbuch 1931 (5). In der Frage der Zulassung von Besuchern richteten sich nach Lamas Mitteilung Therese und ihre Eltern in erster Linie nach der Besuchserlaubnis von seiten des Bischofs.

"Ausnahmen geschehen entweder auf Grund des persönlichen Freiheitsrechtes der Familie Neumann oder auf Grund einer, in allen Fällen nachweisbaren mystischen Anregung der Therese selbst."

So kann man auch einen bischöflichen Befehl "strikte" befolgen und Gehorsam in heroischem Maß üben.

Nachdem die klinische Beobachtung endgültig abgelehnt worden war, veröffentlichte das "Amtsblatt für die Diözese Regensburg" (6) unter anderem, daß keine Erlaubnisscheine mehr zu Besuchen bei Therese Neumann ausgestellt würden. Das war nunmehr kein Verbot, sondern ein Abraten. Dann und wann freilich berief sich die Familie Neumann doch noch auf die frühere Besuchssperre. Am 13. Juli 1939 bat Frau M. Hartmann aus Breslau die Mutter der Stigmatisierten um die Erlaubnis, mit Therese sprechen zu dürfen. Die Mutter lehnte ab mit der Begründung, der Bischof habe Besuche verboten; ihre Tochter dürfe mit niemandem mehr sprechen. Frau Hartmann wandte ein: "Der Bischof hat nichts mehr verboten; Therese kann tun, was sie will." Die Mutter wiederholte mehrmals: "Der Bischof hat es verboten." Als jedoch Frau Hartmann die Behauptung der Mutter mit dem Hinweis widerlegte, daß doch gerade verschiedene Leute bei Therese zu Besuch seien, bekam sie die bezeichnende Antwort:

"Das ist unsere Sache, wenn mer rein lassen. Wir lassen uns net zum Ungehorsam gegen den Bischof verführen." (7)

Therese selber hat zwar immer wieder ihre Bereitwilligkeit, dem Bischof zu gehorchen, betont. Aber was war das für eine Bereitwilligkeit? Am 19. Mai 1928 bat sie zwar den Bischof, was sie sonst nicht tat, verreisen zu dürfen, erklärte aber gleichzeitig am Anfang des Schreibens, ihre Bitte habe "der Heiland" bereits gewährt.

Im Jahr 1930 ließ ihr der Bischof durch den Pfarrer mitteilen, sie möge sich einen anderen Beichtvater aussuchen. Aber Therese lehnte am 31. August unter Anführung ausgesprochen kindischer Begründungen glatt ab. "Ich vertraue mich keinem anderen Priester an, außer der lb. Heiland will es", schreibt sie. Der "Heiland", das heißt sie selber, wollte es nicht. Weiter führt sie an:

"Wie kann ich denn einem Priester, der mich nicht kennt und den ich nicht kenne, anvertrauen? Darin hat doch der liebe Heiland volle Freiheit gelassen."

Dabei hatte Therese genug Priester, die sie sehr gut kannte, zum Beispiel den zweiten Seelsorger von Konnersreuth, Benefiziat Härtl. In zwei Briefen drohte Therese sogar damit, sie werde sich, falls der Bischof nicht in ihrem Sinne handeln wolle, unmittelbar an den Papst wenden. Als sich der Bischof mit dem Gedanken trug, Pfarrer Naber einen anderen Posten zuzuweisen, schrieb ihm Therese:

"Wenn Sie es ja unbedingt wollen, so denke ich, schreib ich erst an den guten Hl. Vater."

in der Zeit ihrer ärgsten Bedrängnis wandte sie sich wiederholt an den Bischof Am 21. November 1937 forderte sie umgehend Antwort, sonst werde sie sich an den Papst wenden (8). So trat die Stigmatisierte von Konnersreuth dem Bischof gegenüber auf, den sie oftmals monatelang auf die Beantwortung seiner Fragen warten ließ.

7. Frömmigkeit

Für die Heiligkeit einer Person fallen außergewöhnliche Phänomene überhaupt nicht ins Gewicht. Umgekehrt gehen die Biographen des Konnersreuther Kreises vor, wenn sie sich mit der Stigmatisierten beschäftigen. Über Thereses Innenleben hört man außer Beteuerungen kaum etwas Greifbares; es liegt in den meisten Fällen außerhalb des Interesses der Verfasser, die lediglich die Fassade, das Außergewöhnliche interessiert. Nur Teodorowicz geht auf die Kernfragen der Heiligkeit ein. Zwar gesteht er wiederholt, er sei über manches im Leben der Stigmatisierten zunächst erstaunt gewesen, aber er findet immer wieder schöne Worte, die auch dann noch rechtfertigen, wo es nichts mehr zu :rechtfertigen gibt.

Kritisch eingestellte Beobachter kamen zu anderen Ergebnissen als begeisterte Anhänger. So heißt es in einem von Dr. Seidl angefertigten Bericht, der nur im Entwurf vorhanden ist:

"Ich habe mich oft gewundert, daß ich bei der hl. Messe keine besondere Ergriffenheit oder besondere Andacht bemerken konnte; die Verzückungen scheinen mehr bei ihren privatandachtlichen Betätigungen zu kommen. ... Ich konnte mich nie davon bei Gesprächen überzeugen, daß ihre Gespräche und deren Inhalt über das Banale auf religiösem wie auf anderem Gebiete sich erheben." (1)

Was Dr. Seidl im Jahr 1931 niederschreibt, unterscheidet sich nur im Wortlaut von dem, was die Schriftstellerin Barbara Kolb im Jahr 1939 festgestellt hat: "In all den Stunden" ihres Beisammenseins hörte sie von ihr "gar nichts, was ein tiefes Innenleben oder Gottnähe verriet" (2).

Teodorowicz sagt von Therese:

"Wo ihrer Überzeugung nach keine ehrliche Absicht in bezug auf die Konnersreuther Vorgänge vorliegt, wird sie streng und hart, unerbittlich hart." (3)

Was für einen Glauben verlangt denn hier Teodorowicz? Ein Glaube, der sich auf die Konnersreuther Phänomene stützt statt auf die Offenbarung Gottes, ist kein echter Glaube, denn wahrer Glaube ruht auf Gottes Wort, nicht auf Menschenwort. Therese Neumann jedoch fordert Glauben an ihre eigene Person, und das ist etwas Unerhörtes. In einem Zustand, den der Pfarrer als Schlaf bezeichnete, erzählte Therese in Anwesenheit der Regensburger Kommission unter anderem von einem Kalvinisten, der öfters zu ihr gekommen sei und "fest an sie glaube" (4). Doch der Ausdruck "Der glaubt nicht an mich" ist aus ihrem Munde nicht bloß einmal gefallen.

Jeder, der nach Heiligkeit strebt, sucht Gott näher zu kommen im Gebet. Bei Therese Neumann vermißt man in ganz auffälliger Weise die eigentliche Aufgabe des Betens, nämlich die Anbetung und Verherrlichung Gottes. Betrachtet man die Visionen und sonstigen ekstatischen Zustände, so findet man alles auf die eigene Person hin ausgerichtet. Was wir über das Gebetsleben der Stigmatisierten von Konnersreuth hören, verrät wenig von dem, was Gebet sein muß: Gotteslob, nicht Eigenlob. Über dieses Thema war bereits ausführlich die Rede bei der Behandlung der ekstatischen Zustände. Teodorowicz meint:

"Die Zwiegespräche, die sie mit dem Heiland führt ..., atmen einen derart kindlich-natürlichen Geist, daß man über diese vertrauliche Seelenzärtlichkeit fast lächeln könnte. Mitunter benimmt sie sich dem Heiland gegenüber wie ein verwöhntes Kind. Sie schreckt nicht einmal davor zurück, ihm kleine kindliche Vorwürfe zu machen." (5) Dann beteuert Teodorowicz, Therese sei stets bereit, "tausendmal ihr Leben für den Heiland hinzugeben".

Das sind höchstens schöne Worte, für die der Beweis fehlt. Zudem kann sich der Bischof von Lemberg nur auf zwei Quellen stützen, entweder auf die Aussagen der Therese Neumann in eigener Person oder auf Zeugen, die lautgesprochene Gebetsworte belauscht haben. Wenn Therese angeblich vor Jahren von ihr formulierte Gebete wiedergibt, so ist dem kein Gewicht beizumessen. Das gleiche gilt für die Gebete, die sie laut gesprochen hat, um von den Menschen gehört zu werden.

Man verwechsle nicht die Visionen, die Freitagsekstasen eingeschlossen, mit echter Verehrung und Anbetung Gottes! Im ekstatischen Zustand ist ja Therese Neumann nicht eine Betende, sondern eine gleichsam von Gott überfallene und wußte angeblich von dem, was sie dabei aussagte, später nichts mehr. Ein Gebet etwa im Traum oder in der Hypnose gesprochen ist jedoch kein Gotteslob.

Auch wenn Therese Neumann unmittelbar nach dem Kommunionempfang anderen Auskünfte gibt, so ist das nicht ein Zeichen ihrer innigen Verbindung mit Gott. Wenn sie nach der Freitagsekstase nur zu schildern weiß, wie dieses und jenes ausgesehen hat, aber gar nichts von dem für uns so grundlegenden Kern der Ereignisse zu sagen weiß, so sind wir genauso betroffen und enttäuscht wie Teodorowicz; aber man darf Thereses Oberflächenfrömmigkeit nicht so leichthin entschuldigen, wie er es tut. Wo gibt es einen wirklich von Gott Ergriffenen, der nach einer Schauung gar kein tiefes, erschütterndes Echo aufzuweisen hätte?

An den Freitagen genoß Therese zwischen 11 und 12 Uhr eine Ruhepause, in der sie "erneut durch den erhobenen Ruhezustand gestärkt wurde". Ende 1927 begann sie während dieser Pause plötzlich, ohne gefragt zu sein, dem anwesenden amerikanischen Bischof Schrembs von den Verhältnissen in seiner Diözese zu erzählen. Die Rede fängt an mit einem Lob:

"Liebe Mutter, weißt Du. der Mann, der Dir zunächst sitzt... , stammt aus diesem Lande. Er wohnte einmal hier in der Umgegend, aber jetzt wohnt er weit weg in dem Lande über dem großen Wasser und oh, er arbeitet so hart. Er plagt sich, ohne an seine Gesundheit zu denken oder sich zu kümmern. Er arbeitet so viel für den Heiland... und der Heiland hat ihn sehr gerne. Und weißt Du, Mutter, ich habe ihm etwas zu sagen, aber ich kann es nur ihm allein sagen. ihr müßt alle aus dem Zimmer gehen."

Nachdem sie allein waren, erzählte Therese dem Bischof aus seinem eigenen Leben. Was sie sagte, war vermutlich nichts Neues, aber der Bischof war so überwältigt, daß er "mehr als einmal in Tränen niederkniete". Von dem, was in den vorausgegangenen Ekstasen geschaut worden war, zeigte sich kein nachhaltiges Echo.

Eine ähnliche Szene mit hohem Lob des anwesenden Würdenträgers am Ende der Passion spielte sich im Jahre 1928 ab. Nach Passionsende wollte sich der Beobachter, der Bischof von Limburg, wieder entfernen. Der Pfarrer jedoch bat ihn, noch eine Viertelstunde zu verweilen und mit Therese in ihrer Ekstase zu sprechen. Er könne mit ihr über seine persönlichen Sorgen und über Schwierigkeiten in seiner Diözese reden und würde wahrscheinlich staunenswerte Dinge zu hören bekommen. Der Bischof lehnte ab. Er gesteht:

"Offen gestanden fürchtete ich mich, manches Unangenehme hören zu müssen. Allein sowohl der Herr Pfarrer als namentlich der anwesende Herr Bischof Waitz von Feldkirch drängten mich, diese Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen. ... Im selben Augenblick schlug die Stigmatisierte die Augen auf und bewegte sich. Der Herr Pfarrer ging zu ihr und sprach vielleicht drei Worte mit ihr. Ich grüßte sie und sagte, ich bin ein Bischof. Sofort begann sie zu reden. Aus ihrer Unterredung sage ich nur einiges streng vertraulich; alles zu sagen, verbietet die christliche Bescheidenheit." Therese sprach "Dich hat der Heiland gern, sehr gern." "Aber", wandte der Bischof ein, "ich bin ein großer Sünder." Therese blieb bei ihrem Lob: "So ist es, wie ich erklärt habe. Ich sage Dir auch, warum. Das darf ich; denn Du wirst deshalb nicht hochmütig. Der Heiland liebt Dich, weil Du so bescheiden bist. Viele Bischöfe sind stolz, herrisch. Alles wollen sie durch Befehlen erzwingen und so stoßen sie die Geistlichen von sich. Du tust das nicht. Und Deine Geistlichen haben Dich deshalb lieb. Du hast auch schon viel für den Heiland getan und wirst noch mehr für ihn tun." Dann sagte sie dem Bischof etwas über sein Los im Jenseits, wovon der Bischof jedoch nur das eine verriet: "Etwas Unglaubliches, das nach meiner Meinung nur dann Wahrheit werden könnte, wenn ich als Märtyrer sterben würde. Ich mußte laut aufschluchzen, als ich draußen war." (6)

War das die einzige Nachwirkung der vorausgegangenen Leidensekstasen? Findet man nicht in den Worten an den Limburger Bischof den versteckten Groll gegen den verstorbenen Bischof Antonius von Regensburg, der die Beobachtung verlangt hatte?

Am Freitag, dem 23. März 1928, weilte der Bischof von Regensburg, unmittelbar nachdem Therese kommuniziert hatte, allein im Zimmer. Auf die Frage des Bischofs, wer er sei, zeigte sie, daß sie ihren Gesprächspartner kannte, und ließ dann eine längere Rede folgen:

"Herr Weihbischof ist auch da, aber jetzt ist er nicht im Zimmer. Gestern habe ich Dich erkannt; auf dem Bild schaust Du ernster und bist größer. Du bist nie recht gesund gewesen, aber der Heiland gibt Dir schon Kraft, er hat Dich gerne. Er wählt gerne Armselige. Herr Pfarrer von Trudering hat mir geschriebene daß ich für jemand beten solle. Der Heiland hat mir geoffenbart, daß Du dieser jemand bist. Meine Eltern haben uns zum Gehorsam erzogen; wir sollen der Obrigkeit folgen. Der Heiland schickt mir aber dieses Leiden nicht, damit ich und meine Eltern geplagt sind, sondern daß Seelen gerettet werden. Die vielen Besuche waren ein Unfug, aber einige Besuche und bescheidene Besuche aus wichtigen Gründen will der Heiland. Der Herr Pfarrer hält streng auf Gehorsam, aber er soll nicht gezwungen werden, nur noch amtlich sich mit mir abzugeben, denn in meinem Leiden brauche ich Trost und Rat und der böse Feind setzt mir auch manchmal recht zu."

Therese spricht dann ohne Veranlassung vom Herrn Kardinal Faulhaber, daß auch dieser immer etwas leidend sei, denn er überarbeite sich, und zur Zeit sei er sogar sehr erkältet. Weiter erzählt sie von Herrn Dr. Gerlich, von seinen Familienverhältnissen und von seinem guten Willen, den katholischen Glauben zu verstehen und die katholische Kirche zu verteidigen. Ferner berichtet Therese vom Fabrikbesitzer Schwarz und seiner Frau in Plauen, die gute Leute seien und für die Kirche viel Gutes tun. Schließlich von einem Professor Schleissner, der noch katholisch werde, und vom eben anwesenden Dr. Aigner, von dem sie sagte, er sei Monist, glaube an keinen persönlichen Gott und meine es nicht gut. Man möge ihn daher zu einem Besuch nicht zulassen. "Therese sagt ferner", berichtet der Bischof, "ich hätte sehr brave Eltern gehabt; meine Mutter sei längst im Himmel, und auch meine Schwester habe den Heiland gern. Zuletzt sprach sie von einem Professor aus Mainz, der katholisch geworden sei auf Grund der Eindrücke in Konnersreuth. Vom Pfarrer Witt in Münchenreuth meinte Therese, er sei eben ein eigensinniger Mann und man sollte dem Rechnung tragen. Die "Konnersreuther Zeitung" will sie nicht, denn sie berichte viel Unwahres. Einen Aufenthalt in einer Klinik wünsche der Heiland nicht, denn die Ärzte sind größtenteils ungläubig und befangen. Der Pfarrer und sie selbst hätten nichts gegen die Klinik, aber der Vater erlaubt es nicht. Eine nochmalige Untersuchung durch Schwestern werde nicht viel bedeuten, weil die Gegner sagen werden, die halten auch zu ihnen. Aber sie sei nicht gegen eine solche Untersuchung; freilich für ihr Seelen- und Gebetsleben sei dieselbe nicht gut." (7) Soweit die Notizen des Bischofs. Die Danksagung nach der Kommunion entpuppt sich also als eine plumpe Verteidigung in eigener Sache. Ob während der Passionszwischenpausen, ob nach Beendigung der Schauungen oder unmittelbar nach dem Kommunionempfang, eine Spur echter Frömmigkeit ist nicht zu finden. Eines fällt zudem bei all den Gesprächen, die Therese mit Bischöfen geführt hat, immer wieder auf, daß der "Heiland" nie, wie sonst, unmittelbar aus ihr gesprochen hat, sondern sie selbst hat die günstige Gelegenheit benützt, um ihre "Sehergabe" zu betätigen, eine Sehergabe, die sich in einer Anhimmelung der Bischöfe erschöpft. Das geschah wohl nicht absichtslos!

Was Therese in den Trancezuständen erlebt zu haben glaubte, gehört nicht zum Gebetsleben und ist kein Ausdruck von Frömmigkeit. Außerhalb dieser Zustände hat sich Therese offenbar nicht viel mit Gebet und Betrachtung befaßt. Über den Inhalt des Betens während des Gottesdienstes, der ihr nicht allzu viel gegolten hat, erfahren wir kaum etwas. Auch mit dem Gedanken an die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers wird sie sich kaum beschäftigt haben, denn es ist ja bekannt, daß Therese außerhalb der Trancen äußerst wenig Verehrung für das Erlöserleiden Christi gezeigt hat.

Therese Neumann ist offenbar wie ähnlich Veranlagte mit wenig Schlaf ausgekommen. Aber auch in dieser Frage sind die Nachrichten nicht eindeutig; jedenfalls handelt es sich um eine arge Übertreibung, wenn nur von zwei Stunden Schlaf in der Woche die Rede ist. Therese hat bekanntlich viel Zeit im Bett zugebracht. Während der Überwachung im Jahr 1927 hat sie täglich für kürzere Zeit geschlafen, ebenso oft und ausgiebig "geruht". Die Schwestern hatten wiederholt des Nachts den Eindruck, daß Therese stundenlang geschlafen habe; Therese jedoch widersprach und behauptete, wach gewesen zu sein. Sie besaß einen Schlüssel für die Kirche und begab sich gelegentlich auch des Nachts dorthin; aber es ist nicht bekannt, wie sie sich die Zeit dort vertrieben hat. Recht oft kann sie, außer zum Kornmunionempfang und um die Kirche zu schmücken, das Gotteshaus nicht betreten haben, weil sie sich selber dafür entschuldigt mit der Erklärung, sie sei eben keine "Betschwester" (8). Ein Schweizer Priester sagte einmal zu ihr:

"Gebetet haben Sie heute nachmittags auch nichts, nicht einmal ein Vaterunser für Ihre Plaggeister."

Sie gab zur Antwort:

"Ich denk, 's Beten ist schon immer gut. Ich bin aber keine Betschwester. Am Morgen geh' ich in die Kirche; aber am Nachmittag gehe ich gerne in den Wald oder unter einen Baum auf der Wiese und betrachte die schöne Natur. Ich höre besonders gerne den lieben Vögerln zu. Und jedes Blümerl und jedes Sternerl ist ja auch ein Wunder Gottes, das unserer Gedanken zu ihm erhebt."

Während der Beobachtungszeit im Jahr 1927 hat Therese nur einmal laut gebetet, und zwar im Anschluß an die bereits erwähnte Szene am 17. Juli, Hier betete sie für die Eltern, für ihren Bruder und einen Neffen, "für den Mann, welcher nicht recht urteilt und Menschenfurcht hat, dann noch für die vier, welche lieblos geurteilt haben". Sonst endet man keine Notiz über Thereses Gebetsleben, abgesehen von dem Eintrag am 14. Juli, da Therese den Schwestern versicherte, sie seien ihr "sehr lieb", nur des Nachts sei ihr die Beobachtung unangenehm, weil sie immer halblaut bete würde"

Inhaltlich weisen die überlieferten Gebetsworte ein großes Maß von sentimentalen Einschlag auf. Für die angemessene Form des Gotteslobs, wie sie die Kirche pflegt, hatte Therese offenbar wenig Verständnis. So sagte sie zu einem Priester, der in ihrer Gegenwart sein Brevier betete:

"Du stellst aber den Heiland auf eine harte Probe wenn Du ihm eine Stunde lang Latein vorliest. Sag ihm doch einfach. Mein Gott, ich hab dich lieb!" Ein andermal bemerkt sie: "Lesen Sie dem Heiland nicht so viel vor von dem, was in den Büchern steht! Er weiß ja, was darin steht. Man muß mit dem Herzen mit Ihm reden." (9)

Das sind sehr merkwürdige Ratschläge. Auf Grund solcher Einstellungen kann man auch alle Formen der kirchlichen Gottesverehrung ablehnen und den Irrtümern des Qietismus das Wort reden, jenen Irrtum, den die Kirche verurteilt hat.

8. Aszese

Wie steht es bei Therese Neumann mit freiwilliger Aszese und Opferbereitschaft? Man verweist auf die stellvertretenden Leiden und Sühneleiden. Aber wieviel leidet Therese dabei wirklich? Vermutlich gar nichts, weil sie ja im Trancezustand gefühllos ist.

"Sie hört nichts, fühlt nichts, sie ist tot gegen die Außenwelt. Eine Fliege setzt sich ihr aufs Auge und bleibt während fünf Minuten sitzen: nicht die leiseste spontane Bewegung erfolgt. Oder es zieht mit schmetternder Musik vor dem Fenster ein Veteranenzug vorüber, die Fenster erzittern: Die Ekstatische rührt sich nicht. Selbst die sonst so empfindlichen Stigmen verlieren ihre Reizbarkeit. Man hat sie versuchsweise gedrückt, ohne daß die geringste Reaktion erfolgt wäre." (1)

Sicher handelte es sich nicht um einen sehr schmerzhaften Druck.. Wäre Therese völlig gefühllos gewesen gegenüber ihr zugefügten Schmerzen, dann hätte sie nie in der Ekstase solche empfinden können. Sie war zwar weithin unempfindlich gegen äußere Reize aber sie war nicht völlig gefühllos. So beobachtete Lama, wie während der Leidensekstase ihr linker Arm sehr rasch herabfallend gegen die scharfe, hölzerne Bettkante fiel, "was bei ihr sofort einen Zug heftigen Schmerzes im Gesicht auslöste" (2). Die Stigmatisierte spürte demnach sehr wohl wirkliche körperlichen Schmerzen; nur die "ekstatischen" Leiden taten ihr nicht weh. Handelte es sich um wirkliche Schmerzen, dann war Therese gar nicht so tapfer. Erinnern wir uns, daß sie von einer der Mallersdorfer Schwestern im Jahr 1927 als "recht empfindlich" bezeichnet wurde. Als die Schwester aus einem Ohrläppchen der Therese Neumann etwas Blut entnahm, da beklagte sich diese über große Schmerzen, die man ihr bereitet habe. Wer sich bei solcher Gelegenheit derart empfindlich zeigt, bei dem überzeugt nicht mehr, wenn er, wovon früher die Rede war, sich rühmt, daß er trotz heftiger Zahnschmerzen nicht den Zahnarzt aufsuchen wolle, weil er seine großen Schmerzen dem Herrgott aufgeopfert habe. Wer trotz großer Zahnschmerzen nicht zum Zahnarzt geht, der ist doch wohl nicht tapfer, sondern feige, weil er sich vor dem Zahnarzt fürchtet.

Ein opferfreudiges Leben hat Therese Neumann keineswegs geführt. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte, den Garten oder die Blumen im Zimmer pflegen, sie konnte sich zur Abwechslung um die große Zahl ihrer Vögel kümmern. Sie besaß ein Pferd und fuhr übers Land auf ihrem Wagen, für den ihr in einer materialknappen Zeit Dr. Mittendorfer zweimal die vier Gummiräder besorgt hatte, nachdem ihr Bruder die erste gelieferte Garnitur in Beschlag genommen hatte, was zwischen den beiden Geschwistern zu einer Auseinandersetzung führte, die nach den Worten Mittendorfers Stoff für einen ausgezeichneten "Sketch" abgegeben hätte (3). Theres hat sich gelegentlich einen Film angesehen oder eine Festspielaufführung auf der Luisenburg besucht und andere dazu eingeladen (4). Sie konnte, sooft sie wollte, auf Besuch nach Eichstätt gehen oder sich in fern gelegene schöne Gegenden fahren lassen. Sie brauchte nur einen Wunsch anzudeuten, schon wurde er ihr erfüllt; es wurde als besondere Ehre betrachtet, ihr einen Wunsch erfüllen zu dürfen. Was Anni Spiegl von Dr. Mittendorfer schreibt, der sich "Resls Chauffeur" nannte, ist nur ein Beispiel:

"Er hat ihr nie einen Wunsch oder eine Fahrt abgeschlagen." (5)

Oft und oft hat Therese Reisen in die Nähe und in die Ferne unternommen, wie es keiner zu tun vermag, der sich um das tägliche Brot sorgen muß. Die Reiselust der Stigmatisierten von Konnersreuth war allgemein bekannt. In den Antwortschreiben auf Gesuche, in denen um Erlaubnis zum Besuch in Konnersreuth gebeten wurde, findet sich immer wieder die Bemerkung, man rate unter anderem auch aus dem Grunde von einem Besuche ab, weil nicht bekannt sei, zu welcher Zeit sich Therese in Konnersreuth aufhalte. Trotzdem versichert Spirago, "daß Therese Neumann keine Reise macht" (6).

Der materiellen Sorge war Therese Neumann auf Grund reichster Spenden enthoben. Auch nach dem Tod des Professors Wutz stand ihr und ihren Schwester sein Haus als Wohnung zur Verfügung. Wenn Therese selber das Wort gebraucht, durch Leiden könnten weit mehr Seelen gerettet werden als durch die glänzendsten Predigten, dann muß man fragen: Worin bestanden bei ihr die Leiden? Ihre Sühneleiden waren für sie nicht spürbar; auch während der Freitagsekstasen war sie gefühllos. Die eigentlichen Leiden, über die sie sich nachdrücklich immer wieder beklagt hat, bestanden darin, daß man nicht an sie "geglaubt" hat. Doch dafür, wurde sie überreich entschädigt durch die Verehrung, die ihr nicht wenige Persönlichkeiten von Rang und Namen erwiesen haben.

Begreiflicherweise berufen sich auch die Anhänger der Stigmatisierten von Konnersreuth mit Vorliebe auf solche Zeugen. Der Wert eines Zeugnisses freilich liegt einzig und allein in dem Grad der Übereinstimmung mit den Tatsachen, nicht in der Person des Zeugen. Zudem wurden wiederholt, wie wir gesehen haben, Zeugen benannt, die in Wirklichkeit keine sind. So veröffentlicht Dr. Steiner in der 5. Auflage seines Buches über Therese Neumann einen Brief aus der Hand des Subregens Dr. Westermayr an den Bischof von Regensburg. Westermayr galt als Fachmann auf dem Gebiet der Mystik. In dem Brief stehen die Worte:

"Ich bin zu der festen, subjektiv sicheren Überzeugung gekommen und fühle mich im Gehorsam verpflichtet sie auszusprechen. Die Resl ist eine echte christozentrische Mystikerin und ist mit Gott in mystischer Begnadigung und Liebe verbunden. ... Das abschließende Gesamturteil kann somit vom Standpunkt meiner Kenntnis der mystischen Gesetze nur günstig lauten." (7)

Der Brief, geschrieben im Jahr 1928, wurde Dr. Steiner "aus den Akten des Bischöflichen Ordinariates Regensburg ... zur Verfügung gestellt". Das Bischöfliche Ordinariatsarchiv enthält noch eine Reihe anderer Schreiben aus der Hand Dr. Westermayrs. Hätte man Dr. Steiner auch diese Schriften zur Verfügung gestellt, dann hätte er gesehen, daß Dr. Westermayr keine zwei Jahre später über Therese ein geradezu vernichtendes Urteil gefällt hat. So schreibt der Freisinger Subregens im Februar 1930:

"Gerade vom Standpunkt der christlichen Mystik begegnet die Annahme der göttlichen, mystischen Gnadenwirkung bei den Konnersreuther Phänomenen sehr ernsten, fast unüberwindlichen Bedenken. ... Das Gewicht der Bedenken gegen die Konnersreuther Mystik wird noch belastet, wenn, was festzustehen scheint, Fehlurteile und Fehlvoraussagungen der Therese Neumann vorkommen." (8)

Fünf Monate später führt Westermayr weiter aus:

"Ich schäme mich gar nicht zu gestehen, daß ich meinen anfänglichen Standpunkt zugunsten von Konnersreuth geändert habe. ... Wenn die übernatürliche, auf göttliche Verursachung schließende Deutung an unüberwindlichen Bedenken scheitert, dann sieht man sich eben gezwungen, zu einer anderen Erklärung seine Zuflucht zu nehmen, sei es zur pathologischen oder auch dämonischen." (9)

Wir stellen uns zum Schluß dieses Kapitels noch einmal die Frage: War Therese Neumann eine Heilige? Pro. Mayr bejaht die Frage. Der Reporter Wolfgang Bauer berichtet:

"Prof. Mayr, der jahrzehntelang zu den guten Freunden des Hauses Neumann zählte, ist davon überzeugt, daß die Resl die Tugenden in einem heroischen Maße geübt hat. Eine Voraussetzung für jeden möglichen Selig und Heiligsprechungsprozeß." (10)

Das ist ein Urteil, welches durch das Zeugnis der Akten glatt widerlegt wird. Steiner erwähnt, daß am 27. Januar 1968 ein Gremium damit beauftragt worden sei, alles erreichbare Material über die Vorgänge in Konnersreuth für einen Informativprozeß zu sammeln und Zeugen zu vernehmen" (11).

Was sollen denn solche überflüssige Befragungen angesichts der vorhandenen Akten?


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Letzte Änderung: 26. Dezember 2002