Konnersreuth als Testfall

VII. Beziehung zu Verstorbenen

1. Telepathische Teilnahme beim Tode von Mitmenschen

Es ist ein heiliger und frommer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, heißt es in der Heiligen Schrift. Sicher ist auch Therese Neumann dieser Verpflichtung nachgekommen, was auch ihre mystische Verbundenheit mit abgeschiedenen Seelen, vor allem durch „Sühneleiden“, zu bestätigen scheint. Sie wusste Auskunft zu geben über das Schicksal Verstorbener im Jenseits wie auch über verborgene Ereignisse aus deren irdischem Leben. Ihr war es gestattet mitzuerleben, wie ein Mitmensch in der Nähe oder Ferne mit dem Tode rang; sie schaute, wie seine Seele vor Gottes Gericht stand, besonders dann, wenn es sich um Prominente handelte.

Beim Tod von Papst Pius XII. war sie in der Ekstase zugegen:

„Sie sah dabei, wie sich im Augenblick des Todes die Seele vom Leib trennte, wie diese dem Heiland gegenüber trat und wie sie mit ihm, begleitet vom Schutzengel, nach oben entschwebte.“1

Nicht ganz so gut kam Bischof Antonius von Regensburg weg. Auch hier will Therese geschaut haben, wie seine Seele den Leib verließ. Dann erschien diese zunächst vor dem Herrgott im Himmel zum Gericht. Sie durfte eine Zeitlang dort weilen, musste aber dann ins Fegfeuer. Therese war mit Bischof Antonius nicht zufrieden, da er es ja gewesen war, der auf eine Überwachung in einem Krankenhaus gedrängt hatte.

Steiner schreibt:

„Therese Neumann sah, wenn sie an ein Sterbelager gerufen wurde, in manchen Fällen auch ohne Anwesenheit, einige Zeit nach dem Tode die Seele in einer der Gestalt des Verstorbenen ähnlichen Lichtgestalt dem Leibe entsteigen, dann sah sie Christus kommen und die Seele richten. Als Begleitung Christi erschienen lichte Seelen, die dem Verstorbenen, so lange sie lebten, besonders nahe gestanden hatten und inzwischen in die Seligkeit hatten eingehen dürfen. Im allgemeinen hatte diese Gerichtsvision ungefähr folgenden Verlauf: Der Heiland erscheint mit verklärtem Leib, strahlend, begleitet von unkörperlichen Lichtgestalten, und blickt die Seele des Verstorbenen liebreich an. Diese wird mehr oder weniger hell und hat in einem Augenblick erkannt, dass dieser ihr Zustand absoluter Gerechtigkeit entspricht. Der Richter und die Begleitung entschwinden, während die Seele einsam zurückbleibt. In wenigen Fällen sah Therese den Heiland im Augenblick des Todes überirdisch lächelnd kommen; die Seele des Verstorbenen wurde sofort ganz licht und durfte mitkommen. Sie selbst rief dann in der Ekstase: ,Mit, mit' und streckte lebhaft die Hände aus.“2

Zu diesen wenigen zählte ihre Schwester Ottilie, die bei Prof. Wutz Haushälterin war.

„Resl, die die letzten Tage bei der Schwester zubrachte, sah im Augenblick des Todes den Heiland lächelnd in hellstem Glanze kommen und die sofort ganz rein aufstrahlende Seele der Schwester mitnehmen. Therese, die während der Vision ,Mit, mit' rief, war hernach trotz des schweren Verlustes hochbeglückt.“3

Am 20. Januar 1931 wurde Pfarrer Naber zu einem Sterbenden gerufen4. In der Ekstase erfuhr Therese, dass der Verstorbene ins Fegfeuer verwiesen worden war. Sie erzählte, „dass sie diesen vor dem Heiland gesehen, bei ihm den Sczhutzengel einen älteren Mann und eine alte Frau und etwa drei Kinder, die ganze Begleitung in verklärtem Zustand (offenbar waren es Vater und Mutter des Verstorbenen, seine zwei gefallenen Söhne und seine klein gestorbenen Kinder). Da die Seele des Verstorbenen noch nicht ganz rein ist, muß sie, als der Heiland mit den anderen in den Himmel zurückkehrt, zurückbleiben und schaut äußerst wehmütig nach“

2. Auskunft über das Schicksal Verstorbener

Es verwundert nicht mehr, wenn Therese ein außerordentlich enger Kontakt mit den Seelen im Läuterungsort zugeschrieben wird. „Sie unterhielt sich mit ihnen„ und ließ sich über deren eigenes oder über das Schicksal anderer in der Ewigkeit „informieren“. Vor allem wusste sie Bescheid zu geben, wenn es sich um Verwandte, Bekannte oder Freunde handelte. Auf Anfrage erteilte sie auch Auskunft über Verstorbene, von denen sie nie etwas gehört hatte, ja sie tat dies zuweilen sogar, ohne gefragt zu sein, und ihre Angaben fanden Glauben, so wie immer noch „Offenbarungen der Mutter Gottes von Heroldsbach“ Gläubige finden. In unaufgefordert zugesandten Blättern war zu lesen, Maria habe verkündet, wie schwer der verstorbene Erzbischof von Regensburg und die verstorbenen Bischöfe von Bamberg, ja auch Papst Pius XII. und selbst Therese Neumann leiden müssen, weil sie nicht an die Erscheinungen in Heroldsbach geglaubt haben.

Wir wissen; dass ein jeder Mensch einmal vor Gott Rechenschaft ablegen muss. Ober das Wie der Sühne im Jenseits freilich können wir nur Vermutungen anstellen, es sei denn, wir verlassen uns auf die Offenbarungen der Stigmatisierten von Konnersreuth. Diese wusste über die Dauer der Sühne im Läuterungsort mitzuteilen: „Manche Seelen müssen sehr lange büßen, hundert und mehr Jahre, einige sogar bis zum Jüngsten Gericht.“5 Das Fegfeuer für ihren Vater war nach ihrer Versicherung nur von kurzer Dauer. Auch Prof. Wutz brauchte nicht lange zu büßen, für ihn war der Läuterungsort seine eigene Hauskapelle6.

Oft geschah es, dass Verstorbene sich bei Therese anmeldeten und um Hilfe baten. Darunter waren Seelen, die seit Jahrhunderten im Läuterungsort weilten, vor allem aber solche, die ihr im Leben begegnet waren. Allerdings hat Therese nie erklärt, wer von Gott verdammt worden sei7.

Die „Bettelkatzln“, wie Therese die Armen Seelen nannte, kamen regelmäßig Hilfe suchend zu ihr. So sah sie einmal ihren Jugendseelsorger Ebel8, der sie bat:

„Bete doch für mich, ich habe dich doch getauft und dir die erste heilige Kommunion gereicht. Ich habe dich hernach bestraft, ohne dich zu fragen, weil ich dich für zerfahren hielt; ich wusste ja nicht, dass dein Verhalten auf eine außerordentliche Erscheinung zurückging.“

Der Arme musste so lange büßen, weil er nicht gefragt hatte! - Zu dem angedeuteten Ereignis gab Therese im Jahre 1953 „vor einer vereidigten kirchlichen Kommission“ unter Eid die Erklärung ab: Während der Erstkommunionfeier sei der Heiland selbst auf sie zugekommen. Sie habe sich, ihrer selbst nicht mächtig, nicht, wie vorgeschrieben, verhalten. Der Geistliche habe dies als Zerstreuung gedeutet und Therese anderntags vor allen Kindern gestraft.

Die Aufzeichnung des Pfarrers Nabel vom 23. November 1928 lautet:

„Heute darf Therese den letzten katholischen Pfarrer von Arzberg vor der endgültigen Einführung des Protestantismus aus dem Fegfeuer erlösen. Wegen Unmäßigkeit im Trinken und Nachlässigkeit bei der Feier der hl. Messe habe er, sagte sie, so lange im Fegfeuer leiden müssen; seiner Kindlichkeit wegen dürfe sie ihn jetzt erlösen.“9

Einige Beispiele aus Staudingers Schrift10: Den Vater eines Priesters durfte Therese nach 48 Jahren Bußzeit aus dem Läuterungsort befreien; ohne ihre Hilfe hätte er noch zwei Jahre darin verbleiben müssen. -Einem weiteren Priester hilft sie zur Erlösung, der bereits seit 1895 gesühnt hatte. - Einem amerikanischen Geistlichen, der in Konnersreuth weilte, offenbarte die Stigmatisierte, sein vor Jahren verstorbener Vater sei trotz der vielen heiligen Messen, die inzwischen sein Sohn aufgeopfert hatte, noch nicht erlöst. Als Grund gibt Therese an, er habe die hl. Messe zu wenig geschätzt. Obwohl er ganz nahe bei der Kirche wohnte, ging er nicht an Werktagen regelmäßig zum Gottesdienst, sondern besuchte gewöhnlich nur die Sonntagsmesse. Aus diesem Grunde nützten ihm auch die ihm zu gewendeten hl. Messen nicht viel. Bei dieser Auskunft hätte freilich die Seherin an ihre eigene Einstellung zum Messopfer denken müssen. Auch sie wohnte in unmittelbarer Nähe des Gotteshauses; trotzdem versäumte sie sehr oft die hl. Messe, zum Beispiel hat sie in all den Jahren seit ihrer Erkrankung bis zu ihrem Tode nicht ein einziges Mal während der Fastenzeit, auch nicht an Sonntagen, den Gottesdienst in der Kirche besucht. - Ein Pfarrer, dessen Mutter von Therese im Läuterungsort gesehen wurde, wollte die erhaltene Auskunft nicht glauben. Er meinte: „Meine Mutter ist doch vor dem Sterben lange, lange Zeit krank gewesen. Da wird sie doch schon das meiste abgebüßt haben.“ Die Begründung lautete: „Sie hat die Krankheit zu wenig benützt, um in Leid und Geduld zu sühnen.“

Einmal kam Therese in schwerste Verlegenheit. Dr. Witry hatte auf Grund einer Auskunft, die er von Lama in München erhalten hatte, eine mehr als bedenkliche Mitteilung der Stigmatisierten über das jenseitige Schicksal der beiden Päpste, Leo XIII. und Benedikt XV., veröffentlicht. Im Jahre 1931 hatte Lama dem Arzt Dr. Witry im Beisein der Gattin des Mediziners erzählt, er habe Therese Neumann im Zustand der erhobenen Ruhe verkünden hören, Leo XIII. habe „ein paar tausend Jahre“ im Fegefeuer zu büßen, weil er Kirchengüter schlecht verwaltet habe, Bedenikt XV. Sei ebenfalls „viele tausend Jahre“ im Fegefeuer, weil er als junger Prälat ein Kind gezeugt habe. Es ist bezeichnend, wie sich die Seherin vor dem Bischof von Regensburg zu rechtfertigen sucht. Zunächst zögert sie die geforderte schriftliche Antwort sehr lange hinaus und entschuldigt sich mit den Worten. „Mußte mich, da ich doch länger fort war, erst wieder eingewöhnen und jeden Tag war etwas Anderes.“ Im übrigen besteht ihre Rechtfertigung in einer Anklage gegen Lama und im Ableugnen ihrer gegebenen Auskunft. Obgleich sie über ihre ekstatischen Aussagen im folgenden Wachzustand angeblich nicht das geringste wusste, erklärt sie jetzt mit aller Entschiedenheit, nichts über die Päpste ausgesagt zu haben, weder Gutes noch Schlimmes. Wie nicht anders zu erwarten, wurde sie von Pfarrer Naber in Schutz genommen: „Dieser Schriftsteller hat nie die Resl in diesem Zustand gesehen und die Resl hat noch nie etwas aus der Papstgeschichte erzählt.“ Man muß berücksichtigen, daß Witry, wie er versichert sofort nachdem er, im Beisein seiner Gattin, durch Lama unterrichtete worden war, den Wortlaut der erhaltenen Mitteilung niedergeschrieben hat. In einem Brief an Prof. Wunderle schreibt Dr. Witry über Lama: „Er hat mir mit vollem Ernst behauptet, die Resl habe das in seiner Gegenwart im Zusatnd der erhobenen Ruhe auf Befragen Nabers erzählt.“ Am 30. November 1934 schreib Witry an den Bischof von Regensburg. Im Brief betont er, Lama habe versichert, die Äußerung über die beiden Päpste habe er aus dem Munde von Therese Neumann, die im Zustand der erhobenen Ruhe war, gehört“. Pfarrer Naber hingegen behauptet, Therese Neumann habe nie aus der Papstgeschichte etwas erzählt, Lama habe Therese nie im Zustand der erhobenen Ruhe gesehen. Dass auch Lama die Veröffentlichung Witrys äußerst peinlich war und dass er später von seinem Bericht nichts mehr wissen wollte, versteht sich. Aber auch Therese Neumann selber bestätigt, dass über die Päpste gesprochen worden war. In ihrem Verteidigungsbrief an den Bischof von Regensburg heisst es über Lama:

„Wohl erinnere ich mich, daß er einmal zu mir so ungefähr sagte, er wisse von einer anderen ekstatischen Seite was ganz Schweres über Papst oder so ähnlich. Da ich nicht wußte, was er meinte mit Papst und noch ein Wort wie illegitim oder so ähnlich, sagte ich ,Nein'.“

Damit ist bewiesen, dass Therese mit Lama eine diesbezügliche Unterredung gehabt hat, von der sie das Wort „illegitim“ im Gedächtnis behalten hat11.

Ein Fall muss noch näher erläutert werden, weil er sowohl Gottes gerechtes Urteil als sehr fragwürdig erscheinen lässt als auch zeigt, was von der ekstatischen Auskunft durch Therese Neumann zu halten ist. Es ist die bekannte Affäre um Schwester Canisia. Wir folgen im wesentlichen zwei Berichterstattern, nämlich Teodorowicz und Boniface.

Teodorowicz schildert den Fall wie folgt:

„Der zweite Fall betrifft eine Schwester, die die Klostergemeinschaft verlassen hatte und die dann in der Welt ein Leben führte, welches zwar moralisch untadelhaft war, das aber dennoch wegen mancher äußerer Umstände Anstoß erregte; der Tod überraschte die ehemalige Schwester, die ohne Sterbesakramente dahinschied. Auf die Anfrage der Familie der Verstorbenen erklärte Therese während ihres ekstatischen Zustands, daß die Verstorbenen beim Heiland sei. Der Pfarrer war über diese Worte Theresens sehr betroffen; er stellte sie zur Rede, wie sie überhaupt so etwas hätte sagen können. Und jetzt faßte Therese das ganze innere Leben der Verstorbenen und die Fügung Gottes in ein so klares Bild, daß alle zersplitterten und mißverstandenen Einzelheiten dieses Lebens in der Gesamtidee, die Therese entwarf, in ihrem Geschick, ja selbst in ihrem Tode begründet zu sein schien. Therese erklärte nämlich, diese Person sei immer von dem besten Willen beseelt gewesen, Gott zu dienen. Der schwache Punkt in ihrer Seele aber sei der gewesen, dass sie bei Ausübung der Tugenden immer so viel Vertrauen zu sich selber gesetzt hätte; zur Strafe dafür und zu ihrer Demütigung, aber auch zu ihrem Seelenheile sei zugelassen worden, daß sie von dämonischen Einflusse erfaßt wurde. In der Sterbestunde hätte man einen Exorzismus an ihr vornehmen sollen, aber man gab sich nicht genug Rechenschaft darüber ab, in welchem Zustande sie sich befinde und die dämonische Besessenheit schrieb man ihrer eigenen Gesinnung zu. Im Sterben jedoch habe sie die Gnade vollkommener Reue bekommen.“12

In dieser Fassung dürfte wohl auch der Fall in Konnersreuth erzählt worden sein. Es wäre allerdings für den Bischof von Lemberg ein Leichtes gewesen, einen wahrheitsgemäßen Bericht abzufassen, hätte er beim zuständigen Bischöflichen Ordinariat die nötigen Informationen eingeholt.

An die hier wiedergegebene Erzählung knüpft dann Teodorowicz eine längere Betrachtung, die er mit den Worten einleitet:

„Ohne über Echtheit oder Unechtheit dieser Aussagen entscheiden zu wollen, hebe ich nur das Schöne und Tiefe in der Auffassung der Seelenprozesse hervor, welches mit den äußeren Ereignissen in Einklang gebracht wurde.“

Hätte der Bischof genauere Erkundigungen eingeholt, wäre ihm die Entscheidung über Echtheit oder Unechtheit sehr leicht gefallen, und er hätte gemerkt, dass in seiner Berichterstattung kein Einklang zu finden ist.

Doch Teodorowicz war überzeugt davon, „dass diese Stimmen nie irren“. Allerdings meint er hinsichtlich Schwester Canisia selber, ein „äußerer Beleg“ müsse „dieser Erkennung und Deutung das übernatürliche Siegel“ aufdrücken. Dies soll auch geschehen sein. „Niemand anders als Therese Neumann selbst war die erste, die die Notwendigkeit eines derartigen Beweises zur vollständigen Lösung dieses Vorganges als unentbehrlich erachtete.“ Sie verkündete nämlich dem Pfarrer: „Damit Du aber weißt, dass das alles wahr ist, was im sage, so kommt hier nach Konnersreuth ein Mann“, - dabei bestimmte sie ganz genau den Tag seiner Ankunft -, „der bringt mehrere hundert Mark in einem Briefumschlag; ich werde dieses Geld nicht annehmen, Du aber wirst es annehmen und Du sollst daran erkennen, dass Du dazu berechtigt bist.“ So geschah es denn auch. Den größeren Geldbetrag hatte Pfarrer Naber ein Jahr zuvor einem angeblich unbekannten Mann, nach Zustimmung der Therese, die sich in Ekstase befand, geliehen. - Anni Spiegl erzählt dieses mysteriöse Ereignis jedoch anders: Eines Tages habe Pfarrer Naber von einem Unbekannten einen Brief erhalten, in dem die umgehende Sendung von 500 Mark erbeten wurde. Der Bittsteller versicherte, er werde das Geld wieder zurückbringen. Therese, nach der Kommunion befragt, gab den Rat, das Geld zu schicken; alles werde, wie versprochen, im Pfarrhof in einem blauen Kuvert zurückgegeben werden“. - Wieder anders schildert diese Szene Pfarrer Naber. Hier heißt es, jener geheimnisvolle Mann, von dem der Pfarrer nicht einmal wusste, aus welchem Land er stamme, sei persönlich bei ihm gewesen. Als er, Naber, ein Jahr darauf am 22. Juli aus Regensburg zurückgekommen sei, habe ihm Therese im ekstatischen Zustand - dabei sei sie „etwas zappelig“ geworden - berichtet, am 24. Juli werde der Mann zu ihr kommen und ihr zur übermittlung das Geld anbieten. Der Mann werde, weil Therese die Annahme des Geldes verweigern werde, fortgehen, aber wieder zurückkehren und ihr einen Briefumschlag übergeben mit dem Auftrag, diesen dem Pfarrer auszuhändigen. Am 24. Juli sei dann Therese zu ihm in den Pfarrhof gekommen und habe ihm „etwas Weißes“ überreicht. Jener Mann habe sich bei ihr als Offizier vorgestellt sie kenne weder „einen Namen noch seine Heimat. So berichtet der Pfarrer am 24. Juli an den Bischof, also am selben Tag, an dem er das Geld zurück erhielt das Schriftstück an den Bischof ist auch von

Therese Neumann unterzeichnet13. - Schon die widersprüchliche Berichterstattung lässt Zweifel aufkommen. Sonderbar klingt auch die Offenbarung, jener Mann werde das Geld zu Therese bringen. Aber noch sonderbarer ist die Erläuterung durch die Seherin, wonach die ganze Geschichte widersinnig erscheint. Wie kann der Unbekannte Therese Neumann das Geld anbieten, das dem Pfarrer gehört und nicht ihr? Warum nimmt sie das Geld zuerst nicht, dann aber doch an - in einem blauen oder weißen Briefumschlag? Wozu bedarf es eines Orakels, dass der Pfarrer berechtigt sei, das ihm geschuldete Geld anzunehmen? Warum schickt Therese den Schuldner nicht zum Gläubiger? Wie soll dieser leicht zu verwirklichende „Beweis“ -Therese verfügte über genügend Geld - etwas über die Richtigkeit der Auskunft über Schwester Canisia aussagen?

Zu diesem Bericht existiert eine weitere Variante, die Boniface mitteilt:

„Es ereignete sich z. B., dass Therese eine bestimmte Person im Himmel sah, ohne dass diese das Fegfeuer durchlaufen hatte und die dazu noch exkommuniziert und in diesem Zustand verstorben war. ... Nachdem jedoch anschließend eine kirchenrechtliche Untersuchung eingeleitet worden war, ergab sich, dass die exkommunizierte Ordensfrau, über deren ewiges Los Therese befragt worden war, unter einer Gehirnerkrankung gelitten hatte, die bereits vor den Ereignissen, die eine Exkommunikation rechtfertigten, vorhanden war.“14

Diese Variante zeigt, dass Teodorowicz einen wichtigen Umstand unerwähnt gelassen hat, nämlich die Exkommunikation. Boniface verrät nicht, wie man nach Tod und Begräbnis der ehemaligen Klosterfrau ohne Untersuchung eine Gehirnerkrankung hat feststellen können, und es ist schleierhaft, wie das eine kirchenrechtliche Untersuchung fertig bringt. Wenn eine Krankheit der bezeichneten Art vorgelegen hätte, dann muß man doch wohl erstaunt fragen: Kam nie jemand zu Lebzeiten der Schwester auf den Gedanken, eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen? Eine „kirchenrechtliche“ Untersuchung fand nie statt15. Vergleichen wir den Bericht des Boniface mit dem von Teodorowicz, so fällt auf, dass nach der Darstellung des Bischofs Therese Neumann von allem anderen spricht, nur nicht von einer Gehirnerkrankung. dass ihr diesen wesentlichen Umstand

der „Heiland“ nicht verraten hat, ist merkwürdig.

Was war nun eigentlich, entgegen den wahrheitswidrigen Darstellungen, geschehen? Aufschluß über die tatsächlichen Vorgänge gibt Hilda Graef16. Zudem ist der geschilderte Fall noch aus einer anderen Quelle bekannt. Weihbischof Dr. Höcht hat ihn in meinem Beisein im Jahr 1947 erzählt. Er hatte die Akten, Schwester Canisia betreffend, vom Freiburger Ordinariat zugesandt erhalten mit der Bitte, die jeweils gewünschten Auskünfte in Konnersreuth einzuholen. Aus diesen Akten geht hervor, dass Schwester Canisia früher Mitglied der Kongregation der Canisiusschwestern in Freiburg in der Schweiz war und aus der Gemeinschaft entlassen wurde. Von da an hielt sie sich in der Erzdiözese Freiburg i. Br. auf. Zusammen mit zwei Priestern wurde sie zum Mittelpunkt eines pseudomystischen Zirkels. Sie bildete sich ein, ihr sei eine neue Form der Anbetung des heiligsten Sakramentes geoffenbart worden, worauf ihr die beiden Priester mit der Post regelmäßig konsekrierte Hostien zusandten. In ihrer Wohnung versammelte sich täglich eine große Zahl von

Freunden zu eucharistischen Prozessionen, und im Anschluss daran teilte Canisia die hl. Kommunion aus. Sie und ihre Mitläufer legten die konsekrierten Hostien auf die entblößte Brust, um ekstatische Zustände hervorzurufen. Auch „noch anderen greulichen Unfug“ verübten sie. Die Sache kam schließlich dem zuständigen Bischöflichen Ordinariat zu Ohren. Wegen schweren Frevels gegen das Altarsakrament und wegen Förderung abergläubischer und sakrilegischer religiöser Übungen wurde im Jahr 1919 über die zwei Priester und Canisia die Strafe der

Exkommunikation verhängt. Ein Priester ist vor Canisia unbußfertig gestorben, nachdem er kurz vorher mit der kaum siebzehnjährigen Tochter einer von ihr betreuten „begnadeten“ Frau ein Kind gezeugt hatte. Canisia wollte ihre schwere Verfehlung nicht einsehen und lehnte eine Aussöhnung mit der Kirche ab. Noch eine halbe Stunde vor ihrem unerwarteten Tod im Jahr 1923 hat sie „bis zur Raserei“ gegen die Geistlichen gewütet. Als namentlich Exkommunizierte konnte sie nicht kirchlich beerdigt werden. Hätte ein ärztliches Zeugnis vorgelegen, dass Canisia an einer Erkrankung des Gehirns gelitten hätte, wäre die kirchliche Einsegnung nicht verweigert worden.

Sechs Jahre später, am 4. April 1929, kamen zwei Damen, darunter eine leibliche Schwester jener Canisia, nach Konnersreuth. Sie zeigten Therese Neumann eine Photographie der Verstorbenen mit der Bitte um Auskunft, wie es um deren Schicksal im Jenseits bestellt sei. Nach einer Ekstase der Stigmatisierten erklärte Pfarrer Naber: „Sie ist vom Mund auf in den Himmel gekommen.“ Die Angehörigen beschwerten sich nun beim zuständigen Bischöflichen Ordinariat, weil das kirchliche Begräbnis verweigert worden war. Am 26. Mai 1929 fragte das Freiburger Ordinariat bei der bischöflichen Kurie in Regensburg an, ob die erwähnte Auskunft wirklich erteilt worden sei und ob man sie, falls mit „Ja“ geantwortet werde, aufrechterhalte. Das Pfarramt von Konnersreuth bestätigte am 24. Juli 1929, wiederum auf Grund einer ekstatischen Aussage der Stigmatisierten, die Richtigkeit der abgegebenen Versicherung. Als Begründung wurde angegeben:

„Kurz vor ihrem Tode habe Canisia eine vollkommene Reue erweckt und sei reumütig gestorben. Sie habe zerrüttete Nerven gehabt, sei deshalb zeitweise geistesgestört gewesen und vom bösen Feinde als Werkzeug und Spielball benützt worden. Viel von dem Schlimmen, was über sie gesagt wurde, sei Verleumdung gewesen, viel auch wahr. Was sie mit wirklich freiem Willen gefehlt, sei nicht schwer sündhaft gewesen, für das schwer Gefehlte habe sie nicht gekonnt, weil es vom Teufel gelenkt gewesen sei. Unter diesem Zustande habe die Schwester, die an sich ein gutes Herz gehabt habe, furchtbar gelitten. Es sei der Sache zu wenig nachgegangen worden, deshalb habe man es nicht bemerkt, dass der böse Feind im Spiel gewesen sei. Der Exorzismus wäre das einzige richtige Mittel dagegen gewesen.“

Die ekstatisc1le Auskunft der Seherin von Konnersreuth, die durch Pfarrer Naber schriftlich festgehalten wurde, ist auch insofern aufschlußreich, als das darin zum besten gegebene Wissen über jene Schwester Canisia durchaus natürlich zu erklären ist. Was Therese in der Ekstase ausgesagt hat, war keineswegs ein Ausfluss göttlicher Erleuchtung, sondern war ihr vielmehr schon

längst bekannt. Durch die Schwester der Verstorbenen hatte sie ja anlässlich ihres Besuches alles bis ins kleinste erfahren. Den Inhalt der Besprechung hatte Therese ihrem Pfarrer im Normalzustand geschildert . Was sie in der Ekstase gesagt hat, ist nur ein Auszug dessen, was sie vorher bereits gewusst hat auch die Bemerkung, dass der Teufel an allem schuld gewesen sei, stammt aus dem Bericht der Besucher aus der Freiburger Diözese.

Jene „innere Stimme“, von der Teodorowicz erklärt, sie irre nicht, hat sich also sehr schwer getäuscht, so schwer, dass sie sogar versicherte, Canisia habe ein „moralisch untadeliges“ Leben geführt, was jedoch durch die erwähnten Akten eindeutig widerlegt wird. Es ist zu alledem auch noch bekannt geworden, dass Schwester Canisia durch einen Priester, ein Mitglied des oben erwähnten „mystischen Zirkels“, in andere Umstände gekommen war. In dieser Zeit, während des Ersten Weltkrieges prophezeite Canisia, ihr Kind werde „der Zweite Erlöser„ sein; falls ihr nicht geglaubt werde, zögen die Franzosen rasch ins Land. Der so angekündigte „Erlöser“ entpuppte sich allerdings als ein - Mädchen18.

Noch etwas anderes muß schwerste Bedenken auslösen Weihbischof Höcht hat sie so zum Ausdruck gebracht: „Wenn es so leicht geht, ohne jede Bußgesinnung in den Himmel zu kommen, auch wenn man exkommuniziert ist und die Aussöhnung mit der Kirche ablehnt, dann können wir alle unbesorgt sein.“

Die Auskünfte über Verstorbene gab Therese nicht bloß in der Ekstase, sondern auch im Normalzustand ab. Darf man jedoch glauben, dass Gott einen Menschen so weitgehend an seiner Allwissenheit teilnehmen lässt? Im Pastor des Hermas (Mitte des 2. Jh.) heißt es: „Kein Geist, der sich fragen läßt, ist aus Gott.„ In Konnersreuth aber haben sehr viele über Dinge, die Gott den Menschen verborgen hält, Auskunft verlangt und erhalten. Zudem sind gar oft Antworten erteilt worden, die mit der Wahrheit, mit der kirchlichen Autorität und der katholischen Moraltheologie im Widerspruch stehen. Es ist ein allgemein anerkanntes Gesetz der Mystik, aber auch der pastoralen Klugheit, dass man solchen Stimmen niemals ohne peinlichste Prüfung der Geister Glauben schenken darf. In Konnersreuth jedoch hat man die Christusorakel bedenkenlos als absolute Wahrheit hingenommen.

3. Sühneleiden

Therese Neumann wird gerühmt als Opferseele für die Verstorbenen, für die sie betete und litt. Als sie mit Bischof Waitz nach Empfang der hl. Kommunion einige Zeit geplaudert hatte, sprach sie unvermittelt: „Jetzt darf ich wieder leiden.“1 Und sofort ertrug sie heldenmütig irgendein Gebrechen. Die schwerste Art des Sühneleidens war die Übernahme von Strafen, die die Seelen im Läuterungsort zu tragen gehabt hätten. Es berührt seltsam, wenn Therese im Wohnzimmer des Konnersreuther Pfarrers, „auf dessen Sofa, die erste Seele aus dem Fegfeuer erlösen durfte“2, vor allem, wenn der Erlöste der Vater von Pfarrer Nabar war.

Ober die Sühneleiden schreibt Teodorowicz:

„Das Geheimnis des Dogmas von der Gemeinschaft der Heiligen scheint hier seinen Schleier lüften zu wollen. Es nähert uns in einer sinnlich faßbaren Art, es läßt uns seinen lebendigen Pulsschlag fühlen. Überall können wir eine harmonische Verbindung der Freiheit des menschlichen Willens und der göttlichen Wirkung bewundern: Wir erleben die Umwandlung des Leidens, die Vergeistigung des Kreuzes durch die Liebe, die Liebe der Seelen und die Liebe Christi.“3

Es ist erstaunlich, dass Therese von Konnersreuth das wusste, was kein Mensch zu sagen vermag, wo man den Läuterungsort zu suchen habe und worin die Leiden der Armen Seelen bestchen. Nach ihrer Auskunft gibt es ein gemeinsames Fegfeuer; manche Seelen jedoch müssen auf der Erde leiden und büßen: „ Viele Armen Seelen sind allein in Gefängnissen, wieder andere sind in Scharen beisammen.“ Und von einer verstorbenen Person behauptete Therese, ihre Seele befinde sich an einem Ort, „wo eine fremde Hilfe hindringt“4. Ein andermal versicherte Therese:

„Viele Seelen müssen an dem Platze leiden, wo sie gestorben sind und wo sie gesündigt haben. Wer z. B. während des Gottesdienstes vor der Kirche stehenblieb, leidet unter dem Drang, hineinzugehen und kann nicht hinein.“5

Auch über die Art der Leiden sagt Therese Erstaunliches: Wie man gesündigt hat, so wird man bestraft: „Schlaf in der Kirche werde z. B. durch beständiges Ankämpfen gegen Schlaf und durch einen beständigen Schläfrigkeitszustand der Seelen gesühnt.“

Unmäßigkeit im Essen und Trinken muß im Läuterungsort durch Hunger und Durst gesühnt werden. Solche Strafen nahm dann Therese büßend auf sich. Einmal schrie sie während eines

derartigen Sühneleidens laut auf: „Ich habe Hunger, ich habe Durst, gebt mir zu essen, gebt mir zu trinken!“ Man brachte ihr das Gewünschte, aber sie nahm nichts davon. Nach dem Erwachen erzählte Therese, sie habe für eine Arme Seele leiden müssen, die von Durst und Hunger gepeinigt worden sei, erklärte aber auch: „Jetzt ist sie erlöst.“6 Am 2. Juli 1929 will Therese eine Seele erlöst haben, die wegen Ungeduld zu büßen hatte. Sie übernahm hier wie in ähnlichen Fällen „das Leiden der Seele“ bis zu deren Erlösung. Lange hat das Sühneleiden allerdings nicht gedauert, das „Leiden“ zeigte sich in diesem Fall lediglich in Äußerungen der Ungeduld. „Nichts war ihr recht, sie sträubte sich; und immer wieder betete sie laut, schrie sogar“, bis das Leiden in Sehnsucht nach dem Heiland überging7. - Zu diesen Aussagen stehen in seltsamem Widerspruch die Wutanfälle der Sühneseele Therese Neumann und ihre Zornausbrüche, einer Sühneseele, die selber zeitlebens nicht fertig wurde mit ihrem Hang zu Ungeduld, zur Eigenwilligkeit, zu Zornausbrüchen, wie sie selber und ihre Umgebung es bestätigt haben.

Ein außerordentlicher Tag, den Verstorbenen zu helfen, war für Therese vor allem der Allerseelentag.

An diesem Tag durften sie Resl anbetteln. ... Sie durfte viele vom Fegfeuer erlösen. Sie kamen dann zu ihr, sich zu bedanken. Manche bettelten sie Jahrzehnte lang Jahr für Jahr an. Sie merkte gar keine Veränderung an ihnen. Bei anderen merkte sie, wie sie von Jahr zu Jahr lichter und heller wurden. So betete sie für manche Seele 20 und 30 Jahre lang. Dieselben bedankten sich dann besonders herzlich, wenn sie erlöst waren.“8

Doch die Armen Seelen durften nicht nur zu Therese kommen und sie anbetteln. Auch sie selber durfte an Allerseelen im Fegfeuer weilen. Am 2. November 1928 soll sie längere Zeit im Läuterungsort verbracht haben. Das Tagebuch des Pfarrers Naber gibt hierüber Aufschluß :

„Heute liegt Therese den ganzen Tag da in ruhigem Schmerz, sich ganz verlassen fühlend, selbst eine arme Seele. Zweimal, morgens und abends, darf sie Besuch im Fegfeuer machen. Mit unbeschreiblicher Trauer schaut sie die Seelen dort als Lichtgestalten, die noch nicht ganz rein sind. Sie sieht auch hier wieder manche Bekannte, einige gehen sie um Hilfe an.“9

Oft war das Sühneleiden der Therese sofort von Erfolg gekrönt. Staudinger10 weiß zu berichten:

„Pfarrer Naber sagte mir, wenn sie für eine Seele sühnen muß, dann kommt dieses Sehnsuchtsleiden ganz ergreifend an ihr zum Ausdruck. Sie ringt die Hände nach oben, ruft immer wieder: Hilf mir, hilf mir! Ich kann nicht mehr! Nach vielen Stunden solcher Qualen scheint sie plötzlich nach oben zu schweben, ihr schmerzdurchwühltes Antlitz nimmt freudige Züge an, die Seele, für die sie gesühnt, sieht sie in den Himmel einziehen und sie selber kann dann auch ruhen.“

Ein solches Sehnsuchtsleiden war demnach Gott wohlgefälliger als Gebet und Opfer!

Am 30. Dezember 1930 wurde Therese um 9 Uhr früh „von einem ungeheuerlichen Leiden, körperlichem Schmerz und seelischer Angst überfallen“. Es war so arg, dass „der erhobene Ruhezustand ein Erliegen verhindern“ musste. „Um dieselbe Zeit war ihre Tante und Patin, Forster, wie nachher mitgeteilt wurde, in Waldsassen gestorben“11. Aber in diesem Fall hatte das Sühneleiden keinen Erfolg. In der Nacht nach Fronleichnam, am 5. Juni 1931, erschien nämlich der Stigmatisierten im gewöhnlichen, wachen Zustand ihre vor fünf Monaten verstorbene Patin

und bat um Hilfe:

„Der Heiland hat ihr die Gnade gewährt, kommen zu dürfen, da sie ganz verlassen sei. Wenigstens sie, die Therese, solle ihr Versprechen halten und ihr zu helfen suchen. Therese fiel es auf, dass die Erschienene nicht mehr dreinschaute wie„hier auf Erden, sondern recht ruhig, sanft und milde. Sie erschien ihr in noch trüber Lichtgestalt.“

Eines Tages sagte Therese in der Ekstase voraus, sie werde am nächsten Tag bis spät abends leiden, um die Seele ihres Großvaters zu erlösen. Er hatte sich bei ihr melden dürfen, weil er einmal einem armen Handwerksburschen 4 Mark geschenkt hatte, die Hälfte seines Barvermögens. Der Verstorbene meldete sich bei Therese am Jahrestag seiner Wohltat12 an.

Man ist eigenartig berührt, wenn man erfährt, dass Therese sich geweigert hat, für den am 18. Januar 1928 verstorbenen Redemptoristenpater Joseph Schleinkofer zu sühnen. Im Sommer desselben Jahres schaute sie dessen Seele in den Flammen des Fegfeuers, worauf Pfarrer Naber sie bat, für den Verstorbenen etwas zu übernehmen. „Doch seltsam! Sie lehnte ab, indem sie zur Antwort gab, Gott wünsche nicht, dass sie für diese Seele bete und leide.“ Erst nachdem Pfarrer Naber und andere Priester drei Wochen hindurch für seine Seelenruhe gebetet hatten, erlaubte Gott Therese, für ihn in einem äußerst schweren Leiden Sühne zu leisten. „Endlich erreichte die Seele jenen Zustand, in dem sie sich nach der beseligenden Anschauung Gottes sehnte und nach

der Vereinigung mit ihm verlangte.„ Pfarrer Naber und Benefiziat Härtl befanden sich am Leidenslager der Stigmatisierten. Da rief sie plötzlich mit lauter Stimme: „P. Schleinkofer kommt!

P. Schleinkofer kommt!„ Und im gleichen Augenblick bedankte sich der Pater für die ihm erwiesene große Liebe, die er nimmer vergessen werde13. Aus den Worten des Erlösten, die Therese

mitteilte, will Pfarrer Naber erkannt haben, dass es sich tatsächlich um P. Schleinkofer gehandelt habe; denn: er versicherte: „Ja, so hat er gesprochen.“ Wie Pfarrer Naber dies erkennen konnte, bleibt ein Geheimnis. Offenbar hätte das Gebet der Priester nichts gefruchtet, wenn die Stigmatisierte nicht „gelitten„ hätte. Dass Gott verbietet, für einen Verstorbenen zu beten, war bislang noch unbekannt. Die ursprüngliche Weigerung der Dulderin muß also irgendeinen tieferen Grund gehabt haben: Vielleicht stand P. Schleinkofer den Konnersreuther Ereignissen ablehnend

gegenüber.

Sogar den im Jahr 1927 verstorbenen Bischof von Regensburg, Antonius Henle, hat Therese in der Ewigkeit büßen lassen. Aber auch hier ist der Grund verständlich: Bischof Antonius hatte eine Überwachung in einem Krankenhaus verlangt. Am 2. Dezember 1930 schrieb Pfarrer Naber an Franz X. Kuhdorfer, Pfarrer in Gossendorf :

„Bischof Antonius hat Therese Neumann schon etliche Male an Allerseelen, wenn sie das Fegfeuer besuchen darf, dort gesehen, und er hat sie um Hilfe gebeten, das erste Mal mit dem Bemerken, er habe uns ja Unrecht getan, aber er sei nicht allein daran schuld gewesen.“14 Therese hat den Bischof leichten Herzens büßen lassen, denn von einer Hilfe ihrerseits, etwa durch ein „Sühneleiden“, ist nicht die Rede; auch von einer endgültigen Erlösung weiß sie nichts zu berichten.

Diese Beispiele mögen genügen. Wenn man bedenkt, wie gnädig jene exkommunizierte Schwester Canisia von Gott behandelt worden sein soll, müsste man die Strafe für kleinere Sünder als ungerecht empfinden. Dass Gott in Konnersreuth gleichsam eine Auskunftsstelle über das Schicksal Verstorbener eingerichtet hat, ist ebenso unglaubhaft wie die Tatsache, dass Therese Neumann wirklich durch eine einmalige Art von „Leiden“ ungesühnte Schuld anderer auszutilgen vermochte.

Eine Frage sei noch aufgeworfen: Therese Neumann hat den Berichten entsprechend unendlich viel gelitten. Sie hat eine Unzahl von Krankheiten durchgemacht, hat Gebrechen von Mitmenschen übernommen und für Lebende durch Leiden gesühnt sowie Verstorbenen durch körperliche und seelische Schmerzen Hilfe gebracht. Waren es tatsächlich Schmerzen? Bei Therese Neumann waren die Krankheiten vor und nach der Stigmatisation hysterischen Charakters. Um hysterische Phänomene handelt es sich auch bei den so genannten Sühne- und stellvertretenden Leiden. Von einem wirklichen, für Therese schmerzhaften Leiden kann in solchen Fällen nicht gesprochen werden. Es lässt sich nicht auseinander halten, wieweit sie bloß ein Gaukelspiel aufgeführt hat und wie oft diese „Leiden“ vom Trancezustand begleitet waren. In diesem Fall aber besteht kein Unterschied zu den übrigen ekstatischen Zuständen, bei denen Therese bewusstlos war, denn in der Bewusstlosigkeit empfindet der Mensch keine Schmerzen.


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Letzte Änderung: 31. Dezember 2002