PRUSSIA
Gesellschaft für Heimatkunde Ost- und
Westpreußen e.V.
Prof. Dr. Günter Brilla
Zur Einführung
und zur Beschreibung der gegenwärtigen Situation der Prussia
Der letzte Band der Sitzungsberichte der 1844 gegründeten Prussia erschien im
Jahre 1943 - mitten im Kriege - unter dem Titel
Prussia, Zeitschrift für Heimatkunde. Für die Altertumsgesellschaft Prussia
herausgegeben von Museumsdirektor Dr. Wilhelm Gaerte, Band 35, Königsberg 1943.
Mit dem Ende des Krieges - 1945 - hörte auch die mehr als hundertjährige
Königsberger Altertumsgesellschaft auf zu bestehen.
Unsere neue Prussia wurde im Jahre 1972 in Düsseldorf gegründet. Zwei- bis
dreimal jährlich tagt sie derzeit im Museum „Stadt Königsberg", wo sie im
Gebäude des Kultur- und Stadthistorischen Museums von Duisburg, Königsbergs
Patenstadt, eine Heimstatt gefunden hat. Sie arbeitet unabhängig und „lebt" von
den geringen Mitgliedsbeiträgen und gelegentlichen Spenden. Auf Antrag erhält
sie von der Stiftung Ostpreußen über das Nordostdeutsche Kulturwerk karge
Zuschüsse zur Durchführung von Ausstellungen und für Veröffentlichungen.
Mit dem vorliegenden Werk publiziert die Gesellschaft ihren ersten
Nachkriegsband als
Prussia, Gesellschaft für Heimatkunde Ost- und Westpreußens. In Nachfolge der
Altertumsgesellschaft Prussia (Königsberg/Pr.) herausgegeben von Prof. Dr.
Günter Brilla. Bonn 2003.
Die Prussia versteht sich seit jeher als eine Vereinigung, welche die Leistungen
Altpreußens erforschen, darstellen, erhalten und der Öffentlichkeit nahebringen
will. Unter Altpreußen wird dabei das etwa zwischen Weichsel und Memel gelegene
- ursprüngliche Siedlungsgebiet der Prußen und der Kuren, der baltischen
Urbevölkerung von Ostpreußen, verstanden. Die Prussia will das durch den Krieg
verstreute Kulturgut aufspüren und sammeln sowie einschlägige wissenschaftliche
Arbeiten fördern. Mit dieser Zielsetzung finden Vortragsveranstaltungen statt,
wird eine Schriftenreihe herausgegeben und werden Ausstellungen national und
international präsentiert. Schließlich werden Bücher und Zeugnisse prußischer
und preußischer Kultur gesammelt. Die Kenntnis der Kultur von Altpreußen wird
sowohl in Deutschland als auch den Menschen in Ostpreußen und allen
interessierten Ausländern vorgestellt. Auf allen genannten Gebieten bemüht sich
die neue Prussia um eine sinngemäße Nachfolge der alten Prussia.
Angesichts der moralischen Probleme in Deutschland veranstaltet die Prussia
gegenwärtig eine Vortragsreihe über die preußischen Tugenden - als deutsche und
europäische Tugenden begriffen - aus der Sicht unserer Nachbarländer unter
Mitwirkung von Vortragenden aus diesen Ländern. Letztlich geht es auch um die
Frage, was mehr gelten soll: ,cleverness` und damit Geld als höchster Wert oder
,Üb' immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab, und weiche keinen
Finger breit von Gottes Wegen ab`. Dieses bewährte Prinzip ist leichtsinnig
aufgegeben worden und sollte schleunigst neubelebt werden, um weiteren Schaden
abzuwenden.
Ach last uns über Recht und gutte
Freiheit halten,
Sol anders glück und ruh und gutte Wolfart walten.
Wo hegen Völker streit und wird ein Land verzehrt
Da , wo man freiheit haßt und recht in unrecht kehrt
Inschrift 171 1 am Junkergarten in der Altstadt.
(Boetticher, Königsberg 1897)
Die vorliegende Veröffentlichung führt
in einem aus Einzelbeiträgen bestehenden großen Bogen von den Ideen der
Vordenker der Prussia bis zu den verschiedenen aktuellen Geschehnissen der
letzten Jahre, nämlich seit der Wiederauffindung der Prussia-„Schätze".
Russische Zeitungen berichteten Ende 1999 über die Wiederentdeckung von
archäologischen Fundstücken aus dem Königsberger Schloß. Diese Nachricht erregte
auch die deutschen Medien und verwirrte sie, die gewohnt waren, deutsche
Geschichte ,politisch korrekt` zu betrachten, d. h. zu verdrängen. Plötzlich
also stand Ostpreußen wieder im Rampenlicht:
Bei den Schätzen handelt es sich um einen Teil der von der Prussia im Laufe von
rund 100 Jahren zusammengetragenen und im Königsberger Schloß bis zum Kriegsende
beheimatet gewesenen, großenteils unersetzlichen Sammlungen. Diese wurden durch
den ehemaligen Obersten der Festungspioniere Awenir A. Owsjanow, der seit 22
Jahren in Ostpreußen nach verschollenen deutschen Kulturgütern, u. a. auch nach
dem Bernsteinzimmer, gesucht hat, entdeckt und von Mitarbeitern des historischen
Museums Kaliningrad/Königsberg, vor allem von Anatolij A. Walujew, restauriert.
Interessant ist wohl der offensichtliche Sinneswandel Owsjanows weg von der ,political
correctness` einer Siegermacht hin zu einer europäischen Position. Wie er in
seinem Buch „In den Ruinen des alten Schlosses" (russisch; 1998; übersetzt von
G. Venohr) schreibt, hat er im Laufe seines Lebens eine bemerkenswerte Wandlung
durchgemacht: Als Pionierschüler hatte er sich einst freiwillig zur Sprengung
des Königsberger Schlosses gemeldet, „um das Wespennest des preußischen
Militarismus und Faschismus" zu beseitigen, und „so wurde ich Teilnehmer an der
Ausmerzung deutschen Geistes auf dieser Erde". Offenbar als Erklärung für diese
Geisteshaltung gibt er an: „all das erschien uns als die absolute Wahrheit, wie
auch das übrige, das uns ,von oben` verordnet war." Heute spricht er bezüglich
seiner Funde als „Entdeckungen von internationalem Rang" und stöbert in
Königsberger Festungsanlagen weiter nach den „Schätzen" des Prussia-Museums aus
dem Schloß, welches er einst sprengen half.
In letzter Zeit finden nun auf nationaler und internationaler Ebene Diskussionen
über die Zukunft des Königsberger Gebietes statt, wobei u. a. sogar ein
Wiederaufbau des Königsberger Schlosses durch die Russen erwogen wird. Mit
Unterstützung des Magazins „Der Spiegel" wurde kürzlich das Fundament des
Schloßturmes freigelegt, das wir im Rahmen unserer Prussia-Exkursion zum
Gedächtnis an Dieter Rimat unter Leitung des Archäologen Walujew Ende September
2002 besichtigen konnten (s.Abb.1).
Im Rahmen der Bestrebungen zur Erhaltung der positiven Zeugnisse preußischen
Geistes möchte die Prussia auch weiterhin dazu ihren Beitrag leisten. So hat
unser Mitglied G. Lepa in Zusammenarbeit mit dem inzwischen verstorbenen Prof.
K. Lawrynowitsch und Frau O. F. Krupina 1994 in der Nähe des Kant-Grabmales
einen Findlingsstein errichtet, der in deutscher und russischer Schrift an die
1544 an diesem Orte gegründete Königsberger Universität erinnert (s. S. 125).
Abb. 1: Fundament
unseres lieben alten Schlossturmes. Herr Walujew demonstriert seine
Ausgrabungen.
Ebenfalls in diesem Sinne wurde im
Oktober 2001 die ursprünglich von Dr. Karl-Heinz Clasen im Kant-Jahr 1924
konzipierte Jubiläumsausstellung von Kant-Bildnissen - aus einer Kopie des
erhaltenen Original-Kataloges von R. Grunenberg neu gefaßt und von Frau Dr. Loos
mit gekürzt ins Russische übertragenen Texten versehen als Dauerausstellung an
das Museum der Universität übergeben. Bei der feierlichen Eröffnung bezeichnete
die Direktorin des Museums, Dr. Swetlana P. Galzowa, die Ausstellung zu unserer
Freude als ,profilbildend` für die russischen Studenten, die zahlreich
erschienen waren (s. Abb. 2).
Abb. 2 v.r.n.l.: Dr. Galzova, Prof. L. A. Kalinnikow, 1. Kant
(nach 30 Jahren Moskau-Aufenthalt zurück), Prof. G. Brilla, Dr. Reimchen
Im September 2002 fand unter der
Schirmherrschaft der Prussia ein 4tägiges Seminar zum Thema ,Literatur und
Geschichte im Ostseeraum des 20. Jahrhunderts` in der Staatsuniversität
Kaliningrad/Königsberg statt. Ein internationales Gremium trug vor und
diskutierte zum obigen Thema vor der Hans-Friedrich-Blunck-Gesellschaft, dem
„Ostdeutschen Literaturkreis" und dem „Freundeskreis Ostpreußen" und vor
russischen Gästen im Sinne der internationalen Tradition sowohl der Prussia als
auch der Albertina unter der Leitung von Dr. Walter T. Rix und Prof. Günter
Brilla.
An dieser Stelle hält der Herausgeber eine Beschreibung der kulturpolitischen
Gesamtsituation in Deutschland für zwingend geboten, auch wenn dies in der
Einleitung zu einer Schrift für Heimatkunde weiterhin zusammenarbeiten wollen,
auch wenn dies in der Einleitung zu einer Schrift für Heimatkunde Ost- und
Westpreußens unüblich erscheint.
Es schmerzt immer wieder, feststellen zu müssen, daß eben diese unsere Heimat
ganz offensichtlich in einer unsachlichen und schamlosen Geschichtsklitterung
nach Meinung vieler linkstendierender Politiker derer ,von oben` - aus dem
deutschen Bewußtsein getilgt werden soll.
Beispielsweise hielt anläßlich des 450-Jahr-Gedenkens an die Gründung der
Königsberger Albertina ein Diplomat im Botschafterrang als Vertreter der
deutschen Botschaft in Moskau eine längere Ansprache über die
Albertus-Universität, ohne - in tragikomischer Weise - auch nur einmal die
Bezeichnung ,Königsberg` zu gebrauchen - eine rhetorische Meisterleistung!
Mitteldeutschland hat man jetzt verbal zu ,Ostdeutschland` gemacht; vom
eigentlichen Ostdeutschland soll in würdeloser Unterwerfung offenbar nicht mehr
gesprochen werden, und seine 700jährige - oder, wenn man die Prußen und Masuren
mit einbezieht, mehr als 1000jährige - Geschichte und seine kulturelle Leistung
sollen nie existiert haben.
All dies geschieht offenbar in vorauseilendem Gehorsam im Sinne einer ,political
correctness`, wie sie die Siegermächte möglicherweise wünschen. Und all das,
obwohl die jetzt dort lebenden Menschen, Russen ebenso wie Polen und Litauer, in
ihrer großen Mehrheit begierig sind, in Ausstellungen, Vorträgen, Büchern und
sonstigen Publikationen den ostdeutschen Beitrag zur europäischen Geschichte
kennenzulernen und in kulturellen Austausch mit den ehemaligen Bewohnern dieser
Gebiete zu kommen.
Dem Buch „Wostotschnaja Prussia" („Ostpreußen. Von den ältesten Zeiten bis zum
Ende des Zweiten Weltkriegs", 513 S., 1996 herausgegeben von einem Kollektiv
russischer Wissenschaftler, mit zahlreichen Abbildungen aus deutscher
Überlieferung) kann man entnehmen, daß diese Menschen nicht nur die Verbindung
zu uns, den ursprünglichen Einwohnern des Landes, suchen, sondern die tätliche
Erfahrung lehrt auch, daß sie mit uns Deutschen in Zukunft weiterhin
zusammenarbeiten wollen, sogar mit den bei uns von offizieller Seite kulturell
nicht mehr geförderten und „aktiv vergessenen" landsmannschaftlichen
Vereinigungen.
Von seiten unserer Regierung wird so unangemessen rücksichtslos bei der - in der
Verfassung (Bundesvertriebenengesetz § 96) festgeschriebenen - Unterstützung der
internationalen Kulturarbeit der Vertriebenen gespart, daß sogar mitbetroffene
hochgestellte Persönlichkeiten aus mehreren Ländern (Polen, Tschechien, Ungarn,
Lettland) wegen der dadurch bedingten Einstellung kultureller Kontakte beim
zuständigen Minister protestiert haben. Denn die Vertriebenen kooperieren
inzwischen im kulturellen und sozialen Bereich mit Polen, Russen und Litauern
besser als - soweit erkennbar - deutsche staatliche Stellen.
Dies gilt besonders, seit in den betreffenden Ländern bekannt geworden ist, daß
die „Charta der Heimatvertriebenen" schon 1950 durch eine
Gewaltverzichtserklärung eine Vertreibung der neuen Bewohner aus ihrer Heimat
abgelehnt hat. Im Gegensatz dazu war vor der Öffnung des Ostblocks von der
staatlichen Propaganda dieser Länder im Einklang mit Behauptungen unserer Medien
stets die Angst vor einer gewaltsamen Rückkehr der vertriebenen Deutschen
geschürt worden.
Aber weiterhin verharren Mitglieder unseres Parlaments und auch unserer
jeweiligen Regierung - als neue ,Ewiggestrige` offenbar schlecht informiert - in
unnötig feindseliger Haltung gegenüber den Vertriebenen und ihren Vertretern,
anstatt gemeinsam konstruktiv am Haus Europa mitzubauen.
Warum sollten denn nicht, wie in vergangenen Jahrhunderten, Polen, Russen,
Litauer und Deutsche auch im Osten friedlich zusammenleben? Von unseren
Politikern - mit Ausnahme von Erika Steinbach MdB, Bund der Vertriebenen, die
vor dem polnischen Sejm zur Minderung des Unrechts aufrief - sind in dieser
Richtung keine Vorschläge gemacht worden.
Vielmehr wird durch harte sogenannte
antifaschistische Tabus die Wahrheitsfindung in unserem Volk erschwert. Vom Land
der „Dichter und Denker" - als Schlagwort genommen - sollen wir einseitig zum
Volk der „Mörder und Henker" gemacht werden - eine indifferente
Konsumentenansammlung! Beispiel Wehrmachtsausstellung: Erst Ausländer konnten
uns von den ärgsten Unwahrheiten befreien. Offenbar sind wir auf Ausländer
angewiesen, um unsere Interessen wahrzunehmen. So wird das politische Klima
vergiftet und damit erlahmt das Interesse der Menschen an Staat und Politik. Die
Identifizierung unserer Jugend mit deutscher Geschichte wird zudem unmöglich
gemacht. Was sind wir für ein Volk!
So ist echte Völkerverständigung auf private Initiativen angewiesen. Auch in
Königsberg arbeiten viele Gruppen ohne öffentliche Mittel. Die Prussia
unterstützt privat als kleiner Partner einer größeren Vereinigung seit etlichen
Jahren den Deutsch-Unterricht für die heute noch unverschuldet unter den
Auswirkungen von Krieg und Verfolgung leidenden - Rußlanddeutschen und auch für
Russen, weil das Angebot des Deutsch-Russischen Hauses in Königsberg bei weitem
nicht ausreicht.
Die Prussia hofft, so denke ich, mit dieser Publikation einen weiten Leserkreis
- national und auch international - zu erreichen und diesen zu einer noch
lebendigeren Diskussion und Zusammenarbeit anzuregen. Die alte wie auch die neue
Prussia haben seit jeher internationalen Gedankenaustausch und gemeinsame
Aufgaben selbstverständlich als wichtige Möglichkeit zur Völkerverständigung
angesehen; dies zeigt sowohl die Zusammensetzung unserer Mitgliederverzeichnisse
als auch die Vielfalt in den Themen unserer Vorträge und Veröffentlichungen.
Die Beiträge, die zum überwiegenden Teil vor der Prussia in ihren
Versammlungen vorgetragen wurden, erscheinen in der Verantwortung der einzelnen
Autoren. Sie werden z. T. durch von dem Herausgeber ausgewählte Abbildungen
veranschaulicht.
Dieser Beitrag ist Teil der
Veröffentlichungen der Gesellschaft für Heimatkunde Ost- und Westpreußens
www.prussia-koenigsberg.de
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