Am 26. April 1799, sechs Tage nach der Uraufführung von Wallensteins Tod in Weimar, beginnt der 40jährige Friedrich Schiller mit den Vorarbeiten für sein neues Stück Maria Stuart. Schon 16 Jahre vorher, im Frühjahr 1783 hatte er sich in Bauerbach mit der Geschichte der Maria Stuart beschäftigt, das Projekt aber zugunsten des Don Carlos fallengelassen.
Er schreibt in einem Brief an Goethe, Jena, den 26. April 1799: "Die Zerstreuungen, die ich in Weimar erfahren, klingen heute noch bei mir nach und ich kann noch zu keiner ruhigen Stimmung kommen. Indessen habe ich mich an eine Regierungsgeschichte der Königin Elisabeth gemacht und den Prozeß der Maria Stuart zu studieren angefangen. Ein paar tragische Hauptmotive haben sich mir gleich dargeboten und mir großen Glauben an diesen Stoff gegeben, der unstreitig sehr viel dankbare Selten hat."
Am 4. Juni beginnt er endgültig mit der Ausarbeitung. Und nach etwa einem Jahr, in dem er auch noch Shakespeares Macbeth übersetzt, wird Maria Stuart am 14. Juni 1800 im Hoftheater von Weimar zum ersten Mal gespielt. Am 1. Juli 1800, zwei Wochen nach der Uraufführung, beginnt er schon die Arbeit an der Jungfrau von Orleans.
Mit Maria Stuart hat Schiller eines der faszinierendsten, vielschichtigsten und berührendsten Stücke geschrieben - ein hochaktuelles Lehrstück für die heutige politische Weltlage. Es zeigt die Weiterentwicklung seines "Handwerks" und Schillers größere poetische Freiheit nach der großen Wallenstein-Trilogie. So schreibt er am 8. Mai 1799 an seinen Freund Körner: "denn fürs erste ist der Gegenstand nicht so widerstrebend als Wallenstein, und dann habe ich an diesem das Handwerk mehr gelernt."
Schiller bringt den großen Kampf der beiden Königinnen, Elisabeth I. von England und Maria Stuart von Schottland, um die Königskrone und Macht im wirtschaftlich und weltstrategisch aufstrebenden England in der großen Auseinandersetzung des 16. Jahrhunderts zwischen Protestantismus und Katholizismus auf die Theaterbühne.
DIE WELTGESCHICHTE ALS "ERHABENES OBJEKT"
Für Friedrich Schiller ist die "Weltgeschichte ein erhabenes Objekt". Er schreibt in Über das Erhabene: "Die Welt, als historischer Gegenstand, ist im Grunde nichts anders als der Konflikt der Naturkräfte untereinander selbst und mit der Freiheit des Menschen, und den Erfolg dieses Kampfs berichtet uns die Geschichte. So weit die Geschichte bis jetzt gekommen ist, hat sie von der Natur (zu der alle Affekte im Menschen gezählt werden müssen!) weit größere Taten zu erzählen, als von der selbständigen Vernunft."
Schiller hat die amerikanische Revolution genauestens verfolgt und die politische Umsetzung der Prinzipien der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) für Europa mit dem Ausbruch der Französischen Revolution erhofft. Doch die Losung "Freiheit und Gleichheit" wird bald zum Schlachtruf der Gewalt, mit dem "Würgerbanden" umherziehen und "alle Bande frommer Scheu" lösen. Wie Schiller in den Worten des Glaubens sagt: "Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, vor dem freien Menschen erzittert nicht!" — Die Hinrichtung Ludwig XIV, der Aufstieg Napoleons und der Aufstieg von dessen römisch-imperialen Wahnvorstellungen bringen Schiller zu dem Schluß: "Ein großer Moment in der Geschichte hat ein kleines Geschlecht gefunden!"
In dem Vertrauen und Wissen über die "wahre Bestimmung des Menschen" quält ihn die Frage, wie selbst unter barbarischen Verhältnissen eine "Verbesserung im Politischen" möglich sei. Er sieht nur einen möglichen und notwendigen Weg: "Die Kultur soll den Menschen in Freiheit setzen" und ihn zur "Läuterung seiner Gefühle" befähigen, die "Empfindungsfähigkeit des menschlichen Herzens" stärken. Sie soll "einen Reichtum von Begriffen in dem Kopf und einen Schatz von Grundsätzen in der Brust an(zu)pflanzen und dann besonders auch die Empfindungsfähigkeit für das Große und Erhabene aus der Vernunft (zu) entwickeln" und somit die "Rüstigkeit des Charakters" selbst in der größten Bedrohung der physischen und moralischen Existenz des Menschen sichern.
Für Schiller ist die tragische Kunst das besondere Werkzeug für diesen Zweck, da sie von zwei Fundamentalgesetzen bestimmt wird - erstens die "Darstellung der leidenden Natur" und zweitens die "Darstellung der moralischen Selbständigkeit im Leiden". Sie zeigt uns in der Nachahmung "die pathetischen Gemälde der mit dem Schicksal ringenden Menschheit, der unaufhaltsamen Flucht des Glücks, der betrogenen Sicherheit, der triumphierenden Ungerechtigkeit und der unterliegenden Unschuld, welche die Geschichte in reichem Maß aufstellt", um Herz und Kopf zu rühren, eine "größere Klarheit des Denkens und eine höhere Energie des Willens" hervorzurufen und die mögliche "subjektive moralische Übermacht" des Menschen unter Beweis zu stellen.
Schiller erläutert: "Das Pathetische ist ein künstliches Unglück, und wie das wahre Unglück setzt es uns in unmittelbaren Verkehr mit dem Geistergesetz, das in unserm Busen gebietet.
Aber das wahre Unglück wählt seinen Mann und seine Zeit nicht immer gut; es
überrascht uns wehrlos, und was noch schlimmer ist, es macht uns oft
wehrlos.
Das künstliche Unglück des Pathetischen hingegen findet uns in
voller Rüstung, und weil es bloß eingebildet ist, so gewinnt das selbständige
Prinzipium in unserm Gemüte Raum, seine absolute Independenz zu behaupten. Je
öfter nun der Geist diesen Akt von Selbsttätigkeit erneuert, desto mehr wird ihm
derselbe zur Fertigkeit, einen desto größern Vorsprung gewinnt er vor dem
sinnlichen Trieb, daß er endlich auch dann, wenn aus dem eingebildeten und
künstlichen Unglück ein ernsthaftes wird, imstande ist, es als ein künstliches
zu behandeln und - der höchste Schwung der Menschennatur' - das wirkliche Leiden
in eine erhabene Rührung aufzulösen.
Das Pathetische, kann man daher sagen, ist eine Inokulation des unvermeidlichen Schicksals, wodurch es seiner Bösartigkeit beraubt und der Angriff desselben auf die starke Seite des Menschen hingeleitet wird" - so daß der Mensch allen den Tugenden wie Gerechtigkeit, Wohltätigkeit, Mäßigkeit und Standhaftigkeit, die er im größten Glück spielend auszuüben vermag, selbst im größten Unglück treu bleibt und es ihm auch dann eine Herzensangelegenheit ist, so zu handeln.
Strategisches Ziel Frankreichs ist die Vereinigung mit den Kronen Englands und Schottlands.
1561 kehrt sie mit 19 Jahren nach Schottland, welches stets umworbener Spielball von Frankreich, Spanien und England ist, zurück. Sie vermählt sich 1565 mit ihrem Vetter Darnley, einem Tudor. 1566 läßt Darnley vor ihren Augen ihren Sekretär Riccio, den er für ihren Liebhaber hält, ermorden. Im Februar 1567 wird Darnley ermordet. Maria wird verdächtigt, mit einem Teil des schottischen Adels unter Führung des Grafen Bothwell die Tat begangen zu haben. Drei Monate später heiratet sie Bothwell. Daraufhin erhebt sich der schottische Adel gegen die Königin, sie wird gefangengesetzt und zugunsten ihres Sohnes Jakob aus der Ehe mit Darnley 1568 zur Abdankung gezwungen.
Ihr gelingt die Flucht in einem kleinen Fischerboot nach England. (1568 erhält Herzog Alba den Befehl des spanischen Königs, den Aufruhr der spanischen Niederlande zu unterdrücken.) Maria betritt englischen Boden, bevor sie eine Antwort von Elisabeth auf ihren Hilferuf nach Unterstützung im Kampf um den schottischen Thron bekommt. Doch auf Anraten von Cecii, später Lord Burleigh, dem wichtigsten Minister der Elisabeth, wird sie verhaftet und bleibt 15 Jahre lang unter der Aufsicht des Grafen Shrewsbury. Verschwörungen - die letzte unter dem fanatischen Katholiken Anton Babington - und Attentatsversuche gegen Elisabeth werden entdeckt und Maria angelastet. 1585 wird das "Gesetz für die Sicherheit der Königin" (Act for the Queens savety) eingeführt, das sich eindeutig gegen Maria richtet: damit ist nicht nur strafbar, wer der Königin nach dem Leben trachtet, sondern auch zu wessen Nutzen dies geschieht! Dann werden ihre Haftbedingungen verschärft, und sie wird 1586 nach Fotheringhay unter die Aufsicht von Sir Faulet gestellt. Im Herbst 1586 wird sie vor Gericht gestellt und aufgrund der Aussagen ihrer Schreiber Nau und Curie am 25. Oktober 1586 zum Tode verurteilt. Doch erst am 8. Februar 1587 wird Maria Stuart, Königin von Schottland, nach 19Jähriger Haft durch das Beil des Henkers hingerichtet.
Spanien erklärt daraufhin England den Krieg. 1588 wird die spanische Armada vor der englischen Küste vernichtend geschlagen, und Elisabeth von England hat den geopolitischen Machtkampf gegen Spanien und das Haus Habsburg gewonnen.
Allerdings gesteht er ihr in seinem Testament das Thronfolgerecht wieder zu, insbesondere um die berechtigten Ansprüche der Nachkommen seiner Schwester, der schottisch-katholischen Linie Stuart, zu blockieren.
Mit 25 Jahren wird sie 1558 zur Königin von England gekrönt und regiert nach der Hinrichtung Maria Stuarts unangefochten bis zu ihrem Tod 1603. Aufgrund ihrer Ehe- und Kinderlosigkeit bestimmt sie Jakob, den Sohn Maria Stuarts, zu ihrem Nachfolger. In den 45 Jahren ihrer Regierungszeit - dem Elisabethanischen Zeitalter - erlebt England einen enormen technischen und wirtschaftlichen Aufschwung im Bereich der Woll- und Textilmanufakturen, der Energie-, Eisen-, Stahl- und Glasgewinnung. Und ein Gigant wie William Shakespeare entfaltet sich.
Im Don Carlos (1787 veröffentlicht) erwidert Marquis Posa dem spanischen König Philipp II.: "Schon flohen Tausende aus Ihren Ländern froh und arm. Der Bürger, den Sie verloren für den Glauben, war Ihr edelster. Mit offnen Mutterarmen empfängt die Fliehenden Elisabeth, und fruchtbar blüht durch Künste unsres Landes Britannien." Elisabeth unterstützt aktiv den Unabhängigkeitskampf der spanischen Niederlande gegen Philipp II.
Folgen wir jetzt Schiller mit seinem Verständnis der Weltgeschichte als "erhabenes Objekt" hinter die Kulissen der Weltpolitik zur Zelt der Maria Stuart und Elisabeth I. Zunächst muß ein entscheidender Aspekt über seine Arbeit verstanden werden.
In einem Brief an Goethe vom 19. Juli 1799 schreibt er: "Von der Maria Stuart werden Sie nicht mehr als einen Akt fertig finden; dieser Akt hat mir deswegen viel Zelt gekostet und kostet mir noch 8 Tage, weil ich den poetischen Kampf mit dem historischen Stoff darin bestehen mußte und Mühe brauchte, der Phantasie eine Freiheit über die Geschichte zu verschaffen, indem ich zugleich von allem was diese brauchbares hat, Besitz zu nehmen suchte. Die folgenden Akte sollen, wie ich hoffe, schneller gehen, auch sind sie beträchtlich kleiner."
"Vortreffliche dramatische Charaktere" sind von der Geschichte schon vorgegeben und Schiller beginnt den ersten von fünf Aufzügen, indem er "den ganzen Gerichtsgang zugleich mit allem Politischen auf die Seite" schiebt und die Tragödie mit der Verurteilung beginnt. Wir erleben also die letzten Tage Maria Stuarts vor ihrer Hinrichtung. Er diskutiert in verschiedenen Briefen an Goethe die tragische Qualität seines Stoffes und hebt hervor: "darunter gehört besonders, daß man die Katastrophe gleich in den ersten Szenen sieht und, indem die Handlung des Stücks sich davon wegzubewegen scheint, ihr immer näher und näher geführt wird ... und zwischen Furcht und Hoffnung rasch zum Ende eilen muß."
Nachdem im ersten Auftritt Sir Paulet, der strenge Bewacher auf Schloß Fotheringhay, die Schränke der Maria nach geheimen Briefen durchsucht hat, betritt Maria Stuart - im Alter von 25 Jahren nach Schillers Vorstellung — im nächsten Auftritt die Bühne und versucht ihre Amme Hanna Kennedy ob dieser Dreistigkeit zu beruhigen:
Beruhige dich, Hanna. Diese Flitter machen
Die Königin nicht aus. Man
kann uns niedrig
Behandeln, nicht erniedrigen.
MORTIMER:
Nein; Königin ...
Solang' Ihr lebt,
Lebt auch die Furcht der Königin
von England.
Euch kann kein Kerker rief genug begraben,
Nur Euer Tod
versichert ihren Thron.
MARIA:
Sie könnt' es wagen, mein gekröntes Haupt
Schmachvoll auf einen
Henkerblock zu legen?
Erkennbar wird Schillers tiefe Verachtung für diese Form von austauschbarer, prinzipienloser Kabinettspolitik und das Ränkespiel manipulierbarer, machthungriger Beraterkreise zum scheinbaren "Nutzen des Staates".
Verordnet ist im englischen Gesetz,
Daß jeder Angeklagte durch
Geschworne
Von seinesgleichen soll gerichtet werden.
Wer in der
Committee ist meinesgleichen?
Nur Könige sind meine Peers. ...
Ich bin
nicht dieses Reiches Bürgerin,
Bin eine freie Königin des Auslands.
BURLEIGH:
Können vierzig erlesne Männer ...
MARIA:
Ich sehe diesen hohen Adel Englands,
Des Reiches majestätischen
Senat,
Gleich Skaven des Serails den Sultansaunen
Heinrich des Achten,
meines Großohms, schmeicheln
Ich sehe dieses edle Oberhaus,
Gleich feil
mit den erkäuflichen Gemeinen,
Gesetze prägen und verrufen.
Ehen
Auflösen, binden, wie der Mächtige
Gebietet, Englands
Fürstentöchter heute
Enterben, mit dem Bastardnamen schänden
Und morgen
sie zu Königinnen krönen.
Ich sehe diese würdigen Peers mit
schnell
Vertauschter Überzeugung unter vier
Regierungen den Glauben
viermal ändern ...
Eben darum
Mißtraut Euch, edler Lord, daß nicht der Nutzen
Des Staats Euch als
Gerechtigkeit erscheine. ...
Ich bin die Schwache, sie die Mächtige — Wohl!
Sie brauche die Gewalt, sie töte mich,
Sie bringe ihrer Sicherheit das
Opfer.
Doch sie gestehe dann, daß sie die Macht
Allein, nicht die
Gerechtigkeit geübt.
Die Meinung war, daß man den schwersten Auftrag
den reinsten Händen
übergeben wollte. ...
BURLEIGH:
Wenn Ihr die eigne Hand nicht leihen wollt,
So werdet Ihr der fremden
doch nicht wehren —
FAULET (unterbricht ihn):
Kein Mörder soll sich ihrer Schwelle nahn,
Solang' die Götter meines
Dachs sie schützen.
Ihr Leben ist mir heilig, heil'ger nicht
Ist mir das
Haupt der Königin von England.
"Meine Maria wird keine weiche Stimmung erregen, es ist meine Absicht nicht, ich will sie immer als ein physisches Wesen halten, und das Pathetische muß mehr eine allgemeine tiefe Rührung als ein persönliches und individuelles Mitgefühl sein. Sie empfindet und erregt keine Zärtlichkeit, ihr Schicksal ist nur, heftige Passionen zu erfahren und zu entzünden. Bloß die Amme fühlt Zärtlichkeit für sie."
Durch drei Erfindungen gewinnt Schiller seine "Freiheit über die Geschichte": erstens die Person des Mortimer, zweitens die Beziehung Marias zu Leicester, dem Liebhaber der Elisabeth, und drittens das Zusammentreffen der beiden Königinnen. Diese poetische Freiheit - die er in dem fast an Wahnsinn grenzenden Schwärmertum des Mortimer, der Zerrissenheit Leicesters durch seine große Zuneigung zu Maria einerseits, andererseits seinem grenzenlosen Machtstreben, das ihn bis zur Selbstaufgabe In den Armen der Macht Elisabeths gefangenhält, und der Eifersucht, dem Neid und Haß der Elisabeth zeigt - erlaubt Schiller bei scheinbarem Wegbewegen von der Katastrophe, sie "immer näher und näher" zu führen. Sie wird zum niederschmetternden Schicksal für Maria.
Während Schiller in dem ersten Dialog (1. Aufzug, 4. Auftritt) zwischen Maria und ihrer Amme Hanna Maria ergreifend schildern läßt, welche Schuld sie durch ihre "Schwachheit", alles im Leben auskosten zu wollen, aufsich geladen hat - bis zum Gattenmord, versucht Hanna sie zu beruhigen.
Frischblutend steigt die längst vergebne Schuld
Aus ihrem
leichtbedeckten Grab empor!
Des Gatten racheforderndes Gespenst
Schickt
keines Messedieners Glocke, kein
Hochwürdiges in Priesterhand zur Gruft.
HANNA:
Weich ist Euer Herz gebildet, offen isr's
Der Scham — der Leichtsinn nur
ist Euer Laster. ...
Seit dieser Tat, die Euer Leben schwärzt,
Habt Ihr nichts Lasterhaftes
mehr begangen,
Ich bin ein Zeuge Eurer Besserung.
Drum fasset Mut! Macht
Friede mit Euch selbst!
Was Ihr auch zu bereuen habt, in England
Seid
Ihr nicht schuldig, nicht Elisabeth,
Nicht Englands Parlament ist Euer
Richter.
Macht ists, die Euch hier unterdrückt, vor diesen
Anmaßlichen
Gerichtshof dürft Ihr Euch
Hinstellen mit dem ganzen Mut der Unschuld.
Elisabeth ist meines Stammes, meines
Geschlechts und Ranges — Ihr
allein, der Schwester,
Der Königin, der Frau kann ich mich
öffnen.
Sie forderte
Als eine Gunst, gewähr' es ihr als Strafe!
Du kannst sie
auf das Blutgerüste führen,
Es wird sie minder peinigen, als sich
Von
deinen Reizen ausgelöscht zu sehn.
Dadurch ermordest du sie, wie sie
dich
Ermorden wollte - Wenn sie deine Schönheit
Erblickt, durch
Ehrbarkeit bewacht, in Glorie
Gestellt durch einen unbefleckten
Tugendruf,
Den sie, leichtsinnig buhlend, von sich warf,
Erhoben durch
der Krone Glanz und jetzt
Durch zarte Bräutlichkeit geschmückt — dann
hat
Die Stunde der Vernichtung ihr geschlagen. ...
Auch deine
Weiblichkeit hat ihre Rechte...
Jedwedem Anspruch auf dies Reich entsag' ich.
Ach, meines Geistes
Schwingen sind gelähmt,
Nicht Größe lockt mich mehr - ...
Denn nimmer
will ich glauben, daß Ihr kamt,
Um Euer Opfer grausam zu verhöhnen,
Sprecht dieses Wort aus. Sagt mir: "Ihr seid frei,
Maria! Meine Macht
habt Ihr gefühlt,
Jetzt lernet meinen Edelmut verehren."
Bekennt Ihr endlich Euch für überwunden?
Ist's aus mit Euren Ränken? Ist
kein Mörder
Mehr unterwegs? Will kein Abenteurer
Für Euch die traur'ge
Ritterschaft mehr wagen?
— Ja, es ist aus, Lady Maria' Ihr verführt
Mir
keinen mehr. Die Welt hat andre Sorgen.
Es lüstet keinen, Euer - vierter
Mann
Zu werden, denn Ihr tötet Eure Freier,
Wie Eure Männer!
MARIA (auffahrend):
Schwester! Schwester!
O Gott! Gott! Gib mir Mäßigung!
ELISABETH (sieht sie lange mit einem Blick stolzer Verächtung an):
Das also sind die Reizungen, Lord Leicester,
Die ungestraft kein Mann
erblickt, daneben
Kein andres Weib sich wagen darf zu stellen!
Fürwahr!
Der Ruhm war wohlfeil zu erlangen:
Es kostet nichts, die allgemeine
Schönheit
Zu sein, als die gemeine sein für alle!
MARIA:
Das ist zuviel.
ELISABETH (höhnisch lachend):
Jetzt zeigt Ihr Euer wahres
Gesicht, bis Jetzt wars nur die Larve.
MARIA (vor Zorn glühend, doch mit einer edeln Würde):
Ich habe menschlich, jugendlich gefehlt,
Die Macht verführte mich, ich
hab' es nicht
Verheimlicht und verborgen, falschen Schein
Hab' ich
verschmäht mit königlichem Freimut.
Das Ärgste weiß die Welt von mir, und
ich
Kann sagen, ich bin besser als mein Ruf.
Weh Euch, wenn sie von
Euren Taten einst
Den Ehrenmantel zieht, womit Ihr gleißend
Die wilde
Glut verstohlner Lüste deckt.
Nicht Ehrbarkeit habt Ihr von Eurer
Mutter
Geerbt: man weiß, um welcher Tugend willen
Anna von Boleyn das
Schafott bestiegen. ...
Der Thron von England ist durch einen
Bastard
Entweiht, der Briten edelherzig Volk
Durch eine listige
Gauklerin betrogen.
Burleigh versteigt sich, wie der modernste Machtpolitiker über die öffentliche Meinung, zu der Aussage: "Gehorche der Stimme des Volkes, sie ist die Stimme Gottes." (4. Aufzug, 8. Auftritt) Shrewsbury versucht im nächsten Auftritt mit aller Kraft - hier spricht Schiller selbst - Elisabeth vom Äußersten, der Unterzeichnung des Urteils, abzuhalten:
Muß ich die Blöße meines Rechts bedecken,
Den Flecken meiner fürstlichen
Geburt,
Wodurch der eigne Vater mich geschändet.
Umsonst bedeck' ich ihn
- Der Gegner Haß
Hat Ihn entblößt und stellt mir diese Stuart,
Ein ewig
drohendes Gespenst entgegen.
Nein, diese Furcht soll endigen! ...
Sie ist die Furie meines Lebens! Mir
Ein Plagegeist vom Schicksal
angeheftet.
Wo ich mir eine Freude, eine Hoffnung
Gepflanzt, da liegt
die Höllenschlange mir
Im Wege. Sie entreißt mir den Geliebten,
Den
Bräutigam raubt sie mir! Maria Stuart
Heißt jedes Unglück, das mich
niederschlägt!
Ist sie aus den Lebendigen vertilgt,
Frei bin ich, wie
die Luft auf den Gebirgen.
(Stillschweigen)
Mit welchem Hohn sie auf mich nieder sah,
Als sollte mich der Blick zu
Boden blitzen!
Ohnmächtige! Ich führe beßre Waffen,
Sie treffen tödlich,
und du bist nicht!
(Mit raschem Schritt nach dem Tische gehend und die Feder ergreifend)
Ein Bastard bin ich dir? — Unglückliche!
Ich bin es nur, so lang' du
lebst und atmest.
Der Zweifel meiner fürstlichen Geburt,
Er ist getilgt, sobald ich dich
vertilge.
Sobald dem Briten keine Wahl mehr bleibt,
Bin ich im echten
Ehebett geboren!
Ihr Staatssekretär Davison kommt, sieht die Unterschrift und erschrickt. Schiller entwickelt meisterhaft — daß es uns erschaudert -, mit welchem Balanceakt die Machtpolitikerin Elisabeth versucht, die Entscheidung und damit die Verantwortlichkeit für einen politischen Mord auf ihre Untergebenen abzuschieben und ihre Hände rein zu halten. Auch hier sind die Regieanweisungen enthüllend:
— Du legst dies Blatt in meine Hand, daß ich
Zu schleuniger Vollziehung
es befördre?
ELISABETH:
Das werdet Ihr nach Eurer Klugheit —
DAVISON (schnell und erschrocken einfallend):
Nicht
Nach meiner! Das verhüte Gott! Gehorsam
Ist meine ganze
Klugheit. Deinem Diener
Darf hier nichts zu entscheiden übrig
bleiben.
Ein klein Versehn war' hier ein Königsmord,
Ein unabsehbar,
ungeheures Unglück.
Vergönne mir, in dieser großen Sache
Dein blindes
Werkzeug willenlos zu sein.
In klare Worte fasse deine Meinung:
Was soll
mit diesem Blutbefehl geschehen?
ELISABETH (zögernd...) (ungeduldig):
Ich will, daß dieser unglückselgen Sache
Nicht mehr gedacht soll werden,
daß ich endlich
Will Ruhe davor haben und auf ewig.
DAVISON:
Es kostet dir ein einzig Wort.
ELISABETH (stampft auf den Boden):
Unerträglich!
(Sie geht ab)
Im ersten Auftritt des letzten, des fünften Aufzugs berichtet die Amme Hanna über die letzte Nacht. Maria schwankt zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen "Wehsein" und Frohsein", denn es soll die Nacht der Befreiung durch Mortimer werden, doch statt der Befreier verkündet ihr Faulet, daß die Zimmerer das Gerüst aufschlagen.
Diese plötzliche Erschütterung reißt Maria endgültig aus den Netzen ihrer physischen Existenz und erhebt sie in der letzten Herausforderung ihres Lebens, der Furcht vor dem Tod, zu einer beispielhaften moralischen Größe im Frieden mit sich selbst.
Sanft, fürsorglich und verzeihend nimmt sie Abschied von ihren Untergebenen. Sie vergibt Elisabeth ihren Tod und bittet Gott, daß er ihr „eine glückliche Regierung" schenke. Schiller läßt Hanna sagen:
MELVIL:
Du sagst mir nichts von deinem blut'gen Anteil
An Babingtons und Parrys
Hochverrat?
Den zeitlichen Tod stirbst du für diese Tat,
Willst du auch
noch den ew'gen dafür sterben?
MARIA:
Doch wiederhol' ich's: Meine Beichte ist vollendet.
MELVIL:
Erwäg' es wohl. Das Herz ist ein Betrüger.
Du hast vielleicht mit
list'gem Doppelsinn
Das Wort vermieden, das dich schuldig
macht,
Obgleich der Wille das Verbrechen teilte.
Doch wisse, keine
Gaukelkunst berückt
Das Flammenauge, das ins Innre blickt'
MARIA:
Ich habe alle Fürsten aufgeboten,
Mich aus unwürd'gen Banden zu
befrein,
Doch nie hab' ich durch Vorsatz oder Tat
Das Leben meiner
Feindin angetastet!
MELVIL:
So hätten deine Schreiber falsch gezeugt?
MARIA:
Gott würdigt mich, durch diesen unverdienten Tod
Die frühe schwere
Blutschuld abzubüßen.
Ich bin Königin von England!
(Auf und nieder gehend in der höchsten
Bewegung)
Geh! Rufe mir — nein, bleibe — Sie ist tot!
Jetzt endlich hab'
ich Raum auf dieser Erde.
— Was zittr' ich? Was ergreift mich diese
Angst?
Das Grab deckt meine Furcht, und wer darf sagen,
Ich hab's getan!
Es soll an Tränen mir
Nicht fehlen, die Gefallne zu beweinen!
Er muß erkennen, mit welchem „list'gem Doppelsinn" Elisabeth die königliche Ehre versucht zu wahren und sagt, nachdem sie Davison und Burleigh mit Gefängnis und Verbannung bestrafen will:
ELISABETH:
Verlassen wollte mich der Mann, der mir
Das Leben rettete?
SHREWSBURY:
Ich habe wenig
Getan — Ich habe deinen edlern Teil
Nicht retten können. Lebe, herrsche
glücklich!
Die Gegnerin ist tot. Du hast von nun an
Nichts mehr zu
fürchten, brauchst nichts mehr zu achten.
Literatur:
Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1981.
Die Zitate stammen aus folgenden Werken Schillers:
Die Worte des Glaubens, Das Lied von der Glocke, Vom Erhabenen/Über das Pathetische, Über das Erhabene, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Maria Stuart.
Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, Insel-Verlag, 1977. The Political Economy of the American Revolution, Campaigner Publications, Inc., New York.
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