"UNWORT DES JAHRES"

Publikumsbeschimpfung für Fortgeschrittene

von Okko tom Brok* (Achse des Guten, 17. Januar 2024)

Bilder, Anmerkungen und ergänzende Links: Nikolas Dikigoros

Seit über 30 Jahren kürt ein Grüppchen von Gesinnungssprachpolizisten das "Unwort des Jahres", diesmal "Remigration". Wir sollten uns diese jährlichen Verlautbarungen einer moralisierenden "Sprachkurie" nicht länger unkritisch gefallen lassen.

Wie jedes Jahr im Januar hat eine fünfköpfige Jury ihr "Unwort des Jahres" vorgestellt. Das Unwort des Jahres 2023 ist "Remigration". Dieses "Unwort" stehe in seiner "vermeintlichen Harmlosigkeit" für einen "euphemistischen" Versuch, "rechtsextreme" Politik-Konzepte in "verschleierter" Form salonfähig zu machen. Doch wie "harmlos" ist demgegenüber eigentlich die jährliche Festsetzung eines Unwortes?

"Unwort" klingt in meinen Ohren wie "Unkraut". Jeder hat es, kaum einer mag es. Es überwuchert Wege und Beete und verunziert den liebevoll angelegten Garten. Eine Sisyphos-Aufgabe. Im deutschen Sprachgebrauch stehen Unkräuter für Pflanzen, die niemand anpflanzt und die sich selbst ohne und sogar ausdrücklich gegen unser Zutun vermehren.

Der Begriff "Unkraut" ist dabei deutlich negativ konnotiert, und seit langem weisen Biologen darauf hin, dass er wissenschaftlich ungeeignet sei, weil er der botanischen Vielfalt in keiner Weise gerecht werde. Der Begriff wird heutzutage lediglich mangels besserer lexikografischer Alternativen weiterhin verwendet. Als ein komplementärer Gegenbegriff ist die "Nutzpflanze" üblich, um deutlich zu machen, dass der Maßstab der sprachlichen Kategorisierung einer Pflanze durch die Art und den Umfang der menschlichen Nutzbarkeit definiert ist.

Eigentlich wertfreier Begriff

Als die geistigen Väter und Mütter der "Unwort"-Wahlen 1991 erstmals ihre Hitliste des Unsagbaren veröffentlichten, mögen sie vielleicht an das Unkraut in ihren Gärten gedacht haben. Und so beschloss man wohl, auch den deutschen "Politikgarten" von sprachlichen Überwucherungen zu säubern. Im Gründungsjahr der zumeist aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten bestehenden Kommission entschied man sich 1991 [...] für [...] "ausländerfrei". Ihm folgten über die Jahre Begriffe wie "Überfremdung" (1993), "Gotteskrieger" (2001), "Ehrenmord" (2005), "Lügenpresse" (2014), "Gutmensch" (2015), "Klimahysterie" (2019), "Corona-Diktatur" (2020), "Sprachpolizei" (2021), oder auch die "Klimaterroristen" (2022). Im Januar 2024 folgte nun die sog. "Remigration", die begrifflich streng genommen aber überhaupt erst seit 2024 großflächig im politischen Diskurs auftaucht und damit innerhalb von nicht einmal ganz zwei Wochen seit ihrem Mediendebüt eine besonders "steile Karriere" absolviert hat, wie der Kollege Josef Kraus jüngst feststellte.

Hier sei nur kurz darauf hingewiesen, dass "Remigration" einen in der Migrationsforschung gebräuchlichen, eigentlich wertfreien Begriff zur Bezeichnung einer Rückwanderung von Migranten in ihre Heimatländer darstellt, wie die Jury der Unwort-Wahl selbst zu wissen scheint. Und in Ländern wie dem aktuell sozialdemokratisch regierten Dänemark bildet Remigration sogar einen selbstverständlichen Baustein der dortigen Ausländerpolitik. Doch das nur am Rande.

Hier soll es eher darum gehen, was sich in einer solchen, im Duktus moralischer Überlegenheit daherkommenden, jeglicher demokratischer Mitbestimmung enthobenen Auswahl vermeintlicher "Negativ-Worte" (Anm. Dikigoros: Der Plural von "Wort" in diesem Sinne lautet "Wörter", Herr Lehrer! "Worte" sind ganze Aussagen!) aus sprachlicher, kultureller und politischer Sicht eigentlich manifestiert.

Am liebsten Sprachverbote erteilen

Sprachwissenschaftlich stellt die Auflistung „ungewollter“ sprachlicher Ausdrucksformen einen Akt der "präskriptiven Lexikografie" dar, d.h. es geht um den Versuch, Sprache zu normieren, zu lenken und zu reglementieren. Dieser Ansatz, den wir z.B. auch aus der Duden-Redaktion kennen, ist tendenziell nicht dem natürlichen Sprachwandel im Sinne einer "deskriptiven Lexikografie" verpflichtet und will auch nicht, mit Martin Luther gesprochen, "dem Volk aufs Maul schauen". Ein präskriptiver Zugriff auf Sprache möchte Sprachempfehlungen, besser noch: Sprachverbote erteilen. Und während ich das so schreibe, muss ich bereits damit rechnen, für eine zukünftige (Anm. Dikigoros: Das Adjektiv zu "Zukunft" lautet "künftig", Herr Lehrer!) "Unwort-Wahl" in Betracht zu kommen, wäre groteskerweise nicht die "Sprachpolizei" von 2021 als enger "Sprachverwandter" des "Sprachverbots" bereits "vergriffen". (Anm. Dikigoros: Uns geht's doch noch Gold, uns sollen bloß einzelne Wörter verboten werden. Schauen Sie mal in die Ukraïne, Herr Lehrer, dort steht auf den Gebrauch einer ganzen Sprache - des Russischen - die Todesstrafe; und wer dagegen ist, ist ein "Putin-Versteher" - übrigens Dikigoros' persönlicher Favorit auf seiner Liste der Unworte für die letzten Jahre. Die anderen wären gewesen - in alfabetischer Reihenfolge: "Faktencheck", Geflüchtete", "Islamofobie", "Klimarettung", "Pandemie", "Populismus", "Mundschutzmaske", "Sicherheitsabstand", "Supervirus", "Veggie", "Willkommenskultur" und zuguterletzt zuschlechterletzt last but not least "Zeitenwende")


Der oberste Wetterfrosch von Scholzland läutet die "Zeitenwende" ein

Die Vorsilbe "Un-" ist in mehreren germanischen Sprachen anzutreffen. Im Englischen könnte man z.B. im Hinblick auf die Terroranschläge der HAMAS von "unspeakable atrocities" sprechen, um die Fassungs- und Sprachlosigkeit auszudrücken, die derartige Verbrechen in einem gesunden Menschen auslösen. Eine direkte Übersetzung des Wortes "Unwort" ins Englische ist nicht denkbar. Man würde hier eher von einem "taboo word" sprechen. Tabus, und somit auch die "Tabuwörter", werden freilich nicht von einem "Expertengremium" ausgewählt oder vereinbart, sondern sind zumeist gewachsenes Sprachempfinden, wie z.B. die instinktive, zumeist ästhetischen Bedürfnissen entspringende Ablehnung gegenüber dem Gebrauch von Fäkalsprache bei Tisch. Im Englischen werden auch sexuell konnotierte Begriffe häufig tabuisiert (z.B. "f*ck"). Ich erinnere mich, als junger Student in den USA in Gegenwart meiner Gastmutter achtlos ein solches "Tabu-Wort" gebraucht zu haben. Die Reaktion war "eisiges Schweigen". (Anm. Dikigoros: Das ist längst überholt. Heute wird auch und gerade in den USA "von oben" verordnet, welche Wörter nicht mehr gebraucht werden dürfen, vor allem die "n-Wörter", aber auch "er", "sie" [im Singular - erlaubt ist nur noch der Plural "they"), "Vater" und "Mutter", "Weihnachten" u.v.m. In einigen Bundesstaaten ist deren Gebrauch sogar strafbar.)

Diese häufig anzutreffende sprachliche Prüderie folgt keinem Expertenratschlag, sondern entspricht einer jahrhundertealten, puritanisch-prüden Sprachtradition, die die englischsprachige Welt bis heute charakterisiert. Es spielt dabei keine Rolle, ob man diese Realitäten mag oder nicht, sie sind real und müssen in der Kommunikation berücksichtigt werden. (Anm. Dikigoros: Auch das ist überholt. Das Wort "fuck" ist heute gängiger Sprachgebrauch im Sinne von Sprechgebrauch; lediglich geschrieben wird es für gewöhnlich mit Gendersternchen, also "f*ck" oder "f**k" :-)

Klare politische Agenda

Schaut man sich nun die Liste der seit 1991 publizierten Unwörter genauer an, kann man in ihnen bis auf wenige Ausnahmen eine politische Agenda erkennen. Ein klarer Ausreißer ist etwa der Begriff "alternativlos" (2010), mit dem die linksautoritäre Ära Merkel bereits einige Jahre vor ihrem Höhepunkt (manche würden hier wohl eher von einem "Tiefpunkt" sprechen) kritisch beleuchtet wurde. Auch das "Tätervolk" von 2003 mag in diesem Kontext noch etwas abweichen, stellt es aus heutiger Sicht doch eine zentrale Prämisse der woken Identitätspolitik in Frage, nach der nämlich bestimmte Gruppen und Ethnien prädisponiert seien für sog. "strukturellen Rassismus". Das medial bekannteste Beispiel ist in diesem Zusammenhang vielleicht der berühmt-berüchtigte "alte weiße Mann", eine gleich in dreifacher Hinsicht zutiefst diskriminierende Rollenzuschreibung, die Alte, Weiße und Männer in einem einzigen Atemzug verdächtig erscheinen lässt.

In den meisten Fällen der Unwort-Hitliste erkennen wir in den ausgewählten Begriffen den Versuch, unwillkommene politische Deutungen realer Probleme sprachlich zu diskreditieren. Im Konzept der Unwort-Wahl schlägt sich zwischen den Zeilen die Überzeugung nieder, dass eine Veränderung der Welt auf dem Weg der Sprachregulierung zu erreichen sei. Damit steht dieses dem Konzept der "Gendersprache" nahe, das vermeintliche oder tatsächliche Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern in der realen Welt über die Neuschöpfung möglichst "geschlechtsneutraler" Wortmonstren wie "Schüler:innenvertreter:innen" (O-Ton im Einladungstext zu einer schulischen Gesamtkonferenz) auszumerzen bestrebt ist. Der, genauer: die Dritte im Bunde ist aktuell die "Cancel Culture", quasi die rigorose große Schwester der beiden anderen, die am Ende einfach alles aus dem Weg räumt, was ihre kleinen Schwesterchen bekümmern könnte. Wird der Cancel Culture ebenfalls noch die Ehre zuteil werden, zum Unwort eines zukünftigen Jahres gekürt zu werden?

Eine "offene Gesellschaft" (Karl Popper) sollte sich diese jährlichen Verlautbarungen einer moralisierenden "Sprachkurie" nicht länger unkritisch gefallen lassen. Wie das eingangs betrachtete "Unkraut" zur Beschreibung der botanischen Wirklichkeit ungeeignet erscheint, wird auch das "Unwort" im Bereich der Politlinguistik der Vielschichtigkeit menschlicher Kommunikation nicht gerecht. Die Kür eines Unwortes dient letztlich nicht der wünschenswerten Absicht, sprachbewusste, politische Diskurse zu initiieren, sondern führt dazu, sprachliche Korridore zu verengen und Diskurse in Basta-Manier abzuwürgen. Damit kommt es als de facto autoritäres Instrument einem Denkverbot gleich. Hat eine freie Gesellschaft mündiger Bürger solche sprachlichen Gängelungen wirklich nötig? Sind wir überhaupt noch eine solche Gesellschaft? (Anm. Dikigoros: Die Frage stellen heißt sie beantworten!)


*Der Autor ist Lehrer an einem niedersächsischen Gymnasium und schreibt hier unter einem Pseudonym.


LESERPOST
(ausgewählt und z.T. leicht gekürzt von Dikigoros)

Johannes Schumann (17.01.2024)
[...] Remigration ist Migration. Migration ist [...], seinen Wohnort zu verlassen, um sich dauerhaft woanders niederzulassen. Beispiel: Ahmed verlässt Syrien in Richtung Griechenland. Dann ist er ein Migrant. Der verlässt Griechenland in Richtung Deutschland. Dann ist er Migrant. Er wandert von dort nach Polen und ist ein Migrant, und zwar einer, der von Deutschland nach Polen ging. Und in Polen gefällt es ihm nicht und er geht zurück nach Syrien. Dann ist das auch eine Migration. Remigration ist ein Spezialfall der Migration, wenn es zurück ins Heimland geht. Nun erzählen uns aber die gleichen Leute, Migration sei ja so toll und bereichernd. Da geklärt ist, dass Remigration ein Sonderfall von Migration ist, ist auch Remigration bereichernd. Wir geben Afghanistan, Syrien etc. viele ihrer jungen Männer zurück, wir bereichern sie.
(Anm. Dikigoros: Was ist denn das für ein altertümelndes, rückständiges Deutsch? In modernem, zeitgemäßen Germenglish muß das doch "Homeland" und "to enrich" heißen!)

[Sie werden gleich kulturell bereichert]

Gerhard Schmidt (17.01.2024)
Luther wollte "dem Volk auf's Maul schauen" - Unsere Herrschenden und ihre SpraPo-Schergen lassen beim letzten Wort einfach "s" und "c" weg...
(Anm. Dikigoros: "Dem Volk auf's Maul schauen"? Das ist übelster Populismus! Außerdem war Luther Nazi und muß deshalb gecancelt werden. Ihn zu zitieren verbietet sich!

[Nazi-Gedenkmünze 1933 auf Luthers 450. Geburtstag]

Dr. Jäger (17.01.2024)
Geht mir am Anus vorbei, wie der Lateiner sagt [...] Warum nicht auf Deutsch? RAUSländer finde ich passend, und da meine ich auch Typen mit deutschem Pass, die mit Deutschland nichts anzufangen wissen, mit Germoney aber offensichtlich schon.

[Verabschiebung, pardon, Verabschiedung eines Rausländers]

Joch Grünhagen (17.01.2024)
Die Frage ist, ob wir uns jedes Mal von den linksgrünen Spinnern triggern lassen. Diese Leute haben zwar derzeit den Marsch durch die Institutionen gewonnen, aber eine Mehrheit in der Bevölkerung haben sie nicht. Gegenhalten und ihr lächerliches Gewäsch ansonsten ignorieren, entsprechende Sendungen wegschalten und ihre Zeitungen und Portale meiden. Argumentativ lassen sie sich nicht stellen, da sie andere Meinungen nicht akzeptieren [...] Einfach nicht mehr mitmachen!


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