Fatima „Erscheinungen und Botschaften„

V. Die Niederschriften Lucias und deren wichtigste Teile

1. Die Niederschriften Lucias

Die zweite Phase der Geschichte Fatimas beginnt mit dem Jahr 1935. Damals und in späteren Jahren hat Schwester Lucia verschiedenen Niederschriften über die früheren Ereignisse berichtet. Dabei kam eine Reihe von Dingen zur Sprache, die lang unbekannt waren. Die Niederschriften erfolgten in vier Erinnerungen“. Wie kam es dazu? Am 12. September 1935 wurden sterblichen Oberreste des einen Seherkindes, Jacinta, auf den Friedhof von Fatima überführt. Damals befahl der zuständige Bischof von Leiria, Jose Alves Correia de Silva, der Schwester Lucia, sie solle alles niederschreiben, was sie noch von Jacinta wisse. Vierzehn Tage war Lucia bei der Schreibarbeit; am Weihnachtsfest 1935 hatte sie ihre „Erste Erinnerung“ fertig.

In diesem Bericht betont Lucia: „Trotz meines guten Willens zu gehorchen, hochwürdigster Herr Bischof, bitte ich Sie, mir erlauben, daß ich einige Dinge zurückhalte, von denen ich wünsche, daß sie erst an der Schwelle zur Ewigkeit gelesen werden, da sie sich auch auf mich beziehen. Eure Exzellenz möge nicht befremden, daß ich beabsichtige, einige Geheimnisse und Lesungen für das ewige Leben aufzubewahren. Habe ich denn nicht das Beispiel der Heiligsten Jungfrau? Sagt uns nicht das heilige Evangelium, daß Maria alle diese Worte in ihrem Herzen bewahrte?“132 Lucia läßt also durchblicken, daß sie über das Mitgeteilte hinaus noch weitere Erlebnisse und Botschaften kenne, die sie nicht verraten wolle. Worauf sich diese noch zurückgehaltenen Geheimnisse ungefähr bezogen, deutete sie in ihrem Schreiben aber doch an: „Ich muß sagen, daß es einige Dinge in Äußerungen Unserer Lieben Frau gibt, die niemals weiterzuerzählen wir uns vorgenommen hatten; jetzt sehe ich mich vielleicht gezwungen, etwas davon zu sagen, um zu erklären, wo Jacinta so viel Liebe zu Jesus, zum Leiden und zu den Sündern geschöpft hat, für deren Rettung sie sich so sehr aufopferte.“133

In der ersten Niederschrift gab Lucia zu erkennen, „daß sie vieles immer noch eifersüchtig verborgen hielt, das sie wohl nur aus Gehorsam enthüllen würde“. Auf Anregung Fonsecas gab der Bischof von Leiria Lucia den Befehl, gewissenhaft alles bis ins kleinste aufzuschreiben, was sie bislang als Geheimnis gehütet hatte. In vierzehn Tagen schrieb sie 76 Seiten nieder; am 21. November 1937 war sie mit der Arbeit fertig. So erfuhr man also weitere „interessante Einzelheiten in der Geschichte der Erscheinungen“. „In dieser Erinnerung waren die Themen schon überraschender: Engelserscheinungen, außergewöhnliche Gnaden bei der Erstkommunion; Erscheinungen des Herzens Mariens im Juni 1917 und viele bis dahin völlig unbekannte Einzelheiten.“ Lucia spricht ihr Bedauern darüber aus, daß sie nunmehr ihre Geheimnisse preisgegeben habe; in der Einleitung zu ihrem Schreiben wendet sie sich an Gott und erklärt: „Ich werde nun nicht mehr die Freude haben, ganz allein die Geheimnisse Deiner Liebe zu genießen; aber dafür werden in Zukunft andere mit mir die Größe Deiner Barmherzigkeit besingen...; siehe, ich bin die Magd des Herrn: möge er sich weiterhin ihrer bedienen, wie es ihm gefällt.“134

Damit spricht Lucia aus, daß sie von nun an kein Geheimnis mehr kenne und für sich behalten wolle. Trotzdem aber kam dann nach einigen Jahren doch noch eine ganze Reibe neuer Geheimnisse zum Vorschein. Der Anstoß zur Aufdeckung ging wiederum von Fonseca aus. Er bereitete eine Neuausgabe seines Buches über Jacinta und die Ereignisse von Fatima vor; da dachte er sich, „Lucia könne auch zu dieser entscheidend beitragen.“ Tatsächlich erteilte ihr der Bischof von Leiria den Befehl, „weitere Erinnerungen an Jacinta aufzufrischen und niederzuschreiben“. Mehr wurde nicht verlangt; es tauchte auch nirgends der Verdacht auf, als ob Lucia noch besondere Geheimnisse verschweige; man erwartete ja nur, daß sie das Bild Jacintas erweitern helfe.

In einem Brief an P. Concalves schrieb Lucia, der Bischof habe ihr aufgetragen, sie möge sich alles ins Gedächtnis zurückrufen, „was ihr noch in Bezug auf Jacinta einfallen sollte“. „Dieser Auftrag!, so schreibt Lucia, „fiel in die Tiefe meiner Seele wie ein Lichtstrahl, der mir sagte, daß der Augenblick gekommen ist, die beiden ersten Teile des Geheimnisses zu enthüllen und der neuen Auflage zwei Kapitel hinzuzufügen: eines über die Hölle, ein anderes über das Unbefleckte Herz Mariens.“ In der Einleitung zur „Dritten Erinnerung“ lesen wir: „Ich glaube, es wurde Gott und dem Unbefleckten Herzen Mariens gefallen, wenn in das Buch 'Jacinta' ein Kapitel über die Hölle und ein weiteres über das Unbefleckte Herz Mariens aufgenommen würde. Eure Exzellenz wird diese Behauptung wohl dreist und unschicklich finden, aber sie stammt nicht von mir; und Gott wird Eurer Exzellenz zeigen, daß es hier nur um Seine Verherrlichung und um das Heil der Seelen gebt.“135 Lucia offenbart also diesmal ein „Geheimnis“, ohne aufgerordert worden zu sein. Obwohl sie lediglich über Jacinta berichten sollte, ergreift sie die Gelegenheit, um zwei Teile des „Großen Geheimnisses“ preiszugeben. Die ersten zwei Teile offenbarte Lucia im „Kapitel über die Hölle“ und in einem Kapitel „über das Unbefleckte Herz Mariens“136. Die „Dritte Erinnerung“ wurde am 31. August 1941 abgeschlossen.

Noch ein weiteres Mal erhielt Lucia von ihrer vorgesetzten kirchlichen Behörde einen Anstoß, neue Geheimnisse zu verraten. Bischof José ließ ihr eine Reihe von Fragen vorlegen, die sie beantworten sollte. Unter anderem wurde sie beauftragt, „weitere Einzelheiten der Engelserscheinungen aufzuschreiben“137. Auftragsgemäß schrieb Lucia ihre „Vierte Erinnerung“ nieder, und zwar in zwei „Heften“. Das erste wurde am 5. November 1941 vollendet, das andere am 8. Dezember 1941.

Interessant ist, welches Urteil Lucia selber über ihre Niederschriften abgibt. In der Einleitung zu ihrer „Vierten Erinnerung“ sagt sie: „Ich weiß, daß ich nichts sage noch schreibe, was von mir kommt, und ich danke Gott für den Beistand des Heiligen Geistes, der, wie ich fühle, mir das eingibt, was ich schreiben oder sagen soll. Wenn mir manchmal meine Phantasie oder mein Verstand etwas einflüstert, merke ich sofort daß die göttliche Salbung fehlt, und ich halte inne, bis ich im Innersten meine Seele statt dessen das erkenne, was Gott wünscht, daß ich es aussprechen soll.“138 Lucia nimmt als für sich göttliche Inspiration in Anspruch! Für die offensichtlichen Irrtümer, die ihr bei ihren Erinnerungen unterlaufen sind, wäre demnach niemand anderer als Gott verantwortlich.

Den dritten Teil des am 13. Juli 1917 den Seherkindern anvertrauten „Großen Geheimnisses“ schrieb Lucia erst Ende 1943 nieder; wir wissen bis zur Stunde nicht, welchen Inhalt er hat.

Lucia offenbart in ihren Niederschriften laufend neue Geheimnisse. Sie hatte ohne Zweifel noch andere unbekannte Ereignisse berichtet, wäre man weiter in sie gedrungen. Wir stehen vor einem geradezu klassischen Beispiel, wie durch anhaltendes „Befragen“ und die eindringliche Beschäftigung mit einer Visionärin seitens geistlich-autoritativer Seite von einer Phantastin immer wieder neue geheimnisvolle Dinge produziert werden. Dabei ist zu erkennen, daß die Darstellung laufend „reicher“ und „blühender“ wird. Daß es sich bloß um frei Erfundenes handelt, ist geradezu mit Händen zu greifen. Es wurde hier in Fatima derselbe schwere psychologische Fehler begangen wie in ähnlichen Fallen. Je mehr Geltungssüchtigen Beachtung geschenkt wird, um so wohler fühlen sie sich in ihrer Rolle; das Schlimmste geschieht, wenn man sie auf einen Sockel stellt

2. Der „Rest“ oder das „Kleine Geheimnis“

Nur einen kleinen Teil von dem, was Maria den drei Seherkindern, vor allem im Jahr 1917, geoffenbart hat, haben sie bekanntgegeben; auch von den ein Jahr zuvor zuteilgewordenen Erscheinungen eines Engels verrieten sie niemand etwas. Dies geschah, wie Lucia versichert, aus freien Stücken. Anders war es hinsichtlich des „eigentlichen Geheimnisses“, einer Art von Prophezeiung, die Maria am 13. Juli ausgesprochen haben soll; dieses Geheimnis durfte von den Kindern überhaupt nicht verraten werden, weil die Muttergottes es ausdrücklich so verlangt hatte. Wie bereits bekannt, gab Lucia erst im Jahre 1941 zwei Teile des Geheimnisses preis, während sie den dritten Teil im Jahre 1943 niederschrieb.

Während den Kindern von der Muttergottes ausdrücklich verboten worden war, das „eigentliche Geheimnis“ zu verraten, waren sie durch kein Gebot gebunden, sich über den „Rest“ oder das „Kleine Geheimnis“ zu äußern, von dem bereits die Rede war. Die Kinder schwiegen jedoch auch darüber, aus freien Stücken. Erst Ende 1937 gab Lucia einen Teil ihres Wissens preis. Dieses „Kleine Geheimnis“ oder der „Rest“ umfaßte alles, „was Lucia als ausschließliche Gnade schien. Dazu gehören die Besuche des Engels... und vor allem die Kommunion in Cabeco und das Versprechen völliger Opferbereitschaft schon bei den ersten Erscheinungen der Dame – die an Ekstase grenzenden Visionen vom 13. Mai und 13. Juni – die Zukunftsoffenbarungen an diesem Datum u.a.“139. Einen kleinen Teil des „Restes“ hat Lucia schon im Jahre vorher, am 17. Dezember 1927, als sie zwanzig Jahre alt war, bekanntgegeben, weil sie durch Christus die Erlaubnis erhalten hatte, ihrem Beichtvater eine wichtige Einzelheit des „Kleinen Geheimnisses“ mitzuteilen, „nämlich daß sie noch nach dem Tod ihrer kleinen Verwandten auf Erden bleiben müsse, um die Menschen das Unbefleckte Herz Mariens kennen und lieben zu lehren und sie über all das zu unterrichten, was sie bei den verschiedenen Erscheinungen über diese Andacht gehört hatte“140. Als Lucia diese „wichtige Einzelheit des Kleinen Geheimnisses“ verriet, waren ihre beiden jüngeren Gefährten schon längst tot. Bereits im Jahre 1917 hatte sie derlei offenbaren müssen, vor dem Eintritt der angeblich ihr damals bekannten zukünftigen Dinge.

3. Das Große Geheimnis

Die größte Bedeutung unter den Erscheinungen des Jahres 1917 kommt jener vom 13. Juli zu. „Dabei nahm Lucia eine besondere Stellung ein, da die Erscheinung allein mit ihr sprach sie war es, die von ihr eine Botschaft erhielt, welche erst in Zukunft weitergeleitet werden sollte.“141 So schreibt Kondor. In der „Vierten Erinnerung“ sagt jedoch Lucia, auch Jacinta habe die Worte der Muttergottes vernommen; denn nach ihrer Aussage erklärte ja Maria unmittelbar nach Verkündigung des Geheimnisses den beiden Mädchen: „Davon sagt niemandem etwas; Francisco dürft Ihr es mitteilen.“142 Jacinta selber hat am 11. Oktober 1917 wahrend eines Verhörs, daß Dr. Formigâo vornahm, versichert, auch sie habe das Geheimnis aus dem Munde der Muttergottes vernommen. Sowohl Lucia wie auch Jacinta behaupteten im Jahre 1917, die Erscheinung habe ausdrücklich verboten, das Geheimnis zu offenbaren143.

So oft Lucia in den „Erinnerungen“, die sie vor 1941 aufgezeichnet hat, von Geheimnissen spricht, geschieht dies mit Worten, die lediglich an private Dinge denken lassen. Andeutungen, welche die Seherkinder bei den verschiedenen Verhören : gemacht haben, lassen ebenfalls nur private Dinge vermuten. Fischer schreibt im Jahre 1937: „Auf Grund der Äußerungen der Hirtenkinder, namentlich Hyazinthas, steht fürs erste fest, daß im Geheimnis den Dreien nicht irdische Güter versprochen worden waren. Zweitens steht fest, daß es alle drei betraf.“ Jacinta erklärte ausdrücklich: „Es ist für alle drei von Nutzen.“144 Ähnlich versicherte Lucia: Es betrifft „alle drei“ .Francisco, der sich auf Lucia berief, weil er selber die Worte der Muttergottes nicht vernommen hatte, sagte, das Geheimnis diene „dem Nutzen seiner eigenen Seele, dem der Lucia und dem der Jacinta“. Ob es sich auch auf das Seelenheil des Pfarrers erstrecke, wußte er nicht zu sagen; aber er meinte, „daß Volk würde traurig sein, wenn es daß Geheimnis erführe“. Auch Jacinta urteilte so; Lucia hingegen glaubte nicht, daß das Volk traurig würde145.

Zu demselben Schluß, daß es sich um private Dinge handle, kam 1931 auch Fonseca, als er erklärte, Maria habe den Kindern ein „persönliches Geheimnis“ offenbart146. Was Lucia aber im Jahre 1941 bekanntgemacht hat, hat nicht Offenbarungen zum Inhalt, die sich bloß auf die drei Seherkinder beziehen; es sind nicht Geheimnisse, die Lucia, wie sie sich ausdrückte, „für das ewige Leben“ aufbewahren mußte. Es ist auch zu beachten, daß Lucia am 8. Juli 1924, als sie bei der „kanonischen Befragung“ unter Eid ihre Aussagen machte, nichts von einer erhaltenen außerordentlichen Mitteilung erwähnt, die sie nicht preisgeben dürfe147.

Am 17. Dezember 1927 erbat sich Lucia, wie sie behauptet, von Jesus Klarheit darüber, was sie von der Botschaft Mariens aufschreiben solle. Damals gab Jesus die Anweisung, sie solle aufschreiben, um was man sie bitte, außerdem das, was Maria über die Andacht an den „ersten Samstagen“ geoffenbart hatte. Was den „Rest des Geheimnisses“ angehe, darüber solle sie weiterhin schweigen148. In Briefen, Berichten und bei Verhören hat sie manches verraten; aber erst von 1935 an hielt sie in „Dokumenten“ fest, was Maria geoffenbart hatte.

a) Der 1. Teil: Die Hölle

Was haben nun die zwei 1941 bekanntgegebenen „Geheimnisse“ zum Inhalt? Lucia erzählt: „Der erste Teil war die Vision von der Hölle. Unsere Liebe Frau zeigte uns ein großes Feuermeer, das in der Tiefe der Erde zu sein schien. Eingetaucht in dieses Feuermeer sahen wir die Teufel und die Seelen, als seien sie durchsichtige schwarze oder braune glühende Kohlen in menschlicher Gestalt. Sie trieben im Feuer dahin, emporgehoben von den Flammen, die aus ihnen selber zusammen mit Rauchwolken hervorbrachen. Sie fielen nach allen Richtungen hernieder, wie Funken bei gewaltigen Bränden, ohne Schwere und Gleichgewicht, unter Schmerzensgeheul und Verzweiflungsschreien, die einen vor Entsetzen erbeben und erstarren machten. Die Teufel waren gezeichnet durch die schreckliche und grauenvolle Gestalt von scheußlichen, unbekannten Tieren, aber auch sie waren durchsichtig und schwarz. Die Vision dauerte nur einen Augenblick. Dank sei unserer himmlischen Mutter, die uns vorher versprochen hatte, uns in den Himmel zu führen (in der ersten Erscheinung). Wäre das nicht so gewesen, dann glaube ich, wir wären vor Schrecken und Entsetzen gestorben.“149 So lautet die Szene im Buche Kondors. In der Schrift Fonsecas liest sich das Ereignis so: „Als die Muttergottes die letzten Worte ('Opfert euch für die Sünder!') aussprach, von denen ich berichtet habe, öffnete sie die Hände, wie sie es schon in den beiden vergangenen Monaten getan hatte. Das Strahlenbündel, das von dort ausging, schien in die Erde einzudringen, und wir sahen etwas wie ein großes Feuermeer, und in ihm versunken schwarze, verbrannte Wesen, Teufel und Seelen in Menschengestalt, die fast wie durchsichtige, glühende Kohlen aussahen. Sie wurden innerhalb der Flammen in die Höbe geschleudert und fielen von allen Seiten herab wie Funken bei einer großen Feuersbrunst, gewichtlos und doch nicht schwebend; dabei stießen sie so entsetzliche Klagelaute, Schmerzens- und Verzweiflungsschreie aus, daß wir vor Grauen und Schrecken zitterten. (Es wird wohl bei diesem Anblick gewesen sein, daß ich den Schmerzensruf ausstieß, von dem die Leute erzählten). Die Teufel hatten die schreckliche und widerliche Gestalt unbekannter Tiere, waren jedoch durchsichtig wie glühende Kohlen. Dieses Gesicht dauerte einen Augenblick; und wir müssen unserer gütigen himmlischen Mutter danken, daß sie uns vorher den Himmel versprochen hatte; ich glaube, sonst wären wir vor Schrecken und Entsetzen gestorben.“150

Beurteilung der Höllenvision

Selbst wenn wir annehmen wollten, daß es sich um eine echte Vision gehandelt habe, müßte man mit Recht fragen: Wie kann man denn glauben, daß die Muttergottes derart schreckliche Bilder Kindern im Alter von sieben, neun und zehn Jahren zeigt, noch dazu solchen, denen sie angeblich verkündet hatte, daß sie bald sterben wurden? Diese Kinder brauchten bestimmt keine Warnung vor der Hölle. Selbst wenn die Warnung für andere bestimmt gewesen wäre, müßte man sie als sinnlos bezeichnen, da die Kinder angeblich zum Schweigen verpflichtet wurden.

Was ist zum Inhalt dieser „Höllenvision“, die ganz die Zuge primitiver kindlicher Auffassung tragt, zu sagen? Ähnliche Schilderungen der Hölle findet man gar nicht selten in der apokryphen Literatur. Man kann sich nur wundern, daß solch ein Produkt übersteigerter Phantasie von einem Theologen als Wirklichkeit angenommen wird. Welche Gottesauffassung muß jemand haben, der derart schreckliche und doch auch wieder törichte Bilder erfindet bzw. glaubt! Schon bei der ersten Erscheinung am 13. Mai 1917 soll Maria von der Hölle gesprochen haben, als sie die Kinder aufforderte, für die Sünder zu beten, „von denen so viele auf die Hölle zueilen“151. Am Tag darauf, so erzählt Lucia, fragte Jacinta: „Was ist die Hölle?“ Lucia erklärte ihr: „Das ist eine Höhle von Ungeziefer und ein sehr großer Scheiterhaufen, und dorthin kommt, wer Sunden begeht und nicht beichtet und er bleibt dort immer am Brennen.“ Dies, so beteuert Lucia, habe ihr ihre Mutter so erklart.152 Wir finden hier dieselbe naive Auffassung von der Hölle, wie sie sich auch in der sogenannten „Höllenvision“ vom 13. Juli 1917 widerspiegelt. Offenbar inspiriert durch eine entsprechende Lektüre, sagt Lucia von den Teufeln, sie hätten „die schreckliche und grauenvolle Gestalt von scheußlichen unbekannten Tieren“ gehabt. Was das wohl für Tiere waren? Vielleicht kann man als Antwort auf die Frage nehmen, was P. Ritzel in seinem Buch über den stigmatisierten Pater Pio von Pietrelcina schreibt; er sagt, daß die Teufel die Fähigkeit hatten, „sich in der Gestalt abscheulicher Tiere, von Kröten, Schlangen, Wildkatzen, Löwen und Tigern, von Krebsen, als Jäger ohne Kopf usw. zu zeigen“153 Was Ritzel nicht alles zur Kategorie von scheußlichen Tieren zählt.

Weiterhin muß man fragen: Warum schildert Lucia erst fast 25 Jahre später die Vision? Ein Grund für das lange Schweigen ist nicht zu entdecken, außer der, daß das Wissen um die Höllenvision vor 1941 nicht bestand.

Bei der Höllenvision begegnen wir einem Märchen, das ohne Zweifel in Anlehnung an eine entsprechende Lektüre erfunden worden ist. Daß es geglaubt wird, braucht nicht zu verwundern. Es ist schon oft genug ein noch viel größerer Unsinn geglaubt worden. Im Jahre 1975 bat der Prior Johann Siegen in zweiter Auflage das Büchlein „Der Erzengel Michael“ veröffentlicht154. Der Text auf der ersten Umschlagseite beginnt mit den Worten: „Papst Leo XIII. sah in einer Vision den Sturz der gefallenen Engel auf diese Erde. Der Einbruch der Machte der Finsternis war so gewaltig, daß Leo XIII. vorschrieb, daß nach jeder stillen heiligen Messe drei Ave-Maria, das Salve Regina und das Gebet zum hl. Michael gebetet werden müssen. Leider wurde diese Vorschrift bei der Liturgiereform aufgehoben.“ Ähnlich schreibt der Verfasser Johann Siegen S. 66: „Leo XIII. hatte in einer gewaltigen, erschreckenden Vision den Ansturm der Holle erlebt; er hatte gesehen, wie die Machte der Finsternis, unzählige böse Geister, auf die Erde niederfielen.“ „Zu Abwehr dieser Not“ habe der Papst das Gebet zum Erzengel Michael verfaßt. Die beiden Zitate widersprechen sich insofern, als zuerst behauptet wird, Papst Leo XIII. habe alle genannten Gebete aufgrund einer Vision angeordnet, wahrend später nur das Gebet zum Erzengel Michael genannt wird. Beide Behauptungen sind falsch, und zwar in zwei wesentlichen Punkten.

Bereits Pius IX. hatte im Jahr 1858 für den Bereich des Kirchenstaates einige Gebete nach der hl. Messe vorgeschrieben. Erst im Jahr 1884 dehnte Papst Leo XIII. die Vorschrift auf die ganze Kirche aus. Das Gebet zum Erzengel Michael wurde zwei Jahre später, also 1886 hinzugefügt.155 Unrichtig ist auch die Angabe, Papst Leo XIII. habe eine Vision über den Engelsturz gehabt. Es handelt sich dabei um eine jener Legenden, die sich wie eine „ewige Krankheit“ weitervererben. Schon 1931 wurde ein Büchlein mit dem Titel „Weiche, Satan“ veröffentlicht, in dem es heißt, „daß Leo XIII. ein schauderhaftes Bild von dem Treiben Satans und seines Anhanges auf dem ganzen Erdenrund in unseren Tagen gezeigt wurde“. Hugo Schnell sagt sogar in der Nr. 39 des „Konnersreuther Sonntagsblattes“ vom Jahr 1933: „Nachdem Leo XIII. eines Morgens die hl. Messe zelebriert hatte, begab er sich zu einer Besprechung mit den Kardinälen. Aber plötzlich sank er in Ohnmacht zusammen. Die herbeigeeilten Ärzte fanden keinen Grund zu dieser Ohnmacht, obwohl der Pulsschlag fast aufhörte. Plötzlich erwachte er wieder und war frisch wie zuvor. Er erzählte dann, er hatte ein furchtbares Bild gesehen. Er durfte die Verführungskunste und das Wüten des Teufels der kommenden Zeiten in allen Ländern sehen. In dieser Not erschien St. Michael, der Erzengel, und warf den Satan mit allen seinen Teufeln in den höllischen Abgrund zurück. Daraufhin ordnete Leo XIII. kurz nach 1880 das allgemeine Gebet zum hl. Michael an.“156

Man ist immer wieder erstaunt, mit welcher Dreistigkeit derartige Märchen erfunden und dann mit dem Brustton der Überzeugung verbreitet werden. Wie steht es nun mit der angeblichen Vision des Papstes Leo XIII.? Der Frage ist bereits 1934 Bers nachgegangen. Aufgrund des Materials, das ihm der dem Verfasser dieser Schrift wohlbekannte Pallotinerpater Dr. Hecht, der oftmals in Rom dienstlich zu tun hatte, zur Verfügung stellte, hat er nachgewiesen, daß es für die angebliche Vision nicht die Spur eines Beweises gibt. Es liegt bloß eine reine Erfindung vor, die vom erwähnten „Konnersreuther Sonntagsblatt“ noch eingehender ausgemalt wurde.157 In Wirklichkeit entstand das Gebet zum Erzengel Michael aus einem ganz andern Grunde. Friedrich Heiler schrieb darüber im Jahr 1925: „Das Gebet wurde angeordnet von Papst Leo XIII. im Jahr 1886 aus Anlaß der — später als raffinierten Betrug entlarvten — Satanischen Enthüllungen Leo Taxils.“158 Der Mann, der unter diesem Namen auftrat, war der 1854 geborene Südfranzose Gabriel Jogand-Pagès. Seit 1871 betätigte er sich als freigeistiger Journalist. Wiederholt brachten ihn Beschimpfungen von Religion und Geistlichkeit, besonders auch des Papstes Pius IX., vor Gericht. Er gründete Freidenkervereine und gehörte für kurze Zeit dem Freimaurerorden an. Nachdem er zuvor seine vertrauten Freunde eingeweiht hatte, kehrte er 1885 bloß zum Schein öffentlich als „reumütiger Sünder“ in den Schoß der Kirche zurück und begann als Leo Taxil seine „Enthüllungen über die Freimaurerei“. Als bekehrter Büßer, den man nunmehr als Verteidiger der Kirche ansah, wurde er von namhaften kirchlichen Kreisen begrüßt und geehrt. Im Jahr 1887 wurde der Gauner sogar vom Papst empfangen.

Leo Taxil und seine Freunde verbreiteten am laufenden Bande die unsinnigsten Märchen, unter denen die Teufelsgeschichten eine besondere Rolle spielten. Die Anregung für den frivolen Schwindel empfing Gabriel Jogand-Pagès durch die 1884 veröffentlichte Enzyklika Leos XIII gegen die Freimaurerei. In dem Rundschreiben wurde unter Hinweis auf eine Reihe älterer päpstlicher Verlautbarungen angedeutet, daß die Freimaurerei mit dem Satan im Bund stehe und das Christentum zu zerstören trachte. Im Jahr 1885 erschien Taxils erste Schrift „Über die Drei-Punkte-Brüder“. Darin und in den folgenden Veröffentlichungen entwarf er die phantastischsten Bilder der unsittlichen Mysterien und des Satanskultes der Freimaurer. Trotz der offensichtlichen Ungereimtheiten und obwohl bekannt war, daß Leo Taxil nur für kurze Zeit Mitglied des Freimaurerordens, noch dazu bloß im Lehrlingsgrade, gewesen war, fanden seine Märchen bis in die höchsten kirchlichen Kreise hinein gläubige Abnehmer. Auch allen anderen Unsinn, den Leo Taxil auftischte, nahm ihm eine abergläubische und wundersüchtige Welt bedenkenlos ab. Er erfand eine Miss Diana Vaughan, von der er sagte, sie stamme von dem berühmten Mitglied des Geheimbundes der Rosenkreuzer, Thomas Vaughan, und der Gottin Astarte ab. Als ihr Geburtsdatum gab er den 29. Februar 1874 an. 1874 war kein Schaltjahr; es gab also gar keinen 29. Februar in diesem Jahr; trotzdem merkten die Leute den Schwindel nicht. Man nahm Leo Taxil auch ab, daß die schöne englische Teufelsmiß Diana luziferisch erzogen und daß sie die Verlobte des Gottes Asmodeus sei, der sie auf Ausflüge ins Fegfeuer und auf den Mars mitgenommen habe. Taxil erfand noch eine andere Dame, die sehr schöne Lady Sophie Walden. Von ihr sagt er, ihr Vater sei der Teufel Betru; sie sei die Großmutter des Antichrist, der im Jahre 1962 geboren werde. Der Antichrist und ein jüdischer Papst würden im Jahr 1995 die Herrschaft über die katholische Kirche erringen.

All dieser Unsinn wurde nicht bloß von einfachen Leuten geglaubt, sondern auch von Priestern, Prälaten und Bischöfen. Diese „Gläubigen“ freuten sich von ganzem Herzen, als bekannt wurde, die bislang von niemand gesehene Miss Diana habe sich zum Katholizismus bekehrt. Es gab natürlich auch warnende Stimmen, die den Schwindel durchschauten. Aber sie wurden durch die Bank in den Wind geschlagen. In Deutschland hatte insbesondere die „Kölnische Volkszeitung“ vor Leo Taxil und seinen Leuten gewarnt. Aber Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Schwindlers wurden immer wieder durch regelmäßiges Eintreten hoher kirchlicher Würdenträger zum Schweigen gebracht. Noch im Jahr 1895 erhielt die gar nicht existierende, angeblich bekehrte Miss Diana den päpstlichen Segen. Aber dann platzte der schier unglaubliche Schwindel. Am 19. April 1897 wurde in Paris eine große Versammlung einberufen. Hier sollte sich, wie verkündet wurde, die aus Höllenbanden zum Himmelsdienst befreite Jungfrau, Miss Diana, persönlich zeigen. Und siehe da, Leo Taxil selber trat auf und gestand öffentlich, daß er elf Jahre lang absichtlich ein Theater aufgeführt hatte, um Papst und Kirche eine Posse zu spielen159. Damals schrieb die „Kölnische Volkszeitung“, deren Warnung geflissentlich überhört worden war: „Es ist eine fürchterliche Lektion, die der große Pariser Gauner denjenigen erteilt hat, die sich nicht warnen lassen wollen. Möge sie helfen! Es muß schonungslos ein Ende gemacht werden mit jener duseligen 'Religiosität', die unbesehen alles hinnimmt, was Phantasten ... als Enthüllungen, Geheimnisse, Offenbarungen, Weissagungen usw. auszugeben belieben.“160 Die fürchterliche Lektion ist schon langst wieder vergessen und aus der weltweiten Blamage wird noch im Jahr 1975 eine „himmlische Vision“ fabriziert. Die Widerlegung wird nichts nützen; das Marchen wird wie eine „ewige Krankheit“ weiterwandern, vielleicht noch mehr ausgeschmückt mit neuen Zutaten. Der Kampf gegen Aberglauben aller Art bedeutet weithin ein Gefecht gegen Windmühlen.

b) Der 2. Teil

Der Inhalt des zweiten im Jahr 1941 preisgegebenen „Geheimnisses“, das auch als „Die große marianische Botschaft“ bezeichnet wird, bestehet aus verschiedenen Teilen. Dazu gehört eine Art Prophezeiung, nämlich die Ankündigung des Zweiten Weltkrieges. Im Anschluß an die Höllenvision sprach Maria am 13. Juli 1917: „Ihr habt die Hölle gesehen, worin die Seelen der armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen begründen. Wenn man tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet werden und es wird Friede sein. Der Krieg geht seinem Ende entgegen; aber wenn man nicht aufhört, Gott zu beleidigen, wird unter dem Pontifikat von Papst Pius XI. ein anderer, schlimmerer Krieg beginnen. Wenn ihr eine Nacht von einem unbekannten Licht erhellt seht, dann wißt, daß dies das Zeichen ist, das Gott euch gibt, daß Er die Welt für ihre Missetaten durch Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters bestrafen wird. Um das zu verhüten, werde ich kommen, um die Weihe Rußlands an mein Unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen des Monats zu verlangen. Wenn man auf meine Stimme hört, wird Rußland sich bekehren und es wird Friede sein; wenn nicht, wird es seine früheren Irrlehren über die Welt verbreiten, wird Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören; die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet, am Ende aber wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren. Der Heilige Vater wird mir Rußland weihen, das sich bekehren wird, und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden.“161

Nach Fonseca sprach Maria bei der Verkündigung des „Zweiten Geheimnisses“ folgende Worte: „Ihr habt die Hölle gesehen, auf welche die armen Sünder zugehen. Um sie zu retten, wird der Herr die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen in der Welt einführen. Wenn man das tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet und der Friede wird kommen. Der Krieg geht seinem Ende entgegen; aber wenn man nicht aufhört, den Herrn zu beleidigen, wird nicht lange Zeit vergehen, bis ein neuer, noch schlimmerer, beginnt; es wird das wahrend des Pontifikates Pius XI. geschehen. Wenn ihr dann eines Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet, so wisset, es ist das Zeichen von Gott, daß die Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen nahe ist: Krieg, Hungersnot und Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters. Um das zu verhindern, will ich bitten, Rußland meinem Unbefleckten Herzen zu weihen und die Sühnekommunion am ersten Samstag des Monats einzuführen. Wenn man meine Bitten erfüllt, wird Rußland sich bekehren und es wird Friede sein. Wenn nicht, so wird es (Rußland) seine Irrtümer in der Welt verbreiten, Kriege und Verfolgungen der Kirche hervorrufen; die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben; mehrere Nationen werden vernichtet werden. ... Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren; der Heilige Vater wird mir Rußland, das sich bekehren wird, weihen und der Welt wird einige Zeit des Friedens geschenkt werden. Portugal wird der Glaube immer erhalten bleiben. Dieses dürft ihr niemandem sagen; nur Francisco dürft ihr es sagen.“162 Von der erhaltenen Erlaubnis machte Lucia auch Gebrauch, indem sie Francisco in das Geheimnis einweihte. Aber auch er weigerte sich, den Inhalt zu verraten163.

Wir haben bereits gehört, daß aus den im Jahre 1917 gemachten Andeutungen der Seherkinder hervorgeht, daß ihnen lediglich private Dinge mitgeteilt worden waren. Um solche handelt es sich jedoch bei dem von Lucia niedergeschriebenen „Großen Geheimnis“ offensichtlich nicht. Was also Lucia 1941 mitgeteilt hat, kann nicht identisch sein mit dem, was die Seherkinder 1917 als Geheimnis bezeichneten. Zu diesem Schluß kommt man auch noch aus einem anderen Grunde. Jahrzehnte nach den Erscheinungen hat Lucia, wie wir noch genauer sehen werden, eingestanden, sie habe im Jahre 1917 verschiedene in dem Geheimnis enthaltene Begriffe noch nicht gekannt. Um so weniger können diese folgerichtig den beiden jüngeren Seherkindern bekannt gewesen sein. Aber keines der Kinder hat bei den verschiedenen Verhören auch nur angedeutet, daß die Botschaft der Muttergottes irgendetwas enthalten habe, was sie nicht verstanden hatten. Ebenso zeigen die Antworten, die Francisco bei den Befragungen gegeben hat, daß seinem kindlichen Verstande das ihm von Lucia mitgeteilte Geheimnis keinerlei begriffliche Schwierigkeiten bereitet hat. In der Einleitung zu dem am 31. August 1941 abgeschlossenen Bericht betont Lucia ausdrücklich, ihr sei die Erkenntnis gekommen, daß der Augenblick gekommen sei, „die beiden ersten Teile des Geheimnisses zu enthüllen..., eines über die Hölle, ein anderes über das Unbefleckte Herz Mariens“. „Doch“, so erklärt Lucia weiter, „habe ich noch Zweifel, weil ich es ungern offenbare. Die Entwürfe sind schon fertig; doch ich schwanke, ob ich sie absenden oder sie lieber ins Feuer werfen solle.“164 Man muß also annehmen, es handle sich bei den Niederschriften vom August 1941 um erstmalig verratene Geheimnisse. Dem ist jedoch durchaus nicht so. Bereits am 2. Dezember 1940 hatte Lucia einen Brief an Papst Pius XII. abgesandt. In diesem Brief ist zu lesen: „In dem Teil der Offenbarungen, welche wir als 'Geheimnis' bezeichneten, hat im Jahr 1917 die seligste Jungfrau das Ende des Krieges, welcher damals noch Europa erfüllte, und den zweiten künftigen angekündigt; um diesen zu verhindern — so sagte Maria — sei sie gekommen, die Weihe Rußlands an das Unbefleckte Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen zu fordern...“ Maria habe, vorausgesetzt, daß man ihren Forderungen nachkomme, die Bekehrung dieses Volkes und den Frieden versprochen. „Im gegenteiligen Fall verkünde sie die Verbreitung der Irrtümer des russischen Kommunismus über die ganze Welt, Kriege, Verfolgungen der hl. Kirche, die Martyrien vieler Christen, verschiedene Verfolgungen und Leiden für Eure Heiligkeit und die Vernichtung verschiedener Völker.“165 Ein Vergleich beider Texte ergibt, daß Lucia jedesmal den gleichen Wortlaut gebraucht hat. Das „Geheimnis“, das im August 1941 veröffentlicht wurde, war demnach schon lange vorher keines mehr.

1) Krieg 1914-1918

Zu den Äußerungen Mariens bei der Ankündigung des „Zweiten Geheimnisses“ gehören die von Lucia im Jahr 1941 aufgezeichneten Worte: „Der Krieg geht seinem Ende entgegen.“ Diese Maria in den Mund gelegten Worte besagen an sich gar nichts; denn jeder Krieg geht einmal zu Ende. Außerdem war für Portugal noch nicht einmal die Hälfte des Krieges vorbei, als Maria vom Ende gesprochen haben soll. Am 9. März 1916 hat Deutschland an Portugal den Krieg erklärt und erst am 9. November 1918 war Kriegsende!

Daß Wort vom nahen Kriegsende soll uns noch eingehender beschäftigen. Bereits am 13. Mai 1917 will Lucia Maria gefragt haben: „Könnt Ihr mir sagen, ob der Krieg noch lange dauern oder bald zu Ende gehen wird?“ Damals soll Maria geantwortet haben: „Das kann ich Dir noch nicht sagen, ebensowenig wie ich Dir jetzt schon sagen kann, was ich wünsche.“166 Noch einmal erwähnte Maria am 13. Mai den Krieg. Bevor sie verschwand, sprach sie die Worte: „Betet täglich den Rosenkranz, um den Frieden der Welt und um das Ende des Kriege zu erlangen“167! Auch kurz bevor die Muttergottes am 13. Juli die über Jahrzehnte hin als Geheimnis gehüteten Worte aussprach, erwähnte sie den Krieg, und zwar mit ähnlichen Worten wie am 13. Juli. Sie forderte die Kinder auf, wie bisher täglich den Rosenkranz zu beten, „um den Frieden der Welt und das baldige Ende des Krieges zu erlangen“; den Rosenkranz sollten sie zu Ehren Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz“ beten; „denn“, so fügte die Dame hinzu, „nur sie allein kann es erreichen“.168 Ähnlich lautet die Mahnung der Muttergottes am 13. September, wenn sie die Kinder auffordert, „Sie möchten fortfahren, den Rosenkranz zu beten, um das Ende des Krieges zu erbitten“169. Maria versprach auch: „Der Krieg geht dem Ende entgegen“; am 13. Oktober werde der hl. Josef mit dem Jesuskind kommen, „um der Welt den Frieden zu geben“170.

Von besonderer Bedeutung sind die Worte Mariens, wie sie diese am 13. Oktober 1917 hinsichtlich des Kriegsendes gebraucht haben soll. Es geht hier nur um ein einziges Wort, daß bei den Fatima-Veröffentlichungen gerne unterschlagen wird, nämlich um das Wort heute. „Maria“ hat nämlich bei ihrer letzten Erscheinung im Jahre 1917 versichert: „Der Krieg geht heute zu Ende.“ Den Aufzeichnungen des Pfarrers von Fatima entsprechend hat Maria an diesem Tag versichert, der Krieg gehe „heute noch“ zu Ende. Dieselben Worte bestätigten andere, Laien und Priester, unter ihnen Kanonikus Formigâo. Diese bestimmte Aussage Mariens hat in der Folge eine heftige Diskussion heraufbeschworen. Fonseca schreibt in der 8. Auflage seines Fatima-Buches, Maria habe am 13. Oktober gesagt, „der Krieg gehe dem Ende entgegen und die Soldaten würden bald heimkehren“172. Mit diesem Wortlaut ist wohl eine Schwierigkeit beseitigt, aber nicht vollständig; denn der Krieg hat ja noch mehr als ein Jahr gedauert, und ein Jahr Krieg kann man nicht als kurze Zeit bezeichnen.

Bereits am 13. Oktober 1917 befragte Formigâo die Seherkinder unmittelbar nach den Erscheinungen; die Aussagen der Kinder wurden am selben Tag aufgezeichnet. Lucia versicherte damals ausdrücklich, Maria habe gesagt, „daß der Krieg heute aufhören werde und daß wir unsere Soldaten sehr bald erwarten sollen“173. Jacinta erklärte am selben Tag, die Muttergottes habe erklärt, „der Krieg habe heute aufgehört“. Die Worte hatten beide Mädchen vernommen, nur Francisco nicht.174 Lucia wiederholte und bekräftigte ihre Aussage noch einmal vor ihrem Pfarrer am 16. Oktober175.

Sechs Tage später, als man einsehen mußte, daß sich die „Muttergottes“ geirrt habe, am 19. Oktober, vernahm Formigâo die Seherkinder aufs neue. Wiederum versicherte Lucia, Maria habe gesagt: „Der Krieg hört noch heute auf. Sie sollen hier ihre Krieger sehr bald erwarten.“ Lucia wurde darauf aufmerksam gemacht, daß doch der Krieg noch weitergehe; sie wurde auch gefragt, wie sie sich das erkläre. Sie gab zur Antwort: „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich sie sagen hörte, der Krieg höre am 13. auf. Ich weiß nicht mehr.“ Außerdem versicherte Lucia: „Ich habe es so gesagt, wie Unsere Liebe Frau es gesagt hat“176.

Formigâo richtete am 19. Oktober auch einige Fragen an Jacinta. Eine Frage lautete: „Was sagte die Frau dieses letzte Mal?“ Das Mädchen antwortete, die Frau habe gesagt: „Ich komme hierher, um Dir zu sagen, sie sollen unseren Herrn nicht mehr beleidigen, da er schon genug beleidigt wurde; daß, wenn das Volk sich bessert, der Krieg aufhört, und wenn es sich nicht bessert, die Welt aufhört.“ Jacinta fügte noch hinzu: „Lucia hörte besser wie ich, was die Frau sagte“177. Dieser Satz ist sehr bezeichnend, zeigt er doch die Abhängigkeit der Jacinta von Lucia recht deutlich. Es muß auch beachtet werden, daß Jacinta diesmal die Worte der Muttergottes ganz anders formuliert als am 13. Oktober. Damals versicherte sie, Maria habe erklärt, „der Krieg habe heute aufgehört“. Bei dem Verhör am 19. Oktober fragte Formigâo Jacinta weiter: „Sagte Maria, daß der Krieg an jenem Tage zu Ende gehe oder daß er in Bälde aufhöre?“ Nun behauptete Jacinta: „Unsere Liebe Frau sagte, der Krieg würde zu Ende gehen, wenn sie wieder in den Himmel käme.“ Damit wird nichts anderes ausgesagt, als daß der Krieg am 13. Oktober 1917 hatte zu Ende gehen müssen, weil ja Maria an diesem Tag wieder in den Himmel zurückgekehrt ist. Darum wandte Formigâo ein: „Aber der Krieg ist doch noch nicht zu Ende gegangen!“ Darauf erwiderte Jacinta: „Der Krieg geht zu Ende, er geht zu Ende!“ Auf die Frage, wann er zu Ende gehe, erklärte das Mädchen: „Ich glaube, er geht am Sonntag zu Ende.“178

Es steht fest, daß sowohl Lucia wie auch Jacinta am 13. Oktober 1917 versichert haben, die Muttergottes habe erklärt, dan an diesem Tag der Krieg zu Ende gehe. Lucia hat dies auch bei späteren Befragungen wiederholt. Verfasser von Fatima-Schriften haben immer wieder versucht, die Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen. Auch Lucia selber hat sich später bemüht, sich aus der peinlichen Lage herauszuwinden. Als sie am 8. Juli 1924 eidlich vernommen wurde, sprach sie: „Ich glaube, Sie hat auch noch folgendes gesagt: ... 'Der Krieg geht heute zu Ende. Sie sollen ihre Soldaten in Bälde erwarten'. Meine Base Hyazintha sagte mir zu Hause, die Frau habe so gesagt: ... 'Der Krieg geht in einem Jahre zu Ende'.179 Wir haben bereits gesehen, daß dies nicht stimmt. Jacinta hat ja Doch am letzten Erscheinungstag vor Formigâo erklärt, Maria habe gesagt, „der Krieg habe heute aufgehört“; am 19. Oktober 1917 lautete ihr Zeugnis: „Ich glaube, er geht am Sonntag zu Ende.“

Die Seherin Lucia hat im Jahr 1924 und auch später unter dem Gewicht der Tatsachen die Möglichkeit eines Irrtums eingeräumt. Am 27. und 28. September 1932 unterhielt sich Formigâo mit Lucia. Diese erzählte, am 13. Oktober sei sie unmittelbar nach dem Ende der Erscheinungen von den Leuten gefragt worden, was die Muttergottes gesprochen habe; sie habe zur Antwort gegeben, Maria habe gesagt: „Der Krieg geht heute zu Ende.“ Aber sofort habe Jacinta widersprochen und erklärt, die Muttergottes habe nicht „heute“ gesagt, sondern: „in einem Jahr“180. Bei dem eidlichen Verhör, daß am 28. September 1932 stattfand, machte Lucia folgende Mitteilung: Einige Zeit nach der letzten Muttergotteserscheinung sei sie von Jacinta zur Rede gestellt worden: „Wie kommst Du dazu zu behaupten, Unsere Liebe Frau habe gesagt: 'Heute geht der Krieg zu Ende'?“ Lucia will zur Antwort gegeben haben: „Ich habe das so gehört.“ Sofort habe Jacinta widersprochen: „Ich habe das nicht gehört, sondern, daß der Krieg im Laufe eines Jahres zu Ende geben werde“.181 Wir haben bereits gesehen, daß hier Lucia unter Eid etwas beteuert, was offensichtlich der Wahrheit widerspricht. Jacinta hat ja am Abend des 13. Oktober 1917 im Gespräch mit Formigâo versichert, die Muttergottes habe gesagt, der Krieg werde heute zu Ende gehen. Sie hatte diese Aussage sogar noch mit den Worten bekräftigt: „Sie (= Maria) hat es zu Lucia und zu mir gesagt. Der Franz bat nichts gehört.“182

Im Jahre 1941 hat Lucia noch einmal zugegeben, daß ihr „möglicherweise ein Irrtum unterlaufen“ sei, als sie die Äußerung Mariens wiedergab, „der Krieg werde am selben Tag, am 13. Oktober, zu Ende gehen“183. In einem Interview im Jahre 1944 erklärte Lucia ferner, „die Worte des Engels bei den einzelnen Erscheinungen hätten sich ihrem Gedächtnis ganz getreu eingeprägt“. „In Bezug auf die Worte Unserer Lieben Frau“, so fügte sie hinzu, „ist die Frage eine andere; ich kann wohl nicht sagen, daß alle Worte genau sind; es war mehr der Sinn, den ich festhielt.“184 Da drangt sich freilich die Frage auf: Warum prägten sich dem Mädchen, als es noch jünger war, die Worte des Engels genauer ein als ein Jahr später die Worte der Muttergottes? Zudem hat ja Lucia am 6. Februar 1946 dem Pater Jongen selber versichert: „Ich habe das Geheimnis Wort für Wort aufschreiben wollen.“185

Im Jahre 1960 hat der Fatima-Verlag in Graz in zweiter Auflage ein Schriftchen herausgegeben mit dem Titel „Die Wahrheit über Fatima“. Darin findet man Begründungen, wie sie gerade für „mystische“ Schriften kennzeichnend sind. Dr. Manuel Formigâo, der sich den Namen „Visconde de Montelo“ zulegt, argumentiert so: „Lucia hat sich geirrt. Aber weit entfernt, daß dieser von der seligsten Jungfrau zugelassene Irrtum der Ausbreitung und Wirkung der Botschaft von Fatima Eintrag getan hätte, diente er nur den Plänen der göttlichen Vorsehung.“186 Kanonikus Formigâo, von dem gesagt wird, er habe die überlieferten Worte „aus übernatürlicher Sicht“ gedeutet, hat in der Tat recht, wenn er feststellt, daß der Irrtum der Sache von Fatima keinen Eintrag gemacht habe. Wundersucht ist Argumenten gegenüber immun. Formigâo sagt also, der Irrtum sei in den Plänen der göttlichen Vorsehung gelegen; er fahrt fort: „Vor allem in Bezug auf Lucia, die bei den Besuchen, die sie hin und wieder in den benachbarten Pfarreien machte, als 'Heilige' angesehen wurde. Es ging so weit, daß man ihr Erweise religiöser Verehrung entgegenbrachte, als ob sie ein himmlisches Wesen sei. Das bedeutete eine große Gefahr für das Kind. Wenn nicht dieser auffallende Irrtum gekommen wäre, wären diese Ehrenbezeugungen weitergegangen, erst recht auch nach dem Sonnenwunder, zur größten Gefahr für die Bescheidenheit Lucias.“187 Törichter kann ein Theologe nicht mehr argumentieren.

Der Verfasser der genannten Schrift „Die Wahrheit über Fatima“ hat noch andere Argumente parat, um den Irrtum verständlich zu machen. Er verweist auf Lucias vierten Bericht vom 8. Dezember 1941 an den Bischof von Leiria, wo sie schreibt: „Vielleicht deshalb, weil ich mich zu sehr mit dem Gedanken an die zahllosen Gunsterweise beschäftigte, die ich von Unserer Lieben Frau erbitten sollte, glaubte ich irrtümlicherweise, gehört zu haben, der Krieg gehe am selben 13. Oktober zu Ende.“ Ähnlich hatte sich Lucia bei der offiziellen Befragung durch die Kommission am 8. Juli 1924 in Porto ausgedrückt: „Da ich ständig an die Bitten dachte, die ich Unserer Lieben Frau vorlegen wollte, habe ich nicht genügend aufgepaßt.“ Am 5. Februar 1946 erklärte sie Pater Jongen gegenüber: Damals sei ganz Portugal von dem Wunsch nach Frieden beseelt gewesen; dies, der erwartete Friede, sei das Wunder gewesen, das die Leute am 13. Oktober allgemein erwartet hätten. Lucia sagte: „Nach dem Sonnenwunder drängte sich das Volk von allen Seiten um uns.“ Die Leute hätten gefragt: „Was hat sie gesagt?“ Sie habe geantwortet: „Der Krieg geht dem Ende entgegen.“ Von allen Seiten hätten die Menschen gerufen: „Wann? Heute?“ Um die ständige Fragerei los zu werden, habe sie, Lucia, schließlich gesagt: „Ja.“ Sie erklärt weiterhin: „Nachher habe ich dann geglaubt, Unsere Liebe Frau habe wirklich so gesagt.“ Lucia beteuert noch, Jacinta habe sie aufmerksam gemacht: „Unsere Liebe Frau hat nicht gesagt: 'Heute'.“188 „Also ist Lucia ein Opfer der ständig wiederholten Suggestivfragen und völliger Ermüdung geworden“; mit diesen Worten schließt der Verfasser der genannten Schrift seine Beweiskette. Aber es steht einwandfrei fest, daß ursprünglich sowohl Lucia wie auch Jacinta gleichlautend ausgesagt haben. Das Bemühen, aus der schwierigen Lage herauszukommen, ohne die offenkundige Blamage eingestehen zu müssen, ist einigermaßen verständlich. Der Irrtum „Mariens“ beweist aber neben anderem, daß weder eine Erscheinung noch überhaupt eine Offenbarung Mariens stattgefunden hat.

2) Krieg 1939-1945

Wir haben gesehen, daß die zum „Großen Geheimnis“ gezählten Worte aus der Botschaft vom 13. Juli 1917, in denen vom Zweiten Weltkrieg die Rede ist, gar nicht ein Geheimnis enthalten, da über das gleiche Thema bereits langst vor 1941, und zwar zu wiederholten Malen, gesprochen wurde. Nicht anders verhält es sich bei den weiteren Teilen des „Geheimnisses“.

Zu den Themen des Geheimnisses vom 13. Juli 1917 gehörte angeblich die Androhung eines weiteren Krieges. Am selben Tag soll Maria auch zwei Forderungen aufgestellt haben, nämlich, daß ihr Unbeflecktes Herz verehrt und daß jeweils der erste Samstag eines jeden Monats in besonderer Weise religiös gefeiert werden solle. Diese Forderungen hat Lucia, wie wir sehen werden, schon lange vor 1941 erwähnt. Aber vom kommenden schlimmen Krieg sprach sie erst, als jedermann klar war, daß er mit Sicherheit ausbrechen werde. Am 6. Februar 1939 schrieb sie: „In einer vertrauten Mitteilung“ habe ihr Christus zu verstehen gegeben, „der Krieg mit allen seinen Schrecknissen, die er im Gefolge habe, werde bald ausbrechen“; „am schwersten getroffen werden die Nationen sein, die das Reich Gottes in den Seelen zu zerstören suchten“ ... ; Gott habe beschlossen, „alle Nationen, die sein Reich in den Seelen zu vernichten trachten, in ihrem Blute zu reinigen“189. Man überlege sich einmal, ob wirklich jene „Nationen, die das Reich Gottes in den Seelen zu zerstören suchten“, am schwersten „getroffen“ wurden! Man überlege sich weiter, ob man überhaupt sagen kann, daß „Nationen“ das Reich Gottes in den Seelen der Menschen zerstören! Und schließlich bleibt die Frage offen, worin die „Reinigung im Blut“ bestehen soll.

Am 19. März 1939 schreibt Lucia an den Jesuitenpater Aparicio: „Von der Übung dieser Andacht (ersten Samstags), vereint mit der Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens, hängt Krieg oder Friede der Welt ab;“ dies entspreche dem Willen Jesu und Mariens190.

Zwei Monate vor dem Ausbruch des Krieges, am 20. Juni 1939, schrieb Lucia an Pater Aparicio; sie behauptete: „Unsere Liebe Frau versprach, die Geißel des Krieges auf später zu verschieben, falls die Andachtsübung (der ersten Samstage) verbreitet und geübt würde.“191

Am 1. September 1939 begann schließlich der Zweite Weltkrieg. Ein halbes Jahr später, am 21. Februar 1940, schrieb Lucia, Christus habe sich beklagt, weil die Weihe der Welt an das Unbefleckte Herz Mariens immer noch nicht vollzogen worden sei; wäre jedoch die Weihe erfolgt, dann hatte er „seine Gerechtigkeit besänftigt und die Welt vor dieser Kriegsgeißel verschont“192. Nur acht Tage zuvor hat Lucia bloß von einem Verschieben des Kriegstermins gesprochen!

Wenn all das Tatsachen gewesen wären, wenn sich Maria und Jesus in der Tat so geäußert hatten, wie angegeben wird, dann muß man doch fragen: Wer war denn schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges? Die Schuld läge dann allein bei den verantwortlichen kirchlichen Behörden, die den Willen Jesu und Maria nicht erfüllt haben; sie läge zum mindesten zum Teil bei Lucia, weil sie zu wenig getan hat, um die verlangten religiösen Übungen durchzusetzen. Und was wäre dann schließlich mit einem Mann wie Hitler? Welche Schuld würde auf ihm und anderen am Krieg in erster Linie schuldigen Männern lasten, wenn sie doch nichts anderes waren als Vollstrecker eines gewollten göttlichen Strafgerichtes? Es sind schauderhafte Worte, die der Muttergottes in den Mund gelegt werden.

Noch bevor der Zweite Weltkrieg begann, wußte Lucia bereits etwas über sein Ende vorauszusagen. Am 6. Februar 1939 äußerte sie sich in einem Brief, „in einer vertraulichen Mitteilung“ habe ihr Christus gesagt, der Krieg werde „bald“ ausbrechen; er habe auch gesprochen: „Dieser wird zu Ende gehen, wenn die Zahl und das Blut der Gemarterten meine Gerechtigkeit besänftigt haben.“193 Ähnlich drückt sich Lucia am 21. Feburar 1940 aus: „Der Krieg wird erst dann aufhören, wenn das Blut, das von den Märtyrern vergossen wird, genug sein wird, um die göttliche Gerechtigkeit zu besänftigen, es sei denn, daß die Vermittlung dieses Aktes (= der Weihe an das Unbefleckte Herz), durch den uns der Friede gewahrt wird, durch Vollzug eben dieses Aktes zur Geltung kommt.“194

Man überlege sich derartige Worte ganz genau! Was wird denn damit zum Ausdruck gebracht? Das heißt doch nichts anderes als: Christus hat die Unzahl von Leiden, von Blut und Tranen, von Kriegsopfern, von Toten und Verstümmelten gewollt. Es wird behauptet, Gott sei nur bereit gewesen, „seine Gerechtigkeit besänftigen zu lassen“, wenn die Welt in Blut und Tränen schwimmt! Solch ein fürchterlicher Gedanke kann nie und nimmer aus dem Munde Jesu Christi gekommen sein. Es müßte doch wenigstens einem Theologen das Schaudern kommen, wenn er solche Worte hört.

Maria, so behauptet Lucia am 20. Juni 1939, habe versprochen, „die Geißel des Krieges zurückzudrängen, spätestens dann, wenn diese Andacht gepflegt und verbreitet wird“195. Netter übersetzt die portugiesisch gesprochenen Worte anders: „Unsere Liebe Frau versprach, die Geißel des Krieges auf später zu verschieben, falls die Andachtsübung (der ersten Samstage) verbreitet und geübt würde.“196 Was soll nun das wieder heißen? Schließlich hat doch Papst Pius XII. Am 8. Dezember 1942 offiziell und feierlich das ganze Menschengeschlecht dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht. Kein Mensch kann sagen, daß dies auf das Kriegsgeschehen irgendeinen Einfluß genommen hat.

Ein Jahr nach Kriegsbeginn, am 18. August 1940, schrieb Lucia: Gott könne ja durch ein Wunder „die Verwirklichung seiner Wünsche“ befördern; „er bedient sich aber dieser Zeit, damit seine Gerechtigkeit die Welt wegen so vieler Verbrechen strafe und zu einer vollkommenen Rückkehr zu ihm vorbereite“197. Wiederum hören wir die bereits genugsam gewohnte Drohbotschaft. Was ist denn überhaupt mit dem Wort „Welt“ gemeint, die aufgrund ihrer Verbrechen Gottes strafende Gerechtigkeit getroffen hat? Außerdem bereitet eine weitere Frage Schwierigkeiten, nämlich: Inwiefern wurde die Rückkehr zu Gott vorbereitet? Und: Hat der Krieg bzw. das Kriegsende wirklich eine Rückkehr zu Gott gebracht?

Ähnliche Gedanken über die göttliche Strafgerechtigkeit spricht Lucia auch am 22. Oktober 1940 aus: Damals soll ihr Christus mitgeteilt haben: „Bete für den Heiligen Vater, opfere dich, daß sein Herz nicht der Bitterkeit erliege, die ihn bedrückt. Die Trübsal wird fortdauern und sich vermehren. Ich werde die Nationen wegen ihrer Verbrechen strafen, durch Krieg, Hunger und Verfolgung Meiner Kirche, die im besonderen auf seinem Stellvertreter auf Erden lasten wird. Seine Heiligkeit wird die Abkürzung dieser Tage der Trübsal erlangen, wenn er auf Meine Wünsche hört, indem er den Weiheakt der ganzen Welt an das Unbefleckte Herz Mariens vollzieht, mit besonderer Erwähnung Rußlands...“198 So einfach also wäre die Sache gewesen. Aber warum hat sich Christus nicht unmittelbar an den Papst, dem Christus selber den Ehrentitel „Seine Heiligkeit“ beilegt(!), gewandt? Wie erwähnt, erfolgte die verlangte Weihe am 8. Dezember 1942. Aber eine Abkürzung der „Tage der Trübsal“ war nicht die Folge. Es muß auch an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß in dieser „Mitteilung des Herrn“ bereits ähnliche Gedanken ausgesprochen werden, wie sie Lucia dann erst in der Verkündigung der seit dem 13. Juli 1917 gehüteten „Geheimnisse“ Ende 1941 verraten hat. Es ist nicht ersichtlich, wieso man in den bis dahin verschwiegenen Worten Mariens etwas Geheimnisvolles finden konnte. Am 22. Oktober 1940 soll Christus Lucia auch aufgefordert haben, sie solle sich für den Papst „opfern“, daß er nicht der Bitterkeit erliege. Was wird denn Lucia im Sinne des Auftrages getan haben? Welche einmalige Bedeutung mißt denn hier nicht Lucia ihrem „Opfer“ zu im Vergleich zu den ungezählten, ungleich größeren Opfern von Millionen von Menschen!

3) Schlimmerer Krieg (1939-1945) unter Papst Pius XII.

Am 13. Juli 1917 soll Maria einen anderen, schlimmeren Krieg angedroht haben für den Fall, „wenn man nicht aufhöre, Gott zu beleidigen“. Die Drohung mit kommenden Strafgerichten entspricht einer weitverbreiteten Auffassung, die in jeglichem Unheil einen gottgewollten Racheakt erblickt. Doch selbst wenn Maria im Juli 1917 die überlieferten Worte gebraucht hatte, warum hat Lucia die Drohung erstmals bekanntgegeben, nachdem der Zweite Weltkrieg bereits zwei Jahre gedauert hatte? Prophezeiungen dieser Art, wie sie immer wieder aufgetischt werden, richten sich selbst. Was lag denn schließlich in der Drohbotschaft Geheimnisvolles, daß Lucia bis 1941 schweigen mußte?

Bemerkenswert erscheint, daß bei dieser nachträglichen Prophezeiung im Unterschied zu anderen ein genauer Hinweis auf den Eintritt des angedrohten Unheils angegeben wird. Aber gerade in diesem Punkt erweist sich die ganze Angelegenheit als bloße Erfindung. Maria soll versichert haben, der andere Krieg werde „unter dem Pontifikat von Papst Pius XI.“ beginnen. Nach Fonseca und anderen Autoren lauteten die Worte Mariens: „Es wird das während des nächsten Pontifikates Pius XI. geschehen.“199 Während Lucia die angebliche Äußerung Mariens vom 13. Oktober 1917, daß der Erste Weltkrieg „noch heute“ zu Ende gehen werde, später korrigierte, blieb sie hinsichtlich der Ankündigung der Muttergottes vom 13. Juli 1917, der schlimmere Krieg werde unter dem Pontifikate des Papstes Pius XI. beginnen, fest. Als sie ihre „Erinnerungen“ aufzeichnete, war sie der Meinung, zu Kriegsbeginn habe noch Papst Pius XI. gelebt. Dieser ist aber bereits am 10. Februar 1939 gestorben; am 2. März desselben Jahres wurde der Kardinalstaatsekrätar Pacelli zum neuen Papst gewahlt er nannte sich Pius XII. Hitler ließ am 1. September 1939 Polen angreifen. Der Krieg begann also nicht unter dem Pontifikate des Papstes Pius XI., sondern unter Pius XII. Lucia hat demnach die Päpste verwechselt. Da sie sich aber schriftlich auf den unrichtigen Papst festgelegt hatte, war der Irrtum nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Aber irgendwie mußte man damit fertig werden, und dies geschah so: Fonseca gibt in seinem 1949 in der 8. Auflage herausgegebenen Buche über Fatima folgende Erklärung: „Es handelt sich hier offenbar um den Bürgerkrieg in Spanien, der in gewisser Hinsicht ein internationaler Krieg und Vorspiel des Weltkriege war.“200 Lucia selber war anderer Meinung. Als man sie daran erinnerte, daß doch der Zweite Weltkrieg unter dem Pontifikate des Papstes Pius XII. begonnen hat, antwortete sie, „daß die Besetzung Österreichs 1939 schon der eigentliche Beginn des Krieges war“201. Dies ist aber offensichtlich eine leere Ausrede. Der Zweite Weltkrieg begann nicht mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich; er begann auch noch nicht mit der Besetzung des Sudetenlandes im März 1939. Im Gegenteil! Damals gelang es noch, durch Verhandlungen den Krieg zu verhindern. Schließlich, wollte man in der Art Lucias argumentieren, dann konnte man auch so urteilen: Der Krieg begann mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten.

Als Hitler Österreich besetzen ließ, dachte Lucia nicht im entferntesten daran, daß damit der Zweite Weltkrieg begonnen habe. Das Gegenteil ist der Fall, wie wir gesehen haben. Am 6. Februar 1939 beispielsweise spricht sie die Befürchtung aus, der Krieg werde „bald“ beginnen; und noch am 20. Juni 1939 behauptete sie, Maria werde vielleicht die „Geißel des Krieges auf später verschieben“202.

Am 6. Februar 1946 fand eine Unterredung zwischen P. Jongen und Schwester Lucia statt. Der Pater wollte wissen, ob Lucia bei der Niederschrift die Worte der Muttergottes nur dem Sinne nach oder buchstäblich angegeben habe. Lucia antwortete: „Ich habe das Geheimnis Wort für Wort aufgeschrieben.“ P. Jongen fragte weiter: „Waren Sie auch gewiß, alles genau im Gedächtnis behalten zu haben?“ Die Antwort lautete: „0 ja! Auch habe ich die Worte genau in der Reihenfolge geschrieben, wie sie ausgesprochen worden waren.“ P. Jongen wollte außerdem wissen: „Hat die heiligste Jungfrau wirklich den Namen von Pius XI. ausgesprochen?“ Lucia beteuerte: „Ja, wir wußten damals aber noch gar nicht, ob das ein Papst oder ein König sei. Aber die heilige Jungfrau hat von Pius XI. gesprochen.“203 Daß die damals zehnjährige Lucia ebensowenig wie ihre zwei Gefährten zwischen Papst und König unterschieden, kann man ohne weiteres glauben; aber, so muß gefragt werden, warum soll dann Maria den Namen eines bestimmten Papstes, und noch dazu den falschen angegeben haben?

4) Nordlicht

Bei der Erscheinung am 13. Juli 1917 soll Maria auch auf ein Vorzeichen für den kommenden schlimmeren Krieg hingewiesen haben: „Wenn ihr dann eines Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet, so wisset, das ist das Zeichen von Gott, daß die Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen nahe ist: Krieg, Hungersnot und Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters.“204 In dieser Drohbotschaft ist die Rede von einer „Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen“. Wenn wirklich die Muttergottes solche Worte gesprochen hatte, warum hat sie dann Lucia nicht vor dem Eintritt des Unheils laut verkündet? Man überlege sich auch, inwiefern der Zweite Weltkrieg eine „Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen“ gewesen sein soll! Man überlege sich weiter: Wollte etwa Gott die vorausgegangenen Verbrechen durch neue, noch fürchterlichere Verbrechen, wie sie dann im Laufe des Krieges begangen worden sind, büßen lassen? Welche Menschen waren denn die Büßer? Den angeblichen Worten Mariens liegt eine schauderhafte Gottesauffassung zugrunde.

Was ist nun mit jenem „unbekannten Licht“ gemeint, das als Vorzeichen eines neuen Krieges zu gelten hatte? Als Antwort wird gegeben: „Lucia nahm an, daß das außergewöhnliche Nordlicht in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1938 das Zeichen Gottes für den Beginn des Krieges war.“205

Am 6. Februar 1946 sagte P. Jongen zu Lucia: „Die Astronomen bezeichnen das 'unbekannte Licht' in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar 1938 als Nordlicht. Was halten Sie davon?“ Die Gefragte antwortete: „Beim Studium aller Umstande dieser Lichterscheinung würden sie wohl erkennen, daß das kein Nordlicht war, noch sein konnte.“206 Aber Lucia hatte angeben sollen, welche Umstände sie meint, warum jene Lichterscheinung, die sie wohl selber gar nicht beobachtet hat, kein Nordlicht gewesen sein soll. Die Farberscheinung sowie die Zeit des Auftretens am nördlichen Himmel lassen an gar nichts anderes denken. Es gibt bestimmt keinen Astronomen, der hinter einem Nordlicht ein nicht natürliches Ereignis suchen wollte. Nordlichter sind in unseren Breiten zwar seltene Naturerscheinungen, aber sie sind eben bloß natürliche Erscheinungen. Jenes Nordlicht wurde auch vom Verfasser dieser Schrift am Abend des 25. Januar 1938 um 21 Uhr als intensiv rot-violett erleuchteter nördlicher Himmel beobachtet. Von einem wunderbaren Vorzeichen haben höchstens abergläubische Menschen gesprochen. Schließlich muß auch in diesem Zusammenhang gefragt werden: Wieso kommt es, daß Lucia im Jahr 1938 noch nichts von dem „unbekannten Licht“ zu sagen wußte? Warum spricht sie von der Ankündigung des wunderbaren Lichtes erstmals drei Jahre nach seinem Erscheinen? Daß ihr vorher die Muttergottes darüber zu sprechen verboten habe, das glaubt sie ja selber nicht.

5) Weihe Rußlands

Zum zweiten Teil des 1941 bekanntgegebenen Geheimnisses gehört die Forderung Mariens, Rußland müsse ihrem Unbefleckten Herzen geweiht werden. Nachdem Maria von dem „unbekannten Lichte“ als Vorzeichen des kommenden, schlimmeren Krieges gesprochen hatte, fuhr sie fort: „Um das zu verhüten, werde ich kommen, um die Weihe Rußlands an mein Unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen des Monats zu verlangen. Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Rußland sich bekehren und es wird Friede sein. ... Der Heilige Vater wird mir Rußland weihen, das sich bekehren wird.“207 So soll Maria bereits am 13. Juli 1917 gesagt haben. „Maria“ versichert, es werde der angedrohte Krieg und anderes Unheil verhütet werden, wenn Rußland ihrem Unbefleckten Herzen geweiht werde. Was soll aber das Ganze für einen Sinn haben, wenn Lucia die Worte Mariens erst dann bekanntgibt, als der angedrohte Krieg bereits zwei Jahre gedauert hat?

Die zwei verschiedenen Teile der Aussagen über Rußland lassen sich nicht miteinander vereinbaren. Zum einen verspricht Maria: „Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Rußland sich bekehren“, zum anderen stellt sie vorausschauend fest: „Der Heilige Vater wird mir Rußland weihen, das sich bekehren wird, und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden.“ Mit ihrer Ankündigung, der Papst werde Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens weihen, behielt Lucia tatsächlich recht. „1942 erfüllte er den Wunsch unserer Lieben Frau von Fatima und weihte die ganze Welt, besonders Rußland, ihrem Unbefleckten Herzen.“208 Lucia konnte die Weltweihe auch erwarten, da sie ja bereits vor 1941 auf ihr Drängen bin erreicht hatte, daß verschiedene Bischöfe eine Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens vollzogen. Schließlich erfüllte im Jahr 1942 auch der Papst „den Wunsch unserer Lieben Frau von Fatima“209. Nun wäre also die Voraussetzung für das damit verbundene Versprechen „Mariens“ erfüllt gewesen; aber nichts erfüllte sich; weder hat sich Rußland bekehrt noch stellte sich der ersehnte Friede ein. Hätte Maria die ihr in den Mund gelegten Worte tatsächlich ausgesprochen, dann konnte man nicht anders urteilen, als daß sie sich geirrt hat.

In der „Dritten Erinnerung“ vom 31. August 1941 stellt Lucia fest, Maria habe bereits am 13. Juli 1917 verkündet, sie werde kommen, um die Weihe Rußlands an ihr Unbeflecktes Herz zu verlangen. Am 6. Februar 1946 fragte Jongen Lucia, wann Maria von der Weihe Rußlands an ihr Unbeflecktes Herz gesprochen habe. Lucia antwortete, dies sei im Jahre 1929 geschehen. Die Muttergottes habe verlangt, „daß der Heilige Vater im Verein mit den Bischöfen der Welt Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens weihe“. Lucia betonte ausdrücklich, Maria habe nicht die Weihe der Welt, sondern die Weihe Rußlands verlangt.210 Die Worte, die Maria im Jahre 1939 gesprochen haben soll, lauteten angeblich so: „Es ist der Zeitpunkt gekommen, in dem nach dem Wunsche des Herrn der Heilige Vater in Verbindung mit allen Bischöfen der Welt die Weihe Rußlands an mein Unbeflecktes Herz vornehmen sollte; dafür verspricht er, es durch dieses Mittel zu retten.“211 Lucia erklärt, sie habe ihrem Beichtvater „von allem Rechenschaft gegeben“; dieser habe ihr aufgetragen, „den Wunsch des Herrn aufzuschreiben“. Später dann habe sich der Herr „mittels einer inneren Erleuchtung“ beklagt, „daß man seinen Wunsch nicht habe beachten wollen“. Man werde zwar tun, was er verlange, aber „es werde spät sein“; Rußland werde seine Irrtümer in der Welt verbreiten; es werde Kriege hervorrufen, die Kirche verfolgen, der Heilige Vater werde viel zu leiden haben212.

Man vergleiche die Worte Mariens vom 13. Juli 1917 mit jenen vom Jahr 1929! Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Was Lucia aussagt, ist sehr widerspruchsvoll. Wenn sie behauptet, im Jahr 1917 bzw. 1929 habe Maria die Weihe Rußlands verlangt, warum gibt sie das „Geheimnis“ erst am 31. August 1941 preis? Zu diesem Zeitpunkt konnte ja der angedrohte Krieg gar nicht mehr verhindert werden.

Lucia versichert, sie habe im Jahr 1929 ihrem Beichtvater über die erhaltene Botschaft informiert; dieser habe ihr befohlen, sie solle alles aufschreiben. Dies hat sie aber wohl nicht getan; sonst wäre es ja sinnlos zu sagen, erst am 31. August 1941 habe sie ihr Geheimnis enthüllt. Nun behauptet aber Lucia, „später“, womit wohl die Zeit nach 1929 gemeint ist, habe sich der Herr „mittels einer inneren Erleuchtung“ beklagt, daß man seinen Wunsch nicht habe beachten wollen. Aber diese Argumentation ist doch unsinnig. Wie konnte sich Christus über die Nichterfüllung seines Wunsches beklagen, wenn die erleuchtete Lucia als einzig Eingeweihte den Wunsch nicht entsprechend bekanntgab?

Schwester Lucia erzählte dem Pater Jongen im Jahr 1946, Christus habe „später“ zu erkennen gegeben, Rußland werde dem Unbefleckten Herzen Mariens zwar geweiht werden, aber es „werde spät sein“. Die Schuld dafür müßte doch zum mindesten in der Hauptsache auf der Seite Lucias liegen, weil sie zu lange geschwiegen hat. Oder man müßte die Schuld jenen kirchlichen Behörden geben, die die Anweisung der Muttergottes bzw. Christi nicht befolgt haben. Damit stünde man wieder vor der Frage: Wer war schuld am Krieg?

Betrachten wir noch einmal, was Schwester Lucia am 6. Februar 1946 dem Pater Jongen berichtet hat! Sie versicherte ihm, im Jahre 1929 habe die Muttergottes verlangt,„daß der Heilige Vater im Verein mit den Bischöfen der Welt Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens weihe“. Sie gibt auch den Wortlaut an: „Es ist der Zeitpunkt gekommen, in dem nach dem Wunsche des Herrn der Heilige Vater in Vereinigung mit den Bischöfen der Welt die Weihe Rußlands an mein Unbeflecktes Herz vornehmen sollte; dafür verspricht er, es durch dieses Mittel zu retten“.213 Im Jahre 1930 aber kannte Lucia die ihr „mitgeteilten“ Worte offenbar noch nicht. Am 20. Mai 1930 schrieb sie an den Jesuitenpater Concalves: „Wenn ich mich nicht täusche, verspricht der gute Gott, die Verfolgung in Rußland zu beenden, wenn der Heilige Vater einen feierlichen und öffentlichen Akt der Sühne und der Weihe Rußlands an die heiligsten Herzen Jesu und Mariens durchzuführen sich herablassen und anordnen würde, daß in gleicher Weise die Bischöfe der katholischen Welt ihn machen sollten“.214 Also, im Jahr 1930 wußte Lucia, daß Rußland nicht bloß dem Herzen Mariens, sondern auch dem Herzen Jesu geweiht werden müsse; später ist nur mehr die Rede von der Weihe an das Herz Mariens. Im Jahr 1930 hielt Lucia es noch für möglich, daß sie sich mit der Wiedergabe der erhaltenen Botschaft täuschen könne; später weiß sie alles ganz genau; es wird der Eindruck erweckt, als ob mit dem Abstand der Zeit ihr Gedächtnis besser geworden sei.

Es ist auch interessant, daß Lucia im Jahre 1930 für den Fall der Weihe Rußlands das Versprechen Gottes angibt, die Verfolgungen in Rußland würden beendet werden. Davon, daß zur Strafe für das Unterlassen der Weihe Rußlands ein weiterer, schlimmerer Krieg folgen werde, ist keine Rede. Von der Gefahr eines drohenden Krieges spricht Lucia erst, als die Angst vor diesem allgemein verbreitet war.

Am 21. Januar 1935 schrieb sie an den Jesuitenpater Concalves: „Was Rußland betrifft, so scheint es mir, daß es unserem Herrn viel Freude bereiten wird, wenn man sich dafür einsetzte, daß der Heilige Vater Seinen Wunsch erfülle. Vor rund drei Jahren zeigte sich unser Herr ziemlich unzufrieden, daß sich diese Bitte nicht verwirklicht. In einem Brief an den Herrn Bischof ließ ich es ihn wissen. ... Bis heute hat mich unser Herr um nichts mehr gebeten, außer um Gebet und Opfer. Zuinnerst mit ihm sprechend scheint es mir, daß Er bereit ist, dem armen Rußland gegenüber Barmherzigkeit walten zu lassen, wie Er es vor fünf Jahren versprochen hat.“215 Von einen kommenden Krieg weiß also Lucia, die sich einbildet, Gott müsse ihr gegenüber als Bittsteller auftreten, auch 1935 noch nichts; nur von göttlicher Barmherzigkeit für Rußland ist die Rede.

Nicht anders ist es im Jahr 1937. In diesem Jahr schrieb der Bischof von Leiria an Papst Pius XI.; Lucia hatte ihn gebeten, dem Papst mitzuteilen, „daß nach himmlischer Offenbarung Gott verspricht, die Verfolgung in Rußland zu beendigen“, falls der Papst die „Weihe Rußlands an das heiligste Herz Jesu und Mariens“ vornehme216. Auch hier fällt auf, daß sowohl von der Weihe an das Herz Jesu wie auch an das Herz Mariens die Rede ist. Als Lohn für die Weihe hat Maria das Ende der Verfolgungen in Rußland versprochen, nicht aber etwas anderes, wie die Bewahrung vor einem künftigen Krieg und anderem Unheil.

Auch in den Briefen, die Lucia im Jahr 1940 abgefaßt hat, finden wir Dinge, die nicht mit dem übereinstimmen, was am 31. August 1941 als enthülltes Geheimnis ausgesagt wird. Am 18. August 1940 verteidigte Lucia selber den Papst, obwohl er immer noch nicht die Weihe Rußlands vollzogen hatte. Sie sagt, der Papst zweifle an der Echtheit der himmlischen Botschaft, und sie fügt hinzu: „Und er hat Grund dazu“217, oder: „Und er hat recht“218. Ja, Lucia stellt den Zweiten Weltkrieg und anderes Unheil geradezu als von Gott gewollt hin, wenn sie sagt: „Er bedient sich dieser Zeit, damit seine Gerechtigkeit die Welt wegen so vieler Verbrechen strafe und zu einer vollkommenen Rückkehr zu Ihm vorbereite“219. In diesem Zusammenhang bringt Lucia einen „Beweis“, daß die Weihe Rußlands von Segen sein werde; sie versichert: „Den Beweis, den Er uns gewährt, ist der besondere Schutz der Unbefleckten Herzens Mariens über Portugal wegen der an es vollzogenen Weihe.“220 Solche „Beweise“ sind jedoch allzu dürftig. Lucia hätte auch andere Länder anführen können, die nicht in den Krieg verwickelt worden sind. Interessanter wäre gewesen, wenn sie angegeben hätte, worin der „besondere Schutz“ bestand; daß Portugal nicht in den Krieg eingreifen werde, das wagte sie im Sommer 1940 nicht zu prophezeien.

Am 31. August 1941 schreibt Lucia die ersten zwei Teile des am 13. Juli 1917 erhaltenen „Geheimnisses“ nieder. Da teilt sie angeblich erstmals mit, daß Maria, um den künftigen Krieg zu verhindern, kommen und die Weihe der Welt an ihr Unbeflecktes Herz sowie die Sühnekommunion an dem ersten Samstag der einzelnen Monate fordern werde. In einem Brief vom 2. Dezember 1940 an Papst Pius XII. bittet Lucia „um die Weltweihe mit ausdrücklicher Erwähnung Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens und um die Ausdehnung des Festes dieses Herzens auf die ganze Welt“. Sie schreibt: „In verschiedenen inneren Mitteilungen ließ unser Herr nicht davon ab, auf dieser Bitte zu beharren, und er verspricht letztlich, falls Euere Heiligkeit sich herablassen, die Weltweihe an das Unbefleckte Herz Mariens mit besonderer Erwähnung Rußlands zu vollziehen und anzuordnen, daß in Vereinigung mit Euerer Heiligkeit und zur selben Zeit alle Bischöfe der Welt sie vollziehen sollten, daß Er die Tage der Trübsal abkürzen werde, in denen Er bestimmt hat, die Nationen wegen ihrer Verbrechen zu strafen durch Krieg, Hunger, durch verschiedene Verfolgungen der heiligen Kirche und Euerer Heiligkeit...“221 Den Worten Lucias entsprechend soll Maria als Folge der Weihe Rußlands an ihr Unbeflecktes Herz versprochen haben, „durch dieses Mittel die Verbreitung der Irrtümer des kommunistischen Rußland zu verhindern und die Bekehrung dieses Volkes“ zu bewirken222. Lucia fordert vom Papst, er solle das Fest des „Unbefleckten Herzens Marias als eines der größten Feste der Kirche auf die ganze Welt“ ausdehnen.223 In der Tat hat Papst Pius XII. Am 8. Dezember 1942 die „offizielle und feierliche Weihe des Menschengeschlechtes an das Unbefleckte Herz Mariens“ vollzogen224. Nun soll aber Christus bzw. Maria bereits am 13. Juli 1917 als Lohn dafür „neben anderen vielen Früchten“ die Verhinderung des künftigen Krieges, die Bekehrung Rußlands und die Beschleunigung des Friedens versprochen haben225. Hat sich aber nach der feierlichen Weihe Rußlands der angekündigte Erfolg wirklich eingestellt?

Mit der offiziellen, feierlichen Weihe des Menschengeschlechtes an das Unbefleckte Herz Mariens durch Papst Pius XII., so möchte man meinen, wäre alles erfüllt gewesen, was als Voraussetzung für den versprochenen Frieden und die Bekehrung Rußlands angegeben worden war. Aber der Krieg ging nicht bloß weiter; er wurde sogar immer verheerender. Was wußte Lucia hierzu zu sagen? Am 9. Juni 1943 schrieb sie an den Bischof Dom Manuel Ferreira da Silva: „Der gute Gott hat mir schon seine Freude gezeigt über den Akt (der Weihe) des Heiligen Vaters und verschiedener Bischöfe, obwohl er nicht voll seinem Willen entspricht.“ Lucia läßt also Gott sagen, er sei noch nicht ganz zufrieden, „weil Papst Pius XII. die Weihe nicht mit allen Bischöfen gleichzeitig vollzog“; trotzdem verspreche Gott zum Dank für die feierliche Weihe, „den Krieg bald aufhören zu lassen“.226 Was Lucia aussagt und sogar Christus in den Mund legt, ist ein Unding. Der Krieg hat noch zwei Jahre gedauert; das Ende war offensichtlich nicht einem übernatürlichen Eingreifen zuzuschreiben, sondern in Europa war der Krieg zu Ende nach der Niederwerfung und Besetzung Deutschlands und im Osten kam der Zusammenbruch Japans nach dem Abwurf zweier Atombomben.

Am 4. Mai 1944 hat Papst Pius XII. ein neues „Fest vom Unbefleckten Herzen Mariens“ eingesetzt, und zwar für die Gesamtkirche227. Schließlich veröffentlichte er am 7. Juli 1952 noch das Rundschreiben an alle Völker Rußlands „Sacro vergente anno“ und weihte die Völker Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens228. Damals waren doch schon längst alle angeblich am 13. Juli 1917 von Maria angegebenen Bedingungen erfüllt. Aber hat sich Rußland bekehrt, hat sich wirklich der Friede eingestellt, hat der Bolschewismus nicht erst recht seine Irrtümer über die Welt verbreitet?

Als im Jahr 1917 Maria in Fatima erschienen sein soll, war Lucia zehn Jahre alt. Daß sie damals noch nicht wußte, was der Begriff „Pontifikat von Papst Pius XI.“ bedeutet, ist glaubwürdig. Auch daß ihr damals noch unbekannt war, was unter „Rußland“ zu verstehen sei, dürfen wir ohne weiteres glauben; wie Lucia nämlich später C. Barthas versicherte, war sie im Jahre 1917 „völlig in Unkenntnis darüber, was dieses Rußland sein sollte“229. Was Lucia aussagt, ist aber in sich widersprüchlich, ja völlig unglaubwürdig. Unglaubwürdig ist, daß die Muttergottes in Prophezeiungen Kindern gegenüber Ausdrücke gebrauchte, die diese noch gar nicht verstehen konnten. Unglaubwürdig ist der ganze Inhalt dessen, was Maria in dem 1941 veröffentlichten „Geheimnis“ gesagt haben soll. Dies ist unglaubwürdig auch auf Grund der Tatsache, daß von den angeblichen Versprechen Mariens nichts eingetreten ist, und dies trotz der Erfüllung der verlangten Bedingungen.

In einem Geleitwort zu dem von Netter im Jahre 1966 veröffentlichten Buch über Fatima spricht der Regensburger Bischof Dr. Rudolf Graber vom Zusammenhang zwischen dem Ausbruch der bolschewistischen Revolution in Rußland und den Erscheinungen Mariens in Fatima: „Fatima ist die Antwort des Himmels an Moskau... Noch niemals in der nachchristlichen Geschichte hat der Himmel so deutlich und so vernehmbar in den Gang der Dinge eingegriffen wie in Fatima.“230 Aber wo sind die Kennzeichen dieses in Fatima erfüllten deutlichen Eingreifens des Himmels in den Gang der Dinge? Der Bischof erklärte weiter: „Der innere Zusammenhang von russischer Revolution und Marienerscheinungen wurde von der Gottesmutter selber ausgesprochen, als sie bei ihrer dritten Erscheinung am 13. Juli 1917 ausdrücklich Rußland erwähnte, von der Verbreitung seiner Irrtümer, von Kriegen und Kirchenverfolgungen sprach.“231 Mit solchen Worten wird kritiklos vorausgesetzt, daß alles wortwörtlich stimmt, was Lucia fast 25 Jahre angeblich geheimgehalten hat. Dazu noch eine Frage: Mit welchen Worten hat denn Maria von einem „inneren Zusammenhang von russischer Revolution und Marienerscheinungen“ gesprochen? Im Text befindet sich davon keine Spur. Außerdem bedeutete die russische Revolution in den Tagen zwischen dem 8. und 14. März 1917 noch keineswegs den Beginn des Bolschewismus. Die bolschewistische Revolution fand erst am 6. und 7. November 1917 statt, also fast vier Wochen nach der letzten Marienerscheinung in Fatima. Die vorausgehende Regierung mit Mehrheit der bürgerlichen Liberalen und Menschewiken war nicht religionsfeindlich eingestellt. Welchen Grund sollte die Muttergottes gehabt haben, zu einer Zeit von einer Bekehrung Rußlands zu sprechen, da noch alle Voraussetzungen fehlten? Dazu kommt: Lucia hat nach ihrer eigenen Versicherung im Jahr 1917 noch nicht die Begriffe „Papst“, „Pius XI.“ und „Rußland“ gekannt. Trotzdem will sie die lange, inhaltlich für ein Kind schwer faßbare und nicht leicht einprägsame Botschaft Mariens Wort für Wort über Jahrzehnte hinweg im Gedächtnis behalten haben?! Dabei kommen in der Botschaft Mariens auch andere Begriffe vor, die für Kinder ebenso schwer, ja noch schwerer zu verstehen sind als die genannten, zum Beispiel: „Unbefleckte Empfängnis Mariä“, „Pontifikat“, „Sühnekommunion am ersten Samstag des Monats“. Lucia versichert doch selber, daß sie damals im Jahr 1917 noch nicht einmal Tage und Monate gekannt habe.

Der Inhalt des „Zweiten Geheimnisses“ verrät eindeutig, wie in anderen Punkten, daß lediglich eine Erdichtung vorliegt. Da wird einmal gesagt, daß Gott die Andacht zum Unbefleckten Herzen Mariens eingeführt wissen wollte. Maria erklärt: „Wenn man das tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet und der Friede wird kommen; der Krieg geht seinem Ende entgegen.“ Aus dem Wortlaut muß man annehmen, daß der verheißene Friede eine Folge der Andacht zum Unbefleckten Herzen Mariens sein werde. Aber diese Andacht wurde während des Ersten Weltkrieges gar nicht eingeführt; ja, damals stand eine ensprechende Andacht überhaupt nicht zur Debatte.

Dann droht Maria mit einem weiteren, schlimmeren Krieg, falls die Menschen sich nicht bessern würden. Zugleich wird bereits ein bestimmter Termin für den Kriegsbeginn angegeben, nämlich das Erscheinen eines „unbekannten Lichtes“ unter dem Pontifikat Pius XI. Nun aber erklärt Maria, dieser Krieg und seine schlimmen Folgen würden verhütet, wenn Rußland ihrem Unbefleckten Herzen geweiht und die Sühnekommunion am ersten Samstag eines jeden Monats eingeführt würde. Außerdem wird die Bekehrung Rußlands in Aussicht gestellt. Ähnlich drückt sich Lucia in einem Brief vom 18. Mai 1936 aus: „Das Unbefleckte Herz wird Rußland retten; es ist ihm anvertraut“232. Weiterhin versichert Maria, falls die Weihe Rußlands und die Feier der ersten Samstage nicht vollzogen würden, kämen Kriege und Verfolgungen; sogar mehrere Nationen würden vernichtet werden. Gelten nun diese Worte vom Zweiten Weltkrieg oder was ist damit sonst gemeint? Das Wort „Mehrere Nationen werden vernichtet werden“ kann man auslegen, wie man gerade will. Man muß jedoch beachten, daß Lucia die „Prophezeiung“ im Jahr 1941 aufgezeichnet hat, also ein Jahr nachdem den Ländern Estland, Lettland und Litauen ihre Selbständigkeit geraubt worden war und zwei Jahre nach der Aufteilung Polens. Zu dieser Zeit war es kein Kunststück, prophetisch vom Untergang einiger Nationen zu sprechen.

Maria betont weiter, Rußland werde sich bekehren, falls ihre Bitten erfüllt würden. Einmal heißt es: „Wenn man meine Bitten erfüllt, wird Rußland sich bekehren“, das anderemal: „Der Heilige Vater wird mir Rußland, das sich bekehren wird, weihen, und der Welt wird einige Zeit des Friedens geschenkt werden.“ Die Verheißung hat sich offensichtlich, nachdem Papst Pius XII. die Weihe Rußlands vollzogen hatte, nicht erfüllt. Was hat überhaupt Maria bzw. Lucia gemeint, wenn von Frieden der „Welt“ gesprochen wird? Der ganze Inhalt des „Zweiten Geheimnisses“ ist in sich widerspruchsvoll. Er ist von einem Menschen ersonnen worden; er stammt nicht aus einer Mitteilung der Muttergottes.

6) Feier der „ersten Samstage“

Das Geheimnis vom 13. Juli 1917 enthält unter anderem folgendes Versprechen Mariens: Um den künftigen Krieg zu verhindern, wolle sie bitten, es solle Rußland ihrem Unbefleckten Herzen geweiht und die Sühnekommunion am ersten Samstag eines jeden Monats eingeführt werden. Auch darüber, wie für die anderen Geheimnisse, gebot Maria Stillschweigen. Wie bekannt, soll Lucia dieses Schweigen erstmals am 31. August 1941 gebrochen haben. Aber die Forderung der „Übung der ersten Samstage“ erscheint schon längst als kein Geheimnis mehr, wenn man betrachtet, was Lucia schon viele Jahre zuvor über dieses Thema ausgesagt hat.

So versichert sie, am 10. Dezember 1925 sei ihr in Pontevedra die Gottesmutter mit dem Jesuskind erschienen, „um sie zur Verehrung ihres Unbefleckten Herzens und zur Verbreitung der Übung der ersten Samstage aufzufordern“. Damals soll sowohl Jesus wie auch Maria Lucia angesprochen haben. Die Worte Jesu lauteten: „Habe Mitleid mit dem Herzen deiner heiligsten Mutter, das mit Dornen überzogen ist, womit die undankbaren Menschen es dauernd durchbohren, ohne daß es jemand gäbe, der einen Sühneakt machen würde, um sie herauszuziehen.“233

Die Worte, die Lucia Jesus in den Mund legt, geben jene törichte Auffassung wieder, daß auch die Seligen im Himmel noch leiden können und daß man mit ihnen Mitleid haben müsse. Zudem läßt sie Jesus einen Gedanken aussprechen, der grundfalsch ist. Zu behaupten, daß kein Mensch einen Sühnegedanken gekannt habe, ist einfachhin ein Unding.

An jenem 10. Dezember läßt Lucia auch Maria zu Wort kommen: „Meine Tochter“, sagt sie, „sieh mein Herz von Dornen umgeben, womit die undankbaren Menschen es jeden Augenblick durch ihre Gotteslästerungen und durch ihren Undank durchbohren! Suche wenigstens du mich zu trösten und sage, daß ich verspreche, in der Todesstunde mit den Gnaden, die zu ewigen Seligkeit notwendig sind, allen jenen beizustehen, die am ersten Samstag von fünf aufeinanderfolgenden Monaten beichten, die heilige Kommunion empfangen, einen Rosenkranz beten und mir während fünfzehn Minuten Gesellschaft durch Betrachtung der Rosenkranzgeheimnisse leisten, in der Absicht, mir dadurch Genugtuung zu geben.“234 In diesen Worten kommen wiederum volkstümliche Auffassungen zum Ausdruck, als ob Maria noch leiden könne. Lucia nimmt in den erwähnten Worten geradezu in Anspruch, die einzige Person auf der Erde zu sein, auf deren Hilfe Maria angewiesen war. Der Gedanke, daß der Muttergottes Genugtuung geleistet werden müßte, ist theologisch falsch; so etwas kann nicht aus dem Munde Mariens stammen.

Die Botschaft an Lucia unterscheidet sich nur ganz wenig von jenen Worten, die Jesus zu Margareta Maria Alacoque gesprochen haben soll, als er die Einführung der Herz-Jesu-Andacht verlangte. Jesu Worte lauteten damals so: „Ich verspreche dir im Übermaß der Barmherzigkeit meines Herzens, daß seine allmächtige Liebe allen denen, die in neun aufeinanderfolgenden Monaten je am ersten Freitag des Monats kommunizieren, an ihrem Lebensende die Gnade der Bußgesinnung verleihen wird. Sie werden nicht im Stande der Ungnade und nicht ohne Empfang der heiligen Sakramente sterben. Mein göttliches Herz wird ihre sichere Zufluchtstätte im letzten Augenblick sein.“235 Im Vertrauen auf die „Offenbarungen“ der Margareta Maria Alacoque hat die Herz-Jesu-Verehrung einen großen Aufschwung genommen. Eine Verehrung des Herzens Jesu als Sinnbild der göttlichen Liebe hat es schon lange vor Alacoque gegeben. Nicht die Frömmigkeitsübung an sich, sondern die Tatsache, daß das Herz-Jesu-Fest und die Herz-Jesu-Freitage eingeführt wurden, weil man die Halluzinationen Alacoques für göttliche Mitteilungen hielt, hat Anstoß erregt. Man braucht ja bloß einmal die erwähnte, Jesus in den Mund gelegte „Verheißung“ zu durchdenken, dann sieht man, daß der Text lediglich durch Margareta Maria Alacoque ersonnen worden ist. Wer könnte sie zählen, die trotz der regelmäßigen Mitfeier der Herz-Jesu-Freitage ohne Empfang der Sakramente gestorben sind! Denken wir bloß an Kriegszeiten und denken wir an die Opfer der Gewalt! Würde die angebliche Verheißung zutreffen, dann könnte sich ein Katholik damit begnügen, etwa nach dem Empfang der Erstkommunion neunmal am ersten Freitag der einzelnen Monate zu kommunizieren; er könnte dann sein Leben lang als Heide verbringen, ohne Gefahr zu laufen, „im Stande der Ungnade“ zu sterben.

Die Worte, die Lucia Maria in den Mund legt, klingen verräterisch ähnlich denen von Jesus an Alacoque. Als man Lucia eines Tages auf die Ähnlichkeit der „überirdischen“ Ansprachen aufmerksam machte, antwortete sie: „Ich kann doch nicht der Mutter Gottes vorschreiben, wie sie sich ausdrücken muß.“236 Mit dieser Antwort hat sie freilich nicht den wohlbegründeten Verdacht aus dem Weg geräumt, daß sie aus einem Buch über Alacoque abgeschrieben hat.

Auf die Feier der ersten Samstage sowie auf die Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens kommt Lucia wiederholt zu sprechen, schon lange, bevor sie denselben Inhalt am 31. August 1941 als angeblich bislang verschwiegenes Geheimnis preisgegeben hat. Am 15. Dezember 1926 erscheint ihr in Tuy das „Jesuskind“, dem die Seherin „einige Schwierigkeiten bezüglich des ersten Samstags vorlegt“. Der „Heiland“ löst ihre Zweifel. Der eine bezog sich auf die Zeit, wann der Empfang des Bußsakramentes erfolgen solle. Jesus erklärte: „Ja, die Beichte kann noch viele Tage mehr als acht vorher abgelegt werden vorausgesetzt, daß man ... dabei die Absicht hat, dem Unbefleckten Herzen Mariens Sühne zu leisten.“ Lucia fragte weiter: „Und wenn jemand vergißt, diese Meinung zu erwecken?“ Die Antwort Jesu lautete: „Dann kann man sie bei der nächstfolgenden Beichte machen, indem man die erste Gelegenheit benutzt, die man zum Beichten hat.“237 Kann ein vernünftiger Mensch glauben, daß die Fragen Lucias so bedeutungsvoll waren, daß sie eine unmittelbare Auskunft durch Christus erforderlich machten?

Am 24. Juli 1927 äußerte sich Lucia in einem Brief an ihre Mutter im Zusammenhang mit der Frage der „Übung der ersten Samstage“238. Fünf Monate später, am 17. Dezember 1927, erbat sie von Jesus Klarheit darüber, „was sie von der Botschaft Mariens aufschreiben solle“. Jesus sprach zu ihr: „Meine Tochter, schreibe auf, um was man dich bittet; und alles, was dir die heiligste Jungfrau in der Erscheinung offenbarte, in der sie zu dir über diese Andacht „der ersten Samstage sprach, schreib ebenfalls auf; was den Rest des Geheimnisses angeht, bewahre weiterhin Schweigen!“239 Im Oktober 1928 machte Formigâo den Versuch, „in den Klöstern von Porto die Übung der fünf ersten Samstage zu verbreiten“240. Im Juni 1929 erhielt Lucia in Tuy „eine Vision der Heiligsten Dreifaltigkeit und Unserer Lieben Frau von Fatima bezüglich der Weihe Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens“. Anschließend sprach Maria: „Es ist der Zeitpunkt gekommen, in dem Gott den Heiligen Vater bittet, in Vereinigung mit allen Bischöfen der Welt die Weihe Rußlands an mein Unbeflecktes Herz zu vollziehen, indem er verspricht, es durch dieses Mittel zu retten. Es sind so viele Seelen, die die Gerechtigkeit Gottes wegen der Sünden verdammt, die gegen Mich begangen werden, so daß ich um sie zu bitten komme.“241 An dieser Ansprache Mariens ist wieder bemerkenswert, daß sie von „Sünden gegen mich“ spricht!

Am 12. Juni 1930 gestattet „Jesus“, die Übung der fünf ersten Samstage jeweils auf den Sonntag zu verschieben242; am 13. Mai 1931 erfolgt „die Weihe Portugals an das Unbefleckte Herz Mariens durch die Prälaten dieses Landes„243; am 28. Oktober 1934 spricht Lucia über die Weihe Rußlands in einem Brief: „über die Weihe Rußlands habe ich vergessen, jetzt darüber mit dem Herrn Bischof zu sprechen, was mir unglaublich erscheint.“244 Im folgenden Jahr, am 21. Januar 1935, schreibt Lucia über Rußland dem Jesuitenpater Concalves: „Was Rußland betrifft, so scheint es mir, daß es unserem Herrn viel Freude bereiten würde, wenn man sich dafür einsetzte, daß der Heilige Vater seinen Wunsch erfülle“; vor ungefähr drei Jahren habe sich Christus „sehr unzufrieden gezeigt, daß sich diese Bitte nicht verwirklicht“245. Am 19. März 1939 schrieb Lucia an P. Aparicio S.J., der zeitweise Lucias Beichtvater war: „Von der Übung dieser Andacht (der ersten Samstage), vereint mit der Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens, hängt Krieg oder Frieden in der Welt ab“246. Aber dieselbe Lucia sagt auch, wie bereits erwähnt, wesentlich später aus, der Krieg habe bereits mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Osterreich begonnen!

Im März oder Mai 1939 spricht Jesus zu Lucia: „Bitte, dränge aufs neue, daß die Sühnekommunion zu Ehren des Unbefleckten Herzens Mariens an den ersten Samstagen bekannt werde! Der Augenblick nähert sich, in dem die Strenge meiner Gerechtigkeit im Begriffe ist, die Vergehen der verschiedenen Nationen zu strafen. Einige werden ausgerottet. Zuletzt wird die Härte meiner Gerechtigkeit schärfer auf jene fallen, die mein Reich in den Seelen zerstörten.“247

Im September 1939 führte der Bischof von Leiria „in amtlicher Weise die Andacht der fünf Samstage“ ein248. Am 21. Februar 1940 beklagt sich Lucia, daß man die Weihe Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens immer noch nicht vollzogen habe. Sie sagt: „Auch unser Herr beklagt sich darüber. Wegen dieses Aktes hätte er seine Gerechtigkeit besänftigt und die Welt vor dieser Kriegsgeißel verschont.“249 Am 13. Juli 1917 soll also Maria ein Zweifaches verlangt haben: 1) Die Übung der ersten Samstage, und 2) die „gelebte Weihe an ihr Unbeflecktes Herz“. Die Botschaft mit diesem Inhalt soll Lucia bis zum 31 August 1941 als Geheimnis gehütet haben. Aber was ist das für ein Geheimnis, wenn sie seit Jahrzehnten andauernd darüber spricht?! Und warum haben die drei Kinder hinsichtlich dieser Andacht bei den Befragungen im Jahr 1917 geschwiegen? Aus den Niederschriften Lucias ergibt sich, daß Maria bei den einzelnen Erscheinungen oftmals zu den Kindern von ihrem Unbefleckten Herzen gesprochen und daß sie eine entsprechende Verehrung gewünscht hat. Warum sollen aber die Kinder gerade darüber geschwiegen haben, worauf die Muttergottes immer wieder hingewiesen hat? Damit erscheint die ganze Sache als vollkommen sinnlos. Überdies bringt Lucia mit ihrem als Geheimnis bezeichneten Anliegen durchaus nichts Neues; eine Andacht zum Unbefleckten Herzen Mariens war schon seit mehr als hundert Jahren vorher bekannt. Zu wiederholten Malen war längst zuvor auf Marianischen Kongressen eine Weltweihe an das Unbefleckte Herz Mariens durch den Papst erbeten worden.

7) Verheißungen Mariens

Was hat es schließlich mit den Verheißungen, welche die Gottesmutter mit der Erfüllung ihrer verschiedenen Forderungen verknüpft hat, für eine Bewandtnis? Folgende Verheißungen kennen wir:

  1. Bekehrung der Sünder, ihre Rettung vor der Hölle;

  2. die Bekehrungs Rußlands;

  3. die Erlangung des Weltfriedens;

  4. die Gnade einer guten Sterbestunde;

  5. die beschleunigte Erfüllung der Verheißung: „Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren.“250

Insoweit sich die Versprechen auf geschichtlich nachweisbare Daten beziehen, muß man feststellen: Nichts davon hat sich verwirklicht.

Erinnern wir uns noch einmal im Zusammenhang an die zwei Teile des Geheimnisses, die Maria am 13. Juli 1917 geoffenbart haben soll und worüber Lucia bis 1941 geschwiegen haben will:

„Ihr habt die Hölle gesehen, auf welche die armen Sünder zugehen. Um sie zu retten, will der Herr die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen in der Welt einführen. Wenn man das tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet und der Friede wird kommen. Der Krieg geht seinem Ende entgegen; aber wenn man nicht aufhört, den Herrn zu beleidigen, wird nicht lange Zeit vergehen, bis ein neuer, noch schlimmerer beginnt; es wird das während des Pontifikates Pius XI. geschehen. Wenn ihr dann eines Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet, so wisset, es ist das Zeichen von Gott, daß die Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen nahe ist: Krieg, Hungersnot und Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters. Um das zu verhindern, will ich bitten, Rußland meinem Unbefleckten Herzen zu weihen und die Sühnekommunion am ersten Samstag des Monats einzuführen. Wenn man meine Bitten erfüllt, wird Rußland sich bekehren. Wenn nicht, wird es (Rußland) seine Irrtümer in der Welt verbreiten, Kriege und Verfolgungen der Kirche hervorrufen; die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben; mehrere Nationen werden vernichtet werden Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren; der Heilige Vater wird mir Rußland, das sich bekehren wird, weihen und der Welt wird einige Zeit des Friedens geschenkt werden. Portugal wird der wahre Glaube immer erhalten bleiben. Dies dürft ihr niemand sagen; nur Francisco dürft ihr es sagen.“251

Sehen wir einmal von dem fragwürdigen Inhalt des Textes ab und nehmen wir an, Maria hätte am 13. Juli 1917 tatsächlich die überlieferten Worte gesprochen. Wer kann glauben, daß sich der ganze Wortlaut so getreu dem Gedächtnis eines zehnjährigen Mädchens eingeprägt hat, so daß er ihr noch nach 24 Jahren Wort für Wort zur Verfügung stand?

Schwester Lucia läßt Maria mit Krieg, Hungersnot und Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters drohen. Sie fügt aber unmittelbar an die Drohung die Worte: „Um das zu verhindern, will ich bitten, Rußland meinem Unbefleckten Herzen zu weihen und die Sühnekommunion am ersten Samstag des Monats einzuführen.“ Unsere Schlußfolgerung muß in Anbetracht der geschichtlichen Ereignisse lauten: Das Versprechen hat sich nicht erfüllt. Dieser Überzeugung sind offenbar auch die Autoren, die sich mit dem Thema Fatima befassen. Gäbe es nur eine Spur eines entsprechenden „Beweises“, sie wäre ohne Zweifel verfolgt worden. Aber nicht einmal ein so armseliges Argument kann man finden, wie es in einer Lebensbeschreibung der seligen Margareta Maria Alacoque geboten wird, die von dem Kloster der Heimsuchung in Paray-le-Monial, in dem sie gelebt hat, fünf Jahre nach dem Ersten Weltkrieg herausgegeben wurde: „Der religiös fromme Teil der Bewohner Frankreichs ist von der Oberzeugung durchdrungen, daß sie den Sieg (1918) dem heiligsten Herzen Jesu zu verdanken haben, daß es ihre Soldaten so viel Tapferkeit verlieh und ihnen im Verein mit den verbündeten Heeren zu so großen Erfolgen verhalf.“252 Auf solche Art beweist Aftermystik; gegen sie ist man völlig machtlos.

Der Wortlaut des „Großen Geheimnisses“, mit dem wir uns eingehend beschäftigt haben, befindet sich in der dritten Niederschrift, die Lucia am 31. August 1941 abgeschlossen hat. Sie bringt den Text noch einmal im zweiten Heft ihrer am 8. Dezember 1941 vollendeten „Vierten Erinnerung“; hier fügt sie aber noch einen Satz hinzu, den sie vorher nicht erwähnt hat. Demnach lautet der Schluß vom zweiten Teil des „Großen Geheimnisses“, das Maria am 13. Juli 1917 verkündet haben soll, so: „Portugal wird der wahre Glaube immer erhalten bleiben.“ So liest man in dem von Fonseca veröffentlichten Fatima-Buch253. Kondor übersetzt den portugiesisch geschriebenen Satz anders: „In Portugal wird sich das Dogma des Glaubens erhalten.“254 Diese Worte beinhalten so etwas wie eine Prophezeiung, eine Prophezeiung allerdings, mit der man nichts und alles beweisen kann. Ober das Schicksal Portugals besitzen wir aber noch eine andere Prophezeiung; diese wurde angeblich durch das andere Seherkind, Jacinta, kurz vor ihrem Tode, der am 20. Februar 1920 eintrat, dem Kanonikus Formigâo mitgeteilt; es soll sich um eine Botschaft des Mädchens an den Bischof von Leiria gehandelt haben. Der Inhalt der Botschaft lautet: „Der Heiland ist tief entrüstet über die Sünden und Missetaten, die in Portugal begangen werden. Darum droht ein sehr schreckliches Unglück sozialer Art unserem Lande und vor allem der Stadt Lissabon. Wie es scheint, wird ein Bürgerkrieg anarchistischen und kommunistischen Charakters ausbrechen, begleitet von Plünderungen, Mord, Brand und Verwüstungen aller Art. Die Hauptstadt wird ein wirkliches Bild der Hölle sein. Wenn die göttliche Gerechtigkeit, die beleidigt ist, eine so erschreckende Strafe senden wird, dann mögen alle, die nur können, aus dieser Stadt fliehen. Diese Strafe, die nun angekündigt wird, muß allmählich und mit der notwendigen Umsicht bekanntgegeben werden.“255

Dem Bericht gemäß wurde die Drohbotschaft bloß dem einen Seherkind Jacinta übermittelt, und zwar unabhängig von den Marienerscheinungen des Jahres 1917. Es ist bemerkenswert, daß im Gegensatz zum 13. Juli 1917, wo Portugal im Vergleich zu anderen Ländern ausgezeichnet wird, diesmal ausgerechnet dem Heimatland der Seherkinder Unheil angedroht wird. Der Inhalt der überlieferten Botschaft läßt klar ersehen, daß er weder vom Himmel noch von dem Mädchen Jacinta stammt; außerdem widerspricht alles dem wirklichen Ablauf der Ereignisse. Bereits im Jahre 1910 war der portugiesische König Manuel III. vertrieben und die Republik ausgerufen worden. Die politischen Unruhen nahmen im Jahr 1926 ein Ende. Was sich bis dahin in Portugal ereignet hat, hält keinen Vergleich mit den Schrecken des späteren Spanischen Bürgerkrieges aus.

8) Begründung für Lucias Schweigen bis 1941

Wir stellen uns noch einmal die Frage: Warum hat Lucia den Wortlaut des angeblich am 13. Juli 1917 erhaltenen „Großen Geheimnisses“ fast 25 Jahre lang verheimlicht? Zunächst einmal behauptet sie, Maria habe ihr die Preisgabe des Geheimnisses, das sie und Jacinta erhalten hatten, ausdrücklich verboten. Sie habe erklärt: „Dieses dürft ihr niemandem sagen; nur Francisco dürft ihr es sagen!„256 Wie Lucia versichert, konnte nur sie und die siebenjährige Jacinta die Worte Mariens hören, nicht aber der neunjährige Francisco. Dem Gebot entsprechend bewahrten die drei Seherkinder Stillschweigen. Lucia erwähnte auch am 8. Juli 1924 nichts von jenem Geheimnis, als sie unter Eid vernommen wurde. Ende 1941 kommt sie selber auf dieses Verhör zu sprechen: „Ich spürte bei den Verhören eine innere Stimme, die mir die Antworten eingab, welche, ohne dabei gegen die Wahrheit zu verstoßen, nicht das offenbarten, was ich damals verschweigen mußte. In dieser Hinsicht bleibt mir nur ein Zweifel: Ob ich nicht bei dem kanonischen Verhör hätte alles sagen müssen. Aber ich fühlte keine Skrupel, daß ich geschwiegen habe, weil ich zu dieser Zeit die Wichtigkeit des Verhörs nicht begriff. ... Ich fand es merkwürdig, einen Eid ablegen zu müssen. Da es aber mein Beichtvater war, der mir den Eid auf die Wahrheit abverlangte, leistete ich ihn ohne Schwierigkeiten. Ich ahnte damals nicht, was der Teufel daraus machen wollte, um mich mit endlosen Skrupeln zu quälen.“257

Am 6. Februar 1946 fragte Jongen Lucia: „Wann gab Ihnen der Himmel die Erlaubnis zur Offenbarung des Geheimnisses?“ Lucia gab zur Antwort, das sei im Jahr 1927 in der Kapelle zu Tuy geschehen. Sie betont jedoch: „Aber diese Erlaubnis erstreckte sich nicht auf den dritten Teil des Geheimnisses.“ Weiterhin fragte P. Jongen, ob Lucia mit ihrem Seelenführer gesprochen habe. Sie erklärte: „Ja, sofort.“ Der Seelenführer habe ihr die Aufzeichnung des Geheimnisses mit Ausnahme des dritten Teiles befohlen. Aber kurze Zeit darauf habe sie einen anderen Seelenführer erhalten; dieser habe von ihr verlangt, sie müsse das Aufgeschriebene verbrennen. Später aber habe er gefordert, daß sie eine neue Aufzeichnung vornehmen solle, was aber offenbar nicht geschah. P. Jongen bedauerte, daß das Geheimnis nicht vor dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurde. Auf diesen Einwand entgegnete Lucia: „Ja, hätte der liebe Gott mich aller Welt als Prophetin vorstellen wollen, dann wäre das wirklich bedauerlich gewesen. Aber das war anscheinend nicht seine Absicht, sonst hätte er mir sicherlich 1917 den Befehl gegeben, zu reden, während er mir doch Stillschweigen befohlen hat. Und seine Stellvertreter haben diesen Befehl bestätigt.“258 Nochmals: Angeblich hat Lucia vor dem Zweiten Weltkrieg ihre „Geheimnisse“ nicht ausgeplaudert; aber was sie nachher ausgesagt hat, ist nur eine Zusammenfassung dessen, was sie schon längst, und zwar wiederholt erzählt hat.

Der Inhalt des ersten und zweiten Teiles des „Geheimnisses“ enthält gar nichts, was ein Stillschweigen hätte rechtfertigen können. Der längere Text des zweiten Teiles beinhaltet im Vergleich zu dem, was Lucia bereits vor 1941 gesagt hat, fast überhaupt nichts Neues. Neu sind im Text nur zwei kurze Bemerkungen, nämlich daß der neue, schlimmere Krieg unter dem „Pontifikat von Papst Pius XI.“ ausbrechen und daß ihm ein „unbekanntes Licht“ vorausgehen werde. Noch einmal sei ausdrücklich betont: Es ist ein Unding zu behaupten, Maria habe im Jahr 1917 eine die ganze Welt betreffende Botschaft verkündet, eine Botschaft, die großes Unheil androht, falls die Menschen nicht bereit wären, Buße zu tun, aber sie habe zugleich verlangt, alles müsse geheimgehalten werden, bis es in Erfüllung gegangen sei. Eine Prophezeiung solcher Art ist völlig wert- und sinnlos.

c) Der 3. Teil

Im August 1941 hat Lucia die ersten beiden Teile des „Großen Geheimnisses“ aufgezeichnet. Bis zur Gegenwart wissen wir nicht, was der bislang noch ängstlich vorenthaltene „dritte Teil“ zum Inhalt hat. Dieser dritte Teil wurde von Lucia Ende 1943 aufgezeichnet und befindet sich im Vatikanischen Geheimarchiv; dies erwähnt beispielsweise Kondor in seinem 1975 herausgegebenen Buch über Fatima259. Barthas weiß im Jahr 1963 noch nichts vom Aufbewahrungsort in Rom; er gibt an: „Der Wortlaut des Gesprächs Unserer Lieben Frau wurde von Schwester Lucia aufgeschrieben und in einem versiegelten Umschlag in dem Schreibtisch des Erzbischofs von Leiria niedergelegt. Am bezeichneten Tag wird er von Msgr. Jose da Silva oder vom Patriarchen von Lissabon eröffnet werden.“260 Es ist nicht einmal bekannt geworden, wieviele Personen den Inhalt des Schriftstückes kennen. Netter schreibt im Jahr 1966, der dritte Teil des Geheimnisses sei „wahrscheinlich“ dem Papste Johannes XXIII. bekannt gewesen261.

Im Jahre 1946 stellte Barthas dem Bischof von Leiria und Schwester Lucia die Frage: „Wann wird uns der dritte Teil des Geheimnisses entschleiert?“ Beide antworteten „übereinstimmend“: „Im Jahr 1960.“ Barthas wollte weiter wissen, „warum man so lange warten müsse“. Der Bischof und Lucia antworteten gleichlautend: „Weil die heilige Jungfrau es so will.“262

Im Jahr 1955 befragte Kardinal Alfredo Ottaviani Schwester Lucia, warum die Botschaft vor 1960 nicht bekanntgemacht werde. Lucia gab zur Antwort: „Weil sie dann klarer erscheinen wird“.263 Diese Auskunft weicht offensichtlich von der anderen ab, die Lucia 1946 gegeben hat.

Am 11. Februar 1967 äußerte sich Kardinal Ottaviani über den dritten Teil des Geheimnisses. Er betonte, der dritte Teil des Geheimnisses vom 13. Juli 1917 sei für den Papst bestimmt. Ottaviani argumentierte so: „Wenn es aber ein Geheimnis ist, wie kann man seine Offenbarung beanspruchen — zumindest bis einmal der Papst, der Statthalter Christi auf Erden also, den Augenblick für gekommen hält, es zu enthüllen!“ Kardinal Ottaviani gab auch bekannt, daß Papst Johannes XXIII. diesen dritten Teil gelesen und dann den Brief wieder versiegelt habe264.

Dem Willen der Muttergottes entsprechend sollte der dritte Teil des Geheimnisses im Jahr 1960 „entschleiert“ werden. Seitdem sind neunzehn Jahre vergangen; der Schleier bleibt. W. Pietrek schildert den Weg des Schriftstückes mit dem dritten Geheimnis folgendermaßen: „Der Bischof von Fatima/Leiria hat 1955 die unveröffentlichte Niederschrift von Schwester Lucia über den portugiesischen Nuntius an Kardinal Ottaviani, dem damaligen Sekretär des Heiligen Offiziums, weitergeleitet... . 1960 las Papst Johannes XXIII den portugiesisch geschriebenen Brief der Seherin von Fatima und äußerte, daß er alles verstanden habe. Auch Kardinal Ottaviani durfte dann die dritte Botschaft lesen. Er deutete später an, daß dieses Schreiben in der Art einer Prophetie abgefaßt ist, also in Worten, die einer Auslegung bedürfen.“265 Warum wird das „dritte Geheimnis“ nicht bekanntgemacht? Auf diese Frage gibt es nur eine zutreffende Antwort: Weil der Inhalt des Schriftstückes ohne jeden Wert ist. Im Jahr 1960 durfte angeblich nach dem Willen der Muttergottes das Geheimnis „entschleiert“ werden, „weil die heilige Jungfrau es so wollte“ Wenn man den Inhalt der bereits bekanntgegebenen Geheimnisse betrachtet, dann wird vollauf verständlich, warum der dritte Teil mit dem Mantel des Stillschweigens zugedeckt wird.

Aber vielleicht vermögen wir trotz allem etwas über den Inhalt des dritten Geheimnisses auszusagen. Am 26. Dezember 1957 hatte Dr. Augustin Fuentes, Priester der mexikanischen Erzdiözese Veracruz und „Römischer Postulator im Seligsprechungsprozeß der Seherkinder von Fatima, Francisco und Jacinta Marto“, in Coimbra eine Unterredung mit Schwester Lucia. Im Frühjahr 1959 veröffentlichte er einen Artikel, in dem er behauptete, er habe „eine äußerst interessante Botschaft“ zu vermitteln. Er versicherte, Lucia habe zu ihm gesagt: „Glauben Sie, Father, Gott wird die Welt strafen, und zwar auf schreckliche Art und Weise. Das Strafgericht Gottes steht bevor. Father das Jahr 1960 ist nicht mehr fern, und was dann geschehen wird, wird sehr traurig sein für alle und durchaus nicht freudig, wen die Welt bis dahin nicht betet und Buße tut. Ich kann nicht auf weitere Einzelheiten eingehen, da es noch ein Geheimnis ist, ein Geheimnis, das nach dem Willen der Seligsten Jungfrau nur dem Heiligen Vater und dem Bischof von Fatima bekanntgegeben werden darf, und beide wollen es nicht kennenlernen, um nicht davon beeinflußt zu werden. Es ist der dritte Teil der Botschaft Unserer Lieben Frau, das ein Geheimnis bleiben soll bis zum Jahre 1960. Sagen Sie ihnen, Father, daß die Seligste Jungfrau meinem Vetter Francisco und meiner Cousine wie auch mir sehr oft gesagt hat, viele Nationen würden vom Antlitz der Erde verschwinden und Rußland würde das Werkzeug der Strafe des Himmels für alle werden, wenn wir vorher nicht die Bekehrung dieser unglücklichen Nation herbeiführen würden.“266 Was Fuentes veröffentlichte, erregte begreiflicherweise große Aufregung; Lucia selber kam in peinliche Verlegenheit und ließ erklären, daß der Bericht unwahr sei. Daraufhin wiederholte und bekräftigte Fuentes am 9. Juli 1959 seine Aussagen. Er versicherte, bei jener am 26. Dezember 1957 stattgefundenen Unterredung mit Lucia habe er das Gespräch lediglich auf das Leben und die Heiligkeit ihrer verstorbenen Verwandten gebracht. Lucia sei, ohne daß er ihr „die geringste Veranlassung“ gegeben habe, von sich aus auf den dritten Teil des Geheimnisses von Fatima zu sprechen gekommen267. Aussage steht also gegen Aussage. Wer hat gelogen?


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Letzte Änderung: 28. September 2005