GISELHER WIRSING

Der maßlose Kontinent

Roosevelts Kampf um die Weltherrschaft

TEIL VI

291] Amerika versinkt im Rüstungswirrwarr

Als der Krieg ein halbes Jahr alt war, lag auf dem Schreibtisch des Präsidenten mitten zwischen Andenkenbildern und Skizzen von Schiffsmodellen noch immer die kleine braune Broschüre mit dem Aufdruck "Industrial Mobilization Plan", in der beschrieben stand, wie man im Kriege Diktator werden kann. Damals, als Roosevelt mit dem erstarrten amerikanischen Mythos zusammengestoßen und von ihm bezwungen worden war, war alles so einfach erschienen. Man mußte, so glaubte man, nur auf das Ziel hinarbeiten, durch Verwicklungen nach außen im Innern den Notstand erklären zu können. Dann würden plötzlich die in der kleinen braunen Broschüre vorgesehenen Gesetze dem Präsidenten die Macht geben, um das New Deal dennoch durchzusetzen. Aber nun sah alles wesentlich anders aus. Die Verwicklungen nach außen, die man so sehnlich herbeigewünscht und Schritt für Schritt selbst herbeigeführt hatte, sie waren nun da. Der "Industrial Mobilization Plan" aber blieb ein totes Stück Papier. Er war kein Zaubermittel, wie Roosevelt durch all die Jahre seit seiner innerpolitischen Niederlage im Sommer 1937 geglaubt hatte. Der Präsident hatte neidisch und mit scheelen Augen gesehen, wie in Deutschland, als es notwendig wurde, die gesamte

 

292]Zwischen New Deal und Big Business

Wirtschaft und das gesamte Volk auf ein einziges Ziel ausgerichtet waren. Ließ sich dies mm nicht in den Vereinigten Staaten unversehens damit erreichen, daß man das wirtschaftliche Mobilisierungsgesetz in Gang setzte?

Längst war nun das ursprüngliche Ziel, das New Deal, in den Hintergrund getreten. Das Bündnis, das Roosevelt von 1938 ab mit der Hochfinanz allmählich einging, hatte die inneren Frontstellungen von Grund auf verändert. Nun, da der Kongreß gezwungen worden war, ungeheure Summen für die Aufrüstung zu bewilligen, mußte der vom Präsidenten selbst herbeigeführten inneren Machtlage auch Rechnung getragen werden. Die Kriegsagitation war nur durch die Hilfe von Wal! Street erfolgreich gewesen. Konnte man die Hochfinanz nun etwa plötzlich wieder ausschalten und auf der Grundlage des Industriellen Mobilisierungsplanes systematisch vom Staat aus dea gewaltigen Versuch einer amerikanischen Planwirtschaft in die Wege leiten? Dies alles waren natürlich Illusionen gewesen, mit denen man sich nicht mehr aufhalten konnte. Der Präsident und die Hochfinanz hatten sich unter der Parole des Krieges gefunden. Nun aber verlangte Big Business seinen Anteil. Es forderte, daß es die Organisation der Kriegswirtschaft auch selbst in die Hand nehmen und von Anfang an seine Gewinne aus ihr ziehen könne. Dies aber konnte nur bedeuten, daß die amerikanische Aufrüstung alsbald in ein Chaos von sich widerstreitenden Plänen, Interessen, Organisationen und einander bis aufs Messer bekämpfenden Behördenapparaten versinken mußte.

Es war außerordentlich einfach, im Mai 1940 vor den Kongreß zu treten und zu verlangen, daß binnen eines Jahres 50 000 Flugzeuge hergestellt werden sollten. Sie aber wirklich zu produzieren, die Bedürfnisse der amerikanischen Armee und Flotte mit der Hilfe an England, China usw. abzustimmen, die staatlichen Notwendigkeiten mit den Wünschen der Privatindustrie und der Hochfinanz in Einklang zu bringen, dies alles waren Aufgaben, auf die die innere Struktur der Vereinigten Staaten in keiner Weise eingerichtet war. So kam es, daß sich schon nach einiger Zeit herausstellte, daß sich trotz des Reichtums des Landes der in Washington

 

293] Wehrmacht der USA.

erhobene Weltmachtanspruch durchaus nicht im Einklang mit den vorhandenen Möglichkeiten der Organisation befand.

Abermals klafften Theorie und Wirklichkeit scharf auseinander. Das Fiasko des New Deal sollte sich in einer anderen Form und auf einer anderen Ebene schnell im Fiasko der Rüstungsorganisation wiederholen.

Vor der Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht, im Sommer 1940, bestand das Heer der Vereinigten Staaten aus 491 000 Mann, von denen über die Hälfte, nämlich 251 000 Mann, zur Nationalgarde gehörte, die militärisch nur teilweise ausgebildet war. Diese Armee war vollkommen ungenügend ausgerüstet. Sie verfügte z. B. am l. August 1940 über 18 mittlere und über 67 leichte Tanks. Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, durch die aber keineswegs alle wehrfähigen Männer zwischen 21 und 25 Jahren erfaßt wurden, weil hierfür weder die Ausrüstung noch die Unterkunftsmöglichkeiten vorhanden waren, war die Armee im Januar 1941 auf etwa 643 500 Offiziere und Mannschaften angewachsen. Der Generalstab stellt für den l. Juli 1941 ein Soll von l 418000 Offizieren und Mann auf, das knapp erreicht worden ist. (Bis zum Sommer 1942 soll es auf 1,8 Millionen Mann angewachsen sein.) Hierunter befanden sich 300 000 Mann Nationalgarde, die nur bedingt als vollwertig eingesetzt werden konnten. Die Armee bestand 1940 aus 5 regulären Infanteriedivisionen und einer Kavalleriedivision; die Nationalgarde aus 18 Infanterie- und 4 Kavalleriedivisionen. Im Sommer 1941 wurden 27 Infanterie-, 2 ½ Kavallerie- und 4 motorisierte Divisionen aufgestellt, zu denen 5 dem Hauptquartier unterstehende Panzerbataillone kamen. Man braucht nur die im deutsch-sowjetischen Krieg eingesetzten Millionenarmeen und ihre Ausrüstung mit diesen Ziffern zu vergleichen, um zu sehen, daß die Vereinigten Staaten noch auf Jahre hinaus keine erstrangige Kriegsmacht sein werden.

Da eine allgemeine Wehrpflicht vorher nicht bestanden hatte, war das ausgebildete Mannschaftspotential der Vereinigten Staaten auch gegen Ende 1941 wesentlich geringer als etwa das Belgiens im Jahr 1939. Die kleine amerikanische Armee hatte der Insellage zwischen den Ozeanen und der tatsächlichen Unangreifbarkeit der

 

294] Armee nur langsam aufzubauen

Vereinigten Staaten entsprochen. Solange man in Washington eine Außenpolitik trieb, durch die praktisch die Entsendung eines Expeditionskorps von größerem Ausmaße nicht in Betracht kam, war diese kleine Armee völlig ausreichend. Das Wehrpflichtgesetz sah ursprünglich die Einziehung der neuen Rekruten nur auf 18 Monate vor. Im August 1941 verlängerte der Kongreß die Dienstzeit der bereits Eingezogenen – bemerkenswerterweise mit einer einzigen Stimme Mehrheit – auf 30 Monate. Dies bedeutet, daß – entsprechend dem bisherigen Programm – die Vereinigten Staaten etwa bis zum Frühjahr 1944 über eine Armee von 4100 000 Mann verfügen werden. Die Gesamtzahl der Männer zwischen 21 und 35 Jahren beträgt 16 Millionen. Schon bei der Planung des Wehrpflichtgesetzes stellte sich aber heraus, daß auf Jahre hinaus der Mangel an Material aller Art so groß war, daß man zufrieden sein mußte, innerhalb von vier bis fünf Jahren etwa ein Viertel dieser Zahl ausbilden zu können. Am Abschluß der Herbstmanöver 1941 wurde von den militärischen Berichterstattern der amerikanischen Presse und Fachpresse übereinstimmend berichtet, die Manöver hätten gezeigt, daß die amerikanische Armee fast auf allen Gebieten nur über bestimmte Modelle der modernen Waffe verfügte und daß von einer zureichenden Ausbildung auch der bereits Eingezogenen nur in sehr bescheidenem Maße gesprochen werden könne. Diese Ergebnisse standen im umgekehrten Verhältnis zu der riesigen Propaganda, die gleichzeitig vor allem die über das ganze Land verbreitete Zeitschriftenpresse für Armee und Flugwaffe sowie die Marine mit martialischen Bildern machte.

Die amerikanische Kriegsflotte umfaßte im Sommer 1941 15 Schlachtschiffe, 6 Flugzeugträger, 37 Kreuzer, 165 Zerstörer und 109 U-Boote, zusammen also 332 Einheiten. Die japanische Kriegsflotte, soweit deren Stärke bekannt ist (Japan hat in den letzten Jahren keine Ziffern über seine Marinebauten mehr veröffentlicht, und man darf annehmen, daß sie wesentlich höher sind), verfügte über mindestens 10 Schlachtschiffe, 6 Flugzeugträger, 44 Kreuzer, 135 Zerstörer und etwa 80 U-Boote, zusammen also über 275, wahrscheinlich aber über mehr als 300 Einheiten.

 

295] Stärke und Verteilung der Flotte

Der japanische Angriff auf Pearl Harbour am 8. Dezember 1941 hat daher eine Flottenüberlegenheit Japans hergestellt. Die drei amerikanischen Schlachtschiffe "West Virginia", "Arizona" und "Oklahoma", sowie zwei Flugzeugträger wurden versenkt. Drei weitere Schlachtschiffe und mehrere Kreuzer beschädigt. Der Kern der Pazifik-Schlachtflotte schrumpfte damit auf 6 bis 8 Schlachtschiffe zusammen:

Von den verbleibenden 12 Schlachtschiffen sind drei, die "New York", "Texas" und "Arkansas", völlig veraltet und kommen für größere Operationen nicht mehr in Betracht. Der Rest stammt im wesentlichen aus der Zeit kurz vor und nach dem Weltkrieg und ist ebenfalls nicht auf dem letzten Stand der Marinetechnik, vor allem was die Deckpanzerung gegen Bomben angeht. Dafür konnte im Herbst 1941 das neue Schlachtschiff "North Carolina" in Dienst gestellt werden, dem 1942 das Schlachtschiff "Washington" folgen wird. Von den Zerstörern stammen 74 noch aus dem Weltkrieg, die übrigen sind seit 1932 gebaut worden. Von den Unterseebooten sind 68 veraltet und kaum mehr zu verwenden.

Die Flotte der Vereinigten Staaten verteilte sich bis zum l. Februar 1941 dergestalt, daß sich der geringere Teil mit den drei veralteten Schlachtschiffen im Atlantik befand, während die zwölf modernen Schlachtschiffe zusammen mit dem größten Teil der sonstigen Hochseeflotte teils an der pazifischen Küste, teils in Hawaii stationiert waren. Diese Verteilung entsprach der stillschweigenden Zusammenarbeit mit dem Admiralstab der britischen Flotte. Bei dieser Aufgabenteilung hatte England den Atlantik, die Vereinigten Staaten den Pazifik zu "übernehmen". Am l. Februar 1941 ist dann eine Umgruppierung erfolgt, die der strategische Experte Hanson Baldwin als mehr nominell denn aktuell bedeutsam anspricht. Die sogenannte "patrol force", die aus 125 Kriegsfahrzeugen besteht und für ständige Kreuzfahrten zusammengestellt ist, wurde die neue Atlantikflotte. Die Hauptmacht blieb indes im Pazifik und gliederte sich in die eigentliche Schlachtflotte (bestehend aus dem größten Teil der Schlachtschiffe, den Flugzeugträgern, Kreuzern und Zerstörern), in die Erkundungsflotte (bestehend aus Kreuzern, Flugzeugen mit großem Radius und Unter-

 

296] Zweiozeanflotte erst 1946/47

seebooten) und in die Stützpunktflotte, bestehend aus älteren Kriegsschiffen und Hilfsschiffen. Gleichzeitig wurde in Manila ein kleines Geschwader aus leichten Kriegsfahrzeugen stationiert. Diese Verteilung sollte also die Ztveiozeanflofte vorwegnehmen, deren Bau 1938 durch Bewilligung des Kongresses vorbereitet und 1941 endgültig beschlossen worden ist. Dieses ungeheuere Bciuprogramm sieht den Bau von 368 Kriegsfahrzeugen vor. Die Zweiozeanflotte kann vor dem Jahr 1947 nicht vollendet sein. Sie soll dnnn aus 29 Schlachtschiffen (17 Nerbauten einschließlich "North Carolina" und "Washington"). 16 Flugzeugträgern (12 neuen), 91 Kreuzern (54 neuen), 364 Zerstörern (200 neuen) und 185 Unterseebooten bestehen. Von den Schlachtschiffen sind fünf (einschließlich "North Carolina" und "Washington") auf 35000 Tonnen berechnet, fünf auf 45 000 Tonnen, zwei auf 50–55 000 Tonnen und fünf auf 58 000 Tonnen. Der Mannschaftsstand dieser Flotte soll dann auf etwa 600 000 Offiziere und Matrosen betragen. Die Kosten für diese Flotte werden mit 6 Milliarden Dollar, die Kosten für die Einrichtung der Marinebasen, Kasernen usw. mit 4 Milliarden Dollar berechnet1.

Im Sommer 1941 waren von diesem Bauprograrnm 78 Kriegsschiffe an 17 Werften in Auftrag gegeben. Für 282 Kriegsschiffe war die Ausarbeitung der Pläne befohlen. In erster Linie will man versuchen, die 50 an England im September 1940 abgetretenen Zerstörer durch 40 neue Zerstörer zu ersetzen. Im Jahre 1941 wurden die Schlachtschiffe "North Carolina" und "Washington", ein Flugzeugträger, vierzehn Zerstörer und zehn U-Boote fertiggestellt. Vom Stapel liefen drei Schlachtschiffe, sechs Kreuzer, neunzehn Zerstörer und dreizehn U-Boote. Auf Kiel gelegt wurden zwei Schlachtschiffe, drei Flugzeugträger, achtzehn Kreuzer, achtzig Zerstörer und vierundzwanzig U-Boote. Mit der Fertigstellung der fünfzehn vorgesehenen weiteren Schlachtschiffe ist vor 1946/47 nicht zu rechnen. Die in Pearl Harbour erlittenen Verluste fallen also schwer ins Gewicht.

Die Luftwaffe der Armee verfügte im Sommer 1940 über 2494 Flugzeuge. Hiervon waren indes nur 863 Kampfflugzeuge und

1 Angaben nach Congressional Record u. Hanson Baldwin, a. a. O.

 

297] Flugzeugbauprogramm

nur 500 wurden als geeignet für eine moderne Kriegführung angesprochen. Die Luftwaffe der Armee verfügte über 3143 Piloten. Die Luftwaffe der Marine verfügte ebenfalls etwa über 3000 Piloten. Im übrigen aber war auch sie bemerkenswert klein. Sie besaß 550 Flugzeuge, die für den Gebrauch auf Flugzeugträgern bestimmt waren, und 300 modernere Bomber mit weitem Radius. Mit anderen Worten: die USA.-Wehrmacht verfügte überhaupt über keine einsatzfähige Luftwaffe. Hier sollte daher das Aufrüstungsprogramm am schnellsten und wirkungsvollsten in Gaag gesetzt werden. Es erwies sich aber bald, daß die von Roosevelt so bedenkenlos aufgestellten Ziele zunächst unerreichbar waren. Im Jahr 1939 sind insgesamt 2600 Flugzeuge für militärische Zwecke in den Vereinigten Staaten hergestellt worden. Dies entsprach kaum einer Monalsproduktion derjenigen Länder, die bereits über eine entwickelte Luftwaffe verfügten! Bis zum Juli 1942 sollte nun die amerikanische Armee und Marine 20 000 bis 30 000 Flugzeuge besitzen. Und gleichzeitig sollten den Engländern (einschließlich der vor dem Leih- und Pachtgesetz bereits in Auftrag gegebenen 14 000 Apparate) 30 000 Flugzeuge zur Verfügung gestellt werden. Das war das Programm auf dem Papier.

Bereits Ende 1940 stellte sich jedoch heraus, daß diese Ziffern unter allen Umständen in dem vorgesehenen Zeitraum unerreichbar bleiben mußten. Die offiziellen Produktionsziffern; die sicherlich nicht absichtlich geringer angegeben wurden, betrugen in der

zweiten Hälfte des Jahres 1940:
Juli             547
August        586
September  670
Oktober     742
November  779
Dezember   900
und im ersten Halbjahr 1941:
Januar  1036
Februar  972
März    1216
April    1389
Mai      1334
Juni      1395

Diese Ziffern schließen aber sowohl die Schulflugzeuge wie die großen Zivilflugzeuge der amerikanischen Luftfahrtgesellschaften mit ein. Wieviel Kampfflugzeuge darin enthalten waren, ist nicht bekanntgegeben worden. Während Knudson, der Chef des Aufrüstungsamtes, behauptete, die Vereinigten Staaten hätten im

 

298] Rüstungsorganisationen

ersten Halbjahr 1941 500 Bomber im Monat produziert, wurde geschätzt, daß die Produktion von schweren Bombern im Mai 1941 unter 100 im Monat lag1.

Nach der offiziellen Statistik sind im Jahr 1940 in das britische Empire insgesamt 1499 Flugzeuge ausgeführt worden. Im Dezember 1940 z. B. konnte die Luftwaffe der Armee weniger als 50 Kampfflugzeuge aus den Fabriken in Empfang nehmen. So erwies sich, daß das im Frühsommer 1940 aufgestellte Programm aus den verschiedensten Gründen viel zu optimistisch war und daß die Schwierigkeiten nicht, wie man angenommen hatte, nach wenigen Monaten zu überwinden waren, sondern daß sie im Gegenteil dadurch beständig anwuchsen, daß gleichzeitig Rohmaterial für die verschiedensten Aufrüstungszwecke gebraucht wurde und sie, nicht aufeinander abgestimmt, miteinander in Widerspruch gerieten. Es war uns natürlich nur möglich, hier gewissermaßen eine Momentphotographie des Rüstungsstandes der Vereinigten Staaten zu geben, wie er sich bis zum Spätherbst 1941 entwickelt hat. Immerhin umfaßt dieses Bild bereits die Zeitspanne von weit über einem Jahr, in dem sich das Auf rüstungsprogramm zugleich mit dem Verkaufs- und Pachtprogramm an England in Gang befindet, so daß dieses Momentbild auch Rückschlüsse zum mindesten auf die nähere Zukunft zuläßt.

Die Schwierigkeiten der amerikanischen Aufrüstung liegen tief im Wirtschafts- und Lebenssystem des amerikanischen Volkes beschlossen. Ihre Ursprünge sind nicht zufällig oder vorübergehend, sie sind vielmehr grundsätzlicher Natur. Der Wirrwarr der Organisationen, die alsbald in Washington entstanden, ist nur der Ausdruck davon.

Bereits im Sommer 1940 hatte Roosevelt die "National Defense Advisory Commission" (NDAC) gegründet: ein beratendes Komitee, das sowohl hohe Regierungsfunktionäre wie eine Reihe von maßgebenden Männern der Hochfinanz und Big Business umfaßte. Der Präsident der United States Steel Corporation (Morgan-

1 F. C. Hanighen in Harpers Magazine, August 19-tl.

 

299] Rüstungsorganisationen

Gruppe), Edward Stettinius, dessen Vater wir bereits als den Großeinkäufer des Hauses Morgan für die Alliierten im Weltkrieg kennengelernt haben, gehörte ihm ebenso an wie der Generaldirektor der General Motors Werke, William Knudsen, einer der erfolgreichsten großen Kapitäne der Autoindustrie (dänischer Abstammung). Diese Kommission sollte nicht selbst die Aufrüstung in Gang setzen, sondern nur die einzelnen Ministerien beraten. Dies erwies sich als undurchführbar, so daß der Präsident Anfang Januar 1941 zwei Organisationen ins Leben rief, nämlich das "Office oj Emergency Management" (OEM) in dem unter seiner persönlichen Leitung die gesamten Aufrüstungsfragen zusammenlaufen sollten. Als ausführende Organisation wurde ein "Office for Production Management" (OPM) gebildet, das aus drei Abteilungen besteht: einer für die Produktion im eigentlichen Sinn unter dem Vorsitz von Knudsen, einer zweiten für die Regulierung der Arbeiterfragen, die mit der Produktion zusammenhängen, unter dem jüdischen Gewerkschaftsführer Sidney Hillman. Unter Stettinius schließlich stand die Abteilung für die sogenannten Prioritäten, die zu entscheiden hatte, welche Produktions- und Materialzuteilungen vor anderen vordringlich behandelt werden sollten. Für einen Augenblick schien es, als ob in dieser neuen Organisationsform nun tatsächlich das Kriegsindustrieamt, wie es unter Baruch im Weltkrieg bestanden hat, zu neuem Leben erweckt worden sei. Tatsächlich hatte auch Baruch den Präsidenten maßgebend bei der Gründung dieser Organisationen beraten. Sehr bald aber stellte sich heraus, daß das OPM doch nur für einen Teilsektor der gesamten Aufrüstungsfragen zuständig war. Wie die Pilze schössen andere Organisationen aus der Erde, deren Zuständigkeiten sich mit denen des OPM überschnitten.

Harry Hopkins, der schon im Januar und Februar 1941 von Roosevelt nach London entsandt worden war, wurde nach der Annahme des Leih- und Pachtgesetzes die Gesamtaufsicht über die Lieferungen an England und die anderen aus der Lease- and Lend Bill zu beliefernden Staaten übertragen. Hierzu gehörte nicht nur China, sondern bemerkenswerterweise auch die meisten südamerikanischen Staaten. Diese Lieferungen nach Süd- und Mittelamerika

 

300] Cliaos der Ämter

dienten in Wirklichkeit der Einrichtung und Vorbereitung amerikanischer Luft- und Seestützpunkte, wurden aber durch das Leih- und Pachtgesetz entsprechend getarnt. Daneben wurde unter dem jüdischen Oberbürgermeister von New York, LaGuardia, ein Amt für zivile Verteidigung und unter Innenminister Ickes ein Amt für die Brennstoffversorgung (Office of Oil Coordination) geschaffen. Dies wurde notwendig, weil die amerikanische Tankerflotte, die bisher das Benzin und Rohöl vom mexikanischen Golf und aus Kalifornien nach der Ostküste gebracht hatte, nun plötzlich nur noch teilweise zur Verfügung stand, da sie an England, bzw. zur Umgehung des Neutralitätsgesetzes an Panama abgetreten worden war. Infolgedessen begann sich in den Oststaaten, den Hauptverbrauchern von Öl und Benzin, eine gewisse Knappheit geltend zu machen.

Schließlich erteilte Roosevelt einem der führenden Köpfe des früheren New-Deal-Apparates, Leon Henderson, den Auftrag, ein Amt zur Preisüberwachung zu gründen (Office of Price Administration and Civilian Supply), das dafür Sorge tragen sollte, daß sich die sprunghaft eintretenden Preissteigerungen auf allen Gebieten nicht zu einer offenen Inflation auswüchsen. Selbstverständlich überschnitten sich die Zuständigkeiten dieses neuen Preisdiktators mit denen von Knudsen, wie umgekehrt mit denen des Schatzamtes und des Handelsministeriums. Die verschiedenen Wehrmachtteile behielten außerdem ihre Einkaufsbüros nicht nur bei, sondern blähten sie zu riesigen Behörden auf, so daß Rüstungsaufträge und Prioritätszuweisungen sowohl von den Wehrmachtteilen selbst wie vom OPM erteilt werden konnten.

Nach etwa einem halben Jahr hatte sich ein derart chaotisches Durcheinander der verschiedenen Organisationen ergeben, daß sich weder die Fabrikanten noch die Lieferanten, noch die zu beliefernden zivilen und militärischen Dienststellen mehr durchfinden konnten, welche der zahllosen Behörden in einer bestimmten Einzelfrage nun eigentlich zuständig war. In wenigen Monaten hatte sich der Wirrwarr, den wir während der ersten New-Deal-Periode bereits einmal geschildert haben, in einer ungleich schlimmeren Form wiederholt. Der Präsident selbst zeigte sich außerstande,

 

301] Gesamtsumme der Aufrüstungskosten

durch eine klare Verteilung der Zuständigkeiten auch nur die Richtung anzugeben, in der er sich die Entwicklung der verschiedenen Produktionszweige vorstellte. Als schließlich fast ein Zusammenbruch des Führungsstabes der Rüstung drohte, wurde Roosevelts wohlbekannter Freund Rosenman, der jüdische Richter aus New York, nach Washington geholt und mit einer Neuplanung des gesamten Rüstungsapparates beauftragt. Das Ergebnis, das Ende August bekanntgegeben wurde, war die Gründung einer neuen Organisation, die nun als Dachorganisation alle übrigen in sich aufnehmen sollte, ohne daß aber die Zuständigkeit der Einzelorganisationen hätte gegeneinander abgegrenzt werden können.

Dieser von Rosenman erfundene überrüstungsausschuß wurde "Supply Priorities and Allocations Board" (SPAB) getauft. An seine Spitze wurde Vizepräsident Wallace gestellt, der damit gewissermaßen das Amt eines Rüstungsministers erhielt. Sein Stellvertreter wurde der bisherige Großeinkäufer der OPM, Donald Nelson, der gleichzeitig das Amt der Prioritäten erhielt. Dem Ausschuß gehörten ferner Marineminister Knox, Kriegsminister Stimson, der Preisdiktator Henderson, Harry Hopkins und Sidney Hillman sowie Knudsen an. Stettinius wurde an Stelle von Hopkins, der als Verbindungsmann zum Präsidenten über allen Wassern schweben sollte, mit der Englandhilfe beauftragt. Auch dieses Bild von der Rüstungsorganisation ist nur eine Momentaufnahme aus dem Herbst 1941. Sie ist typisch für die strukturellen Schwierigkeiten, denen sich die Vereinigten Staaten mit ihrer Aufrüstungspolitik gegenübersahen. Sie sind durch die Gründung der SPAB noch nicht behoben.

Bis zum 30. Juni 1941 betrug die sowohl für Lieferungen an die Vereinigten Staaten wie für Lieferungen nach dem Leih- und Pachtgesetz bewilligte Gesamtsumme 46,9 Milliarden Dollar. Es erwies sich indes als unmöglich, diese Summe auch nur annähernd unterzubringen, da die industrielle Kapazität in keiner Weise für derartig riesige Aufträge eingerichtet war. Die tatsächlich abgeschlossenen Aufträge erreichten knapp die Summe von 21 Milliarden Dollar1. Diese Aufträge beziehen sich aber zum größten

1 Fortune, August 1941.

 

302] Gesamtsumme der Aufrüstungskosten

Teil auf ein Programm, das sich über viele Jahre erstreckt: Man braucht dabei z. B. nur an die Marinebauten zu denken, für die in der Tat bereits an Schiffswerften Aufträge für Neubauten erteilt sind, die erst im Jahre 1944 in Arbeit genommen werden können. Diese Riesensumme ergab infolgedessen ein verzerrtes Bild über die aktuelle Wirtschaft und Rüstungskraft der Vereinigten Staaten. Nur ein Drittel der 21 Milliarden Dollar – 7 Milliarden Dollar – bezogen sich auf Aufträge für Kriegsmaterial oder indirekte Rüstungsaufträge, die zwischen Herbst 1940 und Sommer 1942 geliefert werden sollen. Von dieser Summe sind wiederum nur etwa 100 Millionen Dollar Pacht- und Leihmaterial für England. In den Jahren 1942/43 kann nur eine allmähliche Steigerung dieser Ziffern erwartet werden.

Die Schwierigkeiten der amerikanischen Aufrüstung brauchten uns nicht zu beschäftigen, wenn sich hinter ihnen nicht prinzipielle Fragen verbergen würden, die das Gesamtgefüge der amerikanischen Gesellschaft betreffen. Sie haben grundsätzliche Bedeutung; denn natürlich wäre es kaum denkbar, daß die großen Spezialisten der amerikanischen Massenproduktion den Wirtschaftsapparat nicht hätten entsprechend umstellen können, wenn hier nicht zwei gegensätzliche Meinungen aufeinandergeprallt wären, die sich beständig gegenseitig aufhoben. Roosevelt hatte die Spitzenbehörde der Aufrüstung teils mit New Dealern, teils mit Vertretern des Big Business besetzt. Das Ergebnis mußte der alten Fabel von dem Krebs, dem Schwan und dem Fisch gleichen, die gemeinsam einen Karren ziehen sollen.

Die New-Deal-Gruppe, bestehend aus Hopkins, Henderson und Hillman, war der Anschauung, daß so schnell wie möglich die gesamte amerikanische Wirtschaft in den Dienst des Rüstungsprogramms gestellt und darüber hinaus einem Planungsamt unterstellt werden müsse. Dies war also das alte Planwirtschaftsprogramm aus den Anfangsjahren Roosevelts. Diese Gruppe trat insbesondere für den beschleunigten Bau riesiger neuer Fabrikanlagen

 

303] Beifall für Knudsen

vor allem in der Motorenindustrie und der Urproduktion ein; sie hoffte, auf diese Weise endlich das Problem der Arbeitslosigkeit beseitigen zu können. (Wie wir sahen, betrug diese Ende 1940 noch immer neun Millionen. Sie ist dann bis Mitte 1941 auf etwas unter sechs Millionen gesunken, um aber alsbald wieder anzusteigen, weil durch die Aufrüstung das Material in der Industrie für den zivilen Bedarf alsbald knapp wurde. Henderson schätzte im August 1941, daß man hierdurch mit zwei Millionen zusätzlichen Arbeitslosen zu rechnen habe1.) Die New-Deal-Gruppe stellt sich also vor, daß die USA. ihre Friedenswirtschaft so schnell wie möglich aufgeben und das gesamte Volk unter ein Kriegswirtschaftsgesetz gestellt werden sollte, das eine sofortige drastische Einschränkung des Zivilbedarfs, d. h. der Produktion von Gütern bedingt hätte, die dem allgemeinen Massenkonsum dienen.

Dieser Gruppe trat innerhalb des neuen Rüstungsapparates der aus Big Business und der Hochfinanz hervorgegangene Kreis mit Knudsen, Stettinius und Harriman an der Spitze energisch entgegen. Mit dem Schlagwort "Business as usual" trat er dafür ein, daß die normale Friedensproduktion in den Vereinigten Staaten im wesentlichen ungeschmälert weitergehen müsse und daß von einer Überexpansion der amerikanischen Industrie deshalb keine Rede sein dürfe, weil man im Weltkrieg die Erfahrung gemacht habe, daß sich dies später nur rächen könne. Dahinter standen natürlich die realen Gewinninteressen der Großindustrie und der Hochfinanz. Eine der ersten Maßnahmen von Knudsen war es gewesen, mit Hilfe des Präsidenten die Gesetzgebung zu beseitigen, durch die die Kriegsgewinne abgeschafft werden sollten.

"Zu den besonderen Schwierigkeiten rechnete die Profitbegrenzung durch den Vinson-Trammel Act und die unbewegliche Skala der vom Schatzamt zugelassenen Gewinne. Mit Hilfe des Weißen Hauses wurden diese Schwierigkeiten beseitigt und die Profitbegrenzung aufgehoben", erklärte Knudsen selbst im April 1941 voll Stolz2. Unter seinen Zuhörern saßen Thomas Lamont, Owen D. Young von der Morgenbank, Frederic Coudert, N. M. Butler

1 The United States News, 15. August 1941.
2 Rede vor der Academy of Political Science vom 16. 4. 1941.

 

304] Das Rüstungs-Racket

und andere Vertreter des Finanzkapitals. Der Bericht sagt, daß der Beifall für Knudsen überwältigend gewesen sei. Big Business sah endlich wieder die Gelegenheit zu großen Gewinnen. Es wollte sich nun durch eine Abdrosselung des inneren zivilen Marktes das Geschäft nicht verderben lassen – und schon gar nicht durch Planwirtschaft und ein Neuaufleben des verhaßten New Deal. Die amerikanische Industrie hatte vielmehr die Besserung der Konjunktur zu einer erheblichen Produktionssteigerung der Massenkonsumgüter benutzt, voran die Automobilindustrie, die so lange gedrosselt war. In der letzten Augustwoche 1941 wurden in den Vereinigten Staaten 109000 Autos produziert, das waren 51000 mehr als in der letzten Augustwoche 1940. Gleichzeitig waren die Preise nicht unerheblich gestiegen, so daß es zwischen Knudsen als dem Vertreter von Big Business und Henderson als dem Vertreter des New Deal erregte Auftritte gab, bis schließlich eine Produktionseinschränkung der Autoindustrie um 25 v. H. beschlossen wurde.

In Knudsens OPM hatte sich bereits dasselbe System entwickelt, das wir im Kriegsindustrieamt Baruchs kennengelernt haben. Es wimmelte von seriösen Herren, die "für einen Dollar im Jahr" ihre wertvollen Dienste zur Verfügung stellten. Diese "dollar-a-yearmen" waren die Direktoren aus den Riesentrusts der Banken und Industrie, die auf diese Weise sich aus der Schlüsselstellung der staatlichen Auftragserteilung riesige Rüstungsaufträge mit entsprechend hohen Preisfestsetzungen für ihre Unternehmungen zu sichern hofften. Das Ergebnis war denn auch schlagend: Im Herbst 1941 stellte sich heraus, daß 75 v. H. aller Rüstungsaufträge an nur 56 große Firmen gegangen waren1. Von den 185 000 Fabrikunternehmungen der USA. war also nicht einmal l pro Mille am Rüstungsgeschäft beteiligt worden. Die Aufrüstungsgewinne kamen in der Tat dem Monopolkapital der Riesentrusts fast allein zugute.

Die Morganbank hatte sich dabei mit Stettinius wieder den Eckplatz auf dem Sofa der Profite gesichert. Während Stettinius als der Haupteinkäufer für England unter dem Leih- und Pachtgesetz auftrat, wurde Averell Harriman, der Sohn des schon vor dem Weltkrieg verstorbenen Eisenbahnkönigs, der Hauptverkäufer.

1 Time, 25. August 1941.

 

305] Das Rüstungs-Racket

Harriman wurde zum ständigen Beauftragten des OPM in London und später auch in Moskau ernannt. Dies "rechtfertigte" sich wohl dadurch, daß er bereits im März 1929 den Vorsitz des damals neu gegründeten Trusts "American Aircraft" übernommen hatte, während er andererseits durch seine Firma W. A. Harriman Securities Corporation einer der größten Versicherungsmagnaten der Vereinigten Staaten und auch Englands ist, da seine Versicherungsgesellschaften durch eine Anzahl von Verquickungen mit großen englischen Unternehmungen verknüpft sind. Die beiden Schlüsselpositionen im Englandgeschäft wurden also von der United States Steel Corporation (Morgan) und der Flugzeugindustrie (Warburg und Lehman) besetzt. Wie Lamont richtig vorausgesehen hatte, als er Roosevelt plötzlich zu unterstützen begann, sollte sich dieser Krieg zu einem vielleicht noch viel größeren Raubzug der Hochfinanz entwickeln als der vorige. Die New-Deal-Gruppe versuchte diese Entwicklung abzubremsen. Vergeblich. Henderson erntete dabei nicht mehr als einen Achtungserfolg. Die scharfen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Gruppen, die nun für die Aufrüstung verantwortlich sind, müssen allerdings zu dauernden Stockungen in diesem Apparat führen, durch die nicht zum wenigsten die Engpässe hervorgerufen worden sind, in die sich alsbald die amerikanische Aufrüstung von den verschiedensten Seiten her hineingetrieben sah.

Man stand nun vor der überaus schwierigen Aufgabe, dem amerikanischen Publikum klarzumachen, daß es für die Aufrüstung in seinem Privatbedarf erhebliche Einschränkungen in Kauf nehmen müsse. Die gesamten Lebenshaltungskosten waren sprunghaft gestiegen, voran die Preise für Agrarprodukte, so daß die Arbeiter durchgehend höhere Löhne verlangten. Eine Welle der wirtschaftlichen Unsicherheit ging plötzlich über das ganze Land. Die damit verbundenen Streiks hatten vielleicht wirtschaftlich keine besondere Bedeutung, verstärkten aber die fortdauernden sozialen Spannungen. Die CIO stellte nun das sogenannte "closed-shop-Prinzip" in den Vordergrund ihres Kampfes, d. h. die Forderung, daß alle Arbeiter eines Betriebes Mitglieder der Gewerkschaften sein sollten. Dies wurde von den meisten großen Gesellschaften erbittert abgelehnt.

 

306] Das Rüstungs-Racket

Die Probleme erschwerten sich insbesondere dadurch, daß die hochspezialisierte amerikanische Industrie gar nicht ohne weiteres von der Friedensproduktion auf Kriegsmaterial umzustellen war. Die außerordentlich leistungsfähigen Spezialmaschinen der Autoindustrie waren z.B. derart genormt, daß sie für den Bau von Flugzeugmotoren nicht eingesetzt werden konnten. Während sich so also eine Knappheit an Werkzeugmaschinen sofort in der Aufrüstung geltend machte, mußte die schließlich gegen den Widerstand der Industrie erzwungene Einschränkung im Automobilbau die peinlichsten Folgen auf dem Arbeitsmarkt haben. Bankrotte und Liquidationen von Großverkäufern wirkten sich heftig auf das gesamte übrige Wirtschaftsleben aus. Die Aufrüstung schuf also einen Boom für einen Teilsektor der Wirtschaft, während sie in einem anderen eine neue Depression auslöste. Das Transportproblem bereitete riesige Schwierigkeiten, da die Eisenbahnen auf eine Steigerung der Industriekapazität von größerem Ausmaß nicht eingerichtet waren und infolgedessen Waggons in Auftrag geben mußten. Dies Rohmaterial ging aber wieder der Rüstung ab. Alle diese Erscheinungen wurden durch politische Einflußnahmen und durch Senderinteressen einzelner mächtiger Wirtschaftsgruppen schließlich so weit kompliziert, daß die Zuteilung der Prioritäten in einen schlimmen Skandal einmündete. Prioritäten waren von den Riesentrusts durch unlautere Mittel ergattert und weiterverschachtert worden – und zwar für Industrien, die gar keine Rüstungsaufträge besaßen. Die herrlichen Zeiten, da Mellon im Schatzamt saß, schienen für Big Business wieder aufzuleben.

Eine psychologische Krise von erheblichem Ausmaß begann sich anzukündigen, als sich die Erkenntnis zu verbreiten begann, daß sich das Rüstungsgeschäft zum schlimmsten Racket der amerikanischen Geschichte auswuchs und daß abermals Millionengewinne durch "Geschäfte mit dem Tod" eingestrichen wurden. Das Jahr 1940 hatte eine außerordentliche Steigerung der Gewinne gebracht. Nach einer Aufstellung der "National City Bank" in New York betrug der Reingewinn von rund 2600 Aktiengesellschaften im Jahr 1940 4253 Millionen Dollar im Vergleich zu 3565 Millionen Dollar im Jahr 1939. Dies bedeutete eine Zunahme des

 

307] Engpässe der Kriegsindustrie

Reingewinns um 19 v. H. Die Verzinsung des Kapitals dieser Aktiengesellschaften betrug im Jahr 1940 durchschnittlich 7,4 v. H. im Vergleich zu 6,3 v. H. im Jahre 1939. Wenn man bedenkt, daß in das Jahr 1940 erst der Beginn des eigentlichen Aufrüstungsgeschäftes fällt, kann man annehmen, daß die Gewinnspanne voraussichtlich 1941 schon etwa 40 v. H. über dem Stand von 1939 liegen dürfte.

Das Durcheinander der zahllosen sich überschneidenden Organisationen für die amerikanische Aufrüstung förderte ein erstaunliches Ergebnis zutage: Niemand hatte damit gerechnet, daß sich in diesem Land der gewaltigsten Rohstoffvorkommen Engpässe der industriellen Produktion ergeben würden, die sich so scharf auswirken könnten, daß dadurch die Aufrüstung überhaupt in Frage gestellt und auf gewissem Gebiete um Jahre verschoben werden müßte. Die maßgebenden Männer der amerikanischen Wrtschaft wie auch der Regierung standen bei Kriegsausbruch unter dem Eindruck eines 1937 von einem Mitglied der Harvard-Universität veröffentlichten Buches: "Die Strategie der Rohstoffe", in dem eindrucksvoll nachgewiesen wurde, daß die Vereinigten Staaten das einzige Land in der Welt seien, das über sämtliche wichtigen, zur Kriegsführung notwendigen Rohstoffe in genügendem Umfang verfügte. Dieses Buch, eine sorgfältige wissenschaftliche Untersuchung, war in den Jahren vor dem Krieg in der angelsächsischen Welt als große Sensation aufgenommen worden. Es schien aus ihm hervorzugehen, daß rohstoffärmere Länder, wie Deutschland, überhaupt nicht imstande seien, einen langen Krieg zu führen. Um so verblüffender war es, daß sich Deutschland mit Hilfe seiner unermüdlichen Erfinder, seiner Werkstoffe und gleichzeitig natürlich auch mit Hilfe der Ausdehnung seines Machtkreises auf wichtige Rohstoffgebiete allein durch eine überlegene Organisation eine ausreichende Versorgung zu sichern vermochte, während umgekehrt das Organisationschaos in den Vereinigten Staaten die schnelle Ausschöpfung der Rohstoffquellen verhinderte. Es

 

308] Engpässe der Kriegsindustrie

Bielite sich bereits im Winter 1940/41 heraus, daß man schwierige Engpasse auf dem Gebiete der Stahlproduktion, des Aluminiums, des Zinns und des Gummis zu durchschreiten hatte. Das Problem des "Flaschenhalses", des bottleneck, wie man in Amerika sagt, trat plötzlich beherrschend in den Vordergrund.

Die Abneigung der Privatindustrie zu großen Investitionen, die in der Nachkriegszeit nur Schwierigkeiten bei einer dann wieder normalen Markiorganisation bedeuten würden, hatten zur Entstehung dieser Engpässe beigetragen. Nicht weniger aber der Dilettantismus der Regierung, die zwar planmäßig das Land in den • Krieg hineinführte und beständig erklärte, es sei das "Arsenal der Demokratie", die aber keinerlei staatliche Vorratswirtschaft in den wichtigen Rohstoffgebieten zu betreiben vermochte, weil sie dadurch offenbar erneut mit der starren amerikanischen Tradition in Konflikt geraten wäre. So kommt es, daß ein verhältnismäßig rohstoffarmes Land wie Deutschland auf Jahre hinaus durch seine Vorratswirtschaft und die vorsorgliche Organisation seiner Industrie einen Vorsprung vor den rohstoffreichen Vereinigten Staaten besitzen wird, der durch die Besetzung der russischen Überschußgebiete nun überhaupt kaum mehr einzuholen ist.

Die Leitung der OPM glaubte, daß es nur nötig sei, der Zivilwirtschaft die Rohstoffe fortzunehmen, um über eine genügende Menge für die Kriegswirtschaft zu verfügen. Dabei übersah man die mit derartigen Entscheidungen im demokratischen System verbundenen politischen Schwierigkeiten. Auch bei vollständiger Ausschaltung des zivilen Verbrauches reichten zudem die Produktionsmöglichkeiten von Rohstoffen, wie Aluminium, für den Bedarf der Aufrüstung bei weitem nicht aus. 1938 betrug die Gesamtproduktion von Aluminium in den Vereinigten Staaten nur 364 Millionen Pfund; "das war wenig mehr, als für die Belieferung der Flugzeugfabriken für vier Monate nötig ist, wenn die Flugzeugproduktion die vorgesehene Höhe erreicht"1. Noch im Dezember 1940 erklärte Stettinius in einer Mitteilung des OPM, eine Aluminiumknappheit sei nicht zu befürchten. Zwei Monate später wurde es notwendig, den Privatverbrauch drastisch einzu-

1 Fortune, August 1941.

 

309] Engpässe der Kriegsindustrie

schränken. Im nächsten Monat begann man plötzlich im Lande Aluminiumkochtöpfe einzusammeln, und im Juli 1941 gab das OPM schließlich bekannt, wegen Aluminiummangels sei ein Rückgang der Flugzeugproduktion in den folgenden drei Monaten unvermeidlich. Es stellte sich schließlich heraus, daß allein der militärische Bedarf von Aluminium für Anfang 1942 auf 100 Millionen Pfund im Monat geschätzt wurde, daß aber auch bei der größten Anstrengung höchstens 60–70 Millionen Pfund produziert werden konnten. Man mußte sich daher entschließen, neue Werke bauen zu lassen, in denen aber vor Ende 1942 die Produktion nicht aufgenommeil werden kann. "Fortune" stellt daher fest, daß "der Strom" von Kriegsmatsrial im Jahr 1942 viele Monate hindurch eingeengt sein wird. Der Gesamtbedan an Aluminium wurde schließlich mit 1400 Millionen Pfund angegeben. Die Wasserkraft reichte aber höchstens für die Produktion von 642 Millionen Pfund aus. Es ergab sich, daß die Anlage von neuen hydroelektrischen Werken; die für die Aluminiumproduktion eingesetzt werden sollten, sich dadurch verzögerte, daß wichtige Maschinenteile, die ebenfalls aus Aluminium hergestellt werden, nicht geliefert werden konnten.

Der Grund für diesen Engpaß bestand allein darin, daß die gesamte Aluminiumproduktion der Vereinigten Staaten in der von der Mellon-Gruppe kontrollierten Aluminium Company of America monopoiartig zusammengefaßt ist. Diese mächtige Gesellschaft verhinderte den Ausbau von neuen Aluminiurnv/erken, aus denen ihr später hätte eine Konkurrenz erwachsen können. Sie weigerte sich außerdem, die Aluminiumbelieferung an ihre bisherigen großen Zivilkunden, vor allem an die Autoindustrie, drastisch herabzusetzen. Hierfür aber hatte Herr Knudsen als Chef der General-Motors-Werke ein ausreichendes Verständnis!

Ahnlich erstaunliche Erscheinungen zeigten sich auf dem Gebiete der Stahlproduktion. 1939 verteilte sich die Stahlproduktion der Welt etwa so, daß die Vereinigten Staaten 35 v. H., das Deutsche Reich mit dem Generalgouvernement über 20 v. H.- die Sowjetunion 14, England 10, Frankreich 6 und Japan 5 v. H. produzierten. (Der Rest von 10 v. H. verteilte sich auf die übrigen Länder.)

 

310] Engpässe der Kriegsindustrie

Bis zum Herbst 1941 hatte Deutschland seinen Anteil an der gesamten Stahlproduktion der Weit durch die Rückgliederung Lothringens und die Beherrschung des wichtigsten Stahlzentrums der Sowjetunion auf eine Höhe gebracht, die diejenige der Vereinigten Staaten und Englands zusammengenommen bereits erreichte. Die Kapazität der Stahlindustrie der Vereinigten Staaten betrug 1940 82 Millionen to. Im Januar 1941 wurde mit 6,9 Millionen to die höchste Produktion der amerikanischen Geschichte erreicht (Durchschnittsproduktion 1918: 4,1 Millionen, 1929: 5,3 Millionen to im Monat.) Voll Begeisterung schrieb "Fortune" noch im Frühjahr 1941: "Selbst für eine Nation, die mit industriellen Statistiken übersättigt ist, hören sich die Ziffern der Stahlproduktion wie das Rollen eines mächtigen Donners an." Das war eine zu poetische Auffassung. Es ergab sich, daß die Stahlkapazität der Vereinigten Staaten den zivilen Bedarf nicht gleichzeitig mit dem militärischen befriedigen konnte. Noch Ende Februar 1941 hatte Roosevelt selbst auf Grund eines Berichtes der Stahlindustrie erklärt, die Stahlkapazität der Vereinigten Staaten sei groß genug, um den zivilen Bedarf, die eigene Aufrüstung und die Bedürfnisse Englands und der anderen Leih- und Pachtstaaten zu befriedigen. Knapp drei Monate später mußte der Stahlbedarf jedoch scharf rationiert werden, und schließlich kam man zu dem Schluß, daß man neue Anlagen mit einer zusätzlichen Kapazität von 10 Millionen Tonnen bauen müsse. Die Schwierigkeit war nur, daß der Bau dieser Anlagen selbst zunächst riesige Mengen Stahl verachlingen mußte. Seit dem Sommer 1941 machte sich der Mangel von Stahl beim Bau von Schiffen, Röhrenleilungen und Eisenbahnwaggons peinlich bemerkbar. Es wurde schließlich festgestellt, daß im Jahr 1942 nur noch 36 Millionen to Stahl für den zivilen Verbrauch übrigbleiben würden und daß infolgedessen in dem gesamten zivilen Sektor der amerikanischen Wirtschaft eine Depression unvermeidlich sei.

Noch viel schwieriger gestalteten sich die Verhältnisse auf denjenigen Gebieten, in denen die Vereinigten Staaten nicht über eine entsprechend ausreichende Eigenproduktion verfügen. Im Sommer 1941 bemerkte man plötzlich, daß sowohl die Kautschuk- als

 

311] Probleme der Führung

auch die Zinnvorräte, die im Lande aufgestapelt waren, ungefähr den Bedarf bis zur Jahreswende 1941/42 decken könnten. Die inzwischen eingetretene Knappheit an Schiffsraum begann sich nun fühlbar auszuwirken. Die Notwendigkeit, Kautschuk über den ganzen Pazifik aus Niederländisch-Indien herbeizuschaffen, schien erhebliche Sorge zu bereiten und noch größere die Zinnfrage, da das britisch-holländische Zinnmonopoi in der Welt auf der eigenartigen Arbeitsteilung beruht, daß das in Bolivien gewonnene Zinn erst nach England in die dortigen Schmelzanlagen gebracht wird, um von da aus wieder an die Zinnkonsumenten in der ganzen Wfelt verteilt zu werden. (Die USA. selbst verfügen über keine eigene Zinnproduktion.) Mit verhaltenem Ingrimm bemerkte man in Fachkreisen: "In Texas wurde zwar ein Schmelzwerk errichtet, jedoch konnten die Vereinigten Staaten nicht von der Vorherrschaft des englisch-holländischen Monopols befreit werden. Diese Vereinigung hat durch Jahrzehnte das Zinnerz der Welt im Würgegriff gehalten. Das Schmelzwerk in Texas wird ebenfalls in Händen der holländischen Gesellschaft sein, und nur die kleinere Hälfte des bolivianischen Zinnerzes wurde der britischen Kontrolle entzogen. Der Rest macht weiterhin die lange gefährliche Reise nach. England zu einem durch Bomben gefährdeten Schmelzprozeß und wird dann über den Atlantik zurück nach den Vereinigten Staaten ausgeführt werden"1.

./xlle diese Schwierigkeiten könnten natürlich gelöst werden, wenn eine einheitliche Führung die Vereinigten Staaten für ein wirkliches Ziel hätte begeistern können. Davon aber kann keine Rede sein. Die beiden Gruppen innerhalb des kriegswirtschaftlichen Generalstabs stehen sich feindlich gegenüber und widersprechen sich in der Praxis dauernd.

"Die größte Krise in Amerika wie in England ist die Krise der Führung; aus welchem Grunde immer, die Männer, die fähig wären, Amerika zu retten, sind entweder nicht vorhanden, oder sie

1 Fortune, August 1941.

 

312] Probleme der Führung

wurden nicht in den öffentlichen Dienst berufen. Daß Deutschland mit einer Bevölkerung von 80 Millionen imstande ist, die erforderlichen Führer zu finden und daß Amerika mit seinen 132 Millionen das nicht vermag, ist im Grunde eine glatte Verdrehung der mathematischen Gesetze"1.

Fähige Führer entstehen allerdings nicht kraft mathematischer Gesetze, sondern durch die Verbindung von Persönlichkeit und Idee. Das Rüstungschaos hat die Öffentlichkeit der Vereinigten Staaten in tiefes Unbehagen versetzt, dessen Wurzeln sie sich nicht erklären kann. Es ist jedoch kein Zufall, wenn der Nationalsozialismus zwei Männer, Göring und Todt, hervorgebracht hat, die, vereint, mit ihren Apparaten die riesigen Aufgaben der Rüstung eines an Rohstoffen armen Volkes zu meistern vermochten. Es ist auch keine "Verdrehung der mathematischen Gesetze", daß es hierfür in den Vereinigten Staaten keine Entsprechung gibt. Das Land besitzt weder ein Ziel, von dem es wirklich überzeugt wäre, daß es dafür kämpfen müsse, noch besitzt es eine weltanschaulich geschlossene Grundlage, durch die die Verbindung von Persönlichkeit und Idee erreicht werden könnte. Wir sahen, wie Roosevelt mit seinem New Deal versuchte, das Fehlen einer wirklichen Massenbewegung zu ersetzen, und wie ihm dies mißlang. An die Stelle des New Deal wollte er nun den Krieg und die Kriegswirtschaft setzen, aber auch dies muß mißlingen und, wie die Kreise um Lewis und Lindbergh voraussehen, zu noch völlig unabsehbaren inneren Umwälzungen führen.

Der gewaltige Rüstungsapparat, über den an sich die Vereinigten Staaten verfügen, wird gewiß erhebliche Leistungen hervorbringen, aber sie müssen sich infolge der inneren üneinheitlichkeit der Männer am Schaltwerk beständig immer wieder zersplittern. Im Sommer 1941 waren 300 Rohstoffe und Produktionsmaterialien auf die Liste der Prioritäten gesetzt, d. h. sie waren entweder schon knapp oder drohten alsbald knapp zu werden. Die sechs verschiedenen Ämter, die nun über die Prioritäten zu entscheiden hatten, taten dies völlig nach eigenem Gutdünken und in einer sich dauernd widersprechenden Form. Die Gesichtspunkte

1 Fortune, August 1941.

 

313] Bilanz der Aufrüstung

der Armee waren verschieden von denen der Marine und die beider wiederum anders als die der an ihren Profit denkenden Privatwirtschaft, während die auf staatliche Planung ausgehenden Kräfte wie Leon Henderson allen dreien feindlich gegenüberstanden. Alle diese Stellen aber hatten unmittelbar Entscheidungsgewalt; sie konnten Anordnungen treffen, die ganze Sektoren der amerikanischen Wirtschaft auf das stärkste betrafen.

Die Probleme, die die Aufrüstung stellt, münden in die Grundfragen des modernen Amerikanismus: Auch hier trifft die amerikanische Wirklichkeit auf den erstarrten amerikanischen Mythos, der eine produktive Fortentwicklung des inneren gesellschaftlichen Aufbaus verhindert. Daß dies so ist, daß eine auf die Verbindung des Sozialen mit dem Nationalen scharf ausgerichtete Führerschaft nicht entstehen konnte, wird nun schließlich als eine "Verdrehung der mathematischen Gesetze" empfunden! Vernichtender konnte der Bankrott der amerikanischen Ideen kaum ausgedrückt werden.

Eine Bilanz der voraussichtlichen Entwicklung der amerikanischen Aufrüstung ist auch hier nur als Momentbild möglich. Mitte Januar 1491 mußte Knudsen vor der Senatskommission für Auswärtige Angelegenheiten zugeben, daß eine vollständige Materialbeschaffung für die bis zum Sommer 1941 vorgesehene Armee von 1,4 Millionen Mann nicht vor Ende 1942 vollendet sein könne. Er erklärte, daß man bei der ersten Schätzung gehofft habe, dieses Programm bis zum l. Juli 1942 erfüllen zu können. Verzögerungen in der Produktion des schweren Materials seien aber unvermeidlich. Dies bedeutet, daß weltpolitisch im Jahr 1942 auch die kleine Armee von knapp l1/; Millionen Mann kaum ins Gewicht fällt und daß auch im günstigsten Falle eine größere wohlausgerüstete amerikanische Expeditionsarmee vor dem Winter 1943/44 kaum zur Verfügung stehen kann.

Geht man die Produktionsmöglichkeiten der einzelnen Waffenarten durch, so ergeben sich Ende 1941 mit Ausnahme vielleicht der leichten Waffen überall erstaunliche Produktionslücken, die nach amerikanischer Ansicht meist erst ab 1943 stärker aufgefüllt werden können. Am fühlbarsten dürfte sich dies auf dem Gebiet der Geschützproduktion und der Panzer auswirken. Im Sommer

 

314] Bilanz der Aufrüstung

1941 wurden z.B. monatlich zwölf 3,7-cm-Pak hergestellt, während der Bedarf der amerikanischen Armee allein mit 6000 angegeben wurde. Noch größer war die Produktionslücke bei der Flak. Hier betrug die Jahresproduktion 1941 etwa 250 Stück. Mit der Herstellung von schweren Panzerwagen wird man vor 1942 überhaupt nicht beginnen können, und auch dann ist die Serienproduktion zunächst noch nicht möglich. Was schließlich die Flugzeugindustrie angeht, so darf nach dem Foreign Policy Report angenommen werden, daß die bis zum Sommer 1941 erteilten Aufträge die Industrie bis zum Winter 1944/45 beschäftigen werden. Die vorgesehene Ausweitung der Kapazität um mindestens 600 v. H. bereitet Schwierigkeiten, die wohl nur in einem Lande ganz ermessen werden können, das selbst eine riesige Entwicklung der Flugwaffe erlebt hat. Das von Roosevelt für den Zeitraum eines Jahres geforderte Programm wird also im günstigsten Falle in der drei- bis vierfachen Frist erreicht werden können.

So lassen sich die Probleme der Aufrüstung in einigen Sätzen zusammenfassen, die "Fortune" im März 1941 schrieb: "Selbst der Enthusiasmus und die Hingabe Knudsens, der vor seinem schwerbeladenen Schreibtisch in Washington sitzt, können nicht das Unmögliche erreichen. Er kann nicht 'Gestern' zurückkaufen. Die härteste Tatsache, die über unser Flugzeugbauprogramm zu sagen ist, ist, daß Flugzeuge und Maschinen nicht dann plötzlich da sein können, wenn man sie verlangt. Es liegen vielmehr Jahre zwischen der Auftragserteilung und der Ablieferung. Kriege werden durch einige wenige Entscheidungen gewonnen. Aber diese Entscheidungen müssen lange im voraus getroffen werden. Das wußte Hitler, das wußte Göring. Die Erklärung für unsere gegenwärtige geringe Produktion an Flugzeugen ist einfach die, daß die Aufträge nicht eher erteilt wurden. Das ist eine wenig angenehme Wahrheit. Aber es ist die Wahrheit."

In den Engpässen, in die die amerikanische Aufrüstung sich alsbald gezwängt sah, entwickelte sich schnell auch noch ein anderer Gefahrenherd. Eine Preissteigerung auf allen Gebieten schien unvermeidlich. Vom Herbst 1941 ab überschritten die Verknappungserscheinungen die Sphäre der Produktionsgüter und griffen unmittelbar in die der Konsumgüter über. Die Industrie errechnete, daß sie ohne Preissteigerung don vielfältigen Aufgaben nicht gewachsen sei. Die Arbeiter verlangten höhere Löhne, nachdem sie sahen, daß sie für den Dollar immer weniger erhielten. Das Gespenst der Inflation pochte unvermutet an die Tore der Vereinigten Staaten. Leon Henderson, dem die Aufgabe der Preisregulierung übertragen wurde, begann ein System auszuarbeiten, das praktisch lebhaft an die ersten Regelungen der NIRA von 1933 bis 1934 erinnerte. Der Plan, die Industrie durch die Preiscodes zu binden, tauchte plötzlich wieder auf, nachdem er solange in der Versenkung verschwunden war. Daneben wurde es notwendig, ein völlig neues Steuersystem einzuführen, in dem die Einkommensteuer zum erstenmal von wirklicher Bedeutung in den Vereinigten Staaten sein wird. Während wir dieses Buch abschließen, sind diese Probleme alle noch völlig offen, und wir müssen uns mit dem Hinweis begnügen, daß die amerikanische Kriegswirtschaft Fragen aufwirft, die den amerikanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsaufbau wesentlich verwandeln werden. Zu welchem Ende, kann indes niemand voraussagen.

Die drängenden inneramerikanischen Probleme sind durch die Einbeziehung der Vereinigten Staaten in den Krieg einer Lösung nicht nähergebracht worden. Die Aufrüstung, von der sich Roosevelt in Verbindung mit dem Notstand alles versprach, erwies sich keineswegs als ein Zaubermittel. Sie brachte vielmehr alle Widersprüche, in denen die amerikanische Gesellschaft befangen ist, nur noch schärfer zum Vorschein. Der Appell an die nationale Disziplin, der niemals wirkungslos ist, mag dies für eine gewisse Zeit übertönen, aber er wird nicht ausreichen. Auch wenn die letzte dünne Scheidewand, die die Vereinigten Staaten im Herbst 1941 vom Krieg noch trennt, gefallen sein wird, wird das amerikanische Volk nicht wissen, warum es eigentlich die ungeheueren Anstrengungen und Entbehrungen eines modernen Angriffskrieges auf sich nehmen muß. Nach zwei Jahren intensiver Kriegsagitation wollen noch immer 80 v. H. an diesem Krieg selbst nicht beteiligt sein. Sie wissen nicht, weshalb er sie überhaupt angeht. Roosevelt sah

 

316] Bilanz der Aufrüstung

ganz mechanisch in der Entfesselung und in der Teilnahme an dem Krieg ein Allheilmittel für die verfahrene innere Lage. Die Hochfinanz sah die Möglichkeit neuer Milliardengewinne. Das Volk aber sah nichts. Es fühlte sich weder bedroht noch wollte es sich im Grunde über die westliche Erdhälfte hinaus an den Streitigkeiten der übrigen Weltmächte beteiligen. Hier nun wurde ein neues Instrument der Verlockung in das Orchester der Kriegstreiber eingeführt, das zuerst als sanfter, dunkler Unterton, aber bald alles übertönend mit mächtigstem Fortissimo gespielt wurde:

Die Möglichkeit einer amerikanischen Weltherrschaft als das Ergebnis dieses Krieges wurde plötzlich zum Leitmotiv der inneren Propaganda.

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