GISELHER WIRSING

Der maßlose Kontinent

Roosevelts Kampf um die Weltherrschaft

TEIL VII

317] Die Proklamation des "Amerikanischen Jahrhunderts"

Die Junisonne lag über den Ufern des breit dahin rauschenden und noch so indianisch anmutenden Potomak. Man zählte das Jahr 1939. Nur wenige Monate noch trennten die Welt vom Kriege. Entlang den verträumten Wegen, die durch hohes Gras zum Fluß hinabführten, standen die Posten der Nationalgarde. Einige Dampfboote legten an, und bald fuhr eine große Gesellschaft hinauf zu dem freundlichen, von Kastanien umschatteten Landsitz des Gründers der amerikanischen Republik. Das bescheidene Haus in seinen strengen und edlen Maßen, weiß schimmernd im Grün der saftigen Wiesen, erwartete den seltsamsten Besuch, seit es erbaut war. Die Gesellschaft hielt sich nicht lange dort auf. Der schlanke Herr in der blauen Uniform eines englischen Admirals, der im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller stand, versuchte die leichte Verlegenheit, die bei diesem Anlaß nicht zu vermeiden war, durch gezwungene Scherze zu übertönen. Man stieg wieder in die Wagen und fuhr noch ein kleines Stück seitwärts in ein niedriges Gehölz, bis sich ein unscheinbares Tempelchen aus rotem Backstein erhob. Das Gitter vor dem Eingang war geöffnet. Das Innere barg einen einfachen Sarkophag. Dort legte der Admiral einen Kranz nieder, auf dessen Schleife stand: "George VI. and Elissabeth to George Washington."

 

318] Eine Weissagung Carnegies

Im Jahre 1886 hatte Andrew Carnegie, der Stahlkönig, der bei seinem Tode ein Vermögen von 400 Millionen Dollar hinterließ, in einem Buch, das er "Die triumphierende Demokratie" genannt hatte, geschrieben: "So wird also Amerika die Welt bald zu seinen Füßen sehen; die amerikanische Verfassung wird mehr und mehr als das Muster aufgestellt werden, das neue Nationen adoptieren und die alten zu erreichen suchen werden."

War nicht in jenen Junitagen der Traum Carnegies zur Wirklichkeit geworden?

Hatte nicht der König Britanniens und der Dominien, der Kaiser von Indien, das Oberhaupt über mehr als 500 Millionen Menschen vor demjenigen Mann seine Reverenz gemacht, der als Abtrünniger und Rebell dem britischen Diadem einst den schönsten Stein ausgebrochen hat? Bei jener Zeremonie am Grabe Washingtons sah das britische Königspaar ein wenig hilflos aus. Sie waren die einzigen unter allen Anwesenden, die sich zu bemühen versuchten, den tieferen Sinn dieses Aktes nicht zu verstehen. Hätte man sich denken können, daß die Urgroßmutter, die alte Queen, zu jenem Ort gewallfahrtet wäre? Oder selbst der elegante Eduard VII.? Nicht einmal der Vater des regierenden britischen Königs hätte dies über sich gebracht. Es wäre ihm als ein Verstoß gegen all das erschienen, was die englische Tradition seit Jahrhunderten aufgebaut hat. Es mag sein, daß in jenem Augenblick George Washingtons einunddreißigster Nachfolger, als er der Zeremonie seiner königlichen Gäste zusah, zum erstenmal plastisch das Ziel vor Augen sah, der schon drohend am Horizont heraufziehende Krieg müsse dazu benutzt werden, um eine amerikanische Weltherrschaft aufzurichten.

Noch war es wohl nicht so weit, daß "Amerika die Welt zu seinen Füßen sah", wie Carnegie prophezeit hatte. Aber sprachen nicht viele Zeichen dafür, daß es dahin kommen könnte? War es nicht schon deutlich, daß Britannien ganz anders noch als während des Weltkrieges um die Vereinigten Staaten werben mußte, wenn es das Risiko des Krieges auf sich nehmen wollte? War es nicht sogar schon so, daß Britannien diesen Krieg führen mußte, weil Amerika dies wollte? Und war damit nicht bereits das britische Weltreich

 

319] Union Now

der letzten Souveränität seiner eigenen Entscheidungen über Krieg und Frieden, Leben und Tod, Herrschaft und Untergang beraubt?

In jenen Tagen war dies alles nur im Keim zu sehen. Aber schon ein Jahr später, im Juni 1940, sollte Churchill von der Tribüne des Unterhauses ausrufen: Niemand kann die Vereinigung des Empires mit Amerika aufhalten. "Wie der Mississippi", sagte er in Anlehnung an ein altes amerikanisches Negerlied, "strömt es dahin, laßt es strömen! Laßt es strömen mit starken Wellen zu breiteren Ufern und besseren Tagen – it just keeps rolling along." Das war sehr poetisch gesagt. Dahinter aber stand kalt und nüchtern der Anspruch Amerikas auf die Beherrschung der Welt, die England entglitten ist.

Vvenige Monate vor dem Königsbesuch in Washington war gleichzeitig in London und New York ein Buch eines amerikanischen Publizisten erschienen, das unter dem Titel "Union Now" den ins einzelne ausgearbeiteten Vorschlag einer Vereinigung Englands, der Vereinigten Staaten, Frankreichs und der kleineren westeuropäischen Demokratien in einem Bundesstaat enthielt. Das Echo, das diese Veröffentlichung erfuhr, war ungewöhnlich. Wickham Steed, der Herausgeber der "Times" während des Weltkrieges und seitdem der Erzfeind einer deutsch-englischen Verständigung, erklärte, das Buch sei epochemachend. Lionel Curtis, der große Theoretiker des modernen britischen Imperialismus, schrieb, das Buch sei ein Meilenstein der Geschichte. Sein Verfasser war Clarence K. Streit.

Streit1 war als junger Mann mit einem Sonderauftrag dem amerikanischen Geheimdienst von Wilsons Friedensdelegation in Paris zugeteilt worden und hatte seit 1929 die "New York Times" in Genf vertreten. Dort war er mit dem unzulänglichen Apparat der Liga in enge Berührung gekommen und hatte den Gedanken gefaßt, einen viel zugkräftigeren Plan in die Debatte zu werfen. Der Erfolg seines Buches gerade in England war erstaunlich und be-

1 Clarence Streit ist wohl Halbjude; seine Mutter hieß Emma Kirshman.

 

320] Der Unionsplan

zeichnend für die Situation; denn das in "Union Now" entwickelte Programm konnte überhaupt nicht anders verstanden werden als ein Versuch Amerikas, sich nicht nur das britische Empire, sondern auch die Hälfte Europas auf kaltem Wege durch das Ausspielen seiner Übermacht einzuverleiben. Streit verlangte also einen staatlichen Zusammenschluß der Vereinigten Staaten mit England, den fünf Dominien, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und der Schweiz. " Zusammen", so schrieb er, "besitzen diese fünfzehn Länder ungefähr die halbe Erde, beherrschen sie alle Ozeane, regieren sie die halbe Menschheit. Annähernd zwei Drittel des Welthandels wickelt sich zwischen ihnen und ihren Besitzungen ab. Sie besitzen praktisch das gesamte Gold der Welt und fast den gesamten in den Banken aufgehäuften Reichtum, vereint wären sie die stärkste Militärmacht."

Der springende Punkt in Streits Plan war nun, daß sämtliche Staaten, die der neuen Union beitreten sollten, ihren kolonialen Besitz als Eigenbesitz verlieren und an das neue Machtgebilde abgeben sollten. Dieses aber sollte genau nach dem Muster der amerikanischen Verfassung aufgebaut werden. Hierdurch sollten durch ihre Bevölkerungsstärke die Vereinigten Staaten das Übergewicht gewinnen. Je eine halbe Million Stimmen sollte berechtigt sein, einen Abgeordneten für das neue Unionsparlament zu wählen. Unter 540 Sitzen, die dieses Parlament haben würde, wären dann 252 amerikanisch – unter Hinzurechnung von 21 kanadischen Sitzen 273, also die Mehrheit. Auf den Verfassungsplan, der völlig naiv gerade jene amerikanischen Einrichtungen auf das neue Machtgebilde übertragen will, deren verkrampfte Erstarrung wir kennengelernt haben, lohnt es sich kaum näher einzugehen. Interessant ist daran nur, daß die südamerikanischen Republiken auffälligerweise von diesem nordamerikanischen Vorschlag ausgeschlossen bleiben sollten. Sie sollten offenbar den Vereinigten Staaten als gesonderte Herrschaftsdomäne freundlichst vorbehalten bleiben. Dafür wünschte Streit die historische Einheit Europas zu zerschlagen und durch die Einbeziehung sowohl Frankreichs wie der kleineren Staaten, die man damals als "Oslogruppe" bezeichnete, quer durch den europäischen Kontinent eine Scheide-

 

321] Der Unionsplan

linie zu legen, bis zu der praktisch der amerikanische Herrschaftsbereich vorgeschoben werden sollte.

Auf diese Weise sollten nicht nur die britischen, sondern auch die französischen, belgischen und holländischen Kolonien in das von Amerika beherrschte Machtgebilde eingebracht werden. Indien sollte bezeichnenderweise die Gleichberechtigung versagt bleiben. Die übrigen Völker, vor allem Deutschland, Italien und Japan, aber auch China und der Sowjetraum sollten nach Streits damaliger Ansicht durch die Errichtung einer solchen Union allmählich zur Aushungerung, zur machtmäßigen Einschrumpfung gebracht und schließlich zur Anerkennung der amerikanischen Lebens- und Machtform als dem obersten Gesetz der Welt gezwungen werden. Phantastisch? Absurd? Jedenfalls höchst bezeichnend dafür, wie sich in amerikanischen Köpfen das Bild der Welt zu malen begann.

Streits Programm wäre kaum der Erwähnung wert, wenn es nicht in der gesamten angelsächsischen Welt eine ungewöhnliche Resonanz hervorgerufen hätte. In England sowohl wie in Amerika wurde alsbald die Werbetrommel für diesen Plan mit lautem Schall gerührt. Streit selbst begann eine Organisation aufzuziehen, das Geld hierzu kam von den Bankhäusern Morgan und Altschul (Lazard Freres), die wir bereits als die Geldgeber für das William-Allen-White-Komitee kennengelernt haben. In Washington wurde ein Union-Press-Verlag und entsprechende Korrespondenzen gegründet. Versammlungen im ganzen Land erregten immer größere Aufmerksamkeit. Ganzseitigen Anzeigen in den großen Zeitungen folgten Artikel in den Zeitschriften selbst. Henry Luce stellte seine einflußreichen Organe "Life", "Time" und "Fortune" zur Verfügung. Die ebenfalls weitverbreitete illustrierte Zeitschrift "Look" brachte bereits die Abbildungen der Persönlichkeiten, die den künftigen Kongreß der "Union" bilden sollten1. Schließlich aber übernahm Eleanor Roosevelt den Vorsitz in einer Versammlung2, auf der Clarence Streit in Washingtons größtem Saal, der Constitution Hall, sein Programm vor den Spitzen der amerikanischen Gesellschaft entwickelte.

Damit war angedeutet, daß das Kriegsziel des Präsidenten in

1 29. Juli 1941
2 20. Februar 1941.

 

322] Roosevelts vierter Gehirntrust

dieser oder jener Abwandlung mit dem Programm von Union Now übereinzustimmen schien. Die Außenpolitik Roosevelts, deren aggressive und expansive Entwicklung wir Schritt für Schritt verfolgt haben, mündete nun also in ein Programm ein, das die Beherrschung der Welt offen zum Ziele hatte. Der Präsident selbst vermied es natürlich, sich in der Öffentlichkeit bereits vorzeitig festzulegen. Die gut informierte Zeitschrift "News Week" berichtete indes1: "Der Präsident und Frau Roosevelt sind beide außerordentlich an der universalen Idee einer Weltunion interessiert und haben sich hierüber in verschiedenen privaten Unterredungen mit Clarence Streit eingehend unterhalten. Natürlich wird das Staatsoberhaupt dieses Thema nicht öffentlich anschneiden, ehe es nicht durch eine längere Zeit hindurch zur öffentlichen Diskussion gestellt und ehe nicht das isolationistische Grundgefühl der Amerikaner gebrochen ist."

So wurde Clarence Streit zum Intimus des Weißen Hauses, wie andererseits zum außenpolitischen Berater von Willkie. Abermals bildete sich um den Präsidenten ein neuer Gehirntrust. Nunmehr der vierte. Der erste unter Rosenman und Moley war völlig innerpolitisch auf das New Deal gerichtet. Der zweite mit Frankfurter, Corcoran und Cohen verband mit den Ideen des New Deal bereits die außenpolitische Konzeption des Kampfes gegen den Nationalsozialismus. Der dritte mit Berle und Welles setzte sich das Ziel, den Krieg unvermeidlich zu machen, ohne daß dadurch die Vereinigten Staaten selbst durch eine unmittelbare Beteiligung engagiert werden sollten. Der vierte Gehirntrust nun ging einen wesentlichen Schritt weiter. Die Unterwerfung des gesamten Erdkreises unter die amerikanische Macht und unter die amerikanischen Ideen wurde sein Programm. Willkie, Streit, der Verleger Henry Luce und Willkies Wahlmanager Davenport, der Herausgeber der Zeitschrift "Fortune", bildeten den Kern dieses neuen geheimen Kreises um das Weiße Haus. Drüben aber mußte Churchill rufen: "It just keeps rolling along …"

Streits ursprüngliches Programm wurde durch die Ereignisse des europäischen Krieges verändert. Vom Sommer 1940 ab hatte es

1 30. September 1940.

 

323] Angelsächsischer Überstaat

keinen Sinn mehr, Frankreich, Holland, Belgien und die skandinavischen Länder in diesen Plan einzubeziehen. In Frankreich hatte man zudem der unter dem Titel "Union ou Chaos" erschienene Übersetzung von Streits Buch keine ernstliche Bedeutung beigemessen, da es selbst dem anglomansten Franzosen klar war, daß ein solches Programm das Ende Frankreichs überhaupt bedeuten mußte. Streit hatte entsprechend der neuen Lage hurtig auch ein neues Programm entworfen. Es hieß jetzt einfach: Union now with Britain. Das Beiwerk fiel weg. Die Frage blieb übrig, ob die Vereinigten Staaten und das Empire in einen angelsächsischen Überstaat unter amerikanischer Führung verwandelt werden könnten. Auch hier wiederum wurde der Vorschlag ganz naiv und konkret bis in die letzten Einzelheiten hinein ausgearbeitet. Das angelsächsische "Überparlament" sollte nun aus 49 Männern bestehen:  aus 27 Amerikanern und 22 englischen und Empirepolitikern mit Roosevelt als Präsidenten und Churchill als Premierminister. Dieser neue Vorschlag Streits war das Ergebnis seiner Unterhaltungen mit dem Präsidenten. Ganz Washington sprach davon, daß Roosevelt selbst dieses Verhältnis der britischen und amerikanischen "Parlamentssitze" festgelegt hatte.

An England waren es von Anfang an zwei verschiedene Kreise, die sich für das Unionprojekt einsetzten: die imperialistischen Empirepolitiker, die sich von Cecil Rhodes und Lord Milner herleiteten, und andererseits ein kleiner, aber einflußreicher Kreis intellektueller Juden der linksliberalen Richtung. Die Imperialisten standen zunächst im Vordergrund.

Cecil Rhodes hatte in seinen letzten Lebensjahren den Plan gefaßt, nach dem Muster der Jesuiten eine geheime britische Gesellschaft zu gründen, deren Mitglieder in allen Teilen des Empires für die Idee der beständigen Erweiterung des Weltreichs arbeiten sollten. In seinem Testament vermachte er infolgedessen sein Geld für eine Reihe von Stiftungen, die dem folgenden Zwecke dienen sollten: "Der Ausdehnung der britischen Herrschaft über die Welt

 

324] Amerikanisierung oder Anglisierung

und insbesondere der Besitzergreifung des gesamten afrikanischen Kontinents durch britische Siedler sowie der Besitzergreifung von Palästina, Mesopotamien, Cypern, Kreta, Südamerika, der Küste Chinas und Japans und", so schließt fundamental dieser Absatz des Testaments: "der schließlichen Wiedereinfügung der bereinigten Staaten als eines integralen Bestandteils des britischen Empire."

Ungefähr gleichzeitig umriß Andrew Carnegie die amerikanischen Wunschträume: "Der einzig mögliche Weg für England besteht in der Wiedervereinigung mit seiner gigantischen Tochter. Andernfalls müßte Britannien mit Sicherheit auf einen zweitrangigen Platz abstürzen. Es wäre damit zu verhältnismäßiger Bedeutungslosigkeit verurteilt."

Carnegies Ausspruch und Rhodos Testament stammen aus den Jahren kurz vor der Jahrhundertwende. 1902 schrieb ein amerikanischer Schriftsteller T. W. Stead – er war sowohl mit Carnegie wie mit Rhodes in Fühlung – ein Buch mit dem alarmierenden Titel "The Americanization of the World". Für das Programm einer Union gab es also sowohl von England wie von Amerika her tiefreichende Wurzeln. Die Frage war allerdings, ob entsprechend dem Programm von Rhodes die Vereinigten Staaten wieder zu einem Glied des Empire werden oder ob entsprechend dem Programm von Carnegie das Empire zu der Außenbastion der Vereinigten Staaten gemacht werden sollte. An dieser Problematik hatte sich nichts geändert, als im Frühjahr 1939 sowohl in England wie in Amerika plötzlich das Thema einer angelsächsischen "Federal Union" aufgeworfen wurde. Die Engländer und die Amerikaner meinten jeweils etwas völlig anderes, wenn sie von "Union Now" sprachen. Beide glaubten mit dem Programm einer Wiedervereinigung der angelsächsischen Mächte eine besonders schlaue Formel gefunden zu haben, um den künftigen Partner in großem Stil hereinzulegen.

Auf englischer Seite war es um jene Zeit besonders der Kreis um "Round Table", die vielleicht wichtigste politische Zeitschrift des Empire unter der Führung Lord Lothians, der sich mit einer gewissen Begeisterung für die Idee einer Federal Union einsetzte. Dieser Kreis bestand aus den unmittelbaren Nachfahren von Cecil

 

325] Ideen des Round-Table-Kreises

Rhodes und Lord Milner. Er hatte sich in Südafrika während des Burenkrieges zusammengefunden und hatte nach 1902 die neue föderalistische Verfassung Afrikas entworfen, die in der Tat den letzten großen propagandistischen Erfolg der Empire-Idee dargestellt hatte. In eingeweihteren Kreisen nannte man diese Gruppe "Lord Milners Kindergarten". Ihr gehörten neben Lothian, der im Herbst 1939 zum Botschafter in Washington ernannt wurde, der inzwischen ebenfalls verstorbene Generalgouverneur von Kanada Lord Tweedsmuir an, sowie Geoffrey Dawson, der frühere Chefredakteur der "Times", und zahlreiche Persönlichkeiten, die an den wichtigsten Kommandostellen des Empire, wie teilweise auch der Finanzzentren der City, standen. Das Royal Institute for International Afiairs (Chatham House) in London war ihr großes Propagandabüro. Hier wurde die Empirepolitik entworfen. Hier traf sich der innerste Kreis der britischen Macht, soweit er nicht den in noch größerer Stille wirkenden jüdischen Zentralen angehörte. Der geistige Mittelpunkt dieser Gruppe war der Oxforder Professor Lionel Curtis, der gerade 1939 ein umfangreiches Buch über die künftige Weltordnung vollendet hatte, in dem bereits von englischer Seite der Plan eines föderalistischen Weltstaates unter britischer Führung erörtert wurde.

Diese Männer um "Round Table" sahen den Krieg vom Jahr 1938 ab als unvermeidlich an, sie teilten indes nicht den leichtfertigen Optimismus eines Churchill oder Eden. Sie wußten vielmehr nur zu genau, wie schwach England war. Der Gedanke einer britisch-amerikanischen Union erschien ihnen dalier als Hoffnungsstrahl. Ließ sich nicht auf diesem Umweg die furchtbare Gefahr, die sie im Falle eines Krieges über England schweben sahen, abschirmen? Bot sich nicht eine Möglichkeit, Amerika sofort in den Krieg zu verwickeln, wenn es mit England in einer irgendwie gearteten Union verbunden war? War nicht auf diese Weise auch die Möglichkeit für einen gewaltigen britischen Propagandafeldzug in den Vereinigten Staaten gegeben, dessen Erfolg man sonst angesichts des ausgesprochenen Friedenswillens der Mehrheit des amerikanischen Volkes skeptisch beurteilen mußte? Dieser Kreis, der den Gedanken der Union alsbald in zahllosen englischen Zeit-

 

326] Der amerikanische Gesichtspunkt

Schriften populär zu machen versuchte, sah also darin einfach ein Mittel, um den Krieg zu gewinnen. Daß diese Union unter britischer Führung stehen und entsprechend dem Testament von Rhodes letztlich auf eine Wiedereinfügung der Vereinigten Staaten in das britische Weltreich hinauslaufen würde, bezweifelte man im politischen Generalstab des Empire nicht. Zumindest sah er in diesem Programm einen Hinterausgang, durch den es gelingen könnte, die Substanz zu retten, wenn wirklich Not am Mann war.

Genau umgekehrt stellten sich diese Probleme den nüchternen Blicken der amerikanischen Kreise dar, die sich alsbald des Uniongedankens bemächtigten. Gewiß, die alte Vorliebe für die englische Lebensart spielte bei ihnen noch immer eine Rolle. Sie waren indes schon vor dem Ausbruch des Krieges zu der Überzeugung gelangt, die britische Firma befinde sich bereits in Liquidation und werde einen ernsthaften Zusammenstoß nicht mehr aushallen. Arthur Krock, der einflußreiche Hauptkorrespondent der "New York Times" in Washington, hatte dem bereits im Sommer 1938 nach einem kurzen Besuch in England offen Ausdruck gegeben:

"Die Londoner City", so schrieb er, "einst die Finanzhauptstadt der Welt, scheint endgültig abhängig von der Wirtschaft und dem Finanzkapital der Vereinigten Staaten geworden zu sein. Sie handelt und denkt kaum noch, ohne daß Amerika als Führer in Betracht gezogen wird … Die Tatsache, daß die Londoner City ihre finanzielle und wirtschaftliche Führerschaft an New York und Washington abgetreten hat, ist von erstrangiger Bedeutung. Die Änderungen, die dies mit sich bringt, sind erstaunlich und umfassend. Die ersten und die letzten täglichen Gedanken der britischen Börsenmakler, Bankiers und Industrieführer gehen nun nach New York und Washington. Die meisten von ihnen sind dauernd über den transatlantischen Fernschreiber gebeugt. Bei keinem früheren Besuch in England hat der Schreiber ähnliche Beobachtungen gemacht"1.

Diese Worte Krocks spiegelten genau das wider, was die maßgebenden Kreise der amerikanischen Hochfinanz über England dachten. Jenes amerikanische Überlegenheitsgefühl, dem Carnegie

2 New York Times, 10. August 1938.

327] Morgan finanziert "Union Now"

um die Jahrhundertwende bereits einen frühzeitigen Ausdruck gegeben hatte, begann nun die Szene zu beherrschen. Die Möglichkeit, Amerika könnte in nicht allzu ferner Zeit die ungeheure Erbschaft des britischen Weltreichs antreten, wurde nun wohl zum erstenmal konkret von der Hochfinanz in New York erwogen. Der Unionsgedanke war kaum in die Debatte geworfen, als ihn Morgan und Lamont aufgriffen und durch ihre Zweigstelle Morgan & Grenfell in England mit dem Einsatz bedeutender Geldmittel propagandistisch vertreten ließen. Das Haus Morgan trat dabei nach bewährter Methode nicht selbst in Erscheinung. Zur Finanzierung der Unionsbewegung in England wurde vielmehr eine von Morgan abhängige jüdische Maklergesellschaft Nathan & Roselli benutzt. Es waren dann auch vornehmlich die großen jüdischen Bankhäuser der City, die sich dem Unionsgedanksn schon damals uneingeschränkt zur Verfügung stellten. Der breiten Öffentlichkeit, die sich der fast unbemerkt eingetretenen Machtverschiebung zwischen London und New York noch keineswegs bewußt war, die vielmehr fest an den Fortbestand des britischen Zeitalters glaubte, erschienen diese Diskussionen zunächst nur als nebelhafte Hirngespinste. In der Stille der einflußreichen Klubs von Pall-Mall jedoch gab man sich keinen Täuschungen hin und erörterte eifrig, wie sich auch im Falle der Notwendigkeit einer Union mit Amerika die britische Vorherrschaft aufrechterhalten ließe.

Für beide Teile stand fest, daß die Einbeziehung Frankreichs und der kleineren europäischen Länder in den Unionsplan auf die eigentliche Gestaltung der "Weltführung", wie man sie sich für die Zukunft dachte, keinerlei Einfluß haben könne. Doch wurde Streits ursprüngliches Programm als nützlich empfunden, weil man auf diese Weise nicht nur große wirtschaftliche und koloniale Einflußgebiete in das Geschäft einzubringen hoffte, sondern vor allem auch jene Armeen, die man bei der kommenden Auseinandersetzung mit Deutschland als Blutspender im Westen und Norden Europas gegen die deutsche Wehrmacht auftreten lassen wollte.

Die Lenkung der großen Weltunion aber sollte den Angelsachsen vorbehalten bleiben. Ein deutscher Beobachter in London schrieb

 

328] England wird zum Bittsteller

später über jene Periode: "Es war faszinierend, mit welcher Geschicklichkeit die Amerikaner in England ihre zukünftigen Partner überspielten. Sie taten es mit einer wunderbaren Kenntnis der Naivität des britischen Überheblichkeitsempfindens. Sie erweckten in öffentlichen Diskussionen niemals den Anschein, als ob sie je daran zweifelten, daß in diesem zukünftigen Commonwealth Gleichberechtigung gewährt werden würde, und sie ließen die Engländer ruhig in dem Glauben, daß die Begabung zur Weltführung des 'old school tie – England' unsterblich sei und deshalb entsprechenden Führungsrang in der zukünftigen britischen Welt-GmbH. beanspruchen dürfe. Die Engländer ihrerseits machten hingegen unter vier Augen kein Hehl daraus, daß sie ihre lieben Vettern aus Amerika tüchtig über die Ohren zu hauen gedachten und daß das ganze Theater einer FederaI-Union nur ein notwendiges Requisit für die kommende Kriegführung sei, um die amerikanische Finanz an diesem Krieg möglichst hoch zu interessieren und um sie dann, wenn sie diesen Krieg für England finanziert und beliefert hätte, in der gleichen Weise zu verabschieden wie 1919"1.

Ab Mai 1940 änderte sich auch auf diesem Felde die Szene dramatisch. Der nur leicht verhüllte Ton der Geringschätzung gegenüber England, wie er schon in Krocks oben zitierter Äußerung mitschwang, wurde nun zum Leitmotiv der amerikanischen Haltung. Das stolze England war nach Dünkirchen innerhalb weniger Wochen nun auch in den Augen der Weltöffentlichkeit vom Gipfel seiner einsamen Machtstellung herabgesunken. Das Ende des britischen Zeitalters, das sich jahrzehntelang vorbereitet hatte, war plötzlich nicht mehr zu verbergen. Alle Gewichte im britischamerikanischen Verhältnis verschoben sich einseitig nach Washington und New York. Britannien sank in die Rolle eines Bittstellers herab, der offen zugeben mußte, daß er ohne fremde Hilfe nicht mehr imstande sei, den Krieg weiterzuführen und das Empire zusammenzuhalten. Die Abtretung der englischen Stutzpunkte im Karibi sehen Meer, auf den Bermudas und in Neufundland an die Vereinigten Staaten gegen 50 alte Zerstörer war hierfür nur ein Svmbol. Roosevelt bezeichnete diesen Austausch als das beste Ge-

 

1 Paul Graf Toggenburg, a. a. O.

 

329] Roosevelt als Erbe

schäft der Vereinigten Staaten seit dem Ankauf von Louisiana im Jahre 1803. Zum erstenmal seit Jahrhunderten konnte eine andere Weltmacht eine britische Notlage zu einer Erpressung kaltblütig ausnutzen. Wer hätte dabei nicht an die Umstände gedacht, unter denen einst England Gibraltar oder Cypern erworben hat.

Von noch prinzipiellerer Bedeutung war der merkwürdige Notenaustausch zwischen Hull und Lothian am 29. August und 2. September 1940 über die britische Flotte, durch den plötzlich enthüllt wurde, daß England offenbar bereits dicht vor der Kapitulation gestanden hatte. Roosevelt hat wahrscheinlich die Engländer wie im März 1939 zur Fortführung des Kampfes sogar mit Drohungen, wie sie bereits gegen Chamberlain angewandt worden waren, gezwungen, und dennoch mißtraute er ihnen. Nur so ist es zu erklären, daß Hull eine Note an Lothian richtete, in der er anfragte, ob es den Tatsachen entspreche, daß Churchill am 4. Juni 1940 im Parlament erklärt habe, daß die britische Flotte keinesfalls ausgeliefert oder versenkt würde, falls die Lage in den Gewässern um die britische Insel für die britische Flotte unhaltbar werde. Hull fragte weiter, ob in der Tat dann die britische Flotte nach Übersee zur Verteidigung anderer Teile des Empire entsandt würde. Diese Frage wurde von Lothian in einer Form bejaht, die keinen Zweifel übrigließ, daß die englische Flotte in einem solchen Falle praktisch mit der amerikanischen vereinigt werden würde.

Das waren geradezu einzigartige Dokumente. Roosevelt ließ sich als Voraussetzung für eine weitere Hilfe durch die Engländer formell bestätigen, daß er sie, falls sie dennoch unterliegen würden, wenigstens legitim beerben könne. Einige Wochen vorher hatte Churchill im letzten Augenblick Reynaud das Angebot einer englisch-französischen Union in der Hoffnung gemacht, er könne auf diese Weise die Flotte und das Kolonialreich des geschlagenen Frankreichs erben. Der wahre Machtcharakter hinter der Idee der Federal Union war damit von England selbst noch enthüllt worden. Nun aber mußte es sich gefallen lassen, daß diese selbe Methode von Amerika gegenüber Britannien angewandt wurde. Frankreich hatte unter dem Einfluß Pétains selbst in der schwersten Stunde das britische Ansinnen abgelehnt. England hingegen mußte

 

330] Der Seniorpartner

das amerikanische Ultimatum, das indirekt in diesem Notenwechsel enthalten war, bedingungslos annehmen und die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten im künftigen englisch-amerikanischen Verhältnis rückhaltlos anerkennen,

Dies war kaum geschehen, als in Amerika alle Dämme kluger Zurückhaltung gegenüber dem englischen Partner brachen. Hatte man vor dem Ausbruch des Krieges die englisch-amerikanischen Unionspläne noch im Sinne einer Gleichberechtigung beider Mächte entwickelt, so wurde von nun ab in Amerika die Oberherrschaft und die letzte Entscheidungsgewalt gefordert. Kaum, daß man sich noch Mühe gab, die Demütigung und Unterwerfung Englands in verschleiernde Worte zu kleiden – der absolute amerikanische Weltherrschaftsanspruch trat nun schrankenlos auch gegenüber Britannien hervor. Regierung, Hochfinanz und Publizistik einigten sich auf die Formel, in der künftigen amerikanischbritischen GmbH. müsse den Vereinigten Staaten die Rolle des Seniorpartners und England die des Juniorpartners zufallen. Die britische Oberschicht, die, von Verblendung geschlagen, diese Entwicklung selbst heraufgeführt hatte, verstummte vor Ingrimm und Entsetzen. Lord Lothian, der sich die Verbindung der beiden angelsächsischen Weltreiche wesentlich anders vorgestellt hatte, starb buchstäblich an gebrochenem Herzen.

Diese Oberschicht mußte indes die Folgen ihrer eigenen Fehler tragen und durfte nicht einmal ihre wahren Gefühle offen ausdrücken. Sie hatte sich im März 1939 dem Ultimatum Roosevelts gebeugt und damit die Entwicklung, die zum Kriege treiben mußte, eingeleitet. Sie hatte im Juli und August 1940 wiederum auf eine ultimative Forderung Roosevelts hin die durch Adolf Hitler gebotene große Chance, den Krieg ehrenvoll zu beenden, nicht ergriffen. Nun war sie zum Schweigen verurteilt. Ein Frieden mit Deutschland hätte die Erhaltung des Empire und die Zurückdrängung des amerikanischen Vorherrschaftsanspruches bedeutet. Nur der Verzicht auf eine hegemoniale britische Politik in

 

331] Der Seniorpartner

Europa wäre notwendig gewesen. Unter dem Druck und im Vertrauen auf Roosevelt hatte man dies in London ausgeschlagen und sich dem Vabanquespieler Churchill anvertraut, der als Halbamerikaner auch gar nicht das Gefühl hatte, daß mit der Entscheidung für die Fortsetzung des Krieges die Souveränität der britischen Weltmacht im früheren Sinne unter allen Umständen verlorengehen müsse.

Der vierte Gehirntrust Roosevelts trat in Aktion. Man ließ die Wahlen vorübergehen, um dann sofort mit neuen Formulierungen vor die Öffentlichkeit zu treten. Henry Luce, der sowohl Morgan wie dem Präsidenten nahestehende Generaldirektor des "Time"-Zeitschriftenkonzerns, entfaltete das Sternenbanner über Britannien. "Beinahe alle Sachverständigen", schrieb er in "Life", "sind sich darüber einig, daß England allein den Krieg nicht gewinnen kann. Wenn nun auch England von Zeit zu Zeit seine Kriegsziele verkündet, so ist doch das amerikanische Volk ständig in der Lage, diesen britischen Kriegszielen auf das wirksamste zuzustimmen oder sie abzulehnen. Im Gegensatz hierzu aber wird England unter allen Umständen zustimmen müssen, wenn Amerika etwa Kriegsziele proklamieren sollte." Zu glauben, daß Amerika das Spiel Englands spiele, sei geradezu absurd. Dies sei höchstens in der Vergangenheit so gewesen. Für die Gegenwart aber gelte:

"Großbritannien ist bei jeder Art von Partnerschaft mit dem britischen Empire vollkommen bereit, daß die Vereinigten Staaten die Rolle des Seniorpartners übernehmen. Dies gilt schon seit langem. Ernst zu nehmende Engländer haben daher immer bedauert, daß Amerika nicht die Möglichkeit, sich die Führung in der Welt anzueignen, längst ergriffen hat." Diese Behauptung belegte Luce mit einem Zitat aus der Londoner Wirtschaftszeitschrift "Economist"2, das lautet: "Wenn irgendeine ständige engere Verbindung zwischen England und den Vereinigten Staaten erreicht wird, kann ein Inselvolk von weniger als 50 Millionen

 

1 17. Februar 1941.

 

2 Der "Economist" ist im Besitze von Churchills abenteuerlicher Kreatur Brandan Breckan, einem Finanzpiraten, der erst als Privatsekrelär Churchills und dann als Informationsminister beschäftigt wurde. Man sieht, wie sich hier die Bälle gegenseitig zugespielt werden.

 

332] "Wir führen nun unseren eigenen Krieg"

nicht erwarten, daß es dabei der Seniorpartner wird. Der Schwerpunkt und die letzten Entscheidungen müssen in wachsendem Maße in Amerika liegen. Wir können diese historische Entwicklung nicht aufhalten." Daraufhin sprach Luce als Sprachrohr des Weißen Hauses den folgenschweren Satz aus: "Die überragend wichtige Feststellung, die hier zu machen ist, lautet, daß jetzt die Gelegenheit, die Führung zu ergreifen, bei uns ist. Wir führen nun unseren eigenen Krieg."

Der Aufsatz von Luce wurde als ein zwei Seiten füllendes Inserat von den "New York Times" übernommen und hundertfach nachgedruckt. Es war nicht die Stimme eines verstiegenen Einzelgängers, die sich hier erhob, es war die neue Roosevelt-Doktrin. Nach der Ablehnung des letzten deutschen Friedensvorschlages war nun England auf Gnade und Ungnade an den amerikanischen Wagen gefesselt. Man ersparte ihm nichts. Im Weißen Haus ging man zwar noch immer mit einer gewissen Behutsamkeit zu Werke;

dies hatte aber lediglich innerpolitische Gründe, weil der Präsident noch nicht glaubte, daß das Volk schon zu dem neuen Weltherrschaftsanspruch "erzogen" sei. Um so offener sprachen sich die Zeitschriften aus.

Ein Jude Rubin Gotesky machte den Vorschlag1, England müsse, um die Schwierigkeiten einer Verfassungsänderung, wie sie entsprechend dem Plane von Streit notwendig wäre, zu vermeiden, mit seinen sämtlichen Dominions und Kolonien um Aufnahme in die Vereinigten Staaten bitten. Das Schlagwort "England, der 49. Staat der USA.", wurde plötzlich geläufig. In "Current History"2 konnte man lesen: "Der Mittelpunkt der bisherigen Weltordnung in Europa geht unter. Keine Nation auf oder in der Nähe dieses Kontinents ist in der Lage, die Führung für eine neue dauernde Weltordnung zu übernehmen … Dieses europäische Unvermögen zwingt Amerika dazu, entweder die Führung in der kommenden Epoche zu übernehmen oder sich mit einem neuen dunklen Mittelalter von unbegrenzter Zeitdauer abzufinden. England wird als Schuldnernation aus diesem Krieg hervorgehen. Der erste Weltkrieg kostete Großbritannien seine Gläubigerposition in

 

1 The Living Age, Juni 1941.

 

2 Juni 1941.

 

333] Ein erbarmungsloses Geschäft

Nordamerika – sowohl in den Vereinigten Staaten wie in Kanada. Der zweite wird es den größten Teil seiner noch verbliebenen Investitionen in Südamerika und im Fernen Osten kosten … Im besten Falle können die Engländer erreichen, daß sie ihre Existenz als Volk retten. Dagegen werden sie nicht mehr über die vitalen Reserven verfügen, um die Führung der Welt in einer neuen Epoche zu übernehmen … Der einzige Frieden, an dem wir überhaupt Interesse haben, ist eine Pax Americana, genau in demselben Sinne, in dem es einstmals eine Pax Romana und Pax Britannica gegeben hat." Und noch deutlicher werdend erklärte Gotesky:

"Das konservative Element in England wird einer solchen Entwicklung für kurze Zeit hartnäckigen Widerstand entgegensetzen. Es sah stets in Amerika seinen großen Handelsrivalen. Es war empört über die Durchdringung Kanadas mit amerikanischem Kapital. Trotzdem sind annähernd 50 v. H. aller Werte in Kanada bereits in amerikanischem Besitz. Wenn England sich mit den Vereinigten Staaten zusammenschließen muß, bedeutet dies, daß es noch weitere Märkte dem amerikanischen Kapital öffnen muß. Warum, so fragen diese englischen Konservativen, sollen sie an die Amerikaner ihre hart erworbenen Profite abtreten? Aber angesichts der Tatsachen, wie sie jetzt in der Welt vorliegen, lösen sich diese Argumente in Rauch und Dunst auf …"

Hier war also nicht mehr von Moral und Humanität die Rede, sondern nur noch von einem erbarmungslosen Geschäft. Gewiß, es waren dies alles noch "private" Stimmen, aber die amerikanische Regierung handelt genau nach diesem Rezept. Auf die Verpachtung der Westindischen Inseln folgte eine amerikanische Option auf das Öl der Bahreininseln im Persischen Golf. Gleichzeitig verkündete Schatzsekretär Morgenthau im Januar 1941, England habe nun einen Offenbarungseid geleistet, und es habe sich erwiesen, daß praktisch kein Gold mehr auf der Insel sei. Es sei entweder schon in den Vereinigten Staaten oder auf dem Wege dorthin. Harry Hopkina und Wendell Willkie erschienen in London, um eine Bestandsaufnahme der englischen Zahlungs- und Leistungsfähigkeit zu machen. Unter dem Deckmantel des Leih- und Pachtgesetzes sollte das große Geschäft des britischen Ausverkaufs vor sich gehen.

 

334] Die Umkehrung der Geschichte

Die Engländer sahen sich schließlich nach der Verkündung des amerikanischen Anspruches auf die Seniorpartnerschaft in der verzweifelten Lage, daß sie nun unter allen Umständen den Krieg verlieren werden, sei es an den Feind oder – an den Freund.

Die amerikanische Rechnung lautste nun so: Verliert England, so tritt automatisch Amerika das Erbe zumindest in Kanada, wahrscheinlich aber auch in anderen Teilen der Welt an. Kann sich hingegen England halten, so ist es in jedem Falle so geschwächt, daß es im Rahmen der neuen angelsächsischen Kombination nur noch die Rolle des Brilliant Second zu spielen vermag und dem amerikanischen Kapital wie der amerikanischen Macht die erste Rolle überlassen muß. Wahrend Roosevelt Deutschland beständig als den Hauptfeind bezeichnete und die Reihe seiner Angrisshandlungen abspielen ließ, schickte er sich an, als der Testamentsvollstrecker der britischen Weltmacht aufzutreten.

Das amerikanische Volk war auf eine solche Entwicklung in keiner Weise vorbereitet. Weder was die innere wirtschaftliche Verfassung nach dem Fiasko des New Deal anging noch was die Rüstung und den Einsatz tatsächlicher Macht anbetraf, war es in der Lage, größere Verantwortungen zu übernehmen. Ja, selbst auf dem Felde der Idee gab es keinen innerlich begründeten Führungsanspruch – nicht einmal gegenüber England. Die ganze amerikanische Geschichte widersprach ja offensichtlich einer solchen Entwicklung. Schließlich stand an ihrem Anfang der Unabhängigkeitskrieg. Schließlich war George Washington als der Staatsgründer der Heros des Kampfes gegen England gewesen. Man scheute indes vor nichts zurück. Der amerikanische Romanschriftsteller Kenneth Roberts schrieb ein dickleibiges Buch "Oliver Wiswell", das in eine Verherrlichung der Feinde George Washingtons einmündete und den Unabhängigkeitskrieg als einen historischen Irrtum hinstellte. Der verräterische General Benedict Arnoid, der im englischen Solde Washington im gefährlichsten Augenblick in den Rücken gefallen war, wurde nun plötzlich zum Helden erhoben. Die jüdische Presse rührte die Werbetrommel und machte aus Kenneth Roberts' Buch den Bestseller des Jahres 1941. Während man in England gepreßt und schüchtern von einer "Heimkehr

 

335] Die Umkehrung der Geschichte

zur erwachsenen Tochter" sprach, wurde in Amerika für die "Wiedergutmachung des Unrechts von 1776" Reklame gemacht. Das Leih- und Pachtgesetz, das zufällig die Nummer 1776 trug, bot hierfür ein geeignetes Wortspiel.

Mit düsteren Worten umriß die skeptische "Saturday Evening Post" die neue Lage: "Es ist nicht ein neues Kapitel der amerikanischen Geschichte", so schrieb sie, "das jetzt aufgeschlagen wird. Es ist ein neues Buch mit einem neuen Thema. Die Geschichte, die mit der Erklärung der Unabhängigkeit begann, ist beendet. Wir haben mit unserer Vergangenheit gebrochen. Wir haben unsere Neue Welt, unsere Splendid Isolation, unsere geographischen Vorteile, durch die wir gegen jeden Angreifer wie 3:1 standen und unsere eigene politische Religion über Bord geworfen. Es gibt nicht länger mehr eine Monroe-Doktrin. Statt dessen gibt es jetzt einen amerikanischen Internationalismus, von dem wir nicht wissen, was er bedeutet. Von jetzt ab gibt es keinen fremden Krieg mehr für uns. Jeder Krieg, der irgendwo in der Welt geführt wird, ist jetzt auch unser Krieg."

In diesem Augenblick nun trat die zweite Gruppe, die neben der Hochfinanz an dem angelsächsischen Unionsgedanken von Anfang an auf das lebhafteste interessiert war, aktiv in Erscheinung: die linksliberal-jüdische. Sah die amerikanische Hochfinanz in dem Programm einer Federal Union ein riesiges Geschäft für unabsehbare Zeiten, so sah die liberal-jüdische Gruppe die Möglichkeit der Stabilisierung ihrer Macht. Den Präsidenten selbst finden wir wie immer in der Mitte zwischen beiden Gruppen mit Verbindungen nach allen Seiten. Sein Freund Felix Frankfurter steht im Mittelpunkt der zweiten Gruppe. Seit langem schon hatte er zu einem bestimmten Kreise britischer und jüdischer Intellektueller in London engste Verbindungen angeknüpft, der in Opposition zur herrschenden Partei der Torries stand. Neben bekannten "pazifistischen" Ideologen, die zur Erreichung ihres "Friedens" den Krieg für ein unvermeidliches Mittel hielten, wie Norman Angell, handelte

 

336] Verbindungsmann Laski

es sich hier vor allem um den Professor der Nationalökonomie Harald Laski, der sich in der Labour Party einen ungewöhnlichen Einfluß zu verschaffen gewußt hatte.

Laski, von unscheinbarem, etwas verweichlichtem Aussehen, ist der Sohn des langjährigen Vorsitzenden des Board of Deputies of British Jews, der mächtigen Spitzenorganisation des englischen Judentums, die schon seit dem 19. Jahrhundert immer größeren Einfluß auf die englische Innenpolitik gewonnen hat1. Als Austauschprofessor war Laski häufig an den großen Universitäten der Vereinigten Staaten tätig gewesen, als aktiver Zionist war er ein enger Mitarbeiter des Obersten Bundesrichters Brandeis. Bei den Kämpfen um Palästina war er sogar von den amerikanischen Juden als ihr Sachwalter bei der britischen Regierung ernannt worden. Im offiziellen London war Laski denkbar unbeliebt. Statt dessen hatte er das Vertrauen des mächtigen Führers der britischen Transportgewerkschaften Ernest Bevin erworben. Als nun mit der Bildung des Kabinetts Churchill Bevin ins Arbeitsministerium einzog und neben Churchill und Beaverbrook zum wichtigsten Mann des Kriegskabinetts aufrückte, war damit automatisch Laski in London eine ähnlich zentrale Beraterfunktion gesichert, wie sie Frankfurter in Washington besaß. Als dem Programmatiker der Linken mußten sich ihm nun alle Türen öffnen. Die Zusammenarbeit dieser beiden jüdischen Professoren wirkte sich zunächst, wie bei Frankfurter üblich, auf die Besetzung der wichtigsten Posten aus, die als Zwischenglieder eingeschaltet werden konnten. John G. Winant, einer der Schüler Frankfurters, der bereits als zeitweiliger Präsident des Internationalen Arbeitsamtes in Genf mit Bevin und Laski eng zusammengearbeitet hatte, wurde zum Botschafter in London gemacht. Ben Cohen, den wir als wichtiges Mitglied des zweiten Rooseveltschen Gehirntrusts in der New-Deal-Periode kennengelernt haben, wurde ihm als ständiger Berater an die Londoner Botschaft beigegeben. So zog der Gehirntrust unbemerkt, fast durch eine Hintertür, in der britischen Hauptstadt ein.

Die Ziele dieses nun auf wichtige Schlüsselpositionen in London und Washington verteilten Kreises sind sicherlich wesentlich an-

 

1 Vgl. G. Wirsing, Engländer, Juden, Araber a. a. O.

 

337] Gehirntrust in London

dere als die der finanzkapitalistischen Gruppe. Nach der Abreise Winants wurde in der "New York Times" vorsichtig angedeutet, er sei weniger als Botschafter Amerikas denn als Botschafter des New Deal nach London gefahren. Allmählich kristallisierte sich heraus, daß diese jüdischen Gruppen zunächst das New Deal nach England verpflanzen und daß sie es dann auf die ganze Welt auszudehnen beabsichtigen. In diesem Sinne wurde der Gedanke der Federal Union von ihnen aufgeworfen, und zwar mit einer ausgesprochen innerpolitischen Zuspitzung in England: Die Brechung der Machtstellung der bisherigen britischen Oberschicht, die Vernichtung der hundert Familien, die als der beherrschende Kreis der Konser vativen England und das Empire bisher sowohl politisch wie finanziell leiten, ist das eigentliche Anliegen dieser Gruppe.

Der tiefe Zwiespalt, der sich durch die angelsächsische Ideologie auf beiden Seiten des Atlantik hindurchzieht, wird damit offenbar. Während der Plan des Zusammenschlusses der beiden angelsächsischen- Mächte für das Finanzkapital lediglich die Bedeutung hat, daß seine Macht und seine Ausbeutungsmöglichkeiten weltweit und für unabsehbare Dauer gesichert werden, sieht dieser Kreis jüdischer Intellektueller in einer Union die Möglichkeit der Beseitigung gerade der Schichten, die England bisher repräsentiert haben. Er scheut sich auch nicht, insgeheim selbst das englische Königtum bei dieser Gelegenheit "abzuschreiben" und hofft auf diese Weise ein Endprodukt zu erzielen, das sich mit gewissen Abstrichen vom Sowjetreich nur unbedeutend unterscheidet. Seit der Einbeziehung der Sowjets in die angelsächsische Front gegen Europa hat das Gewicht dieser radikalen Kreise selbstverständlich dauernd zugenommen. Die englischen Tories befinden sich nun bereits in einer Verteidigungsstellung, und sie sehen mit Bangen, daß ihnen abermals die Beherrschung der englischen Innenpolitik zu entgleiten beginnt, nachdem es mühsam gelungen war, den ersten Angriff der Arbeiterpartei unmittelbar nach der Bildung des Kabinetts Churchill abzuschlagen.

Diese Spaltung der angelsächsischen Welt in Hochfinanz und jüdisch bestimmten Radikalismus ist von großer Bedeutung, weil dadurch keine der beiden Seiten in der Lage ist, ein Kriegsziel zu

 

338] Spaltung in der angelsächsischen Welt

formulieren, das gegenüber dem Nationalsozialismus eine gleich starke Plattform abgeben könnte. Die schwächliche Verwaschenheit des sogenannten Atlantikprogramms, das Roosevelt und Churchill im August 1941 ausgaben, der Rückgriff auf die abgebrauchten Plattheiten der Wilson-Ära, erklärt sich unmittelbar aus diesem Dilemma. Daneben vertritt das jüdische Element im Programm einer angelsächsischen Union seine Sonderinteressen. Was könnte für den jüdischen "Weltbürger", gleich ob er auf der kapitalistischen oder der liberal-radikalen Seite steht, erfreulicher sein als die Einführung eines "Weltpasses", der ihm in der Tat daa Bürgerrecht und die ungehinderte Beweglichkeit im größeren Teile der Erde verschaffen würde? So sind es denn auch in England neben Laski Gestalten wie Hore Belisha, die sich für die Errichtung der Federal Union mit besonderer Begeisterung einsetzen und in einem Wortspiel an Stelle der Independence (Unabhängigkeit) eine Interdependence (wechselseitige Abhängigkeit) fordern.

Gleichzeitig bildet aber dieses jüdische Element im Mittelpunkt der angelsächsischen Unionsbewegung auch das Hindernis für eine echte soziale Revolution sowohl in England wie in Amerika. Dieselben Gründe, aus denen wir das Experiment des New Deal trotz gewisser richtiger Ansatzpunkte scheitern sahen, gelten auch hier. Das Judentum ist nicht zur Schaffung und Durchsetzung eines großen schöpferischen Programms fähig, sondern höchstens zur Analyse und zur Aneinanderstückung von Aushilfen. Seine Verquickung sowohl mit dem Finanzkapitalismus wie mit dem mechanistischen Linksliberalismus des vorigen Jahrhunderts verhindert die Bildung echter Massenbewegungen und einer revolutionären Neuschöpfung der angelsächsischen Volksordnungen. Alle diese Programme sind daher nicht positiv, sie sind immer nur durch den Haß gegen den Nationalsozialismus bestimmt und verlieren sich dort im Nebel, wo die sozialen Ideen unserer Zeit ein Bekenntnis und klare Gedanken verlangen. Der Krieg hat in beiden angelsächsischen Reichen nur die Widersprüche schärfer zutage gefördert, nicht aber schöpferische Kräfte frei gemacht, die zur Lösung der Krise, in der sich die ganze Menschheit befindet, etwas Bedeutendes beizutragen hätte. Selbst bis in die Außenposi-

 

339] Minderwertigkeitsgefühl als Antrieb

tionen setzt sich dieser Zwiespalt fort, wie die dauernden inneren Streitigkeiten in Australien ebenso beweisen wie die auf höchst unsicherem Grunde aufgebaute Tyrannis von Smuts in Südafrika. Diese angelsächsische Welt bleibt noch immer dem Hochkapitalismus verhaftet. Sie ist zwar unter der Gewalt des Krieges zu einem Zusammenschluß nach außen fähig, aber nach innen verflüchtigen sich all jene Schlagworte und angeblichen Kriegsziele in den verwirrenden Gegensätzen von Klassenkampf, Profitstreben des Finanzkapitals und halbmarxistischen Programmen ohne Verbindlichkeit. Nirgends vermag sich der Blick über eine klare Landschaft zu erheben, in der an die Stelle des Chaos dieser sich gegenseitig aufhebenden Kräfte eine neue Ordnung treten würde.

Die Übermacht des Amerikanismus in seiner doppelten Ausprägung – Morgan und Frankfurter – ist in der angelsächsischen Kombination seit dem Jahre 1940 zweifellos gegeben. Ebenso ist es sicher, daß dieser Amerikanismus eine Veränderung der britischen Gesellschaftsordnung erstrebt. Willkie drückte dies nach seinem Besuch in London folgendermaßen aus: "Die britische Industrie wird weder während noch nach dem Kriege sozialisiert werden. Dagegen wird der Reichtum der alten Aristokraten, das Einkommen der Herzöge und Herzoginnen, die von ihren Landgütern leben, der Vergangenheit angehören, wenn der Krieg vorbei sein wird. Die Industrie dagegen wird im Privatbesitz bleiben und das kapitalistische System wird weiter herrschen"1. Mit anderen Worten, man hofft, das Vordringen des Amerikanismus in England werde eine Angleichung Britanniens an die Vereinigten Staaten nach sich ziehen. Das amerikanische Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den ehrwürdigen Traditionen des ehemaligen Mutterlandes versucht sich nun dadurch Luft zu schaffen, daß es diese Traditionen einfach überrennt – es ist die genaue Entsprechung zu den immer wieder zu beobachtenden Überheblichkeitsausbrüchen. Die Psychologie des Amerikanismus schwankt ständig zwischen diesen beiden Polen.

In England war man noch lange überzeugt, daß die große Summe der Erfahrung, über die die führende Schicht, auf welt-

 

1 Time, 24. Februar 1941.

 

340] Heldenlegenden gegen Dollarmaclit

politischem wie auch auf finanziellem und wirtschaftlichem Felde verfügt, sich letztlich auch gegenüber diesem massiven Ansturm des Amerikanismus durchsetzen werde. Mit voller Überlegung wurde versucht, die schwache britische Stellung durch die Bildung von Heldenlegenden und die Einwirkung auf die amerikanische Sentimentalität zu verbessern. Das eigenartige Unterfangen, aus jeder britischen Niederlage einen "heroischen Rückzug" und aus dem hart mitgenommenen London eine Stadt von Helden zu machen, dient ebenso diesem Ziel wie die Verherrlichung der, gemessen an den ungeheuren Leistungen der deutschen Luftwaffe, verhältnismäßig bescheidenen Einsätze der RAF. Man bemüht sich in England, ihre Soldaten gewissermaßen zu Erzengeln der angelsächsischen Welt zu machen. Auch bei voller Einschätzung der britischen Zähigkeit erscheinen indes diese Versuche, dem Amerikanismus durch die Bildung von englischen Heldenlegenden eine starke emotionale Kraft entgegenzusetzen, ziemlich hoffnungslos. Mit Erbitterung, ja wahrscheinlich unter der Oberfläche mit ausgesprochenem Haß muß man in England sehen, wie die Amerikaner die Insel zynisch und kaltblütig als ihre "erste Frontlinie" bezeichnen, die den Ansturm auszuhalten habe, während Amerika im Hintergrund in seiner unangreifbaren Position die Erträge organisiert, die der Krieg schon jetzt abwirft.

Bis auf jenen jüdisch-liberalen Kreis, der mit dem Unionsgedanken die Macht in England erringen will, ist denn auch die Begeisterung für "Union Now" in England schnell verschwunden. Der Halbamerikaner Churchill und der Kanadier Beaverbrook sprechen nur für eine Minderheit. Aber selbst die Formulierung, die Beaverbrook im März 1941 gefunden hat, eine "Union of Interests and Porposes", eine Interessen- und Zweckgemeinschaft, ist wesentlich nüchterner als die idealistisch verbrämten Machtansprüche, die die Amerikaner mit der Idee der Federal Union verbinden. Die Verschiebung des Schwergewichts innerhalb der angelsächsischen Welt nach Amerika wird aller Voraussicht nach von Dauer sein.

 

341] Weltmacht der Trivialitäten

Henry Luce hat seine bereits erwähnten programmatischen Darlegungen "The American Century" – Das amerikanische Jahrhundert – überschrieben. Wie nun stellt er sich dies nach der Niederzwingung Englands in die Rolle des Juniorpartners vor? "1919 hatten wir", so sagt er, "die goldene Gelegenheit, einzigartig in der Geschichte, die Führung der gesamten Welt zu übernehmen. Wir verstanden diese Gelegenheit nicht und wiesen sie zurück. Roosevelt muß dort erfolgreich sein, wo Wilson zurückwich. Unsere Welt von zwei Milliarden Menschen ist zum erstenmal in der Geschichte ein unteilbares Ganzes. Diese Welt des 20. Jahrhunderts muß sich, wenn sie gesund und kräftig leben will, in größtem Ausmaße in ein amerikanisches Jahrhundert verwandeln. Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Engländer gewesen, Nun kommt das amerikanische Zeitalter." Die Frage sei, so erklärt Luce, was für eine allgemeine Lebensform und welche Ideen Amerika zu bieten habe. Er ist um die Antwort nicht verlegen:

"Wenn wir erst die leblosen Argumente des Isolationismus hinter uns gelassen haben, so werden wir entdecken, daß es bereits einen gewaltigen amerikanischen Internationalismus gibt. Der amerikanische Jazz, die Filme aus Hollywood, der amerikanische Slang, amerikanische Maschinen und Konserven (patented products) sind in der Tat das einzige, was jede Gemeinschaft in der Welt von Sansibar bis Hamburg einmütig anerkennt. Ohne daß wir es beabsichtigt haben, sind wir bereits eine Weltmacht in allen trivialen Angelegenheiten. Aber Amerika ist auch bereits der wissenschaftliche und künstlerische Mittelpunkt der Welt. Im übrigen sind die Amerikaner in den letzten Jahrzehnten viel gereist und kennen mehr von der Welt als jedes andere Volk. Auch die weltweite Erfahrung des amerikanischen Handels darf nicht vergessen werden." Amerika sei nun die Kraftstation, von der die Ideale in die Welt hinausgetragen würden und durch die das Leben der Menschheit von dem Niveau der Tiere zu dem erhoben werden könne, was bereits der Psalmist als "ein wenig niedriger als das der Engel" bezeichnet habe. Amerika sei der gute Samariter des 20. Jahrhunderts …

 

342] Das Bild der Weltherrschaft

Um aber vollends deutlich zu machen, was diese Samaritertätigkeit bedeuten soll, wird gesagt: "Amerika und seine Freunde [also der Juniorpartner England] hätten dafür zu sorgen, daß ihre Schiffe und ihre Langstreckenflugzeuge dorthin gehen können, wohin sie wünschen, wann sie es wünschen und wie sie es wünschen." Asien z. B. sei zur Zeit nur einige wenige hundert Millionen Dollar für Amerika wert. Es müsse aber erreicht werden, daß es jährlich den Amerikanern vier, fünf, ja zehn Milliarden einbringe. Dies seien die Maßstäbe, in denen man denken müsse, wenn man nicht Schwäche beweisen wolle. Nimmt man hinzu, daß im Atlantikprogramm Roosevelts und Churchills offen mitgeteilt wurde, die Angelsachsen müßten ihre militärische Überlegenheit unter allen Umständen aufrechterhalten, falls es ihnen gelinge, den Krieg zu gewinnen, so ergibt sich das abgerundete Bild dessen, was sich der neue Gehirntrust unter einer amerikanischen Weltherrschaft der Zukunft vorstellt.

Russell W. Davenport, der Wahlmanager Willkies, hat dieses Programm später noch genauer ausgeführt1. "England", so schrieb er, "besitzt mehr Kolonien sowohl dem Raum wie der Bevölkerung nach als alle anderen Nationen zusammen. Zum größeren Teil sind sie unterentwickelt, sind ihre Menschen nur notdürftig erzogen und unterernährt. Die Vereinigten Staaten dagegen besitzen mehr Gold als alle anderen Nationen zusammen. Das meiste davon wird in Kentucky gehortet, wo es keinerlei nützlichen Zwecken dient. Wenn das amerikanische Gold und die britischen Kolonien zusammengefaßt würden, würde eine neue Epoche anbrechen. Das politische Ziel würde die Hebung des Lebensstandards und die Erweiterung der Kaufkraft sein, und die Märkte des neuen gemeinsamen Gebietes würden sich dadurch ungeheuer ausdehnen … Australien ist reif für eine weitere Industrialisierung. Die südamerikanischen Länder haben große Rohstoffschätze, die sie aus Mangel an Kapital nicht entwickeln konnten. Dasselbe gilt für China, für dessen Entwicklung Kapital und Maschinen eine grundlegende Erfordernis darstellen. Die Vereinigten Staaten", so schließt er, "können jedoch ihren Nachbarn in der Industriali-

 

1 Fortune, August 1941.

 

343] Die amerikanische Weltgefahr

sierung nicht beistehen, solange jeder einzelne in einem verschiedenen nationalen Bereich lebt."

Hier sind die Elemente der künftigen amerikanischen Weltherrschaft, wie sie sich der programmatische Souffleur Willkies vorstellt, bereits vollkommen klar herausgearbeitet. England sollen die Kolonien unter dem Vorwand eines "gemeinsamen Gebietes" abgenommen werden. Dazu soll das amerikanische Gold und in einigen Jahren die amerikanische Seeherrschaft treten. Auf diese Weise soll ein ungeheuerer Ausbeutungskonzern entstehen, der sich darauf aufbaut, daß alle Völker, die an ihm beteiligt sind, ihre Souveränität aufgeben. Was schon in Clarence Streits "Union Now" im Keime enthalten war, wird hier nun brutal fortentwickelt: die Herrschaft des amerikanischen Mammonismus. Dieses neue Utopia beherrscht die maßgebenden Köpfe im Mittelpunkt der amerikanischen Macht. Die Welt hat es bereits einmal erlebt, welche furchtbaren Wirkungen amerikanische Utopien für das Schicksal ganzer Völker und Erdteile gehabt haben. Man kann diese geschichtliche Erfahrung nicht achtlos beiseite schieben. Das was sich in den Vereinigten Staaten in diesen Jahren an utopischen Weltstaatsideen zusammenbraut, ist für alle Völker ungleich gefährlicher und muß ungleich ernster genommen werden als das ideologische Programm Wilsons. Wilson ging von der Idee der Selbstbestimmung der Völker aus, die er dann später verraten hat. Davenport, Luce, Streit und die anderen Berater des Weißen Hauses hingegen erklären, die Idee der Selbstbestimmung müsse zugunsten des von den Vereinigten Staaten beherrschten Weltmachtgebildes zurückgedrängt werden, und zwar nicht nur die Selbstbestimmung der Völker, sondern sogar die der Kontinente, wie Streits ursprünglicher Entwurf, der die Hälfte Europas unter amerikanische Vorherrschaft bringen, wollte, um die andere Hälfte damit zur Ohnmacht zu verdammen, beweist.

Der amerikanische Professor Peterson hat in einer umfassenden Arbeit über die verhängnisvolle Rolle der britischen Propaganda im Weltkrieg geschrieben: "Das Ziel der Propaganda war die Befestigung des Glaubens, daß die Mittelmächte und besonders Deutschland den Krieg mit voller Absicht herbeigeführt haben,

 

344] Die amerikanische Weltgefahr

um zur Weltherrschaft zu gelangen." Das Zeugnis J. B. Morgans vor dem Nye-Komitee stellt das Endprodukt dieser Propaganda dar. Er erklärte dort: "Die gesamte deutsche Nation hat den Krieg mit dem Schrei nach Weltherrschaft begonnen."

Dies war also bereits im Weltkrieg das Schlagwort, mit dem Morgan seine "Erziehung" der Amerikaner zum Krieg erfolgreich durchgeführt hat. Das Ergebnis war, daß schließlich das Haus Morgan als der innerste Machtkern der Vereinigten Staaten der Nachkriegszeit ein System aufzurichten vermochte, das von Weltherrschaft zeitweise nur noch sehr wenig unterschieden war. Das einzige, woran es diesem Herrschaftsversuch der amerikanischen Hochfinanz über alle Erdteile gebrach, war eine gewisse Systematik in der finanziellen Unterjochung der einzelnen Völker. Man ließ die Finanzberater und Währungsdiktatoren ohne inneren zusammenhängenden Plan von China bis Polen, Deutschland und Frankreich bis Peru nach ihrem eigenen Gutdünken wirtschaften. Diesen Fehler will man offenbar jetzt vermeiden. Wie im Weltkrieg Morgan und Wilson, sprechen jetzt Roosevelt, Willkie und Lamont von der deutschen Absicht auf Errichtung einer Weltherrschaft. Wahrend aber im Weltkrieg die Amerikaner ihre wahren Ziele noch hinter der Ideologie Wilsons verbargen und sich, wie man zugeben mag, auch noch kaum über das Programm klar waren, auf das sie hinauswollten, verkünden sie jetzt unbeschwert von allen Hemmungen den Anbruch des "Amerikanischen Jahrhunderts". Sie teilen der Welt mit, daß der amerikanische Jazz und die amerikanischen Konserven als die Vorboten der kommenden Weltkultur bereits die Herzen aller Völker erobert hätten und daß es nun Zeit für die Unterwerfung der anderen Erdteile unter das amerikanische Kulturideal sei.

Wir sahen, wie jene naive Selbstgerechtigkeit, herausgewachsen aus dem Puritanismus, von den Amerikanern, was immer sie unternehmen, als das "Beste der Welt" angesehen wird. Bereits im Weltkrieg wurde dieser Hang zur Aburteilung der Einrichtungen

 

345] Der Thron des Moralismus

und Traditionen anderer Völker, dieser spezifische amerikanische Moralismus, zum gefährlichsten Element, das den Abschluß eines wahren Friedens verhinderte. Daran hat sich nichts geändert. Clarence Streit, der immerhin Jahrzehnte außerhalb der Vereinigten Staaten gelebt hat, versteigt sich in "Union Now" zu Urteilen, die das ganze Unvermögen des Amerikaners, fremde Welten zu erfassen, drastisch illustriert. "Mein Leben und meine Arbeit", so sagt er z. B., "in vielen Teilen Europas und besonders in den Ländern der Mittelmächte, hat mich davon überzeugt, daß wir keineswegs einen Fehler gemacht haben, als wir in den Weltkrieg eintraten … Lange bevor Adolf Hitler aufstieg, um zu beweisen, welche schlechten Gewohnheiten das deutsche Volk unter der Herrschaft seiner Feudalherren angenommen hat, habe ich mich oft davon überzeugt, wie groß die Gefahren waren, denen die alten Demokratien entronnen sind und wie sehr viel weiser Präsident Wilson war, als ich einstmals angenommen habe … Überall in Europa habe ich bemerkt, wie der größte Teil des demokratischen Gefühls, das die europäischen Völker besitzen, soweit es überhaupt vorhanden ist, von Amerika gekommen ist. Ich war Zeuge, wie tief die französische Moral im Jahre 1917 gefallen war und wie sie nach der Ankunft der Amerikaner sich wieder zu erheben begann …"

Diese Sätze, Dokumente einer geradezu erschütternden Geistlosigkeit und Unerzogenheit, finden sich in demselben Buch, das als die Bibel einer neuen Weltordnung angepriesen wird! Wir haben in den letzten Jahren Hunderte von Büchern, Zeitungs- und Zeitschriftenarlikeln verfolgt, die in den Vereinigten Staaten zu den fundamentalen Problemen der neuen Weltordnung erschienen sind. Fast nirgends finden sich auch nur Ansätze für ein Verständnis der großen Frage, vor die die Völker in den anderen Erdteilen gestellt sind. Im günstigsten Fall werden durch gerecht denkende Männer die Verquickungen von Rüstungsprofiten und Kriegspolitik während des Weltkrieges aufgedeckt. Wenn aber Präsident Roosevelt, wie er dies im Frühsommer 1941 tat, in das Haus jenes Woodrow Wilson fährt, um dort der Welt zu verkünden, daß ausgerechnet der Mann das Vorbild für alle Staatsmänner der Welt

 

346] Der Thron des Moralismus

sein soll, der über Deutschland wie über sämtliche mitteleuropäischen und vorderasiatischen Nationen durch seine Schwäche, seine Unwissenheit und seine puritanische Naivität das größte Unheil gebracht hat, so wird dies in den Vereinigten Staaten kritiklos hingenommen.

Angesichts solcher Vorgänge empfiehlt es sich allerdings, die amerikanischen Utopien und die Verheißung des amerikanischen Jahrhunderts bitter ernst zu nehmen. Alle Völker müssen sich darüber klar sein, was sie bedeuten. Schon fühlt sich Amerika als der wahre Beherrscher Englands. Als Willkie Anfang 1941 in England weilte und die elenden, unter den furchtbaren Folgen des Krieges leidenden Massen von Coventry auf ihn zustürzten, telefonierte er nach Washington: "Ich wurde so empfangen, als ob ich der Präsident der Engländer wäre." Schon fühlt sich Amerika demnach berechtigt, sämtliche anderen Völker moralisch abzuurteilen, je nachdem ob sie sich servil in die amerikanischen Pläne einfügen oder ihnen entgegenstehen, wie die Behandlung Frankreichs vor und nach der Niederlage beweist. Schon lautet das Programm nicht mehr nur: Krieg gegen Deutschland, sondern Vernichtung der bisher führenden britischen Oberschicht und Ersetzung durch die in England dem Kreise Frankfurters entsprechende Clique. Schon treten Sendboten in China auf, die einen New Deal für Asien fordern, während gleichzeitig das New Deal in Amerika selbst kläglichen Schiffbruch erlitten hat. Schon sehen wir, wie jener amerikanische Mythos, der eine Fortentwicklung der Vereinigten Staaten im Sinne eines modernen Volksstaates verhindert hat, nun der gesamten Welt als der Richtpunkt, als das Denk- und Lebenssystem verkündet wird, auf das sie sich einrichten und ausrichten soll. Schon sehen wir schließlich, daß es sich hierbei nicht allein um Theorien, Reden und Erklärungen handelt, sondern daß der Versuch unternommen wird, die amerikanische Weltherrschaft durch den Einsatz konkreter Machtmittel auch wirklich aufzurichten.

In Südamerika, in Afrika, in Australien und Malaya, in China und im Fernen Osten, in Wladiwostok, in Grönland, Island und auf den britischen Inseln selbst, überall begegnen wir dem ameri-

 

347] Der Thron des Moralismus

kanischen Versuch, strategische und wirtschaftliche Schlüsselpositionen zu erobern. Hinter dem Schleier des wiederbelebten "Internationalismus" der Wilson-Ära erhebt sich bereits der neue weltumspannende Imperialismus der USA., der Versuch, ein grausames Monopol über den größten Teil aller Reichtümer dieser Erde zu errichten. Das käme der Versklavung von mehr als der Hälfte der Menschheit gleich. Vergessen wir nicht, im Weltkrieg sprach Morgan von deutschem Weltherrschaftsstreben, um selbst die Weltherrschaf t für die amerikanische Hochfinanz zu gewinnen! Sehen wir mit scharfen Augen, wie dieser selbe Versuch heute noch einmal, auf breiterer Basis, mit wohldurchdachten Plänen und mit größerer Kaltblütigkeit unternommen wird. Für die Völker Europas, Asiens und Südamerikas wird viel davon abhängen, ob sie den eigentlichen Hintergrund dieses Krieges rechtzeitig zu erkennen vermögen. An alle Völker dieser Erdteile wird nun die Frage herantreten, ob sie sich der Einheitszivilisation des Amerikanismus, dieser amerikanischen Konservenkultur, beugen wollen. Es geht nicht mehr um das Schicksal jedes einzelnen dieser Völker allein, es geht nun um die Zukunft der gesamten Welt.


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