Der maßlose Kontinent

Roosevelts Kampf um die Weltherrschaft

von GISELHER WIRSING [1942]

(ergänzende Links: Nikolas Dikigoros)

TEIL VIII

Das Programm der Weltherrschaft

Im Jahre 1915 erklärte Thomas Lamont auf einer Versammlung von amerikanischen Bankiers, Amerika habe alles Interesse daran, daß der Krieg solange wie möglich dauere. Im Sommer 1940, als sich England vor die Frage gestellt sah, ob es nicht besser wäre, mit Deutschland einen Ausgleich zu suchen - man wußte in London, daß dem keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen standen - war es Franklin D. Roosevelt, der dies verhinderte. Welches Interesse hat Deutschland nach der Niederwerfung der furchtbaren Macht des Bolschewismus an der Fortsetzung des Krieges? Was kann England, wenn sich gleichzeitig im Mittelmeer, Mittelasien und auf der Insel die ganze gewaltige Macht der siegreichen deutschen Armeen gegen die noch immer schwachen britischen Kräfte wenden wird, von diesem Krieg noch gewinnen? Tränen, Blut und Schweiß, sagte Churchill, und in der Tat, es kann nicht mehr sein. Tränen über die Vernichtung all dessen, was den Engländern teuer war; Blut, das dieses in seiner Vitalität bereits zurückgehende Volk nicht verlieren darf, will es nicht ähnliche Folgen erleben wie Frankreich nach dem Weltkrieg. Schweiß nicht für den Sieg, der unmöglich ist, sondern für die verleihenden und verpachtenden Amerikaner im Hintergund, die die einzigen Gewinner dieser britischen Schwitzarbeit sein werden.

Krieg - so lange wie möglich

So sind in der Tat die Vereinigten Staaten nach der Vernichtung der Sowjets die einzige Macht auf der Welt, die die Verlängerung des Krieges erstreben, mit allen Mitteln, mit Verlockungen, mit Versprechungen und mit Drohungen zugleich. Dies ist schon jetzt die namenlose Verantwortung, die der Kreis um das Weiße Haus auf sich geladen hat und mit ihm jene Engländer, die sich zu einer eigenen souveränen Politik nicht mehr fähig sehen.

Lassen wir alle ideologischen Verkleidungen beiseite. Roosevelt, fasziniert durch die einseitigen Theorien des Kapitäns Mahan über den Einfluß der Seemacht auf die Geschichte, wünscht die Verlängerung des Krieges bis zu jenem Augenblick, zu dem die amerikanische Zweiozeanflotte die Wogen der Atlantischen und Pazifischen Gewässer durchpflügt. Wir sahen, daß dies vor 1946/47 nicht der Fall sein wird. Bis dahin, so hont Roosevelt, wird es ihm möglich sein, in allen Teilen der Welt eine Bastion nach der anderen, sei es von den Engländern, sei es von anderen schwachen Nationen, wie den Franzosen, den Chinesen und den Holländern (in Niederländisch-lndien), zu erben, um nicht zu sagen zu rauben. Bisher hat sich die amerikanische Kriegsführung darauf beschränkt, auf den künstlich durch Agitation und Haß erzeugten Feind mit groben Worten zu schelten, gleichzeitig aber dem angeblichen Freund die Eier aus dem Nest zu holen. Roosevelt, überzeugt von der letzten Entscheidung und Allmacht der Seeherrschaft, will den Einsatz seines Landes aufsparen, bis er seine Seerüstung vollendet glaubt.

Dies ist nun freilich, was den Enderfolg angeht, eine große Illusion, die nicht nur mit einer Enttäuschung, sondern mit wesentlich Schlimmerem für den Präsidenten und für die Amerikaner, die ihn gewähren lassen, enden dürfte. Zunächst aber bedeutet es, daß die ganze amerikanische Macht dafür eingesetzt wird, den Krieg um jeden Preis zu verlängern und daraus rücksichtslos und unerbittlich Gewinne zu ziehen. Es ist das Rezept des Thomas Lamont, diesmal in größerem Stil und mit ausgreifender Absicht angewandt, nach dem sich die amerikanische Politik während dieses Krieges in allen Weltteilen entwickelt.

Die Unterjochung Südamerikas

Wir haben die Südamerika-Politik Washingtons bis zu den Konferenzen in Lima (Dezember 1938) und in Panama (Herbst 1939) beobachtet. In Lima wurde Hulls Vorschlag eines Militärbündnisses aller amerikanischen Staaten zu Fall gebracht. In Panama wurde eine Sicherheitszone von 300 Meilen um die beiden amerikanischen Kontinente beschlossen. Im Juli 1940 trat in Havanna abermals eine Panamerikanische Konferenz zusammen, auf der auf nordamerikanische Anregung hin beschlossen wurde, daß kein Gebiet der Westlichen Hemisphäre an eine nichtamerikanische Macht abgetreten werden dürfe. Dieser Beschluß brachte also nichts wesentlich Neues. Die Monroe-Doktrin war damit offiziell zur Politik aller amerikanischen Staaten erhoben worden. Hiergegen war gewiß von keiner Seite eine prinzipielle Einwendung nötig, da es sich scheinbar um ein nur defensives Prinzip handelte.

Wer aber hätte daran zweifeln können, daß in Wirklichkeit die USA wesentlich weitergehende Pläne hatten? Nachdem sich herausgestellt hatte, daß diese eigentlichen imperialistischen Ziele mit Hilfe der panamerikanischen Konferenzen nicht zu erreichen waren, veränderte man in Washington die Taktik. Man ging dazu über, nun jeden einzelnen Staat für sich unter Druck zu setzen. Das Schlagwort "Verteidigung der Westlichen Hemisphäre" sollte nun zur Verbrämung des neuen Dollarimperialismus dienen. Hatte er sich früher auf gelegentliche Interventionen in Mittelamerika und auf die Durchdringung der übrigen Länder durch den Dollar beschränkt, so wollte er nun weitergreifen. Jetzt ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die militärische Unterjochung aller südamerikanischen Staaten nördlich des La Plata.

Durch das Stützpunktgeschäft mit England war die nordamerikanische militärische Einflußzone über den Halbbogen der karibischen Inselwelt und das schon seit Theodore Roosevelts Zeiten von den USA. beherrschte Mittelamerika bereits bis vor die Tore Südamerikas vorgeschoben. Die ölinsel Trinidad, von der 62% des Erdöls des britischen Weltreichs im engeren Sinne kommen (also Irak, Iran usw.), war in das Stützpunktgeschäft mit England einbezogen. Die Lage dieser wichtigen Inselgruppe vor der venezuelischen Küste gegenüber dem Orinokodelta verschob allein schon die militärische Zone der USA um zwanzig Längengrade nach Osten, wenn man den Panamakanal als Ausgangspunkt nimmt. Das war aber nur der Anfang. Über die Mündung des Amazonasstromes hinaus wollte man über die vorgeschobene charakteristische ostbrasilianische Nase Südamerikas vordringen und Flotten- und Flugzeugstützpunkte bis unmittelbar an das Grenzgebiet Argentiniens verlegen. Zu diesem Zweck wählte man den kleinen La-Plata-Staat Uruguay als das geeignetste Einfallstor.

In Montevideo hatten sich die Engländer schon lange durch den Einsatz von Geld und Propaganda aller Art eine starke Stellung geschaffen. Der US-Diplomatie fiel es nicht schwer, diese von den Briten vorbereitete Position zu übernehmen. Präsident Baldomir von Uruguay zeigte sich den nordamerikanischen Wünschen in einer so auffälligen Weise geneigt, daß die Presse im benachbarten Buenos Aires andeutete, Señor Baldomir habe zum Schaden Uruguays einen ungewöhnlich großen persönlichen Geldbedarf. Als im Herbst 1940 Washington auf diplomatischem Wege in allen südamerikanischen Hauptstädten in der Stützpunktfrage zu sondieren begann, war es allein Uruguay, das durch den Mund Baldomirs sofort erklärte, es sei selbstverständlich bereit, zu "Verteidigungszwecken" die etwa von den USA benötigten Stützpunkte zur Verfügung zu stellen. Gemessen an den gewaltigen Ausdehnungen Brasiliens und Argentiniens ist Uruguay nicht viel mehr als eine kleine Provinz. Aber ebenso wie Panama im Völkerbund einst als "souveräner" Staat auftrat, so ließen die USA nun die uruguayischen Stimmen als "echt südamerikanisch" erschallen. Damit war der Einbruch in die südamerikanische Front erfolgt.

Druck auf Brasilien

Viel größere Schwierigkeiten mußten sich in Brasilien ergeben, wo Präsident Vargas schon lange ein autoritäres Regime aufgerichtet hatte, das gewiß mit dem angeblichen demokratischen Ideal der USA kaum etwas zu tun hatte. War es in Uruguay Bestechung und friedliche Durchdringung, die zum Ziele führte, so wandte man gegenüber Brasilien offene Drohungen an. Die amerikanische Publizistik wurde alarmiert, um der Diplomatie des State Department zu Hilfe zu kommen. Dutzende von Artikeln erschienen, in denen die Notwendigkeit einer "militärischen Zusammenarbeit" mit Brasilien bewiesen wurde. Hanson Baldwin drückte dies unsanft in seinem bereits erwähnten Buche folgendermaßen aus:

"Die brasilianische Nase im Atlantik ist eines der vitalsten geographischen Gebiete für die Verteidigung der Westlichen Hemisphäre. Da wir die Hauptlast der militärischen Verantwortung für diese Verteidigung tragen müssen, müssen wir in diesem Gebiet auch eine Basis unter amerikanischer Flagge haben, die von amerikanischen Truppen besetzt ist und von ihnen verteidigt wird. Politische Überlegungen, Brasiliens Stolz auf seine Souveränität und das formale Gehaben des State Department in den Verhandlungen habe den Fortschritt in dieser Sache verzögert. Diese Hindernisse müssen aber weggefegt werden. Im Hinblick auf die riesigen Summen, die wir für die Verteidigung ausgeben, ist diese Basis 100 Millionen Dollar oder mehr für die Vereinigten Staateil wert. Es ist kein Grund zu sehen, warum eine derartige Summe, wenn sie mit den besonderen Methoden, die unsere Diplomatie in Südamerika anwendet, angeboten wird und wenn gleichzeitig unsere Stärke hinter diesem Geschäft gezeigt wird, nicht schließlich zum Erfolg führen soll."

"Diese Basis soll wie alle anderen, die wir für die Verteidigung der Hemisphäre erwerben, für die Schiffe und Flugzeuge aller amerikanischen Nationen offen sein. Sie muß indes, gleichgültig ob sie gekauft oder durch einen langfristigen Pachtvertrag erworben wird, unter der vollständigen Souveränität und militärischen Kontrolle der Vereinigten Staaten stehen. Die Flaggen sowohl Brasiliens wie der Vereinigten Staaten mögen gemeinsam über einer solchen Basis wehen; dies darf aber in keiner Weise bedeuten, daß es sich auch um eine gemeinsame Kontrolle handelt"1.

Wo war der Samthandschuh der "guten Nachbarpolitik" geblieben, den die Regierung Roosevelt bei den panamerikanischen Konferenzen über die gepanzerte Faust der Dollardiplomatie gezogen

 

1 Hanson Baldwin: "United We Stand", a. a. O., S. 108

 

353] Zentralstationen des Dollarimperialismus

hatte? Was hatte sich seit den Zeiten des big stick Theodore Roosevelts verändert? Wenn ein so maßgebender militärischer Publizist der USA. in dieser Weise seine Stimme erhob, glaubte man allerdings auch in Rio zu wissen, daß Washington nicht zögern würde, auch brutal zuzugreifen, wenn es nicht gutwillig ging. Über die Einzelheiten der Verhandlung ist nichts veröffentlicht worden. Doch konnte man bereits im Sommer 1911 mit Bestimmtheit hören, daß Brasilien zunächst in der Nähe von Pernambuco und Natal Gebiete an die Vereinigten Staaten zur Anlage von Stützpunkten abgetreten hätte. Die Panamerican Airways wurden als "private" Gesellschaft vorgeschoben. Sie begannen mit der Anlage von acht riesigen Flugplätzen in diesen Gebieten1. Die Entfernung zwischen Natal und Westafrika beträgt nur 1800 Meilen. Das Sprungbreit nach dem Schwarzen Kontinent war damit geschaffen. Wieweit die Nordamerikaner auch in Südbrasilien Stützpunkte erwerben konnten, ist bei Abschluß dieses Buches noch nicht bekannt. Sicher aber haben sie zum mindesten in Uruguay Konzessionen für die Anlage von Flugplätzen erhalten, und gewiß werden alle diese Stützpunkte, wie es Hanson Baldwin beschrieb, allein der Souveränität der USA. unterstehen. Damit aber haben sie nicht nur ausgesprochene Angriffsbasen gewonnen, wie dies bei den Stützpunkten zwischen Pernambuco und Natal der Fall ist, sondern auch Kopfpunkte, von denen aus die Beeinflussung der Innenpolitik der südamerikanischen Staaten weit drastischer erfolgen wird als bisher. Die Abteilungen der USA.-Luftwaffe, die später in diesen Basen stationiert sein werden, dürften zukünftig bei jeder innenpolitischen Auseinandersetzung in Brasilien oder den anderen benachbarten Staaten nicht nur eine wesentliche, sondern wahrscheinlich die entscheidende Rolle spielen. Diese Stützpunkte, unter dem Vorwand der Verteidigung der Westlichen Hemisphäre erworben, sind künftig die Zentralstationen des Dollarimperialis-

 

1 Die Stützpunkte sind bei den Orten San Roque, Aracaly, Rocas, Pontcnegra, Ilinda, Maceio und Adrantes gelegen – alle nördlich und südlich von Pernambuco. USA.-Strcitkräfte hatten bis Dezember 1941 noch nicht die Erlaubnis, die Stützpunkte zu benutzen. Dies bleibt vor dem Eintritt einer "Krise" den Panamerican Airways vorbehalten.

 

354] Zentralstationen des Dollarimperialismus

mus. Ihr eigentlicher Zweck ist es, die südamerikanischen Länder in Kolonien der USA. zu verwandeln, die nach dem britischen Vorbild im indischen Nordwesten durch verhältnismäßig kleine Luftgeschwader beherrscht werden sollen.

Mit Verzweiflung im Unterton schrieb daher eine große Zeitung in Rio: "Wir alle sind und werden kein südamerikanisches Ägypten sein." Wenn indes schon Brasilien keine ausreichenden Mittel zur Verfügung hatte, um dem Druck Washingtons in der Stützpunktfrage standzuhalten, so war dies für Venezuela, Peru und Ecuador vollends ausgeschlossen. Die Galcipagos-Inseln im Pazifischen Ozean, ein Außenbesitz Ecuadors, waren eines der nächsten Ziele des Stützpunktimperialismus der USA.-Marine. In diesem Falle ließ man durch eine private nordamerikanische Gesellschaft entsprechende Ländereien und ganze Inseln dieser Gruppe aufkaufen, die sie dann prompt der amerikanischen Marine für ihre Zwecke zur Verfügung stellte. Die meisten dieser Stützpunktgeschäfte im Norden des südamerikanischen Kontinents sind nur ungenau bekanntgeworden. Man darf indes annehmen, daß bis Ende 1941 Washington in sämtlichen in Frage kommenden Staaten entsprechende Besitztitel erworben hat. Bis zum vollständigen Ausbau dieser neuen Luftbasen dürften indes noch Jahre vergehen.

Das eigentliche Ziel der neuen imperialistischen Politik Roosevelts in Südamerika wurde durch Senator W. Clark sarkastisch enthüllt. Er erklärte, die Vereinigten Staaten sollten doch offen dazu übergehen, von ihnen gewählte Schattenregierungen in Kanada und Südamerika einzusetzen. "Es würde voraussichtlich nicht notwendig sein, einen einzigen Schuß abzufeuern, um die Kontrolle über den gesamten Kontinent zu erhalten", meinte er. Roosevelt und Walles beeilten sich, diese peinliche Aufdeckung ihrer eigentlichen Ziele als "unverantwortlich" zu dementieren.* Sie versuchten, den Schein der guten Nachbarpolitik auch jetzt noch aufrecht zu erhalten. Die Äußerung Clarks hatte indes in ganz Südamerika ungeheures Aufsehen erregt. Nun bestand von Kolumbien bis Argentinien kein Zweifel mehr, was man in Washington eigentlich beabsichtigte.


*New York Herald Tribune, 30. Juni 1941.


Innere Kralle Südamerikas

Während Roosevelt dauernd von Vertragsbrüchen und Wortbrüchen in Europa sprach, begab er sich selbst auf die Jagd nach Stützpunkten und Einflußsphären auf dem südamerikanischen Kontinent. Der Dollar rollte. Anfang Oktober 1911 wurde in Panama sogar eine regelrechte Revolution durch den US-Imperialismus inszeniert, die zur Absetzung des Präsidenten Arias führte, der verboten hatte, die unter der Panama-Flagge fahrenden US-Dampfer zu bewannen. Entsprechend dem skandalösen Vorgehen Theodore Roosevelts in Panama wurde die neue Regierung von Washington schon wenige Stunden, nachdem sie gebildet war, anerkannt. Die US-Behörden in der Kanalzone waren bereits vorher unterrichtet gewesen, da einen Tag vor dem Staatsstreich alle amerikanischen Truppen aus dem Panamagebiet in die Kanalzone befördert worden waren.

Der südamerikanische Kontinent hatte sich bisher trotz aller offenen und verschleierten Vorstöße des Dollarimperialismus nicht ohne Erfolg gegen die Unterordnung unter die Yankees gewehrt. Die südamerikanischen Überlieferungen und Lebensformen haben mit Nordamerika wenig gemein. Die auf materiellen und äußerlichen Erfolg gerichtete puritanische Denkweise der Yankees ist dem südlichen Katholizismus fremd. Die Möglichkeiten gegenseitigen Verstehens waren daher immer begrenzt. Seit dem Einsetzen der großen Weltwirtschaftskrise, die die Monokulturen Südamerikas besonders scharf in Mitleidenschaft zog, waren zudem - ausgehend von Mexiko - in fast allen mittelamerikanischen und nördlichen südamerikanischen Ländern (also nicht in Argentinien und Chile) höchst überraschende Tendenzen einer Rückbesinnung auf das indianische Element aufgetreten. Der "lateinische" - spanische und portugiesische - Charakter trat bei aller Aufrechterhaltung der verwandtschaftlichen Beziehungen zu den ehemaligen Mutterstaaten fast unbemerkt zurück. Ein stiller Wandlungsprozeß begann sich damit anzukündigen, der unter der Oberfläche die Ureingesessenen Abwehrkräfte gegen den Yankee-Imperialis-

 

356] Keine gesamtamerikanische Einheitskultur

mus verstärken mußte. Sie haben z. B. bei den sich immer wiederholenden Enteignungsrevolten gegen das Mexiko beherrschende angelsächsische Großkapital bereits eine Rolle gespielt, die mit "Nationalismus" im landläufigen Sinne kaum richtig zu erklären wäre.

Der südamerikanische Kontinent steht wesentlich anders als der nordamerikanische erst am Beginn seiner eigenständigen Entwicklung. Was hierbei immer das stärkere Hervortreten des indianischen Urelements in der Zukunft bedeuten mag, sicher ist schon jetzt, daß die Gestalt, der Südamerika als Ganzes zustrebt, in krassem Widerspruch zu dem sich auf dem Puritanismus gründenden nordamerikanischen Mythos steht. Nur eine gedankenlose Verallgemeinerung der sich über die ganze Welt hin auswirkenden Grundströmungen unserer Zeit kann zu dem Schluß kommen, eine gesamtamerikanische Einheitskultur sei im Entstehen begriffen. Im Gegenteil, die "Südamerikanisierung" Südamerikas steht wohl erst bevor. Die besonderen Bedingungen, die sich in diesem Erdteil durch die Rassenmischung des iberischen Grundstocks mit den Indios und Mestizen ergeben haben, sind erst im letzten Jahrzehnt weiteren Kreisen in Südamerika überhaupt bewußt geworden. So beginnt die sich überraschend fruchtbar entwickelnde südamerikanische Literatur erst jetzt die stark emotionalen Kräfte dieses Erdteiles auszudrücken. Sie waren bisher durch die Kruste des Frühkapitalismus und der fremdkapitalistischen Ausbeutung überdeckt. Das Südamerika, das z. B. der peruanische Dichter Garcia Calderon schildert, ist spanisch und indianisch – und damit etwas völlig Neues. Die bisher auf diesen Erdteil angewandten Klischees einer festgelegten Betrachtungsweise werden in der Zukunft immer unzutreffender werden.

Selbst oberflächliche nordamerikanische Reiseschilderungen über Südamerika weisen daher in bemerkenswertem Gegensatz zum Dollarimperialismus Washingtons unablässig darauf hin, daß die Verschiedenheit zwischen den beiden amerikanischen Kontinenten nicht geringer, sondern ständig größer werde und daß wenig Aussicht bestehe, eine Angleichung der südamerikanischen Lebensform an den Norden zu erzwingen. Der innere Kontakt

 

357] Pöbel – Hilfstruppe des Amerikanismus

zwischen Nord- und Südamerika ist weit geringer, als man dies vor allem in den letzten Jahren, in denen das Schlagwort von der Westlichen Hemisphäre als imperialistischer nordamerikanischer Begriff eingeführt wurde, vermuten konnte. Die Zahl der südamerikanischen Reisenden nach den USA. ist schon aus finanziellen Gründen auf eine sehr kleine reiche Schicht beschränkt, da die südamerikanischen Währungen gegenüber dem Dollar so ungünstig stehen, daß auch jene südamerikanische Mittelschicht, die in Chile oder Brasilien ausgezeichnet lebt, die wesentlich teureren Lebenshaltungskosten der USA. selbst für kurze Zeit nicht bestreiten kann.

All diese Entwicklungen sind natürlich sehr wohl in Washington bemerkt worden. Man hat daher alle Anstrengungen gemacht, um durch moderne Mittel der Massenpropaganda – eine einheitliche "Amerikakultur" zu erzeugen. Insbesondere der Film – Hollywood beherrscht das Kino Südamerikas fast vollständig – wurde hier zuerst unter rein kapitalistischen, später aber unter bewußt politischen Gesichtspunkten eingesetzt. So wird Südamerika zum ersten Versuchsfeld jener amerikanischen Patentkultur, deren Ausbreitung über die Welt uns in den Thesen von Henry Luce vom kommenden "American Century" begegnet ist. Allerdings, es gibt für diese durch Hollywood geförderte Standardzivilisation in den südamerikanischen Großstädten ein geeignetes Rohmaterial. Es sind dies jene unverwurzelten und charakterlosen Unter- und Mischschichten, die überhaupt keiner geistigen Provinz zuzurechnen sind, die vielmehr blind wie Insekten von dem scheinbaren Glanz, der von der Gaukelwelt Hollywoods ausstrahlt, angezogen werden und in ihn hineintorkeln.

Allein der Pöbel stellt in Südamerika "die Hilfstruppen für das "American Century". Die eigentlichen Kulturschichten Südamerikas aber betrachten ihn mit Geringschätzung, ja mit Verachtung. Da sie noch immer dem alten südamerikanischen Sprichwort huldigen, daß ein Palast, vor dem keine Bettler stehen, kein Palast sei, ist ihnen indes das Schicksal der Gesichtslosen, wie man sie in Argentinien nennt, gleichgültig. Das Gefühl einer Volksgemeinschaft im deutschen Sinne darf man in diesen Ländern

 

358] Europäische und USA.-Kultur in Südamerika

gewiß noch nicht voraussetzen. Wie wenig die Hollywoodkultur in Wirklichkeit die wertvollen Schichten Südamerikas anzuziehen vermag, kann aus einem der neuesten nordamerikanischen Bücher über die "Allamerikanische Front" ersehen werden, in dem der Verfasser resigniert berichtet:

"In fast allen führenden Kreisen Südamerikas traf ich auf vages, aber ausgesprochen feindliches Mißtrauen gegen die amerikanischen Filme. 'Wie könnt Ihr annehmen, unsere Freundschaft zu gewinnen', wurde ich mindestens in einem halben Dutzend südamerikanischer Republiken gefragt, 'wenn die einzige Kunst, die Ihr uns in Massen schickt, die Würde Eurer Männer und die Keuschheit Eurer Frauen lächerlich macht und wenn sie von unseren eigenen maßgebenden Schichten als derjenige Einfluß angesehen wird, der die Anschauungen unserer jüngeren Generation am schlechtesten und unerfreulichsten beeinflußt?'"1

Derselbe nordamerikanische Verfasser stellt fest, daß die Hinneigung des Südamerikaners zur europäischen Kultur nach wie vor weit größer sei als zur nordamerikanischen. Er gibt als typisch die Äußerung eines berühmten brasilianischen Arztes wieder, der ihn wie Hunderte anderer darauf aufmerksam macht, daß die Erziehungsprodukte des nordamerikanischen College-Campus in Südamerika größte Zweifel hervorriefen – vor allem auch wegen der sexuellen Proraiskuität, die die nordamerikanische Universität in südamerikanischen Augen zu einer Abart der verrufenen Häuser verwandelt habe. Folgendes wurde dem Yankee von diesem brasialianischen Arzt gesagt:

"Unsere jungen Männer kommen von ihren Studien in Europa durch ihr Zusammentreffen mit den älteren Kulturen mit erweitertem Horizont zurück. Im Grunde aber sind sie unverändert. Ihre sozialen Gewohnheiten und Anschauungen sind in keiner Weise radikal durcheinander gebracht. Sie nehmen vielmehr ihre Plätze in unserer Gesellschaft ohne Schwierigkeit ein. Wenn aber unsere jungen Männer von den Vereinigten Staaten zurück kommen, scheinen sie überhaupt nicht mehr zu uns zu gehören, obwohl sie uns sicher mancherlei Wertvolles zu lehren haben. Sie fühlten sich

 

1 Duncan Aikman, a. a. O.

 

359] Verschiedene Sexualauffassung

dann ohne Jazz-Life1 und ohne Eure eigenartigen sozialen Freiheiten unglücklich. Sie spielen sehr oft eine zersetzende Rolle. Sie verwenden ihre Energien nicht darauf, um unsere wissenschaftlichen und geschäftlichen Methoden zu verbessern, sondern um unsere heranwachsende Generation den bestehenden Sitten abspenstig zu machen. Manchmal sind sie über die Aussicht, in eine Gesellschaft zurückkehren zu müssen, in der ein ehrenhafter Sittenkodex die Beziehungen zwischen den Geschlechtern regelt, derart unzufrieden, daß sie es vorziehen, überhaupt nicht nach Hause zu kommen." Die sexuelle Freiheit des amerikanischen College-Campus. die immer mehr zu einer Auflösung jeder festen Gesellschaftsordnung in der nordamerikanischen Mittel- und Oberschicht beiträgt, wird also in Südamerika vor allem anderen als eine der großen Gefahren der Yankee-Patentkultur empfunden, die das Fundament der südamerikanischen Lebensauffassung erschüttern müßte, würde sie weiter vordringen.

Dies ist der Hintergrund des imperialistischen Angriffs auf Südamerika. Nordamerika erstrebt nicht mehr nur eine rein machtmäßige Beherrschung Südamerikas durch die Gewinnung von militärischen Stützpunkten und die vollkommene wirtschaftliche Durchdringung, sowie die rücksichtslose kapitalistische Ausbeutung dieser Länder. Die ganze Lebensform Südamerikas, seine sich eben entfaltende eigenständige Kultur wird vielmehr in breitester Front sowohl vom pharisäischen Puritanismus wie von dem Gegenbild dazu, vom Hollywoodstil, angegriffen. Wie eins zersetzende Säure wird das Ideal des entseelten Patentmenschen, des homo communis hollyvJOodiensis, auf die dort gewachsenen und in der Rasse und im Klima Südamerikas bewährten Kulturformen gespritzt. Der Pöbel bildet hierfür den Nährboden.

Gerade deshalb kann man aber voraussehen, daß sich die Gegenkräfte, man möchte sagen auf Grund des naturgeschichtlichen Gesetzes jeder geistigen Entwicklung, im Laufe der Zeit herausbilden werden. Vielleicht wäre Südamerika wirklich für alle Zeiten zur Beute der Yankeezivilisation geworden, wenn sie sich nicht als Schrittmacher des brutalen Yankeeimperialismus entpuppt hätte. Gerade weil sich aber die "Gute Nachbarschaftspolitik" nicht nur

 

360] Stromlinienimperialismus

als Bluff, sondern als offener Betrug herausgestellt hat, werden die eigenständigen Schichten Südamerikas den Yankeeamerikanismus im nächsten Jahrzehnt als eine totale Erscheinung beurteilen lernen, bei der sich die Hollywoodzivilisation von der Errichtung moderner Zwingburgen in Form von Flugstützpunkten und der Ausbeutung durch Wall Street nicht trennen läßt. Die Gegenwehr Südamerikas kann daher schon heute beim Politischen nicht mehr haltmachen. Sie wird durch den totalen Charakter dieses Angriffs gezwungen, sich auch gegen die Gesamterscheinung des nördlichen Amerikanismus zu richten. Die Geschichte dieses Kontinents ist damit nicht beendet, daß er zunächst den Yankees als Beute anheimfällt. Die Spannungslosigkeit seines inneren Gefüges, die sich in der Bildung von meist nur personell bedingten Juntas, Pronunciamentos und Revolutionen ausdrückte, beginnt einer wirklichen und echten Spannung, die durch die Gringos (wie man die Yankees in Südamerika nennt) hervorgerufen wird, zu weichen. Schon jetzt berichten nordamerikanische Korrespondenten nicht ohne Besorgnis über eine ganz neue Form des Nationalismus, bereits verbunden mit für Südamerika ebenfalls neuen sozialen Ideen, die sich in verschiedenen Ländern zu entwickeln beginnen.

Die Yankees selbst haben ihre seit dem Panamerikanischen Kongreß zu Lima eingeleitete Unterjochung Südamerikas Stromlinienimperialismus getauft. Nach südamerikanischer Meinung unterscheidet er sich von den Methoden eines Theodore Roosevelt ebenso wie ein modernes Stromlinienauto von einem Fordwagen aus dem Jahr 1910. Dieser Stromlinienimperialismus der Yankees ist allumfassend. Ein Professor der Universität Rochester [Dexter Perkins, a.a.O.] hat z. B. die höchst bezeichnende Theorie entwickelt, die Monroe-Doktrin gebe den Vereinigten Staaten das Recht zur Intervention in jedem südamerikanischen Staat, in dem eine Weltanschauung zur Herrschaft gelange, die sich mit der offiziellen demokratischen Lehre der USA nicht vereinbaren ließe. "Wenn in einer südamerikanischen Republik ein totalitäres Regime eingerichtet würde," so fragt er, "wären wir dann nicht sofort zu moralischem Druck, zur Nichtanerkannung und zu wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen ge-

 

1 Dexter Perkins, a. a. O.

 

361] Agitation und Fälschungen

zwungen? Es könnte sogar notwendig sein, daß wir in einem solchen Falle ein demokratisches Wahlergebnis als ungültig erklären müßten." Die Monroe-Doktrin des Stromlinienimperialismus fordert also auch die ideologische Gleichschaltung der Südamerikaner mit den USA. Für den gegenteiligen Fall hat sie schon die Drohung der Intervention bereit!

Man muß alle diese Erscheinungen immer wieder mit den Reden vergleichen, mit denen Roosevelt seine Angriffsvorbereitungen auf Europa rechtfertigt – all jene Verwünschungen gegen die "Brecher des internationalen Rechts", gegen die "Verwerflichkeit der Ausdehnung der nationalen Macht", um den richtigen Maßstab für das Vorgehen der Yankees in Südamerika zu finden. Schon vor dem Ausbruch des Krieges waren die südamerikanischen Länder mit sich jagenden Propagandawellen gegen die angebliche deutsche Fünfte Kolonne erfüllt. "Fälle" wurden konstruiert und ausgeschlachtet, von denen die notorische Fälschung der sogenannten Patagonien-Dokumente – es wurde behauptet, Deutschland beabsichtige, Südargentinien zu besetzen – nur einer unter vielen war. Der später auf amerikanischen Einfluß hin von dem argentinischen Abgeordneten Taborda gegründete "Ausschuß zur Aufdeckung argentinienfeindlicher Umtriebe" betätigte sich in derselben Richtung. In Bolivien verwendete man die Fälschung eines Briefes des bolivianischen Militärattachés in Berlin, Belmonte, um Haß gegen Deutschland zu säen. Da Argentinien dem Vorherrschaftsplan der Vereinigten Staaten bis dahin stets am ablehnendsten gegenübergetreten war, konzentrierten sich indes die Anstrengungen der Propaganda vor allem auf dieses Land.

Zahllose nordamerikanische Kurzwellenstationen sendeten in fast ununterbrochener Folge schließlich bis zu 500 Stunden in der Woche spanische und portugiesische Programme nach Südamerika1, die mit falschen Behauptungen über deutsche Angriffspläne und mit agitatorischem Material jeder Art durchsetzt waren. Wir können es uns ersparen, die Methoden dieser nordamerikanischen Agitation im einzelnen zu beschreiben. Das Ergebnis war jedenfalls, daß man den Südamerikanern klarzumachen versuchte,

 

1 The Wallstreet Journal, 30. September 1940.

 

362] Das Bestechmigsprogramm

sie seien akut von Deutschland bedroht und die deutsche Fünfte Kolonne sei bereits eifrig am Werk, die Vorbereitungen für die demnächst landenden deutschen Armeen zu treffen. In Südamerika blieb man indes skeptisch.

"Man kann sich kaum vorstellen", schreibt ein nordamerikanischer Korrespondent1, "mit welch schallendem Gelächter der Durchschnittsargentinier die Nachricht aufnimmt, daß er durch die Errichtung von USA.-Stützpunkten in seinem eigenen Lande oder in benachbarten Ländern gegen Hitler geschützt werden soll. Dies Schlagwort mag innerhalb der Vereinigten Staaten angebracht sein. Hier in Argentinien ist es ein schlechter Witz; denn der Argentinier sagt: Die USA. wollen uns gegen Hitler jenseits des Meeres beschützen, wer aber schützt uns gegen den Yankee vor unserer Tür? Er sieht die Stützpunkte als gegen Argentinien und nicht gegen Deutschland gerichtet an; denn er weiß, daß Argentinien und die Vereinigten Staaten sich wirtschaftlich nicht ergänzen, daß sie im Gegenteil Konkurrenten sind und daß ein dauernder Zusammenschluß sich nur zum Nachteil des Schwächeren auswirken würde. Darum ist auch das argentinische Volk einmütig und geschlossen gegen die Stützpunkte."

Kein Mittel blieb infolgedessen von den Yankees unversucht, um alle Widerstände in Südamerika mit Gewalt zu brechen. Das Rezept hierfür können wir ebenfalls aus einer amerikanischen Quelle zitieren. Die Methoden des Stromlinienimperialismus wurden in "Fortune"1 folgendermaßen beschrieben: "Das in Fort Knox vergrabene amerikanische Gold [dort wird bekanntlich der Goldschatz der USA. aufbewahrt] muß ausgegraben und in Stromliniendivisionen verwandelt werden, die man in allen schwankenden Ländern der Welt einsetzen kann. Es kommt dabei nicht darauf an, Politiker und Generale zu bestechen, daß sie ihre Länder verraten. In Frage kommt vielmehr, diejenigen Politiker und Generale zu ermutigen, die an die demokratischen Ideale der USA. glauben. Es kommt darauf an, ihre Kampfkraft zu stärken, damit sie einen guten Kampf kämpfen. Es kommt darauf an, Zeitungen, akademische Vereinigungen und allenfalls auch freundlich eingestellte

 

1 Fortune, April 1941.

 

363] Schwarze Listen

Firmen und Konzerne durch Anzeigen, Geschenke und andere Vergünstigungen zu unterstützen. Wir unterstützen bereits einige Regierungen mit Anleihen; aber einzelne Personen sind oft mehr wert als Regierungen. Wir müssen unsere formalistischen Hemmungen in dieser Beziehung aufgeben. Amerikanische Geschäftsleute, die als Einzelpersonen mit der [USA.-] Regierung zusammenarbeiten, können ungewöhnlich nützlich sein, indem sie im Ausland Regierungsgelder in Form von Anzeigen und Aufträgen verteilen. Südamerika, Französisch-Nordafrika, die Türkei, Indochina und Thailand müssen insbesondere auf die Liste dieser amerikanischen Spendenempfänger gesetzt werden."

In der Tat sind die USA. in Südamerika genau nach diesen Empfehlungen vorgegangsn. Bereits 1940 hatte Roosevelt den Enkel des alten John D. Rockefeiler, Nelson Rockefeller, an die Spitze eines Amtes gestellt, das den verheißungsvollen Titel "Office for Coordination of Commercial and Cultural Relations betiveen the American Republics" führt und mit 400 Angestellten in Washington ins Leben gerufen wurde. Wie die Bienenschwärme verstreuten sich Nelson Rockefellers "young boys" über alle südamerikanischen Republiken, sprachen Ungereimtheiten über die "gemeinsame amerikanische Kultur" und versuchten gleichzeitig Informationen über alle wichtigen südamerikanischen Persönlichkeiten und Firmen, über deren Einstellungen und Geschäftsbeziehungen zu erhalten. Auf diese Weise wurde binnen einiger Monate in Washington ein riesiges geheimes Kartothekmaterial gesammelt, auf Grund dessen dann der Präsident plötzlich im Juli 1941 mit einer Schwarzen Liste hervortreten konnte, in der 1800 Personen und Firmen aufgezählt wurden, mit denen der Handel sowie jede Kredittransaktion für Bürger und Firmen der Vereinigten Staaten verboten wurde, weil diese Firmen Handelsbeziehungen mit Deutschland oder Italien unterhielten. Zum erstenmal war damit nun wirklich eine Fünfte Kolonne in Südamerika aufgetreten. Das Komitee Nelson Rockefellers, das diese Schwarzen Listen vorbereitet hatte, führte den Südamerikanern drastisch vor Augen, was man mit "kultureller Annäherung" meinte. Die Aufstellung dieser Schwarzen Listen bedeutete einen unmittel-

 

364] Wirtschaftliche Zwangslage

baren Eingriff in die Souveränität der südamerikanischen Länder und abermals einen schweren Völkerrechtsbruch. Ihre Verkündung war das Anzeichen dafür, daß der Stromlinienimperialismus sich nun in voller Fahrt befand.

Als Wilson 1919 sah, daß sich England und Frankreich seinem Führungsanspruch nicht beugten, rief er in Versailles aus: "We can force them to our way of thinking" – "Wir können sie zu unserer Art zu denken zwingen". Schon 1916 hatte er vor dem Kongreß erklärt: "Ist Ihnen die Tragweite der einen Tatsache gegenwärtig, daß uns künftig die Aufgabe zufällt, Geld zu verleihen und zu helfen, die großen Friedenswerke der Welt zu fördern? Wir werden die Weltfinanzierung wesentlich auf uns nehmen müssen. Wer aber die Welt finanziert, der muß sie auch kennen und ist berufen, sie mit seinem Geist und seiner Gesinnung zu beherrschen." Auf Südamerika angewandt, hieß dies: Neben der politischen Herrschaft totale wirtschaftliche Durchdringung.

Die Vereinigten Staaten konnten die schwierige Lage, in die die Exportwirtschaft der südamerikanischen Monokulturen durch den Krieg geraten waren, voll ausnutzen. Der Ausfall Deutschlands, später – mit dem sich verknappenden Schiffsraum – allmählich ganz Europas für den Außenhandel Südamerikas kam für den größeren Teil des Kontinents fast einer Katastrophe gleich. Argentiniens Außenhandel z. B., der fast zu 70 v. H. nach Europa ging, betrug 1941 nur noch 48 v. H. des an sich schon ungünstigen Jahres 1940. Der Hafen von Buenos Aires, in dem vor dem Kriege täglich 150 Schiffe ein- und ausliefen, sah im Sommer 1941 in einer Woche kaum 26. Zwar hatte England Anfang 1941 versprochen, 400 000 Tonnen Getreide abzunehmen, war dann aber nur in der Lage, einen Bruchteil davon zu verschiffen. Umgekehrt stieg der Handel mit Nordamerika. War 1939 48 v. H. der Einfuhr ganz Südamerikas aus den USA. gekommen, so betrug dieser Anteil 1940 55 v. H. Die Ausfuhr erhöhte sich von 30 auf 46 v. H. Diese Tendenz verstärkte sich 1941 noch beträchtlich.

 

365] Verdrängung Englands aus Südamerika

Den südamerikanischen Ländern blieb nichts anderes übrig, als in Nordamerika Ersatz für die verlorengegangenen Märkte zu suchen. Die USA. aber waren nun fest entschlossen, die Zwangslage Südamerikas politisch zu nutzen. Sie sahen die Möglichkeit, Südamerika wirtschaftlich in demselben Maße in ihren Einflußbereich zu zwingen, in dem dies nach dem Bürgerkrieg mit den Südstaaten möglich gewesen war.

Während man die Hetze gegen Deutschland organisierte und finanzierte, wollte man gleichzeitig die britische Vormachtstellung in Brasilien und Argentinien endgültig brechen. Bei den Vorarbeiten für die Schwarzen Listen hatte die Rockefeller-Organisation 17 000 südamerikanische Firmen " untersucht". Das Ergebnis dieser vielleicht größtangelegten Wirtschaftsspionage, die irgendwo bisher durchgeführt worden ist, beschränkte sich durchaus nicht auf jene 1800 Firmen, die wegen ihrer Handelsbeziehungen zu den Achsenmächten boykottiert wurden. In Washington war nun ein annähernd vollständiges Material über die britischen Handelsmethoden und Verbindungen in Südamerika zusammengetragen. So konnte ein Großangriff auf den englischen Handel beginnen, dessen Ausschaltung das eigentliche Ziel war.

Die amerikanischen Zeitungen beklagten sich plötzlich lebhaft über das Fortbestehen der britischen Konkurrenz in Südamerika trotz der Wohltätigkeitseinrichtung des Leih- und Pachtgesetzes. Sie behaupteten, England habe sogar Stahlwaren und Maschinen, die ihm auf Grund des Leih- und Pachtgesetzes gesandt worden waren, zu Dumpingpreisen nach Südamerika weiterverkauft. In der Tat hatte sich England überaus angestrengt, vor allem den argentinischen Markt zu erhalten. Lord Willingdon, der frühere Vizekönig von Indien, hatte noch 1940 eine Handelsmission nach Südamerika geleitet. Von all den Versprechungen, die er gemacht hatte, konnte jedoch infolge der Schiffsraumverknappung wenig gehalten werden, und das, was blieb, wurde nun von Washington abgewürgt. Im September 1941 sah sich die britische Regierung gezwungen, ein Weißbuch herauszugeben, in dem versprochen wurde, das Leih- und Pachtmaterial werde auf keinen Fall weiterverkauft. Ferner mußte die britische Regierung eine Beschränkung

366] Formen angelsächsischer Freundschaft

 

des britischen Außenhandels in Südamerika zusagen und sich dazu bequemen, die Gesamtausfuhr auf zwei Drittel des Vorkriegsstandes und den Stahlexport auf 40 v. H. des normalen Ausmaßes festzulegen und hierbei Klauseln einzufügen, durch die die Ausfuhr nach Südamerika noch besonders gedrosselt wurde. Hier hatte man also das erste praktische Ergebnis von Union Now! Ein Tiefpunkt der britischen Weltgeltung war damit erreicht, wie er noch bei Ausbruch des Krieges kaum denkbar gewesen wäre. Selbst in den schlimmsten Monaten des Jahres 1917 war England nicht zu einer derartigen Selbsterniedrigung gezwungen gewesen.

Die USA.-Presse machte aus ihrem Triumph kein Hehl. Sie wies bei dieser Gelegenheit aucli darauf hin, daß die Engländer die Postkontrolle auf Jamaika und Trinidad zwischen Nord- und Südamerika dazu benutzt hätten, um ihrerseits der Wirtschaftsspionage des Nelson-Rockefeller-Komitees etwas "Gleichwertiges" entgegenzusetzen. Kaum hatte die britische Wirtschaftsspionage aus den Geschäftsbriefen erfahren, daß zwischen einer nordamerikanischen Firma und einem südamerikanischen Handelshaus ein größerer Abschluß bevorstand, so schickte sie in Rio oder Buenos Aires ihren eigenen Geschäftsvertreter zu der betreffenden Firma, um die Amerikaner durch billigere Preise aus dem Feld zu schlagen. Die Freundschaft blühte!

Im Grunde beruhte die Souveränität der südamerikanischen Länder schon seit Jahrzehnten auf der britisch-amerikanischen Rivalität. Nun mußte England selbst bekennen, daß sie beendet war und daß es den Yankees den großen südlichen Kontinent völlig überlassen müsse. Man kann sich leicht vorstellen, welche Stimmung im Unterhaus geherrscht haben mag, als dieses Weißbuch veröffentlicht wurde, zumal eine beträchtliche Zahl von Tory-Abgeordneten am Südamerikageschäft im großen Stil beteiligt ist und die Kontrolle über Millioneninvestierungen vor allem in Argentinien, Brasilien und Uruguay ausübt. Man schätzt die britischen Kapitalanlagen in Südamerika – einschließlich Mexikos und Mittelamerikas – zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Pfund. Sie übertreffen damit die britischen Kapitalanlagen in Indien und Ceylon annähernd um das Doppelte! Südamerika war infolgedessen

 

367] Arbeitslos gewordener Kontinent

bisher weit mehr eine britische denn eine nordamerikanische Wirtschaftsprovinz. Dies sollte sich jetzt entscheidend ändern. In Washington war man entschlossen, das Versäumnis des Weltkrieges, in dem sich schon einmal die Möglichkeit zur Verdrängung Englands aus Südamerika geboten hatte, nicht zu wiederholen.

Der verhältnismäßig geringere Anteil der USA. am wirtschaftlichen Aufbau und im Außenhandel Südamerikas ist indes kein Zufall. Der Nord- und der Südkontinent ergänzen sich nur auf wenigen Gebieten. In der agrarischen Rohstoffproduktion sind sie Konkurrenten. Die USA. können weder den argentinischen Weizen noch den Fleischüberschuß aufnehmen. Bolivianisches Zinn und Kupfer, Wolfram und brasilianisches Mangan sind dagegen erwünschte Ergänzungen. Schon mit der brasilianischen Kafieeproduktion dagegen ist es schwierig, weil die mittelamerikanische Kafiee-Ernte allein für den Bedarf der USA. beinahe ausreichend ist. So erwies sich bald, daß zwar die USA. im Außenhandel Südamerikas eine relativ größere Rolle spielen konnten, daß dies aber einen absoluten Rückgang des Außenhandels nicht aufzuhalten vermochte. Die nordamerikanischen Farmer protestierten sofort, als z. B. ein größeres Fleischkontingent aus Argentinien für die amerikanische Marine bestellt wurde. Die südamerikanischen Länder sahen sich infolgedessen gezwungen, immer häufiger um Anleihen in Washington nachzusuchen, mit denen sie die dringendsten finanziellen Lücken, die sich aus dem Exportausfall für ihre Staatseinnahmen ergaben, zu decken versuchten.

Mit Recht sagte man deshalb in den Vereinigten Staaten, die Südamerikapolitik Roosevelts entwickle sich zu einem gigantischen WPA-Projekt: zu einer künstlichen Stützung des arbeitslos gewordenen südlichen Kontinents durch den finanzkräftigen Koloß im Norden. Das Kapital der für das Südamerikageschäft gegründeten Export-Import-Bank wurde im Herbst 1940 auf 500 Millionen Dollar erhöht. Damit setzte die politische Anleihevergebung im eigentlichen Sinne ein. Geld war in Washington von nun an nur bei entsprechendem Wohlverhalten im Sinne der Unterordnung der südamerikanischen Staaten unter die Ziele der USA. zu erhalten. Zwischen November 1940 und März 1941 gingen An-

 

368] Politische Anleihen

leihen im Gesamtwert von 270 Millionen Dollar in die verschiedenen südamerikanischen Hauptstädte. Nelson Rockefeller wurde mit der politischen Aufsicht bei der Anleihevergebung betraut. Hatte bis dahin das State Department wenigstens der Form nach noch Wert darauf gelegt, den neuen Dollarimperialismus nicht zu handgreiflich werden zu lassen, so fielen diese Rücksichten nun fort. Gleichzeitig schwemmte die Welle der Erpressungspolitik auch Hulls Meistbegünstigungsverträge davon. Als nächsten Schritt verlangt man nun eine panamerikanische Zollunion, die aber so durchgeführt werden soll, daß die Einfuhr von Agrarprodukten nach Nordamerika -weiterhin Einschränkungen unterliegen soll, wie sie den Interessen der USA.-Farmer entspricht. Mit anderen Worten: Südamerika soll ein monopolartig abgeschlossener Markt für die nordamerikanische Industrie werden. Während also die USA. in Ostasien beständig von dem Prinzip der Offenen Tür sprechen, bemühen sie sich, in Südamerika die Tür, soweit wie möglich, zu schließen. Nachdem England schon ausgesperrt ist, wird dies nicht allzu schwierig sein. Selbstverständlich kann eine solche Politik nur auf Kosten des Lebensstandards der südamerikanischen Länder gehen, zumal die nordamerikanische Industrie infolge ihrer Überbeanspruchung durch das Rüstungsgeschäft gar nicht in der Lage ist, die Bedürfnisse Südamerikas voll zu befriedigen.

Der Charakter der nach Südamerika gegebenen Anleihen wurde vollends deutlich, als ab November 1941 das Leih- und Pachtgesetz auch für die südamerikanischen Staaten Anwendung finden sollte. Praktisch sah dies z. B. so aus, daß USA. Brasilien zur Anlage der acht Flugplätze für die Panamerican Airways zwang, die in Wirklichkeit als Militärflugplätze für die nordamerikanische Luftwaffe gedacht waren. Die Kosten für die Anlage aber sollten nun keineswegs durch die USA. bestritten werden, sondern durch Brasilien selbst, das sich hierzu eine Anleihe durch die Export-Import-Bank geben lassen mußte. Brasilien muß also jene Stützpunkte, deren Charakter wir oben mit den Worten Hanson Baldwins umrissen haben, auch noch selbst finanzieren, bzw. verzinsen. In Peru wurde die kleine peruanische Flotte schließlich nach der Gewährung einer politischen Anleihe von einem amerikanischen

 

369] Kolonie oder Kontinent?

Marineoffizier übernommen und in Brasilien die Einrichtung einer ständigen amerikanisch-brasilianischen Wehrmachtskommission unter amerikanischem Vorsitz verlangt. Die brasilianische Regierung weigerte sich gegen dieses Ansinnen, dessen Durchführung der Unterstellung der brasilianischen Wehrmacht unter USA.-Kommando gleichgekommen wäre.

Südamerikas Bevölkerung beträgt rund 90 Millionen Menschen. Mittelamerika mit 24 Millionen und die Karibischen Inseln mit 8 Millionen Menschen kommen hinzu. Die 130 Millionen Nordamerikaner sind bestrebt, die 122 Millionen Mittel- und Südamerikaner nicht nur in ihren inneren Markt einzubeziehen, sondern sie zu ihrer größten Arbeits- und Rohstoffkolonie zu machen. Die Südamerikaner hoffen darum, auch wenn sie es nicht offen zu sagen wagen, auf einen Ausgang des Krieges, durch den die unumschränkte Macht der USA. auf dem südlichen Kontinent eingedämmt werden wird. Sie wissen, daß die frühere britischamerikanische Rivalität nicht wieder auferstehen kann.

Die Alternative für Südamerika heißt daher: Wird dieser Kontinent künftig eine Kolonie des Nordens oder wird er ein eigener Weltteil sein? Washington glaubt diese Frage bereits entschieden zu haben. Doch mag es sehr wohl sein, daß die Yankees hierbei gerade jene irrationalen Kräfte übersehen, durch die sich immer wieder in der Weltgeschichte Entwicklungen ergeben haben, die niemand vorausahnen konnte. Der Bluts- und Kulturunterschied zwischen dem nördlichen und südlichen Kontinent ist so groß, daß das Vordringen des Dollarimperialismus unter dem symbolischen Namen Rockefeller kaum das letzte Wort der Geschichte sein wird. Für den Weltkampf der Kontinente dieses Jahrzehnts freilich ist Süd- und Mittelamerika als eine Eroberung der Vereinigten Staaten anzusehen. Die USA. werden dort durch ihre Zwingburgen und mit dem Dollar herrschen und den südlichen Kontinent in ihre Weltmachtpläne als Offensivbasis einsetzen.

 

372] Kanada zwischen USA. und England

Nicht wesentlich anders verhält es sich mit Kanada. Seit dem Stützpunkt- und Zerstörergeschäft wird in allen strategischen Darlegungen von den Amerikanern nicht nur Neufundland, sondern auch Labrador und die pazifische Küste Kanadas als amerikanisches Herrschaftsgebiet bezeichnet. Mit Roosevelts bereits erwähnter Rede in Kingston war die Einbeziehung Kanadas in die Monroe-Doktrin vollzogen. Die Regierung Mackenzie Kings hat sich zunächst darauf beschränkt, ihre Beziehungen zu England etwas formaler als zu den USA. zu gestalten. (Roosevelt und Mackenzie King haben zur gleichen Zeit an der Harvard-Universität studiert.)

Nach Dünkirchen – am 17. August 1940 – wurde dann ein formelles Militärbündnis zwischen USA. und Kanada abgeschlossen, das den USA. praktisch alle militärischen Rechte auf kanadischem Boden einräumte, die sie jetzt oder in Zukunft fordern werden. Ein ständiger gemeinsamer Verteidigungsrat, den auf der USA.-Seite La Guardia präsidiert, wurde geschaffen. Roosevelt erklärte später, "durch dieses Bündnis sei die Grenze zwischen den USA. und Kanada gelöscht". Bereits im Frühjahr 1941 war von der Entsendung von USA.-Truppen nach Kanada die Rede; doch unterblieb dies zunächst.

Ehe England endgültig geschlagen ist, wird weder Kanada versuchen, von sich aus den Anschluß an USA. zu vollziehen, noch kann es wohl von Washington dazu aufgefordert werden. Da die Kriegsbegeisterung in Kanada von Anfang an nicht gerade groß war – man konnte es kaum wagen, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen und mußte sie auf eine viermonatige Dienstzeit beschränken – war die kanadische Regierung bestrebt, das Volk wenigstens durch die Erzielung großer Kriegsgewinne für sich zu gewinnen, die durch die Mittelstellung Kanadas zwischen USA. und England möglich wurde. Allein 1940 wurde der Bau von Fabriken mit einem Aufwand von etwa 300 Millionen Dollar beschlossen. Der Krieg wirkte sich also in einer starken Industrialisierung aus, die bei einem etwaigen Anschluß an die USA. sehr problematisch werden würde.

Die Amerikanisierung Kanadas wird das wohl unvermeidliche

 

371] Kanada zwischen USA. und England

Endergebnis sein. Anders als in Südamerika stehen dem – abgesehen von den Französisch-Kanadiern – weit geringere Rassen- und Kulturgegensätze entgegen. Von 1931 bis 1936 sind nach Kanada 165 000 Menschen eingewandert, von denen nicht weniger als 121 000 längere oder kürzere Zeit in den Vereinigten Staaten gelebt haben. Der kanadische Außenhandel war trotz der Ottawa-Verträge in der Einfuhr im letzten Jahrzehnt stets über 50 v. H. und in der Ausfuhr zu rund 40 v. H. durch die Vereinigten Staaten beherrscht. Wenn in England nach der Atlantikbesprechung Roosevelts und Churchills angekündigt wurde, man werde nach dem Krieg an den Ottawa-Verträgen nicht festhalten können, so ist dies wohl der Ausdruck des amerikanischen Wunsches, Kanada künftig ohne britische Zwischenschaltung in den inneramerikanischen Markt einbeziehen zu können. Die amerikanischen Kapitalinvestierungen wurden bereits 1933 mit 4 Milliarden Dollar gegenüber 2,7 Milliarden britischen Investierungen angegeben1. In der Zwischenzeit hat sich dieses Verhältnis noch wesentlich zu Ungunsten Englands verschoben. Ein im April 1941 zwischen USA. und Kanada unterzeichneter Wirtschaftsvertrag diente vollends der Einbeziehung Kanadas als Wirtschaftsprovinz der USA.

Die kanadische Eigenstaatlichkeit beruht bisher auf dem Traditionalismus des altenglischen Grundstockes der Bevölkerung. Amerikanische Lebensformen und Sitten dringen jedoch unaufhaltsam weiter vor. Daß die Vereinigten Staaten England in Kanada schließlich beerben werden, ist während dieses Krieges oftmals ohne Umschweife in USA. ausgesprochen worden. Schon 1938 erschien im "American Mercury" ein Aufsatz "Anschluß with Canada", in dem in satirischer Form dieses Ergebnis des kommenden Krieges vorweggenommen wurde. Das von Roosevelt in Aussicht genommene riesige Projekt einer Regulierung des St.-Lorenz-Stromes ist bereits als eine erste kanadisch-amerikanische Gemeinschaftsaufgabe vorbereitet worden, mit der die Überleitung Kanadas in den Bereich der Vereinigten Staaten vorbereitet wird. Die Widerstände, die die kanadischen Konservativen einer solchen Entwicklung entgegensetzen werden, hängen davon ab, wie die Kräfte am Ende

 

1 The British Empire a. a. O.

 

372] Die Drohung gegen Ostasien

dieses Krieges in der Welt verteilt sind. Der Herrschaftsanspruch der USA. von Labrador bis Feuerland ist die Grundbasis des sich nun sowohl über den Atlantik wie über den Pazifik entwickelnden, noch viel ausgreifenderen Machtstrebens.

 

 

Die Drohung gegen Ostasien

Über dem Häusermeer von Los Angeles dehnen sich die Hügel von Beverly Hills, an deren sanften Hängen die Vilien jener neuen Generation der amerikanischen Millionäre liegen, die nicht mehr in der Park Avenue von New York ihren Lebensabend verbringen wollen, sondern drüben im Westen, die blauschimmernde Weite des endlosen Pazifik vor Augen. Dort befindet sich auch, von hohen Mauern umgürtet, der Palast des Maharadschas von Indore, der mit seiner amerikanischen Frau diesen Ort für seine Kronjuwelen für weit sicherer hält als seine indische Heimat. Sein Haus gehört zu den Treffpunkten aller Snobs rings um die Küsten des pazifischen Ozeans. Hier pflegen seine Freunde noch einige Tage zu verweilen, ehe sie mit dem Pazifikklipper den Sprung nach Hawaii und dann vielleicht weiter nach Manila, Hongkong oder Singapur machen.

Im Sommer 1941 war für einen besonderen Gast des Maharadschas eine ganze Flucht von Gastzimmern vorbereitet. Die Zeitungen Kaliforniens brachten Spalten um Spalten, ehe er noch mit dem Klipper gelandet war. Es war eine wundervolle Story, ganz nach amerikanischem Geschmack. Der Maharadscha, selbst einer der reichsten Männer der Welt, erwartete den, wie es hieß, absolut reichsten Mann des Ostens: Sir Victor Sassoon, den Rothschild des Orients. Der britische Generalkonsul ließ es sich nicht nehmen, Sir Victor schon am Landungssteg zu begrüßen. Die Presse heftete sich an seine Fersen. Was konnte es auch Romantischeres geben als diesen jüdischen Finanzmagnaten, der das Vermögen seiner Familie verwaltete, das einstmals in Indien wie in Schanghai durch das Opiumgeschäft erworben worden ist. Sein Urgroßvater war bereits

 

373] Der König ist tot.

die ausschlaggebende Finanzmacht hinter dem Opiumkrieg gewesen, mit dem England die Öffnung des chinesischen Marktes erzwungen hatte. Von Bombay aus hatte sich die Familie Sassoon dann teils nach London, wo sie bis in die höchsten Staatsämter gelangte, teils nach dem Fernen Osten verpflanzt. Victor Sassoon selbst hatte indes die Erhebung in den Adelsstand nicht abgehalten, offenbar in der Voraussicht, Indien werde irgendwann nicht mehr sicher sein, mit mehreren hundert Millionen Dollar von Bombay nach Schanghai umzusiedeln. Das war schon 1931 gewesen. Wie sein Gastgeber, der Maharadscha von Indore, hatte Victor Sassoon dem Gesetzgebenden Rat des Indischen Kaiserreiches angehört. Als er seinen Entschluß bekanntgab, Bombay mit Schanghai zu vertauschen, schrieb die "Times ot India", es sei, als ob der Ganges selbst beschlossen habe, sich künftig ins Gelbe Meer zu ergießen.

Sassoon empfing schließlich die Presse. Was er zu sagen hatte, war kurz und bündig. " Onkel Sam", so meinte er, "sei bereits der Beherrscher des Pazifik. Er wisse es nur noch nicht. Die Vereinigten Staaten sollten so schnell wie möglich das britische Empire übernehmen und das vereinigte Königreich selbst als zusätzlichen Staat ihrem Herrschaftsbereich einfügen."

Die Ansichten Sassoons geben, so meinte "American Mercury"1, einen Querschnitt durch die Gespräche, die jetzt hinter verschlossenen Türen in den Büros der Bankdirektoren von Hongkong und Schanghai geführt werden. Es richte sich dies nicht gegen England, unter dessen Schutz die riesigen Vermögen des Ostens entstanden seien. Es drücke sich darin nur das ewig wiederkehrende und immer wieder praktische dynastische Gefühl aus: Der König ist tot, lang lebe der König. Die Besitzer der großen Vermögen auf den pazifischen Inseln und entlang der Küste Chinas, die bisher den Yankees gegenüber skeptisch gewesen seien, hätten sich mit der neuen Situation abgefunden. Schon seien sie bereit, das Knie vor Onkel Sam, dem Imperator des Pazifik, zu beugen. Die Rothschilds des Ostens haben in der Tat durch mehrere Jahrhunderte hindurch bewiesen, daß sie immer vorausahnten, wo das große Geschäft zu machen war. Sir Victor, so schien es, war nun bereit,

 

1 September 1941.

 

374] New Deal für Ostasien

den britischen Adelstitel abzulegen, um dafür vielleicht den Sitz eines Senators in Washington einzutauschen. Bombay, Schanghai oder Beverly Hills – ist es nicht gleichgültig, von wo aus das große Geschäft inszeniert wird, mit dem die Ausbeutung der Millionenmassen des Ostens sich fortsetzen soll, bis zu den Kindeskindern der heute lebenden Sassoons?

In Tschungking wurden einige Monate früher wesentlich andere Gespräche geführt. Dort war eben, als Sonderbotschafter Roosevelts, Lauchlin Currie beim Marschall und bei Madame Tschiang Kai-schek eingetroffen, ein Professor der Harvard-Universität und ein Schüler des britischen Währungsorakels John Maynard Keynes. Er überbrachte nicht nur ein Bild mit der eigenhändigen Unterschrift des Präsidenten, sondern die Botschaft an den chinesischen Marschall, es gelte nun das New Deal in China einzuführen. Dies allein könne die Rettung des chinesischen Rumpfreiches vor dem Vordringen Japans bringen. Es bedürfe großer Reformen, und die amerikanische Nation sei dazu bereit, diese nicht nur zu finanzieren, sondern vor allem auch die Fachleute dafür zur Verfügung zu stellen: einen Finanzfachmann für die Zentralbank der Tschungking-Regierung, Zoll- und Steuerfachleute für die Verwaltung der Staatseinkünfte, amerikanische Piloten als Kommandeure der Flugwaffe, aktive Generale und vieles mehr.

Es klang alles wesentlich anders als das, was Sir Victor Sassoon so bündig in der Villa des Maharadschas von Indore mitgeteilt hatte. Es klang sehr sozial, sehr modern, sehr reformfreudig und durchdrungen von der Sorge um die Freiheit der Chinesen. Von Dollars, die die Vereinigten Staaten etwa haben wollten, war überhaupt nicht die Rede, sondern nur von solchen, die sie zu geben bereit waren. Mr. Currie, dem Äußeren nach ein waschechter Puritaner, machte dazu sicherlich noch einen aufrichtigen Eindruck. Das Programm freilich, das er dem Marschall und der weltaufgeschlossenen Madame vorzutragen hatte, entsprach genau dem, was Victor Sassoon sich gedacht hatte. New Deal für den Osten? Gut, man konnte künftig das Ausbeutungssystem der Angelsachsen im pazifischen Raum auch mit diesem Namen nennen. Es klingt gewiß besser als Opiumkrieg.

 

375] Pazifische Spannungen

Jeit (Wrong-Horse-) Harry Stimson 1932 versucht hatte, eine angelsächsische Front gegen Japan aufzustellen und damit gescheitert war, ist die Außenpolitik Washingtons im Fernen Osten nie völlig klar und unzweideutig gewesen. Sie war natürlich immer prochinesisch und antijapanisch. Wir sahen bereits, wie durch die Kündigung des durch Jahrzehnte bewährten japanisch-amerikanischen Handelsvertrages schon vor Kriegsausbruch jene "Arbeitsteilung" mit Großbritannien einsetzte, durch die Amerika den Schutz der angelsächsischen Interessen im Fernen Osten übernehmen sollte. Dies bedeutete Hilfe für China, doch hütete man sich, bis zum Sommer 1941 zur vollkommenen Blockade gegen Japan zu schreiten. Wir haben bereits gezeigt, daß die amerikanischen Kapitalinvestitionen in und der amerikanische Außenhandel mit China wesentlich geringer waren als mit Japan. 1939 und 1940 erhielt Tschungking wohl amerikanische Regierungsanleihen in Höhe von 170 Millionen Dollar. Andererseits konnte Japan im gleichen Zeitraum für 488 Millionen Dollar Öl, Schrott, Eisen, Werkzeugmaschinen und andere Materialien in den Vereinigten Staaten kaufen. Nach Ablauf des Handelsvertrages im Januar 1940 wurde zwar die Ausfuhr von Waffen, Flugzeugen und hochwertigem Flugmotorenöl nach Japan unterbunden. Im State Department war man indes der Ansicht, eine Blockade gegen Japan sei sinnlos, solange die Vereinigten Staaten nicht in der Lage wären, sofort vom Wirtschaftskrieg zum offenen Krieg gegen Japan überzugehen.

Trotz aller kriegerischen Reden wußte man aber sehr genau, daß vor der Erbauung der Zweiozeanflotte Krieg gegen Japan ein unerhörtes Risiko bedeutete, weil Japan einen solchen Krieg in der Nähe seiner eigenen Stützpunkte und in seinen eigenen Gewässern führen kann, in denen es nach allgemeiner Ansicht der Marinefachleute voraussichtlich der amerikanischen Flotte und Luftwaffe überlegen ist. Man wußte, eine totale Blockade mußte früher oder später Japan dazu veranlassen, gegen die Philippinen, bzw. Niederländisch-Indien, das alle Rohstoffe besitzt, die Japan braucht, offensiv zu werden. "Entsprechend der Tradition seiner Fernostpolitik hat das amerikanische Volk stets gewünscht, die

 

376] Roosevelts Fehleinschätzung der Japaner

japanische Flotte auf dem Grund der Südchinasee oder des Gelben Meeres liegen zu sehen"1. Diesen Gefallen konnte indes die japanische Marine ihren amerikanischen Nachbarn beim besten Willen nicht tun. Die Vereinigten Staaten blieben infolgedessen lange Zeit hindurch weit unentschiedener, als man angesichts der fortwährenden Drohreden der Minister und des Präsidenten hätte vermuten können.

Gewiß, man hätte schon 1939 oder 1940/41 gern zugeschlagen, aber man besaß nicht die Macht dazu. Dies ist die einfache Erklärung, weshalb der seit Jahren von fast allen Beobachtern im Pazifik vorausgesagte Krieg so lange nur ein drohendes Gespenst blieb. Roosevelt muß sich hierüber auch während der entscheidenden Verhandlungen mit Japan im Herbst 1941 klar gewesen sein. Er muß gewußt haben, daß die amerikanische Macht zu einem erfolgreichen Krieg im Fernen Osten zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichte. Wenn er trotzdem bei den Verhandlungen mit Japan alle Möglichkeiten einer gegenseitigen Übereinkunft ausschloß, so wohl nur allein deshalb, weil er glaubte, Japan bluffe ebenso wie er selbst. Die Katastrophe entstand dadurch, daß der Präsident abermals seine Wunschbilder mit der Wirklichkeit verwechselte und die japanische Psyche völlig verkannte.

Jede Abwägung der Kräfteverhältnisse im Pazifik bleibt müßige Spielerei, solange man sich nicht über das Ziel und die Absichten klar ist, die die Vereinigten Staaten in Ostasien verfolgen. Wir sahen, wie die Philippinen verhältnismäßig zufällig erworben wurden und wie etwa um die gleiche Zeit die amerikanische Hochfinanz begann, sich unter der Führung des Hauses Morgan am Chinageschäft zu beteiligen. Der Chinahandel hat indes niemals eine wirklich entscheidende Rolle für den Wohlstand der Vereinigten Staaten gespielt. Sein Höhepunkt lag im Jahre 1920. Damals erreichten Einfuhr und Ausfuhr von und nach China einen Wert von 340 Millionen Dollar. Das waren indes nur 2,5 v. H. des gesamten Außenhandels der USA.! Der Außenhandel mit Kanada z. B. hat stets eine ungleich höhere Bedeutung gehabt. Um das Jahr 1930 machten Ausfuhr und Einfuhr zusammen nur ungefähr

 

1 Fortune, April 1941.

 

377] China kämpft für USA.

110 Millionen Dollar aus. Diese Ziffern beweisen, daß hinter einer aggressiven Interessenpolitik der USA. im Fernen Osten und insbesondere in China niemals die Frage des Wohlstandes der breiten Massen gestanden hat, sondern allein die Profite jener kleinen Gruppe, die sowohl den Chinahandel wie das Anleihegeschäft monopolisierte. Nimmt man hinzu, daß im Prinzip sogar der Rückzug von den Philippinen bereits beschlossene Sache war – er wird allerdings voraussichtlich nicht freiwillig erfolgen – so ergibt sich, daß überhaupt nicht davon die Rede sein kann, daß die Vereinigten Staaten im Osten vitale Lebensinteressen besäßen. Trotzdem sehen sie in Japan ihren "natürlichen" Feind; trotzdem waren sie entschlossen, wenn sie erst einmal die entsprechende Stärke erlangt hätten, gegen Japan zu kämpfen. Worum also geht es? Wie formuliert man in USA. die Interessen in Fernost?

"Unser wichtigstes Ziel in China ist nicht allein eine günstige Handelsbilanz mit diesem Land, sondern ein starkes China. Ein starkes China, das fähig und bereit ist, das Prinzip des offenen Marktes im Fernen Osten zu verleidigen, würde für die Vereinigten Staaten Milliarden Dollar wert sein. Und zwar sowohl was den Export angeht als auch was die Sicherheit des Systems anbelangt, unter dem wir zu leben wünschen. In diesem Sinne ist eine kluge Handelspolitik unsere erste Verteidigungslinie. Die Vereinigten Staaten sind ein Gläubiger, der von Schuldnern umgeben ist. Wenn alle Schuldner zusammenbrechen, müßte auch unser ganzes System zusammenbrechen, und wir müßten mit ihnen untergehen. Infolgedessen müssen wir zuerst daran denken, unsere Schuldner kräftig zu erhalten. Die Frage eines größeren Anteiles an ihrem Handel steht dagegen in der zweiten Linie. Wenn sie bereit sind, das Prinzip des offenen Marktes aufrechtzuerhalten – mit wem immer sie Handel treiben – so liegt das in unserem eigenen Interesse. Das ist das Ziel, das erreicht werden muß"1.

Hier haben wir, in wenige Sätze zusammengefaßt, beinahe die ganze Zielsetzung des nordamerikanischen Imperialismus im Fernen Osten. Nach Ansicht der amerikanischen Finanzimperialisten kämpft China nicht für sich, sondern für die Aufrechterhaltung

 

1 Fortune, Mai 1941.

 

378] China kämpft für USA.

des offenen Marktes. Es kämpft für das Prinzip der Offenen Tür zugunsten des von Amerika bereits investierten Kapitals und eines künftigen Außenhandels, der "für USA. Milliarden Dollar wert sein soll". Mit anderen Worten, China kämpft nach amerikanischer Ansicht dafür, daß es sich nicht mit Japan zu einer großen oslasiatischen Einheit zusammenschließt, sondern sich lieber das Schicksal einer amerikanischen Finanzkolonie wählt. Das ist nicht unsere eigene Theorie, sondern es ist die des Kreises um den Präsidenten selbst. Bullitt, der es schließlich wissen muß, erklärte vor einer Versammlung des Chinahilfskomitees in New York, China sei die Westfront der USA. "Die Chinesen", so sagte er, "schlagen Schlachten für unsere eigene Sicherheit"1. Der Begriff dieser eigenartigen Westfront gehört seitdem zum ständigen Repertoire aller außenpolitischen Betrachtungen in USA. Die Westgrenze Amerikas wäre damit also bis zum Pamir, dem "Dach der Welt", vorgeschoben! Nachdem neben die Chinahilfe auch die Sowjethilfe getreten ist, mag künftig die Westgrenze der USA. wohl gar irgendwo am Kaspischen Meer oder jedenfalls dort liegen, wo die deutsch-europäische Besatzungsarmee den Schutzgraben aufwirft, an dem der europäische Einfluß enden wird.

Ehe Owen Lattimore, der langjährige Herausgeber der Zeitschrift -"Pazific Affairs", vom Präsidenten zur Ablösung von Currie als Zentralberater nach Tschungking gesandt wurde, veröffentlichte er einen Aufsatz mit der Überschrift "Amerika hat keine Zeit zu verlieren"2, in dem eine Sinndeutung des Kampfes Tschungking-Chinas gegeben wurde. Er legte dar, daß es leichter für Amerika sei, China in seinem Kampf gegen Japan zu kräftigen, als selbst gegen die Japaner anzutreten. Es ergäben sich hierbei allerdings einige Schwierigkeiten. Auch wenn es gelänge, den Chinesen, die zwar eine gewisse Defensivkraft, aber keinerlei Offensivkraft besäßen, die entsprechenden Angrifiswaffen zu verschaffen, so müßten doch in jedem Fall die Chinesen die Hauptlast des Krieges tragen. Sie würden beständig den Leiden der Bombenangriffe ausgesetzt sein, und die Opfer der Zivilbevölkerung wären voraussichtlich außerordentlich. Zu allem Übernuß könnten die Chinesen auch

 

1 Washington Post, 27. April 1941.

 

2 Asia, New York, April 1941.

 

379] Zwiespältige Taktik

noch einen Preis dafür verlangen, "because they will be fighting our battle". Er fügt hinzu, schon die ganzen Jahre hindurch hätten die Chinesen eigentlich für Amerika gefochten.

"Wenn wir jetzt unsere Hilfe an China erweitern, so können wir kaum verbergen, daß wir dies tun, um unsere eigenen Interessen zu retten. Sollten die Chinesen gewinnen, so werden sie nicht nur sich selbst, sondern uns in Sicherheit gebracht haben, und man wird dies überall wissen – in Indien, in Malaya, in Niederländisch-Indien und auf den Philippinen." Wir wissen nicht, ob Marschall Tschiang Kai-schek diesen Aufsatz kannte, als er wenige Monate später Owen Lattimore in Tschungking als ständigen Verbindungsmann zu Roosevelt willkommen hieß. Sicher aber ist, daß sich der Marschall, der eine geschmeidigere, dem fernöstlichen Stile mehr angepaßte Taktik gegenüber Japan noch lange nach dem Ausbruch des Krieges hätte anwenden können, in seinem eigenen Netz verfangen hat. Alle diese verschiedenen Äußerungen ergeben, zusammengenommen, das klare Bild, daß man in Washington den Kampf Chinas als einen Kampf um die Aufrechterhaltung des offenen Marktes ansieht und daß man an ihm nur insoweit interessiert ist, als er das Chinageschäft der nächsten Jahrzehnte entscheiden wird.

Dies erklärt auch – abgesehen von der relativen militärischen Schwäche der USA. im Pazifik – die zwiespältige Taktik der Fernostpolitik Washingtons. Man hatte weder ein Interesse daran, daß Japan seinen großasiatischen Wirtschaftsraum errichtet, bei dessen Verwirklichung das Prinzip der Offenen Tür allein von der Gutwilligkeit Tokios abhinge. Genau so wenig aber ist man daran interessiert, daß China etwa wirklich stark und mächtig wird. Deshalb unterstützte man so lange den einen Teil durch die Lieferung kriegswichtiger Materialien und den anderen Teil durch Anleihen. Ja, es ließe sich sogar unschwer voraussagen, daß ein etwa siegreiches China, das seine Handels- und Wirtschaftspolitik unter nationalwirtschaftlichen Gesichtspunkten einrichten würde, die Vereinigten Staaten sofort zum erbitterten Feinde hätte.

Weder England noch Amerika haben, obwohl sie sich als offiziell verbündet mit China ausgeben, auf die im vorigen Jahrhundert

 

380] Imperator im Pazifik

erzwungenen Fremdenvorrechte verzichtet. Das einzige Land, das auf diese Vorrechte – sie waren im Versailler Diktat gestrichen worden – auch als es wieder zur Großmacht erstarkt war, freiwillig verzichtete, war Deutschland. Selbst in diesen Jahren, in denen China immer wieder als gleichberechtigter Bündnispartner der Angelsachsen genannt wird, hält man also daran fest, daß die Chinesen Menschen zweiter Klasse, die Engländer und Amerikaner aber Geschöpfe erster Klasse seien. Man mag dafür im praktischen Leben des Fernen Ostens vielleicht Gründe haben. Gewiß enthüllt dies aber, daß man tatsächlich am Kampf der Chinesen nur insoweit interessiert ist, als man aus ihm ein auf lange Zeit geschwächtes China hervorgehen sieht, das gar nicht in der Lage sein wird, der Ausbeutung durch ein Abgehen vom Prinzip der Offenen Tür Widerstand entgegenzusetzen.

Hieraus ergeben sich alle Zielsetzungen der amerikanischen Fernostpolitik: China als amerikanische Finanzkolonie mit amerikanischen und allenfalls auch einigen englischen Beratern steht im Mittelpunkt. Die Bekämpfung des japanischen Anspruchs auf die Errichtung eines großasiatischen Einfluß- und Wirtschaftsraumes ist das Negativ dazu. Die Zurückdrängung des britischen Einflusses bis zu jenem Zeitpunkt, an dem sich England der amerikanischen Führung im Fernen Osten vollends beugt, und ein stillschweigendes Protektorat über Niederländisch-Indien kommen hinzu. Dieses Gebiet beansprucht als Lieferant fast des gesamten in den Vereinigten Staaten benötigten Kautschuks und eines wesentlichen Teiles des Zinns und anderer Metalle noch dazu ein Sonderinteresse.

Über allem schwebt die Vorstellung von den unerschöpflichen Zukunftsmöglichkeiten des chinesischen Marktes. Niemals ist in den Vereinigten Staaten vergessen worden, daß der Export nach China sich zwischen 1895 und 1909 nur deshalb verdreifachte, weil damals Rockefeller auf die bereits erwähnte Idee verfiel, an die Chinesen die sogenannte Mei-Foo-Lampe zu verkaufen, durch die der Ölbedarf sprunghaft in die Höhe schnellte. Ähnliche Hoffnungen hegte man auch für die Zukunft auf anderen Gebieten. Dies ist auch der Grund, weshalb wir Thomas Lamont und andere Finanzmagnaten immer als besonders scharfe Verfechter einer

 

381] Singapur

"aktiven" Außenpolitik, ja einer Interventionspolitik im Fernen Osten sehen. Dort geht es weder um die Sicherheit des amerikanischen Volkes, noch um irgendwelche lebensnotwendigen Interessen. China als Westgrenze der USA. – das ist der Versuch einer Weltreichsgründung mit modernen Mitteln. Die Chinesen selbst sollen dies Weltreich für Amerika erkämpfen, und USA. wird ihren Kampf finanzieren.

IVlit dem Zusammenbruch Frankreichs und der äußerst gefährlichen Lage, in die damit das britische Mutterland geraten war, begannen sich auch im Fernen Osten die Ziele der amerikanischen Außenpolitik sprunghaft zu erweitern. Es war nun klar, daß die britische Flotte auf lange Zeit hinaus nicht mehr imstande sein würde, die angelsächsischen und vor allem mittelbar die amerikanischen Interessen im Fernen Osten zu schützen. Singapur war 1938 als mächtigste Seefestung der Welt mit einem Aufwand von 150 Millionen Dollar vollendet worden. Aber dieser Kreuzungspunkt zwischen Indischem und Pazifischem Ozean mit seinen zahlreichen Militärflugplätzen, seinen schwimmenden Trockendocks und mächtigen Kaianlagen war, wie man alsbald in den Vereinigten Staaten feststellte, eine Hühnerfarm ohne Kücken. Es konnte keine Rede mehr davon sein, daß die Engländer angesichts ihrer Gefährdung auf den Verbindungswegen des Atlantik und des Mittelmeeres noch ein Fernostgeschwader in Singapur belassen konnten, das gegenüber der japanischen Flotte entscheidend ins Gewicht fiel. Hierzu wäre ein Geschwader von mindestens acht modernen Schlachtschiffen und der entsprechenden Anzahl von Kreuzern, Zerstörern und HilfsschiSen notwendig gewesen. Über sie verfügte indes England nicht. Die fünf Schlachtschiffe, die nach dem Flottenbauprogramm des Jahres 1936/37 auf Kiel gelegt wurden – "King George V." und "Prince of Wales" gehören zu ihnen – waren ursprünglich als Fernostgeschwader gedacht. Erst Anfang Dezember 1941 traf indes die "Prince of Wales" mit der "Repulse" in Singapur ein. Bereits zwei Tage nach der japanischen Kriegs-

 

382] Union Now – praktisch

erklärung versanken "Prince of Wales" und "Repulse", von japanischen Lufttorpedos zerrissen, in den Fluten des südchinesischen Meeres. Mit diesen stolzen Schiffen wurde der britische Machtanspruch im Fernen Osten tief getroffen, da nach dem Verlust von "Royal Oak" und "Hood" Britannien nicht mehr daran denken konnte, Singapur durch ein ausreichendes Geschwader zu ersetzen.

Schon vom Herbst 1940 ab war in Amerika die These propagiert worden: "Singapur ist ein amerikanisches Problem." Dies aber bedeutete gleichzeitig auch den Anspruch auf Indien, in welcher Form immer. Wer Singapur beherrscht – das ist ein Axiom der fernöstlichen Strategie – beherrscht den Weg nach Indien und damit auf weite Sicht Indien selbst. So bekam Union Now auch im Fernen Osten einen überaus praktischen Sinn. Die Engländer selbst, in der Erkenntnis ihres Unvermögens, Singapur über einige australische Regimenter, einige Zerstörer und U-Boote hinaus zu bewaffnen und zu bemannen, mußten die Frage an Washington richten, ob die Vereinigten Staaten zur Zusammenarbeit, d. h. zur Übernahme der Seebastion des Ostens, bereit seien. England mußte sich wohl darüber klar sein, daß dies unabsehbare Folgen für den ganzen bisherigen Aufbau des Empire haben würde. Die Beteiligung an Singapur konnte auf die Dauer nur eine Beteiligung an der östlichen Reichshälfte des britischen Empire bedeuten. Hier sehen wir nun am praktischen Beispiel, was Henry Luce meinte, wenn er in seinem "American Century" programmatisch verkündete, im künftigen Verhältnis der Angelsachsen sei Amerika der Senior- und England der Juniorpartner. Weit über die Ausbeutung Chinas und die Begründung des Tschungkingreiches als amerikanischer Finanzkolonie war damit die Frage der künftigen Beherrschung Asiens aufgeworfen. Niederländisch-Indien und Australien begannen angesichts einer solch drastischen Kräfteverschiebung nicht mehr in England, sondern in den Vereinigten Staaten die "Schutzmacht" zu sehen, nach deren Wünschen sie sich nun richteten.

Die sogenannte ABCD-Koalition (wobei A für Amerika, B für Britannien, C für China und D für [Dutch] Niederländisch-Indien gilt) stand bereits nicht mehr unter englischer, sondern unter

 

383] Nach China – Indien

amerikanischer Führung. Generalstabskonferenzen in Singapur und Manila zwischen den vier Gruppen der neuen Koalition lösten einander ab. Air Chief Marschall Sir Robert Brooke-Popham, der Oberkommandierende aller britischen Streitkräfte östlich von Aden mit dem Zentralsitz in Singapur, wurde seinerseits zum Untergebenen des neu nach Manila entsandten amerikanischen Generalstabes für den Fernen Osten.

Die amerikanische Machtpolitik in Ostasien geriet nun in einen unauflöslichen Widerspruch zwischen den Interessen der Hochfinanz und der offiziellen demokratischen Ideologie. Die asiatischen Millionenmassen in China, Indien und Malaya haben ein geschärftes Verständnis dafür, daß sich die Vereinigten Staaten durch die Allianz mit dem im Osten wohlbekannten britischen Imperialismus und Handelskapitalismus nicht zur Errichtung einer neuen freien Völkerordnung in Ostasien anschickten, sondern zur Übernahme der britischen Methoden kolonialer Beherrschung. Wir erwähnten bereits, daß USA. auch nach der Einbeziehung Chinas in das Leih- und Pachtsystem an den exterritorialen Vorrechten in China im Prinzip festhielt. Je mehr sich nun das Schwergewicht der ostasiatischen Politik von London nach Washington verschiebt, desto mehr sind die Vereinigten Staaten gezwungen, die britische Gewaltpolitik in Asien mit einem Blankowechsel zu unterschreiben. Noch bis an die Schwelle des Jahres 1941 wurde von fast allen amerikanischen Fernostspezialisten das britische Regime in Indien einer oft bemerkenswert heftigen Kritik unterzogen. Die Verhaftung und Entrechtung der indischen Intelligenzschicht der Kongreßpartei paßte allzu schlecht in das Bild eines "Weltkampfes für die Demokratie", das man in Washington diesem, wie dem vorigen Kriege zugrunde legen wollte.

Bei dem Atlantiktreffen Roosevelts und Churchills im August 1941 versuchten die Amerikaner den Engländern die Notwendigkeit einer veränderten Taktik in Indien klarzumachen. Die Einrichtung einer amerikanischen diplomatischen Vertretung in Delhi, durch die mittelbar Indien als Dominium anerkannt wurde, lag auf derselben Linie. Die " Reform", die von England unter diesem amerikanischen Druck im Sommer 1941 in Indien durchgeführt

 

384] Beteiligung an Asien

wurde, stellte sich indes nur als einer jener zahlreichen Täuschungsversuche heraus, die sich in der britischen Kolonialgeschichte der neueren Zeit beständig wiederholen. Durch die Erhebung von englandhörigen Kreaturen zu Regierungsberatern oder Ministern sollte der Anschein einer Volksregierung erweckt werden. Selbst Gandhi, der niemals etwas anderes als ein Kompromiß mit England erstrebt hat, mußte diese Reformen scharf zurückweisen. Vizekönig Linlithgow antwortete darauf mit einer neuen Verhaftungswelle.

Bisher hatte man in Amerika mit Vorliebe darauf hingewiesen, daß von den 500 Millionen Menschen des britischen Empires nur etwa 70 Millionen unter den Gesetzen der "Demokratie" lebten. Jetzt wurde man wesentlich vorsichtiger. Die britische Schwäche und das Ende des britischen Zeitalters war derart offenkundig geworden, daß man in Washington die bequeme Position des weit entfernten und von keiner Verantwortung belasteten Kritikers kaum mehr aufrechterhalten konnte. Reformen in Indien waren jetzt nicht mehr eine theoretische Frage, bei der man sich wie im Weltkrieg, um der Aufrechterhakung der ideologischen demokratischen Fassade willen, von England distanzieren konnte. Reformen in Indien betrafen nun nach amerikanischer Ansicht die Erbmasse, die man entweder als Ganzes zu übernehmen oder an der man sich wenigstens als Seniorpartner wesentlich zu beteiligen gedachte. Es eröffneten sich für den herrschenden Kreis in Washington Aussichten, die geradezu wie eine Vision eines neuen amerikanischen Imperialismus erschienen. Konnte nicht durch eine Beteiligung der Vereinigten Staaten am britischen Kolonialsystem in Asien eine Möglichkeit erstehen, das auch durch die Aufrüstung nicht verscheuchte Gespenst der Arbeitslosigkeit auf die Dauer zu bannen? Wurden nicht der indische und chinesische Markt vereint als Abnehmer in der Zukunft alle Widersprüche des amerikanischen Industrialismus lösen können? Fand sich hier nicht etv/a der Ausweg aus der Grundschwierigkeit der modernen amerikanischen Gesellschaft, den Überfluß der bis zum letzten rationalisierten Industrieproduktion absetzen zu können? Dies konnte aber in der praktischen Politik nur bedeuten, daß sich Amerika stillschweigend dazu entschloß, die britischen Herrschaftsmethoden in Indien zu billigen.

 

385] Beteiligung an Asien

Die amerikanische Kritik an der englischen Indienpolitik wurde sichtlich milder und verstummte schließlich fast ganz.

Churchill hat nach seiner Rückkehr vom Atlantiktrefien im Unterhaus verkündet, das Atlantikprogramm beziehe sich wegen der dort vorliegenden "besonderen Verhältnisse" nicht auf Indien. Der Präsident der Indischen Partei Hindu Mashaba fragte daraufhin telegraphisch bei Roosevelt an, ob der Präsident die Errichtung eines freien und gleichberechtigten Indien binnen eines Jahres nach dem Ende des Krieges garantieren wolle. Er erhielt niemals eine Antwort. Wir sahen, daß schon im Unionsprogramm von Clarence Streit vorgesehen war, daß die britischen Kolonien als Gemeinschaftseigentum in die neue angelsächsische Machtkombination unter amerikanischer Führung überführt werden sollten. Nachdem die Unionsfrage nach der Atlantikerklärung aus dem Stadium theoretischer Erwägungen in das der praktischen Politik eingetreten war, sah man in Washington keinen Anlaß mehr, England zu veranlassen, die wertvollsten gemeinsamen Einnahmequellen der Zukunft durch ein bindendes Versprechen an die Inder zu verschleudern. Indien und China gehören trotz ihrer gewaltigen Reichtümer, politisch gesehen, zu den Habenichtsen. Diese Völker haben starke Hoffnungen darauf gesetzt, Amerika werde gegenüber England seinen Einfluß in der Richtung einer künftigen Gleichberechtigung geltend machen. Mit der Ausdehnung des imperialistischen Anspruches der USA. auf das ganze Empire war hiervon indes keine Rede mehr. Der von bestimmten linksorientierten amerikanischen Kreisen unternommene Versuch, die demokratische Ideologie als revolutionären Sprengstoff in Asien – mit der Spitze gegen Japan – einzusetzen, mußte scheitern, weil Roosevelt alle Widersprüche des britischen Imperialismus in sein eigenes Machtprogramm übernahm.

LJie japanische Idee einer asiatischen Monroe-Doktrin erhielt durch diese Verschmelzung des neuen amerikanischen mit dem alten britischen Kolonialimperialismus einen tieferen Hintergrund. Je mehr sich Tschungking-China vor allem unter dem Einfluß

 

386] Umformung der japanischen Gesellschaft

von Madame Tschiang Kai-schek in eine amerikanische Finanz- und schließlich auch Militärkolonie zu verwandeln begann, desto einfacher wurde es für Japan, die Idee seiner neuen großasiatischen Ordnung zu vertreten. Ihr stellten sich naturgemäß all jene Schwierigkeiten und Hemmungen entgegen, die sich überall aus der Besetzung und Umordnung weiter Gebiete ergeben, die gleichzeitig mit den Auswirkungen eines sich in nicht allzuweiter Ferne fortsetzenden Krieges belastet sind. Die asiatischen Millionenmassen dürften zu Beginn der großen Auseinandersetzung in Ostasien im japanischen Imperialismus eine ähnliche Erscheinung wie im britischen und amerikanischen gesehen haben. Die Einsetzung Wang Tsching-wei's in Nanking ließ nun aber neue Gesichtspunkte hervortreten, durch die sich grundsätzliche Unterschiede zwischen den Japanern und den Angelsachsen ergaben, deren volle Bedeutung erst in der Zukunft offenbar werden wird. Mit der japanischen Idee verband sich nun der Kampf gegen die raumfremden Ausbeutungsmächte.

Die Umformung der japanischen Gesellschaft, die sich unter der Führung vor allem des jüngeren Offizierkorps in der Richtung einer Verschmelzung neuer Gemeinschaftsideen mit den ehrwürdigen Traditionen des Kaisertums zu vollziehen beginnt, eröffnet Aussichten für die ostasiatischen Völker, wie sie weder von England noch von Amerika jemals in Ostasien geboten werden können. Dort, wo Japan noch in den Fußtapfen der kapitalistischen angelsächsischen Erschließungsmächte und Imperiums-"Vorfahren" steht, ergeben sich noch Widersprüche und Schwierigkeiten. Je näher indes der große weltpolitische Konflikt auf Japan zukam, desto größer wurden die Möglichkeiten für die Entwicklung einer vom angelsächsischen Vorbild immer mehr abgelösten eigenen japanischen Ordnung, die ähnlich wie in Deutschland vom Gesamtschicksal der Nation und damit vom Sozialen her bestimmt ist. Dies ist auch der Grund, weshalb das Offizierkorps zunächst der Armee, später auch das der Marine, die weltpolitische Auseinandersetzung trotz aller Risiken, die sie in sich bergen muß, und trotz der Auswirkungen des nun schon jahrelang geführten Krieges in China immer weniger scheute. Diese Kräfte in Japan

 

387] Umformung der japanischen Gesellschaft

fühlen, daß sie gerade um der Umformung ihres eigenen Volkes willen der großen Prüfung, die der Zusammeriprall mit der amerikanischen Macht bedeuten wird, nicht aus dem Weg gehen können. Sie glauben, daß vielmehr gerade dadurch die Überwindung der Meji-Periode, in der zunächst fast unbesehen wesiliches Gedankengut in Japan übernommen wurde, möglich sein wird. Der Krieg wird hier als Schicksal empfunden, das mit der japanischen Religiosität im tiefsten Grunde zusammenfließt.

Die Angelsachsen und heute insbesondere die Amerikaner bemühen sich, den Machtkampf im Fernen Osten vereinfacht als die Auseinandersetzung zweier konkurrierender Imperialismen darzustellen. Dies trifft aber höchstens auf die äußere Schicht des Geschehens zu und selbst auf diese nicht vollständig. Der japanische Sendungsglaube ist sicherlich durch die Verquickung mit den kapitalistischen Interessen der großen Trusts von Tokio und Jokohama eine Zeitlang in ein Zwielicht getaucht worden, das gerade auf den hervorragendsten Geistern Japans bedrückend lastete. Die materialistische amerikanische Betrachtungsweise hatte scheinbar Anlaß, geringschätzig mit dem Finger auf Japan zu zeigen und zu sagen: Seht, haben wir unseren Morgan, so hat Japan sein Haus Mitsui. Es war indes nur eine kurze Periode, die heute wohl trotz mancher innerer Unklarheiten schon überwunden ist, in der mit einem gewissen Recht so gcurteilt werden konnte. Selbst die Macht der nach westlichem Muster organisierten japanischen Riesentrusts gründete sich noch auf alten japanischen Sippenüberlieferungen. Dort, wo diese Mächte für den Staatsgedanken bedrohlich werden konnten, wurden sie durch die Auswirkungen des Krieges mit China nicht in harten inneren Kämpfen frontal gebrochen, sondern unter dem Druck der moralischen Kräfte, die die Armee zu entwickeln vermochte, fast sacht umgeschmolzen.

Der japanische Anspruch auf die Neuformung des ostasiatischen Kontinents, auf die Beendigung des merkantilen Ausbeutungszeitalters der weißen Mächte und auf seine Ersetzung durch eine stabile Herrschaft selbständiger ostasiatischer Staaten unter japanischer Führung kapselte allmählich alle Sonderbestrebungen ab, die der großen Linie widersprachen, in der sich die Nation vorwärts-

 

388] Ostasiatischer Sendungsglaube

bewegte. Dies ist ein langer und noch keineswegs abgeschlossener Prozeß, der sich den Augen des außenstehenden Beobachters oftmals entzieht (weshalb denn auch Aussagen über Japan von Reisenden, die vor einem Jahrzehnt und vor selbst noch kürzerer Zeit entstanden, meist nur noch bedingt Bedeutung haben). Die Abstreif ung der Meji-Epoche mit all ihren Widersprüchen vollzieht sich nicht in brüsker Form, sondern wie eine langsame Häutung. Aus dieser Periode ist soviel an westlichem Gedanken- und Kulturgut zurückgeblieben, daß der Beobachter immer von neuem verwirrt wird, wenn er sich nicht an den großen Zug der geistigen Entwicklung der japanischen Nation hält; auf ihn allein kommt es aber an. In der Innenpolitik haben sich die alten Parteien fast von selbst aufgezehrt. Zu ihrer Beseitigung bedurfte es keiner Revolution, wenngleich die symbolische Bedeutung der Schüsse, mit denen junge Offiziere zögernde Barone der älteren Generation niederstreckten, nicht unterschätzt werden soll.

Die Form, der Japan endgültig zustrebt, ist noch im Schöße der Zukunft verborgen. Sie wird sich aus dem japanischen Sendungsglauben in Ostasien und der Bewährung in den Schlachten gegen den Herrschaftsanspruch der angelsächsischen Mächte wohl erst überzeugend herausbilden. Dieser Sendungsglaube hat jedoch mit dem britisch-amerikanischen Imperialismus nichts mehr gemein. Der naive Puritanismus eines Currie mag vielleicht wirklich noch der Auffassung sein, es könne China mit einem amerikanischen New Deal ein Hilfsprogramm und eine moderne Allerweltsreligion gegeben werden. Dies alles wirkt indes dünn und gesucht, mißt man es am japanischen Glauben, das Land der aufgehenden Sonne sei berufen, den Massen Ostasiens eine neue Welt zu erbauen, die nun gerade nicht mehr eine Patentkultur amerikanischer Herkunft erstrebt, sondern aus ihren eigenen Ursprüngen die moderne Zivilisation mit ostasiatischer Überlieferung und Religiosität verbindet. Der asiatischen Monroe-Doktrin, wie sie von Japan verkündet wird, liegt also eine weit über den einfachen Wirtschaftsimperialismus hinausreichende Kraft zugrunde. Sie ist ein wirkendes Urelement der Weltentwicklung unseres Jahrhunderts. Der Gegensatz zur chinesischen Kuomingtang-Partei, soweit sie nicht

 

389] Triebkräfte des Zen-Buddhismus

kommunistisch beeinflußt ist, ist dabei fließender, als es den Angelsachsen recht sein mag. Wir denken dabei nicht nur an die Positionsveränderung eines chinesischen Nationalisten vom Range Wang Tsching-wei's, sondern auch an die von Tschiang Kai-schek etwa um 1935 begünstigte Bewegung des "Neuen Lebens", mit der die Kuomingtang zum erstenmal den Versuch machte, über Partei und Machtpolitik hinaus einen modernen ostasiatischen Lebensstil zu. verwirklichen.

Der Zusammenprall des japanischen Sendungsglaubens mit dem Amerikanismus konnte niemals zu einem freiwilligen Verzicht Japans auf die großräumige Neuordnung des ostasiatischen Kontinents führen. Dies wäre dem Zusammenbruch des japanischen Volkes - nicht also etwa nur der Großmacht oder gar nur einiger Industriekonzerne - gleichgekommen. Es hätte bedeutet, daß Japan dem im Kaisermythos verankerten Glauben an die Göttlichkeit seiner Ordnungsmission hätte entsagen müssen. Damit wäre aber kein Japaner mehr fähig gewesen, im Banner über sich das Symbol des Sonnenballes im ozeanischen Winde flattern zu sehen. ohne sich als Verräter an seinem eigentlichen Auftrag zu empfinden. Der Zen-Buddhismus, dem die führenden Schichten Japans huldigen, wäre einem solchen freiwilligen Zurückweichen vor einer fremden Drohung immer entgegengestanden. Er ruft seine Jünger dazu auf, die Widrigkeiten des Lebens zu ertragen und zu überwinden - nicht, weil dies wie beim Christentum an sich schon ein Gewinn wäre, sondern weil sie nur den Widerschein der wirklichen, verborgenen, inneren Wfelt darstellen. Diese innere Wfclt, die vom Japaner gehobener Denkungsart als die eigentliche Wirklichkeit empfunden wird, während alles äußere Geschehen nur ein Schein, ein Durchgangsstadium ist, in dem sich die Kraft der menschlichen Seele bewähren muß, kann durch den Einsatz in Gefahr niemals verlorengehen, ja sie verlangt ihn geradezu.

Hier stößt also der Amerikanismus auf eine Kraft, die nur eine äußerliche und mechanische Betrachtungsweise auf ähnliche Grundströmungen zurückführen kann wie den britisch-amerikanischen Imperialismus. Deshalb läßt sich der Gegensatz zwischen Japan und den angelsächsischen Mächten auch niemals durch Auf-

 

390] Japan und Tschiang Kai-schek

zählung von Schlachtschiffen, Stützpunkten und anderen Machtfaktoren "erklären". Der Kampf Japans an der Seite der Achse wird fortgeführt werden bis die Angelsachsen ihren Herrschaftsanspruch im Fernen Osten aufgegeben haben. Die im Dezember 1941 gefallene Eiltscheidung ist auch von Japan lange hinausgezögert worden. Nun aber, da sich erwiesen hat, daß die amerikanischen Drohungen nicht von Erfolg begleitet waren, hat dieser Kampf grundsätzliche Bedeutung erhalten. Die japanische Philosophie, die der Entwicklung des Imperiums der aufgehenden Sonne zugrunde liegt, fördert bemerkenswert ähnliche politische Impulse zutage, wie wir sie im neuen Europa unter deutscher Führung sehen. Um nicht mißverstanden zu werden: Die Ausgangspunkte sind völlig verschieden, nur das weltpolitische Ergebnis ist ähnlich. Ebenso wie Deutschland vor dem Ausbruch und auch noch während dieses Krieges fordert Japan von den Angelsachsen eine endgültige Abgrenzung der Machtsphären. Es bestreitet das Recht Amerikas und Englands, im fernöstlichen Raum Finanzkolonien zum Zwecke künftiger Ausbeutung zu errichten. Es sieht daher in dem Familienstreit mit Tschungking-China sein moralisches Recht um so tiefer begründet, je mehr der Marschall und Madame Tschiang Kai-schek ihre frühere Aufgabe vergessen und zu Filialleitern einer amerikanischen Agentur herabsinken. Gerade weil Tschiang Kai-schek als Einzelerscheinung eine der stärksten Persönlichkeiten in Ostasien ist, wird von Japan seine freiwillig gewählte Flucht zum Amerikanismus als besonders schwerwiegender Abfall von der Sache aller asiatischen Völker empfunden.

Das japanische Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ist bis in das letzte Jahrzehnt trotz aller Spannungen und Belastungen günstiger gewesen als das zu England. Dies rührt daher, daß man die Auswirkungen des britischen Imperialismus während des 19. Jahrhunderts in China vom Opiumkrieg bis zum Boxeraufstand und weiter bis in die jüngste Zeit hinein allzu konkret beobachten konnte, während Amerika, wie wir schon sahen, sich an der Ausbeutung Chinas erst wesentlich später zu beteiligen begann. Selbst

 

391] Einkreisung Japans

noch nach dem Weltkrieg sind auch die amerikanischen Interessen in Ostasien weit weniger vom Sternenbanner als vom Union Jack geschützt worden. Der intensive japanisch-amerikanische Außenhandel, ein reger und niemals abreißender Strom von japanischen Besuchern, die die Vereinigten Staaten in vieler Hinsicht lür ihre Lernzwecke interessanter fanden als Europa, dies alles bestimmte die japanische Öffentlichkeit sehr lange Zeit dazu, daß sie nicht ernstlich an eine amerikanische Gefahr glaubte. Die Vorgänge auf der Washingtoner Flottenkonferenz1 hätten Japan allerdings schon zu denken geben müssen. Gerade die japanische Oberschicht war indes, selbst nach Verkündung der Stimson-Doktrin, noch davon überzeugt, daß schon aus räumlichen Gründen ein Zusammenprall mit den Vereinigten Staaten verhältnismäßig unwahrscheinlich sei.

Man hat also in Japan das Grundsätzliche des amerikanischen Anspruchs auf die Verlegung der Westgrenze der USA. nach China wahrscheinlich lange Zeit hindurch unterschätzt. Noch der Versuch des zu Beginn des Jahres 1941 als Botschafter entsandten Admirals Nomura, einen Ausgleich mit den Vereinigten Staaten zu finden, entsprang der japanischen Überzeugung, es müsse sich bei gutem Willen eine Abgrenzung im Pazifik finden lassen. Durch den Abschluß des Dreimächtepaktes im September 1940 hatte sich Japan zum Eingreifen in den Krieg verpflichtet, falls die Vereinigten Staaten offen auf Seiten Englands treten würden. Es bestand niemals ein Zweifel daran, daß Japan auch zu dieser Verpflichtung stehen würde. Daß die japanischen Staatsmänner darüber hinaus aber alle Anstrengungen machten, um die Vereinigten Staaten davon zu überzeugen, daß ein Ausgleich im Pazifik auch ohne Krieg möglich sei, war nur ihr gutes Recht. Sie stießen damit auf den Willen zur Weltherrschaft, der sich mittlerweile in Washington als alle anderen Erwägungen übertönende Kraft entwickelt hatte.

In der naiven Sprache einer amerikanischen Zeitschrift2 nahm sich dies folgendermaßen aus: "Der Fall Roosevelt", so schrieb sie, "ist höchst einfach. Er verpflichtete sich dazu, die Angreifer zu vernichten. Japan ist ein Angreifer. Infolgedessen ist er dazu ver-

 

1 Vergleiche S. 191.

 

2 Time, 22. September 1941.

 

392] Einkreisung Japans

pflichtet, Japan zu vernichten – es sei denn, Japan verspräche die Änderung seiner Methoden. Der Präsident mag allerdings von jenen Beratern unter Führung Felix Frankfurters etwas beeinflußt sein, die ihn ermahnen, seine ganze Kraft gegen Deutschland zu konzentrieren, aber dies ist, wie vieles andere in Washington, nur eine Frage der Prioritäten. Nachdem das State Department zehn Jahre lang Japan einzudämmen versucht hat und nachdem es seit 150 Jahren die Freiheit verteidigt, kann es nicht plötzlich Mandschukuo anerkennen und China aufgeben."

Die Primitivität, mit der man in Washington dergestalt die Weltentwicklung betrachtet, war gewiß erstaunlich. Das Ergebnis war jedenfalls, daß sich Japan vom Frühjahr 1941 ab nicht mehr nur einem passiven amerikanischen Widerstand gegenübersah, sondern einer aktiven Einkreisungspolitik, die nur das Ziel der Vernichtung Japans, wie wir es hier so bündig ausgesprochen finden, haben konnte. Die japanische Macht wurde in Washington als das einzige Hindernis zur Aufrichtung eines Dominium Pacificum angesehen. Infolgedessen, so schloß man, muß sie gebrochen werden. Obwohl man sich ursprünglich darüber klar war, daß vor dem Bau der Zweiozeanflotte die amerikanische Macht hierzu unter keinen Umständen ausreichte, beendete Roosevelt im Frühjahr 1941 die bis dahin vom State Department geübte doppelseitige Politik gegenüber Japan und China. Der Entschluß zur Wirtschaftsblockade gegen Japan kam angesichts der empfindlichen Exportabhängigkeit des japanischen Mutterlandes einer Kriegserklärung gleich. Als Botschafter Joschizawa nach monatelangen Verhandlungen in Batavia auf amerikanischen Druck hin mitgeteilt wurde. Niederländisch-Indien sei weder zu Öllieferungen noch überhaupt zu einem Handelsvertrag mit Japan bereit, war die wichtigste Entscheidung bereits gefallen. Japan wußte, daß seit dem Herbst 1940 ein Geheimvertrag mit genauen militärischen Vereinbarungen zwischen Amerika, England und Niederländisch-Indien vorlag. Das Ziel war nun also klar zu erkennen: Zuerst Schwächung Japans durch wirtschaftlichen Boykott, mit dem der vernichtende Schlag vorbereitet werden sollte, den man dann später auf Japan herniedersausen lassen wollte. Ein japanischer Handelsvertrag mit

 

393] Japanische Gegenwehr

Niederländisch-Indien hätte jede stürmische Entwicklung im Pazifik verhindert, da Japan von dort fast alle Rohstoffe beziehen kann, die es benötigt. Washingtons Druck auf Batavia war also bereits eine verhüllte Kriegshandlung.

Die japanische Gegenwehr bestand nach einer Verständigung mit Vichy in der Besetzung Indochinas vor allem der strategisch ungemein wichtigen Camranhbucht, die nach Singapur als der beste natürliche Flottenstützpunkt im ganzen fernöstlichen Bereich bezeichnet wird. Japan hatte in Erfahrung gebracht, daß ähnlich wie in Syrien so auch in Indochina de-Gaulle-Marionetten vorgeschoben werden sollten, um in dieser entlegenen französischen Kolonie einen Umschwung zugunsten Englands und Amerikas herbeizuführen. Das Abkommen mit Vichy, durch das die französische Souveränität in Indochina aufrechterhalten blieb, machte diesen Gefahren ein Ende. Gleichzeitig war nun Japan im Besitz einer Basis, die nur wenige hundert Kilometer von Singapur entfernt und in unmittelbarer Nachbarschaft Thailands, des Belgiens des Fernen Ostens, liegt. Sowohl gegenüber Tschungking wie gegenüber angelsächsischen Angriffsabsichten von Singapur aus, war dies von entscheidender Bedeutung. Der schweigende, aber zähe Kampf um Thailand, der sich zwischen der angelsächsischen Gruppe und Japan mehrere Jahre hindurch abgespielt hatte, war damit praktisch zugunsten der Japaner entschieden. Damit war die Alarmstufe I im Pazifik erreicht, die es trotz aller bösen Reden herüber und hinüber bis dahin noch nicht gegeben hatte.

Die amerikanisch-japanischen Verhandlungen waren unmittelbar nach der Rückkehr Matsuokas aus Berlin durch einen unverbindlichen amerikanischen Vorschlag eröffnet worden. S. Hornbeck, der Leiter der Fernostabteilung im State Department, der schon unter Stimson der treibende Geist der aggressiven Politik gegen Japan gewesen war, setzte sich als Ziel für diese Verhandlungen, Japan aus dem Dreimächtepakt herauszubrechen. Gleichzeitig redete er dem Präsidenten ein, dies sei ohne ernsthafte amerikanische Zugeständnisse allein durch Drohungen zu erreichen. Als nach der Besetzung Indochinas und der Verhängung der Blockade gegen Japan die Zuspitzung indes gefährliche Formen annahm,

 

394] Kriegsausbruch im Pazifik

sandte Fürst Konoye eine persönliche Botschaft an Roosevelt, in der er der Gewißheit Ausdruck gab, daß der Frieden erhalten bleiben könne und in der er eine sofortige Zusammenkunft mit dem Präsidenten vorschlug, auf der die Krise in den Beziehungen der beiden Länder bereinigt werden sollte. Roosevelt hätte nur anzunehmen brauchen und es wäre fast gewiß gewesen, daß eine Übereinkunft hätte erzielt werden können. Statt dessen verlangte der Präsident vor einer solchen Zusammenkunft von Japan die volle Anerkennung der amerikanischen Forderungen, darunter auch die Zurückziehung der Truppen aus China und Indochina, ehe an eine solche Zusammenkunft überhaupt gedacht werden könne.

Mitte Oktober war es klar, daß die Vereinigten Staaten nicht bereit waren, auch nur die geringsten Zugeständnisse zu machen. Das Kabinett Konoye trat zurück und General Tojo – einer der drei großen Führer der japanischen Armee, in Tokio das "Rasiermesser" genannt – übernahm das Ministerpräsidium. Auch dies bedeutete indes noch nicht den Krieg. Tojo ließ vielmehr durch Nomura und den zu seiner Unterstützung nach Washington entsandten früheren Botschafter in Berlin, Kurusu, erklären, er sei bereit, die japanischen Truppen aus Indochina zurückzuziehen, falls die Vereinigten Staaten Japans Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen des Dreimächtepaktes anerkennen und die Wirtschaftsblockade gemeinsam mit dem britischen Empire und Niederländisch-Indien aufheben würden. Das war der letzte Vorschlag und das äußerste Zugeständnis, das von Japan gemacht werden konnte. Anfang Dezember war auch dieser Versuch gescheitert. Roosevelt und Hull lehnten ab und verlangten schließlich in einem Ultimatum die vollkommene Unterwerfung Japans sowie seinen Austritt aus dem Dreimächtepakt. In den Morgenstunden des 8. Dezember erteilten der Tenno und die japanische Regierung dieser Anmaßung der Vereinigten Staaten eine furchtbare Antwort. Die amerikanische Flotte in Pearl Harbour verlor binnen weniger Minuten mehrere Schlachtschiffe und mußte die Verkrüppelung vieler anderer Kriegsschiffe erfahren. Der Krieg hatte begonnen.

Nun, da es zu spät war, mußte Roosevelt erkennen, daß Japan in all diesen Monaten nicht geblufft hatte und daß die stillschwei-

 

395] Erschüttertes Stützpunktsystem im Pazifik

gende Voraussetzung, von der er bei den Verhandlungen mit Tokio ausging, Japan werde höchstens eine lokale Aktion in Thailand, aber gewiß nicht einen Großkrieg im Pazifik beginnen, irrig gewesen war. Man darf annehmen, daß er sonst den Bogen nicht überspannt hätte, da sich schon nach wenigen Tagen herausstellte, daß der militärische Dilettantismus der Amerikaner kaum geringer war als der politische. Das Stützpunktsystem, das die Vereinigten Staaten im Pazifik aufgebaut hatten, sollte seiner ganzen Anlage nach ausgesprochen offensiven Zwecken dienen. Es ist von den Japanern indes schon nach wenigen Tagen überrannt worden, so daß die Vereinigten Staaten und Britannien – nach dem Verlust zahlreicher mächtiger Schlachtschiffe – diesen Krieg nur noch defensiv führen konnten.

Es ist nicht unsere Aufgabe, die voraussichtliche Entwicklung des Krieges im Pazifik vorauszusagen. Wir beschränken uns daher auf einen kurzen Überblick über das amerikanische Stützpunktsystem. Es hat seine Bewährungsprobe beim Beginn des Fernostkrieges nicht bestanden. Das eigentliche amerikanische Ofjensivsystem erstreckt sich in weitem Bogen vom Panama-Kanal über die Galapagos-Inseln nach Hawaii. Von dem stark ausgebauten Kriegshafen Pearl Harbour (Hawaii) wendet sich dann ein Arm nach Norden, nach den Almuten mit dem Kriegshafen und Flugstützpunkt Dutch Harbour und den neu angelegten Basen auf Alaska als Mittelpunkt. Ein zweiter Arm reicht von der Hawaii-Gruppe unmittelbar nach Süden zu den Samoa-Inseln, während der eigentlich offensive Arm über die Midway- und Wake-Inseln bis nach Guam vorgreifen sollte, das, von Amerika im Krieg mit Spanien durch einen Handstreich erworben, 10 500 Kilometer von der amerikanischen und nur 3000 Kilometer von der japanischen Küste entfernt ist. Guam gehört zu jener Zone, in der die beiden pazifischen Großmächte sich ursprünglich gegenseitige Abrüstung zugesagt hatten. Die Befestigung dieser Insel wie der ändern federnden Sprungbretter westlich und nördlich von Hawaii war für Japan das sichere Anzeichen einer planmäßig vorbereiteten Offensive.

 

Guam sowie die Wake- und Mirfway-Inseln wurden innerhalb weniger Tage nach dem Kriegsausbruch von Japan besetzt.

 

396] Erschüttertes Stülzpunktsystem im Pazifik

Durch die Eroberung Guams, die von den nahegelegenen Saipan-Inseln aus erfolgte, war die Bedrohung Tokios durch Langstreckenbomber wesentlich vermindert. Gleichzeitig erfolgte eine japanische Landung auf der Hauptinsel der Philippinen Luzon, auf denen sich bei Kriegsausbruch kaum mehr als 40 000 Mann amerikanischer Truppen einschließlich der Eingeborenenregimenter befunden haben dürften. In Washington war man aber von der Annahme ausgegangen, daß sich bei Kriegsausbruch, den man etwa für das Frühjahr 1942 erwartet hatte, die amerikanische Flotte mit einem britischen Geschwader in der Umgebung Singapurs befinden werde. Der japanische Überraschungsschlag und die Vernichtung der Kerneinheiten des britischen Geschwaders schalteten den angelsächsischen Offensivplan aus. Während Singapur im Rücken durch eine japanische Landung auf der Malakka-Halbinsel bedroht wurde, war dieser wichtigste Stützpunkt des gesamten angelsächsischen Systems im Fernen Osten erneut eine "Kückenfarm ohne Kücken". Der Verlust der Stützpunkte westlich von Hawaii wird auch in Zukunft alle Flottenoperationen der amerikanischen Hochseeßotte stark beeinträchtigen. Auf Wake Island waren Flugplätze errichtet, die 350 Flugzeuge aufnehmen konnten, auf den Midway-Inseln Anlagen für etwa 500 Flugzeuge1. Für diese Stützpunkte auf der Hawaii-Gruppe waren 1941 allein 100 Millionen Dollar vorgesehen, doch befanden sich alle diese Anlagen erst im Aufbau. Diese oft besprochenen Gelenke einer riesigen amerikanischen Flotten- und Luftwaffenmaschine hätten in einigen Jahren, bewaffnet mit Tausenden von Flugzeugen, eine furchtbare Gefahr für Japan dargestellt. Im Augenblick des Kriegsausbruches waren sie indes noch nicht so weit ausgebaut, daß sie reibungslos ineinandergreifen konnten.

Das zwischen Thailand und Japan am 10. Dezember 1941 abgeschlossene Militärbündnis brachte gleichzeitig nach der Besetzung der wichtigen Landenge von Kra den vorgeschobenen Arm von Birma unmittelbar unter die Bedrohung von Japan. Von hier aus konnten die japanischen Armeen in kühnem Vorstoß an den Indischen Ozean den weit nach Süden reichenden Teil Birmas

 

1 Saturday Evening Post, 31. Mai 1941.

 

397] Von Alaska nach Sibirien?

abschnüren und schließlich Rangun, den Ausgangspunkt der Eisenbahn nach der Birmastraße, besetzen. Tschungking-China war damit abgeschnitten und das gesamte indische Verteidigungssystem in die ernsteste Gefahr gebracht.

L n einer typischen amerikanischen Äußerung vor dem Ausbruch des Krieges in Ostasien heißt es: "Wir haben ein amerikanisches Imperium im Pazifik errichtet. Wer immer die Frechheit besäße, uns dort herauszufordern, würde niedergeschlagen werden … Die Pax Americana wird in den großen Weiten des Pazifischen Ozeans herrschen. Wir werden uns die Autorität erzwingen, die uns von Natur aus zukommt. Schon haben wir ein Protektorat über die pazifischen Staaten errichtet: über Australien und Neuseeland, über Malaya und Niederländisch-Indien, über Tahiti und wohl auch über China. Dieses Protektorat werden wir auch über Japan ausdehnen, wenn Japan erst einmal entsprechend in Verwirrung geraten ist und uns braucht. Über Südamerika haben wir es bereits erklärt und auch das pazifische Sibirien wird am Ende noch folgen"1.

Dem ist wenig hinzuzufügen. Als kurz nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Sowjets auch Stalin unter die Bittsteller nach amerikanischer Hilfe gehen mußte, wurde in den Vereinigten Staaten sofort die Frage erörtert, ob man die Sowjets dazu veranlassen könne, als Gegenleistung militärische Basen in Ostsibirien zur Verfügung zu stellen. Schon seit dem Frühjahr 1940 war das entlegene Alaska in das Aufrüstungsprogramm der Vereinigten Staaten einbezogen worden. Der Ausbau des Stützpunktes von Dutch Harbour auf den Aleuten hing so lange in der Luft, als nicht der über Alaska führende Verbindungsweg nach den nordwestlichen Vereinigten Staaten vorhanden war. Man ging infolgedessen daran, sowohl die an der Beringstraße gelegenen Gebiete wie vor allem weiter südlich die Kodiakinseln und den im äußersten Osten Alaskas gelegenen Punkt Sitka zu Luft-, beziehungsweise Flottenstützpunkten von großem Umfang auszubauen. Der

 

1 The American Mercury, September 1941.

 

398] Von Alaska nach Sibirien?

Plan, eine Straße von Seattle über Kanada nach Alaska zu bauen, wurde ernsthaft erwogen, und Fairbanks, der wichtigste Ort in Zentralalaska, wurde plötzlich zu einem der bedeutenden Außenposten des amerikanischen Generalstabes. Alle diese strategischen Maßnahmen in dieser bis dahin wenig geschätzten amerikanischen Polarkolonie dienten dem Zweck, neben die südliche Expansionslinie über dem Pazifik eine nördliche zu legen, durch die, vereint, Japan in die Zange genommen werden könnte. Daneben spielten ursprünglich natürlich auch gegen die Sowjetunion gerichtete Pläne eine Rolle. Diese traten nun aber zurück, beziehungsweise sie veränderten ihren Charakter.

Die Gelegenheit, diese am weitesten vorgeschobenen nordwestlichen Stützpunkte in Alaska durch militärische Besitzergreifung in Ostsibii-ien zu ergänzen, schien hoch willkommen. Warum sollten die Vereinigten Staaten nicht auf dem asiatischen Kontinent selbst Fuß fassen und damit mit der Umkehrung jenes Prozesses beginnen, durch den sich Rußland im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts ebenfalls über die Brücke von Alaska bis nach Kalifornien auszudehnen versuchte? Die gesamte amerikanische Presse war daher vom Juli 1941 ab mit Artikeln überschwemmt, die die Abtretung ostsibirischer Basen als Gegenleistung für Leih- und Pachtgeschäfte forderte. Zunächst verlangte man nur die Abtretung des nördlichsten Stützpunktes der Sowjet-U-Boot-Waffe auf den Kommodorskije-lnseln (südlich der Beringstraße). Bald aber ging man weiier. Konteradmiral Ch. Woodward z. B. erklärte1:

"Die Vereinigten Staaten sollten von den Sowjets Luftbasen entlang der sibirischen Küste zu ähnlichen Bedingungen erwerben, wie dies im Falle der Westindischen Inseln mit England bereits geschehen ist." Eine andere Stimme2 erklärte: "Eine amerikanische Luftbasis in Wladiwostok und auf Kamtschatka würde den Sowjets gestatten, ihre Aufmerksamkeit auf die europäische Front zu konzentrieren. Dies wäre eine Versicherung gegen einen etwaigen Zusammenbruch oder auch gegen den Versuch arglistiger Täuschung durch das gegenwärtige Regime in Moskau." Und

 

1 New York Journal and American, 20. Juli 1941.

 

2 Christian Science Monitor, 11. Juli 1941.

 

399] Hawaii – Singapur – Wladiwostok

wieder eine andere Stimme erklärte1: "Japan braucht sich durch die etwaige Abtretung solcher Basen und durch einen amerikanischen Einzug in Wladiwostok gar nicht zu beunruhigen, da sich dies ja offensichtlich nicht gegen Japan, sondern gegen die Bedrohung Alaskas durch Deutschland richtet. Die Gelegenheit ist jedenfalls so günstig wie nie, da sich die Sowjets in mehr als bedrängter Lage befinden." Dieser amerikanische Anspruch auf Ostsibirien wird nicht wieder verstummen.

Der japanische Machtbereich war vor dem Ausbruch des Krieges im Fernen Osten durch ein riesig weitgespanntes Dreieck einer amerikanischen Offensive gegen Asien eingezäunt, das durch die drei Punkte Hawaii – Singapur – Wladiwostok bezeichnet war. Die gesamte strategische Situation im Pazifischen Ozean begann sich damit zu verschieben. Wenn in früheren Jahren dramatisch der "Aufmarsch im Pazifik" beschrieben wurde, verstand man darunter das obenskizzierte Offensivsystem im Dreieck Dutch Harbour – Hawaii – Samoa – Guam. Nun begann sich das amerikanische Stützpunktsystem unter Ausnutzung der Schwäche der Briten und der Sowjets weit nach Norden und Nordosten an den Rand des asiatischen Kontinents vorzuschieben. Kurz vor dem Ausbruch des Krieges im Fernen Osten wurde die Absicht nicht mehr bestritten, daß man auf diese Weise Japan erdrücken und weit darüber hinaus im sibirischen und chinesischen Raum Einnußsphären von kaum vorstellbarer Größe schaffen wollte, die dann durch die Erbmasse aus dem britischen Empire um ganze Kontinente, wie Indien, ergänzt werden sollten. Dieses imperialistische Expansionsprogramm hatte sich in kürzester Zeit entwickelt. Noch am Beginn dieses Krieges war hiervon überhaupt nicht die Rede; selbst Roosevelt dürfte wohl kaum an derartige Möglichkeiten gedacht haben. Japans weiträumige Offensive erfolgte also in dem Augenblick, in dem die Vereinigten Staaten sich anschickten, die Vorherrschaft – und mehr als das – auf dem gesamten asiatischen Kontinent zu gewinnen. Er erfolgte in dem günstigen Augenblick, in dem sich die amerikanische Rüstung im Stadium des größten Risikos befand.

 

1 New York Herald Tribune, 19. Juli 1941.

 

400] Der Schicksalskampf Japans

Japan hat im Laufe eines Vierteljahres sämtliche britischamerikanischen strategischen Positionen in Ostasien zertrümmert. Der Luftangriff auf Pearl Harbour vom 8. Dezember 1941 und die Versenkung der beiden britischen Schlachtschiffe vor der Malaienhalbinsel erwies sich als entscheidend. Nach der Landung auf den Philippinen fielen zunächst Hongkong, Borneo und Celebes in japanische Hand. Am 11. Februar 1942 war Singapur erstürmt. Sumatra, Timor und Bali folgten, und schon Anfang März 1942 war mit der Landung auf Java das letzte Bollwerk außerhalb Australiens gefallen, während die Eroberung Südbirmas gleichzeitig das Tor nach Indien weit aufriß: Ein atemberaubender Vorgang, dessen ganze Größe man nur fassen kann, wenn man ihn mit dem amerikanischen Machtanspruch vergleicht, der bis zum Vorabend des Krieges mit Japan laut und vor aller Welt verkündet wurde. Bis dahin hatte das amerikanische Volk selbst kaum begriffen, zu welchen in die Unendlichkeit der asiatischen Steppen, Wüsten und Gebirge ausgreifenden Verpflichtungen es veranlaßt werden sollte. Schon hatte der Amerikanismus zu einem gewaltigen Angriff auf den asiatischen Kontinent angesetzt, der, weit über Japan hinausreichend, die Chinesen, ebenso wie die Inder und Malayen in das American Century einzugliedern versuchte. Da trat der Umschwung ein. Der Versuch einer Amerikanisierung Asiens und damit das Kernstück von Roosevelts Weltherrschaftsprogramm ist unter den Schwertstreichen Japans zerbrochen.

 

 

Der Sprung über den Atlantik

Als sich im Weißen Haus am Tage nach der Besitzergreifung von Island durch die USA. wie üblich die Presse versammelte, fragte ein Journalist den Präsidenten, wie es sich denn eigentlich mit der Westlichen Hemisphäre verhalte. Der Präsident habe doch erst vor einiger Zeit erklärt, die Grenze der Westlichen Hemisphäre verlaufe in einer Linie, die zwischen Grönland und Island liege. Roosevelt bekam auf diese Frage hin einen Lachanfall1. Prustend

 

1 Time, 21. Juli 1941.

 

401] "Nemesis in Belgrad"

brachte er schließlich heraus, die Grenze der Westlichen Hemisphäre hänge davon ab, welchen Geographieprofessor er zuletzt gesprochen habe. Dies war offenbar die neue Definition der Monroe-Doktrin im atlantischen Raum.

Diese Formulierung konnte nicht mehr erstaunen. Schon Monate vorher hatte Roosevelt offenbar einen Geographieprofessor gesprochen, der ihm mitgeteilt hatte, auch der Balkanstaat Jugoslawien gehöre zur Westlichen Hemisphäre. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß der Präsident im Frühjahr 1941 in die zentraleuropäische Politik eingriff, einen Umsturz in Jugoslawien durch Versprechungen und moralische Bindungen an eine serbische Generalskamarilla hervorrief, als läge Belgrad in Panama, und daß er schließlich diese Verschwörer veranlaßte, offen gegen die großen deutschen und italienischen Nachbarn aufzutreten? Der Fall Jugoslawien ist ein Musterbeispiel dafür, wie schon jetzt ganze Völker durch den amerikanischen Weltherrschaftsanspruch in tiefstes Elend gerissen worden sind. Niemals wären die Schrecken des Krieges auch diesmal wieder durch die Täler des Balkans und die Ebenen der Donau gebraust, wenn nicht der amerikanische Geheimdienst und die amerikanische Diplomatie den Umsturz in Belgrad herbeigeführt hätten. Niemals hätte es der Putschist Simowitsch gewagt, die Regierung des Prinzregenten zu verhaften, die sich eben der neuen europäischen Ordnung angeschlossen hatte, wenn er nicht in völliger Verblendung geglaubt hätte, die sagenhafte amerikanische Macht stehe hinter ihm, wie ihm vorgegaukelt worden war. Diese serbischen Putschisten waren durch die amerikanische Legende völlig geblendet. Sie sind ein warnendes Beispiel für alle Völker geworden, die amerikanische Machtansprüche mit der wirklichen amerikanischen Macht verwechseln.

Gleichzeitig wurde der Fall Jugoslawien zum ersten Probefall, in dem sich die Schwenkung der Sowjets ankündigte. Die kommunistische Propaganda wirkte in Belgrad parallel mit der amerikanischen Diplomatie. Dies erhebt die Entwicklung der jugoslawischen Frage auf die Ebene der grundsätzlichen Probleme hinter dem Weltkonflikt unserer Epoche.

In der Mittagsstunde des 27. März 1941 teilte Winston Churchill

 

402] "Nemesis in Belgrad"

auf einem Bankett in London zitternd vor Erregung mit, er habe eine große Neuigkeit für das Land. In Jugoslawien sei ein Umsturz erfolgt. "Eine jugoslawische Regierung", so sagte er, "wird gebildet werden, die die Freiheit ihres Landes verteidigen wird. Eine solche Regierung wird bei ihren Bemühungen vom britischen Empire und, ich zweifle nicht, auf andere Weise von den Vereinigten Staaten alle nur mögliche Hilfe und Unterstützung erhalten." Die "Times" überschrieben ihren Leitaufsatz triumphierend mit "Nemesis in Belgrad". Zehn Tage später erfolgte der deutsche Gegenschlag gegen den Abfall der Serben von dem eben in Wien vollzogenen Beitritt zum Dreimächtepakt, der weder die Ehre noch die Freiheit Jugoslawiens angetastet hatte. Er hatte den Durchmarsch von deutschen und italienischen Truppen ausgeschlossen und dazu noch den Jugoslawen ein Anrecht auf freien Zugang zur Ägäis in Saloniki gesichert. Wiederum zwölf Tage später war die jugoslawische Armee vollständig vernichtet. Die Nemesis in Belgrad hatte sich erfüllt.

Die amerikanische Intervention in Jugoslawien begann mit dem Besuch des später zum General und Leiter des amerikanischen Geheimdienstes ernannten Obersten William Donovan. Er hatte mit dem Armeegeneral Duschan Simowitsch eine Unterredung, in der der Putsch in großen Zügen besprochen worden ist. In der "Washington Post" vom 3. April – also noch vor dem deutschen Gegenschlag – wurde berichtet: "Donovan hat der Lage in Jugoslawien größere Aufmerksamkeit zugewandt als anderen Ländern. Er machte nach seiner Unterredung mit Simowitsch die Voraussage, Jugoslawien werde abspringen. England könne sich daher in Griechenland engagieren." Bereits am 14. Februar hatte Roosevelt in einer persönlichen Botschaft an den jugoslawischen Prinzregenten1 mitgeteilt, er sei entschlossen, allen weiteren Erfolgen der Achsenmächte, selbst wenn es sich hierbei nur um diplomatischen Geländegewinn handle, ein Ende zu bereiten. Nach der Annahme des Leih- und Pachtgesetzes sei die Regierung der Vereinigten Staaten in der Lage, in Zukunft jedem europäischen Staat wirkungsvolle Hilfe zuteil werden zu lassen, der sich dem deutschen Einnuß zu entziehen wünsche.

 

1 Magyarsag, 7. März 1941.

 

403] "Nemesis in Belgrad"

Die später im Belgrader Außenministerium vorgefundenen Akten haben einwandfrei ergeben, daß Roosevelt und Sumner Welles nach dem Besuche Donovans in Belgrad alles getan haben, um dem jugoslawischen Gesandten in Washington, Fotitsch, klarzumachen, Jugoslawien werde von den Vereinigten Staaten Hilfe erhalten, falls es sich gegen Deutschland wende. Fotitsch wurde in den entscheidenden Tagen der zweiten Märzhälfte mehrfach von Roosevelt selbst empfangen. Er drahtete in seinem Auftrage beständig nach Belgrad, der Präsident warne vor einem Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt. Gleichzeitig erklärte der amerikanische Gesandte in Belgrad, Arthur Bliss-Lane, wie er später selbst aufzeichnete1, daß er am 22. März dem jugoslawischen Außenminister mitgeteilt habe, "Jugoslawiens Beitritt zum Dreimächtepakt sei ein unfreundlicher Akt gegen die Vereinigten Staaten". Die Regierung des Prinzregenten ließ sich durch all diese Versprechungen und Drohungen nicht beirren. Sie wußte genau, wo der Vorteil Jugoslawiens lag, wie auch, daß alle Hilfsversprechungen der Vereinigten Staaten mit der Gabel aufs Wasser geschrieben waren, um ein slawisches Sprichwort zu gebrauchen.

Am Vorabend des Putsches in Belgrad hielt Donovan von Amerika aus eine Rundfunkrede, aus der hervorging, daß er bereits darüber unterrichtet war, was sich zur gleichen Zeit in Belgrad abspielte. Unmittelbar nach dem Putsch beglückwünschte Roosevelt den jugendlichen König Peter in einem Telegramm, das von den Belgrader Zeitungen in riesiger Aufmachung veröffentlicht wurde. Und am 1. April erklärte der Präsident, nachdem er zweimal mit Fotitsch gesprochen hatte, die amerikanische Hilfe für Jugoslawien sei bereits unterwegs! Tatsächlich wurden neun jugoslawische Schiffe in USA.-Häfen mit Kriegsmaterial beladen. Sie sind niemals ausgelaufen, da Deutschland sich nun gezwungen sah zu handeln.

Die dramatische Episode des serbischen Putsches auf amerikanische Veranlassung und Anstiftung hin ist nur ein Glied einer ganzen Kette von Einmischungsversuchen der amerikanischen Diplomatie in der europäisch-atlantischen Welt. Für den Charakter Roosevelts ist dieser Fall besonders bezeichnend. Niemals ent-

1 Life, 15. September 1941. 26"

 

404] Manie der Maßlosigkeit

hüllte sich klarer, daß er in völliger Überschätzung seiner wirklichen Machtmittel selbst dort zu einer Politik des Ais-Ob und zum hartnäckigen Festhalten an Wunschträumen neigt, wo auf den ersten Blick zu sehen ist, daß die Vereinigten Staaten gar keine realen Machtmittel besitzen, um diesen Wunschvorstellungen auch Nachdruck zu verleihen. Die Maßlosigkeit wird hier schon zur Manie.

Episoden wie das Eingreifen Roosevelts in Belgrad werden in unserer schnellebigen Zeit, in der die Ereignisse einander jagen, allzu leicht vergessen. Sie sind indes nicht unwichtig, wenn man zu einer Gesamtbeurteilung der von Roosevelt eingeleiteten amerikanischen Weltherrschaftsbestrebungen gelangen will. Der Zwiespalt zwischen Wunschträumen und realen Möglichkeiten zieht sich von nun ab durch die gesamte amerikanische Außenpolitik, vor allem auch im Fernen Osten. Der Versuch, Jugoslawien durch politischen Druck dahin zu bringen, daß es sich freiwillig zur Ausgangsbasis von Operationen des damals bereits in Griechenland stehenden britischen Expeditionskorps machte, würde etwa einem deutschen Versuch entsprechen, in Mexiko eine USA.-feindliche Regierung ans Ruder zu bringen, und mehr als dies, Mexiko zur Ausgangsbasis eines Angriffes auf Texas und Florida zu benutzen. Hier muß also der Trennungsstrich zwischen amerikanischer Anmaßung und europäischen Interessen scharf und kompromißlos gezogen werden.

Die Reise des Obersten Donovan auf dem Balkan, im Vorderen Orient und in den iberischen Ländern ist nicht der letzte Einmischungsversuch Amerikas in Europa geblieben. In Helsinki, in Stockholm, in Lissabon und Madrid, überall wurden durch die USA.-Diplomatie mehr oder minder durchsichtige Versuche gestartet, der Zusammenarbeit der betreffenden Länder mit Deutschland Hindernisse zu bereiten. Überall wurde dabei die Legende der amerikanischen Macht verwandt. Wahrend man z.B. die Finnen in Amerika bei dem Wmterkrieg 1939/40 wegen ihres Helden-

 

405] Europäische Monroe-Doktrin

kampfes gegen die Sowjets bejubelte, begann man sie 1941 nicht nur mit üblen Reden zu schelten, sondern ihnen sogar noch zu drohen, sie würden sich die amerikanische Macht zum Feinde machen, wenn sie den Krieg gegen die Sowjets nicht vorzeitig beendeten. Finnland ließ sich freilich durch solche Drohungen ebensowenig beirren wie Spanien und Portugal.

Ein Notenwechsel zwischen Washington und Helsinki im November 1941 endete mit einem Mißerfolg für Roosevelt. Er mußte sich von den Finnen bittere Wahrheiten sagen lassen. Die im USA.-Memorandum vom 30. Oktober enthaltene Erklärung, die finnischen Operationen stellten eine direkte Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten dar, wurde in der finnischen Antwortnote folgendermaßen beantwortet1: "Die Vereinigten Staaten, die ein mächtiges, von zwei Weltmeeren geschütztes und von zahlreichen, sogar Tausende von Meilen vom Mutterland entfernt gelegenen Stützpunkten gesichertes Reich darstellen, können von der finnischen Wehrmacht nicht bedroht werden. Die finnische Regierung kann auch nicht der Ansicht sein, daß die Besetzung solcher Gebiete durch finnische Truppen, von denen aus die finnische Sicherheit fortlaufend bedroht wurde, im Widerspruch mit den Anforderungen der amerikanischen Sicherheit stehen könnte. Aber die Sorge der Vereinigten Staaten für ihre eigene Sicherheit gibt Finnland das Recht, bei der Regierung und dem Volk der Vereinigten Staaten Verständnis dafür zu erwarten, daß Finnland sein Leben beschützen, seine Sicherheit erhöhen und seine alte demokratische Freiheil verteidigen will."

Die europäische Monroe-Doktrin, die Erklärung der Unantastbarkeit unseres eigenen Erdteils gegenüber jeder fremden Einmischung, hatte sich nun von selbst herausgebildet und war zur Grundlage der Politik aller europäischen Staaten geworden. Nur in Vichy sah Washington noch ein geeignetes, wenn auch beschränktes Operationsfeld für die übliche Mischung von Drohung und Verlockung. Hier aber mündet die amerikanische Angriffsstellung gegen Europa in das größere Problem der Beherrschung des Atlantik ein.

Nach der Abreise Bullitts aus Paris zollte die amerikanische

 

1 Finnische Note an die Regierung der USA. vom 12. November 1941.

 

406] Die Mission Leahys

Öffentlichkeit den britischen Gewaltakten von Dakar und Oran enthusiastischen Beifall. Trotzdem entschloß sich Roosevelt im November 1940, einen seiner engeren Vertrauensleute als Botschafter nach Vichy zu entsenden. Es war bezeichnend für die Absichten, die der Präsident hiermit verband, daß die Wahl auf ein einnußreiches Mitglied der Admiralität fiel, da man sich seit dem Waffenstillstand keineswegs für das Schicksal der Franzosen in Frankreich, wohl aber für deren Kolonialbesitz an der atlantischen Küste interessierte. So wurde der ehemalige Chef des amerikanischen Admiralstabes, William Daniel Leahy – er war eben pensioniert worden – bei Pétain akkreditiert. Sein Auftrag ging dahin, die sich nun auf neuer Grundlage entwickelnden deutschfranzösischen Beziehungen zu stören und überdies zu erreichen, daß das französische Kolonialreich, so weit es immer ging, amerikanischen Zwecken dienstbar gemacht werden konnte. Während man in Washington unverhohlen mit dem durch Pétain als Verräter zum Tode verurteilten General de Gaulle sympathisierte, hoffte man, der alte Admiral werde das Ohr des Marschalls in Vichy dennoch gewinnen können. Gleichzeitig wurden amerikanische Diplomaten in Nordafrika und Tanger zu Intrigen gegen Pétain angesetzt. Sie geisterten zwischen den Generalen Noguès und Weygand hin und her und predigten insgeheim den Abfall von Vichy.

Die amerikanische Botschaft in Vichy wurde zum Zentrum eines Nachrichtendienstes für englische Rechnung. Admiral Leahy erschien stets dann im Hotel du Parc, wenn es galt, irgendwelche Intrigen zu spinnen. Er versuchte vergeblich das französischjapanische Abkommen über Indochina zu vereiteln, wobei einige geringfügige Lebensmitteltransporte von den USA. nach dem unbesetzten Frankreich beständig als Lockmittel in Bereitschaft gehalten wurden. Als eines dieser Schiffe im Frühjahr 1941 tatsächlich in See stach, wurde es indes von englischen Flotteneinheiten beschossen. Leahy versicherte natürlich, die Vereinigten Staaten hätten damit nichts zu tun gehabt. Französische Schiffe in den Häfen der Vereinigten Staaten wurden beschlagnahmt, darunter Frankreichs Stolz, die "Normandie", und die französischen Inseln Martinique und Guadalupe in Westindien unter Kontrolle der

 

407] Ende der Lafayette-Legende

amerikanischen Flotte gestellt (Juni 1941). Der Handel zwischen den beiden Inseln und Frankreich und Französisch-Nordafrika wurde unterbunden. Gleichzeitig gab Hull eine Erklärung ab, die Vereinigten Staaten betrachteten es als unfreundlichen Akt, "wenn sich die französische Regierung auf eine Politik der Zusammenarbeit mit anderen Mächten zum Zwecke des Angriffs und des Zwanges einläßt".

War schon bei der sogenannten Laval-Krise im Dezember 1940 die amerikanische Diplomatie aktiv beteiligt gewesen, so betrieb nun Leahy bei Pétain sogar den Sturz Admiral Darlans. In Amerika wurde der französische Botschafter Henry Haye von der Presse in ungewöhnlicher Weise angegriffen. Kurzum, keine Gelegenheit blieb unbenutzt, bei der sich die Vereinigten Staaten durch die Ausübung der verschiedensten Druckmittel eine Einmischung in die französische Innenpolitik gestatten konnten. Frankreich, das ursprünglich entschlossen war, mit den Vereinigten Staaten freundschaftliche Beziehungen aufrechtzuerhalten, wurde durch die Schamlosigkeit dieser Erpressungen seine unauflösliche Verbundenheit mit Europa drastisch vor Augen geführt.

Die Franzosen waren ob der feindseligen Haltung der Amerikaner bestürzt und überrascht. Wenn es auch schon früher z. B. wegen der Frage der Kriegsschulden latente französisch-amerikanische Spannungen gegeben hatte, so hatte sich das französische Volk doch daran gewöhnt, daß es von allen europäischen Nationen auf den stärksten Widerhall in Amerika rechnen konnte. Die französisch-amerikanische Freundschaft, geboren aus der Lafayette-Legende und der Verwandtschaft der Ideen von 1776 und 1789, galt den Franzosen als unbestrittenes Kapital, wenngleich ernsthafte Kenner der amerikanischen Psyche, wie André Siegfried, schon lange vordem auf den gefühlsbetonten und damit unsicheren Charakter dieser Freundschaft hingewiesen haben.

Gewiß, man war sich darüber klar geworden, daß England seit der Jahrhundertwende viele der psychologischen Widerstände, auf die es in Amerika seit dem Unabhängigkeitskrieg, der Verbrennung des Kapitels im Jahre 1814 und der Unterstützung der Südstaaten im Bürgerkrieg immer wieder gestoßen war, überwunden

 

408] Ende der Lafayette-Legende

hatte. Dennoch wußte man in Frankreich, daß gegen England immer ein latentes Mißtrauen in Amerika bestand. Es rührte wohl daher, daß man sich zu gut kannte und daß man die gleichen Nationalfehler besaß. Während aber die Amerikaner bei sich selbst Cant und Selbstgerechtigkeit wie alle anderen Auswüchse des entarteten Puritanismus nur selten zu entdecken vermögen, sind sie sehr wohl imstande, bei den englischen Vettern genau diese Fehler zu sehen und sich über sie zu entrüsten. Die Deutschen schließlich sind in den Vereinigten Staaten wegen ihrer Tüchtigkeit – wenn wir einmal von den akuten politischen Zuspitzungen absehen – geachtet. Der Durchschnittsamerikaner der gehobenen Schicht ist indes dem Deutschen meist in der besonderen Abart des Deutschamerikaners begegnet, der, beileibe nicht durchgängig, vor allem in der zweiten und dritten Generation oft gerade die besten Eigenschaften seines Nationalcharakters durch die Amerikanisierung eingebüßt hat. Das, was diesen Deutschen allen blieb, die zähe Organisationskraft und Arbeitsfreude, vermischte sich leicht mit vereinsmeierlichen und "gemütlichen" Elementen, die vor allem der amerikanischen Oberschicht als kleinbürgerlich erscheinen.

So war in der Tat Frankreich dasjenige europäische Land, das man in Amerika nicht nur anzuerkennen, sondern geradezu zu lieben schien. Paris als der Weltmittelpunkt der Mode war für das von Amazonen beherrschte Amerika stets ein Anziehungspunkt von, wie man in den Vereinigten Staaten sagt, "exotischer Magie". Damit konnte weder der Londoner Snobismus noch die Heidelberger Romantik je ganz Schritt halten. Im Untergrund hatte es indes immer eine skeptische, ja ablehnende amerikanische Strömung, die gegen Frankreich wirkte, gegeben. Die besondere Art des überklaren, stark juristischen französischen Denkens war dem amerikanischen Moralismus stets als ein unangebrachter, leichtfertiger, jedenfalls unverständlicher Zynismus erschienen, über den man sich gern schockierte. Diese Unterströmung brach nun zum Erstaunen der Franzosen, die sich immer noch daran erinnerten, wie General Pershing nach der Landung der ersten amerikanischen Truppen im Weltkrieg ausgerufen hatte: "Lafayette, wir sind hier!" nach der französischen Niederlage plötzlich hervor.

 

409] Puritanischer Haßkomplex gegen Frankreich

Die leichtere Lebensart des Franzosen, sein seelischer Widerstand gegen die Überwältigung des gesamten Lebens der Nation durch die Technik, sein Unvermögen, die äußeren Annehmlichkeiten der Zivilisation zum Maß aller Dinge zu machen, hatten den Amerikaner von jeher gereizt. Die Natürlichkeit der Wertskala, die in Frankreich trotz gewisser Degenerationserscheinungen und Schlampereien im Kern erhalten geblieben ist, wurde vom Puritanismus als ein kaum zu unterwerfendes Widerstandszentrum gegen den Siegeszug der amerikanischen Patentkultur empfunden. Wahrend Deutschland nach der Besiegung Frankreichs realistisch von der damit geschaffenen neuen Lage ausging, sich dabei über die psychologischen Schwierigkeiten sehr wohl im klaren war, aber über alle kleineren Reibungen hinweg, die sich unvermeidlich in jeder Besatzungszeit ergeben, das große Ziel gemeinsamer europäischer Arbeit nie aus den Augen ließ, sah Amerika endlich die Stunde gekommen, in der den verborgenen Ressentiments und antifranzösischen Komplexen freier Lauf gelassen werden konnte. Nicht Deutschland, sondern Amerika ging daher dazu über, Frankreich zu demütigen und auf jede nur erdenkliche Weise zu quälen und zu schikanieren. In den Betrachtungen über die Gründe der französischen Niederlage feierte das versteckte Rachegefühl des selbstgerechten Puritanismus nun wahre Orgien. Niemals sind in Deutschland Pamphlete veröffentlicht worden, die sich mit derart bissigem Hohn gegen den Kern des französischen Wesens richteten, wie sie nun in allen amerikanischen Zeitschriften fast Woche für Woche erschienen.

Das ganze kulturelle Minderwertigkeitsgefühl einer nivellierenden Massenzivilisation gegen den europäischen Geist vereinigte sich nun in der antifranzösischen Parole. Selbst die ehrwürdige Figur Marschall Pétains wurde in Karikaturen nicht geschont, in denen er als kriecherischer Hund dargestellt wurde, der dem deutschen Soldaten den Stiefel leckt. (Solche Darstellungen von Pétain als Hund haben wir in verschiedenen Abarten im Sommer 1941 in annähernd zwei Dutzend amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften entdeckt.) Eine Darstellung der Mitglieder der Academie Francaise als Affen auf einem Baum und unzählige ahn-

 

410] "Wir müssen nach Dakar!"

liche Verunglimpfungen Frankreichs machten diesen Aufstand der puritanischen Einheitsbarbarei gegen Europa verabscheuungswürdig klar. Frankreich, das vor der Aufgabe stand, die große Tradition seines Geistes in ein neues Weltbild umzugießen, begann erst ganz allmählich zu verstehen, daß dieser Angriff des Amerikanismus nicht zufällig, daß er nicht nur aus taktischen Gründen erfolgte, sondern daß er der Ausbruch eines bewußt genährten antieuropäischen Haßgefühls war, das weit über die ursprünglich vorgeschützte Bekämpfung Adolf Hitlers hinausging.

Dergestalt wurde die Macht des puritanischen Vorurteils zum Verbündeten der Weltherrschaftsbestrebungen des Mannes im Weißen Haus. Von dem Augenblick ab, da die Niederlage Frankreichs besiegelt war, tauchte immer unverhohlener der amerikanische Plan auf, den Franzosen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Westafrika zu entreißen. "Wir müssen nach Dakar!" wurde zu einem Schlachtruf, der von der amerikanischen Presse wie von interventionistischen Senatoren und Abgeordneten beständig wiederholt wurde.

Im August 1941 kam es so weit, daß nach der Errichtung der amerikanischen Kontrolle über Martinique und Guadelupe Leahy in Vichy eine Erklärung abgab, die Vereinigten Staaten würden die Beziehungen zu Frankreich abbrechen, falls die Regierung Pétain in der Frage Dakars und Westafrikas nicht eine Washington genehme Haltung zeige. "Dakar", so forderte gleichzeitig die "New York Times", "muß durch die Vereinigten Staaten sichergestellt werden, damit es einem Zugriff der Achsenmächte entzogen wird"1. Kurze Zeit darauf besorgte man sich eine Erklärung de Gaulies, in der den Vereinigten Staaten Stützpunkte in den französischen Gebieten Afrikas versprochen wurden, wenn die USA. dafür entsprechende Hilfe geben würden. Die Absicht, die Schwächung Frankreichs dazu zu benutzen, um Westafrika zu einer amerikanischen Kolonie zu machen, trat nun beherrschend

 

1 New York Times, 10. August 1941.

 

411] Drohungen im Atlantik

in den Vordergrund der atlantischen Politik der USA. Der Offensivsinn des Schlagwortes von der "Westlichen Hemisphäre", das an die Stelle der Monroe-Doktrin getreten war, begann sich zu enthüllen. Nach Ansicht des Präsidenten bestimmt das Weiße Haus allein, wo die Grenzen der Westlichen Hemisphäre liegen sollen. Alle anderen Völker und Erdteile haben sich, so wird damit angenommen, diesem Spruch zu fügen.

Nach dem entscheidenen Wendepunkt im Mai 1940 wurden nicht nur Grönland, sondern ebenso Island, die Azoren und die Kapverden in die Westliche Hemisphäre einbezogen. Grönland und Island wurden militärisch besetzt, womit der amerikanische Machtbereich unmittelbar in die Kriegszone vorgeschoben wurde. Gleichzeitig teilte Roosevelt der portugiesischen Regierung mit, die Azoren seien amerikanisches Interessengebiet (Roosevelts Kaminrede vom 27. Mai 1941), und die amerikanische Presse brachte langatmige Aufsätze, in denen entdeckt wurde, daß die Bewohner der Azoren eigentlich weit weniger Portugiesen als Amerikaner seien1. Wenn auch die ältere Generation, so meinte man da, noch die portugiesischen Fados singe, so seien die jüngeren mehr für amerikanischen Swing begeistert. Amerikanische Geschichte, amerikanische Kultur und amerikanische Familienbande seien bereits so stark, daß die Bewohner der Habichtinseln – Azoren ist das portugiesische Wort dafür – überhaupt als "portugiesische Amerikaner" anzusprechen seien. Salazar erhob formell Protest gegen die Rede des Präsidenten, in der die Möglichkeit einer Besetzung bereits angedeutet war, und Präsident Carmona machte sich zu einem ostentativen Besuch der Azoren auf. Die Drohung aber blieb.

Mit dem Anspruch auf Dakar wurde dann der mit Sternen und Streifen übersäte Mantel großzügig über den gesamten atlantischen Graben geworfen. Seine Fransen ergriffen nicht nur Westafrika, sondern nach Island nun auch schon Irland. De Valera wurde aufgefordert, er möge, wenn er schon nicht mit England zusammenarbeiten wolle, die Irische Republik amerikanischem "Schutz" unterstellen. Gleichzeitig trafen amerikanische Ingenieure und Arbeiter in Nordirland ein, um bei Londonderry mit der Anlage

 

1 Christian Science Monitor, 23. Mai 1941.

 

412] Von Irland bis Singapur

eines Luft- und Marinestützpunktes zu beginnen, für den, wenn nicht alles täuscht, besondere exterritoriale Sonderrechte für Amerika mit der britischen Regierung insgeheim vereinbart wurden. So war man bis nach Europa selbst vorgedrungen.

Für den amerikanischen Hausgebrauch wurde noch immer von der Verteidigung der Westlichen Hemisphäre gesprochen, nachdem sich schon längst hinter dieser Tarnkappe Angriffsabsichten und Herrschaftsansprüche verbargen. Aus der ideologischen Rumpelkammer tauchte ergänzend der Begriff der "Freiheit der Meere" wieder auf, mit dem schon im Weltkrieg Deutschland das Recht auf Seekriegsführung bestritten worden war. Der Kongreß hatte mit der von ihm gegen Roosevelt und Hull erzwungenen Neutralitätsgesetzgebung, durch das Verbot, für die amerikanische Handelsschiffahrt in die Kriegszonen zu fahren, verhindern wollen, daß die Ideologie der "Freiheit der Meere" jemals wieder ein Kriegsgrund für eine amerikanische Regierung werden könnte. Zäh und mit Bedacht wurde durch Roosevelt diese Gesetzgebung unterhöhlt, bis sie im November 1941 in ihren Kernpunkten widerrufen war. Nun stand man dort, wo man schon 1917 einmal angelangt war. Eine um jene Zeit erschienene amerikanische Karikatur zeigte Roosevelt umgeben von Hull, Welles, Ickes und Frankfurter an einem Fenster gespannt wartend. Darunter stand: "Boys, wann kommt endlich der Zwischenfall?" Man konnte die Lage kaum treffender wiedergeben.

Im Gegensatz zu 1917 aber war weit über die alte Theorie von der Freiheit der Meere hinaus – sie bedeutet bekanntlich, daß das Meer nur für die Angelsachsen frei sein soll – eine atlantische Herrschaftstheorie entwickelt worden, durch die nun praktisch der ganze Saum aller Küsten des Atlantik von Kanada-über Brasilien bis nach Feuerland an der Westseite und von Afrika bis nach Portugal und dann wieder von Irland über Island zurück nach Grönland als amerikanische Interessenzone, sprich Westliche Hemisphäre, bezeichnet wurde. Es vollzog sich also im atlantischen Raum dieselbe Entwicklung wie im Pazifik und in Ostasien. Hatte man dort Singapur, Kamtschatka und Wladiwostok, ja schließlich die Westgrenze Chinas zur Westgrenze der Vereinigten Staaten erklärt, so

 

413] Der umgekehrte Kolumbus

erhob sich nun der Anspruch auf eine Ostgrenze bis an die unmittelbaren atlantischen Außenposten Europas. Die "Westliche Hemisphäre" begann damit nach der amerikanischen Auslegung annähernd zwei Drittel des Erdumfanges zu umfassen.

Das Gremium der Geographieprofessoren, das Roosevelt so zum Lachen gebracht hatte, betätigte sich wie ein umgekehrter Kolumbus. In Asien und Europa entdeckten sie beständig neue Gebiete für Amerika. Konnte man in Washington glauben, daß Europa und Ostasien jemals solchen Theorien freiwillig zustimmen würde? Gewiß nicht. Aber der Präsident führte nicht umsonst seit annähernd fünf Jahren seinen Krieg gegen den Frieden. Die Proklamation des amerikanischen Jahrhunderts war kein leerer Schall. Man glaubte es nun allen Ernstes erzwingen zu können.

Die Einbeziehung Westafrikas in den amerikanischen Herrschaftsanspruch ist nicht so ganz ohne vorbereitende Schritte erfolgt, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Schon vor dem Kriege hatte man in Frankreich mit argwöhnischen Augen beobachtet, daß die Negerrepublik Liberia stillschweigend in ein amerikanisches Protektorat verwandelt worden war. Dieses Gebiet ist 1822 von einer privaten nordamerikanischen Siedlungsgesellschaft dazu ausersehen worden, als Rückwanderungsstaat für die damaligen Negersklaven der USA. zu dienen. Tatsächlich sind nur wenige tausend Schwarze auf diese Weise nach Afrika zurückgekehrt. Sie errichteten indes seitdem in Liberia – die Ironie der Weltgeschichte ist unerschöpflich – einen Sklavenstaat, in dem die amerikanischen Neger die primitiven Eingeborenen beherrschen. Seitdem ist Liberia immer mittelbares amerikanisches Einfiußgebiet geblieben. Schon vor dem Weltkrieg gab es amerikanische Berater für die Negerpräsidenten, deren Einfluß sich schließlich zu einer Finanzkontrolle ausdehnte. 1926 hatte die Firestone-Gesellschaft, der mächtigste amerikanische Gummikonzern, dort eine Konzession auf eine Million Acres zur Anlage von Kautschukplantagen erworben. Sie war mit einer Anleihe verbunden, durch die praktisch die Firestone-Werke in den Besitz Liberias kamen. So konnte es nicht wundernehmen, daß im Sommer 1941 plötzlich davon die Rede war, in Liberia würden demnächst amerikanische Truppen

 

414] "Amerikanisches Afrika"

gelandet werden. Schon war zwischen den Panamerican Airways und der Negerrepublik ein Vertrag abgeschlossen worden, durch den sich die größte amerikanische Luftfahrtgesellschaft die Anlage von großen Flugplätzen in der Nähe der liberischen Hauptstadt Monrovia sicherte. Präsident Monroe würde sich wohl wundern, wüßte er, welchem Zweck die nach ihm benannte Stadt an der westafrikanischen Sklavenküste nun zugeführt werden soll. Fast unbemerkt hatten die Vereinigten Staaten über Liberia ihren Einzug auf dem afrikanischen Kontinent ungefähr gleichzeitig mit der Besetzung Islands gehalten. Die Arbeiter und Ingenieure der Panamerican Airways, die alsbald in Monrovia auftauchten, waren die Vorboten eines zukünftigen Expeditionskorps.

Monrovia liegt etwa 1200 Kilometer südöstlich von Dakar. Von den nordamerikanischen Flugstützpunkten in Brasilien – an der vorspringenden Nase von Natal – nach Monrovia und nach dem britischen Bathurst an der englisch beherrschten Gambiamündung, knapp zweihundert Kilometer südlich von Dakar gelegen, sind es jeweils nur 1800 Meilen. Hier, an dieser strategisch wichtigsten Stelle Westafrikas, wünscht sich Amerika festzusetzen, und zwar, wie offen zugegeben wird, nicht nur für die Dauer des Krieges, um den Transport amerikanischer Flugzeuge an die britische Front in Mittelost quer durch Afrika sicherzustellen, sondern für alle Zeiten. Alsbald kündigte Roosevelt an, die Panamerican Airways würden künftig amerikanische Flugzeuge in eigener Regie an die Front nach Mittelost befördern: "Die Bedeutung dieser direkten Verbindungslinie zwischen unserem Land und unseren strategischen Außenposten in Afrika kann nicht unterschätzt werden"1. Der hier vorgesehene Weg führt von New York und Baltimore nach dem großen Flughafen San Jüan auf Puerto Rico, von dort nach dem neuen amerikanischen Stützpunkt auf Trinidad und dann über Pernambuco nach Natal. Von hier aus wird dann der Südatlantik nach Bathurst oder Monrovia überquert. Die nächsten Stationen sind dann Lagos in Nigeria, Khartum im Sudan und Kairo.

Schon wird in diesem Zusammenhang in amerikanischen Zeitschriften2 davon gesprochen, das britische Bathurst würde bei

 

1 Äußerung Roosevelts nach: Newsweek, l. September 1941.

 

2 Ebenda.

 

415] Das Programm der Weltherrschaft

dieser Gelegenheit endgültig in eine amerikanische Basis in Afrika verwandelt, da sich der Ausbau der dortigen Flughäfen im Rahmen des Leih- und Pachtgesetzes vollziehen werde. Alle diese Pläne richten sich zweifellos gegen Dakar und darüber hinaus überhaupt gegen den französischen Besitz in Westafrika. England fällt auch hier bereits die Rolle des Juniorpartners zu, der seinen Anteil nur dadurch zu leisten hat, daß er Bathurst, Freetown und Nigeria als Basen für die Amerikaner zur Verfügung stellt. Während wir dieses Buch abschließen, sind nur die ersten Stadien des amerikanischen Expansionsprogrammes in Afrika erreicht. Die Tendenz ist indes bereits klar und damit auch die machtpolitischen Hintergründe der gegen Frankreich gerichteten Agitation.

Wir entrollen hier zunächst nur ein Gesamtbild der amerikanischen Pläne und Vorhaben. Welche tatsächliche Bedeutung ihnen zukommt, wie sehr diesem Machtprogramm eine Mentalität zugrunde liegt, die vielleicht im Viktorianischen Zeitalter zu dauerndem Erfolg führen konnte, gewiß aber nicht im zwanzigsten Jahrhundert, zeigen wir im abschließenden Teil. Das Programm der Weltherrschaft, das sich auf die Errichtung, Erwerbung und die Eroberung zahlloser Stützpunkte, die sich auf zwei Drittel der Erde verteilen, bezieht, liegt nun vor uns ausgebreitet. Man mag selbst seine Schlüsse ziehen, wenn man sich vor Augen führt, daß die Vereinigten Staaten in den Jahren 1940/41 die folgenden Gebiete und Stützpunkte entweder schon besetzt oder durch den Präsidenten und maßgebende Politiker beansprucht haben:

Von England: Die Avalon-Halbinsel (das ist der westlichste Vorsprung Neufundlands) und die Südküste von Neufundland, die Bermudainseln, die Bahamainseln, die Südküste von Jamaika, die Westküste von Santa Lucia, die Westküste von Trinidad, Antigua, Britlsch-Guayana und Tobago (alle diese Stützpunkte sind bereits abgetreten).
Ferner in Asien: Hongkong, Singapur, Nordborneo, das östliche Neuguinea sowie allenfalls gewisse Gebiete von Burma.
In Afrika: Bathurst, Senegambien, Freetown und die Sierra Leone, Lagos und Teile von Nigeria sowie teilweise die Goldküste.
In Europa: Das Gebiet bei Londonderry in Nordirland.

416] Das Programm der Weltherrschaft

Von Kanada: Neuschottland, das Mündungsgebiet des St.-Lorenz-Stromes, die Anticostiinsel und gewisse Gebiete an der Ostküste Labradors und an der Ostküste des Baffinlandes (gegenüber Grönland).

Von Australien: Die unter australischem Mandat stehenden Admiralitätsinseln als Verbindungsglied nach dem amerikanischen Guam sowie das die Torresstraße beherrschende Gebiet der York-Halbinsel und nicht näher bezeichnete Gebiete in Nordaustralien in der Gegend der Kimberley-Region und vor allem in der Nähe von Port Darwin.

Von den Niederlanden: Protektoratsrechte auf den gesamten Niederländisch-Indischen Archipel entsprechend den Admiralstabsbesprechungen in Manila vom Januar und Mai 1941, sowie auf die niederländischen Besitzungen in den Leewardinseln in Westindien und auf Curacao gegenüber Venezuela. Ferner Niederländisch-Guayana als zentralen Stützpunkt in Südamerika (bereits besetzt).

Von Dänemark: Grönland und Island (bereits besetzt), sowie die Thomasinsel und Santa Cruz in Westindien.

Von Portugal: Die Azoren und die Kapverdischen Inseln.

Von Frankreich: Martinique und Guadalupe (bereits unter amerikanischer Kontrolle), sowie das Senegalgebiet um Dakar und Gebiete in Französisch-Guinea und vor allem der Elfenbeinküste um den Stützpunkt Abiajean (in der Nähe des Hauptortes dieser Kolonie Bingerville).

Von Mexiko und den Mittelamerikanischen Republiken: Das gesamte atlantische und pazifische Küstengebiet zur Anlage von Luftstützpunkten.

Von Brasilien: Gebiete zwischen Pernambuco und Natal (bereits auf dem Umweg über die Panamerican Airways abgetreten), sowie Stützpunkte weiter südlich. (Vgl. S. 353.)

Von Uruguay: Einen Stützpunkt an der Mündung des La Plata.

Von Ecuador: Die Galapagosinseln (durch einen Privatvertrag bereits abgetreten).

Von Kolumbien und Venezuela: Stützpunkte entlang den Küsten (bereits abgetreten)

417] Das Programm der Weltherrschaft

Von der Sowjetunion: Das Alaska gegenüberliegende Gebiet der Tschuktschen-Halbinsel sowie Kap Navarin; Stützpunkte auf Kamtschatka (Petropawlowsk) und schließlich Wladiwostok. Dazu kommen die amerikanischen Sonderinteressen in China, die dort bereits durch eine Militärmission vertreten werden, im Persischen Golf, wo eine Option auf daa öl der Bahreininseln erfolgt ist, und das praktisch als Protektorat einverleibte Liberia und schließlich das Ansinnen an Irland, den gesamten Freistaat unter amerikanischen Schutz zu stellen.

Diese Aufzählung enthält sämtliche bereits erfolgten Gebietsübertragungen sowie die bekanntgewordenen amerikanischen Ansprüche. In einer Reihe dieser Stützpunkte sind, wie in Bathurst oder auf den Galapagosinseln, durch Privatverträge vorbereitende Maßnahmen bis zu einer endgültigen Überführung unter amerikanische Kontrolle bereits erfolgt. Über andere Ansprüche, wie z. B. die bei den Generalstabsbesprechungen in Manila erhobenen auf Niederländisch-Indien, sind infolge ihres geheimen Charakters nur ungenaue Nachrichten an die Öffentlichkeit gelangt. Das Gesamtbild indes ist klar.

Der Amerikanismus sieht die Stunde gekommen, zu der sich Andrew Carnegies Vision, die Welt werde Amerika einst zu Füßen liegen, verwirklichen soll. Nachdem sich das britische Weltreich in der Stunde der Verzweiflung dem amerikanischen Vormachtanspruch gebeugt hat, nachdem ein halbes Jahrhundert Dollardiplomatie erst in Südamerika und dann in allen anderen Erdteilen die vorbereitenden Stufen für eine amerikanische Weltherrschaft schlug, glaubt nun der Kaiser der Puritaner im Weißen Haus in diesem Kriege die Gelegenheit zu finden, um den Gipfel zu erklimmen. Schon hört man indes über alle sieben Weltmeere den düsteren Chor, der wie in der griechischen Tragödie ankündigt, daß die Hybris von den Handelnden Gewalt ergriffen hat und sie aus schwindelnder Höhe herabstürzt. Die Vereinigten Staaten sind der Kontinent der Maßlosigkeit geworden. Maßlos in seinen Zielen, maßlos in seinen Triebkräften. Ehe aber noch dieses Programm der Weltwirtschaft in allen vier Windrichtungen Wirklichkeit wird, setzt der Umschwung schon ein.


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