GISELHER WIRSING

Der maßlose Kontinent

Roosevelts Kampf um die Weltherrschaft

TEIL IX

Thomas Wolfe, der jung verstorbene Dichter des heutigen Amerika, ruft in tiefer Verzweiflung aus: "Was sind wir? Wir sind die nackten Menschen, die verlorenen Amerikaner!" Ahnliche Tone der schmerzlichen Zerrissenheit sind einst in Rußland wie Rufe unheimlicher Nachtvögel erklungen. Die Macht des Zarenreiches, dieses Kontinents von den Grenzen Europas bis zum Stillen Ozean, schien ungebrochen und unstürzbar. Tief in seinen Eingeweiden aber fraß die Krankheit, für die es kein äußeres Heilmittel gab. Gleichzeitig träumten die Philosophen Rußlands damals davon, daß sich schließlich die goldenen Kuppeln Moskaus als das "Dritte Rom" über die Erde erheben würden. In den Völkern, denen das Schicksal das Wachstum ausgeglichener Kultur-Mittelpunkte versagt hat, wohnt verzweifelnde Selbstanklage, ja Selbsthaß dicht neben missionarischem Machtrausch.

Ein jedes Volk hat in diesem Jahrhundert seine Krise. Sie ist unvermeidlich für alle; denn keine Nation kann sich dem mächtigen Flügelschlag einer neuen Zeit entziehen. Auch die Amerikaner vermochten dies nicht, obwohl sie des Glaubens waren, ihre Überlieferungen, ihre Verfassung, ihr Traum und ihr Mythos seien unwandelbar und hätten ewigen Bestand. Je starrer die Hülle, um so gefährlicher die Auflösungserscheinungen und Spannungen, die sich unter ihr vollziehen. Die Krise des Amerikanismus stellt in dem Augenblick alle amerikanischen Gesellschaftsformen und Traditionen in Frage, in dem der Amerikanismus sich nicht nur als die neue Weltidee proklamiert, sondern sich sogar anschickt, die Vorbereitungen für die Aufrichtung einer Weltherrschaft zu treffen und die Unterordnung aller anderen Erdteile unter sein Gesetz zu fordern. Darum ist die Krise des Amerikanismua ein Weltproblem, das alle Erdteile angeht.

Wir Europäer sind nicht amerikafeindlich. Was sich jenseits des Atlantik vollzieht, ist unserer vollen Anteilnahme gewiß. Wir wissen auch, daß die Weltgeschichte im buchstäblichen Sinne gerade erst begonnen hat und daß ein Zusammenhang zwischen den Erdteilen besteht wie niemals früher. Wir Europäer sind durch unsere eigene umwälzende Krise gegangen, durch Feuer und Wasser, und haben alle Prüfungen erfahren, wie sie in Mozarts göttlicher Musik dem Menschenpaar Tamino und Pamina auferlegt wurden. Und unser Weg durch die Fährnisse ist noch nicht beendet. Dies macht uns reif für das Verständnis der tiefen Krise und Umwälzung in anderen Erdteilen. Dies befähigt uns aber auch zum scharfen Unterscheidungsvermögen zwischen Propheten und Scharlatanen, zwischen Ideen und leeren Utopien. Die Amerikaner treten uns plötzlich in der Rolle eines Weltenarztes entgegen, der beabsichtigt, die Medizin des Amerikanismus auch dem widerstrebenden Kranken einzuflößen. Erfahrung und eine alte Kultur geben uns die Möglichkeit, sehr wohl zu sehen, daß es sich hier um ein Gift handelt, von dem vielleicht eine kleine Dosis zur Belebung und Anregung dienen mag, während ein reichlicher Trunk davon zu Krampten und gar zum Tode unserer eigenen Lebensform führen müßte. Dort also, wo sich der Amerikanismus als Heilsidee gebärdet und gar zum Sprunge ansetzt, um in unsere eigene Welt - wie auch in die ostasiatische - einzudringen, weisen wir ihn ab; wenn es sein muß mit dem Einsatz aller unserer Machtmittel und aller uns zu Gebote stehenden geistigen Kräfte. Hier spricht dann der Ur-Instinkt der Selbsterhaltung.

Wir haben genügend hinter die Fassade des Amerikanismus geblickt, um erkennen zu können, daß sich Amerika nicht etwa schon zu neuen weltverbindlichen Formen durchgerungen hat. Dieses einen Kontinent umfassende Land ist vielmehr gerade erst dort angelangt, wo es überhaupt zu erkennen beginnt, daß die Grundlagen seiner Nationalidee und seines Mythos nicht mehr unverändert in eine neue Epoche übernommen werden können. Aber selbst diese Erkenntnis ist in den Vereinigten Staaten noch nicht einmal Allgemeingut. Die bislang vergeblichen Ansätze zu einer durchgreifenden Reform haben nur auf wenigen Teilgebieten Neuschöpfungen gebracht, die Bestand zu haben vermögen, und gerade diese, wie die Sozialgesetzgebung des New Deal entsprechen höchstens einer Angleichung an Formen und Erkenntnisse, die wir in Europa und vor allem in Deutschland schon seit Jahrzehnten gewonnen und auch in die Tat umgesetzt haben. Gerade die Stärke des amerikanischen Traditionalismus, die Unfähigkeit zur Anpassung an neue Bedingungen, die fehlende Einsicht, daß für die Vereinigten Staaten das koloniale Zeitalter mit all seiner Grenzenlosigkeit und Hemmungslosigkeit längst abgeschlossen ist, hat in jene Sackgasse geführt, in der sich das amerikanische Volk heute bei der Bewältigung seiner eigenen Probleme befindet.

Die Halbheit aller Entschlüsse, der Mangel an wirklich kühnen Ideen und - dort, wo sie vorliegen - die Unmöglichkeit, sie infolge der traditionsbedingten Hemmungen auch auszuführen, dies alles hat jenes tiefreichende Unbehagen hervorgerufen, das geradezu zum Kennzeichen der Amerikaner aller Schichten geworden ist. Kaum irgendwo in der Welt wird der innere Kampf mit bösartigeren und gehässigeren Mitteln ausgetragen, als jetzt in den Vereinigten Staaten. Das Fehlen einer die Phantasie der Massen ergreifenden und beflügelnden gemeinschaftlichen Nationalidee, das Fehlen einer die Menschenherzen durchglühenden Bewegung, die auf neue Ziele gerichtet wäre, erwies sich in unserer Durchleuchtung der amerikanischen Probleme immer wieder als der Urgrund aller amerikanischen Schwierigkeiten. Der verlegene Rückgriff auf die Tradition aus der Zeit von Pferd und Planwagen entspricht dieser inneren Leere. Dagegen kann kein Bramarbasieren helfen.

Man könnte einwenden, daß es immerhin eine neue amerikanische Dichtung gibt, die sich an einigen Stellen sogar ins Elementare zu erheben vermochte. Aber überall dort, wo diese Dichtung groß und bedeutend ist, ist sie es, weil sie Protest, Anklage und Unbefriedigtheit ausgedrückt und an der verhärteten Kruste der Selbstzufriedenheit rüttelt, die bisher das Kennzeichen des Amerikanismus gewesen ist. Sinclair Lewis' "Babbitt" und "Eimer Gantry" waren die ersten seltsamen Gestalten, die an die sorgsam verschlossenen Tore der amerikanischen Seele pochten. Thomas Wolfe, John Steinbeck und einige andere haben Lewis seitdem an Talent übertroifen, aber was sie zu sagen hatten, blieb dennoch nur Zeiterscheinung und mußte auf die Auseinandersetzung mit dem erstarrten Amerikanismus bezogen bleiben. In dem Jahrzehnt nach dem Weltkrieg, in dem Amerika noch einmal vor prallem Optimismus glänzte, hatte sich der größere Teil dieser Intelligenz stillschweigend nach Europa aufgemacht, um in Paris oder in Italien unter erträglicheren Bedingungen zu leben. Sie sind nun zurückgekehrt wie auch ein Lindbergh, dem nichts übrig geblieben war, als vor den furchtbaren Folgen seines amerikanischen Ruhmes das Land zu verlassen und in Europa Frieden, ja physische Sicherheit zu suchen.

Alle diese Ankläger stehen im Kampf mit der amerikanischen Vergangenheit. Ihre Aufgabe ist es zunächst, klarzumachen, daß der Fortschritt, dieses Zauberwort des amerikanischen Traumes, sich längst nicht mehr auf die Masse der Amerikaner bezieht, sondern nur auf den Lebensstil jener verhältnismäßig kleinen Schicht, die bisher kraft ihres Reichtums die Früchte der amerikanischen Lebensverfassung zu pflücken vermochte. Die Ankläger müssen überhaupt erst begreiflich machen, daß mit dem allem das Volk so gut wie überhaupt nichts zu tun hat. John Steinbeck hat in seinen "Grapes of Wrath" (erschienen 1939) das grauenhafte Bild der Millionen-Armee entworfen, die mit Kind und Frau und Hund und ein paar Bündeln armseligen Hab und Guts in einem alten Ford von einem Ende des Landes bis zum ändern fahren, auf der Suche nach Brot und Arbeit. Da sind die Arbeitslosen, die keiner mehr unterstützt - in Deutschland nannten wir sie früher die Ausgesteuerten - dort die Farmer, die durch Dürre und Staubstürme von ihrem Land vertrieben wurden und nun ruhelos herum irren. Sie suchen nach der amerikanischen Vergangenheit. Sie suchen nach dem Westen, nach der neuen Chance, nach der Unendlichkeit des Erdteils und stoßen schließlich an die blauen Säume des Atlantischen oder Pazifischen Ozeans oder des Mexikanischen Golfs, ohne daß sie auf ihren Irrfahrten das wenige, was zur Deckung ihrer Notdurft gehörte, gefunden hätten. Wie Insekten unter einer Glaselocke streben sie dauernd nach dem Licht und wandern doch nur in einem verhängnisvollen Rund. Die Nation weiß dies, aber sie will es nicht wahrhaben. In den Konsequenzen nicht. Die Dichter greifen zur Feder und schreiben ihre Anklagen. Sie sind herzzerreißend. Aber die ruhelose Millionenarmee, die in ihren Fords und ihren Trailers heimatlos, vom Winde verweht, das Land durchzieht, ist selbst noch von dem Glauben erfüllt, irgendwo gäbe es noch den "Westen". Die herrschende Schicht will nicht anerkennen, daß sich alles geändert hat, und die Opfer der neuen Zeit klammern sich noch immer an die Hoffnung, die ihr von oben gepredigt wird. Amerika lebt so, als ob diese Vergangenheit noch immer Gegenwart wäre.

Der Blick hinter die amerikanische Fassade legt Bilder frei, die die Wirkung des modernen Amerikanismus im eigenen Lande in furchtbarer Weise beleuchten. 50% aller zum Wehrdienst einberufenen Männer mußten nach einer Mitteilung Roosevelts wegen körperlicher oder geistiger Untauglichkeit zurück gewiesen werden. (In Deutschland hat der Hundertsatz der Untauglichen 5% nie überschritten.) Zwei von drei amerikanischen Kindern leben in Wohnungen und unter Verhältnissen, durch die ein Aufziehen, das annähernd der modernen Zivilisation entspricht, nicht gewährleistet ist. Die Fabel vom Massenluxus endet so in furchtbarer Enttäuschung. Das angenehmere Leben, das die Vereinigten Staaten zunächst verhießen und für den oberflächlichen Beobachter auch zu bieten scheinen, umfaßt längst nicht mehr den größeren Teil der Bevölkerung. Das amerikanische System hat zu Entartungserscheinungen geführt, die sich um so schlimmer auswirken, als es keinen geistigen oder seelischen Ausgleich in diesem Lande gibt, durch den die physischen und materiellen Notstände kompensiert werden könnten. Nirgends ist der einzelne Mensch verlorener, nirgends ist er hilfloser als dort, wo das help yourself, so leichthin ausgesprochen, noch immer glauben macht, der einzelne könne sich wirklich selbst helfen, wie es einstmals immerhin für die Tüchtigen galt. Die Amerikaner sind noch immer im Darwinismus befangen, dort, wo sie längst ihres eigenen Sozialismus bedürften.

So ist auch der Begriff der Schönheit Amerika vorläufig noch fremd geblieben oder richtiger gesagt, hat sich auf den allzu engen Bezirk der weiblichen Körperpflege beschränkt. Die jährliche Ausstellung der Badeanzugs-Schönheiten und die Berechnung der Siegerinnen mit dem Zentimetermaß ist beinahe das einzige, in dem sich die Freude am Schönen - wenn auch auf merkwürdige Weise - zu entwickeln vermochte; denn auch dies ist erschreckend rationalisiert. Die ausdruckslosen Gesichter bei diesen Puppenparaden, die zum gegebenen Zeitpunkt jedes Kino und jede Zeitschrift zeigt, sind nur noch eine Bestätigung für die Entseelung selbst des Eros und für seine Herabwürdigung zu einer mechanischen Massenfunktion. Die Frauenkleidung und der Schönheitssalon der mittleren und oberen Schichten sind die einzigen Altäre, auf denen dem schönen Leben überhaupt noch geopfert wird. Die Häßlichkeit der amerikanischen Städte - bis auf wenige Ausnahmen - der überladene Makartstil der Wohnungen des Mittelstandes und die, gemessen an einem deutschen, italienischen oder französischen Bauernhofe, unvorstellbare öde der üblichen amerikanischen Farm sind Beispiele dafür, daß ästhetisches Empfinden, ja, daß wirkliches Gefühl für Schönheit in diesem Lande noch gar nicht erwacht sind. Es ergibt sich hier eine eigenartige Übereinstimmung mit der indianischen Periode der nordamerikanischen Frühzeit. Im Gegensatz zu den indianischen Kulturen Mexikos, Mittelamerikas und des nördlichen Südamerika waren die Indianer auf dem heutigen Gebiete der USA. offenbar ebenso jedem Streben nach Schönheit abhold wie heute die Amerikaner.

Ratlosigkeit

Wir wollen uns gewiß nicht dazu verführen lassen zu urteilen und uns selbst auf einen Richterstuhl zu erheben, der den Europäern gegenüber den amerikanischen Erscheinungsformeil ebensowenig zukäme, wie wir umgekehrt Amerika zubilligen können, daß es über unsere Kultur zu Gericht sitzt. Die seelische Krise des Amerikanismus muß aber in ihrem vollen Umfange verständlich gemacht werden, wenn man die Kräfte, die heute miteinander in der Welt ringen, gegeneinander abwägt. Es gibt im Völkerleben wellenförmige Erscheinungen, die sich am ehesten mit Ebbe und Flut vergleichen lassen. Die Bewohner des nordamerikanischen Kontinents sind anderthalb Jahrhundert hindurch von einer Flut höher und höher getragen worden. Nun gehen die Wasser zurück. Die Ebbe tritt ein, und der von den Wogen bisher verdeckte Unrat, den die Flut mit sich spülte, liegt bloß vor aller Augen. Niemand wird so vermessen sein zu behaupten, es könne die Flut nicht wiederkehren. Gewiß aber ist sie in diesen Jahren einer Weltenwende von diesem Kontinent gewichen. Die Ratlosigkeit ist nun in Amerika allgemein. Sie hat nicht mehr nur jene Unterschicht ergriffen, die wie Treibholz auf öden Sand gespült worden ist. Man stößt auf sie schon seit mehr als einem Jahrzehnt auch in den Schichten, die bisher die Nutznießer des Amerikanismus gewesen sind. Die großen Städte und das flache Land sind von dieser Ratlosigkeit am stärksten durchgeschüttelt worden. Die berühmten Wolkenkratzerburgen stehen ebenso leer wie Abertausende von Farmen. "For sale", "for rent" kann man dort, wo der Quadratmeter Boden nicht einen halben Dollar, und dort, wo er viele hundert Dollar wert ist, gleichermaßen lesen. Diese beiden Sphären, die großstädtische und die ländliche, haben der Krise des Amerikanismus am wenigsten Gegenkräfte entgegenzusetzen vermocht. Einzig die Kleinstadt zeigt noch ein sozial annähernd festes Gefüge; hier begegnen wir jedoch dem Mutterboden aller amerikanischen Vorurteile und der noch heute fast unübersteigbaren Mauer des Traditionalismus, so daß diese Inseln in dem großen Auflösungsprozeß, den die Vereinigten Staaten jetzt durchleben, kaum einen festen Halt für neue und fruchtbare Ideen abzugeben vermögen. Vielleicht wird das später einmal anders sein, wenn ein neuer amerikanischer Mythos entstehen sollte. Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich werden die Kleinstadt und die Mittelschicht die Träger der zweiten amerikanischen Revolution werden. Vorläufig kann sie es noch nicht sein, weil die revolutionäre Idee noch gar nicht vorhanden ist. Sie kann nicht von außen kommen; sie kann nur amerikanisch sein!

An die Stelle der Revolution ist eine Ersatzrevolution getreten. Was wir damit meinen, ist in dem Abschnitt über das New Deal genauer ausgeführt worden. Dieses System der Reformen als Lückenbüßer führte zu einer Erscheinung, die die moderne Psychologie als Kontrastimitation treffend bezeichnet. Man spricht vom Kampf gegen die Diktatur und ahmt doch alle äußeren Formen der autoritären Staaten mehr und mehr nach, bis man sich selbst in eine Diktatur hineinsteigert, die aber gerade das nicht besitzt, was die Erneuerungsbewegung in Europa auszeichnet: Die Mitarbeit und Teilhaberschaft des gesamten Volkes an den neuen Ideen und Formen. Wir haben ähnliche Erscheinungen in Europa in einer ganzen Anzahl von Fällen erlebt und kennen daher diese Kontrastimitation genau. Wir wissen auch, wohin sie führt. Man braucht nur in Deutschland an den Versuch Brünings zu erinnern, mit seinem Notstandsartikel 48 dem Nationalsozialismus "den Donner zu stehlen", um ein amerikanisches Wort zu gebrauchen. Man braucht nur daran zu erinnern, was Mittelmäßigkeiten wie Schuschnigg in Österreich, Carol in Rumänien und Dummköpfe wie Rydz-Smigly in Polen versucht haben. Sie alle waren "autoritär". Zum Schluß waren es sogar Daladier und in einem noch späteren Stadium Churchill. Aber die Form allein sagt nichts. Der Geist, der sie erfüllt, ist alles. Die Nachahmung einer Revolution zu dem Ziele, die Wirkungen des Revolutionären zu ersticken, kann immer nur in der geistigen Öde enden, die noch für alle Gegenrevolutionen bezeichnend war, die nur aus dem Kontrast heraus eine Lebensberechtigung fanden. Die Gegenrevolution ist immer steril. Die Päpste und Fürstbischöfe, die gegen die Reformation zu Felde zogen, waren es ebenso wie Ludwig XVIII. und seine Schranzen. Sie blieben auf den Gegner fixiert und nicht auf den schöpferischen Akt.

Verborgener Antisemitismus

Wir haben an verschiedenen Stellen dieses Buches gezeigt, warum das Judentum in der Lage, in der sich Amerika jetzt befindet, seinen idealen Nährboden finden muß. Seine Rolle entspricht der rücksichtslosen Ausnützung der chaotischen Richtungslosigkeit, in der sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft der USA. befinden. Die Debatte an die Stelle des Handelns zu setzen und die Analayse mit Aufbau und Tat zu verwechseln, ist für das intellektuelle Judentum überall in Europa ebenso kennzeichnend gewesen. Der Haß gegen die europäische Revolution und gegen den Rassengedanken konnte leicht auf die amerikanischen Doktrinen aufgepfropft werden, weil er auf das rassische Mosaik der USA. – also auf ganz andere Verhältnisse mechanisch übertragen – natürlich wie Dynamit wirken mußte. Das Judentum wurde somit zum eigentlichen Träger der amerikanischen Ersatzrevolution und zur einzigen Schicht, die gerade auch aus der Krise infolge ihrer schnellen Anpassungsfähigkeit Profit zu ziehen vermochte. Die fast totale jüdische Herrschaft über Presse, Rundfunk und Film wirkte dabei jeder Aufdeckung der eigentlichen Wurzeln der amerikanischen Krise entgegen. Dies ging so weit, daß z. B. kein großer Verlag mehr wagte, ein aufrüttelndes Buch des bedeutenden Schriftstellers Lawrence Dennis zu veröffentlichen, so daß es als Privatdruck erscheinen mußte, und daß Theodore Dreiser der Verschwörung des Schweigens verfiel, als er unversehens gegen den Strom zu schwimmen wagte. Während seine Lobpreisungen der Sowjetunion vorher in den Himmel gehoben wurden, verfiel sein Warnruf gegen die Kriegshetze sofort dem Boykott.

Der Antisemitismus ist in den Vereinigten Staaten heute wieder eine untergründige Macht, wie er es bis zur Epoche Theodore Roosevelts gewesen ist. War es indes früher nur ein Antisemitismus aus Instinkt, so wird er jetzt schon vom Bewußtsein getragen. Das Judentum weiß dies. Schon 1938 äußerte Bernard Baruch bei einem Besuch in London – wir erfuhren dies damals aus englischer Quelle – er habe sein Vermögen praktisch auf fast alle Länder der Erde aufgeteilt, da er irgendwo für seine letzten Lebensjahre noch eine sichere Ruhestätte finden wolle, wenn erst einmal das Leben für die Juden in den Vereinigten Staaten unmöglich geworden sei. Wie überall, so ist auch das Judentum in den Vereinigten Staaten unfähig, aus den Fehlern zu lernen, die es in anderen Ländern gemacht hat. Es überspannt auch hier den Bogen, und es läßt sich voraussehen, daß er eines Tages brechen wird. Wann und wie, kann niemand vorhersagen. Aber darin stimmen alle ernst zu nehmenden Beobachter Amerikas überein – unter vier Augen auch sonst ganz gegensätzlich denkende Amerikaner – daß es dazu kommen wird. Die jüdische Vorherrschaft, die sich aus der Krise des Amerikanismus ergeben hat, ist viel zu offen und viel zu triumphierend, als daß sie nicht schließlich wie in beinahe allen europäischen Ländern den Umschwung selbst herbeiführen und den allgemeinen Haß auf sich ziehen müßte. Noch unsere Generation wird Zeuge dieses Schauspiels sein, wenn nicht alle Zeichen trügen.

Gewisse Auflösungstendenzen schreiten jetzt mit größerer Beschleunigung fort. Das Judentum wirkt dabei, wie überall, wo es zeitweise die Herrschaft an sich gerissen hat, als Katalysator. Es beschleunigt den Vorgang, bleibt aber selbst in seiner Substanz unberührt. Diese Unfähigkeit des jüdischen Elements zur substantiellen Wandlung muß immer wieder zu seiner gewaltsamen Ausscheidung führen, sobald die Katalyse vollendet ist und der neue Stoff sich gebildet hat. Wäre dies nicht der Fall, so müßte das eine Verewigung des jetzt in Amerika herrschenden Chaos und damit früher oder später das Ende des Amerikanertums bedeuten. Davon kann aber aller Voraussicht nach nicht die Rede sein, so problematisch auch die Herausbildung der amerikanischen Nation als eines geschlossenen Körpers zunächst noch infolge der bekannten riesigen rassischen und landschaftlichen Unterschiede erscheinen mag. Amerika wird weder zerfallen, wie öfters etwas voreilig behauptet wurde, noch wird es an seinem rassischen Mosaik zugrunde gehen. Es wird aber erstaunliche Verwandlungen erfahren, von denen wir noch nicht einmal genau die endgültige Richtung erkennen können. Sie sind durch die Notwendigkeit, sich vom galvanisierten amerikanischen Mythos zu lösen, bedingt. Daß diese Lösung erfolgen muß, ist keine theoretische Mutmaßung mehr; sie wird durch die gewandelten Bedingungen erzwungen werden, unter denen das amerikanische Volk jetzt lebt.

Wir haben im zweiten Kapitel auf die ähnlichen Wurzeln und Wirkungen von Judentum und Puritanismus hingewiesen. Die Krise des Amerikanismus in unserem Zeitalter ist nicht zuletzt eine Folge der Entartung des puritanischen Geistes. Die Rache tritt jetzt dafür ein, daß man durch annähernd zwei Jahrhunderte selbstgefällig glaubte, alles, was man tat, entspräche dem Willen Gottes. Für jedes Geschäft, für jeden Krieg und schließlich für jede Bigotterie oder Schurkerei war eine moralische Begründung bei der Hand. Nie gab man sich damit zufrieden, das Einzelinteresse oder auch das Nationalinteresse zu begründen, jede amerikanische Handlungsweise wurde vielmehr als im Menschheitsinteresse liegend dargestellt. Auch hier brauchen wir nicht ungerecht zu sein. Der Puritanismus ist im amerikanischen Kolonialzeitalter eine Kraft von unerhörter Macht gev/esen, die den einsamen Männern in der Wildnis den inneren Halt gab, um alle Widrigkeiten der Natur, der feindlichen Indianer und ihrer eigenen abenteuerlichen Gemeinschaft zu überdauern. Was hätte näher gelegen als ein Glaube, durch den das Werk geheiligt wurde, das man auf sich nahm: der Kampf um die Errichtung einer neuen Zivilisation in den Einöden, die sich zwischen Appalachen und Mississippi und dann wieder zwischen Mississippi und dem Felsengebirge auftaten. Diese Kolonialpioniere leugneten, soweit dies nur irgend angängig war, die Notwendigkeit des Staates und bestanden auf der negativen Regierungsform, wie wir sie geschildert haben. Um so dringender bedurften sie eines starken inneren Gesetzes, das bei aller scheinbaren Freiheit die Selbstdisziplin der sich neu bildenden Gemeinschaften sicherte. Der puritanische Glaube an die Gottgefälligkeit des Erfolges war also der Selbstschutz des kolonialen Amerika gegen das Chaos, das von Anfang an die staatsfeindliche Gemeinschaft bedrohte.

Dieser Puritanismus ist längst säkularisiert. Schon um die Jahrhundertwende waren seine berechtigten Voraussetzungen weggefallen. Die moralisierende Betrachtungsweise und vor allem die Selbstgefälligkeit blieben aber ein fester Bestandteil des amerikanischen Charakters, ja, sie wurden sogar zum hervorstechendsten Zuge des Amerikanismus. Wie fragwürdig immer ein Unternehmen war, das man begann, wenn man nur den Trick gebrauchen konnte, es dem amerikanischen Volk als moralisch wertvoll und erstrebenswert hinzustellen, so hatte man schon gewonnen und alle für sich. Wir sahen, wie dieser Trick in der Außenpolitik bei der Eingemeindung der Philippinen und Hawaiis fast reibungslos funktioniert hat. Er ist ebenso im Weltkrieg angewandt worden und abermals jetzt.

Der entartete Puritanismus ist neben dem Judentum Amerikas eigentümliche innere Gefahr. Schon hat die vom Puritanismus geförderte Unterdrückung und Verbannung des Geschlechtstriebs, dieser durch zwei Jahrhunderte geführte Kampf gegen die menschliche Natur, zu einer vollkommenen Umdrehung des Verhältnisses der Geschlechter geführt und damit zu jener Promiskuität, die für das Campus des amerikanischen College nunmehr typisch ist. Solange die religiöse Grundlage des Puritanismus wenigstens noch ungebrochen bestand, waren die Gefahren, die sich aus diesen unterdrückten Komplexen ergaben, gebändigt. Nun aber, da sich längst der puritanische Moralismus und die Selbstgerechtigkeit von den ursprünglichen Bindungen abgelöst haben und, bis auf den amerikanischen Katholizismus, ein Verhältnis zur Religion eingetreten ist, das dem in den europäischen Ländern nicht unähnlich ist, nun erst wird die puritanische Haltung zu einer Seele und Charakter verderbenden Heuchelei. Sie wirkt wie ein Gift, das alle gesunden Regungen verzehrt und den amerikanischen Menschen zwischen Exzessen und Bigotterie hin und her schleudert. Am besten konnte man dies vielleicht – abgesehen von den bereits geschilderten Folgen der Prohibition – am Benehmen der Amerikaner bei ihren Europareisen und da vor allem wieder in Paris beobachten.

Der Amerikaner ist Stadtmensch, Großstadtmensch; er ist es, selbst wenn er auf dem Lande lebt. Das ewige Jagen nach dem Erfolg, das der Puritanismus so tief in die amerikanische Seele gesenkt hat, hat ein Verhältnis zur Natur, wie es die europäischen und ostasiatischen gewachsenen Kulturen kennen, überhaupt kaum aufkommen lassen. Der Europäer wandert wie der Deutsche, oder er lebt in seiner Landschaft wie der Italiener und der Franzose und ist unglücklich, wenn ihm dies versagt ist. Der Ostasiate ist in vielleicht noch tieferem Sinne mit der Natur verbunden. Die Anlage seiner Heiligtümer, die Wallfahrten und Riten und schließlich die Feinsinnigkeit von Kunst und Lebensstil zeugen dafür. Der Amerikaner aber wandert nicht, er fährt selbst in seinen Stadtparks im Auto spazieren und erlebt den Mondschein – zu zweien – am Volant, wie es Hollywood befiehlt. Selbst auf seine Ranches, wo er sich neuerdings zu erholen liebt, nimmt er die Großstadt mit, soweit es irgend angeht, und für das Farmhaus gar möchte er am liebsten einen Lift haben, wenn er nur könnte. Darum trifft man auch in Orten mit 1000 Einwohnern auf Lichtreklamen und in Städten mit 10 000 Einwohnern womöglich auf einen einsam aus der Ebene ragenden, völlig sinnlosen Wolkenkratzer. So wie es eine Kultur des Schönen in Amerika vorläufig nicht gibt, so hat der Puritanismus auch das Verhältnis des amerikanischen Menschen zur Natur entseelt und vom Verhältnis der Geschlechter bis zur Anlage der Städte einem äußerlichen Mechanismus unterworfen.

Kein Zweifel, die besten Geister unter den Amerikanern setzen sich gegen all dies schon lange zur Wehr. Man könnte gewiß eine ganze Reihe von Gegenbeispielen nennen und vor allem auf Dichtungen hinweisen, die schon ein ganz anderes Amerika ahnen lassen. Aber das sind nur Vorstufen, die für den Amerikanismus als Weltproblem noch nicht maßgebend sind. Amerika kann sich nur selbst von der puritanischen Tyrannis erlösen, die so lange schon jede echte Regung erstickt hat. Es gibt genug Amerikaner, die hier schon sehr klar sehen. Niemand kann ihnen von außen helfen, sie müssen ihren Kampf auf Leben und Tod, aus dem die Anpassung an die Erfordernisse unserer Zeit hervorgehen muß, selbst durchkämpfen. Dieser Kampf wird voraussichtlich vor allem von der sozialen Ebene her geführt werden. Die Epoche Roosevelt hat damit jedoch noch wenig zu tun. Im Gegenteil, in ihr sehen wir noch einmal alle Vorurteile vereinigt, mit denen der entartete Puritanismus das amerikanische Volk belastet hat. Darum ist der vorläufig noch herrschende und gültige Amerikanismus zur Weltgefahr geworden.

Heilsarmeeinstinkte

Alle Beobachter Amerikas stimmen zumindest darin überein, daß die Amerikaner von einem unstillbaren Missionstrieb besessen sind. Dreiser nennt ihn einen "Save-the-World"-Komplex, er spricht geradezu von einem "American Salvation Rocket", das aus den Amerikanern eine einzige große Heilsarmee gemacht hat. Mit einem Fanatismus, den man überhaupt nicht verstehen könnte, würde man nicht die puritanischen Wurzeln der amerikanischen Zivilisation kennen, stürzen sie sich seit eh und je auf die sonderbarsten Dinge. Eine Zeitlang z. B. war es modern, daß amerikanische Frauenvereine für die Abschaffung der Harems in der Türkei kämpften. Nicht Tausende, sondern Millionen von Dollars sind zu diesem Zweck aufgebracht worden. Erst später entdeckte man dann, daß der Hauptverwalter dieser Gelder sich damit eine wunderbare Villa an der Levante erworben hatte, in der er das zu bekämpfende Objekt zunächst praktisch ausprobierte. Ob Armenier, ob Finnen, Polen oder im Weltkrieg "poor little Belgium", wer immer unter Beachtung des moralischen Tricks an die Heilsarmeeinstinkte der Amerikaner appelliert, muß durchschlagenden Erfolg haben. Die in der amerikanischen Presse viellach verbreitete Lüge, die deutschen Frauen würden neuerdings in Kindererzeugungs- und Gebärhäusern – unter Abschaffung der Ehe – in einer Art von Gemeinschaftsbrutlagern zusammengetrieben, war infolgedessen ein wohlberechneter Hieb, der auch gewiß seine Wirkung nicht verfehlt hat.

Dieser "Save-the-World"-Komplex ist die psychologische Grundlage, von der aus sich Roosevelts amerikanischer Angriff auf alle Erdteile und damit der neue Imperialismus der Vereinigten Staaten entwickelt. In ihm vereinigt sich noch einmal jener ganze selbstgerechte Puritanismus, der die Amerikaner veranlaßt, mit naiven moralischen Wertungen die Völker entsprechend ihren eigenen Interessen in gute und schlechte einzuteilen. Die Entfachung einer Kreuzzugsstimmung, wie sie angesichts des vorläufig noch herrschenden amerikanischen Charakters jederzeit möglich ist, wurde zum Notausgang, durch den man der Krise des Amerikanismus zu entschlüpfen hoffte. So wird diese Krise natürlich nie gelöst werden. Ihre Wirkungen werden nur wesentlich tiefer und umwälzender sein. Was es aber mit dem Amerikanismus als Weltidee auf sich hat, entschleiert sich uns nunmehr vollends.

Die amerikanische Tradition hat dazu geführt, daß die Amerikaner ihr eigenes Land – God's own country – schließlich mit der ganzen Menschheit gleichzusetzen begannen. Die letzte Auswirkung des amerikanischen Mythos mündet also in den Versuch, die ganze Menschheit davon zu überzeugen, daß sie nach amerikanischem Muster leben müsse. Bis dahin ist der amerikanische "Save-the-World"-Komplex schließlich gesteigert worden. Ihm entspricht nach innen der Kampf gegen die "Unamerican Activities", der schon im Weltkrieg die Form des Massenwahns annahm und jetzt wieder durch das Untersuchungskomitee des Abgeordneten Dies zu den eigenartigsten Ausschreitungen führt. Diese Weltrettungspsychose im Angesicht geradezu unerträglicher innerer Zustände ist der letzte Bereich, in den sich der amerikanische Moralismus flüchten konnte. Ein Mann wie Hoover z. B., der jede Hilfe für die amerikanischen Arbeitslosen ablehnte, ist jederzeit bereit, ein Hilfswerk für ein beliebiges europäisches oder orientalisches Volk zu organisieren. Nichts gegen wirkliche Werke der Humanität! Aber der tiefe Widerspruch bleibt bestehen, der die Haltung und Hilfsbereitschaft Amerikas nach außen und nach innen in völlig verschiedenem Lichte zeigt.

Der Amerikanismus konnte sich früher auf ein großes "unsichtbares" Reich, wie Colin Ross es einmal nannte, stützen: auf weite Gebiete in Asien und selbst in Europa, die sich vom amerikanischen Mythos angezogen fühlten und bis zu einem gewissen Grade den Glauben der Amerikaner teilten, in den Vereinigten Staaten sei auf der Grundlage der Verfassung von 1787 gewissermaßen die letzte für die menschliche Gesellschaft erreichbare Stufe erklommen. Ähnlich wie früher für das Britische Empire wirkte lange Zeit der Strom der Geschichte selbst für die Ausbreitung dieser amerikanischen Ideen und Vorstellungen weit über den amerikanischen Bereich hinaus. Dieser Prozeß nähert sich offenbar dem Ende. Die natürliche Anziehungskraft Amerikas nahm in dem Maße ab, in dem der Amerikanismus selbst in eine immer tiefer reichende Krise geriet und der amerikanische Mythos mit der neuen Wirklichkeit, mit der der amerikanische wie alle anderen Erdteile zu rechnen hat, in scharfen Widerspruch geriet. Eine Anziehungskraft Amerikas besteht in allen Erdteilen heute fast nur noch auf die am wenigsten bewußten Schichten, und diese gerade werden durch den Amerikanismus überall zur Herrschaft gebracht – selbst wenn er dies nicht erstrebt. Es ist der Kulturdünger rings in der Welt, der, nachdem jetzt der Strom der Geschichte in einer anderen Richtung verläuft, noch in der Anbetung des Amerikanismus verharrt.

Wir sahen, wie in Südamerika hauptsächlich die rassischen Mischschichten der untersten sozialen Stufe vom Amerikanismus nördlicher Prägung erfaßt werden und wie die kulturtragenden Schichten sich bereits gegen die vom Yankeetum gepredigte Einheitszivilisation wehren. In England bedeutet das Vordringen des Amerikanismus den Triumph des Cockney über alles, was am Britentum noch echt und zukunftsträchtig ist. In Japan hat man aus wohlerwogenen Gründen in einem Augenblick, in dem sich der Schicksalskampf des japanischen Volkes auf Leben und Tod zuzuspitzen begann, die Nisais – worunter man die Japaner versteht, die die amerikanische Staatsangehörigkeit angenommen haben – über den Pazifik in ihre neue Heimat zurückgeschickt. Man konnte sie in der Zeit der Krise in der alten Heimat nicht brauchen, weil sie nicht mehr völlig im japanischen Mythos verwurzelt waren. In der Sowjetunion schließlich, auf die der Amerikanismus einen höchst interessanten mittelbaren Einfluß besaß, unterstützte er den Hang zu Gigantomanie und zum mechanisch quantitativen anstatt zum qualitativen Denken. Das heimliche amerikanische Ideal der Bolschewisten der Fünfjahresplan-Perioden hat sich in diesem Kriege selbst ad absurdum geführt.

Während man also in den Vereinigten Staaten davon träumte, es bräche nun das amerikanische Zeitalter an, das Zeitalter der Einheitszivilisation und der Verwischung der nationalen und erdräumlichen Sondergestalt der Völker, ist es in Wirklichkeit unversehens schon abgelaufen. Der Angriff des Amerikanismus auf alle großen Kulturformen der Welt hat als geistiges Phänomen seinen Höhepunkt überschritten. Die Welt treibt nicht einem Einheitsstaat unter amerikanischer Führung zu, sondern im Gegenteil einer schärferen Ausprägung und Abgrenzung ihrer natürlichen geistigen Einheiten, Völkergemeinschaften und Räume. Das Judentum, das überall, wo es in der Welt auftrat, zum Vorposten des Amerikanismus geworden ist, befindet sich in der Defensive, und zwar selbst dort, wo es noch herrscht. So bleibt also nur der nackte amerikanische Imperialismus übrig, der unter Ausnutzung der sich aus dem Krieg ergebenden Lage durch Aufrichtung eines Stützpunktsystems über alle Weltmeere die amerikanische Weltherrschaft als Machtsystem zu errichten wünscht. Hinter diesem Imperialismus stehen aber keine Ideen, die auf die übrigen Völker überzeugend wirken könnten.

Dies hat sich am klarsten bei der Verkündung des sogenannten Atlantikprogramms von Churchill und Roosevelt herausgestellt (August 1941). Es war aufschlußreich, daß dieses Programm für die amerikanischen und englischen Völker selbst eine so tiefe Enttäuschung bedeutete, daß sie trotz der durch den Krieg bedingten Disziplin ziemlich unverhohlen zum Ausdruck kam. Liest man die acht Punkte, wie es sinngemäß richtig ist, von hinten nach vorn, so beginnen sie mit der Forderung, daß Deutschland, Italien und die übrigen europäischen Länder sowie Japan entwaffnet werden müßten, während Amerika und England allein als hochgerüstete Mächte übrigbleiben sollen. Die sofort anschließend geforderte Freiheit der Meere wäre dann die absolute Seeherrschaft der Angelsachsen. Der allen Völkern versprochene gleiche Zugang zum Handel und zu den Rohstoffen der Welt schließlich kann – entsprechend der nach diesem Programm geforderten machtmäßigen Überlegenheit der Angelsachsen – nur auf die Errichtung eines angelsächsischen Rohstoffmonopols hinauslaufen, das den einzelnen Völkern je nach ihrem Wohlverhalten dies oder jenes abgibt. Diese Neuauflage der 14 Punkte Wilsons ging auf Roosevelts Initiative zurück. Churchill wäre dem Zwang zur Festlegung gern ausgewichen, da er offenbar spürte, daß solche allgemeine Formeln nur peinliche Folgen haben können. Der amerikanische Weltrettungskomplex siegte aber auch hier. Nun geriet man sofort in die Verlegenheit, auch den Bolschewismus in dieses Programm einbeziehen zu müssen. Die Widersprüche, in die man sich damit verwickelte, wurden vollends unauflösbar. Die Notwendigkeit, den Bolschewismus als eine "Abart der Demokratie" brüderlich und gleichberechtigt aufzunehmen, ließ nur den tiefen Zwiespalt um so klarer hervortreten, der zwischen dem plutokratisch-finanzkapitalistischen und dem liberal-radikalen Zweig der politischen Führerschicht in den angelsächsischen Ländern besteht. Interessant an diesem Atlantikprogramm war eigentlich nur, daß es schon nach wenigen Wochen vollkommen vergessen war. Es besaß nicht die Kraft eines Manifests, sondern blieb eine nebensächliche Episode. Kein besserer Beweis wäre möglich, daß seine Urheber nicht die Worte und Ideen finden können, nach denen heute alle Völker verlangen.

In den Vereinigten Staaten ist der Gegensatz zwischen Mangel und Überfluß durch keine neue Gemeinschaftsidee, die auch neue Wirtschaftsformen mit sich gebracht hätte, überwunden worden. Der Zv/iespalt zwischen Mangel und Überfluß: das ist nichts anderes als das ungelöste soziale Problem. Solange der amerikanische Mythos dem einzelnen noch Hoffnung gab, er oder seine Kinder würden der Not und dem Elend durch ein geheimnisvolles, automatisch wirkendes Gesetz der ständigen Reichtumsvermehrung in immer breiteren Schichten der Bevölkerung entgegen, solange konnte in der Tat der Zwiespalt zwischen Mangel und Überfluß das amerikanische System nicht bedrohen. Wir sahen, daß dieses Gesetz, soweit es überhaupt wirksam war, sich nur auf eine bestimmte Periode bezog und daß es längst seine Gültigkeit verloren hat. Damit aber diente der Amerikanismus auch in Amerika selbst nicht mehr einer Verbreiterung des Wohlstandes und einer Verbesserung der Lebensbedingungen der großen Masse, sondern nur noch der Aufrechterhaltung des Lebensstils der privilegierten Oberschicht. Und darauf spitzte sich in der Tat der ganze Kampf zu, in den Roosevelt das amerikanische Volk hineingetrieben hat. Willkies Berater Davenport sagt, der Nationalsozialismus bedrohe freilich vorläufig nicht amerikanischen Boden, wohl aber durch den Krieg gegen England "einen Lebensstil, nach dem wir leben wollen, der aber nicht ausschließlich der unsrige ist".

Freiheit - hier und dort

Dort also liegt der Herzraum der Furcht. Die Entwicklung eines nationalen Sozialismus in einem der mächtigsten Industrieländer der Welt muß, wenn sie sich ungestört vollziehen kann, eine ungeheuere Anziehungskraft auf alle anderen Völker ausüben, die dem Zwiespalt zwischen Mangel und Überfluß ausgesetzt sind, wie er sich sowohl aus dem kapitalistischen wie in anderer Art aus dem kommunistischen System ergeben hat. Irgendwann müßten diese Völker entdecken, daß die Freiheit, unter der sie angeblich leben, sich nur auf den Lebensstil der Geldoligarchie bezieht. Eine solche Entdeckung aber könnte nur revolutionäre Folgen haben; denn dann ist auch Freiheit etwas völlig anderes. Sobald der Begriff der Freiheil einen sozialistischen Sinn gewinnt, muß er davon ausgehen, daß dieser Zwiespalt zwischen Mangel und Überfluß sich schließt. Wie sollte das innerhalb des kapitalistischen Systems angelsächsischer Prägung möglich sein? Darum zieht man den Krieg gegen die Ausbreitung einer Idee vor, durch die allerdings der Lebensstil der Nutznießer der Demokratie auf das schärfste in Mitleidenschaft gezogen werden müßte. Der Amerikanismus hat sich selbst als das Gegenbild zum nationalen Sozialismus in der Welt bezeichnet. Blickt man vom Wachtturm der Geschichtsphilosophie auf das Geschehen unserer Epoche, so mag das immerhin als klare Position gelten. Als Churchill von dem Zusammentreffen mit Roosevelt nach London zurückgekehrt war, erklärte er, "dieser dreimal gewählte Präsident sei das Haupt des mächtigsten Staates und der mächtigsten Gemeinschaft der Welt". Dieses Wort, von einem britischen Premierminister gesprochen, schien die Anerkennung der Pax Americana zu bedeuten. Die amerikanischen Ideen, das war zu jenem Zeitpunkt schon klar, waren indes nicht vorwärts gewandt. Sie dienen allein der Rechtfertigung bestehender Machtverhältnisse und der im 19. Jahrhundert vollzogenen ungerechten Verteilung der Rohstoffe dieser Welt. Die Frage erhebt sich also, ob die Vereinigten Staaten in der Lage sein werden, diese Scheidung der großen Weltvölker in Besitzende und Habenichtse aufrechtzuerhalten. Das ist nur noch eine Herausforderung von Macht gegen Macht; es ist der Appell an die letzte Entscheidung.

Weltbedeutung der Vernichtung der Sowjets

Der europäische Krieg hat sich zu einem Kampf der Kontinente erweitert. Von den sieben Großmächten, die es bei Beginn dieses Krieges auf der Welt gab, waren ursprünglich drei in den aktiven Kampf verwickelt: Deutschland gegen Großbritannien und Frankreich. Kurz vor der Brechung des französischen Widerstandes trat Italien in den Krieg ein. Frankreich schied alsbald als Großmacht – die auf den Ausgang des jetzigen Krieges entscheidenden Einfluß haben kann – aus. (Womit die künftige Rolle Frankreichs in Europa jedoch nicht präjudiziert ist.) Von den sechs verbleibenden Großmächten hatten sich Deutschland, Italien und Japan in einem Militärbündnis zusammengeschlossen. Die beiden angelsächsischen Mächte bildeten ihre Allianz. Die Sowjetunion als die quantitativ am stärksten gerüstete Landmacht der Welt stand zwischen beiden Lagern. Dies bedeutete, daß sich die Kräfte auf beiden Seiten noch immer die Waage hielten, da Deutschland einen wesentlichen Teil seiner Armee ständig zur Sicherung seiner Ostgrenze bereit halten mußte. In dem Augenblick, in dem dann die Sowjetunion der angelsächsischen Gruppe zuzuneigen begann und es offenbar wurde, daß sie sich ihr zum geeigneten Zeitpunkt anzuschließen beabsichtigte, war die Risikophase dieses Krieges für Deutschland und seine Verbündeten erreicht. Seit der Ausschaltung Frankreichs besaßen die Angelsachsen keine Landmacht mehr, ihre Seemacht hingegen war, wenn sie auf den Atlantischen Ozean konzentriert werden konnte, weit überlegen. In Verbindung mit dem hochgerüsteten Millionenheer der Sowjets verfügte die angelsächsische und sowjetische Kombination plötzlich über beides: über Land- und Seemacht.

Da die Engländer und Amerikaner entschlossen waren, Europa den Sowjets preiszugeben, wäre dies eine bedrohliche Kombination gewesen, hätte die Voraussicht der deutschen Führung nicht vor dem Krieg gegen die Sowjets die Möglichkeit eines Zweifrontenkrieges ausgeschaltet. Am Beginn des Winters 1941142 war die Risikophase überwunden. Die Hauptmasse der Sowjetarmee war in zehn Vernichtungsschlachten erledigt worden. Die größte Armee, die je in der Weltgeschichte aufgeboten und ausgerüstet worden ist, war damit durch die Kühnheit der deutschen Führung und den Mut der deutschen Soldaten und ihrer europäischen Verbündeten zerschlagen. Zwei Drittel aller wichtigen und entwickelten Wirtschaftszentren der Sowjetunion befanden sich nun bereits in deutscher Hand, darunter drei Viertel der Schwerindustrie. Von dem verbleibenden Rest lagen nun die noch übrigbleibenden Zentren – abgesehen in Mittelsibirien – dem deutschen Zugriff mehr oder minder offen. Was von sowjetischen Truppen noch übrigblieb, wie die Reste des sowjetischen Rüstungspotentials, kann niemals mehr gefährlich werden. Die Angelsachsen hatten damit die letzte Möglichkeit, ein gewaltiges Landheer gegen Deutschland und Europa einzusetzen, verspielt. Vom Atlantischen Ozean bis in die Nähe des Kaspischen Meeres dehnt sich nun ein ungeheurer deutsch-europäischer Machtbereich mit völlig unerschöpflichen und sich gegenseitig ergänzenden wirtschaftlichen Reichtümern.

Nach dem Eintritt Japans und der Vereinigten Staaten in den Krieg sind sämtliche Großmächte in den Weltkampf verwickelt, dessen Ausgang das Gesicht der gesamten Erde bestimmen wird. Die Sowjetunion ist dabei, obwohl immer noch ein militärischer Faktor, nach dem Verlust ihrer europäischen Gebiete nicht mehr im früheren Sinne eine Weltmacht. Die fünf verbliebenen Großmächte bilden nun drei Machtzentren, zwischen denen sich das künftige Schicksal der Welt entscheidet: das deutsch-italienischeuropäische, das durch den französischen Kolonialbesitz weit nach Afrika hinein bis fast an die Grenze des Südatlantik reicht; daa japanisch-fernöstliche und schließlich das amerikanisch-britische mit den Vereinigten Staaten als Mittelpunkt. Sollte das Ziel des Präsidenten Roosevelt, die Aufrichtung einer ungeteilten angelsächsischen Weltherrschaft unter Führung der USA., verwirklicht werden, so müssen die beiden anderen großen Machtzentren besiegt und vernichtet werden. Nachdem sich das britische Empire der amerikanischen Vorherrschaft bereits gebeugt hat, wäre dann das Endziel erreicht, das sich Roosevelt im Laufe dieses Krieges steckte. Es genügt fast, den großen Zug der politisch-militärischen Entwicklung dieses Krieges unter Ausschaltung aller nebensächlichen Momente zu schildern, wie wir es hier versuchen, um zu dem Schluß zu kommen, daß die Vernichtung des gewaltigen europäischen wie auch des fernöstlich-japanischen Machtbereiches durch die angelsächsische Kombination unmöglich ist. Konnte man vielleicht noch Zweifel hegen, solange die sowjetische Sphinx sowohl in Europa wie im Fernen Osten plötzliche Überraschungen vermuten ließ, so gibt es nach der Brechung der Sowjetmacht und der Einbeziehung der wichtigsten ukrainischen und russischen Rohstoffgebiele in den europäischen Raum überhaupt keine Gefahrenquellen mehr, durch die sich eine unvorhergesehene Wendung ergeben könnte.

Wir sahen, wie Roosevelts Ideen über die strategische Entwicklung des Krieges von Anfang an durch die Theorien Mahans über den Einfluß der Seemacht auf die Geschichte bestimmt worden sind. Entsprechend dieser Theorie war es angeblich stets die Seemacht, die die Entscheidung in großen Kriegen gebracht hat. Mahan, ein trivialer Materialist, der die geschichtlichen Tatsachen so zurecht bog, wie sie sich für seine Pläne und Vorschläge einer imperialistischen amerikanischen Außenpolitik eigneten, forderte daher nach dem Vorbild Englands den Bau einer riesigen Schlachtflotte und den Erwerb von Kolonien und Stützpunkten über alle Weltmeere, damit der amerikanische Handel auf diese Weise die Vorherrschaft in der Wfclt erringen könne. Wir sahen, wie diese um die Jahrhundertwende entworfenen imperialistischen Gedanken, die schon bei der Erwerbung der Philippinen und von Guam eine Rolle spielten, in der Epoche des zweiten Präsidenten Roosevelt zur Richtschnur der amerikanischen Außenpolitik geworden sind. Ebenso ist auch die britische Strategie und Rüstungspolitik stärkstens durch diese Theorien beeinflußt worden. Noch die defensive Strategie eines Liddell Hart ist überhaupt nur verständlich durch den Glauben, allein die Seemacht sei der kriegsentscheidende Faktor. Auch als nach dem Mai 1940 Roosevelt erkennen mußte, daß seine bis dahin gehegten Auffassungen über " die voraussichtliche Entwicklung des Krieges vollkommen in die Irre gegangen waren, hielt er am strategischen Grundgedanken seines sich nun entwickelnden Weltherrschaftsplanes fest. Mahan blieb Trumpf.

 

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Die Anhänger dieser angelsächsischen strategischen Seemachtschule haben von jeher übersehen, daß weder vor zweitausend Jahren das römische Reich noch in den letzten drei Jahrhunderten das britische Imperium durch die Seemacht allein gegründet oder erhalten worden sind. Es waren die römischen Legionen und nicht die Flotte, die Karthago besiegt haben. Was England angeht, so sind bis auf die Vernichtung der Armada, die aber durch Stürme und nicht durch die britische Flotte geschah, alle wirklichen kriegsentscheidenden Siege der Briten Landsiege gewesen. Dies ist durch den Ruhm von Trafalgar und andere Seeschlachten vielleicht verdunkelt worden. Keine dieser Seeschlachten war indes von solcher Auswirkung, daß dadurch die mächtigen britischen Gegner je den Genickschlag erlitten hätten. Englands Siege bauten sich vielmehr stets wie während des Spanischen Erbfolgekrieges oder während des Siebenjährigen Krieges und zuletzt noch im Weltkrieg auf einer Kombination zwischen der Landmacht irgendwelcher Alliierter, zu denen wie bei Waterloo oder schon vorher in Spanien ein britisches Expeditionskorps stieß, mit der englischen Seemacht auf. Nur in dieser Kombination hat sich das Gewicht der britischen Flotte auszuwirken vermocht.

Die Geschichte des Weltkrieges hat zudem gezeigt, daß jede Admiralität eine besondere Scheu besitzt, ihre große Schlachtflotte überhaupt an den Feind zu führen, weil sie als kostbarster Besitz geschont werden muß. So ist die englische Schlachtflotte bekanntlich nach der Seeschlacht am Skagerrak kaum mehr in ihrer vollen Stärke in Erscheinung getreten. Die ursprünglich in diesem Kriege von England vertretene Theorie, Deutschland sei allein durch Blockade niederzuzwingen, hatte sich schon vor den großen Feldzügen im Westen und Osten als Fehlrechnung herausgestellt, wie man in England auch offen zugab. Nach der Ausdehnung des deutschen Machtbereiches von Brest und Bordeaux bis über den Don hinaus kann davon überhaupt nicht mehr die Rede sein. Ebenso ist die zweite britische strategische Idee, die der Kriegsausweitung, schließlich nur zum Vorteil Deutschlands ausgeschlagen, das durch die präventiven Feldzüge in Skandinavien, dem Balkanraum und schließlich gegen die Sowjets eine

 

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vollkommene Sicherung der europäischen Zentralgebiete erreichte. Wie also, so muß man sich fragen, können England und Amerika entsprechend den Theorien Mahans durch ihre Seemacht einen Entscheidungssieg erzwingen?

 

Ohne Landmacht kann kein Sieg sein. Weder die Flotte noch die Luftwafie können isoliert oder kombiniert einen Sieg erzwingen. Insofern hat sich die Kriegslehre des Generals Douhet als ebenso einseitig herausgestellt wie diejenige Mahans. Damit aber sind die angelsächsischen Mächte nach der Niederwerfung ihres einzigen Bundesgenossen, der noch über eine Landmacht verfügte, hinter der sich später einmal das amerikanische Rüstungspotential hätte aufbauen können, zu einer Kriegsführung verurteilt, für die es keinen zentralen Ansatzpunkt in der Nähe des europäischen Erdteils mehr gibt. Bereits am Ende des Jahres 1941 ist der Krieg weit von Europa fortgeschoben. Schon sind die Ränder des asiatisch-afrikanischen Wüstengürtels das Hauptgebiet, in dem er sich künftig abspielt. Hier aber kann schon aus verkehrstechnischen Gründen das amerikanische Potential niemals eine ausschlaggebende Rolle spielen, ganz abgesehen davon, daß Deutschland aus seiner zentralen Position heraus jederzeit in der Lage ist, kraft seiner Überlegenheit den Krieg dort, wo es ihm nötig erscheint, noch weiter von der Zentralbasis abzudrängen. Der einzige Ansatzpunkt in der Nähe Europas, die britischen Inseln, können als Luftbasis für Störungsunternehmungen dienen, aber nicht für mehr.

Die beiden angelsächsischen Mächte werden niemals in der Lage sein, eine Landmacht aufzustellen, die derjenigen Deutschlands und seiner Verbündeten ebenbürtig ist. Wir sahen, daß die knapp 1,5 Millionen Mann mit noch unzureichender Ausrüstung, über die die Vereinigten Staaten Ende 1941 verfügten, bei diesem Kampf der Kontinente so gut wie überhaupt nicht ins Gewicht fallen. Auch wenn sich diese Zahl im Laufe längerer Jahre vervielfacht und sich die Ausrüstung vervollkommnet, kann diese Armee kaum eine wirkliche Bedeutung bekommen. Immer wieder werden dann England und Amerika gezwungen sein, sei es in Asien, sei es in Afrika, weitab von ihren natürlichen und starken Basen und Produktionszentren in verkehrsentlegenen Gebieten zu kämpfen, zu denen Deutschland und seine Verbündeten kraft ihrer inneren Linie schnellen und direkten Zugang haben. Gleichgültig ob man an die Errichtung einer Front in Iran denkt oder an die Besetzung Islands und die Drohung gegen Dakar und die Azoren – immer handelt es sich nur um weit entfernte Außengebiete, durch deren Besitz eine Kriegsentscheidung nicht erzwungen werden kann, zumal alle diese sich über Tausende von Kilometern erstreckenden Randgebiete nur durch eine sehr dünne Kette von Besatzungstruppen gesichert werden können. Wo also könnte das amerikanische Rüstungspotential gegen Europa wirksam eingesetzt werden? Die letzte Hoffnung nach der Sicherung Westeuropas war eine stehende Front nach Art des Weltkrieges am Dnjepr oder spätestens am Don. Ohne eine solche stehende Front in verkehrsgünstigen Gebieten, die einen Nachschub über den Ozean gewissermaßen am laufenden Band gestatten, ist auch das größte Rüstungspotential sinnlos. So bricht die amerikanische Offensive gegen Europa schon aus strategischen Gründen zusammen. Der Unterschied gegen die Lage im Weltkrieg mit der Front im Westen, hinter der Amerika in aller Ruhe seinen Entsatz aufbauen konnte, ist fundamental.

Die angelsächsischen Machtmittel reichen also selbst für eine Beherrschung des atlantisch-mittelmeerländisch-vorderasiatischen Raumes nicht aus. Dies ist aber nur das eine Machtzentrum, das überwunden und vernichtet werden müßte, sollte der amerikanische Weltherrschaftstraum Wirklichkeit werden. Das japanischostasiatische kommt nach dem Kriegseintritt Japans hinzu. Admiral Leahy hat 1938, als er noch Chef des amerikanischen Generalstabs war, betont, daß eine erfolgreiche Operation gegen Japan eine amerikanische Flotte zur Voraussetzung habe, die mindestens doppelt so stark sein müsse wie die japanische, weil sie unter ungleich ungünstigeren Umständen, weit entfernt von den heimatlichen Basen zu operieren habe. Die Richtigkeit dieser Annahme ist sofort nach dem Kriegsausbruch im Fernen Osten bestätigt worden. Japans Stärke wurde von den Amerikanern und Briten wesentlich unterschätzt. Die materialistische Betrachtung, die schon früher infolge der Rohstoffarmut Deutschlands zu einer Fehleinschätzung geführt hatte, mußte sich hier besonders empfindlich rächen.

Bedeutung des ostasiatischen Krieges

Auf Europa angewandt, enthüllte sich die Mahan-Theorie, diese Grundlage von Roosevelts strategischem Gebäude, als das wahre Gegenstück zur Maginot-Theorie. Der Linienwahn, mit dem die Westmächte in den Krieg eintraten, wurde ihnen zum Verhängnis. Ebenso wird es in Zukunft mit den ungerechtfertigten Hoffnungen ergehen, die die Angelsachsen nun auf die Seemacht als kriegsentscheidenden Faktor in Europa setzen. Nicht als ob die Seemacht wirkungslos wäre – nach den erheblichen Erfolgen, die die kleine deutsche Flotte, vor allem die U-Boot-Waffe zu erzielen vermochte – wird niemand so töricht sein, dies zu behaupten. Im europäischen Bereich kann jedoch niemals die Seemacht die machtvoll ausgebauten Landpositionen erschüttern, die über den Vorteil der inneren Linie verfügen.

In Ostasien dagegen ist die britisch-amerikanische Vorherrschaft zur See von Japan bereits in den ersten Tagen nach dem Ausbruch des Krieges erschüttert worden. Selbst wenn sich später durch den Einsatz von amerikanischen Neubauten das Gleichgewicht der Flotte wieder zugunsten der Angelsachsen verschieben sollte, haben die Japaner durch ihre erstaunlichen Anfangserfolge einen Vorsprung erzielt, der es ihnen ermöglichte, ebenfalls ihre Landmacht vor allem in der pazifischen und malayischen Inselwelt voll zur Geltung zu bringen. Diese Landmacht verfügt ebenso wie die deutsche in Europa über die innere Linie, während die Angelsachsen gezwungen wären, eine Expeditionsarmee über viele Tausende von Seemeilen mit unzähligen Transportern über den Ozean (und damit in das fast sichere Verderben des größten Teils dieser Armee noch vor der Ankunft) zu bringen. Die amerikanische Flotte bleibt durch den Krieg im Pazifik, auch wenn sie ab 1943 durch Neubauten verstärkt wird, unter allen Umständen gebunden. Darüber hinaus ist das Leih- und Pachtprogramm für England und die Sowjets seit dem Ausbruch des Krieges im Fernen Osten nicht mehr in der vorgesehenen Form durchzuführen. Die durch die Engpässe bedrängte amerikanische Rüstungsindustrie ist nun vor die Aufgabe gestellt, zunächst einmal die amerikanische Armee und Flotte auszurüsten. Der amerikanische Generalstab benötigt seit Dezember 1941 an der pazifischen Küste eine mehrere hunderttausend Mann starke Sicherungsarmee gegen etwaige japanische Vorstöße auf das Festland. Dies wird bedeuten, daß auf lange hinaus England keine nennenswerte Entlastung durch Material oder gar durch Truppen im atlantischen und vorderorientalischen Raum durch die Vereinigten Staaten erwarten kann. Wahrend einerseits die Voraussetzung für das Losschlagen Japans darin bestand, daß die deutschen Armeen unmittelbar vor Moskau und nicht weit vor den Toren des Kaukasus angelangt waren, wird Deutschland im atlantisch-afrikanischen Raum andererseits durch den japanisch-amerikanischen Krieg bedeutend entlastet.

Die während dieses Krieges erschienene englische und amerikanische strategische Literatur muß daher verlegen der Frage ausweichen, wie der Krieg gewonnen werden kann. Hanson Baldwin z. B. sah kurz nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Sowjets1 für den Fall, daß die Sowjets besiegt würden, auch für England und Amerika keine Möglichkeit, den Krieg zu gewinnen. Er sagte voraus, die Kriegskosten würden dann von den damals bereits bewilligten 46 Milliarden Dollar vielleicht auf 300 Milliarden ansteigen und das amerikanische Volk werde fast die ganze Bürde dieser Kosten allein zu tragen haben. Aber auch dann sieht er keine andere Möglichkeit als allenfalls die Entsendung einiger Divisonen nach dem Vorderen Orient und die Besetzung der Azoren, Nordirlands, der Kapverden, von Freetown und allenfalls von Dakar. Alle diese Betrachtungen drehen sich im Kreis. Der Grund hierfür ist einfach der, daß nicht nur England, sondern erstaunlicherweise auch die Vereinigten Staaten von strategischen Anschauungen ausgehen, die im viktorianischen Zeitalter entstanden sind und den Bedingungen entsprechen, die zu jener Zeit vorlagen, nicht aber den heutigen. In den hundert Jahren nach Waterloo, in denen ein Zusammenprall großer Machtgebilde nicht stattfand, sind diese strategischen Theorien richtig gewesen. Das war im britischen Zeitalter mit seinen besonderen und einmaligen Bedingungen. Heute aber läßt sich auf dieser Grundlage und mit diesen Mitteln niemals die kriegsentscheidende Initiative gewinnen.

Drei Tage vor dem Ausbruch des Krieges im Fernen Osten veröffentlichte die "Chicago Tribune" einen auf Veranlassung Präsident Rooaevelts gemeinsam vom Oberkommando der amerikanischen Armee und Marine vorbereiteten Geheimbericht, in dem der Offensivplan der USA. in allen Einzelheiten behandelt wurde. Die Echtheit dieses Berichtes ist am darauffolgenden Tage von Kriegsminister Stimson bestätigt worden. In der Rede des Führers vom 11. Dezember 1941, in der die Reichsregierung die Konsequenzen aus den Angriffsakten der Vereinigten Staaten zog, und sich auch ihrerseits als im Kriegszustand befindlich erklärte, wurde dieser Bericht als ein letztes Beweisstück amerikanischer Angriffsabsichten besonders hervorgehoben. In ihm heißt es, der l. Juli 1943 sei als Datum für den Beginn einer letzten und höchsten Anstrengung seitens der amerikanischen Landstreitkräfte zur Niederringung der mächtigen deutschen Armee in Europa festgesetzt. Fünf Feldarmeen mit ungefähr 215 Divisionen der verschiedenen Waffengattungen sollten bis dahin aufgestellt werden. In diesem Bericht ist die genaue Anzahl der Truppen angegeben, die in den amerikanischen Stützpunkten jenseits der Westlichen Hemisphäre benötigt werden.

Das Bezeichnende an diesem Dokument war indes, daß es mit einem ernsthaften modernen Großkrieg im Fernen Osten nicht rechnete. Das nur langsame und schrittweise Vordringen der japanischen Armeen in China hatte den amerikanischen Generalstab dazu verführt, anzunehmen, die japanische Armee und Marine sei höchstens zu einem Krieg im Stile des 19. Jahrhunderts fähig, wie dies mehrfach in amerikanischen Zeitschriften ausgedrückt wurde. Die Entwicklung des Fernostkrieges hat nun das Gegenteil bewiesen. Die Annahmen, von denen jener Bericht des Oberkommandos der amerikanischen Wehrmacht und Marine ausging, war schon wenige Tage nach seiner Veröffentlichung vollständig überholt.

Es erwies sich nicht nur für den Fortgang, sondern wohl überhaupt für den Ausgang dieses zweiten Weltkrieges als entscheidend, daß Japan einen Kriegsplan ausgearbeitet hatte, der eine totale Kriegsführung im gesamten Pazifik vorsah und sich keineswegs, wie die Angelsachsen angenommen hatten, auf lokale Aktionen im unmittelbaren japanischen Machtbereich beschränkte. Für Amerika und England dreht sich alles um die eine Frage:

Können beide Mächte überhaupt in diesem Kriege noch einmal offensiv werden? Durch die Form, in der Japan den Krieg begonnen hat, ist diese Frage, von gelegentlichen Teiloperationen abgesehen, negativ entschieden. Die Ausweitung dieses Krieges zum Weltkrieg, die von Churchill durch zwei Jahre so heiß ersehnt worden war, hat nun auch die potentielle Überlegenheit der Mächte des Dreierpaktes klar enthüllt.

Die Revolution der Strategie, die der jetzige Krieg gebracht hat, entspricht der politischen und sozialen Revolution der jungen Großmachtvölker. Es schafft sich jede Epoche ihre neuen Waffen, ihre eigene Kampfesweise und ihre eigene Strategie. Dies braucht nach dem Norwegen-, dem Balkan- und dem Ostfeldzug nicht mehr im einzelnen bewiesen zu werden. Der Appell an die letzte Entscheidung, auf die Roosevelt hindrängte, hat bereits gegen den amerikanischen Weltherrschaftsplan entschieden.

Die Wendung des Amerikanismus zu einem weltbeherrschenden Imperialismus ist, auch was die strategischen Voraussetzungen und Ideen angeht, zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Zerfall der künstlichen Weltreichbildungen durch die neu heraufkommenden Kräfte schon unvermeidlich geworden ist. Wenn sich die Vereinigten Staaten nun mit dem Erbe Englands belasten, so übernehmen sie damit, ob sie es beabsichtigen oder nicht, gleichzeitig auch alle jene Hypotheken, die den Abstieg des britischen Weltreiches schließlich unvermeidlich gemacht haben. Der Fall Indien ist hierfür vielleicht der eindrucksvollste Beweis. Wir zeigten, wie die Amerikaner ursprünglich eine Befreiung Indiens und eine Änderung der britischen Methoden in ihr Programm aufgenommen hatten, wie sie dann aber durch den Lauf der Dinge gezwungen wurden, den britischen Imperialismus auch in diesem Erdteil gegenzuzeichnen. Ähnlich wird es sich in allen anderen Gebieten der Welt verhalten. Im einleitenden Kapitel haben wir dargestellt, wie die britische Geschichte in den letzten Jahrzehnten in den Versuch einmündete, das Ende der Weltgeschichte herbeizuführen und die bestehenden Machtverhältnisse für alle Zeiten aufrechtzuerhalten. Dies war für die Engländer nicht möglich, und es wird ebensowenig für ihre amerikanischen Erben zu erreichen sein. Entgegen der allgemeinen Ansicht läßt sich in der Tat das Rad der Geschichte eine Zeitlang aufhalten. Dazu kann schon der Einsatz eines seit Jahrhunderten erworbenen Prestiges genügen, wie das englische Beispiel erhärtet. Aber es läßt sich nicht für alle Zeiten aufhalten. Schließlich brechen sich neue Kräfte, neue Ideen und neue Vitalitäten unaufhaltsam ihre Bahn. Das ist die geschichtliche Wendung, die in diesem Krieg herbeigeführt worden ist.

Für das amerikanische Volk wird dies, wenn diese Erkenntnis durch eine lange Kette von Mißerfolgen, die sich an die bisherigen anreiht, erst einmal Allgemeingut geworden ist, eine gewisse Tragik in sich bergen. So erstarrt und überkrustet mit verdorrten Traditionen die amerikanische Gesellschaft auch heute erscheinen mag, so ist doch kein Zweifel, daß die diesem Volke innewohnende Kraft und Vitalität nicht auf die Dauer nur nach rückwärts, nach der Vergangenheit bezogen werden kann. Vielleicht ist die Selbsterlösung vom Puritanismus und von einem asozialen Freiheitsbegriff, der nur dem Lebensstil der Finanzoligarchie dient, überhaupt nicht anders möglich als durch weitere Enttäuschungen, die sich im Zusammenprall mit jenen Kontinenten ergeben, in denen bereits die sozialen Gemeinschaftsideen unseres Jahrhunderts zum Siege gelangt sind. Vielleicht ist es in einem uns unbekannten Weltenplane vorgesehen, daß die Verwandlung des Amerikanismus und die Entstehung eines neuen amerikanischen Mythos nur durch härteste Erfahrungen möglich sein wird. Vielleicht werden dann auch in den Vereinigten Staaten jene revolutionären Kräfte, die heute noch als "Unamerican Activities" verschrien sind, die historische Rolle dieses Erdteils wiederherstellen, die einst darin bestand, daß er immer auf der Seite der Ideen der Zukunft stand. Heute steht er bei der Vergangenheit, aber Gestalten wie Roosevelt werden wahrscheinlich eine völlig andere historische Einordnung erfahren, als sie sich heute vorzustellen vermögen. Sie werden nur als die Schrittmacher jener großen inneramerikanischen Umformung erscheinen, die unvermeidlich sein wird, wenn sich erst einmal herausstellt, daß weder der Versuch einer amerikanischen Weltherrschaft noch auch der Gedanke eines amerikanischen Jahrhunderts zu verwirklichen sein wird. Der amerikanische Mythos, im Innern schon erschüttert, vermag sich jetzt nur noch nach außen als amerikanischer Missionsgedanke zu wenden. Die Zeit für seine Ablösung wird gekommen sein, wenn sich erwiesen haben wird, daß er niemals die Grundlage einer neuen Weltordnung sein kann. Dann wird Amerika die Ideen unseres Jahrhunderts – ausgehend von einer sozialen Volksordnung – aufnehmen müssen.

Wir wiederholen hier nochmals: Was wir in diesem Buch zu sagen haben, hat im tieferen Sinn keine antiamerikanische Tendenz. Wogegen wir uns zu wenden haben, ist nun wohl klar geworden. Es ist dies nicht das amerikanische Volk als geschichtliche Erscheinung, sondern jene Entartung des Amerikanismus, der, um seine ungelösten inneren Schwierigkeiten zu verbergen, die Errichtung einer Weltherrschaft anstrebt. Die Vereinigten Staaten sind trotz allem eine Tochter des europäischen Geistes und des europäischen Blutes. Die falschen Propheten an ihrer Spitze werden voraussichtlich nicht zu hindern vermögen, daß sich später dennoch die heute schon vorhandenen Ansätze für eine eigene amerikanische Kultur zu entwickeln vermögen. Dies setzt aber voraus, daß Amerika verstehen muß, daß die europäische und ostasiatische Kultur in sich geschlossene Einheiten sind, die nach ihren eigenen Gesetzen leben und die sich gegen jede Überwältigung durch raumfremde Mächte bis zum äußersten zur Wehr setzen. Da wir keinem platten Optimismus huldigen, glauben wir nicht, daß die Amerikaner fähig wären, diese Erkenntnis in ihrer vollen Tragweite in sich aufzunehmen, ehe sie nicht die durch ihre Führung selbst erzeugte Katastrophe durchgestanden und durchgelitten haben. Wie tief diese Katastrophe reichen wird, vermag niemand vorauszusehen. Doch ist, wie wir sehen, der gesellschaftliche Untergrund so wenig gefestigt, daß mit sehr tiefgreifenden Wirkungen auf das ganze amerikanische Leben zu rechnen ist.

Für Europa, Ostasien, ja selbst für Südamerika sind viele Erscheinungen des Amerikanismus Gift und Kulturtod. Das heißt nicht, daß sie das auch für Amerika selbst sein müßten. Dort herrschen andere Bedingungen und der Amerikanismus hat im eigenen Lande eine andere Bezogenheit auf Landschaft und Raum als außerhalb seiner Geburtsstätte. Freilich mag Thomas Wolfe sein bitterstes und genialstes Buch, in dem er die Auswirkungen des Amerikanismus im eigenen Lande beschreibt, nicht ohne Absicht "Vom Tod zum Morgen" genannt haben. Aber wie sich Amerika schließlich aus seiner eigenen Erstarrung, Nivellierung und Uniformierung löst, kann nicht unsere Sorge sein, und wir haben kaum ein Recht, hierzu auch nur Gedanken zu äußern; denn wir sind keine internationalen Moralisten, und wir handeln nicht mit Rezepten.

Weltpolitisch kann die Krise des Amerikanismus und die Enttäuschung, die unvermeidlich dem Weltherrschaftstraum folgen muß, nur bedeuten: Neubeginn bei Monroe. Dann aber nicht mehr in dem Sinn, daß Amerika selbstherrlich bestimmt, was "Westliche Hemisphäre" ist, sondern daß die Anerkennung der Lebensräume und der Souveränität der übrigen Erdteile und Machtzentren ebenso erfolgt, wie diese dann zweifellos bereit sein werden – sie waren es immer – den amerikanischen Lebensraum und die Sonderrechte der Vereinigten Staaten darin anzuerkennen. Wenn immer wieder von einer europäischen und einer ostasiatischen "Monroe-Doktrin" in diesen Jahren gesprochen wurde, so hat dies tiefere Bedeutung. Wir haben schon bei der Entstehung der Monroe-Doktrin gezeigt, daß die ursprünglich darin entwickelten großräumigen regionalen Ideen der Notwendigkeit einer neuen Weltordnung unserer Zeit am nächsten kommen. Niemand wird behaupten, die Welt könne einfach so wieder hergestellt werden, wie sie vor 1939 bestand, wenn der Kampf der Kontinente weder zur Eroberung Europas und Ostasiens durch die Amerikaner noch zu einer Eroberung Amerikas durch die Europäer und Ostasiaten führen kann. Davon kann gewiß keine Rede sein. Allein schon die unvermeidlichen Veränderungen, die sich auf dem Gebiete des britischen Weltreiches vollziehen werden, stehen dem entgegen.

Das neue Weltbild ist im Entstehen. In Europa sind die Grundlagen für eine neue Ordnung bereits gelegt. Sie können sich während des Krieges gewiß nur fragmentarisch entfalten, weil vorläufig eiserne Notwendigkeiten der Kriegführung alle tieferen Entwicklungsprobleme in ihrem Bann halten. Erst mit der Beendigung dieses Weltkampfes werden die verschiedenen europäischen Völker die Beseitigung der finanzkapitalistischen Ausbeutungsschichten wie eines selbstzerstörenden Klassenkampfes als die Befreiung von einem doppelten Joch empfinden können. Die dann anbrechende Periode großer gemeinschaftlicher wirtschaftlicher und sozialer Werke wird die Hindernisse eines kleinräumigen Nationalismus von selbst in den Hintergrund treten lasen. Kein europäischer Mischmasch, kein kulturelles Esperanto ist das Ziel, auf das diese neue Ordnung in Europa hinstrebt, sondern eine gegenseitige Befruchtung der gewachsenen alten völkischen Kulturen, wie sie im Zeitalter der einander befehdenden europäischen Allianzen niemals möglich gewesen ist. Die Volkergemeinschaf t in unserem Erdteil ist also das Ziel, wie es vordem im deutschen Raume die Volksgemeinschaft war.

Ähnliches wird sich in Ostasien vollziehen, wo der japanische Sendungsglaube und die erst langsam sich frei machenden Kräfte Chinas und der übrigen ostasiatischen Völker schließlich über alle Geburtswehen und Bruderkämpfe hinweg eine neue Einheit ostasiatischer Kultur entstehen lassen werden. Sie wird aller Voraussicht nach sowohl von Europa wie von Amerika weit weniger beeinflußt sein, als dies bei den einzelnen Gebieten Ostasiens in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Südamerika schließlich ist heute in seiner künftigen Entwicklung vielleicht noch am wenigsten überschaubar. Hier kann man nur vermuten, daß der durch Nordamerika erzeugte Druck eine Gegenbewegung hervorruft, über deren Tiefe und Selbständigkeit sich indes noch keine Voraussagen machen lassen.

Eine solche Weltentwicklung hat die gegenseitige Anerkennung der Machtsphären, hat also eine Abgrenzung zur Voraussetzung. Nur auf diese Weise können Weltkatastrophen vom Ausmaße der jetzigen und der von 1914-1918 wenn nicht völlig verhindert, so doch eingedämmt und auf die Ursprungsherde begrenzt werden. Die Naivität der angelsächsischen Pazifisten, die nach dem Weltkrieg den Frieden durch ein System kollektiver Sicherheit, d.h. durch ein System beständiger Kriegsdrohung gegen den einen Teil der großen Völkerfamilie herbei zu führen hofften, darf nicht noch einmal das Schicksal der Völker erschüttern. Noch ist der Amerikanismus die treibende Kraft, durch die alle jene Fehler abermals wiederholt würden, wäre sie siegreich. Man kann auf die menschliche Vernunft leider nur wenig vertrauen. Völker zumal ziehen selten Lehren aus der Geschichte. Die doppelte Erfahrung einer zweimaligen Weltkatastrophe innerhalb einer Generation darf indes nicht ungenutzt in die Geschichte eingehen. Und dies ist auch möglich.

Heute stehen auf der einen Seite die Mächte mit dem Anspruch auf unbedingte Weltherrschaft, auf der anderen die Mächte mit dem Ziel einer Weltordnung in ihren großen natürlichen Völkergemeinschaften und Räumen. Der Weltherrschaftsanspruch gründet sich auf den Versuch, alle Gebiete, in denen die Reichtümer dieser Erde zu gewinnen sind, zu monopolisieren und sie zum Nutzen einer kleinen Schicht auszubeuten. Die Mächte der Weltordnung erstreben demgegenüber eine Verteilung der Reichtümer, durch die sowohl nach innen ein Gemeinschaftssystem der sozialen Gerechtigkeit entwickelt zu werden vermag, wie nach außen die einzelnen Erdräume über jene Hilfsquellen verfügen sollen, durch die das Leben der Massen überhaupt erst lebenswert gemacht werden kann. Die Vereinigten Staaten haben sich unter der Führung Roosevelts an die Spitze der einen Gruppe gestellt. Der Amerikanismus empfiehlt sich als die letzte Universalidee, aber nicht einmal das amerikanische Volk selbst ist, je mehr es sich der Auswirkungen eines solchen Unterfangens bewußt wird, von ihr überzeugt. Schon ist der Kommunismus als internationale Macht gebrochen. Dem Amerikanismus in der Ausprägung Roosevelts wird es nicht anders ergehen. Dafür bürgt der Lebenswille, die Stärke der Kultur, die Vitalität und schließlich auch die Macht der Europäer wie auch der Ostasiaten. Erst dann wird der Weg für eine neue Weltordnung frei sein, die auch Amerika als souveränen Weltteil in sich einzuschließen vermag. Ein anderes Amerika.


ANHANG


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